Schwester Gabriele Goseberg

Christustag 14.06.2001

 

„Weil keiner einen größeren Namen hat“ (Philipper 2, 9)

 

 

 

Als Teenager hatte ich einmal einen bösen Traum: Meine Brüder und ich spielten im nachbarlichen Wald. Da schlängelte sich auf einmal eine große, schwarze Gift-Schlange an mich heran. Ich schrie, wollte weglaufen, konnte aber nicht von der Stelle kommen. Immer näher kam das grässliche Ungeheuer, fixierte ihr Opfer mit eiskaltem Blick. Plötzlich ein Zischen und stechender Schmerz. Blitzschnell hatte der schwarze Feind zugebissen und war ebenso rasch wieder verschwunden.

Da wachte ich auf: angsterfüllt und schweißgebadet. Ich wagte kaum mehr zu atmen, geschweige denn das Licht an zu machen. Da fiel mein Blick auf einen kleinen Leuchtpunkt an der Wand gegenüber. Vor Wochen schon hatte ich es dort aufgehängt, das einfache Pappkreuz mit Phosphor überzogen und mitten auf dem Querbalken nur ein Wort: der Name JESUS.

„Jesus“, flüsterte ich vor mich hin. „Jesus“, bist du da? Und mit einem Mal ahnte ich, dass das Kreuz an der Wand mehr sein muss, als ein christliches Symbol und der Name Jesus mehr als ein christliches Programm, mehr als eine auswendig gelernte Glaubensformel, mehr als mein eifriges Engagement – so wichtig das alles ist.

Es geht um eine einzigartige Person und um eine einzigartige Prägung. Gott möchte, dass wir von der Einzigartigkeit Jesu ganz viel profitieren. Dass uns sein Rettungs- und Erlösungswerk in Fleisch und Blut eingeht. Dass wir kleine Leuchtpunkte sind, auf die der Name „JESUS“ eingraviert ist.

Jesu Leiden und Sterben soll und darf doch nicht „für die Katz“ sein! Jesu Sieg auf dem Schuttabladeplatz Golgatha ist doch nicht Parkplatz der Sünde und des Todes, sondern Hinrichtungsstätte! Die „alte Schlange“ ist besiegt. Der Durchbruch ins Auferstehungsleben ist gelungen. „Darum hat ihn Gott erhöht und ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist!“ Der Vater hat den Sohn an die Spitze seiner Königsherrschaft gestellt. Jesus Christus ist für immer „Herr aller Herren und König aller Könige“! Davon sollen wir schon heute, im konkreten Alltagsleben ganz viel haben.

Ähnlich formulierte Paulus es im Epheserbrief: „Ihr sollt erfahren, wie unermesslich groß die Kraft ist, mit der Gott in uns, den Glaubenden, wirkt. Ist es doch dieselbe Kraft, mit der er Christus von den Toten auferweckte und ihm den Ehrenplatz zu seiner Rechten gab! Damit hat Gott ihn zum Herrscher eingesetzt über alle Mächte und Gewalten, über alle Kräfte und Herrschaften und über jeden Namen“ (Epheser 2, 19-21a. nach Hoffnung für alle)

Jetzt mal ehrlich, Paulus: Das hört sich ja ganz gut an. Aber sind das nicht nur fromme Wünsche? Hängen wir in der Realität des Lebens nicht mehr oder weniger unglückselig rum zwischen Himmel und Erde? Haben die Sorgen, Sünden und Nöte, die wirre Geschäftigkeit und die irre Jagd auf Lustgewinn nicht ein viel größeres Gewicht im Leben als die Auferstehungskraft Christi?

Paulus: Deine Fragen verstehe ich. Auch ich kenne die Macht der Ängste. Ich weiß um bedrückende Sorgen und massive Krankheitsnöte. Selbst brutale Misshandlungen sind mir nicht fremd. Und es bedrückt mich der Streit in den Gemeinden, der Wirbel ums liebe Geld, die Gier nach Ehre und Macht. Unterm Strich habe ich viel Not gesehen und am eigenen Leib und Leben unsagbar Schweres durchgemacht. Und auch jetzt schreibe ich euch nicht eine nette Ansichtskarte von meiner Traum-Insel im Mittelmeer, sondern aus dem Gefängnis. Ja, wir sind eingespannt zwischen Himmel und Erde. Aber wir sollen und werden nicht vor die Hunde gehen, sondern mitten im zerbrechlichen und vergänglichen Leben die Auferstehungskraft Christi erleben. Dieses Vermächtnis hat er mit seinem Lebensblut unterschrieben.

Was also bringt uns der „Name über alle Namen“ ganz konkret?


Der königliche Jesus-Name beschenkt uns mit einer neuen Ehrlichkeit.

Niemand muss auf „christlich“ machen. Niemand muss auf der Bühne des Lebens „fromm spielen“ und hinter den Kulissen auf dem Ego-Trip weitermachen. Ab sofort darf ich mit dem „frommen Theater“ aufhören und echt werden.

Eine hilfreiche Testfrage zur persönlichen Standort-Bestimmung kann sein: Wer bin ich, was tue ich, wenn ich ganz allein bin? Man kann als guter Christ und Pietist gegen Pornografie und Abtreibung sein, heimlich aber die Fernsehkanäle oder das Internet nach Sex-Programmen durchblättern. Man kann in seiner Gemeinde ein freundlicher Mitarbeiter sein, zuhause aber ein Pascha und Haustyrann. Man kann wunderbare Anbetungslieder singen, „Jesus, du bist König mitten unter uns“, aber den König Jesus im Alltag nicht an die Bitterkeiten im Herzen ran lassen.

Bring deinem König all die Unehrlichkeiten und die Heuchelei. Versenke sie in Christi Grab und sage ihm laut: „Herr Jesus, auch meine vielfältige Scheinheiligkeit, die unzähligen Täuschungsmanöver, die großen und die kleinen Lügen, hast du am Kreuz vernichtet. Ich gebe dir, der du die Wahrheit in Person bist, neuen Raum in meinem Herzen und Leben.“

So dürfen wir es mit allen Sünden machen – mit dem Neid und der Unversöhnlichkeit, mit der Rechthaberei und Ungeduld, mit den Rachegedanken und dem schlechten Gerede über andere und mit unserer Lust auf Sünde. Denn Sünde kann auch „schön“ sein.

Werde ehrlich vor Jesus. Der „Name über alle Namen“ steht für eine neue Ehrlichkeit, die er uns geschenkt hat und wieder neu schenkt.



Der königliche Jesus-Name eröffnet uns eine neue Blickrichtung.

Ihr Lieben, stimmt es denn, dass der Herr am Kreuz der „Schlange“ den „Kopf zertreten“ hat? Der altböse Feind agiert doch nach wie vor mit großer und listiger Macht. Stimmt es denn, dass Golgatha der Vernichtungsplatz der Sünde ist? Seit Jahrtausenden ist die Sünde doch entsetzlich lebendig. Stimmt es, dass Christus den Tod besiegt hat, wenn alle zwei Sekunden ein Mensch stirbt?! Stimmt es denn, dass ich ein wirklicher Christ bin, wo ich doch bei Licht besehen, im meinem Herzen von Macken und Hässlichkeiten übersät bin (Römer 7, 18-24)?!

Doch es stimmt! Es ist wahr: Jesus hat einen einzigartigen, einen kompletten und endgültigen Sieg über Sünde, Tod und Teufel errungen. Wenn es nicht so wäre, wäre er im Tod zugrunde gegangen. Aber er lebt und er regiert! Woher weiß ich das? Ich weiß es aus der Bibel. Sie ist das durch und durch wahre und zuverlässige Wort Gottes. Sie bezeugt uns authentisch und klar, dass wir jetzt noch in einer Zwischen-Zeit leben. Wir erleben diese Zwischen-Zeit als enorm spannungsgeladene Zeit: Gott hat uns befreit von der Macht der Sünde aber noch nicht von der Gegenwart der Sünde. Darum leben Christenmenschen nicht wie unter einer himmlischen Käseglocke, die uns all den Kummer und all das Böse vom Leib hält. Wir sind massiv angreifbare und angegriffene Leute und zwar von außen und von innen! Aber wir lernen es, „in dem allen zu überwinden durch den, der uns geliebt hat“ (Römer 8, 37). Die Energie der Liebe Christi will in deiner Angst, in deinem Versagen und Verzagen, in deinen Enttäuschungen und Verletzungen, in deiner Krankheitsnot, in deinem Beziehungschaos mit all der Ratlosigkeit zur Entfaltung kommen.

Du bist nicht allein, auch wenn du dich einsam fühlst. Mit Jesus bist du immer zu zweit. Er ist bei dir – dein guter Hirte, der dich kennt, der dich liebt, der dich ans Ziel bringt. Und wenn du durch die Hölle müsstest: Er ist bei dir. Er lässt dich nicht los. Und wenn du dich wie die Ohnmacht in Person fühltest – Jesus ist die Allmacht in Person. Und wenn du tief verachtet sein solltest – ER war der Allerverachtetste! Stärke dich an den Leiden Christi: „Wunden müssen Wunden heilen“.

Aber dann wage auch die neue Blickrichtung. Wag es, nicht nur zu glauben, dass er für dich starb und für dich auferstand, sondern auch, dass er auf dem Thron sitzt und die Fäden in der Hand hat.

Schau aufwärts! Schau himmelwärts! Dorthin, wo Christus ist. Kümmere dich um das, was droben ist, was Ewigkeitsqualität hat. Häng dein Herz nicht an die Erde, sondern an den Himmel. Verlier dein Herz nicht an Gelder, Güter und Gesundheit, sondern an Christus und sein unvergängliches Reich (Kolosser 3, 1-3; Matthäus 6, 33).

Er soll nicht nur den ersten Platz im Himmel, sondern auch in meinem Leben haben (Kolosser 1, 18). Er ist es wert!

Wie sieht’s da bei mir konkret aus? Auf welchem Platz rangiert Jesus in meinem Leben? Kann man das überhaupt „mathematisch“ regeln und berechnen? Sicher nicht. Denn die Frage nach dem ersten Platz ist die Frage nach der ersten Liebe. Und Liebe kann man nicht berechnen, aber sie hat ein sicheres Erkennungszeichen: das Gespräch. Kommt Jesus in meinem Leben überhaupt zu Wort? Wie gehe ich mit seinem Wort, Gottes Wort, um? Nehmen wir uns Zeit für sein Wort? Können wir uns noch in die Bibel vertiefen, hören auf den Gott, der redet?

Wenn wir in sein Wort schauen, dann schauen wir Jesus an. Der Glaubens-Blick auf ihn stärkt die Gewissheit im Herzen: der „Christus über uns“ ist auch der „Christus in uns“. Und der „Christus in uns“ ist größer als der Vernebelungs- und Chaosgeist, der in der Welt ist (1. Johannes 4, 4). Schau aufwärts! Weg von dem, was dich nach unten zieht, hinauf zu Christus.

Das kann bis in unsere Körperhaltung geschehen. Ich meine es so: Wenn ich mal besonders niedergeschlagen bin und den Kopf hängen lasse, nehme ich mit Jesus Gesprächskontakt auf. Ich suche mir eine ruhige Ecke und spreche mich bei ihm aus, indem ich ihm zuerst ganz konkret und absolut offen sage, was mich niederdrückt und wie ich mich fühle. Dann lese ich noch einmal die Tageslosung oder einen Merkvers aus der täglichen Bibellese oder ein Psalmwort. Ich spreche diese kleine Texteinheit langsam und hörbar aus. Denke darüber nach und dann entschließe ich mich zum Gotteslob. Dabei nehme ich den Kopf hoch und wende mein Gesicht dem Himmel zu. Auch wenn ich ihn nicht sehe, ja meistens die Augen zur besseren Konzentration schließe, habe ich den Eindruck, mit meinem Herrn Blickkontakt zu haben. In solchen Momenten, die ein Geschenk der Güte Gottes sind, weiß ich: „Er führte mich heraus ins Weite, er befreite mich, weil er Gefallen an mir hatte“ (Psalm 18, 20).

Wir sind übrigens in gut biblischer Gesellschaft mit Vater Abraham. In einer höchst notvollen, ja aussichtslosen Situation spricht Gott Abraham zu: „Fürchte dich nicht, Abraham! Ich bin dein Schild und dein sehr großer Lohn.“ Abraham aber war so geknickt, insgeheim auch von Gott enttäuscht, dass er resigniert den Kopf hängen ließ. Aber er spricht sich bei dem Herrn aus. Und dann fordert Gott seinen Abraham auf: „Blicke doch hinauf zum Himmel und zähle die Sterne, wenn du sie zählen kannst! ... So zahlreich wird deine Nachkommenschaft sein! Und Abraham glaubte dem Herrn ...“ Das war die Geburtsstunde einer tiefgründigen Freundschaft zwischen Abraham und seinem Gott (Genesis 15, 1-6; 18, 17; Jesaja 41, 8; Jakobus 2, 23).

Klar: Nicht eine Geste – Kopf hoch und in den Himmel schauen – macht den Glauben. Aber der Glaube braucht ab und zu die Geste, die Gebärde, die Form, das Zeichen als eine pädagogische Maßnahme für glaubensschwache Leute – bis wir vom Glauben zum Schauen gelangen. Bis dahin aber gilt: „Lasst uns aufsehen zu Jesus, den Anfänger und Vollender des Glaubens!“


Der königliche Jesus-Name rüstet uns aus mit einer neuen Vollmacht

Wir sollen nicht nur zum Himmel aufschauen, sondern auch andere dahin mitnehmen. Siebzig Jünger-Missionare hatte Jesus ausgesandt. Voller Dankbarkeit und Freude kamen sie zu Jesus zurück und jubelten: „Herr, sogar die Dämonen mussten uns gehorchen, wenn wir deinen Namen nannten.“ „In Ordnung“, sagt Jesus, „denn ich habe euch Vollmacht gegeben auf Schlangen und Skorpione zu treten und die Gewalt des Feindes zu brechen ... Trotzdem: Lasst euch nicht davon beeindrucken, dass euch die Dämonen gehorchen müssen. Freut euch vielmehr darüber, dass eure Namen im Himmel eingetragen sind“(Lukas 10, 17-20 Hoffnung für alle).

Jesus legt eindeutig die Prioritätenliste für den Bau seines Reiches fest: Das Allerwichtigste im Reich Gottes sind nicht Zeichen, Wunder, Heilungen, Dämonen-Austreibungen, sondern der Eintrag unserer Namen in das Buch des Lebens bei Gott. Persönlich gesagt: Das Allerwichtigste ist, dass dein Name im Buch des Lebens steht.

Es ist wirklich das Größte, wenn sich der Jesus-Name mit unserem Namen verbindet und wir so – nur so – in den Himmel kommen.

Wir selbst müssen es wissen und es andere wissen lassen, dass der Himmel Gottes passwortgeschützt ist:

Es machte Klick in Tinas Computer. Der Bildschirm verriet ihr den Eingang einer neuen Nachricht in der elektronischen Post. Tina war neugierig und machte sich sofort daran, ihren elektronischen Briefkasten zu öffnen. Sie arbeitete im Sekretariat einer großen Universität. Wahrscheinlich hatte wieder einer der Studenten ein Mail geschickt, um die hübsche junge Sekretärin ein bisschen anzumachen. Auf Tinas Bildschirm erschien der Satz:
„Hallo Prinzessin, ich habe alles gesehen. Du hast gebetet. Heute in der Mensa. Beim Mittagessen. Dein Gebet ist erhört. Der Himmel schickt dir den Mann, von dem du immer geträumt hast. Mich. Interessiert?“ Unterschrieben war die Nachricht mit den Worten: „Der kleine Prinz“. Offensichtlich ein Fantasiename. Der Absender hatte auch eine E-Mail Adresse hinterlassen. Sie konnte ihm also zurückschreiben.

Erst wollte sie diesen Witz ignorieren und zu ihrem Schreibprogramm zurückkehren, da kam ihr spontan ein Gedanke. Sie tippte mit flinken Fingern eine Antwort in den Bildschirm. Ihre Augen überflogen noch einmal mit einem schelmischen Lächeln die Zeilen auf dem Monitor.

Da stand: „Hallo kleiner Prinz. Habe tatsächlich gebetet. Habe Gott fürs Essen gedankt. Einen Mann habe ich übrigens schon, der Himmel weiß das. Dass dich der Himmel geschickt hat, war glatt gelogen und eines kleinen Prinzen nicht würdig.“ Tina unterschrieb mit: „Die Beterin“ und sandte die Nachricht ab.

Wenig später hatte sie die Antwort auf dem Monitor:
„Hallo Beterin. Stimmt. War gelogen. Ich hab da so meine Probleme mit dem Himmel. Ich komm da nicht durch. Bei dir scheint das anders zu sein. Warum eigentlich?“

Tina spürte, dass es der kleine Prinz ernst meinte mit dieser Frage. Sie tippte kurz und entschlossen, dann ging die Antwort raus, die so lautete: „Der Himmel ist passwortgeschützt. Das Passwort heißt: Jesus Christus. Das ist das Geheimnis. Vergiss das nie, kleiner Prinz.“

Auf dieses Mail erhielt Tina keine Antwort mehr. Aber es kam ihr so vor, als würde einer der Theologiestudenten in der Mensa immer ganz rot, wenn sich ihre Blicke zufällig trafen.

„Es ist in keinem andern das Heil, es ist auch kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch den wir gerettet werden können“ (Apostelgeschichte 4, 12).

Jesus ist einzigartig, weil keiner einen größeren Namen hat. Der königliche Jesus-Name beschenkt uns mit einer neuen Ehrlichkeit, eröffnet uns eine neue Blickrichtung und rüstet uns aus mit einer neuen Vollmacht. Dafür hat er, das erhöhte Haupt seiner Gemeinde, sich mit seinem Lebensblut eingesetzt und verbürgt. Der Kopf ist schon durch, der Körper kommt nach.