Ernst Vatter, Bad Liebenzell

5. Juni 1980

24. Ludwig-Hofacker-Konferenz

Posten Jesu Christi in dieser Welt

 

Zuerst bitte ich um Entschuldigung, dass ich im Gegensatz zu meinen Vorrednern mit einer hellen Jacke vor Ihnen stehe. Ich möchte Ihnen jedoch versichern, dass ich zu Hause auch einen dunklen Anzug habe.

Seid wachsam, bei diesem Aufruf steht mir das Bild eines Postens vor Augen. Ein Posten, wo immer er auch stehen möge, hat wenigstens drei Kennzeichen:

 

1. Er soll wach bleiben und nicht einschlafen. Was kann man tun, dass man nicht einschläft? Es heißt im Wort Gottes: „Wachet und betet.“ Das Reden mit Gott hält uns wach. Gestatten wir dem Teufel nicht, dass er mit seiner List unser Gebetsleben zerstört. Wie macht er das?

 

a) Durch Entmutigung. Er möchte uns gerne einflüstern, dass wir bei einem Versagen oder einer Niederlage doch kein Recht mehr hätten, mit Gott zu reden und wir seien doch nur Nullen. Liebe Freunde, und wenn wir Nullen im Quadrat wären, so dürfen wir doch als Mühselige und Beladene und auch als Versager zu unserem Herrn kommen und unsere Not, unser Versagen, unsere Niederlagen etc. vor ihm ausbreiten und wissen, dass Er es den Aufrichtigen gelingen lässt, vergibt und wieder aufrichtet. Wachsam sein heißt: Trotz Versagen, trotz Niederlagen wieder zu Jesus zu kommen und mit ihm reden. Der Gründer der Waisen und Missionsanstalt in Neukirchen, Pastor Ludwig Doll, war ein Mann mit viel Glaubensmut. Es gab eine Zeit, wo er einmal völlig mutlos geworden war und seinem Gehilfen sagte: „Ich glaube, wir kommen doch nicht durch.“ Da holte jener seine Bibel, schlug Psalm 25, 3 auf und hielt Pastor Doll das Wort hin und sagte: „Dann will ich aber auch hier das K durchstreichen, dass es heißen soll: „Einer wird zuschanden der dein harret. Und dieser eine sollen Sie sein.“

Liebe Freunde der Ludwig-Hofacker Vereinigung: Lassen Sie das K in der Bibel und streichen Sie es nicht heraus!

 

b) Wir sollen durch Verdächtigungen eingeschläfert werden und die Freudigkeit zum Beten verlieren. Da hört man, wie ein Christ etwas wider den anderen sagt, man erfährt Missverständnisse und ist enttäuscht. Nun fängt man an zu vergleichen, und schnell kommt die Bitterkeit gegen Mitchristen in unser Leben hinein. Seien wir doch wachsam, und zwar dahingehend, dass wir nicht jedes Gespräch und gedankenloses Reden über andere mitmachen, aufnehmen und weiter tragen. Hören wir ernsthafte Vorwürfe, dann lassen Sie uns offen prüfen und zu der Quelle derselben vordringen. Der Widersacher Gottes freut sich enorm, wenn Christen in vergifteten Atmosphären untereinander leben und dabei geistlich einzuschlafen beginnen.

Wachsam sein heißt aber auch noch: Für andere da sein. In dem Wort wachsam steckt im Urtext die Bedeutung schlaflose Nächte verbringen drin. Wie oft verbringen wir schlaflose Nächte mit Sorgen und mit Grämen, welche mit der Angst, dem Egoismus und dem Beschäftigtsein, mit der Vermehrung unseres eigenen Einflusses und Besitzes zusammenhängen! Haben wir noch Stunden und Augenblicke in unserem Leben, welche wir benützen, darüber nachzudenken, wie wir anderen helfen können? Wie wir unserem Nachbarn das Evangelium, die frohe Botschaft von Jesus nahe bringen können? Sind wir als Christen oft nicht viel zu beschäftigt mit unserem eigenen Ansehen, mit unserem Prestige, mit unserem Garten, Urlaub, Auto etc.? Wachsein heißt: Für andere da sein, den Auftrag an anderen als Zeugen Jesu zu sehen und durchzuführen.

 

Ein weiteres Kennzeichen für Posten Jesu Christi in dieser Welt ist

 

2. Das Warnen. In unserem Text heißt es: Haltet die Augen offen! Die Antwort unseres Herrn Jesu auf die Frage, welches die Zeichen Seines Kommens vom Ende der Welt sein werden, heißt: „Sehet zu, dass euch niemand verführe!“ Wachet heißt somit auch: Mit vom Wort Gottes geschärften Augen in dieser Zeit leben! Christen in der Endzeit mit einer lebendigen Hoffnung im Herzen machen nicht auf Pessimismus oder Optimismus, sondern sind vom Wort geprägte Realisten! Sie haben zu warnen, vor was?

 

a) Vor Resignation und Verzagtheit. Manches Herz von uns möchte verzagt werden, wenn es die zunehmende Oberflächlichkeit im Umgang mit biblischen und christlichen Dingen beobachtet. Spötter und Lästerer Jesu Christi gewinnen scheinbar die Oberhand. Vielleicht schleicht manchmal die Frage in manches Herz hinein: Ob unser Herr Jesus Christus doch noch der Sieger ist? Wachsame Posten Jesu Christi in unserer Welt verbreiten Zuversicht und Freude, weil sie mit dem Wort Gottes und seiner Verheißung auch heute Tag für Tag rechnen und aus der Gemeinschaft mit ihm heraus leben. Denken wir, liebe Freunde, daran: Verzagtheit ist die Vorhut der Reiter, schlagen wir die nicht, so kommen noch weitere!

 

b) Warnung vor Verachtung der Maßstäbe Gottes. Es gibt ein Lied, welches oft unter den Jugendlichen gesungen und gelehrt wird: „Hörst du denn nicht Radio?“ Dieses Lied besingt die Rückständigkeit und die altmodische Art von Menschen, welche den sexuellen Verkehr vor der Ehe nicht gutheißen und das anarchistische Zusammenleben vor der Hochzeit ablehnen. Ein Volk, auch ein Volk der Reformation, geht an der Verachtung von Gottes Maßstäben in seinem Wort moralisch und geistig zu Grunde. Wir wollen nicht die Moralapostel spielen, aber wir warnen vor der Verachtung von Gottes Maßstäben. Lügen sind keine Kavaliersdelikte. Hurerei ist nicht eine unverbindliche Zeiterscheinung etc. Lasst uns da als Fische gegen den Strom schwimmen und unser Zeugnis fröhlich in diese Zeit hineinsagen, wo ja soviel Kälte, Lieblosigkeit und Rücksichtslosigkeit überhand nimmt.

 

c) Wachsame Leute warnen auch vor falscher und überzogener Euphorie. Da heißt es dann: Dort in der Gemeinde und da in der Gemeinde ist es noch wärmer, da ist noch mehr los und da sind die Gaben Gottes noch vollständiger! Wo Menschen im Glauben an Jesus zusammenkommen, da ist Gemeinde Jesu und wo das Wort Gottes betrachtet und verkündigt wird, da wirkt der Heilige Geist. Seien wir doch nüchtern und lassen wir uns nicht durch sentimentale und gefühlsbetonte Äußerungen hin und her bewegen. Wir brauchen nicht mehr Erlebnisse oder Gefühlsbewegungen, sondern wir brauchen mehr Jesus-Leben sichtbar werdend in unserem eigenen Leben! Ich möchte noch den Theologie-Professor Schlatter erwähnen. Es war auf einer Studentenkonferenz. In einer Aussprache pries ein junger Theologe in schwärmerischen Tönen die Seligkeit christlichen Lebens, so dass viele Zuhörer ob dieser Gefühlsschwelgerei Unbehagen empfanden. Da erhob sich Professor Schlatter, packte mit hartem Griff einen Stuhl, hob ihn an, stieß ihn mit hartem Ruck zu Boden und rief in die erschrockene Stille: „Darauf kommt es nicht an, dass der Vikar jeden Morgen ein glückliches Herzchen hat, sondern dass er Gottes Willen tut!“ Dann setzte sich Schlatter wieder.

 

Ein drittes Kennzeichen des Postens Jesu in dieser Welt

 

3. Er hat zu schützen, als Posten zu handeln. Wache Christen sind Leute, welche die Gegenwart zum Betätigungsfeld ihres Glaubens, ihrer Liebe und ihrer Hoffnung machen. Wachet heißt also: In unseren Lebensbereichen das Leben Jesu Christi auszuleben und zu praktizieren.

Wie steht es da mit unserer Ehe? Schützen wir diese als wache Leute durch Vergebung, geistlichen Zuspruch, gemeinsames Gebet oder machen wir unsere Ehen kaputt durch Lieblosigkeit und den Kampf ums letzte Wort?

Wie steht es mit unseren Familien? Wachsam sein heißt auch Zeit für unsere Kinder zu haben, um auf ihre Probleme, Anliegen und Fragen zu hören! Oder es kann auch heißen, dass ich nun endlich zu meinem Vater und zu meiner Mutter gehe, um diese schon wochenlang schwelende Sache zu klären und in Ordnung zu bringen. Wachsam sein, auch im Leben in unseren Gemeinden und Gemeinschaften. Tragen wir unseren persönlichen Teil dazu bei, dass das Leben in der Gemeinschaft warm und lebendig ist oder hilft unsere Reserviertheit mit, dass unsere Gemeinden im Formalismus erstarren? Wache Christen tragen ihren Glauben, ihre Liebe und ihre Hoffnung hinein in die Tätigkeitsbereiche des Alltags.

Spurgeon hatte eine große Gemeinde in London. Dazu gehörte auch eine Frau, welche oft eine spitze Zunge hatte. Eines Tages sagte sie zu Spurgeon, dass er eine zu lange Krawatte anhätte und fragte ihn, ob sie diese abschneiden darf, da sich eine solche Krawatte für einen Prediger nicht zieme. Er meinte dazu, dass sie das darf, und sie schnitt ihm tatsächlich die Krawatte ab. Nun fragte Spurgeon die Frau: „Darf ich auch bei ihnen abschneiden, was zu lang ist?“ Die Frau konnte wohl oder übel nichts anderes als „Ja“ sagen. Spurgeon meinte dann: „So geben sie mir bitte einmal die Schere und dann strecken sie ihre Zunge heraus, denn die ist viel zu lang.“ Ich möchte zum Schluss kommen. Wachet heißt, Posten Jesu in dieser Zeit zu sein mit einem lebendigen Heiland, Posten, die wach bleiben – durch das Gebet und im Dienst für andere, die warnen – mit von der Schrift geöffneten und geschärften Augen und die schützen – weil sie konsequent mit Jesus in ihrem Alltag leben. Möge uns das alles der Herr schenken. Amen.