Bruder Fritz (Fritz Oetzbach) Ein Wunder Gottes BRUNNEN-VERLAG GIESSEN UND BASEL Bruder Fritz (Fritz Oetzbach) (1850—1909) Bruder Fritz — unter diesem Namen ist Fritz Oetzbach weithin in den Kreisen der Gläubigen bekannt geworden — wurde von Gott in eine besondere Leidensschule genommen. Von Kindheit an war er schwächlich und litt viel an Magenbeschwerden. Doch hatte auch früh Gottes Gnade an ihm gearbeitet. Bereits als Konfirmand erlebte er eine klare Bekehrung. Durch Glaubensgebet wurde er frei von seinen körperlichen Leiden, nur daß er zeitlebens klein und verkrüppelt blieb. Aber wie hat der Herr seinen kleinen Krüppel in aller Welt gesegnet und zum Segen gesetzt! Sein kindlich-frohes Wesen, die Liebe, die aus seinen Augen strahlte, öffnete ihm überall die Herzen, und durch sein starkes Gottvertrauen hat er vielen Seelen wohlgetan. Welche wunderbaren Erfahrungen durfte er machen auf Reisen, an Krankenbetten, wie vielen durfte er durch sein schlichtes Zeugnis dienen, wie vielen ist er ein Seelsorger von Gottes Gnaden geworden! Auf einer großen Evangelisationsreise durch Rußland ereilte ihn der Tod. In Livland fand er seine letzte Ruhestätte. „Als die Armen, die doch viele reich machen“, war der letzte Gruß eines Freundes an seinem Grabe — ein klares, freudiges, tief bewegendes Zeugnis, ein dankbarer Nachruf zur Verherrlichung Gottes. Bruder Fritz Band 98/99 der Sammlung „Zeugen des gegenwärtigen Gottes“ Bruder Fritz (Fritz Oetzbach) Ein Wunder Gottes Ein Lebensbild nach eigenen Aufzeichnungen Herausgegeben von H. von Redem 29. — 35. Tausend BRUNNEN-VERLAG • GIESSEN UND BASEL INHALTSVERZEICHNIS Vorwort....................................5 Jugendjahre................................7 Krankheit und Heilung.....................17 Die zweite Heilung........................27 Ein neuer Lebensabschnitt.................36 Mancherlei Erfahrungen....................48 In fernen Ländern.........................66 Am Ziel...................................71 Printed in Germany Copyright 1956 by Brunnen-Verlag, Gießen Gesamtherstellung: Buchdruckerei H. Rathmann, Marburg a. d. L,. Vorwort „Sie kennen Bruder Fritz nicht?“ Ich mußte es verneinen. „Nun, da sollten Sie nach Ratingen kommen oder in andere Orte des Rheinlandes, da könnten Ihnen viele Leute etwas von dem Segen erzählen, den sie durch Bruder Fritz empfangen.“ Es ist schon lange her, daß so zum erstenmal vor meinen Ohren der liebe kleine Mann erwähnt wurde, dessen verkrüppelte Gestalt später immer ein Bewußtsein der verstärkten Gegenwart Gottes in mir hervorrief, wenn ich ihn sah. Von außen konnte dieser Eindruck nicht kommen. Auf schwachen Beinen trug er einen in sich zusammengedrängten, verhältnismäßig starken Oberkörper, der nach vorn und hinten verwachsen war, und tief in den Schultern saß ein großer Kopf, der sich seiner Lage wegen schwer wenden und drehen konnte; kleine Füße und Hände gaben der ganzen Gestalt etwas Zwergenhaftes, überragte Bruder Fritz doch kaum ein zehnjähriges Kind. Darum hieß es auch in dem ersten Gespräch, das ich über ihn führen hörte: „Wenn ihn viele verstehen sollen, stellen wir ihn auf den Tisch; denn seine Stimme ist nicht stark.“ Wir wissen’s ja alle: Trotzdem der Leib nur das verwesliche und gebrechliche Gefäß ist, in dem Gott durch seinen Geist Wohnung macht, wird dieser Leib durchleuchtet von dem, was in ihm wohnt, gerade wie die Fenster des Tempels das Licht, das darin brennt, der Nacht draußen mitteilen. In besonderem Maße war dies bei Bruder Fritz der Fall. Es konnte ihn niemand ansehen, ohne von diesem strahlenden, demütigen, liebevollen Ausdruck in dem meist frisch geröteten Gesicht angezogen zu werden. Er war so völlig los von sich, daß ihn auch erstaunte oder neugierige Blicke nicht in Verlegenheit brachten. Gänzlich unbefangen bewegte er sich auch in Kreisen, in die er irdisch nicht hineingeboren war, und ob er beobachtet wurde oder nicht, ob man viel aus ihm machte, wie es stellenweise gesdiah, oder ob man ihn ruhig in seiner Ecke sitzen ließ, er blieb immer derselbe; und gerade, wenn er so still dasaß, spürte man, er redete mit Gott. Auf den Konferenzen in Blankenburg war er ein gern gesehener Gast, und bei einer Gelegenheit, wo wir, an Fräulein von Welings Grabe stehend, über eine etwas scharfe Äußerung sprachen, die gefallen war, wiederholte er: „Alles ganz wahr, ganz wahr, nur ein Tropfen mehr öl wäre schön gewesen, ein bißchen mehr Liebe!“ Man spürte es immer, es tat ihm weh, wenn Meinungsverschiedenheiten zur Parteilichkeit und Lieblosigkeit unter Christen führten. Die Turmuhr im Dorf gilt als allgemeine Richt-sdmur für alle Ortsbewohner; haken aber ihre Gewichte aus, so geht die Uhr nicht, und es entsteht Verwirrung im Ort. — So ist’s auch mit den Christen, auf die viele blicken, weil sie Rat, Fürbitte, geistliche Hilfe von ihnen erwarten. Solche brauchen mehr als andere ihre Gewichte, um in unmittelbarer Abhängigkeit von Gott zu bleiben und niemand irrezuleiten. Paulus hatte seinen Pfahl im Fleisch, und auch Fritz Oetzbach trug den seinen. Wie das alles kam, zeigen die folgenden Blätter, die in der Hauptsache seinen persönlichen Aufzeichnungen entnommen sind. Ihre schlichte Sprache trägt den Stempel der Wahrheit und erzählt besser den Wunderreichtum dieses kleinen Lebens, als vieles Reden über ihn es wohl vermöchte. H. v. R. Jugendjahre Am 19. April 1850 wurde ich in der Gemeinde Wülfrath geboren. Meine Eltern starben sehr früh, und ich war bereits mit dem sechsten Lebensjahr eine Waise."- Meinen Vater habe ich gar nicht gekannt, meine Mutter nur so eben. Vom zweiten Lebensjahr an wurde ich schon im großelterlichen Hause in W. erzogen. Ich weiß, daß meine Mutter im kindlichen Glauben an ihren Erlöser starb, aber über meinen Vater habe ich nie ein bestimmtes Zeugnis von seinem inneren Leben gehört. Meinen Großeltern verdanke ich sehr viel, sie waren beide gottesfürdhtig und haben alles nur mögliche an mir getan. Ich war von Kindesbeinen an ein schwächliches Kind und litt viel an Magenbeschwerden. Der Geist Gottes begann früh an mir zu arbeiten; ich kann mich bis ins fünfte Lebensjahr zurück gut daran erinnern, wann und wo ich wegen gewisser kleiner Unarten gestraft und auf die Knie getrieben wurde. Meine beiden Tanten, die auch ein Eigentum des Heilandes waren, beteten immer abends mit mir, und ich brachte alles, was ich den Tag über erlebt und gesehen hatte, vor den Herrn Jesus. Mit dem zehnten Lebensjahr hielten mich ältere Geschwister schon für bekehrt, aber ich hatte noch keine wirkliche Erneuerung meines Herzens erfahren. Sehr gut erinnere ich mich, daß, wenn die alten Brüder zusammenkamen, um sich aus Gottes Wort * Seine Eltern waren Schreinersleute und besaßen einen Hof in der Nähe von Wülfrath, „Auf der Landwehr“ genannt; dort wurde Fritz Oetzbach geboren. zu erbauen, es meine Lust war, zugegen zu sein; ich konnte dann gut alles andere entbehren, woran die Jugend sich sonst ergötjt. Trotjdem war ich ein munterer, lebensfroher Junge, der es wie andere Kinder nicht an allerlei Streichen hat fehlen lassen; z. B. weiß ich noch sehr wohl, wie mich mein Großvater eines Tages vornahm und durchprügelte, weil ich gelogen hatte. In der Schule wurde mir das Lernen nicht schwer, ich hatte Jahre hindurch immer den ersten Platj inne. Da ich aber viel leidend war und über Magen- und Kopfschmerzen klagte, mußte ich oft vierzehn Tage hintereinander vom Schulunterricht befreit werden. Trotzdem wuchs ich schnell, war für mein Alter groß und schlank und konnte gut turnen und springen. Solcherart verging die Zeit, Ibis ich in den Konfirmandenunterricht gehen mußte. Diesen erteilte Pastor Niepmann in Wülfrath, der erst seit kurzem dort im Amt und ein entschiedener Bekenner Jesu sowie ein Freund aller ernsten Christen war. Sein Unterricht und die Erklärung des Wortes machten einen tiefen Eindruck auf mich, und der Geist Gottes arbeitete im verborgenen an meinem Herzen fort. Anfangs suchte ich diese Eindrücke zu verwischen, doch nach und nach wurden mir die Augen immer mehr über meinen verdorbenen Zustand geöffnet, und der Geist Gottes fand Raum, sein Werk in mir weiterzuführen. In dieser Zeit — es war im Jahre 1863 — gab es im Bergischen Lande gerade eine Erweckung: viele verließen die alte Sündenbahn und bekehrten sich zum Herrn Jesus. Ich war eben 13 Jahre alt geworden, als mein Verderben und meine Schuld mir so überwältigend klar wurden, ja, ich gründlich einsah, daß ich die Hölle verdient hätte. Im Hause merkte man wohl, daß etwas in mir vorging; aber man ließ mich ganz in Ruhe, und niemand fragte mich nach meinem Zustand. Wie ich nun an einem Abend meine Sachen für den Unterricht lernte, konnte ich mich der Tränen nicht mehr erwehren. Zwei Lieder-verse beschreiben meinen damaligen Zustand, sie fielen mir immer wieder ein, und ich weiß noch genau, wie sie heißen: Ich unrein und ganz verdorben, du die höchste Heiligkeit; ich verfinstert und erstorben, du des Lebens Licht und Freud’; ich ein armes Bettelkind, lahm und Krüppel, taub und blind, du das Wesen aller Wesen, ganz vollkommen auserlesen. Und doch lässest du mich laden zu dem großen Hochzeitsmahl. 0 der übergroßen Gnaden, ich soll in dem Himmelssaal mit dem lieben Gotteslamm, meinem Herzensbräutigam, bei der Engel Chor und Reihen ewig, ewig mich erfreuen! Dieser letzte Gedanke überwältigte mich. Wie konnte Gott an mir Gefallen haben, wo ich ihn doch bis dahin nur betrübt hatte! Als wieder der Tag des Unterrichts kam, wan-derte ich mit einem Freunde namens E. eine Stunde weit durch die Felder auf W. zu. Dem Freund fiel es auf, daß ich im Gespräch nicht recht bei der Sache war und so still vor mich hinging. Endlich fragte er: „Bist du krank? Dann geh doch lieber nach Hause, ich kann dich ja entschuldigen!“ „0 nein“, erwiderte ich. „Was mir fehlt, kann ich dir freilich nicht sagen; aber du würdest mir eine große Freude machen, wenn du vorausgingst und mich allein nachkommen ließest.“ Dies konnte E. freilich nicht begreifen, aber er tat mir den erbetenen Gefallen. Kaum sah ich mich allein, als ich hinter einem Busch auf meine Knie fiel und den Herrn Jesus um die Vergebung aller meiner Sünden bat. Doch dann mußte ich eilen, um nicht zu spät zum Unterricht einzutreffen. Ich kam noch eben rechtzeitig, meinte aber zu bemerken, daß der Pastor mich so ganz anders ansah, und wich darum seinem Blick schüchtern aus. Was mir aber ganz merkwürdig erschien, war das Zusammentreffen, daß ich das eben angeführte Lied aufzusagen hatte. Als ich begann: „Ich unrein und ganz verdorben“, stockte ich, ein unaufhaltsamer Strom von Tränen floß mir aus den Augen. Der gute Pastor hatte Mitleid und gebot mir, mich zu set$en; er fragte mich den Morgen nicht mehr. Nach Beendigung des Unterrichts hätte ich mich gern unbemerkt aus dem Staube gemacht; aber als ich an die Tür des Betsaals kam, rief mich die Stimme des Pastors wieder zurück. Wir waren bald allein; er legte den Arm teilnehmend um meine Schulter und fragte, warum ich geweint hätte. „Hast du deine Sache nicht gekonnt?“ Ich erwiderte, das sei es nicht gewesen; ich hätte aber meinen unreinen Zustand und meine Verdorbenheit eingesehen, und das bewege mich so. Da füllten sich die Augen des lieben Pastors mit Tränen, und er sagte: „0 Fritj, darüber kann ich mich nur freuen, daß du über deine Sünden weinst und dich selber richtest!“ Er suchte mich zu trösten und wies mich auf Jesus, den Sünderfreund, der für jung und alt, ja für jeden Sünder sein Blut vergossen habe. Dann fielen wir beide auf die Knie, und der Herr Pastor dankte dem Herrn und bat innig und herzlich den Heiland um Gnade für seinen Schüler. In meinem Innern aber wollte es immer noch nicht Frieden werden; ich konnte nicht glauben und fassen, daß auch ich ein Eigentum des Herrn Jesus sein sollte. Der freundliche Pastor merkte es wohl, nahm mich noch mit in seine Wohnung und suchte mir auf alle Weise Mut zu machen, auf Jesus, den Anfänger und Vollender des Glaubens, zu blicken. Kaum war ich unterwegs und wieder allein, so suchte mich auch der Feind anzufechten. Er flüsterte mir zu: „So, nun hast du wohl jemand, der dir beten hilft, aber bleiben tut’s doch so, du kommst in die Hölle. Was anderes hast du nicht verdient!“ Ich konnte nur „Ja“ dazu sagen, es war so, ich hatte nichts als die Hölle verdient. Als ich daheim ankam, wurde ich gleich gefragt, warum ich so spät gekommen sei. Ich antwortete nur, daß der Herr Pastor noch mit mir geredet habe; aber man wußte schon mehr, als ich ahnte. E. hatte schon berichtet, daß ich in der Stunde geweint hätte und mir das Aufsagen daraufhin erlassen worden sei. So vergingen einige Tage, ohne mir einen Lichtstrahl zu bringen. Eines Morgens wurde ich beauftragt, eine Besorgung zu machen. Diese führte mich an der Wohnung meines Sonntagsschullehrers vorbei. „Geh hinein und rede mit Herrn B.“, sagte mir eine Stimme, eine andere aber mahnte ab. Ich war in innerlichem Widerstreit einige Schritte weitergegangen, kehrte dann aber doch um. Frau B. begrüßte mich schon an der Tür. Beide Ehegatten hatten die rechte Art, und bald war mein ganzes Herz ausgeschüttet. Als ich fertig war, erwartete ich Trost und Zuspruch von ihnen; statt dessen sagte man mir ruhig: „Komm, Fritj, wir wollen beten, dann gehst du still nach Hause; glaube nur, der Herr Jesus wird sich dir bald offenbaren.“ Dies genügte mir eigentlich gar nicht, doch ich ging. Als ich etwa 15 Minuten traurigen Herzens dahingewandert war, zog es mich am Rande eines Kornfeldes auf die Knie, und da ging in meinem Herzen auf einmal die Sonne auf; ich erkannte, daß der Herr Jesus für alle meine Sünden geblutet und bezahlt hatte. Ich konnte mir das volle Heil zueignen und empfand plöbjlich ein Glück, das ich noch nie besessen: Freude und Friede durchströmten mein Herz, es war mir auf einmal ganz gewiß, daß meine Sünden vergeben seien und ich ein Eigentum Jesu wäre. Das ist und bleibt in der Rückerinnerung die schönste Stunde meines Lebens, die Stunde, in der ich in den Wunden des Erbarmers Ruhe und Seligkeit fand. Wie ich den Tag nach Hause kam, wird mir immer rätselhaft bleiben. Ich weiß nur noch, daß ich vor Freuden hüpfte und sprang und ein Loblied nach dem anderen anstimmte. Zu Hause bemerkte man bald, was mit mir vorgegangen, und ich bekannte es froh und frei, wiedergeboren zu sein zu einer lebendigen Hoffnung (1. Petr. 1,3). Es war im Oktober 1864, als Gott mir, wie David sagt, die Missetat meiner Sünden vergab (Psalm 32, 5). Sobald ich konnte, brachte ich auch meinem lieben Pastor N. die frohe Botschaft meiner Errettung und erzählte ihm alles. Von neuem weinte er Freudentränen mit mir, und wir dankten gemeinsam dem Herrn für seine mir erwiesene unaussprechliche Gnade. In der Schule und überall war’s nun bald bekanntgeworden, daß ich fromm oder, wie man zu sagen pflegte, ein Mucker geworden war, und ich bekam bald mein Teil Schmach für den Namen Jesu zu tragen. Der Herr gab mir Gnade, soviel ich bedurfte, und stand mir überall sichtlich bei. Wollte mir eins oder das andere schwer werden, so besuchte ich den lieben Herrn Pastor, der mir ein rechter Vater geworden war. Seine rührende Art wird durch folgendes kleine Erlebnis am besten gekennzeichnet: Eines Tages, als ich gerade dort war, meldete das Dienstmädchen, es stände ein Mann draußen und bitte um ein Hemd. Da ging der Pastor selbst hinaus und sprach in liebevoller Weise mit dem Bettler von dem, der gekommen ist, um alle Not auf Erden zu stillen. Dann beauftragte er die Magd, dem Mann eins seiner Hemden zu geben. Als die Frau Pastor das hörte, ward sie unwillig und machte ihrem Mann Vorwürfe über seine allzugroße Mildtätigkeit. Sie schien allen Grund dazu zu haben, denn der Mann bot sein Hemd im Wirtshaus für Branntwein aus; die Gäste legten das Hemd ihres Pastors zum Spott an und versuchten zu predigen. Die Frau Pastor war tief unglücklich darüber; ihr Mann aber sagte ganz ruhig: „Dies alles habe ich nicht zu verantworten; ich mußte nur dem geben, der mich bat.“ Ja, er war ein musterhafter Christ, unser lieber Herr Pastor, und ein wirkliches Vorbild für seine Gemeinde; er arbeitete in großem Segen, und alle Gläubigen hingen mit warmer Liebe an ihm. Doch fehlte es ihm auch nicht an Feinden; denn seine Predigt war sehr entschieden, und er sagte allen die Wahrheit; trotjdem ging alles hin, wenn der Sonntag kam. „Man muß doch hören, was es heute wieder gibt“, sagten die Leute. Der Tag meiner Konfirmation war gekommen; es war der Tag, an dem ich zum erstenmal in der Kirche mit gläubigem Herzen das heilige Abendmahl feiern sollte. Bei der Einsegnung wurde mir die Verheißung mit auf den Weg gegeben: „Weine nicht, siehe, es hat überwunden der Löwe, der da ist vom Geschlechte Juda!“ (Offb. 5, 5). Der Tag verlief schön und friedevoll; ich empfand die Nähe des Herrn und gelobte ihm, treu zu sein bis in den Tod. Ich war noch nicht ganz 14 Jahre alt. Da ich aber für mein Alter groß und schlank gewachsen war — ich bin damals mindestens anderthalb Kopf größer gewesen, als ich’s später war —, fühlte ich mich durch das schnelle Wachstum, verbunden mit den dauernden Magenbeschwerden, recht schwach. Man vermutete, ich könnte das Leiden meiner Mutter geerbt haben, die an Magenkrebs starb. Ich würde von der Schule genommen, um zu sehen, ob ich mich dann besser entwickelte. Es war in dieser Zeit, daß mir der liebe Herr Pastor sagte, er habe bei meiner Bekehrung dem Herrn ein Gelübde getan, mich ausbilden zu lassen; er stellte mir ganz frei, ob ich Pastor, Missionar oder Evangelist werden wollte. Da ich sozusagen die erste Frucht seiner Arbeit in dieser Gemeinde war und Gott ihm die Mittel geschenkt hatte, es zu tun, wollte er mich ganz auf seine Kosten studieren lassen. In diese Vorschläge willigte ich natürlich mit großer Freude und Dankbarkeit ein, vorausgese^t, daß ich bald gesund genug dazu würde. Aber der Herr hatte es anders bestimmt; denn alle Tage sind in sein Buch geschrieben (Psalm 139, 16). Wie gut war’s, daß mir damals sein Weg verborgen war und ich nicht wußte, welch lange Leidensschule ich bereits im Begriff war anzutreten! Vorläufig kam ich aus dem großelterlichen Hause in ein Schuhgeschäft; doch konnte ich dort wegen eines bösen Nierenleidens, das alle meine Kräfte verzehrte, nur acht Wochen bleiben. Außerdem hatte ich den ganzen Tag Magenschmerzen und sehnte mich nur noch zu sterben. Ich lag oft hinter der Kirchhofsecke und bat Gott, mich doch den nächsten sein zu lassen, den man begraben würde. Ein wirklicher Freund und Vater blieb mir in der ganzen schweren Zeit der liebe Pfarrer; er verstand es am besten, mich immer wieder zu ermuntern und zu trösten, wenn auch der Schwächezustand meines armen, siechen Körpers mich immer wieder gefangennahm. Oft kam er und erwirkte bei meinem Prinzipal die Erlaubnis, einen Besuch oder Spaziergang mit ihm zu machen. An einen dieser Besuche erinnere ich mich besonders. Wir kehrten in ein sehr kleines Haus ein; der Bewohner, ein alter Mann, begrüßte den Pastor gleich mit einer Umarmung; er schien sehr arm zu sein. Unter anderem diente ihm eine Kiste als Vorratskammer und zugleich als Tisch. Als wir eingetreten waren, beschäftigte sich der Alte an einem kleinen eisernen Ofen; er hatte eine Art Kessel-chen mit heißem Wasser darauf stehen. Der Pastor hatte eine schwere Tasche mitgebracht. Er packte die darin enthaltenen Lebensmittel, unter anderem auch ein Tütchen Kaffee aus; es wurde gleich ein Trunk bereitet, und wir mußten um die Kiste herum Plat} nehmen. Aber erst zog der Alte sein Käppchen ab und betete: „Liever Vader, ech dau mir lieblich bedanken, dett Du mich aul Minsch so versorgst; Du wußt wal, dat ich wieder alles opge-geten hat, nun han ich alt wieder einen so gruten Zug, ich don mich dafür bedanken, und nu lat et us gut schmaken! Amen.“ Dann gab es ein vertrauliches und ernstes Gespräch, und beim Abschied sagte der alte Bruder: „Besuche mich mal wieder; komm, sooft du kannst und willst!“ Noch einmal war ich dort und vergesse es nie, wie er mir da die Hand aufs Haupt legte, nach oben blickte und sagte: „Herr Jesus, er soll gesegnet bleiben!“ Krankheit und Heilung Mein körperliches Befinden wurde von Tag zu Tag schlechter, und die Nierenschmerzen steigerten sich so, daß ich am 28. Juni 1864 besinnungslos vom Stuhl fiel. Man brachte mich in bewußtlosem Zustande nach Hause, und der Arzt stellte fest, daß ich Nieren- und Unterleibsentzündung hätte. Als ich so ohnmächtig aus dem Wagen gehoben und ins Bett getragen wurde, hatte mein Freund E. danebengestanden, und mein hilfloser Zustand wurde vom Herrn dazu benutzt, ihm die Augen zu öffnen und ihm seinen eigenen verlorenen Zustand zu zeigen. „Ach“, mußte er denken, „wenn du an Frilj’ Stelle wärst, so gingst du je^tewig verloren.“ Es fiel ihm schwer aufs Gewissen, daß er mich mit den anderen Kameraden verspottet und lächerlich gemacht hatte. Alle seine Sünden standen wider ihn auf, eine große Angst überfiel ihn, er eilte nach Hause und betete aus aufrichtigem Herzen: „Herr, erbarme dich meiner!“ 2 Bruder Fritz 17 Endlich kehrte unterdessen bei mir die Besinnung zurück, und ich erwachte unter furchtbaren Schmerzen. Der Arzt hatte mir Blutegel am Leib setjen lassen, und auf meinem Magen lag ein großes Pflaster, das die Haut aufgezogen hatte. Wie gut, daß ich mein Herz dem Heiland schon früh hingegeben hatte! Unter diesen Leiden wäre es unmöglich gewesen, es zu tun, und wie töricht ist der Mensch, der seine Bekehrung verschiebt, bis er auf dem Krankenlager liegt! Es sind wohl sehr wenige, die dann noch die Schächergnade finden! Nach etlichen Tagen besuchte mich E., um mir zu erzählen, wie es ihm bei meinem Anblick ergangen; er erzählte mir strahlend, daß er Frieden gefunden habe und sich jetjt des Heilands freuen könne. Der treue Herr hat diesen meinen Freund nach jener seligen Erfahrung nur noch zwei Jahre auf Erden leben lassen, dann ging er heim. Bei mir aber griff die Krankheit immer weiter um sich, und kein Arzt wußte Rat. Endlich öffneten sich die Magengeschwüre, was ein Erbrechen von Blut und Eiter zur Folge hatte. Dies dauerte fort unter den fürchterlichsten Schmerzen, und schließlich hieß es, nun hätte ich ohne Frage den Magenkrebs. Zudem hatten die namenlosen Schmerzen mein schwaches Nervensystem so erschüttert, daß sich schließlich Starrkrämpfe einstellten, die oft anderthalb Tage dauerten. Ich konnte alles hören, was geredet wurde, mich aber nicht im geringsten bewegen. In dieser Lage ließ mich der Herr oft wunderbare Dinge sehen; es fehlen mir jedoch die Worte, um auszudrücken, was ich sah; ich habe auch keine Freudigkeit, darüber zu reden, und möchte darum lieber schweigen und mit Paulus nur sagen: „Ich sah unaussprechliche Dinge“ (2. Kor. 12, 4). Pastor N. saß fast täglich an meinem Lager; es ging aber auch viel anderer Besuch aus und ein. Ich war ihnen wie ein Wunder, und von manchen konnte gelten, was Psalm 41, 7 geschrieben steht: „Sie kommen, daß sie schauen, und meinen es doch nicht von Herzen, sondern suchen etwas, das sie lästern mögen, gehen hin und tragen es aus.“ Ohne daß ich’s wußte, beging man nämlich die Torheit, mich auszufragen, bevor meine Besinnung vollständig zurückgekehrt war. Doch der Herr bewahrte mich auch dabei. Man pflegte mich treu, aber ich bedurfte auch vier Personen, die sich Tag und Nacht bei mir abwechselten; denn sobald das Leben in meine erstarrten Glieder zurückkehrte, zuckten diese in den heftigsten Krämpfen und entstellten meinen ganzen Körper. Arme und Beine mußten dann fest-gehalten und gerieben werden, damit das Blut wieder in Umlauf kam. Ja, ich war ein rechtes Schmerzenskind und seufzte oft: „Ach, Herr, wie so lange!“ Aber auch in diesen Nöten bestätigte sich das Wort des Herrn: „Wie dein Tag, so soll auch deine Kraft sein!“; denn ich lebte in jener Zeit mit meinem Geist mehr im Himmel als auf Erden. Jesu Nähe und sein Friede beglückten mich und gaben mir Mut und Kraft, auszuharren und zu dulden. Oft lag ich an den Toren der Ewigkeit, und es schien jeden Augenblick überwunden zu sein. In diesem Zustand blieb mir als Zuflucht nur das Blut meines Heilands; denn während ich so hilflos dalag, kamen mir manche kleinere und größere Vergehungen meiner Jugendzeit in Erinnerung, und ich konnte demgegenüber immer nur sagen: „Herr Jesu, dein Blut macht alles gut; ich verlasse mich auch jetjt darauf!“ Der Arzt begriff es nicht, aber die beängstigenden Zustände gingen immer wieder vorüber. Mein Großvater, der meine Leiden gar nicht mehr mitansehen konnte, ließ noch einen dritten erfahrenen Arzt kommen; aber auch dieser stellte gleich den anderen fest, daß es für mich unmöglich sei, weiterzuleben. Wenn man auf den Magen oder Unterleib drückte, war das Rückgrat durchzufühlen. Die Eingeweide waren zusammengeschrumpft. Alles, was ich noch zu genießen versuchte, kam zum Munde wieder heraus. In dieser Zeit erfolgte eine meiner größten Demütigungen, von der ich absichtlich spreche, damit man nicht denkt, ich wolle nur alles Schöne und Schwere aus meinem Leben mitteilen und das Schlechte verschweigen. Ich glaube im Rückblick fast, daß der böse Feind zur Zeit der Krämpfe sehr geschäftig war, und so kam es, daß, als ich gerade wieder in einem langen, todesähnlichen Starrkrampf lag, mir der Feind in Gestalt eines Engels des Lichts erschien. Mir wurde durch ihn gezeigt, wie Gottes Engel Abraham einen Besuch machten (1. Mose 18, 19) und Sara ihnen ein Essen zuberei- tete. Mein Herz war aus der Demut gewichen, und mancherlei hatte geistlichen Hochmut bei mir herbeigeführt. Und so konnte mir der Feind ein-flüstem, ich sollte auch einen Kuchen bereiten lassen, dann würden mich die Engel besuchen. Es geschah — aber die Engel kamen nicht. Da aber gerade wieder viel Besuch da war und alle warteten, ob die Engel den Kuchen wirklich essen würden, verführte mich Satan noch tiefer in die Lüge. Ich warf den kleinen Kuchen unter den Schrank und sagte, die Engel hätten ihn gegessen. Diese große Lüge und Untreue gab dem Feind Veranlassung, mich noch eine Zeitlang furchtbar zu plagen, und der Geist Gottes, den ich so schmählich betrübt hatte, schien fast ganz von mir gewichen zu sein. Wenn ich früher manches Herrliche und Liebliche sehen durfte, wenn die Starrkrämpfe mich in hellsehenden Zustand verse^ten, so erblickte ich jet$t lauter schreckliche Dinge, meist Teufel und böse Geister, die jammerten und stöhnten. Ja, ich sah sogar Personen in diesem Zustand, die ich früher gut gekannt, sogar eigene Verwandte; das war ganz schrecklich für mich. Nach einigen so verbrachten traurigen Wochen gefiel es dem Herrn, meinen Leiden und besonders den furchtbaren Schmerzen ein Ende zu bereiten. Und das kam so: Trolj aller Anfechtungen hatte ich mich nicht allein gefühlt. Nicht nur liebe Kinder Gottes umgaben mich mit ihrem Zuspruch, sondern auch dienstbare Geister Gottes beschütten mich. Und es war wieder in einem der Starrkrämpfe, daß ich deutlich den Befehl empfing, nach Jakobus 5, 14—16 an mir handeln zu lassen. Die Umstehenden hatten nicht erwartet, daß ich wieder erwachen würde; denn der Starrkrampf dauerte diesmal noch viel länger als sonst. Als ich aber wieder zum Bewußtsein kam und vier Personen um mich beschäftigt waren, bat ich meine Tante, mir die Stelle vorzulesen, da der Befehl mir immer wieder und wieder in den Ohren geklungen hatte, trotjdem ich nicht die geringste Ahnung hatte, was Jakolbus 5, 14—16 geschrieben stand. Meine Tante nahm die Bibel, schlug auf und las: „Ist jemand krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde und lasse über sich beten und salben mit öl in dem Namen des Herrn! Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten, und so er hat Sünden getan, werden sie ihm vergeben sein.“ Diese Worte klangen wie eine Freudenbotschaft in meine Ohren. Meines Wissens hatte ich sie noch nie gehört oder gelesen, trotzdem ich 16 Jahre alt war. Aber ich hatte keine Ahnung, daß im Jahre 1866, gerade jetjt, wo ich den Auftrag empfing, danach zu handeln, in Männedorf bei Jungfer Trudel wie beim seligen Pfarrer Blumhardt in Boll schon nach dieser Bibelstelle Kranke geheilt wurden. Trotjdem auch in unserer Gegend niemand je eine derartige Erfahrung gemacht, füllten ein wunderbares Vertrauen zu Gottes Wort und ein fester Glaube an seine Macht mein Herz, und es war mir ganz klar, daß der Herr sich dazu bekennen würde. Nun ließ ich mir die Bibelstelle noch einmal vorlesen und bat dann, Pastor N. und Bruder K. zu rufen, daß sie dem Befehl Gottes gemäß an mir handelten. Trotj allen Einspruchs vom Großvater und der Tante, die glaubten, ich sei nicht bei klarer Besinnung, wuchs mein Glaube nur, und ich konnte trolj großer Schmerzen sagen: „Ladet mir getrost alle Kinder Gottes ein, welche die schweren Tage mit mir durchlitten haben, damit sie kommen, um sich mit mir zu freuen!“ An mir selber aber bestätigte sich recht, was David sagte: „Herr, wäre dein Wort nicht mein Trost gewesen, ich wäre vergangen in meinem Elend.“ Da nun nach meinem Willen gehandelt wurde, füllte sich das Haus bald teils mit treuen Betern, teils aber auch mit Neugierigen. Als Pastor N. kam, mußte er sich mit Mühe hindurchdrängen. Er dachte, die lange erwartete Stunde des Heimgangs sei gekommen, und trat deshalb mit folgenden Worten an mein Lager: „Wenn mir am allerbängsten wird um das Herze sein, so reiß mich aus den Ängsten kraft deiner Angst und Pein!“ Dabei liefen Tränen innigen Mitleids über seine Wangen; er legte mir die Hand aufs Haupt und fragte mich, ob ich getrost sei und vollen Frieden empfinde. „Ja“, erwiderte ich, „der Herr ist sehr nahe, und sein Friede erquickt mein Herz; aber die Stunde des Heimgangs ist noch nicht gekommen, sondern ich erwarte Hilfe und Heilung nach seinem Wort.“ Ich durfte dem lieben Pastor, der die Jakobusstelle bisher immer nur auf die Seele bezogen hatte, sagen, daß sie auch für den Körper gelte. Für unser ganzes Dasein, was Leib und Seele anbetrifft, hat Gott in seiner Liebe und Fürsorge treu gesorgt; Hunderte von Verheißungen hat er uns für unser Seelenheil gegeben, aber er hat auch an unseren Körper gedacht, um uns in Krankheiten zu helfen, und diese Stelle sei eine Verheißung, auf die ich mich jetjt stüi^e. Der liebe Pastor war sehr demütig und fragte mich, wie er’s machen solle, und dann salbte er in heiliger Ehrfurcht und mit zitternden Händen mein Haupt und die kranke Magengegend. Dann legten Bruder B. und er, wie geschrieben steht, die Hände auf mein Haupt und beteten. Es war ein heiliger Moment und Gottes Gegenwart spürbar nahe. Als der erste Bruder betete, fühlte ich sofort eine Wandlung in meinem Körper eintre-ten, und als der zweite Bruder fortfuhr, den Herrn an sein gegebenes Wort zu erinnern, wurde ich plötzlich von all und jedem Schmerz frei, und ein wonniges Gefühl durchzog meinen ganzen Körper. Alle Anwesenden sahen mit Staunen, wie ich meine Glieder frei bewegen konnte. Mein Nieren-und Unterleibsleiden war verschwunden. Das schwere Erbrechen hörte von diesem Augenblick an auf, und eine langsame Heilung des Magens war mit dieser Stunde eingetreten. Voll Lob und Dank öffnete ich meinen Mund und pries den Herrn, der mich von allen Schmerzen so wunderbar auf einmal befreit hatte; ja, es war mir fast, als wenn ein himmlisches Gefühl sich meiner Glieder bemächtigt hätte. Ja wahrlich, der Herr hatte sich zu seinem Wort bekannt, es war Wahrheit geworden: „Dir geschehe, wie du geglaubt hast!“ Diese Heilung geschah am 10. Oktober 1866. — Als der Arzt am nächsten Tage kam, um sich nach mir umzusehen, konnte er das Geschehene nicht begreifen. Ich erzählte ihm, was der Arzt aller Ärzte an mir getan und wie ihm kein Ding unmöglich sei. Der Doktor verstand, daß er mit seiner Wissenschaft zuschanden geworden sei, und sagte ganz von selbst, er wolle mir fortan keine Medizin mehr geben. Menschlich geredet, wäre Gottes Wunder noch augenscheinlicher hervorgetreten, wenn ich nun völlig genesen mein Lager hätte verlassen können. Der Herr aber hatte andere Wege, seinen Namen zu verherrlichen. Zwölf Jahre sollte ich noch völlig gelähmt bleiben. Aber ich war voll Frieden und Glück in ihm, und ich kann wohl sagen, daß es die seligsten Jahre meines Lebens bleiben werden, die ich so zubrachte, von ihm erquickt und geliebt. Die Welt war mir fremd, und ich mochte nicht, daß mir jemand von draußen berichtete. Die Zeit aber wurde mir nicht lang; denn die Tröstungen Gottes erquickten meine Seele, so daß ich nur Ursache zum Rühmen hatte. Auch machte ich alle Tage neue Erfahrungen seiner Liebe und Treue und lernte sein Wort immer besser kennen. Meine Nerven waren sehr schwach; betrat jemand auch nur etwas hastig mein Zimmer, so fing ich schon an zu zittern. Die Ärzte sagten, ich hätte Nervenschwindsucht; ich aber durfte in diesem ohnmächtigen Zustand viel Köstliches erleben. Brüder und Schwestern kamen mit Fragen oder Gebetsgegenständen, Suchende und Heilsverlangende erschienen, und ich darf zur Ehre Gottes glauben, daß ich droben manchen wiederfinden werde, dem ich hier dienen durfte. Auch der treue Pastor N. kam, und wir gingen zusammen manche Bibelstelle durch. Der Herr hat mir in jener Zeit viel Licht gegeben, so daß, wenn ich mich heute ansehe, ich mich schäme, nicht so einfältig im Glauben geblieben zu sein. Ich weiß wohl, daß ich die Schuld trage und mein Herr auch heute bereit ist, alles zu schenken, wenn ich Gnade brauche, ihn zu verherrlichen. Dem Herrn hatte es nicht gefallen, mich, wie erst geplant, in den äußeren Dienst des Reiches Gottes zu stellen; aber es gefiel ihm, und dafür bin ich ihm von Herzen dankbar, mir seine Reichsangelegenheiten zur Fürbitte aufs Herz zu legen, so daß ich im verborgenen mit ihm arbeiten durfte. Meine körperliche Schwäche aber wurde immer größer; ich verlor alles Fassungsvermögen, ja vergaß sogar die Namen der mir bekanntesten Personen. Nur wenn man vom Heiland sprach, lebte ich auf und betete selbst in der kindlichsten Weise weiter zu ihm. Man konnte mit mir nur noch wie mit einem zweijährigen Kinde reden. Ich spielte mit Kinderspielzeug, wenn man es mir gab, und war ganz vergnügt in diesem Zustand. Da ich ein wenig mehr genießen konnte, gewann ich Kräfte, und man trug mich oft vom Bett in die Wohnstube, und ich lernte mich auf Krücken fortbewegen. In jener Zeit starb mein Großvater, dem ich so unendlich viel verdankte. Ich merkte aber nichts davon. Der Zustand, von dem ich schreibe, dauerte fünf Jahre lang. Was ich daraus weiß, ist mir von anderen erzählt worden. Auch der Tod des lieben Pastors N. fiel in diese Zeit; er hat nicht mehr erlebt, was der Herr zu seiner Verherrlichung noch mit mir vorhatte. Ohne jedes menschliche Zutun kehrten nach fünf Jahren meine Fähigkeiten auf einmal wieder; aber alles, was ich als Kind gelernt hatte, war mir entschwunden: ich mußte mit dem Buchstabieren wieder beginnen. Ich war sehr froh, als ich endlich wieder lesen und schreiben konnte; aber ich fühlte mich sehr gedemütigt, daß alles Geld, über das ich verfügen konnte, jetjt durch meine lange Krankheit auf gebraucht war; ich mochte zu ungern von anderen abhängig sein. War es noch ein geheimer Stolz, ich weiß es nicht; jedenfalls mußte ein Ausweg gefunden werden, und das trieb mich ins Gebet. Dies Gebet wurde aber ganz anders erhört, als ich dachte, und es erfüllte sich an mir das Wort, welches Jesus zu Petrus sagte: „Was ich tue, das weißt du jet$t nicht, du wirst es aber hernach erfahren.“ Die zweite Heilung An einem schönen Sommertage des Jahres 1881, es war der 16. Juli, hatte man mich in einem gepolsterten Sessel an einen geschütten Plafj in den Garten getragen, um die Luft zu genießen. Ich war so froh gestimmt, daß ich mit den Vögeln um die Wette zu singen begann, und zwar den Vers: „Wie wohl ist mir, o Freund der Seele, wenn ich in deiner Liebe ruh’!“ Ich werde nie vergessen, welchen Dank alles, was ich um midi sah, in mir erweckte. Während ich noch so versunken in die Anbetung Gottes dasaß, kam mein Onkel und brachte mir eine kleine Broschüre, die unter meiner Adresse mit der Post eingetroffen war. Der Titel des Büchleins lautete: „Das Gebet des Glaubens nach Jakobus 5, 14. 15“ von Carrie Judd. Mein Blidc blieb auf der angeführten Bibelstelle haften, und alle Wohltaten Gottes, die ich in der Vergangenheit empfangen, zogen an meinem Geist vorüber. Bis heute habe ich nicht erfahren, wer mir das Heft sandte; aber meine Gedanken bekamen eine neue Richtung dadurch. Niemand hatte mich ermuntert, mich noch einmal salben zu lassen wie an jenem Oktobertag im Jahre 1866. Konnte es sein? Ich betete: „Herr Jesus, wenn es dein Wille ist, daß ich noch länger leben soll, und es hienieden noch etwas für dich zu tun gibt, so mußt du mir die Kräfte schenken, um dasselbe auszuführen; wenn es aber nicht der Fall und mein Auftrag auf Erden erfüllt ist, so nimm mich doch zu dir in den Himmel!“ Zuletzt legte ich dem Herrn noch den Wunsch vor, der inzwischen in meinem Herzen geweckt worden war, daß, wenn es mit seinem Willen übereinstimme, mich noch einmal salben zu lassen, er mir doch zwei Brüder schicken möchte, die es tun sollten. Ich wollte mit niemand darüber reden, sondern warten, wie er den Ausgang bestimmte, sei es Heilung oder Heimgang. Vierzehn Tage vergingen, nichts geschah, und niemand ahnte von meinem Gelübde. Ich selbst war eher in der Stimmung, zu glauben, daß der Herr mich heimholen wolle; denn meine Kräfte nahmen entschieden ab. Aber es sollte nur eine Probe sein, es ging mir ähnlich wie Elias (1. Kön. 19, 6. 7), und doch lag noch ein langer Weg vor mir, und es sollte die Zeit anbrechen, wo der Herr mein Gefängnis wandte (Hiob 42, 10). Endlich, am 30. Juli, kam der liebe Bruder W. aus D., mich zu besuchen; er hatte den innerlichen Auftrag, mit mir nach Jakobus 5 zu verfahren, an dem Tag empfangen, als ich betete; aber sein Kommen war durch verschiedene Dinge verzögert worden. Ich aber ahnte davon im Augenblick seines Kommens nicht; meine Augen waren gehalten, ich hatte ja um zwei Brüder gebetet. Aber von diesem Gebet wußte wieder Bruder W. nichts; er dachte, er müsse durch seine Gespräche in mir den Glauben an die Heilung erst wecken. Aber ich spürte in der Unterredung, die wir führten, daß der liebe Bruder zuviel eigene Kraft mitgebracht hatte, und sagte deshalb: „Wie traurig, daß man heute so wenige Männer wie Petrus und Johannes hat, die mit Geisteskraft durch die Welt gehen! Da saß nun der arme lahme Mann vierzig Jahre an der Tempeltür, bis die beiden kamen und ihn im Namen Jesu gesund machten, so daß er aufsprang und den Herrn lobte. Wenn so ein Petrus und Johannes zu mir käme, ich würde auch aufspringen.“ Da wurde Br. W. stiller, als er merkte, daß er diese Kraft nicht besaß. Auf diesem Wege machte der Herr ihn geschickt, seinen Namen zu verherrlichen. Langsam rückte die Zeit heran, in der der Bruder mich wieder verlassen mußte, und nichts von dem war geschehen, wozu er doch eigentlich gesandt war. Um K6 Uhr mußte er gehen; es war 5 Uhr, da kam Bruder K., um mich zu besuchen, er ahnte aber nicht, warum ihn der Herr gerade je^t herführte; mir jedoch wurde klar, daß dies die Erfüllung meines Gebets und die Stunde Gottes sei. Ich erzählte also den Brüdern, worauf ich gewartet hätte, und fragte sie, ob sie bereit wären. Bruder W. hatte schon Olivenöl in der Tasche, und beide salbten mich nun und beteten über mir. Diesmal hatte ich keinerlei besondere Gefühle bei der Salbung, konnte aber dem Herrn kindlich danken. Der Herr wollte es ein wenig anders madien, um meinen Glauben zu prüfen. Ich versuchte, im Glauben auf meine Füße zu treten, fiel aber zu Boden. Diese scheinbare Niederlage machte mich erst sehr traurig, und der Feind versuchte mit aller Gewalt, mich zum Zweifeln zu bringen. Im Fortgehen aber sagte Bruder W. ganz zuversichtlich: „Nicht wahr, Frit}, jet^t besuchst du mich eher als ich dich?“ Darauf erwiderte ich ganz gegen alle meine eben etwas niedergeschlagenen Gefühle: „Jawohl, ich werde eher zu dir kommen als du zu mir!“ Aber kaum waren die Brüder fort, verließ mich alle Kraft; ich mußte mich sofort ins Bett begeben, es war zu viel für die schwachen Nerven gewesen; ich ließ meinen Tränen freien Lauf und lag schwach und elend, ohne zu reden, vor meinem Herrn. Dann begann ich den Herrn an die arme Frau (Lukas 8, 43—48) zu erinnern, die von hinten seines Kleides Saum anrührte und alsbald gesund wurde. Hin und her prüfte ich mein Herz, konnte aber den Fehler nicht finden. Endlich nahm ich meine kleine Bibel zur Hand und bat den Herrn um irgendeinen Halt und Trost. Da fiel mein Blick auf Römer 4, 19—22. Wie wurde ich beschämt! Mehrmals las ich die Stelle: „Abraham ward nicht schwach im Glauben, sah auch nicht an seinen Leib, welcher schon erstorben war ... Er zweifelte nicht an der Verheißung durch Unglauben, sondern ward stark im Glauben und gab Gott die Ehre und wußte aufs allergewisseste, daß, was Gott verheißen, kann er auch tun. Darum ist es ihm zur Gerechtigkeit gerechnet.“ Da fiel es wie Schuppen von meinen Augen, und mir war plötjlich ganz klar, wo der Fehler bei mir lag. Ich schämte mich, meine Glaubensstellung nicht besser behauptet zu haben, und bat den Herrn um Vergebung. Ich hatte auf die Gefühle in meinem erstorbenen Körper geachtet, während doch der Glaube den Herrn und seine Verheißungen ansieht. Nachdem ich dies eingesehen und mich darüber gebeugt hatte, schenkte Gott mir Gnade, aufzublicken und mich im Glauben wieder voll auf seine Verheißungen zu stützen. Es währte nun nicht lange, da durchströmten die wunderbarsten Empfindungen meinen Körper, und Kräfte von oben wurden mir zugeführt. Mein Herz jauchzte nun in Wonne und Freude; ich konnte unmöglich länger liegenbleiben; ich schlug die Decke zurück und stand auf. Als meine Füße den Boden berührten, fühlte ich, wie es in all meinen Gliedern knackte. Mein Körper richtete sich auf, ich begann im Namen Jesu zu gehen. Sechs Schritte tat ich ins Zimmer hinein. Kaum wußte ich, was mir geschah, es war mir wie ein Traum. Der Herr hatte mich wirklich nach meiner mehr als 17 jährigen Krankheit auf gerichtet. Als ich eine Weile so staunend gestanden, fiel ich auf meine Knie, um den Herrn zu loben und zu preisen. Auch das hatte ich 17 Jahre nicht tun können. In diesem Augenblick gab ich mich meinem Erbarmer aufs neue hin und versprach ihm, alle Kräfte, die er mir schenken würde, auch zu seiner Ehre zu verwenden, und wenn ich noch hie und da ein wenig für ihn tun dürfe, so möchte er mich gebrauchen nach seinem Wohlgefallen. An diesem Faden hat mich der treue Herr dann auch ferner geführt und mich oft durch seinen Geist an das damals gegebene Versprechen erinnert. Als am anderen Morgen die Sonne warm in mein Zimmer strahlte, stand ich auf, kleidete mich ganz allein an und ging, nachdem ich wieder auf meine Knie gefallen war, um dem Herrn zu danken, auf meine Krücken gestützt, ins Wohnzimmer. Niemand ahnte, was ich erlebt, und alle starrten mich daher wie ein Gespenst an; ich abergriff nach meinem Stock und ging ins Freie, die Verwandten sprachlos und ängstlich hinter mir her. Alles schien mir verändert, ich sah alles in reinerem Licht. Da es dem Herrn gefiel, mich auf einfachem, natürlichem Wege zu heilen, mußte ich lernen. Schritt für Schritt zu gehen und. ihm Tag um Tag im Glauben zu folgen. Mein Knochenbau war so schwach, daß man Arme und Beine biegen konnte, ich hatte weder Säfte noch Kräfte im Körper; menschlich geredet, konnten dieselben sich auch bei meinen 31 Jahren nicht mehr ersehen; aber ich hatte mich mit Leib und Leben dem großen Arzt übergeben, es war ihm ein Kleines, die Sache noch weiter zu führen. Als nach diesem Tage vielleicht fünf bis sechs Wochen vergangen waren, kam ein Freund und Nachbar, der Pferd und Wagen hatte, und fragte: „Wie wäre es, wenn wir jetjt mal den Bruder W. in D. überraschten?“ Der Vorschlag gefiel mir. Aber wenn ich auch die vierstündige Fahrt leisten konnte, so gab’s doch ein Hindernis: ich hatte nur die Kleidung, die bisher mein Leben im Krankenzimmer erforderte. Niemand war mir schuldig, etwas zu geben, und Geld besaß ich selber nicht. So legte ich die Sache dem Herrn vor, der gesagt hat: „Mein ist beides, Silber und Gold“ (Haggai2,9). Ich bat ihn kindlich um einen Anzug, Schuhe und Kopfbedeckung. Noch am selben Tage kam ein Verwandter zu mir, der wohlhabend war, aber sich nicht gern von seinem Geld trennte. Er setjte sich zu mir, stopfte sich ein Pfeifchen und ließ mich erzählen, was ich erlebt hatte. Er saß noch eine Weile, ohne viel zu sagen, stand auf und ging fort. Nach einer kleinen Weile kam er wieder und saß wieder bei mir und fragte nach diesem und jenem. Dann nahm er Abschied und ging wieder fort. Zum drittenmal kam 3 Bruder Fritz 33 er wieder herein, zog einen leinenen Beutel mit Geld aus der Tasche, legte ihn derb vor mich hin und sagte: „Ek will nit, äwer ek mott! Adjüs, Frilj!“ Damit war er zur Tür hinaus. Mir war das gar nicht recht, und als die Tante hereinkam, sagte ich ihr, sie solle den Beutel mit Geld nur fortlegen. Später meinte sie, ich hätte aber doch den Herrn um einen Anzug gebeten, das könnte doch wohl die Antwort sein. So kaufte sie denn mit meiner Zustimmung von dem Gelde Stoff; der Schneider kam und machte die Kleider. Die Tante selbst gab noch Papierhosenknöpfe dazu. Als alles fertig war, blieben von dem Geld genau 13 Pfennig übrig; soviel hätten die Knöpfe noch gekostet. So genau hatte der Herr abgezählt, was ich brauchte. Am nächsten Tag kam jemand mit einem Paar Schuhe, die der Schuhmacher ihm zu eng gemacht hatte; er wollte sie mir schenken, wenn sie mir paßten. Und siehe da, sie saßen, als wären sie für meinen Fuß gemacht! Nun fehlte nur noch ein Hut. Mein Freund, der so gern die Reise mit mir machen wollte, hatte meine Kappe heimlich gemessen und mir eine Kopfbedeckung bestellt. Als er sie mir sandte, paßte sie nicht; nach Gottes Führung hatte er ein falsches Maß auf geschrieben. Mir war klar, daß mir der Herr diesen Hut nicht gesandt hatte; denn er wußte meine richtige Kopfgröße. Mein Freund gestand ein, daß er nachgeholfen, damit wir fahren könnten; ich aber weigerte mich, zu reisen, ehe nicht alles stimmte. Schließlich kam wirklich ein Hut, der mir genau paßte, und wir konnten uns auf den Weg machen. Wir wollten den halben Weg mit dem Wagen, die andere Hälfte mit der Eisenbahn zurücklegen. Für mich waren das außerordentliche Ereignisse; denn ich war in der Welt völlig fremd geworden. Als wir die Stadt erreicht hatten und mein Freund eine Besorgung in einem Laden machte, trat ein Fremder an den Wagen, in dem ich wartete, und fragte mich, ob ich der so wunderbar geheilte Kranke sei. Als ich es bejahte und Gottes Barmherzigkeit darob rühmte, erkundigte er sich weiter, wohin ich wollte. Ich erzählte ihm von unserem Plan. Da mußte ich hören, daß der Zug schon fertig sei. Das war eine große Verlegenheit; aber der freundliche Mann bot sich an, uns mitzunehmen, da er auch nach D. wollte. So hatte der Herr wieder für uns gesorgt. Das war nun eine große Überraschung für den Bruder, als wir ankamen. Die Geschwister kamen zusammen und lobten den Herrn über alles, was er an mir getan hatte. Aber eins gefiel dem Herrn nicht zu ändern: ich blieb zeitlebens klein und verkrüppelt. Wir blieben drei Tage in D. und wurden einmal von einer 70jährigen Dame eingeladen. Sie konnte schlecht hören; desto mehr war ihr inneres Ohr geöffnet, und sie konnte ihren Herrn immer gut verstehen. Wir waren bald gute Freunde, verständigten uns leicht durch das Sprachrohr und redeten miteinander von den Wunderwegen des Herrn. Von ihr kehrte ich noch einmal zum Bruder W. zurück, dessen liebe Frau mich wie eine Mutter pflegte. Die Kinder sprangen immer um midi herum und freuten sich über den kleinen Onkel. Zu Hause angekommen, gab der Herr immer neue Kräfte; ich konnte bald den zweiten Stock, den ich noch gebraucht hatte, in die Ecke stellen, um ihn nie wieder zu benutjen, wenn auch, wie ich oben sagte, meine verbogenen Glieder blieben, wie sie waren, und ich anderthalb Kopf kleiner blieb, als ich’s vor meiner Konfirmation gewesen. Nach der ersten herrlichen Erfahrung von der Fürsorge Gottes klopfte ich immer an der Tür meines Vaters an, wenn ich etwas bedurfte. Niemals ließ er mich in irgendeiner Lage stedcen. Mandimal mußte ich wohl bis zum lebten Augenblick warten; aber nichts fehlte mir, er sorgte bis aufs kleinste für sein Kind. Ein neuer Lebensabschnitt Es war im Winter 1881, als ich kurz hintereinander drei oder vier Briefe von Pastor L. Doll aus Neukirchen erhielt, der mich bat, zu ihm in seine Anstalt zu kommen und ihm seinen Posten ein wenig erleichtern zu helfen. Es ging dort im Anfang durch manche Proben, und ich sollte die Kasse verwalten helfen. Da man dort im Großen wie im Kleinen alles Nötige vom Herrn allein erwartete, schien es das Rechte für mich zu sein. Wenn es auf meine Person angekommen wäre, wäre ich gern gegangen. Aber wie oft ich den Herrn auch um Freudigkeit bat, ich konnte zu keiner Klarheit und Gewißheit kommen. Ich antwortete auf die Briefe des lieben Pastors gar nicht mehr, weil ich noch keine Antwort von Gott hatte. Endlich wußte ich, und zwar durch die Stelle in Johannes 2: „Meine Stunde ist noch nicht gekommen“, was ich in der Morgenandacht las, daß Gott mich noch nicht auf einen anderen Plat$ haben wollte. Ich teilte es gleich dem seligen Herrn Pastor mit, der erst dachte, ich hätte mich getäuscht; aber bald bekam er einen viel geschickteren, kräftigeren Mitarbeiter und mußte einsehen, daß es so doch Gottes Weg war. Als ich einige Zeit darauf noch einmal Bruder W. in D. besuchte, bot er mir an, zu ihm überzusiedeln. Ich konnte ihm nicht gleich Bescheid geben; denn ich hatte auf die Winke meines Herrn zu achten. Daheim breitete ich die Sache in ernstlichem Gebet vor dem Herrn aus. Als ich eines Tages, auf eine Antwort wartend, auf meinen Knien lag, ganz für seinen Willen bereit, ob er bleiben oder gehen hieße, wurde ich getrieben, meine Bibel aufzuschlagen. Mein Blick fiel auf Jesaja 30, 21, und da steht: „Dies ist der Weg, denselbigen gehe, sonst weder zur Rechten noch zur Linken!“ Die Antwort war klar und deutlich. Fest entschlossen meldete ich es meinen Verwandten und teilte gleich Bruder W. mit, was mir der Herr gesagt. Trotjdem war es mir nicht leicht, aus dem Haus zu scheiden, in dem ich nun 29 Jahre gewohnt und soviel erlebt hatte. Aber der Herr sorgte wiederum so wunderbar für mich, daß ich große Freudigkeit bekam. Ich brauchte nicht mit leeren Händen in meine neue Heimat einzuziehen; ich brachte eine Aussteuer mit, an der nichts fehlte. Sollte ich nun aber sagen, wo alles herkam, so könnte ich es nicht. Der Herr weiß eben der Menschen Herzen zu lenken wie Wasserbäche. So war es auch hier gegangen. Es war im Sommer 1882, als ich so meine Heimat wechselte und zu Bruder W. zog. Seine Frau war eine wirklich gute Mutter für mich, und nie werde ich vergessen, mit wieviel Liebe sie mich pflegte und versorgte; ja sie hätte es nicht besser machen können, wenn ich ihr eigenes Kind gewesen wäre. Ich konnte damals noch nicht ganz ohne Stütje gehen, aber der Herr segnete meinen Aufenthalt bei den lieben Freunden so, daß sich meine Kräfte ziemlich rasch mehrten. Gewöhnlich fuhr ich samstags zur lieben Großmutter M. H. und wohnte bei ihr bis Montag; so konnte ich sonntags der Versammlung des Jünglingsvereins beiwohnen, die im Hintergebäude stattfand. Es war auch damals, daß der bewährte Waisenvater Georg Müller in die Stadt kam, um neun Tage dort zu arbeiten. Ich wollte den Versammlungen gern beiwohnen, doch war es mir unmöglich, das Lokal, wo er sprach, ohne Wagen zu erreichen; da bat ich den Herrn, mir hierin zu helfen. Br. W. versuchte, einen Rollstuhl zu leihen, aber man wollte ihn nicht geben. Da führte es der Herr, daß an demselben Tage, wo meine Hoffnung zerstört schien, uns die frühere Besitjerin des Stuhles, eine Dame aus Stuttgart, besuchte, die diesen Krankenwagen dem Diakonissenhaus geschenkt hatte, als sie ihn nicht mehr gebrauchen konnte. Als sie von meiner Verlegenheit hörte, verwandte sie sich bei den Diakonissen, und am anderen Tage stand der Stuhl zu meiner Benutjung bereit. Die Versammlungen, die ich so ohne Anstrengung besuchen konnte, gereichten mir zu großem Segen, und ich wurde sehr in meinem Glauben dadurch gestärkt, mich in allen Dingen allein auf den Herrn zu verlassen. 0, dachte ich, wenn dieser Mann in seinen großen Proben nicht zuschanden wird, so wird auch mir im Kleinen alles Nötige werden. Ja,der Herr ist mein Hirte,mir wird nichts mangeln (Psalm 23, 1). Weihnachten war inzwischen herangekommen, und auf meinem Gebetsprogramm hatte sich allerlei angesammelt, was der Erledigung harrte. Unter anderem betete ich um einen eigenen Fahrstuhl; denn den geliehenen konnte ich nicht länger be-nutjen. Als ich mit den anderen Hausgenossen unter den Christbaum gerufen wurde, was sah ich? Ein neuer Wagen mit einer schönen Plüschdecke stand da und wartete auf mich. Ein kleines Kärtchen lag darin, auf dem nur die Worte standen: „Vom Himmel hoch, da komm’ ich her!“ In dem Sinn nahm ich auch das schöne Geschenk von oben vom guten Vater im Himmel hin; denn er war es, der jemand willig gemacht hatte, mir diesenDienst zu leisten. Wie ich später erfuhr, war eine Engländerin die freundliche Geberin. Ich habe sie nie gesehen, weiß auch nicht, wer sie auf mich aufmerksam machte. Jedenfalls war ich sehr froh, konnte ich doch nun, sobald sich jemand anbot, mich zu fahren, ins Freie. Die ganze Gegend wurde durchstreift, auch wohl hier und da ein Besuch gemacht. Der Herr war sehr freundlich zu mir und erquickte mich nach den vielen Jahren des Leidens ganz außerordentlich. Ich war ein einfältiges Kind vor ihm und traute ihm einfach alles zu, ob es kleine oder große Dinge waren, um die ich bat. Er erhörte in seiner Liebe und Gnade oft in wunderbarer Weise. Einmal z. B. zerbrach ich morgens beim Kämmen meinen Kamm. Ich sagte es dem Herrn und bat ihn, mir einen neuen zu geben. Am anderen Morgen lag wirklich ein solcher auf meinem Waschtisch. Ich dankte Frau W. dafür in der Meinung, sie habe ihn dorthin gelegt; aber sie wußte auch nicht, woher er kam. Solche Liebes-beweise Gottes beugten mich tief in den Staub; denn ich fühlte so recht, daß alles Gnade und Erbarmen sei. Trotj all dieser wunderbaren Durchhilfen meinten einige Freunde, ich traute meinem Gott noch zu wenig zu. Sie hatten vollkommen recht, nur nicht in dem Punkt, den sie im Auge hatten. Sie sagten nämlich, ich solle doch den Herrn bitten, mich wieder schlank und gerade zu machen. Ihm sei es doch ein Kleines, da er doch früher auch Krüppel geheilt habe (Matth. 15, 30. 31). Mich selbst hatte hiernach schon oft gelüstet; aber sooft ich die Sache vor den Herrn brachte, ward mir die Antwort: „Laß dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“ (2. Kor. 12, 9). Diese Antwort hatte mich immer beruhigt; denn da ich mich voll und ganz in die Kur des Herrn begeben hatte, mußte er besser wissen, was mir heilsam sei, als ich. Soviel die Menschen auch redeten, es machte mich jedesmal unglücklich, wenn ich mich mit diesen Gedanken befassen mußte, weil ich das Gefühl hatte, dem Herrn dreinzureden. Nun begab es sich einmal, daß eine Versammlung von zwei Brüdern in unserer Stadt gehalten wurde, die Gott schon öfter bemalt hatte, Kranke zu heilen. Ich war in der Versammlung und noch eine ganze Anzahl anderer gebrechlicher Menschen. Die beiden Brüder S. und W. redeten in ernster, überzeugenderWeise und stellten allen den Herrn Jesus als Arzt und Heiland vor die Augen. Zum Schluß sagten sie, daß sie bereit wären, mit jedem, der wollte, zu beten und nach seinem Wort zu handeln. Als sich niemand meldete, kam mir der Gedanke, daß Gott mir auf diese Weise helfen wolle, hatte man mich doch noch kurz vor der Versammlung getadelt, daß ich darauf bestand, zu glauben, Gott wolle mich so gebrechlich und unansehnlich erhalten. So wurde ich schwach, und mich erhebend, sagte ich: „Brüder, ich hätte gern mehr Kraft und sähe gern, wenn der Herr meine verkrüppelten Glieder streckte.“ Es war unrecht; denn während ich sprach, hörte ich schon die innere Stimme, die sagte: „Laß dir an meiner Gnade genügen!“ Ich wäre manchem entgangen, wenn ich mein Wort gleich zurückgenommen hätte; aber die Brüder freuten sich, mich endlich von meinem Irrtum überzeugt zu sehen, und mein Beispiel machte noch neun und zehn Personen Mut, sich ebenfalls zu melden. Wir mußten uns vorn auf eine Bank setjen. Ich tat es nicht freudig, sondern fühlte, daß ich menschengefällig handelte. Die Brüder beteten mit uns und salbten uns; es war im ganzen ein gesegneter Abend, an dem auch mehrere von ihren Krankheiten geheilt wurden. Auch ich glaubte, mehr Kraft zu haben; aber das Gefühl, ungehorsam gewesen zu sein, verließ mich nicht. Es traf sich, daß einer der beiden Redner bei uns wohnte und mit mir das Zimmer teilte. Wir dankten dem Herrn noch für den gehabten Segen, und Bruder W. schlief dann bald ein, aber in meine Augen wollte kein Schlaf kommen. Der Geist Gottes hielt mir mein Vergehen vor; ich schämte mich sehr und bat um Vergebung, erhielt aber doch meine wohlverdiente Strafe; denn als ich am anderen Morgen aufstehen wollte, konnte ich nicht. Man sagte mir, es seien Proben; man überredete mich, aufzustehen und abends wieder in die Versammlung zu kommen. Ich tat es schließlich, mußte aber von dort ohnmächtig zur Großmutter M. H. getragen werden, wo ich vier Tage bleiben mußte. Die Brüder sahen ihren Fehler ein, ich aber mußte meinen Ungehorsam büßen; es dauerte mehr als sechs Wochen, bis ich die Kräfte wieder hatte, die ich vordem besessen. Auch hier erwies sich der Herr treu und gut und handelte nicht nach Verdienst. Wir hatten aber alle viel gelernt. Wenn wir uns wirklich in seine Kur begeben, so bleiben wir nicht auf halbem Wege stecken, sondern er führt uns, wie es für uns am besten ist und wie es zur Verherrlichung seines Namens dient. Im Jahre 1883 gefiel es dem Herrn, mir mehr Kräfte zu geben und mich auch hier und da für einzelne Seelen zu gebrauchen. Das Feld der Fürbitte und der Briefverkehr vergrößerten sich, so daß es mir an Beschäftigung nie fehlte. Da ich manche Nacht sehr wenig schlief, wanderte mein Geist umher, war bald bei diesem, bald bei jenem, und ich konnte dem Herrn die Namen vieler Familien nennen. Auf diese Weise verkürzten sich mir die langen Nächte, und ich war am Morgen kaum müde. Aus meinen Briefen legte ich manches beiseite in dem Gedanken, es zum Nutjen anderer zu veröffentlichen. Als ich aber mancherlei wieder durchlas, fand ich ein ordentliches Wohlbehagen daran, all die Gebetserhörungen usw. mir zu vergegenwärtigen. Ich merkte, daß der Feind mir zuflüsterte: „Der Herr hat dich doch schon viel gebraucht.“ Gottlob, diese Stimme erkannte ich und sagte in vollem Ernst: „Hebe dich fort von mir, Satan, du willst mich zum Hochmut verführen!“ Dann nahm ich alle Briefe, set$te mich damit ans Feuer und verbrannte sie. Nur drei habe ich aufgehoben, sie kamen von lieben Freunden, die mich ermahnten, doch recht klein und demütig zu bleiben. Ich habe diese Brüder besonders lieb; denn sie dienten mir mehr, als sie es selber wissen. Von da an verbrannte ich alle Briefe, die ich bekam, damit der Versucher nicht noch einmal auf dieser Seite einen Anknüpfungspunkt finden sollte. Die wachsenden Kräfte erlaubten mir, mich freier zu bewegen; ich konnte zur Pferdebahn gehen, ja auf den Bahnhof, und Nachbarorte besuchen, um mit dortigen Geschwistern zu verkehren. Bei einem solchen Besuch lernte ich einmal eine sehr arme Familie kennen. Der Mann warTrinker, und die Frau mußte sich furchtbar plagen, war auch versucht, sich das Leben zu nehmen. Ich redete öfter mit ihr und ihren Kindern von Jesus und konnte auch mit ihr beten. Eines Tages, als ich wiederum hinkam, fand ich alles in größter Unordnung. Die Frau erklärte mir, der Mann wäre eben aufgestanden und hinausgegangen, er sei den Abend vorher mit 43 Grad Fieber imDelirium heimgekommen, und sie habe nicht anders geglaubt, als daß er die Nacht stürbe. Als der Unglückliche heraufkam, redete ich mit ihm; er war zu Tränen gerührt, entsagte aber dem Laster nicht. Sechs Kinder standen umher, eins immer zerlumpter als das andere. Ich versprach dem ältesten Jungen ein Paar Schuhe, da ich ein Paar, die mir zu schwer waren, daheim stehen hatte. Kaum war ich zu Hause, als der Junge seine Schuhe holte; aber innerlich war ich noch nicht befriedigt. Ich lud nun die Frau zu einer Mahlzeit ein, die für Arme veranstaltet wurde, um sie dabei unter den Schall des Wortes Gottes zu bringen. Sie machte erst Ausflüchte, gestand dann aber, daß sie nur Holzschuhe besitze, in denen sie nicht kommen könnte. Ich versprach ihr, für Schuhe zu sorgen, und fragte dann zu Hause Frau W. um Rat. Diese aber hatte keine übrig, und ich schämte mich schon, Menschen gebeten zu haben; so ging ich auf mein Zimmer, bat den Herrn Jesus um Vergebung- und sagte ihm wegen der Schuhe für die Frau. Nun traf es sich, daß ich schon etliche Male um einen neuen Überzieher gebeten hatte, weil der meine mir zu eng war und sich nicht mehr ändern ließ. Es lagen also diese beiden Wünsche jefjt vor Gott. Nach wenigen Tagen kam ein Brief mit 30 Mark für meine persönlichen Bedürfnisse. Mir war klar, daß ich das Geld nicht für meinen Überzieher hinlegen dürfe, sondern es mit der armen Frau zu teilen hätte. Ich brachte es ihr, und sie war sehr dankbar; denn sie konnte nun Schuhe und einiges andere Notwendige anschaffen, das es ihr ermöglichte, auszugehen und das Wort Gottes zu hören. Als ich von dieser Reise heimkehrte, erschien Besuch. Beim Abschied legte der Bruder 20 Mark in meine Hand. Wie wunderbar, eben hatte ich dem Herrn 15 Mark gegeben, und nun erhielt ich 20 Mark zurück! Nun waren also schon 35 Mark für den zu erwartenden Überzieher in meinem Besijj. Als ich am nächsten Sonntag in die Versammlung kam, trat eine scheinbar arme Frau auf mich zu und fragte nach meinem Namen. Als ich ihn nannte, überreichte sie mir eine Rolle mit 16 einzelnen Markstücken. Als ich nach der Bedeutung fragte, erwiderte sie nur, Bruder C. hätte ihr das Geld für mich gegeben. Ich kannte den Bruder nicht, vermutete einen Irrtum; aber das Geld blieb mir, ich mußte es mitnehmen. Nun hatte ich 51 Mark für den Winterüberzieher und ging gleich zu einem Schneider, der auch ein christlicher Bruder war. Das Muster, das mir am besten gefiel, meinte er, würde zu teuer werden; als er’s aber auf meine Bitte berechnete, kamen genau 51 Mark heraus. „So“, sagte ich, „dann ist’s schon richtig so, ich habe das Geld schon in der Tasche.“ Von der armen Familie aber kann ich nur sagen, daß die Frau den Herrn Jesus fand und selig heimging, mehrere Kinder aber, die in den Fußtapfen des Vaters wandeln, ein jämmerliches Leben führen. Davon aber, wie der Herr sich um mich bis ins kleinste bekümmerte, könnte ich noch viele Geschichten erzählen, will aber nur noch eine anführen. An einem Samstag kam ich wie gewöhnlich zur Großmutter M. H. Nach dem Mittagessen sollte ich durchaus ein wenig ruhen; da ich sie aber früher manchmal getäuscht und statt dessen in der Sonntagsschule geholfen hatte, mußte ich in ihrem eigenen Zimmer bleiben und dort ruhen. Wir erzählten uns vorher aber noch viel, weil sie eine feste Christin war, die schon 60 Jahre mit Jesus wandelte, und von der ich viel lernen konnte. Als sie dann endlich eingeschlummert war, dauerte ihr Schläfchen recht lange, und mir war’s fast schwer, die ganze Zeit stilliegen zu müssen. Endlich erwachte sie und schaute auf die Uhr, dann sah sie mich an und fragte: „Hawst je kein’ Uhr?“ Als ich es verneinte, fragte sie, warum ich denn wohl noch nie um eine gebetet hätte. „Im Worte Gottes steht“, erwiderte ich, „wenn wir Nahrung und Kleidung hätten, sollten wir uns genügen lassen.“ „O“, erwiderte sie unbeirrt, „eine Uhr gehört mit zur Kleidung.“ Ich wollte mich nicht überzeugen lassen. „Aber sage mir“, begann sie noch einmal, „geht der Herr mit uns in seiner Gnade nicht immer noch über seine Verheißungen hinaus, tut er nicht an den Seinen über Bitten und Verstehen?“ Darauf konnte ich nicht nein sagen. „Er verheißt uns Brot und Wasser“ (Jesaja33,16), sagte sie, „und denke mal an den schönen Spruch: ,Tue deinen Mund weit auf, laß mich ihn füllen!' Gott fordert uns auf, kühn zu sein; denn er ist reich über alle, die ihn anrufen.“ Nun war ich überführt, und wir beteten gleich gemeinsam um eine Uhr. Sie versicherte mir, sie gäbe keinen Pfennig dazu. Gott müsse alles allein machen. „Glaubst du, Frit}, daß du eine kriegst?“ fragte sie. „Das will ich dir morgen sagen“, erwiderte ich. Am anderen Morgen fragte sie gleich in ihrer Mundart: „Bekommt je ein’ Uhr?“ „Ja“, sagte ich, „warum sollte der Herr mir diese Bitte abschlagen, wo er schon so unendlich viel an mir getan?“ Noch am selben Morgen brachte mir jemand zehn Mark. Ich nahm es als Angeld für die Uhr. Am Montagmorgen kommt Bruder W., der in H. zur Bibelstunde gewesen war, herein und fragte: „Habt ihr um etwas gebetet?“ „Wie meinst du das?“ erwiderte ich. Die alte Großmutter M.H. sagte: „Ja, um eine Uhr für Bruder Fri^ haben wir gebetet.“ „Das ist unverschämt, eine Uhr ist nicht nötig“, meinte er. „Warum haben Sie denn eine?“ fragte Frau M. H. Schließlich gab mir Bruder W. 20 Mark, die eine Dame ihm tags zuvor für mich eingehändigt hätte. Nun waren 30 Mark beisammen; genug, um eine Uhr zu kaufen. Samstag hatten wir zum erstenmal daran gedacht und darum gebetet, und Dienstag war die Uhr bereits in meinem Besit^. Wie treu und freundlich hatte der Herr sich wieder erwiesen! Es erfüllte unsere Herzen mit Lob und Dank. Als die Uhr ankam, war gerade ein Herr da, der meinte, zu einer Uhr gehöre auch eine Kette, und ohne weiteres gab er seine her. Also auch hier gab der Herr mehr, als wir gebeten; ja, er tut über Bitten und Verstehen! Mein Vater sorgt, und ich will fröhlich singen von seiner Gnade, sie währt ewiglich. Ihm will ich ewig Dank und Ehre bringen; denn sein Erbarmen trägt und leitet mich. Und wenn ich endlich droben angekommen, der Sünde und der Erdennot entnommen, werd’ ich ihn sehn und schaun.wie wunderbar die ew’ge, freie Gnade für mich war. Mancherlei Erfahrungen Im Sommer 1886 machte ich eine kleine Reise zu Freunden mit der Absicht, sie zu sehen und dort evangelisierend zu dienen. Wie immer war ich nicht abgereist, ohne das Geld zur Rückfahrt bei mir zu haben. Wir machten aber viele Besuche in den Häusern und trafen dabei viel Not an. In einer Familie, wo es besonders schlimm aussah, gab ich mein Geld hin bis auf das, was ich zur Fahrkarte nötig hatte. Bei einem anderen Be- such mußte ich auch diese acht Mark noch hergeben; denn eine arme Frau sollte gerade gepfändet werden um rückständige Steuer und Miete, und es war eine gläubige Schwester. Nun aber hatte ich kein Geld zum Reisen und war doch schon zu Hause angemeldet. Mein Trost blieb, daß mein Vater im Himmel ja wußte, wo mein Geld geblieben war; ich sagte es niemand. Als der Augenblick der Abreise kam, fuhr eine Droschke vor; ich sah, wie sie bezahlt wurde, und es wurde mir zur Gewißheit, daß mein Vater im Himmel auch weiter sorgen würde. Am Bahnhof angekommen, waren es gerade noch fünf Minuten zu früh. Ich ging auf dem Bahnsteig auf und ab und seufzte zum Herrn, er möchte mich doch aus meiner Verlegenheit bringen. Der Schweiß stand auf meiner Stirn; denn in zwei Minuten mußte es sich entscheiden. Da öffnet sich die Tür vom Wartesaal 2. Klasse, und eine Dame tritt heraus, die ich gut kenne. „Sie hier?“ sagte sie freundlich, auf mich zukommend. „Wo wollen Sie denn hin?“ „Nach Hause“, gab ich zur Antwort. „Haben Sie schon eine Fahrkarte?“ „Nein“, erwiderte ich. „Ich werde Ihnen eine mitbringen“, sagte sie freundlich. Mir wurde aber nun angst; denn sie war fort, ehe ich sagen konnte, daß ich kein Geld besäße. Inzwischen fährt der Zug ein, die Dame kehrt zurück, und wir steigen in ein leeres Abteil 2. Klasse. Die Dame gibt mir meine Fahrkarte, und als ich sie nehme, liegen darunter zwei Zwanzigmarkstücke. 4 Bruder Fritz 49 So hat mein reicher Vater für mich gesorgt; ich hatte nur zu danken für des Herrn Freundlichkeit, denn an dem Geschenk erkannte ich, daß ich die Fahrkarte nicht zu bezahlen brauchte. Die Dame konnte von dem allen nichts ahnen, ich habe ihr auch an dem Tage nichts davon gesagt. Später erwähnte ich es ihr gegenüber bei Gelegenheit eines Besuches. Sie war sehr erstaunt und sagte: „Jetjt wird mir erst klar, warum ich an jenem Tage innerlich so sehr zur Abreise gedrängt wurde.“ Man hatte sie nicht fortlassen wollen; aber ihr war es immer gewesen, als sei daheim ein Unglück geschehen, was nachher nicht der Fall war. So wurde es uns klar, daß der Herr sie jedenfalls zu diesem Liebesdienst beauftragt habe. Wie der Herr treu ist und mit allen unseren Schwachheiten Geduld hat, davon möchte ich noch ein paar Worte sagen. Hat man auch hundertmal den Herrn sorgen sehen, so wäre es doch unmöglich, auch die allerkleinste Probe im Vertrauen zu bestehen, wenn man die Gnade Gottes nicht dazu geschenkt bekäme. Ich darf zur Ehre Gottes bezeugen, daß er mir diese Gnade nie versagte, wenn ich arm und leer zu ihm aufblickte. Einst wurde in einem Kreise von Kindern Gottes Markus 12, 41—44 besprochen, die Geschichte vom Scherflein der Witwe. Die Herzen wurden warm; jeder war bereit, dem Reich Gottes seine ihm gebührende Steuer zu entrichten. Und totes Geld ist doch immer das Geringste; viel lieber und zuerst möchte der Herr die Herzen als lebendiges Dankopfer haben. Am Nachmittag gab’s eine Fortsetzung über dasselbe Thema. Aber es wurde gesagt, daß am Ausgang jemand stehen und Geld für die Armen sammeln würde; denn es war bald Weihnachten. Ich besaß nur ein Dreimarkstück und zehn Pfennig. Einen Augenblick kämpfte ich innerlich. Meine Vernunft sagte mir: „AmMorgen hast du deinen Teil schon gegeben, du brauchst das Geld“, und ich wollte das Zehnpfennigstück für die Armen einlegen. Aber kaum hatte ich einen Schritt vorwärts getan, rief mir eine innere Stimme zu: „Und der Herr saß am Gotteskasten.“ Wie ein Pfeil drang das Wort in mein Herz, und ich schämte mich sehr meiner Selbstsucht. Dann nahm ich die drei Mark und legte sie in den dahingehaltenen Hut. Auf dem Heimweg war alles still um mich herum; in meinem Herzen wohnten Friede und Seligkeit. Zehn Minuten hatte ich noch zu gehen, bis ich zu Hause war. Der böse Feind wollte mir mein Glück stören, indem er mir zuflüsterte: „So darfst du aber nicht mit dem Geld umgehen, nun hast du nichts mehr!“ Diese Stimme erkannte ich wohl und sagte zornig: „Mach dich fort, Satan! Was geht es dich an? Ich habe es mit dem Herrn Jesus zu tun, und dem habe ich nur gegeben, was ihm gehört.“ Daheim legte ich meine leere Börse wie schon oft offen vor dem Herrn auf den Tisch und sagte: „Du weißt, wo ich mein Geld gelassen habe. Wenn ich nun morgen etwas ausgeben soll, so mußt du mich versorgen.“ Dann dankte ich dem Herrn für alle Gnade und schlief die Nacht besonders gut. Als ich am nächsten Morgen in der Sofaecke saß, um meinen Bibelabschnitt zu lesen, kam eine Dame zu mir, die ich gut kannte. „Ich komme allein um Ihretwillen“, begann -sie. „So, habe ich etwas verfehlt?“ fragte ich. „O nein“, erwiderte sie; „ich konnte die Nacht kaum schlafen, weil ich immer daran denken mußte, ob Sie auch noch Geld hätten. Es wird mir schwer, es zu sagen, aber ich wollte gern Ruhe darüber haben.“ „Ich bin nicht gewohnt, jemandem zu sagen, wie es um meine Kasse steht, ich werde es jef^t auch nicht tun“, gab ich zurück. Sie aber fragte weiter: „Hatten Sie denn gestern noch Geld? Denn ich wurde gestern schon daran erinnert, Ihnen etwas zu bringen.“ „Ja“, sagte ich, „gestern hatte ich noch Geld genug. Mir hat bis heute überhaupt noch nie etwas gemangelt.“ Da zog die Dame aus dem Handschuh ein kleines, eingewickeltes Päckchen und bat mich, es anzunehmen. Es waren 40 Mark darin. Die Dame war glücklich, daß sie der Stimme des Herrn gehorcht hatte, und mir war wieder geholfen. Ein neuer Beweis von der Güte Gottes war mir geworden, daß ich getrost die Güte meines Herrn zur rechten Zeit und am rechten Plat} auf Zinsen legen dürfe. Aber ich möchte noch eine demütigende Erinnerung hinzufügen, um zu zeigen, wie töricht ich trot$ der vielen Gnadenbeweise meines himmlischen Vaters noch handeln konnte. Bei einer Sammlung stand ich wieder einmal vor der Wahl zwischen einem Zehnmarkstück und verschiedenen kleinen Münzen. Ich suchte mir etwas zusammen, wollte aber auf alle Fälle das Goldstück sparen. Unglücklicherweise fiel mir die Börse aus der Hand, und die Münzen rollten zur Erde. Man half mir freundlich, alles wieder zusammenzusuchen, aber das Zehnmarkstück blieb verschwunden. Jedenfalls war es in eine Ri^e des alten, schlechten Fußbodens geraten; ich habe es nie wieder gesehen. Alles Suchen war vergebens. Ich fühlte, daß es für mich die gerechte Strafe dafür war, daß ich es behalten wollte. Wäre ich bereit gewesen, das Goldstück gern und willig zu opfern, so wäre der kleine Zwischenfall nicht eingetreten. Jetzt hatte niemand Nutjen von dem Gelde. Auf diese Art habe ich manche Fehler gemacht, und dennoch ist der Herr nicht müde geworden, mir wohlzutun. Sorge, Vater, sorge du, sorge für mein Sorgen! Sorge selbst für meine Ruh’, sorge heut’ wie morgen! Sorge für mich allezeit, sorge für das Deine! 0, du Gott der Freundlichkeit, sorge du alleine! Wenn ich über die Vergangenheit nachdenke, beugt mich all die erfahrene Güte Gottes tief in den Staub. Ich möchte lieber nur als eine wandelnde Geschichte einhergehen und nichts von mir erzählen; aber vielleicht kann das von mir Erfahrene nach meinem Heimgang noch dem einen oder anderen zum Segen werden. Darum will ich zur Ehre des Herrn berichten, was ich weiter erfuhr. Die erste Glaubensheilung durfte ich bei einer 70jährigen kranken Schwester erleben. Sie bekam ein Hüftleiden, und der Arzt sagte, in ihrem Alter sei dabei nichts zu machen, sie müsse es bis zu ihrem Tode tragen. Dazu litt sie sehr an schwachen Nerven, und da ihre nahen Angehörigen alle nicht mehr lebten, war sie ganz fremden Menschen überlassen. Als ich diese Schwester eines Nachmittags besuchte, erzählten wir uns gegenseitig viel von den Wunderwegen Gottes. Dabei kam mir auf einmal der Gedanke, ich solle der Schwester die Hände auf legen; aber ich unterdrückte die Stimme, weil ich wußte, daß dies zur Ansicht der Schwester gar nicht passen würde. Trotjdem verließ mich dieser Gedanke nicht, sondern kam zum zweiten- und drittenmal wieder. Ich wollte dem immer noch nicht nachgeben, als die Schwester plötjlich sagte: „Bruder Fritj, ich habe einen merkwürdigen Gedanken, mir sagt eine innere Stimme immerzu, du solltest mir die Hände auflegen. Hast du Freudigkeit dazu?“ Da merkte ich, daß der Herr rief, und erzählte ihr, wie es mir gegangen sei. Nun knieten wir beide zum Gebet nieder und flehten um Heilung und Befreiung. Dann legte ich ihr im Namen des Herrn Jesus die Hände aufs Haupt und erinnerte ihn, den großen Arzt, an sein in Markus 16 gegebenes Wort, überhaupt an alle seine Verheißungen. Gottlob, unser Gebet wurde gnädig sofort erhört: Diese schwache, alte Schwe- ster lebt heute noch und blieb völlig frei von ihren Leiden, Sie lebt in stiller Einsamkeit als eine rechte Beterin, die alle Reichsgottesangelegenheiten dem Herrn auf priesterlichem Herzen bringt. Es erfüllt sich an ihr, was David sagt: „Sie werden bis ins Alter fruchtbar und frisch sein.“ Ein andermal bat mich ein Freund, der Prediger in B. war, eine Kranke mit ihm zu besuchen, die sehnlichst wünschte, daß man ihr die Hand auflegte. Wir fanden eine ältere, unverheiratete Dame auf dem Sofa sifjend, von den heftigsten Schmerzen gepeinigt. Dabei war sie ein liebes Kind Gottes, das sich im Ofen des Elends schon vielfach bewährte. Sie hatte ein böses Krebsgeschwür an der Brust, konnte sich aber zu einer Operation nicht entschließen in dem Gefühl, daß der Arzt aller Ärzte sein letztes Wort in der Sache noch nicht gesprochen habe. Ich las ihr Hebräer 12 vor: „Mein Kind, achte nicht gering die Züchtigung des Herrn und verzage nicht, wenn du von ihm gestraft wirst!“ „Hier redet der Vater im Himmel mit Ihnen“, sagte ich. „Seine Worte sind sehr tröstlich. Er will Ihnen gleichsam sagen: Mein Kind, ich habe dich sehr lieb, ich möchte dich so gern für den Himmel erziehen und einen heiligen Zweck bei dir erreichen; darum achte es nicht gering, sondern denke darüber nach, was dir der Vater in dieser schweren Prüfung sagen will! Seine Hand ruht auf Ihnen; aber sie schlägt nur, um zu heilen. Seine Gedanken mit den Seinen sind immer Liebes- und Friedensgedanken.“ „O“, erwiderte sie, „mir ist schon in vielem klargeworden, warum mich der Herr gezüchtigt hat. Ich bin ein ungehorsames Kind gewesen, bin oft eigene Wege gegangen; ich habe seine Stimme oft überhört und habe ihm so wenig mit meiner Zeit und meinem Vermögen gedient. Ich möchte es aber gern besser machen, und es tut so weh, ihn betrübt zu haben.“ ,.Hören Sie“, sagte ich, „derselbe Vater, der zum erziehenden Heil so mit Ihnen verfahren, spricht jetjt: Mein Kind, verzage nicht, wenn du gestraft wirst; wenn mein Zweck bei dir erreicht ist, wirst du mir nodi dankbar sein für die Rute.“ „Ach, wohl hat der Herr recht!“ rief die Kranke. „Er verfährt noch sehr gelinde mit mir; denn mit aller meiner Untreue habe ich nichts als die Hölle verdient. Wird er sich noch meiner erbarmen?“ Jet$t knieten wir nieder und demütigten uns unter die gewaltige Hand Gottes; dann baten wir um Vergebung und Heilung. Unter dem Gebet schon empfingen wir große Freudigkeit und behandelten nachher die liebe Schwester nach Jakobus 5, 14. 15. Die Gegenwart des Herrn war spürbar, so daß wir sowohl wie die Kranke reich gesegnet und im Glauben gestärkt wurden. Nach etlichen Tagen wurde ich zu dem Prediger eingeladen. Als ich mich nach der Schwester erkundigte, hörte ich, daß es ihr besser ginge. Wir besuchten sie wieder. Freudestrahlend kam sie uns entgegen und sagte: „Der Herr hat Großes an uns getan!“ Dann berichtete sie, wie sie, kurz nachdem wir fortgegangen waren, einen furchtbaren Schmerz gefühlt hätte; sie hätte sich auf dem Boden gewälzt, weil sie es nicht aushalten konnte, aber dazwischen habe sie immer im Glauben ausgerufen: „Herr Jesus, ich verlasse mich darauf, daß du mir hilfst! Du kannst nicht lügen, du wirst mich nicht abweisen.“ Darauf hatte sie gespürt, wie der Schmerz sich mehr verteilte; sie war in eine leichte Ohnmacht gefallen, und als sie sich wieder erholte, hatte sie sich ganz befreit gefühlt. Sie war überglücklich, fühlte sie sich doch wie neugeboren. Als der Arzt gekommen war, hatte er erstaunt gerufen: „Hier ist ja eine wesentliche Veränderung eingetreten, eine Operation ist jetjt nicht mehr nötig.“ Die glücklich Genesene hatte nun ein freies und offenes Bekenntnis vor dem Arzt abgelegt und ihm erzählt, wie sie alles nur dem Herrn verdanke. „Was bei Menschen unmöglich ist, ist ihm ein Geringes“, hatte sie gesagt. „Herr Doktor, ich schäme mich, daß ich mich so lange auf Menschenhilfe verlassen habe. Gottlob, für den Herrn war es noch nicht zu spät, und er hat mich nicht abgewiesen, als ich sein Wort in Jakobus 5 auf mich anwandte.“ Bei solchem Bericht waren dem Arzt die Tränen in die Augen getreten, und er kam noch öfter zu der Dame, um zu sehen, ob die Genesung auch anhielte. Aber es war so. Unser Gott macht nichts Halbes. Noch etwa vier Jahre durfte die Dame leben. Jet^t war es vollständig anders; nichts von ihrem Leben behielt sie für sich, sondern gab es ganz dem Herrn. Dann ging sie nach kurzem Krankenlager fröhlich heim. Im Jahre 1888 brachte ich vier Monate in der Schweiz zu und erlebte dort folgende wunderbare Führung im Kleinen. An einem schönen Sommermorgen saß ich in meinem Zimmer und las in der Bibel. Es war gerade Philipper 4 an der Reihe. Beim sechsten Vers blieb ich in meiner Betrachtung lange stehen: „Sorget nichts!“ oder wie es in der genaueren Übersetzung heißt: „Seid um nichts besorgt!“ Dieser Gedanke leitete mich in den Tag. Als ich zum Frühstück kam, hörte ich gleich manches, was einen hätte besorgt machen können. Die Hausmutter war krank. Die zu ihrer Pflege anwesende Diakonisse war in der Nacht auch erkrankt; sie schien sich eine Blutvergiftung zugezogen zu haben. Man bat mich, nach dem Diakonissenhaus zu fahren, dies zu melden und um eine neue Schwester zu bitten. Ich fuhr mit einer Droschke hin; denn das Diakonissenhaus lag am entgegengesetzten Ende der Stadt auf einem Berge. Um es den Pferden zu erleichtern, stieg ich früher aus und bat den Kutscher, eine Viertelstunde zu warten, daß ich den Wagen zur Rüdefahrt wieder benutzen könnte. Ich mußte mich aber länger aufhalten, und als ich an die Stelle am Fuße des Berges zurückkehrte, war der Wagen fort. Im ersten Augenblick wollte ich etwas unwillig werden, denn ich sagte mir, daß ich bei der Hitze nicht zu Fuß nach Hause gehen könnte. Aber gleich kam die tröstende Stimme: „Seid um nichts besorgt!“ „Ja, Herr Jesus, ich will stille sein, du wirst sorgen, daß ich eine Fahrgelegenheit finde“, sagte ich still vor mich hin und ging den Berg vollends hinunter. Jedoch auch dort war keine Droschke. Ich war sehr müde und erhi^t, setjte aber meinen Weg langsam zu Fuß fort. „Wenn dies dein Wille ist, Herr“, seufzte mein Herz, „so soll es auch mein Wille sein, und du wirst mir die nötigen Kräfte schenken.“ Aber es begegnete mir kein Wagen, und alle Droschkenhaltestellen, an denen ich vorüberkam, waren leer. So war ich wieder eine Weile mühsam fortgegangen, da bemerkte ich: Es geht nicht weiter, ich mußte erst eine Erfrischung haben und mich ausruhen und betrat einen Gasthof. Etwas gestärkt, setjte ich meinen Weg fort; aber alle Kutscher schienen sich verabredet zu haben, mir auszuweichen; wieder konnte ich keine Droschke entdecken. „Aber denen, die Gott lieben, dienen alle Dinge zum Besten.“ Das kann man freilich nicht immer sofort sehen, aber es bleibt doch wahr. — Auf einmal merkte ich, daß mir ein betrunkener Mann folgte, der immer zehn bis zwölf Schritte hinter mir herstolperte. „Ich soll ja um nichts besorgt sein“, dachte ich und ging ruhig vorwärts. Endlich wurde mir der Mann aber unbequem, und ich ging auf die andere Seite der Straße. Die Stadt Bern führt vielfach noch die alten Laubengänge. Gerade dort waren welche, und ich stellte mich hinter einen Pfeiler, um den Mann, der mir gefolgt war, vorüberzulassen. Der aber hatte das bemerkt, blieb auch stehen und sah mich an, sagte aber nichts. Es blieb mir nichts anderes übrig, als weiterzugehen, indem ich den Herrn bat, mich vor dem Umschauen zu behüten; ohne seinen Willen könne mir ja doch nichts geschehen. So schritt ich weiter, die stolpernden Schritte immer hinter mir her. Plötzlich wurde ich von dem Betrunkenen hinten am Rockkragen gefaßt, und er sprach rauh: „So, jefejt kommen Sie mal mit zu meiner Frau! Sie haben sie krank gemacht, Sie sollen sie auch wieder gesund machen!“ Ich verstand kaum, was der Mann lallte, erwiderte aber: „Sie irren sich, ich bin Ihnen ganz fremd, kenne auch Ihre Frau gar nicht.“ Er aber beharrte bei seiner Behauptung, ließ mich auch nicht los, und die Leute blieben stehen, nicht wissend, was dies alles bedeuten sollte. — Schließlich ging ich, um dem Streit ein Ende zu machen, mit dem Mann, der mich in einem nahegelegenen Haus eine Treppe hinunter in den Keller führte. Dann kam ein langer, dunkler, steinerner Gang; es schien mir, als würde ich ins Gefängnis transportiert. Der Mann öffnete mir die Tür, faßte mich noch einmal an der Schulter und schob mich vor das Bett einer kranken Frau, indem er mich mit folgenden Worten vorstellte: „Frau, da habe ich den endlich, der dich krank gemacht hat; nun soll er dich wieder gesund machen.“ Nach dieser kleinen Rede stolperte er wieder so eilig aus dem Zimmer, als fürchte er, ich könne ihm auch etwas schaden. „Kennen Sie mich denn überhaupt?“ fragte ich nun. „Ich bin doch ein Deutscher und halte mich nur vorübergehend hier auf.“ „Ja“, antwortete die Frau, „wir kennen Sie, und es ist wahr, Sie haben mich krank gemacht.“ Als ich mir einen Stuhl genommen und mich zu ihr gesetzt hatte, erzählte sie: „Am vergangenen Sonntag war ich in der Methodistenkapelle, als Sie über das große Abendmahl sprachen. Da wurde mein Gewissen gerührt; denn ich gehörte auch zu denen, die sich bisher immer entschuldigt hatten. Seit jenem Sonntag fühle ich mich so schlecht und gottlos und bin krank an Leib und Seele.“ Das war für mich ja nur eine erfreuliche Botschaft. Ich nahm mein Neues Testament und las der heilsverlangenden Seele Trostworte aus dem Munde Jesu vor und ermunterte sie, ihm zu vertrauen. „Er ist der Herr“, sagte ich ihr, „der zum Freund der Sünder wurde, und sein Blut tilgt die größte Schuld.“ Ich pries ihr die Liebe Gottes an und konnte schließlich mit ihr beten. Dies war Balsam für ihr wundes Herz, so daß sie Hoffnung faßte, begnadigt zu werden. „Woher kennt mich denn Ihr Mann?“ fragte ich sie. „Er war nicht in der Kapelle“, war die Antwort. „Zufällig aber traf ich ihn auf dem Heimweg, und wir gingen an Ihnen vorüber. Zu Hause angekommen, fühlte ich mich gleich sehr unwohl, und mein Mann behauptete sofort, daß Sie und Ihre Rede daran die Schuld trügen.“ Ich vergaß gänzlich die Zeit, während ich mit der verlangenden Seele redete. Ich mochte schon eine Stunde dort gewesen sein, als ich noch einmal mit ihr betete und dann mit dem Versprechen fortging, wiederzukommen. So gut ich konnte, tastete ich mich hinaus, und kaum war ich auf der Straße, als ich eine leere Droschke erblickte, die langsam des Weges kam. Mein Herz war voll Lob und Dank. Wie hatte mein Vater im Himmel wieder gesorgt! Er hatte mich redit geführt und zu allem Kraft und Gnade gegeben. Kein Wagen war für mich zu haben, ehe ich nicht ausgerichtet hatte, was ich sollte. Wie für den Kämmerer der Philippus und für den Saulus der Ananias bestellt wurde, so würdigte mich der Herr, der armen Frau zu helfen, die in ihrer Kellerwohnung über ihre Sünden weinte. Zu Hause war man sehr erstaunt über mein langes Ausbleiben gewesen. Von der Anstalt aus war alles besorgt; eine neue Schwester war schon da, alles ging recht und gut. Als ich nach zwei Tagen meine Pflegebefohlene noch einmal besuchte, konnte sie sich der Vergebung ihrer Sünden noch nicht recht freuen. Aber bei dem dritten Besuch fand ich sie auf und Gottes, ihres Heilands, von Herzen froh. Sie war wirklich gesund an Leib und Seele geworden, und wir rühmten zusammen das Blut des Sohnes Gottes, das sie frei gemacht. Gern hätte sie nun auch ihren Mann errettet gesehen; aber es ist schwer, wenn jemand so tief im Laster steckt. Nach kaum einem Jahr starb er. Sein Ende ist dunkel; man hat kein Zeugnis mehr aus seinem Munde gehört. Die Frau aber bewährte sich als echte Christin und auch später nach dem Tode ihres Mannes, als ich sie noch einmal besuchte. Es war ein Jahr später und wieder in der Heimat. Eines Tages besuchte ich meine Freunde in W. und bemerkte bald, daß der Herr dort etwas für mich zu tun hatte. In dem Hause, wo ich zu Gast war, befand sich gerade eine Dame aus A. zum. Besuch. Am ersten Abend war eine kleine Gesellschaft geladen, und ich wurde gebeten, über ein Wort Gottes zu den Versammelten zu reden. Ich las 2. Korinther 5: „Wir wissen aber, so unser irdisches Haus dieser Hütte zerbrochen wird, daß wir einen Bau haben, von Gott erbaut, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, dasewig ist im Himmel.“ Ich betonte, wie selig es ist, die Gewißheit zu haben, nach dieser Zeit, wenn diese Hütte zerbricht, oben beim Herrn in die Wohnungen des Friedens eingehen zu dürfen, und fragte, ob wohl schon alle in diesem Punkt Klarheit und Gewißheit hätten. Als ich so sprach, fiel mein Blick auf den oben erwähnten Gast des Hauses, eine auf dem Konservatorium ausgebildete Sängerin. Innerlich getroffen, wich sie meinem Blick aus, und ich bemerkte, wie sie eine Träne zerdrückte. Zum Schluß bat ich, sich doch mit Gott versöhnen zu lassen, und suchte die rettende Liebe des Herrn recht deutlich zu schildern. Ich erzählte noch ein Beispiel aus dem Leben und überließ es dann dem Geist Gottes, zu wirken. Derselbe hatte in seiner Gnade begonnen, an dem Herzen dieser und noch einer anderen Sängerin zu arbeiten. Beide konnten die Nacht nicht schlafen, das Gewissen war erwacht, und sie sahen, auf ihr Leben zurückblickend, nichts als Fehler und Sünden. Da ich etwas davon gemerkt hatte, betete ich in jener Nacht viel zum Herrn und erwartete, daß er beide erretten und selig machen würde. Am anderen Morgen schon kam eine der beiden Damen und wünschte mich zu sprechen. Nachdem sie ihr Herz ausgeschüttet, fragte sie: „Wird der Herr Jesus mich wohl noch annehmen? Gibt es noch Rat und Hilfe für eine Sünderin, wie ich eine bin?“ „0 ja“, erwiderte ich, „für solche ist ja gerade der Herr Jesus gekommen. Er starb aus Liebe und Erbarmen mit den Seelen, um sie Gott zuzuführen, und es ist ihm gelungen. Alle Schuld und Strafe für die Sünden der ganzen Welt hat er getragen, und wir haben, sobald wir bußfertig sind, Anrecht auf die Gnade in seinem Blut. Es gibt keine Sünde in Ihrem und in meinem Leben, für die der Herr Jesus nicht vollkommen bezahlt hätte.“ Sie konnte es erst nicht fassen und meinte, an ihr könne der Herr unmöglich Gefallen finden. „An unseren Untugenden hat er freilich kein Gefallen“, erwiderte ich, „aber unser Elend jammert ihn, und er hat Wohlgefallen an allen, die ihn um Erbarmen anrufen.“ Mehrere Tage ging die Dame noch im Dunkeln dahin. Das Gesetz zermalmte sie immer mehr, und sie mußte sich immer wieder und wieder sagen: „Du bist schuldig und verdienst die Hölle.“ Nach ungefähr sechs Tagen aber kam sie freudestrahlend an und bekannte, Frieden und Vergebung gefunden zu haben. Der Herr hatte sich in besonders freundlicher Weise zu ihr herabgelassen. Sie hatte im Traume ein liebliches Wesen neben ihrem Bett stehen sehen, das ihr zuflüsterte: Hoff, o du arme Seele, hoff und sei unverzagt: Gott wird dich aus der Höhle, wo dich der Kummer plagt, mit großen Gnaden rücken! Erwarte nur die Zeit, dann wirst du bald erblicken die Sonn’ der schönsten Freud’! Dann sei sie auf gewacht, habe den Herrn inbrünstig um Gnade angefleht und auch Erhörung gefunden. Wir freuten uns alle mit ihr und lobten gemeinsam den Herrn. Die andere junge Dame ging noch einige Tage länger unter ihrer Last daher. Es kostete sie einen heißen Kampf, mit ihren Freundinnen aus der Welt zu brechen. Aber die Gnade siegte auch bei ihr. Nun kam auch gleich die Probe. Sie hatte in einem großen Konzert, für das die Programme schon gedruckt waren, einige weltliche Lieder zu singen übernommen. „Ich kann unmöglich singen“, gestand eine der anderen; „wir wollen doch zum Direktor gehen und bitten, uns davon zubefreien.“ Sie taten es, aber darauf wollte der Direktor um keinen Preis eingehen; er stellte ihnen vor, daß das Programm schon bekannt wäre und nichts mehr daran zu ändern sei. Beide Damen sagten nun mutig, daß sie fortan nur noch zur Ehre des Herrn singen könnten, und nur, wenn er solche Lieder gestatte, könnten sie dem Herrn Direktor zu Willen sein. Dieser mußte nachgeben, um nicht überhaupt ihre Mitwirkung zu verlieren. Ich weiß nicht mehr, was sie sangen; 5 Bruder Fritz 65 jedenfalls priesen sie Jesus als den Schönsten unter den Menschenkindern mit ihrer Stimme. Alle Zuhörer kamen überein, daß die beiden nie so schön gesungen hätten als an dem Abend. Ja, dies alles vermag die Gnade Gottes. In fernen Ländern Am Donnerstag, dem 8. Oktober 1891, reiste Bruder Fri^ aus Ratingen ab, um eine große Reise nach Afrika anzutreten. Die Veranlassung, nach Algier zu gehen, war folgende: Ein Pfarrer Dardier aus Genf erzählte von der Arbeit der Äußeren Mission, die in Algier und Tunis von seiten der Evangelischen Gesellschaft Genfs geschähe. Dies führte Frit} Oet^bach zu dem Entschluß, diese Arbeit kennenzulernen und zugleich in dem milden Klima sich zu stärken und zu erholen. Im folgenden erzählt er von einer Begegnung, die er in Marseille gehabt: Da meine Freunde noch eine Besorgung hatten, ging ich allein zurüdc. Der Weg führte mich durch einen schönen öffentlichen Garten, und ich nahm auf einer Bank Platj, um mich auszuruhen. Als ich kaum fünf Minuten dort saß, kam ein älterer Mann, auf einen Stock gestütjt, und wollte sich ebenfalls dort niedersetjen. Als ich ihm Plat} machte, berührte ich unvorsichtigerweise mit meinem Stock sein lahmes Bein und sagte unwillkürlich deutsch: „Entschuldigen Sie!“ „Ach, ein Deutscher!“ gab er zurück. Er war ein Elsässer und fügte hinzu: „Ich freue mich, daß ich einmal wieder Gelegenheit habe, meine Muttersprache zu reden.“ Der Mann schien Vertrauen zu fassen; denn er erzählte mir seine Lebensgeschichte. Ich hörte ihm lange zu und sagte endlich: „Sie dauern mich sehr; denn Sie haben wirklich schwere Lebensführungen durchgemacht und viel Lieblosigkeit von seiten der Menschen erfahren. Ich habe einen sehr empfehlenswerten Freund, den Sie aber noch nicht zu kennen scheinen; aber ich glaube, daß es an Ihnen liegt und Sie seine Freundschaft nur immer verschmäht haben. Er hat sich sicher schon zu Zeiten der Not Ihnen angeboten, aber Sie scheinen seine Stimme überhört zu haben.“ „Aber wen meinen Sie denn eigentlich?“ unterbrach mich der Mann. Ich erwiderte: „Den Herrn Jesus meine ich. Er hat Sie sehr lieb, er hat den Himmel für mich und für Sie verlassen, und um uns von dem ewigen Tode zu erretten, starb er wie ein Übeltäter für uns Übeltäter.“ Weiter sprach ich vom Heil in seinem Blut und von seiner Freundschaft, die für Zeit und Ewigkeit bewährt sei. Da kamen dem Mann die Tränen in die Augen, und er fragte mich, ob ich denn diesen Jesus wirklich liebte, er sei doch mit ihm recht hart umgegangen, und ich schiene ihm wenig durchgemacht zu haben, wenn ich das sagen könnte. Da gab ich ihm einen Einblick in die Tage, die hinter mir lagen, und darauf meinte er, nun könne er’s noch weniger verstehen, daß ich dabei so fröhlich und glücklich sei. Dann fing er an, von seiner Mutter zu erzählen, wie sie ihn als Kind beten gelehrt und ähnlich gesprochen hätte wie ich. Schließlich bedeckte er mit den Händen sein Gesicht und schluchzte: „Ich habe seit fast fünfzig Jahren nicht mehr gebetet, und nun bin ich alt, und alles ist zu spät!“ Wie freute ich mich, ihm sagen zu dürfen, daß mich heute der Herr Jesus gesandt habe, um ihm zu sagen, daß es keineswegs zu spät sei, im Gegenteil, der Herr warte auf ihn, und die Gebete seiner Mutter sollten noch erhört werden! Uber diese Unterredung war es spät geworden, meine Freunde kamen und suchten mich, ich mußte gehen. „Wie heißen Sie?“ fragte ich beim Abschied. „Wolf.“ „Nun, so wird der Herr Jesus ein Lamm aus Ihnen machen, das ist mir ganz klar“, sagte ich. Da ich aus seinen Reden gehört hatte, daß er arm war, drückte ich ihm noch eine Liebesgabe in die Hand. Da übermannte ihn vollends die Rührung, und errief aus: „So etwas ist mir in meinem Leben noch nicht begegnet!“ Noch etliche Male winkte er mir nach, und ich kann glauben, daß ich diesen Mann einst am Throne Gottes wiederfinden werde. Ein deutscher Pastor forderte Bruder Fritj auf, ob er ihn zu einem lieben alten Gotteskinde führen dürfe, von dem bereits viel Segensströme aus.-gegangen waren. Der Weg dorthin führte sie im Wagen ein paar Stunden am Meer entlang. Sie hielten an einem hohen Felsen, und ein schwieriger Aufstieg an der einen Seite des Felsens nahm viel Kraft in Anspruch. Sie standen oben vor einem kleinen Häuschen. Durch die Tür gehend, kamen sie in ein leeres Zimmer, und der Pastor, die nächste Tür aufmachend, fragte: „Mütterchen, sind Sie da?“ Es dauerte nicht lange, so kam ein altes, halbblindes Mütterchen heraus. Große Freude erfüllte sie, Gotteskinder zu sehen, und sie führte die beiden zu einem alten, zerbrechlichen Sofa. Der erste Eindruck von ihr war ihre tiefe Liebe zum Heiland und die große Sehnsucht zum Himmel. Sie wohnte schon dreißig Jahre dort. Bruder Frifj fragte: „Mütterchen, Sie sind doch immer so allein. Ist das nicht schwer?“ „Mein Heiland ist bei mir, ich bin nie allein“, antwortete sie. „Und dann höre ich auch immer Gesang.“ Bruder Frit; fragte: „Wie ist denn das?“ Worauf sie antwortete: „Da fange ich an zu singen, und dann singen die Engel weiter.“ „Sind das Lieder?“ „Ja, besonders das eine singen sie oft: ,Jesus Christus herrscht als König1, aber den einen Vers singen sie nie mit. Da handelt es sich um das Blut Christi und um die Erlösung. Den Vers höre ich nie.“ Und sie konnte sich nicht genug darüber wundem. Ihm war es so klar. Die Engel bedurften keiner Erlösung. Das Mütterchen lebte von Kaffee und Zwieback, wenn ihr die Freunde auch noch so viel brachten. Fünf- bis sechsmal war Bruder Frilj noch dort, stundenlang hatten sie die innigste Gebetsgemeinschaft. „Es war so sehr gemütlich“, erzählte der kleine Bruder, „ich mahlte Kaffee, und das Mütterchen brühte auf.“ Sie war ein besonderer Mensch, sozusagen die Dampfmaschine vor dem Herrn für die ganze Umgegend. Alle Gebetsanliegen brachte man ihr, und man durfte es erfahren, wie die Gebete er- hört wurden; sie starb bald, nachdem Bruder Fritj Algier verlassen hatte. Als man sie wieder einmal besuchte, fand man sie im Bett mit ausgebreiteten Armen und strahlenden Antlifjes nach oben schauend, heimgegangen. Und in der Gegend spürte man, daß einer treuen Beterin Herz aufgehört hatte zu schlagen. — öfter war Bruder Frit} audi in Rußland, und der Herr segnete sein schlichtes Zeugnis an vielen Seelen. Als er wieder einmal eine Einladung nach dort erhielt, machte er sich bereitwillig wie immer auf, den Auftrag des Meisters auszuführen. Das Geld zur Reise, den Paß, alles hatte er in der Tasche; da zerbricht ihm sein Gebiß, das er seit der Erkrankung in der Jugend trug, wo er alle Zähne verlor. Er konnte aber ohne dieses nicht sprechen und geht zum Zahnarzt, um es reparieren zu lassen. Da wird ihm die Kunde: Da läßt sich nichts machen, es muß ein neues angefertigt werden. Das war schlimm. Aber er bringt’s vor den Vater. Still sit$t er auf seinem Stuhl und spricht leise: „Herr, du weißt, daß ich in acht Tagen reisen soll und daß mir das Geld zu dieser Ausgabe fehlt; was soll ich machen? Ich will dir um jeden Preis gehorchen.“ Der Zahnarzt war hinausgegangen, er hatte wohl gesehen, wie Bruder Fritj betete. Er fragt beim Eintreten: „Nun, wie soll es werden?“, worauf Bruder Frit$ um Auskunft bittet, wielange die Anfertigung dauert und wieviel der Preis beträgt. „Acht Tage bedarf ich, der Preis ist 125 Mark.“ Das war genau das Geld, das er für die Reise in der Tasche hatte. Die Vernunft sagt ihm, daß er das Gebiß haben muß; er bestellt es und sagt es dem Herrn: „Herr, es ist deine Sache, was ich nun tun soll!“ Aus der Haustür des Zahnarztes heraustretend, fährt schnell ein Wagen vorbei, und als die Dame, die im Wagen sitjt, Bruder Frit^ ansichtig wird, läßt sie halten. „Es freut mich, daß ich Sie sehe; ich wollte Ihnen längst etwas geben, was ich Ihnen schuldig war.“ Und damit überreicht sie ihm einen Hundertmarkschein. „Wo kommen Sie her?“ „Vom Zahnarzt“, sagt Bruder Friij, und er erzählt ihr die ganze Geschichte. „Wieviel kostet das Gebiß?“ „125 Mark.“ „Nun, dann gehören die 25 Mark noch dazu.“ Er bedankt sich. Und vom Herrn war ihm die Antwort geworden, daß die Reise nach Rußland ihm bestimmt sei. Am Ziel Am 14. August 1908 schrieb Bruder Fritj an eine alte Freundin: „Mir geht es gottlob gut. Mehr als die halbe Zeit des Jahres bin ich auf Reisen, stehe auch jetjt wieder vor der Abreise. So Gott will, gehe ich von Blankenburg aus nach Rußland und denke bis Anfang November dort zu bleiben. Darf ich Dich bitten, meiner im Gebet gedenken zu wollen? Ich möchte gern treu sein und den Dienst allezeit mit Freuden tun, den Jesus mir anweist... Der Weg ist nicht mehr weit zum Vaterhaus, und wer weiß, wie bald das Ziel erreicht ist!“ An dieselbe Freundin schrieb er am 22. April 1909: „Wir wollen uns recht liebhaben, bis es vom Glauben zum Schauen geht. Mein Leben wird, je älter ich werde, desto bewegter, aber ich möchte es nicht anders haben, als der Herr es mir zuteilt. Ich hatte einen stillen, schönen Winter, wo ich, ohne reisen zu müssen, drei Monate mein Zimmer innebehalten durfte. Aber seit vorigem Monat ist es schon wieder anders. Ich war wieder weit umher, an der böhmisch-russischen Grenze und in Berlin. Im nächsten Monat muß ich nach Wernigerode und im Juni wahrscheinlich wieder nach Rußland. Solange der Herr mir Kraft und Gnade schenkt, möchte ich gern diesem Lande, soweit es in meinen Kräften steht, dienen. Ich werde, so Gott will, bis in den Herbst hinein dort bleiben. Gedenke meiner im Gebet, ich brauche viel Gnade! So Gott will, denke ich im nächsten Frühjahr mit Freunden nach Palästina und Ägypten zu reisen; darauf freue ich mich schon sehr. Wie wunderbar führt doch der Herr sein armes, schwaches Kind! Wie viel Freude macht er mir schon auf dieser Welt! Und ich möchte ihm auch Freude machen durch Treue und Gehorsam. Wie gut, daß Fr. v. W. daheim ist und überwunden hat! Auch wir werden das Ziel bald erreichen; aber noch schöner wäre es, ohne den Tod zu sehen, entrückt zu werden.“ Man sieht, der liebe Bruder stand bereit und wartend vor seinem König, wie jedes echte Kind Gottes stehen sollte, und doch voll Freude am Dienst und an allen Segnungen, die er hier noch erfahren durfte. Bei seinem lebten Aufenthalt in Miechowifc;, vor der lebten großen Reise, erwähnte er: „Ich muß Rußland wieder von Süden nachNor-den durchqueren; aber was schadet es, wenn er mich unterwegs heimholt?!“ Bis 14. Mai war Bruder Frifj in Ratingen, machte dann einen kurzen Besuch in Wernigerode bei vertrauten Freunden, nahm vom 8. bis 11. Juni an der Konferenz in Ter-steegensruh teil und reiste dann Mitte Juni nach Rußland ab. Am 4. September 1909 schrieb er unterwegs auf dieser seiner lebten Reise: „Es geht mir, gottlob, gut; nur arbeitet das Herz zu wenig. Vielleicht wird es etwas lange, bis ich mein Stübchen erreicht habe. Aber er gibt den Müden Kraft. Ich durfte den Herrn spürbar nahe erfahren, und ich weiß, daß ich nach Gottes Willen umhergezogen bin, um die Brüder zu stärken und den Dienst zu tun, den er an meinen Weg stellte. Mir mangelt nichts (Psalm 23).“ Aus jenem Tage stammen folgende Nachrichten über ihn, die Fürstin G. in einem Brief gab: „Hier hatten sie ihn alle lieb. Zwei gebildete Deutsche, die alles Predigen, ja alles Reden von Gott haßten, wurden ganz bewegt durch die einfachen Worte von Fritj Oefjbach, der von Gottes Wunderwegen in seinem Leben erzählte. Sie wünschten eine Privatunterredung mit ihm; denn er hatte ihnen Gottes Liebe zur ganzen Menschheit so vor die Augen gemalt, daß sie mehr darüber hören wollten. Ich muß gestehen, daß mich ähnliche Gefühle in seiner Gegenwart beseelten, besonders dies letzte Mal; er wiederholte öfter: ,Wie groß, wie weit ist Gottes Liebe!1 Trotj seiner Schwäche trug sein Antliij solch glücklichen Ausdruck, wenn er vom Heiland sprach, daß er allen auffiel, die ihn sahen. Er konnte nicht viel sprechen, sein Hefz war so krank, daß Gesicht und Lippen manchmal ganz blau waren.“ Am 15. September 1909, vier Tage vor seinem Heimgang, schreibt Bruder Frit} aus Cremon: „Ich muß Ihnen mitteilen, daß ich recht schwach und leidend hier im stillen G. liege. Es scheint ein schwerer Nervenzusammenbruch zu sein. Im Süden bahnte sich schon lange durch die Hit^e eine große Mattigkeit an. Hier ist man in Liebe bemüht um mich; aber der Herr läßt auf die Hilfe warten. Und so macht er’s gut! Bin recht fröhlich und still und gedeckt in Jesu Blut, auch wenn es heimgehen sollte! Bitte, betet alle für mich; bin zum Sterben müde, habe auch lange keinen Schlaf mehr!“ Fürst L., der mit Bruder Fritj die von ihm so sehr gewünschte Heimreise auf dem Wege nach Kissingen bis Berlin teilen wollte, berichtete darüber in einem Briefe an Professor St: „Er war es sich selbst bewußt, und man sah es ihm an, daß es mit ihm zu Ende ging, und eigentlichhätte er unter keinen Umständen reisen dürfen. Die Fahrt von Cremon zum Bahnhof allein schon hatte ihn so sehr erschöpft, daß er kaum Atem holen konnte und sich schon sehr schlecht in S. fühlte. Im Eisenbahnabteil mußte er jeden Augenblick ans offene Fenster treten, um Luft zu schöpfen. Bis Riga hatte uns der Diener begleitet, der ihn in Cremon sehr gut gepflegt hatte. Von Riga an bis zur Grenze hatten wir ein Abteil für uns beide. Fast keinen Augenblick hatte der Kranke Ruhe. Immer mußten die Kissen und die Lage geändert werden; bald trat er ans Fenster, bald setjte er sich. Eine beängstigende Atemnot quälte ihn so, daß er gar nicht sprechen konnte. So verließen wir Riga am 19. September, nachmittags um vier Uhr, und als es um sechs Uhr zu dunkeln begann, ließ ich vom Schaffner unsere Betten bereiten, und ich wollte ihm helfen, die Schuhe abzutun; das aber wollte er nicht haben und sagte, mit Mühe die Worte ausstoßend, die Beine seien ihm so geschwollen, daß wir morgen die Schuhe nicht wieder daraufbekommen würden. Nach einer Weile rief er mich durch eine Handbewegung zu sich und flüsterte mit großer Anstrengung, soviel ich verstanden und behalten habe: ,Ich gehe heim; sagen Sie Ihrer lieben Mutter, daß ein Strom des Friedens mein Herz erfüllt.1 Dann half ich ihm aufs Bett und versuchte, ihn in eine bessere Lage zu bringen, verhängte die Lampe und ging auf den Gang hinaus in der Hoffnung, er würde schlafen. Nach einer Viertelstunde, die Uhr muß neun gewesen sein, blickte ich ins Abteil, und da er seine Lage nicht geändert hatte, glaubte ich, er wäre eingeschlafen, und zog mich zurück. Als aber nach einer weiteren Pause die Lage noch unverändert blieb, verstand ich, daß die Seele den armen, gequälten Körper verlassen hatte, um von irdischen Banden befreit zu ihrem Herrn zu eilen. In Dünaburg teilte ich dem Schaffner und der Gendarmerie das Nötige mit. Nach zwei Tagen reiste mein inzwischen eingetroffener Bruder mit dem Sarg nach Cremon.“ Anschließend geben wir den Bericht von Schwester Eva von Tiele-Winckler, die den Leib des lieben Bruders, der ihr und ihrer Arbeit so viel sein durfte, mit einigen Freundinnen aus Deutschland zur lebten Ruhe geleitete in dem Lande, dem seine lebten Kräfte und viel von seinen Gebeten und seiner Liebe gehörten: „Wir waren inMaranatha versammelt zu einem Schülerinnen-Abend. Am anderen Morgen sollte ich zum Jungfrauenfest nach Görlit} reisen und daran anschließend einige Stationen besuchen. Da wurde mir eine Eilkarte von Professor St. gebracht: ,Bruder Fritj sehr schwach und elend in Livland, verlangt nach seinem Freunde, der kann nicht hin.1 Wir vereinigten uns gleich im Gebet für unseren lieben Bruder, und ich fragte telegraphisch bei Fürstin L. an, ob ich kommen sollte. Am anderen Morgen bat ich Schwester Margarete, statt meiner zu unserem kranken Bruder zu reisen. Sie war gern bereit, und so fuhren wir nachGörlit}. Dort erreichte uns ein Telegramm mit besserer Nachricht und der Aussicht, Bruder Frit$ käme in Begleitung des Fürsten Paul L. am Montagabend nach Berlin. Wir hatten am Sonntag zwei Versammlungen. Ich erzählte in kurzen Zügen von dem gesegneten Leben unseres Bruders, von seinem Leiden, seiner Pfeilung, seinem Wandel und Dienst, und wie Gottes Gnade in seiner Schwachheit sich mächtig und herrlich erwiesen hatte. Was Gott an ihm getan, kann er an jedem tun. Gering vor der Welt, arm und schwach und doch ein Fürst Gottes, ein Großer im Himmelreich, seit Christus in ihm wohnte und durch ihn wirkte. Das gab dem kleinen, demütigen Manne bei aller Bescheidenheit und Kindlichkeit etwas Majestätisches und einen Einfluß auf andere, der groß und tief war. Am anderen Morgen kam eine Depesche, die uns den Heimgang unseres kleinen Bruders meldete. Gerade zu einer Stunde, wo ich von dem erzählen durfte, was Gott an ihm getan hatte, war er abgerufen worden. Nach kurzem Überlegen faßten wir den Entschluß, nach Livland zu reisen, um unserem lieben Bruder das letjte Geleit zu geben. Nach einer langen Reise wurden wir in Cremon mit großer Liebe aufgenommen, und wir werden nie vergessen, wieviel Freundlichkeit und Herzensgüte wir dort erfahren haben. Die Freundschaft mit Bruder Frit}, vor allem aber das Einssein in der Liebe Jesu verband uns, und wir fühlten uns vom ersten Augenblick an wohl und heimisch im fremden Lande. Schwester Margarete und ich bewohnten gemeinsam die Zimmer, wo Bruder Oe^bach seine lebten Tage zugebracht hatte. Er hatte dort alles, was die Liebe sich nur ausdenken konnte, aber es war ihm alles zu groß. Und vielleicht hat er sich manchmal im stillen nach unseren einfachen, kleinen Bretterstühlen gesehnt, auf denen er immer so gern und bequem saß, wenn man ihm ein einfaches Kissen unterlegte. Um vier Uhr sollte die Beerdigung sein, und um halb vier Uhr versammelten wir uns vor dem Schloß und stiegen in die verschiedenen Wagen, die mit vielen Blumen beladen waren. Es war eine schöne Fahrt über Land, bis wir nach der wohl eine halbe Stunde entfernten, uralten Inländischen Kirche kamen. Wir traten ein, und da stand der Sarg unter brennenden Lichtern, und es kam mir zum ersten Male sein großes Herz zum Bewußtsein, und daß wir den lieben Bruder nicht mehr sehen und seine Stimme nicht mehr hören würden. Statt einer Predigt verlas der Pastor vom Altar auf Wunsch der Familie nur eine Auswahl von Bibelworten, die ausklingen in der Herrlichkeitshoffnung von Offb. 21 und 22. Dann wurde der Sarg hinausgetragen und auf einen Wagen gesetzt, und nun ging es wohl noch zehn Minuten weiter bergauf und bergab, bis wir den alten Friedhof erreichten. Es ist ein stiller Hügel, ganz einsam gelegen, und dort unter den alten Linden und Birken mit dem Blick in das weite Tal war das Grab gegraben, in dem Bruder Oetjbach seine letjte irdische Ruhestätte finden sollte. Die Fürstin hatte selbst diesen Ort ausgesucht, und wenn es uns auch zuerst fern und einsam schien, so müssen wir doch sagen, man hätte schwer ein schöneres, stilleres Plätzchen finden können. Bruder Fritj liebte so sehr, allein zu sein mit dem Heiland, und so ist es gewiß auch in seinem Sinne, daß seine irdische Hülle dort in der Stille und Einsamkeit der großen Auferstehung wartet. Wir sangen: ,Einst sing’ ich nicht mehr, wie ich sang.“ Und dann das Herrlichkeitslied. Und nachdem der Pastor die übliche Grabliturgie gehalten hatte und die Erdschollen auf den metallenen Sarg heruntergefallen waren, da formte sich unter den geschickten Händen der Männer der kleine Hügel; er wurde mit Blumen und Kränzen belegt, und Fürst A. L., der treue Freund des Heimgegangenen, sprach über das Wort: ,Als die Armen, die doch viele reich machen.1 Es war ein klares, freudiges, tief bewegendes Zeugnis, ein dankbarer Nachruf zur Verherrlichung Gottes. Und als einige Freunde sich entfernt hatten, versammelten wir uns noch mit der Familie im kleinen Kreis zum gemeinsamen Gebet, zum Lob und Dank an dem stillen Grabe. Dann kehrten wir heim.“ Aus den lebten Tagen von Bruder Oefjbach wurde uns noch folgendes berichtet: „Wie er uns schon brieflich gemeldet hatte, litt er diesen Sommer sehr unter der Hitze auf den weiten Fahrten durch Südrußland. Er hatte noch viel Dienst tun dürfen für seinen Meister, fast täglich mit dem Wort gedient und hin und her die Gemeinde Gottes gestärkt. Dann reiste er zur Fürstin G., brach aber auf dem Wege in Moskau buchstäblich zusammen, so daß er auf den Bahnhof getragen werden mußte. Er blieb nur einige Tage bei der Fürstin, da er sehr schwach und elend war, und erreichte nur mit großer Anstrengung Cremon. Sein Leiden nahm zu; er litt viel am Herzen, nach seiner Gewohnheit still und ohne Klagen. Es stellte sich Wassersucht ein; er konnte weder liegen noch sitzen, und oft fand man ihn, auf einen Tisch gestützt, stehend in seinem Zimmer. Als der Zustand sich trotz aller Pflege und Ruhe nicht besserte, kam über ihn eine große Sehnsucht nach seinem kleinen Stübchen. Und trotz allen Abredens glaubte er doch, die Reise noch wagen zu können. Aber er hat es nicht mehr erreicht. Als er gestorben war, mußte nach dem Gesetz eine ärztliche Untersuchung stattfinden, und da ergab sich, daß das Herz unseres Bruders an zwei Stellen durchbrochen war. Fast wundert es mich nicht; wieviel hatte der treue, kleine Knecht unseres großen Herrn auf sein Herz genommen! Wieviel Last und Leid, wieviel Sünde und Sorge trug er für andere mit! Wo er einmal hat dienen dürfen, da hielt er treu an im Gebet und bewahrte ein tiefes Interesse für eine jede Seele. Aber auch in äußeren Dingen war er uns von großer Hilfe. Er hatte einen klaren Blick für alle Verhältnisse und einen klugen, praktischen Rat. Nichts war ihm zu klein oder zu groß. Er interessierte sich ebensosehr für alle Einzelheiten des Betriebes wie für das ganze Werk. Und oft war es uns überraschend, wie gut er in den einfachsten Dingen Bescheid wußte, und was das Köstlichste war: er brachte alles vor Gott. Seine Hauptarbeit ist das Gebet gewesen. Stundenlang hat er damit zu tun gehabt und hat alle Namen und Anliegen vor Gott gebracht. Der Herr wolle in seiner Gnade uns Beter erwecken, treue, anhaltende Beter, und uns selbst zu solchen machen! Wir wollen das Vorbild unseres Bruders anschauen und seinem Wandel nach-folgen in der Kraft der Gnade.“ Band 1 E. Senf: Friedrich von Bodel-schwingh. Der Vater des Bethel-Werkes. 2 W. Busch: Pastor Wilhelm Busch. Ein fröhlicher Christ. 3 A. Münch: Johann Christoph Biumhardt. Ein Zeuge der Wirklichkeit Gottes. 4 F. Seebaß: Carl Hilty. Jurist, Historiker und Christ. 5 E. Bunke: Samuel Keller. Gottes Werk und Werkzeug. 6 M. Wurmb von Zink: Was ich mit Jesus erlebte. 7/8 F. Seebaß: Matthias Claudius. Der Wandsbecker Bote. 9/10 F. Seebaß: Mathilda Wrede. Die Freundin der Gefangenen und Armen. 11 M. Spörlin: Heinrich Jung- Stilling. Wanderer an Gottes Hand. 12/13 F. Seebaß: Paul Gerhardt. Der Sänger der evang. Christenheit. 14 F. Seebaß: Johann Sebastian Bach. Der Thomaskantor. 15 A. Roth: Eva von Tiele-Winck-ler. Die Mutter der Vereinsamten. 16/17 A. Pagel: Otto Funcke. Ein echter Mensch — ein ganzer Christ. 18/19 C. H. Kurz: Toyohiko Kagawa. Der Samurai Jesu Christi. 20 E. Bunke: Curt von Knobelsdorff. Der Herold des Blauen Kreuzes. 21 H.Petri: Henriette von Secken-dorff. Eine Mutter der Kranken und Schwermütigen. 22/23 A. Pagel: Jakob Gerhard Engels. Von der Macht eines wahren Jüngers Jesu. 24 J. Weber: Elias Schrenk. Der Bahnbrecher der Evangelisation in Deutschland. 25/26 A. Jung-Hauser: Markus Hauser. Ein Hoffnungsleben. Band 27/28 F. Seebaß: Ludwig Richter. Künstler und Christ. 29/30 A. Pagel: Ludwig Hofacker. Gottes Kraft in einem Schwachen. 31/32 A. Pagel: Gräfin Waldersee, Tante Hanna, Mutter Fischbach. Drei Frauen im Dienste Jesu. 33/34 C. H. Kurz: Johann Friedrich Oberlin. Der Patriarch des Steintals. 35/36 C. H. Kurz: Franziskus von Assisi. Der Herold des großen Königs. 37 E. Bunke: C. H. Spurgeon. Prediger von Gottes Gnade. 38 W. Michaelis: Nachlese von jahrzehntelangem Dienst auf dem Acker des Evangeliums. 39 O. Eberhard: Johann Heinrich Pestalozzi. Mensch, Christ, Bürger, Erzieher. 40 F. Rudersdorf: J. Hudson Taylor. Sein Werk und seine Missionsmethoden. 41/42 E. Bunke: Carl Heinrich Rap-pard. Ein Zeuge Jesu Christi. 43/44 A. Hauge: Hans Nielsen Hauge. Der Apostel Norwegens. 45 G. Geiß: Johann Albrecht Bengel. Gottesgelehrter und Ewigkeitsmensch. 46/47 A. Katterfeld — W. Ilgenstein: Friedrich Braun. Ein Baumeister Gottes im Schwabenland. 48 G. Geiß: Dwight L. Moody. Vom Kaufmann zum Evangelisten. 49/50 F. Seebaß: Friedrich Christoph Oetinger. Denker und Seelsorger. 51/52 F. Seebaß: Karl Büchsei. Aus den Erinnerungen eines Landgeistlichen. 53/54 J. Weber: Peter Weber. Was eine kleine Kraft vermag. 55/56 H. Bruns: Minna Popken. Eine Ärztin unter Christus. (Fortsetzung auf der 4. Umschlagseite) Band 57/58 H. Bruns: Ernst Modersohn. Ein auserwähltes Werkzeug Gottes. 59/60 A. Pagel: Alfred Christlieb. Beter und Schriftforscher. 61 W. Dicke: Anna von Borries, Die Helferin der Körperbehinderten. 62/63 A. Pagel: Der alte Rahlenbeck. Ohm Michel, Vater Wirths. Wie Gott Originale formt. 64/65 E. Thomson: Traugott Hahn, Ein Märtyrer der baltischen Kirche. 66/67 J. Roessle: Johannes Wesley. Der Vater der methodisti-schen Erweckungsbewegung. 68 C. H. Kurz: Georg Müller. Ein weltweiter Gotteszeuge. 69 A. Stucki: Alexander Vömel, Ein Leben unter Gottes Führung. 70C.H. Kurz: Thomas John Bar-nardo. Ein Leben unter Niemandskindern. 71 H. Steege: Johann Georg Hamann. Ein Prediger in der Wüste. 72/73 E. Fischer-Lindner: Joseph Simsa. Ein Baumeister am Tempel Gottes. 74/75 H. Bruns: Jakob Vetter. Der Gründer der Zeltmission. 76 J. Roessle: Johann Heinrich Volkening u. die Erweckungsbewegung in Minden-Ravensberg. Band 77/78 W. Landgrebe: Ludwig Nommensen. Kampf und Siegeines Sumatra-Missionars. 79/80 A. Pagel: Ernst Gottlieb Woltersdorf, Friedrich Traub. Zwei Frühvollendete. 81/82 H. Bruns: Philipp Jakob Spener. Ein Reformator nach der Reformation. 83 H. Bruns: Pandita Ramabai. Eine indische Christus jüngerin. 84/85 C. H. Kurz: Nicolaus Ludwig Zinzendorf. Bruder unter Brüdern. 86 J. Weber: Johannes Seitz. Ein Künder apostolischer Geisteskräfte. 87/88 W. Herbst: Amalie Sieveking. Dienerin Jesu an Armen und Kranken. 89/90 F. Seebaß: Johann Arndt. Der Kämpfer für das wahre Christentum. 91 F. Schmidt-König: Eduard Graf von Pückler. Ein Ritter Gottes. 92/93 E. Decker: Fritz Binde. Ein Evangelist von Gottes Gnaden. 94/95 A. Pagel: Gerhard Tersteegen, Ein Leben in der Gegenwart Gottes. 96/97 E. Bunke: Johann Hinrich Wiehern. Der Vater der Inneren Mission. 98/99 Bruder Fritz (Fritz Oetzbach). Ein Wunder Gottes. In jedem Band betrachtet man nicht nur den Ablauf eines bedeutenden Lebens, man sieht auch staunend Gottes Wunderwege im Leben der Männer und Frauen, man erkennt die ernsten Führungen und die ausgestreckten Segenshände des Meisters, dessen Eigentum das Leben des einzelnen geworden ist. „Männliche Diakonie" Das ist ein außerordentlich glückliches Unternehmen, die Lebensbilder dieser Zeugen Gottes in so volkstümlicher und plastischer Art darzustellen. Die literarische Verwertung der besten Quellen ist dabei besonders hervorzuheben. Ein wirklicher Dienst zur kirchengeschichtlichen Blickerweiterung und Glaubensstärkung. Sup. Lic. Th. Brandt Die durchweg ausgezeichnet abgefaßten Schriften eignen sich in ganz hervorragendem Maße zur Verwendung im Religionsunterricht, für Konfirmanden- und Jugendstunden, für Männer- und Frauenabende, für die Zurüstung der Helfer und Helferinnen im Gemeindedienst sowie als feine Geburtstags- oder Weihnachtsgabe an verdiente Gemeindeglieder und an unsere Jugend. „Evang. Kirchenbote für die Pfalz“