m P. J. WISEMAN C. B. E. Die Entstehung der Genesis Das erste Buch der Bibel im Licht der archäologischen Forschung VERLAG SONNE UND SCHILD GMBH WUPPERTAL Originaltitel: New Discoveries in Babylonia about Genesis in England bei: Marshall, Morgan & Scott, London in USA bei: Van Kämpen Press, Wheaton, Illinois in Canada bei: Evangelical Publishers, Toronto Deutsch von Erich Rosenbauer Grafik: Elfriede Fulda Gesamtherstellung: Breklumer Druckerei Manfred Siegel Dem deutschen Leser wurde in den letzten Jahren eine Reihe Bücher angeboten, die ein wachsendes Interesse an den Ausgra= bungen im Vorderen Orient erwecken. Das hat darin seinen Grund, daß die Ergebnisse jener Arbeiten nicht selten bisher für selbstverständlich gehaltene Ansichten über die alte Welt korri= giert haben. Von dieser Neuorientierung kann natürlich auch die Sicht über die Entstehung der alttestamentlichen Bücher nicht unberührt bleiben. Im vorliegenden Buch wird der Versuch gemacht, die Entste= hung der Genesis in den Zusammenhang dieser neuen Erkennt= nisse einzuordnen. Die hier vorgetragene These ist in Deutsch= land weithin unbekannt. Sie wird gewiß bei manchem Leser zunächst Erstaunen auslösen. Wie sie aber zu nehmen ist, zeigt sich erst, wenn man noch weitere archäologische Literatur zum Vergleich heranzieht. Die Literaturangaben wurden im Blick auf den deutschen Leser ergänzt und auf den neuesten Stand gebracht. Die neuesten Er= kenntnisse der archäologischen Forschung, die zum Thema wichtig sind, wurden berücksichtigt. Alle Abweichungen der Übersetzung vom Original wurden bis in Einzelheiten hinein entweder auf Vorschlag oder im Einvernehmen mit dem Sohn des Verfassers, Herrn D. ]. Wiseman, Archäologe im Britischen Museum, Lon= don, vorgenommen. Erich Rosenbauer Vorwort VON D. J. WlSEMAN ZUR DEUTSCHEN ÜBERSETZUNG DIESES BüCHES Mit dem wachsenden Interesse an den Ergebnissen der Aus» grabungsarbeiten ist das Alte Testament wieder ganz neu in un» seren Gesichtskreis gerückt worden. Immer mehr Menschen wer» den mit den vielen und erstaunlichen Entdeckungen aus dem alten Orient vertraut. Daher ist es selbstverständlich, daß viele die Frage bewegt, ob dadurch nicht neues Licht auf das Verständ» nis des Alten Testamentes fällt, das heißt auf die in ihm genann» ten Völker mit ihren verschiedenen Sitten und Sprachen. In den letzten Jahren sind darum eine ganze Reihe Bücher erschienen, die deutlich machen, wieviele außerbiblische Quellen man für das Verständnis der Heiligen Schrift fruchtbar machen kann. Neben den vielen allgemeinverständlichen Werken, deren Wert natürlich verschieden ist — er ist schon dadurch begrenzt, daß der breiteren Öffentlichkeit meist nur schon weiter zurück» liegende und durch das rasch anwachsende Material überholte Ergebnisse dargeboten werden können —, sind vor allem die Bücher von Professor J. B. Pritchard zu nennen: „The Ancient Near Eastern Texts relating to the Old Testament" (2. Auflage 1955) und „The Ancient Near East in Pictures relating to the Old Testament" (1955). Sie werden gewiß für viele Jahre Stan» dardwerke bleiben. Zur Aufhellung der literarischen Probleme des Pentateuch und besonders der Genesis sind die neuen Entdeckungen jedoch noch nicht herangezogen worden, obwohl die neuaufgcfundenen Roh len vom Toten Meer die Aufmerksamkeit der ganzen Welt wieder auf den Bibeltext gelenkt haben. Viele Tausende von Tontäfelchen aus Babylonien geben uns nunmehr ein recht umfassendes Bild von der Zeit, die uns aus den ersten Kapiteln der Genesis be= kannt ist. Im Licht dieser alten Textzeugen erweisen sich die bib= lischen Berichte der Patriarchen als getreue Darstellungen ihrer Umwelt. Forscher, wie S. M. Kramer, haben auf die vielen Par= allelen hingewiesen, die es zwischen der frühesten sumerischen Literatur — sie stammt aus der Zeit vor 2000 v. Chr. — und den Anfangskapiteln der Genesis gibt. Sein Buch: „From the Tablets of Sumer" (1956) führt uns in noch völlig unbekannte Gebiete ein und eröffnet eine neue Forschungsperiode, in der man vor allem versuchen wird, noch mehr Licht als bisher auf das dritte Jahrtausend vor Christus zu bringen. Während die Archäologen sich immer weiter in die Vergan= genheit zurückarbeiten und auch schon eine ganze Reihe über= raschender Ergebnisse vorlegen können, bemüht sich zur gleichen Zeit eine theologische Schulrichtung in Skandinavien, eine Theo= rie aus dem letzten Jahrhundert wieder zu beleben, nach der für die Überlieferung der frühhebräischen Berichte die mündliche Tradition die Hauptrolle gespielt hat — eine Sicht, die von Assy= riologen aufs entschiedenste abgelehnt wird, weil sie aus ihren alten Texten sehen, was im Zweistromland jener Zeit alles schriftlich fixiert wurde. Die Hypothese der mündlichen Tradition verliert immer mehr an Wahrscheinlichkeit. Diese neuen Erkenntnisse wirken sich selbstverständlich auch auf die Frage nach der Entstehung und Datierung der ersten Bücher der Bibel — und besonders der Genesis — aus. Die bisher gebotenen Lösungsversuche über die Quellen der biblischen Texte beruhen auf Voraussetzungen, die heute überholt sind. Wir können gar nicht mehr an der Tatsache vorüber, daß die heute allerdings noch weithin vorherrschende Sicht über die Entstehung der biblischen Bücher einer Prüfung unterzogen werden muß. Das ist nun im vorliegenden Buch geschehen. Es stellt einen ersten Versuch dar, unsere wachsenden Erkenntnisse über die literarischen Gewohnheiten aus der Zeit der Patriarchen mit den Angaben der Bibel zu vergleichen. Mein Vater hat die bisher vorgetragenen Gedanken zum ersten Mal im Jahre 1936 ver= öffentlicht. Seither ist auf dem Gebiet der archäologischen For= schung natürlich allerhand geschehen. Aber es ist nichts gefun= den worden, was seiner Grundthese widerspräche. Darum wird man je länger desto weniger daran vorüber können, sich ernst= haft mit ihr auseinanderzusetzen. D. J. Wiseman Zur Einführung.............................................. 5 Vorwort..................................................... 6 Kapitel 1 Einleitung..................................................11 Kapitel 2 Ausgrabungen im Lande der Genesis...........................16 Kapitel 3 Die frühgeschichtliche Entwicklung..........................31 Kapitel 4 Die Schreibmethoden vor 5000 Jahren.........................38 Kapitel 5 Der Schlüssel zur Erklärung der Genesis .... 49 Kapitel 6 Das Alter der Genesis.......................................63 Kapitel 7 Wer schrieb die Originaltexte?..............................74 Kapitel 8 Die erste Genesisausgabe....................................84 Kapitel 9 Übersicht über die Geschichte der Kritik .... 95 Kapitel 10 Kritik an der Kritik.......................................102 Kapitel ii Die Genesis und die Kritik...............................107 Kapitel 12 Die Gottesnamen in der Genesis...........................114 Kapitel 13 Was will die Literarkritik?..............................125 Kapitel 14 Bibel und Babel..........................................131 Kapitel 15 Das neue Testament und die Genesis.......................135 Kapitel 16 Jesus Christus und die Genesis...........................139 Kapitel 17 Zusammenfassung..........................................144 gegenüber der Seite Kolophon eines Keilschrifttäfelchens..........................48 Umschrift eines Kolophons.....................................49 Steintäfelchen in natürlicher Größe.........................64 Siegelzylinder................................................64 Täfelchen aus dem babylonischen Flutbericht ... 65 Die Originale der oben angeführten Fotos wurden mit freund= licher Genehmigung vom Britischen Museum in London zur Ver= fügung gestellt. Kapitel 1 Einleitung Das vorliegende Buch wurde in Babylonien geschrieben, im Lande der Genesis, wo ich lange Jahre hindurch tätig war und Gelegenheit hatte, mich intensiv mit den dortigen Ausgrabungen und mit der Genesis zu beschäftigen. Es soll einen Beitrag dazu liefern, die so wichtige und umstrittene Frage zu klären, wie die» ses erste Buch der Bibel entstanden ist. Auf dieses Problem fällt nämlich völlig neues Licht, wenn man die Genesis im Zusammen» hang mit der Umwelt, aus der sie kommt, erforscht, und zwar unter Berücksichtigung der vielen neuen Erkennmisse der archäo» logischen Forschung. Es soll hier darum gehen, so einfach und klar wie möglich zu zeigen, was die Genesis selbst über ihren Ursprung und Aufbau zu sagen hat. Ich kann mir denken, daß hier schon mancher über» rascht aufhorcht. Die Genesis selbst soll Angaben enthalten, die erkennen lassen, wie sie ursprünglich niedergeschrieben wurde? Danach haben doch in den letzten zwei Jahrhunderten ganze Ge» nerationen von Wissenschaftlern gesucht und haben nichts ge» funden. Die vielen Hypothesen, die die Entstehung der Genesis erklären sollen, sind doch gerade darum entwickelt worden, weil man im Text selbst keine klaren Hinweise darauf gefunden hatte. Trotzdem glaube ich mit gutem Recht, meine Aussage stehen» lassen zu können. Wie wichtig die Klärung dieser Frage ist, braucht kaum betont zu werden. Es handelt sich ja um das erste Buch der Bibel, das die Grundlage bildet für alles, worauf später im Alten und im Neuen Testament aufgebaut wird. Es gibt kein Dokument aus dem Altertum, das sich in seiner Bedeutung auch nur entfernt mit der Genesis messen könnte. Hier soll ein neuer Weg beschriften werden, die literarische Struktur der Genesis zu erklären. Die Anregungen dazu kamen während einer eingehenden Beschäftigung mit den Funden, die die Wissenschaft des Spatens uns in den letzten Jahren vorgelegt hat. Ich habe selbst mehrere Jahre in Babylonien verbracht, be= suchte häufig die verschiedenen Ausgrabungen an den histori= sehen Stätten und war in ständiger Berührung mit den neuesten Entdeckungen. Umgeben von den Zeugen aus jener alten Zeit, befaßte ich mich auch intensiv mit der Genesis. Ich tat es nicht mit der Absicht, eine neue Lösung für ihren literarischen Aufbau zu entdecken, sondern wollte nur die Archäologie und Geographie dieses Landes im Vergleich mit der Bibel plastischer werden lassen. Bei dieser Arbeit wurde mir aber auch der Schlüssel zum lite= rarischen Aufbau der Genesis zusehends klarer. Ich stellte näm= lieh fest, daß sie durchaus Angaben über ihre Enstehung machen kann, wenn wir sie im Licht der neuen Erkenntnisse reden lassen, die wir jetzt über die literarischen Gewohnheiten der patriarchali= sehen Zeit haben. Wie es scheint, ist dieser Schlüssel bisher ein= fach unerkannt geblieben. Die bekannten Theorien haben sich alle als unfähig erwiesen, den Zugang zur literarischen Struktur des Buches zu zeigen. Hier geht es nun um eine völlig andere Er= klärung. Für einen Leser, der die Diskussion über die Genesis= Probleme kennt, mag sie überraschend klingen. Aber ich bin da= von überzeugt, daß sie die genannten Fragen auf eine sachgemäße Weise löst: Die Genesis wurde ursprünglich auf Tontäfelchen nieder geschrieben, und zwar von den Patriarchen, die in unmittel= barer Beziehung zu den berichteten Geschehnissen standen und deren Namen deutlich angegeben sind. Mose, der das Buch in der uns heute bekannten Form zusammenstellte und herausgab, macht außerdem direkt auf die Quellen seiner In= formation aufmerksam. Eine solche Behauptung muß natürlich entsprechend begründet werden. Vom Leser erwartet sie eine sorgfältige Auseinander Setzung mit den Tatsachen, auf die der Beweis aufgebaut ist. Wer diese eingehend prüft, wird erkennen, daß die genannte These starke Argumente für sich hat. Sie ergibt sich aus dem Vergleich der Funde und ist durch so viele unbeabsichtigte Übereinstinr mungen belegt, daß nahezu alle kritischen Schwierigkeiten hin= sichtlich der literarischen Struktur der Genesis verschwinden. Bis zum Anfang des letzten Jahrhunderts enthielten die älte= sten Teile des Alten Testamentes die einzig bekannte Darstellung der Geschichte aus der Zeit vor 1000 vor Christus. Die altbabylo* nischen Aufzeichnungen waren noch nicht entdeckt. Sie lagen noch begraben unter Trümmern und Ruinen und waren über Jahrtausende hinweg unserer Kenntnis entzogen. Gerade weil die ältesten Bücher der Bibel alleinstanden und als einzige den An= Spruch erhoben, Jahrhunderte früher geschrieben zu sein als irgendein damals bekanntes Werk der Weltliteratur, bemühte sich die Kritik des letzten Jahrhunderts zu beweisen, daß sie viel später geschrieben sein mußten als zu der Zeit, in der Moses ge= lebt hat. Da aber sowohl die konservative wie auch die kritische Forschung von der Vorstellung ausging, die Ausübung der Schreibkunst sei zur patriarchalischen Zeit nicht üblich oder vielleicht noch gar nicht bekannt gewesen, nahmen beide Parteien an, der Inhalt der Genesis sei durch mündliche Tradition überliefert worden. Im folgenden werden wir uns beständig auf die Archäologie beziehen. Das scheint uns dringend notwendig geworden zu sein. Bisher wurde nämlich die Genesis immer nur mit modernen Augen angesehen, ohne daß man die Umwelt berücksichtigte, in der sie entstanden ist. Das hat zu schweren Fehlschlüssen geführt, wie sie in der Literarkritik deutlich werden. Auf ihre Theorien werden wir darum auch immer wieder eingehen müssen. Die Kritik hat zwar häufig auf zweifellos bestehende stilistische Eigentümlichkeiten der Texte hingewiesen; diese Beobachtungen wurden aber leider zu Hypothesen verarbeitet, die den Angaben des Textes und den modernen Entdeckungen direkt widersprechen. Da in der allgemeinen theologischen Forschung die „Quellern Scheidung" weithin als die Methode angesehen wird, nach der man den literarischen Aufbau der Genesis erklären zu können glaubt, werden wir auch sie kritisch prüfen müssen. Bei der Be= schäftigung mit den neuerdings bekanntgewordenen Tatsachen kommt man zu der Überzeugung, daß die erwähnten Hypothesen nie entwickelt worden wären, wenn die Wissenschaftler jener Zeit die archäologischen Kennmisse besessen hätten, die wir heute haben. Wer sich mit ihnen auseinandersetzt, wird mit mir der Meinung sein, daß es jetzt unbedingt an der Zeit ist, die Ge= nesis im Licht der archäologischen Forschungen neu zu würdigen, zumal die kritischen Theorien in einem Jahrhundert entstanden sind, in dem man von dem Leben der Patriarchen noch sehr wenig wußte. Aus diesen Gründen sehen wir die Archäologie als unseren vornehmsten Zeugen an. Wer sollte uns auch besser über die wahren Verhältnisse der damaligen Zeit unterrichten können als sie? Natürlich können wir hier nicht die ganze Fülle ihrer Ergeb= nisse verwerten. Was uns besonders interessiert, ist die Frage nach dem Alter der Schreibkunst und nach den damals üblichen literarischen Gewohnheiten. Dafür gilt es zunächst, die Funde zusammenzutragen, an denen man Beobachtungen zur Klärung dieser Fragen anstellen kann. Diese müssen wir mit den Angaben der Genesis vergleichen. Wenn wir dann die Erkenntnisse der Archäologie und die Ergebnisse der literarkritischen Forschung einander gegenüberstellen, wird jeder aufmerksame Leser selbst erkennen, welche Lösung der Genesisprobleme mehr Wahrschein= lichkeit für sich hat. Es geht hier ja um die Erforschung der Wahrheit. Ihr gegen= über sind wir verpflichtet, so sachgemäß wie möglich zu sein. Dogmatische Voreingenommenheiten können uns nur hindern, der Wahrheit ins Auge zu sehen. Da alle bisher vorgeschlagenen Lösungen des gestellten Problems nur Hypothesen sind, wäre nichts schädlicher, als sich vorzeitig und einseitig festzulegen. Wir müssen offen bleiben für jeden neuen Hinweis, der weiter= führen kann. Ich bin mir darüber im klaren, daß meine Auffassung mit den in der historisch=kritischen Forschung1) entwickelten Arbeits= hypothesen (Quellenscheidung1)) nicht übereinstimmt. Da sie sich aber nach meiner Überzeugung aus Tatsachen ableitet, die nicht zu bestreiten sind, fühle ich mich verpflichtet, sie auch der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. *) Mit den Ausdrücken „historisch=kritische Forschung" und „Quellen* Scheidung" (englisch: "Higher Criticism ") wird in diesem Buch der Zweig der theologischen Forschung gekennzeichnet, auf den die herr= sehende Sicht über die Entstehung der Genesis mit der relativ späten Datierung dieses Buches zurückgeht. Mit der hier vorgetragenen Ab* lehnung der Quellenscheidung soll nicht geleugnet werden, daß in den vergangenen zwei Jahrhunderten theologischer Forschung nicht auch manche wertvolle Arbeit geleistet worden ist. Um dem Leser zu helfen, so objektiv wie möglich zu sein, möchte ich zum Schluß noch folgendes zu bedenken geben: Eine kritische Theorie über die Bibel hat es immer leichter, Anhänger zu finden, als eine positive, aufbauende These. Das liegt nicht nur daran, daß man überhaupt leichter Mißtrauen erwecken kann als Zutrauen, sondern ist vor allem im Wesen der Bibel selbst begründet. Da man aber in der Theologie schlechterdings nicht immer nur das als wissenschaftlich ansehen kann, was einreißt und zerstört — es ist doch leider allzu wahr, daß sich mit dem Begriff „Kritische Theologie" im allgemeinen Verständnis eine destruktive Arbeit an der Bibel verbindet —, sollte man diesen Faktor auch bei der Lektüre dieses Buches nicht aus dem Auge lassen. Kapitel 2 Ausgrabungen im Lande der Genesis Das größte öffentliche Interesse wurde in den vergangenen Jahrzehnten zweifellos den Entdeckungen in Babylonien ent= gegengebracht, die in irgendeiner Beziehung zur Bibel standen. In der ersten Zeit der Ausgrabungen war es geradezu eine Sensa= tion, wenn ein Palast gefunden wurde, der einem in der Bibel erwähnten König gehörte, oder eine Inschrift, die alttestament= liehe Parallelen hatte. Noch bis heute werden die Ausgrabungs* arbeiten von Ur in Chaldäa in der Öffentlichkeit mit weit größe= rer Anteilnahme verfolgt als die der noch älteren Stadt Kisch. Für Kisch, das keine direkten Beziehungen zur Bibel hat, interessier ren sich fast nur die Archäologen. Erst gegen die Mitte des letzten Jahrhunderts traten die Rui= nenhügel Mesopotamiens ins Blickfeld der Forschung. Bis dahin waren die langen, unregelmäßig geformten Schuttberge un= gestörte Grabhügel, die die Überreste einer längst vergangenen Kultur bargen. Die Araber benutzten sie, um ihre schwarzen Ziegenhaarzelte darauf zu errichten. Für das, was unter der Ober= fläche lag, die sie mit ihren primitiven Pflügen aufrissen, zeigten sie wenig Interesse. Diese Hügel waren damals die noch einzig sichtbaren Reste der einst so mächtigen Städte Ur, Erech und Kalneh „im Lande Schinear" und von Assur, Ninive und Kalah „im Lande Assur". Der Sand hat die Ruinen im Laufe der Zeit so vollständig zugedeckt, daß sie noch vor hundert Jahren für ge= wohnliche Bodenerhebungen gehalten werden konnten. Und die Sanddecke auf ihnen war so eintönig wie die Wüste um sie her. Teilweise waren die Flanken dieser Hügel von Regenbächen zer= furcht, so daß manchmal Stücke zerbrochenen Geschirrs und Ton= täfelchen zum Vorschein kamen, auf denen in keilförmigen Ein= drücken merkwürdige Muster zu sehen waren. In Ägypten sind die großen Denkmäler der Pharaonen — die Pyramiden, Tempel und Paläste — längst nicht in dem Maße vom Flugsand der Wüste zugedeckt worden; sie sind wenigstens noch teilweile sichtbar. Mesopotamien dagegen wurde zu einem einzig= artigen Friedhof toter Städte. Diese Städte waren aber nicht nur begraben, sie waren auch vergessen. Man wußte noch nicht ein= mal, wo man sie hätte suchen sollen. Und die dort seßhaften Araber — von Ausnahmen abgesehen — hatten nicht mehr Ahnung von dem, was unter ihren Füßen begraben lag, als die Schafe, die von der dünnen Grasdecke ihr karges Futter suchten. So gut verstanden es die Hügel, ihr Geheimnis zu verbergen. Wie die Propheten Judas es geweissagt hatten, sind „ihre Städte zur Wüste und zu einem dürren, öden Lande geworden, zu einem Lande, darin niemand wohnt und darin kein Mensch wandelt" (Jer. 51, 43). Und wie viele Hügel gibt es heute noch, von deren Schicksal wir keine Ahnung haben. Noch vor kurzem hielten einige bekannte Archäologen einen Schuttberg, den sie mehrere Male durchsucht hatten, für eine unbekannte Ruine, ohne zu ahnen, daß es sich um die Überreste einer historischen Stätte handelte. Um den Rahmen dieses Buches nicht zu sprengen, wollen wir uns in unserem kurzen Überblick über die Ausgrabungen auf die Gebiete beschränken, die in den ersten Kapiteln der Genesis ge= nannt werden, auf „Schinear und „Assur". Bis vor einiger Zeit nannte man diese Länder noch mit ihrem alten Namen Mesopotamien („das Land zwischen den Strömen"). Sie umfassen das Staatsgebiet des heutigen Irak. Der im Süden gelegene Landstrich Babylonien wurde ganz früher auch das „Land Sumer" genannt; der nördliche Teil Assyrien dagegen „Akkad". Es handelt sich um ein Gebiet, das sich in rund 1000 km Länge von den kurdischen Bergen im Norden bis zum Persi= sehen Golf im Süden erstreckt und rund 400 km breit ist. Im Osten ist es begrenzt von den persischen oder iranischen Bergen, und im Westen berührt es die arabische Wüste. Das Land ist völlig eben.. Nur die zwei Ströme Euphrat und Tigris unterbrechen seine Eintönigkeit. Hier ist das Land, in dem die Wiege der Menschheit stand. Hier wurden durch die Ausgrabungen Funde freigelegt, die auf die Anfänge der menschlichen Geschichte zurückweisen. Hier wurden 2 Wiseman, Genejis 17 auch die ältesten schriftlichen Aufzeichnungen entdeckt. Es ist der Geburtsort der menschlichen Zivilisation1). In den vergangenen Jahrhunderten haben viele Reisende die begrabenen Städte als gewöhnliche Hügel angesehen. Das ist nur allzu verständlich. Auch geübten Augen fällt es schwer, sich hier zurechtzufinden. In alten Reiseberichten sind zwar schon Be= Schreibungen, z. B. von Babylon, zu finden. Jedoch scheinen viele dieser Schreiber ganz andere Hügel beschrieben zu haben als die, unter denen die Trümmer Babels wirklich begraben liegen. Benjamin von Tudela, ein spanischer Jude, besuchte Mesopota= mien im 17. Jahrhundert. Nach seinen Angaben waren die Ruinen von Babylon „für den Menschen unzugänglich wegen der vielen Giftschlangen und Skorpione, die sich dort finden" (Itinerarium Seite 70). Marco Polo ist an den Ruinen vorübergegangen, ohne sie er= kannt zu haben. Nach De Beauchamps Angaben, der zwischen 1780 und 1790 das Land zweimal bereiste, sollen die Araber ge= wußt haben, wo Babylon zu suchen war. Er beschreibt die Gegend und spricht von den Ruinen der Stadt, die „genau unter dem Hügel liegt, den die Araber Babel nennen". Sir Anthony Shirley kam Ende des 17. Jahrhunderts nach Mesopotamien. In seiner Beschreibung Ninives heißt es: „Von dieser großen Stadt, wie Gott selbst sie genannt hat, ist nicht ein Stein auf dem andern geblieben; nichts mehr erinnert daran, daß hier überhaupt einmal eine Stadt gestanden hat." Tavernier besuchte 1644 die Stadt Mosul, beschrieb dieselben Ruinen und nannte sie „eine unförmige Masse zerstörter Häuser, die sich über einen Kilometer am Fluß entlang zieht. Man kann nur noch eine große Zahl Backsteingewölbe und Mauerhöhlen erkennen, die alle unbewohnt sind." Zwar wurden schon am Anfang des letzten Jahrhunderts die ersten Versuche unternommen, das Geheimnis dieser Hügel zu enthüllen. Die eigentlichen Ausgrabungen begannen aber erst um 1842. Für schriftliche Aufzeichnungen interessierte man sich aber auch da noch nicht; es konnte sie ja doch niemand lesen. Und die wenigen Wissenschaftler, die sich um die Entzifferung der Keil= ') Vgl. H. Frankfort: "The Birth of Civilization in the Ancient Near East" (1951). schrifttexte bemühten, waren sich noch längst nicht einig, nach welcher Methode man dieses mühsame Zusammensetzspiel hand* haben sollte. Ganz offen gesagt ging es in jener Zeit der Ausgrabungen nur sehr wenig um Altertumsforschung. Man suchte vielmehr nach Skulpturen und Sehenswürdigkeiten, um die Museen in London und Paris damit zu schmücken. Als erster wirklicher Forscher auf diesem Gebiet begegnet uns Claudius James Rieh. Er lernte schon als Kind sehr leicht onen* talische Sprachen und kam mit 16 Jahren als Kadett in den Dienst der Ost=India=Company. Mit 21 Jahren übernahm er deren Nie= derlassung in Bagdad. Jeden Augenblick seiner dienstfreien Zeit verwandte er für seine historischen Forschungen. Im Dezember 1811 besuchte er Babylon. In seiner Beschreibung der Stadt er* wähnte er neben anderem die Backsteindiebe, die Nebukadnezars Ziegelsteine wegschleppten, um sich daraus Häuser zu bauen. Die Ost=India=Company ersuchte ihn daraufhin, einige dieser Steine und auch Keilschriftproben nach England zu schicken. Der Inhalt der von ihm übersandten Kisten war für lange Zeit der einzige Besitz des Britischen Museums an babylonischen Altertümern. Rieh starb 1821 an Cholera, erst 34 Jahre alt. Nach ihm interessierte sich lange Zeit niemand mehr für die vielen Hügel in Mesopotamien. Erst gegen 1842 sandte Frank* reich Paul Emil Botta als Konsul nach Mosul. Ihm war es ver* gönnt, das Interesse der Welt auf das Zweistromland lenken zu dürfen. Er wußte, daß auf dem Ostufer des Tigris, Mosul gegen* über, die Ruinen von Ninive liegen mußten. Zwei Hügel fielen ihm besonders auf. Der südlicher gelegene, Nebi Junus genannt (d. h. Prophet Jonas), hatte es ihm besonders angetan. Auf der höchsten Stelle dieses Hügels befand sich aber ein kleines Dorf mit einer Moschee. Nach Angaben der Araber sollte sich in ihr das Grab des Jonas befinden. Leider verweigerten ihm jedoch die Haus* und Grundstücksbesitzer die Erlaubnis, dort zu graben, oder aber sie verlangten so hohe Summen, daß er von seinem Plan Abstand nehmen mußte. Er war gezwungen, sich auf den nördlichen Hügel Kujundschik zu beschränken. Aber seine Gra* bungen dort blieben ohne Erfolg. Eines Tages kam ein Bauer aus Khorsabad, gut 40 km nördlich von Ninive, an der Stelle vorüber, wo Botta nach „bebilderten Steinen" suchte. Er wußte zu berich= ten, daß in seinem Dorf eine ganze Menge davon zu finden sei. Zunächst gab der Franzose nichts auf seine Worte, weil er schon oftmals von den Arabern enttäuscht worden war, die gern Träger guter Nachrichten sind. Als er aber mehrere Monate lang erfolg= los in Ninive gegraben hatte, schickte er, um nichts unversucht zu lassen, dennoch einige Arbeiter in das erwähnte Dorf. Kaum hat= ten diese dort zu graben angefangen, als sie auch schon auf Bas= Reliefs und Inschriften stießen. Ein assyrischer Palast war ent= deckt worden. Sobald diese Nachricht nach Paris kam, entstand eine solche Welle der Begeisterung, daß man sofort Sammlungen veranstaltete und das Geld Botta zur Verfügung stellte. Damit konnten die Arbeiten weitergeführt werden. Gegen 1844 waren schon etliche Räume freigelegt. Es stellte sich heraus, daß es sich um den Palast Sargon II. handelte. Von diesem Assyrerkönig hören wir in Jes. 20,1. Dort wird von ihm gesagt, daß er seinen Oberbefehlshaber nach Asdod geschickt habe. Zusammen mit diesem Oberbefehlshaber ist Sargon auf einem wunderbar in Alabaster gearbeiteten Wandrelief zu sehen, das Botta ebenfalls freigelegt hat. Der Nachfolger von Botta, Victor Place, übernahm 1851 das Konsulat von Mosul und führte die Ausgrabungen in Khorsabad weiter. Er legte in den folgenden 4 Jahren den ganzen Sargons= palast frei. Abgesehen von der Stelle in Jes. 20,1 war über diesen Herrscher praktisch nichts bekannt. Heute kann jeder durch die Räume gehen, die Sargon bewohnt hat, und nach 2500 Jahren eine in Stein gehauene Statue bewundern, die ihn darstellt. Viele der von ihm entdeckten Skulpturen und Inschriften hatte Place zusammen mit Funden aus Babylon in 68 Kisten verpackt und auf einem Floß den Tigris hinunter auf die Reise nach Paris ge= schickt. Bevor aber das Floß den Zusammenfluß von Euphrat und Tigris erreicht hatte, brach es auseinander, und die ganze kostbare Ladung ging verloren. An den Ausgrabungen im assyrischen Raum beteiligte sich vor allem der Engländer Austen Henry Layard. Für den Mitt= leren Osten hatte er sich schon seit seiner Jugend interessiert. Er mußte aber erst noch 6 Jahre bei einem Rechtsanwalt in London verbringen, ehe er seine Stellung kündigen und nach Konstantin nopel gehen konnte. Dort hoffte er, Angestellter an der Britischen Botschaft zu werden. 1839 begann er das damals langwierige und gefährliche Unternehmen, auf Dienstwegen den Orient zu be= reisen. Im Jahre 1840 besuchte er so auf einer Reise nach Persien Ninive, wo er auf seinem Rückweg 1842 Botta traf. Doch seine Wünsche erfüllten sich erst 1845, als er anstatt einer Anstellung in der Botschaft — von Sir Stratford Canning, dem britischen Botschafter in Konstantinopel, einen Betrag von £ 50 für archäologische Forschungen erhielt. Zu dieser Summe fügte er noch seine eigenen Ersparnisse hinzu, fuhr, ohne ein Wort von seinen Plänen gesagt zu haben, sofort nach Mosul und begann zu arbeiten. Mit nur sechs Arbeitern zog er auf dem Ostufer des Tigris 35 km stromabwärts zu einem Hügel mit Na= men Nimrud, dem alten Kalah aus Genesis 10. Schon am ersten Arbeitstag wurde ein assyrischer Palast entdeckt. Am dritten Tag fand man zahlreiche Fragmente von Keilschrifttäfelchen, für die sich Layard aber weniger interessierte, da er sie nicht entziffern konnte. Eines Tages, als Layard bei den Arbeiten nicht zugegen war, sah er zwei berittene Araber in höchster Geschwindigkeit auf sich zueilen. Aufgeregt vor Begeisterung schrien sie ihm zu: „Komm schnell, o Bey, komm schnell zu den Arbeitern; sie haben Nim= rud gefunden. Es ist wahr, wir haben ihn mit unseren eigenen Augen gesehen." Man hatte einen großen geflügelten Löwen mit Menschenkopf entdeckt, der jetzt im Britischen Museum zu sehen ist. Es verging kaum ein Tag, an dem nicht ein wertvoller Gegenstand freigelegt wurde. Einmal hatten sie einen zwanzig Meter langen Graben gezogen und nichts dabei gefunden. Layard wollte die Arbeiten an dieser Stelle schon abbrechen, als ein Arbeiter auf einen schwarzen Marmorblock stieß: Damit war der berühmte Obelisk Salmanassar III. entdeckt worden, der die Worte enthält: „Ich erhielt Tribut von Jehu, dem Israeliten, Silber und Gold etc.". Die ganze Welt horchte auf, als Kolonel Rawlinson in Bagdad die Stelle entziffert hatte, die auf den König von Israel Bezug nimmt. — In den Jahren 1849—1851 führte Layard dann noch eine zweite Expedition durch. Sie war so erfolgreich, daß er Hun= derte von Kisten kaufen mußte, um wenigstens einen Teil der entdeckten Schätze nach London ins Britische Museum schaffen zu können. Layard hatte einen einheimischen Gehilfen aus Mosul ange= worben, Hormuzd Rassam, der schon zwei Jahre später eine eigene Expedition unternahm. Da er in Nimrud nur wenig Erfolg hatte, wandte er sich dem Hügel Kujundschik in Ninive zu. Dort entdeckte er den Palast Assurbanipals und in der Wand eines seiner Räume ein Bas=Relief. Es zeigt den König auf seinem Jagd= wagen stehend, um ihn her seine Diener, die ihm die Waffen für die Jagd reichen. Aber damit nicht genug: Rassam fand auch die ungeheure Bibliothek des Königs mit Zehntausenden von Täfel= chen, von denen leider viele zerbrochen und verbrannt waren. Assurbanipal scheint ein leidenschaftlicher Sammler alter Keil= schrifttexte gewesen zu sein. Jedenfalls rühmt er sich dessen. So= gar zu weit entfernten Städten soll er seine Schreiber geschickt haben mit dem Auftrag, deren bedeutsamste Aufzeichnungen zu kop:eren. Einige dieser Texte hatten damals schon Altertumswert. Die von Rassam gefundenen Täfelchen wurden leider ohne die gebührende Sorgfalt in Kisten verpackt und an das Britische Mu= seum geschickt. Es waren so viele, daß sie von den wenigen Keil= Schriftkennern gar nicht durchgesehen werden konnten. Jahrelang lagen diese Täfelchen im Keller des Museums, ehe man entdeckte, daß sich unter ihnen auch Assurbanipals Kopien des baby= Ionischen Schöpfungs* und Flutberichtes befanden. Erst zwanzig Jahre später wurden sie von George Smith erkannt — und mit einem Schlag berühmt. Alle diese Entdeckungen waren im Norden Mesopotamiens, in Assyrien gemacht worden. Für das südliche Babylonien interes= sierte man sich damals noch nicht so sehr. Kolonel Rawlinson hatte 1849 Ur in Chaldäa besucht, und J. E. Taylor war fünf Jahre später dort gewesen. Rawlinson grub auch in späteren Jahren in Babylon und Birs Nimrud1), hatte aber keinen nennenswerten Erfolg. Auch Loftus sah sich diese und andere Grabungsstätten an, doch konnte er wegen der drohenden Haltung der Araber ‘) Die Ausgrabungen in Nimrud sind seit 1949 durch eine britische Expedition wieder aufgenommen worden und stehen unter der Lei= tung von Professor M. E. L. Mallowan (vgl. M. E. L. Mallowan: "Twenty-five Years of Mesopotamian Discovery" (1956). nichts unternehmen. Im Jahre 1878 trieb Rassam Gräben in die Hügel von Babylon. Seine Ausgrabungen hatten aber längst nicht den Erfolg wie die in Assyrien. Daher ist es verständlich, daß sich die Aufmerksamkeit der Archäologen erneut Ninive zuwandte. George Smith begann seine Laufbahn im Britischen Museum. Zu seiner Zeit war es noch ungeheuer schwierig, Keilschrifttexte zu entziffern. In unermüdlicher Arbeit gewann er aber immer mehr Sicherheit und wurde bald der fähigste der damals bekann* ten Übersetzer. Die Fluttäfelchen, die fast zwanzig Jahre vorher aufgefunden worden waren, erkannte und entzifferte er während seiner Tätigkeit im Britischen Museum und veröffentlichte seine Entdeckung im Dezember 1872 in einem Vortrag vor der Ge= Seilschaft für biblische Archäologie. Diese Veröffentlichung erregte ein solches Interesse, daß ihm der „Daily Telegraph" 1873 £ x 000 zur Verfügung stellte, um in Ninive die fehlenden Täfel= chen zu suchen und die Forschung noch weiter voranzutreiben. In Ninive angekommen, brauchte Smith nur den Staub von eini* gen Täfelchen zu wischen, um zu erkennen, daß er das, was er suchte, gefunden hatte. Er fuhr nach England zurück und startete im November des gleichen Jahres zu einer zweiten Expedition, weil die Grabungserlaubnis der türkischen Regierung nur noch 4 Monate gültig war. Trotz großer Schwierigkeiten arbeitete er unermüdlich und grub noch eine Menge beschriebener Tontäfel* chen aus. Er war besonders auf der Suche nach solchen Texten, die ein Licht auf die Erklärung des Alten Testamentes und besonders auf die Genesis warfen. Im März 1876 finden wir ihn schon wie* der auf dem Wege nach Ninive. Intensive Ausgrabungen konnte er aber dort nicht mehr unternehmen, da unter der Bevölkerung die Cholera ausgebrochen war. Ohne Rücksicht auf die klimati* sehen Gefahren des Landes setzte er sich der glühenden Mittags* hitze aus, zuweilen ohne etwas im Magen zu haben, und mußte dann doch ohne Erfolg den Rückweg nach London antreten. Die Enttäuschung über diesen Mißerfolg hat er nicht mehr verwinden können. Er kam nur bis Aleppo, wo er am 19. August 1876 starb. Als einer der erfolgreichsten Archäologen Englands hat er Un* geheures für die Wissenschaft geleistet. Die Amerikaner beteiligten sich erst seit 1888 an den Ausgra* bungen in Babylonien. In diesem Jahr setzten sie ihre Spaten an den Hügel Nippur an, wie die Araber das Kalneh aus Genesis 10 nennen. Sie gruben nach einem bestimmten Plan und führten ihre Arbeit trotz heftigen Widerstandes bis zum Beginn des ersten Weltkrieges fort. Aus diesem Hügel sind Tausende von Täfelchen zutage gefördert worden. Ihre Texte, von denen viele erst in den letzten Jahren veröffentlicht wurden, sind teilweise außerordent-lieh wertvoll. Was auf diese Weise in der zweiten Hälfte des letzten Jahr* hunderts der Vergessenheit entrissen worden ist, hat mit Recht in der ganzen Welt große Aufmerksamkeit erregt. Und doch stamm= ten alle Funde noch aus einer verhältnismäßig späten Zeit. Kaum einige reichten bis auf Moses zurück, und schon gar keine in die Zeit, von der die ersten Kapitel der Genesis berichten. Um die Jahrhundertwende kam dann der Kodex Hammurabi in unseren Besitz. Er machte uns mit den Gesetzen bekannt, die zur Zeit Abrahams gültig waren. Über das, was sich in den Jahrhunderten davor zugetragen hatte, konnten die Archäologen allerdings nur Vermutungen anstellen. Sichere Anhaltspunkte waren nicht bekannt. Mittlerweile haben uns die Entdeckungen der letzten Jahre mit einigen ganz erstaunlichen und bedeutsamen Tatsachen vertraut gemacht, die sich gerade auf die Zeit beziehen, von der die ersten Seiten der Genesis berichten. Heute geht es daher der Archäologie besonders darum, diejenigen Orte und Schichten zu erforschen, die in die Anfänge des Genesiszeitalters (3500 bis 2000 v. Chr.) zurückreichen. Im Jahre 1922 begann Dr. (später Sir Leonard Woolley vom Britischen Museum in Zusammenarbeit mit der Universität von Pennsylvanien die systematische Ausgrabung von Ur in Chaldäa. Schon vom ersten Tage an erkannte dieser erfahrene Archäologe, daß er Funde aus einer ganz alten und außerordentlich hohen Kultur vor sich hatte. Im Jahre 1923 hatte ich selbst Gelegenheit, diesen Ausgrabungen beizuwohnen. Tausende von Tonnen Erde wurden bewegt, um die große Ziggurath freizulegen, den riesigen Tempelturm, der schon 250 Jahre vor Abraham gebaut worden war. Aber das war erst der Anfang. Keiner ahnte damals, welche Schätze noch in demselben Boden ruhten. Sie sollten unsere Kenntnis über die Zeit der Patriarchen in völlig neue Bahnen lenken. Die Ziggurath von Ur, einer der besterhaltenen Türme, ist ein massiver Ziegelsteinbau von 62,5 m Länge, 43 m Breite und ursprünglich wohl 25 m Höhe. Während der Ausgra= bungen wurden einige Ziegelsteine gefunden, die die Aufschrift „Ur=Nammu" trugen. Der in den Ton gedrückte Stempel ist sozu= sagen die Herstellermarke und gibt den Namen des Königs an, von dem dieser Höhenkultort errichtet oder wieder ausgebessert worden ist. Einige jener Ziegelsteine befinden sich auch in mei= nem Besitz. Die Keilschriftzeichen darauf sind ein Beweis dafür, daß das Schreiben schon viele Jahrhunderte vor Abraham be= kannt war. Ein Jahr später wurde mir ein Täfelchen gezeigt, das man ge= rade in Al Ubaid gefunden hatte, rund 6 km von Ur entfernt. Es war nahezu 5000 Jahre alt und einer der ältesten Belege für die damals bekannte Schriftart (vgl. Bildseite 3). Mr. Gadd vom Britischen Museum, der zu dieser Zeit in Ur war, fand darauf zwei Namen von sumerischen Herrschern. Einer davon war be= reits bekannt. Den anderen hatten aber selbst die Archäologen bisher für legendär gehalten. Wenn man bei solchen Ausgrabung gen selbst zugegen sein kann, bekommt man einen ganz anderen Eindruck von der Wirklichkeit des geschichtlichen Hintergrundes in den Berichten der Genesis. Ich war auch dabei, als die Mauer freigelegt wurde, mit der Ur=Nammu zwei Jahrhunderte vor Abrahams Geburt seine Stadt umgeben hat. Sie war über 20 m breit und fast 5 km lang. Angesichts solcher Entdeckungen er= scheinen einem die stichwortartigen Angaben der Genesis in einem ganz anderen Licht. Es war im Jahre 1929. Sir Leonard Woolley hatte seine Ar= beiter angewiesen, an einer ausgewählten Stelle der Innenstadt von Ur einen tiefen Schacht in den Boden zu graben. Schon bald kamen die Arbeiter wieder und berichteten, sie wären auf reinen, völlig undurchsetzten Lehm gestoßen. Man grub weiter . . . und dann kam die Sensation: Nach weiteren 2V2 m Tiefe hörte die Lehmschicht so plötzlich auf, wie sie angefangen hatte, und Scherben zerbrochener Tongefäße und anderer Ge= genstände kamen ans Tageslicht. Immer mehr Anzeichen spra= chen dafür, daß unter der mehrere Meter dicken Lehmschicht menschliche Ansiedlungen gelegen haben mußten. Der Schacht, in dem man diese Entdeckung gemacht hatte, war durch die verschiedenen Bodenschichten eines Hügelabhangs ge= graben worden. Die Stärke der ohne Zweifel durch Wasser abgelagerten Lehmschicht war unterschiedlich und betrug an den dicksten Stellen 4 m. Die Wassermassen, die zur Ablage* rung einer solch gewaltigen Schicht nötig sind, müssen unge* heuer groß gewesen sein. Darum kam Sir Leonard Woolley zu der Schlußfolgerung, daß es sich hier nur um die Auswir* kungen der Sintflut handeln könne, denn alle anderen Erklä* rungsversuche gingen fehl. Während der Grabungsperiode 1929—1930 grub er dann durch die Fiutablagerung hindurch bis auf jungfräulichen Boden. 1934 ließ er in einiger Entfer* nung vom ersten Schacht einen zweiten ausheben, der wieder durch die Lehmschicht hindurchstieß und darunter einige Pia* stiken und irdenes Geschirr freilegte. Bei einer Begegnung am Schluß dieser letzten Grabungsperiode sagte mir Sir Leonard Woolley noch einmal, daß alle weiteren Funde die Annahme nur noch bestärkt hätten, daß es sich bei der Lehmschicht um eine Ablagerung der Sintflut handele. Ich habe den abgelager* ten Lehm selbst untersucht. Im Gegensatz zu den anderen Schichten enthält er keinerlei Mineralien. Der Boden ist ganz eigentümlich zusammengesetzt. Wenn man sich dazu vor Au* gen hält, wie plötzlich die Lehmschicht anfängt und auch wie* der aufhört, und die unter ihr aufgefundenen Knochenreste und Teile zerbrochenen Geschirrs sieht, wird man kaum eine andere Erklärung finden können, als daß es sich hier um Aus* Wirkungen der Flut handelt1). Im Jahre 1927 begann Sir Leonard Woolley einen großen Friedhof auszugraben, der in einer Erdschicht liegt, die man heute allgemein auf die Zeit um 2700 vor Christus datiert. Dabei wurden ganz merkwürdige Dinge entdeckt. Zum Beispiel stellte man fest, daß einige der dort Begrabenen durch Gewalt* anwendung ums Leben gekommen sein mußten. Es wurden auch mehrere Exemplare eines goldenen Kopfschmuckes aufge* funden, der in hervorragend künstlerischer Weise gearbeitet *) Diese Sicht vertritt Sir Leonard Woolley (gegen A. Parrot in: „Bibel und Archäologie“, Band I, 1955, S. 34 ff.) in seinem neuesten Werk: " Ur Excavations; The Early Period" (1956); vergleiche auch von demselben Verfasser: "Excavations at Ur" (1955). war; dazu zahlreiche von Frauenhänden angefertigte Perlen= haisketten. Einer der aufsehenerregendsten Funde war jedoch der goldene Helm des Mes=kalam=sar, der ebenfalls um 2700 vor Christus gelebt haben muß. Professor Langdon von der Universität Oxford begann im Jahre 1923 Grabungen in Kisch und Jemdat Nasr. Durch ihre Ergebnisse sind unsere Kenntnisse über die Anfänge der menschlichen Zivilisation außerordentlich erweitert worden. Zwei Tage nach Auffindung eines ganz alten Schriftdoku= mentes war ich selbst in Kisch. Auf einem Stein sind Figuren eingegraben, die eine Art Bilderschrift darstellen. Man hält sie für eine der ältesten bekannten Schriftarten überhaupt. Audi in Kisch, über 250 km von Ur entfernt, sind die uns schon bekannten Spuren der Sintflut festgestellt worden. In Nippur (Kalneh) fand die Expedition der Universität von Pennsylvania eine große Zahl von Inschriften, die aus der Zeit vor Abraham stammen. Sie wurden von der „University Press" veröffentlicht. In dem Band, der von Dr. Arno Poebel herausgegeben wurde (Historical Texts), sind eine Reihe Täfelchen wiederge= geben, die von der Schöpfung und von der Flut berichten und von „zehn Herrschern, die vor der Flut regierten". Es ist durchaus möglich, daß damit dieselben Gestalten gemeint sind, die wir aus Genesis 5 kennen. Diese Täfelchen sind in einer der ältesten uns bekannten Keilschriftarten überliefert. Vor einigen Jahren kam H. Weld=Blundell in den Besitz mehrerer beschriebener Tonprismen. Man hatte sie in Larsa ge= funden. Er bot sie dem Ashmolean Museum in Oxford an, wo sie von Professor Langdon übersetzt wurden. Eines der Pris= men, bekannt unter der Bezeichnung W. B. 444, enthält eine Namenliste. Auf ihr werden zunächst die Männer genannt, die „vor der Flut regierten"; danach „die Herrscher nach der Flut" bis ungefähr in die Zeit 2000 vor Christus. Ein zweiter Text (W. B. 62) aus demselben Fundort nennt ebenfalls zehn Männer, die „vor der Flut herrschten". Besonders zu erwähnen ist ferner der Bericht von Dr. Frank= fort (Third Preliminary Report on the Excavations at Teil Asmar [=Eshunna]). In dem Kapitel mit der Überschrift: „Die Religion von Eschunna im dritten Jahrtausend vor Christus" schreibt er: „Über die rein materiellen Funde hinaus haben unsere Expedition nen einen Sachverhalt aufdecken können, der von nun an von jedem in Betracht gezogen werden muß, der sich mit den RelU gionen Babyloniens beschäftigt. Soweit wir wissen, ist es uns hier zum ersten Mal gelungen, zusammenhängende Beschreibun= gen religiöser Gebräuche aufzufinden. Das Beweismaterial ist ziemlich umfangreich und stammt zu ungefähr gleichen Teilen aus einem Tempel und aus den Häusern derer, die an diesem Tempel Gottesdienste verrichteten. Jetzt sind wir in der Lage, Schlüsse zu ziehen, die man aus den Funden allein nicht hätte ziehen können. Z. B. ist da festzustellen, daß die Bilder auf den Siegelzylindern, die sonst verschiedene Gottheiten zeigen, alle einheitlich sind und somit darauf hinweisen, daß in diesem Tempel ein einziger Gott im Mittelpunkt der Gottesverehrung stand. Viele Zeichen weisen darauf hin, daß die verschiedenen Darstellungen der Gottheit im sumerisch=akkadischen Pantheon nicht eine Vielheit der Götter meinten." — Nach dieser Darsteh lung wäre der Polytheismus aus dem Monotheismus entstanden und nicht umgekehrt, wie weithin auch heute noch angenommen wird1). Die Ausgrabungen von Warka, dem Erech aus Genesis 10, wurden von deutschen Archäologen durchgeführt und sind kürz= lieh wieder aufgenommen worden. Man fand dort untrügliche Anzeichen dafür, daß die Kultur jener Zeit vor Abraham schon erstaunlich hoch war. Lange Jahre hindurch bemühten sich so die Archäologen, die verschiedenen Zivilisationsschichten rückwärts zu verfolgen bis hinein in das Dunkel der geschichtlichen Anfänge, ln vielen Fällen sind sie auch bis auf jungfräulichen Boden gestoßen, also bis auf eine Zeit, in der an dieser Stelle noch keine Menschen lebten. Leider mußten gerade diese Arbeiten lange Jahre hin= ') Vergleiche dazu Joh. Hempel (in „Theologische Literatur-Zeitung“, Heft 5/6, 1956, S. 262; dort auch weitere Literatur): „Nun sind wir freilich an dem Zeitalter der Humanität als einer fast erreichten Wirklichkeit gründlich irregeworden ... Von daher darf der Gedanke des Urmonotheismus und der Depravation mindestens als Gegen= Strömung gegen den Fortschrittsglauben nicht mehr als Sonderbarkeit dogmatisch festgelegter katholischer Missionare gelten." durch unterbrochen werden, da sich mit der Regierung des Irak Schwierigkeiten wegen der Verteilung der Funde ergaben. Von 1934—1937 waren dort nur zwei bedeutendere Expeditionen tätig, dann kam der Krieg. Erst seit 1954 konnte die Arbeit wie» der aufgenommen werden. Sie steht unter der Leitung von Pro» fessor Dr. H. Lenzen. Die meisten Stätten, die in den letzten zwanzig Jahren freige» legt wurden, gehen auf die Zeit der Genesis zurück. Die Archäologie bemüht sich also jetzt um die frühesten Peri= öden der Zivilisation. Was sie gefunden hat, ist erstaunlich. Wie» viel wissen wir heute schon über die Kultur und die Schrift jener Menschen, die vor 5000 Jahren lebten. Die archäologische For» schung erstreckt sich sogar auf vorsintflutliche Zeiten. Sie hat uns dadurch gezwungen, unsere Ansichten über die Frühzeit er» heblich zu revidieren. Was wußten wir schon vorher über die Morgenstunde der Geschichte zu sagen? Heute dagegen ist uns die Umgebung der Patriarchen ein verhältnismäßig vertrautes Feld geworden. Sogar die damals üblichen Schreibgewohnheiten sind uns bekannt. Vor den Ausgrabungen der letzten Jahre noch hielten selbst Archäologen die bekannten Darstellungen über jene Zeit für legendär. Die Ausgrabungen aber bescherten uns eine völlig neue Sicht der Dinge. Ihre Ergebnisse erlauben uns heute Aussagen zu machen über eine Zeit, die man früher in den Bereich der Prä=Historie verwies. Heute weiß man z. B., daß die sumerische Kultur schon Jahrhunderte vor Abrahams Geburt ihren Höhepunkt überschritten hatte. Dabei ist es gut zu wissen, daß die Archäologen keineswegs auf der Suche waren, Beweise für die Glaubwürdigkeit der bibli= sehen Angaben zu finden. Im Gegenteil. Ich weiß aus vielen Ge= sprächen mit Archäologen, daß sie das sehr wenig interessierte. Sie deuteten die Funde in einem durchaus kritischen Geist und neigten in zweifelhaften Fällen viel eher dazu, kritische Erklä» rungen anzunehmen als die der Bibel. Andererseits geben sie offen zu, daß sie durch ihre Arbeit genötigt seien, die Richtig» keit vieler biblischer Angaben anzuerkennen. Ich hatte oft Ge» legenheit, bei der Ausgrabung solcher Funde, die man als Be» weis für die Genauigkeit der biblischen Aussagen ansehen kann, dabei zu sein, und habe sie auf der Stelle mit dem Text der ersten Kapitel der Bibel verglichen. Was mich in den letzten Jahren besonders beeindruckt hat, ist die Meinungsänderung, die sich im Denken der Archäologen im Blick auf die ältesten biblischen Berichte vollzieht. Es fällt geradezu auf, mit welcher Sicherheit jene Männer im Irak von den Geschehnissen sprechen, die in der Genesis berichtet werden. Kapitel 3 Die frühgeschichtliche Entwicklung Keine Entdeckung hat mehr Überraschung ausgelöst als die, daß die Zivilisation in der Welt ganz plötzlich entstanden ist. Das war genau das Gegenteil dessen, was man ursprünglich an= genommen hatte. Der allgemeinen Ansicht nach erwartete man, daß bei zunehmendem Alter der freigelegten Orte immer primi= tivere Kulturformen erschienen. Aber dies trifft weder auf Ba= bylonien noch auf Ägypten zu, wo doch die ältesten Kulturen der Welt festgestellt wurden. Dr. Hall schreibt diesbezüglich in seiner „Ancient History of the Near East": „Sooft wir auf alte Zivilisationen gestoßen sind, zeigten sich diese schon als voll ent= wickelt", und an anderer Stelle: „Soweit zurück man die sume= rische Kultur verfolgen kann, erscheint sie auf voller Höhe." Und Dr. L. W. King sagt in seinem Buch „Sumer and Akkad" auf Seite 3: „Obwohl die frühesten sumerischen Niederlassungen in Südbabylonien einer verhältnismäßig frühen Zeit angehören, scheinen ihre Bewohner schon eine sehr hohe Kulturstufe erreicht zu haben." Die uns bekannten Angaben über den Geburtsort der Mensch* heit — die Genesis, die Archäologie und die geschichtlichen Über* lieferungen — weisen alle auf die Ebene Mesopotamiens hin. Keine Kultur der Welt, auch nicht die der Chinesen und Inder, kann sich in ihrem Alter mit der Kultur der Bewohner Babylo= niens messen. Und doch lassen sich in diesem Land keine Spu= ren davon finden, daß seine frühgeschichtliche Entwicklung an= ders verlaufen sei, als die Genesis es angibt. Sie kann auch gar nicht anders verlaufen sein, da die südliche Ebene Mesopota= miens erst in den letzten zehntausend Jahren entstanden ist. Noch heute lagern die beiden großen Ströme ihre mitgeführten Schlammassen am Eingang des Persischen Golfes ab. Nur so ist es zu erklären, daß Ur in Chaldäa früher an der Küste des Gol= fes lag, während es heute mehrere hundert Kilometer davon entfernt ist. Nach einer kürzlich dort vorgenommenen Untersuchung der geologischen Verhältnisse könnte man sich diese Eigentümlich* keit allerdings auch durch eine Bodensenkung erklären (Vgl. A. Wies und F. W. Faleen im „Geographical Journal" CXVIII 1952, S. 24-38). An einigen in Südbabylonien gelegenen Ausgrabungsstätten, an denen man die ältesten bekannten Spuren menschlicher Be* Siedlung gefunden hat, stießen die Archäologen bis auf jung* fräulichen Boden. Noch ältere Schichten menschlicher Niederlas* sungen sind uns nicht bekannt. Es handelt sich um die Zeit zwi* sehen 3500 und 2500 vor Christus. Über die Zeit um 3500 vor Christus schreibt Sir Leonard Woolley in seinem Buch „The Su* merians", S. 37 folgendes: „Man ist nicht wenig erstaunt zu sehen, daß die Sumerer nicht nur die Säule, sondern auch den Bogen und das Gewölbe kannten. Ihre gewölbten Decken lassen darauf schließen, daß sie sogar die Dombaukonstruktion an* wandten, eine Bauweise, die erst Jahrtausende später ihren Weg in die westliche Welt fand. Daß die allgemein hohe kul* turelle Entwicklung mit ihrer vorzüglichen Baukunst parallel lief, zeigt die reiche Ausstattung der Gräber. Überall sind goldene und silberne Gegenstände zu finden, die nicht nur als persönliche Geschenke dienten, sondern auch als Gefäße und Waffen. Sogar die Handwerkszeuge waren aus diesem kostbaren Material ange* fertigt. Das Geschirr für den täglichen Gebrauch bestand aus Kupfer." Über die technischen Errungenschaften des 3. Jahrtausends vor Christus, wie sie am Teil Asmar zu finden sind, berichtet Dr. Frankfort: „Unter den frühesten Dynastien, z. B. in der Zeit der Akkader, war die Beherrschung der Materie viel weiter fortge* schritten, als man allgemein anzunehmen pflegt. Einige Beispiele sollen das verdeutlichen." Er erwähnt den Gebrauch des Glases aus der Zeit zwischen 2700 und 2600 v. Chr. und die Analyse, dieDr. Desch vom NationaUPhysikalischen Laboratorium inLon* don von einigen in Ur gefundenen Bronzegegenständen gemacht hat. Die Gegenstände enthielten eine Menge Zinn, die genau dem Mischungsverhältnis der modernen Bronze entspricht. Am Teil Asmar waren die meisten Metallgegenstände aus Kupfer her= gestellt. Dr. Frankfort berichtet, daß „ein bronzener Messer-griff bei diesen Funden eine Seltenheit blieb. Eine Messerklin-ge aus einem der dortigen Privathäuser enthielt jedoch 2,8 Pro-zent Zinn". Er schreibt auch von einer „höchst unerwarteten Entdeckung", die während der letzten Grabungsperioden dort gemacht wurde. Danach müssen schon 2700 Jahre v. Chr. Eland-werkszeuge aus Eisen hergestellt worden sein; mehr als 1500 Jahre vor dem Tag, an dem der erste uns bekannte eiserne Dolch — wahrscheinlich von einem hetitischen König —dem jungen Tut-enkhamen von Ägypten zum Geschenk gemacht wurde. Die bei-nernen Messergriffe vom Teil Asmar sind zerfallen; erhalten geblieben sind nur die darübergelegten Silbenfolien. Sir Leonard Woolley, der außerordentlich viel zum besseren Verständnis derZeit vor Abraham beigetragen hat, schrieb indem Buch „The Sumerians": „Es muß um das Jahr 2000 gewesen sein, nach dem Fall der dritten Dynastie von Ur, daß sumerische Schreiber den Ruhm ihrer vergangenen Tage niederschrieben. Wahrscheinlich stand ihnen eine große Menge Dokumenten-material zur Verfügung, aus dem sie die politische Geschichte und die religiöse Tradition ihres Landes zusammenstellen konn-ten. Jene Aufzeichnungen sind verlorengegangen. In den baby-Ionischen Chroniken finden sich nur noch kurze Auszüge aus einer viel späteren Zeit." Bisher nahm man als selbstverständlich an, daß die Archäo-logie die weitverbreitete Meinung bestätigen würde, nach der die Zivilisation durch eine allmähliche Aufwärtsentwicklung des Menschen entstanden sei. Aus den beiden Ländern der ältesten Zivilisationen, aus dem Irak und aus Ägypten, mehren sich aber die Beweise, daß die Kultur kurz nach der Sintflut eine Blütezeit erlebt hat, von der man später allgemein wieder abgefallen ist1). Anstelle der früheren Annahme einer unendlich langsamen Hö= ') Vgl. W. F. Albright (in: „Die Religion Israels im Lichte der archäologischen Ausgrabungen“ 1957, S. 22): „Nach diesen frühen Gipfeln menschlicher Kunstschöpfungen erscheinen die folgenden Zeitalter von der Uruk-Zeit in Babylonien im späten vierten Jahrtausend bis zur spät-babylonischen und achämenidischen Kunst des 6. Jahrhunderts vor Christus in mancher Hinsicht matt und unschöpferisch. Der Mensch konnte den Elan seiner Jugend nicht so rasch wiedergewinnen.' 3 Wiseman, Genesis 33 herentwicklung vertritt man daher heute weithin die Ansicht, daß die Kunst — und im gewissen Sinne auch die Wissenschaft — verhältnismäßig schnell entstanden sind. H. G. Wells hält in sei= ner Outline of History die Pyramide von Sakkara für das älte= ste Steingebäude, das die Welt überhaupt kennt. „Aber vom ersten Steinbauwerk bis zur Errichtung dieser großen Pyramide sind kaum eineinhalb Jahrhunderte vergangen", meint Dr. Brea= stedt in seinem Buch Conquest of Civilization (S. 61). Sir Flin= ders Petrie schreibt von dieser Stufenpyramide, daß ihre exakte Ausführung einerseits ein Zeichen für ihre hohe Bestimmung sei, andererseits aber auch ein Beweis für die Fähigkeit und gute Ausbildung ihrer Erbauer. Die Genauigkeit der Maße bei dieser ältesten Pyramide ist so groß, daß man schon dann zu wider= sprechenden Meßwerten kam, wenn man zum Messen einen Me= tallstab an verschieden warmen Tagen benutzt hatte. Die Höhen= unterschiede der einzelnen Seiten sind so gering, daß man sie mit dem bloßen Auge nicht wahrnehmen kann." Und weiter unten: „Daraus ergibt sich der zwingende Schluß, daß die ägyptische Kunst um 3000 v. Chr. ihre höchste Blüte erlebte." Dieses erste, in Sakkara errichtete Steinbauwerk, ein Toten= tempel des Königs Zoser, wurde kürzlich im Auftrag der ägyp= tischen Regierung unter der Leitung von C. M. Firth ausgegra= ben. Dr. Hall vom Britischen Museum schreibt darüber: „Dieses Gebäude ist als die erste Blüte des jungen ägyptischen Genius auf dem Felde der Architektur außerordentlich interessant. Schon hier erscheinen die Figuren, die Säulen und Verzierungen, bei deren Anblick es einem so schwer fällt zu glauben, daß sie schon aus der Zeit der dritten Dynastie stammen sollen. Aber andere Momente weisen zu eindeutig auf dieses Alter hin, um darüber Zweifel hegen können." Und weiter: „Man wird selbstver= stündlich sagen, daß solche erstaunlichen architektonischen Fä= higkeiten eine lange Lehr= und Entwicklungszeit voraussetzen; aber in diesem Fall ist diese lange Entwicklungszeit einfach nicht vorhanden. Die Ägypter der ersten Dynastie, rund 300 Jahre vorher, hatten offensichtlich gar keine Steingebäude. Und in den späteren Legenden wird gerade das an Zosers Regierung her= vorgehoben, daß unter ihm die ersten Steingebäude entstanden sind." Aber selbst diese schnelle Entwicklung wurde noch überboten. Noch nicht 150 Jahre waren seit der Errichtung dieses ersten Steingebäudes vergangen, als das größte Steinbauwerk voll= endet wurde, das die Welt je gesehen hat. In Khufu — griechisch „Cheops" — entstand die große Pyramide, „die Herrliche", wie man sie nannte. Sie war 146 Meter hoch und bedeckte ein Ge= biet von zwölfeinhalb Morgen Land. Noch heute sind von ihr über zweieinhalb Millionen Kubikmeter Mauerwerk enthalten, obwohl schon sehr viele Steine weggetragen worden sind. Hero= dot berichtet, daß man allein zehn Jahre lang Steine gebrochen und bearbeitet habe und daß noch weitere zehn Jahre nötig wa= ren, die Pyramide zu bauen. Nach Diodor sollen dreihundert= tausend Menschen an diesem Werk gearbeitet haben. Und dabei war der ganze Aufwand an Zeit und Arbeitskraft — nach den Worten des Museumsführers im Britischen Museum — dazu da, um „das herrlichste Grabmal der Welt als bleibende Ruhestätte" herzurichten. Es muß jedoch gesagt werden, daß dieser unge= heure Fortschritt in der Architektur nicht anhielt. Sir Flinders Petrie stellte fest, daß das Baumaterial bezeichnende Aufschlüsse gibt über die Art der späteren Bautätigkeit. Das beste Material und die sauberste Bauweise ist bei den ältesten Pyramiden zu finden. Später, von der 4. Dynastie an bis zur 6. Dynastie ist eine beständige Abwärtsentwicklung zu erkennen, „bis die Py= ramiden nur noch eine äußere Steinschale haben, deren Innen= raum mit Schutt ausgefüllt wurde." Das plötzliche Aufbrechen ungeheurer Fähigkeiten, das in Babylonien zur gleichen Zeit festzustellen ist, drückt aber einen bleibenden Stempel auf die Architektur jener Länder. Aber nicht nur die Maße dieser großen Pyramide sind er= staunlich, sondern auch der Plan, den dieses Bauwerk verrät. Seine Konstrukteure müssen viel mehr von der Astronomie ver= standen haben als irgend jemand aus dem zivilisierten Europa 3500 Jahre später. Kunst und Wissenschaft müssen also schon damals in höchster Blüte gestanden haben. Die Sphinx, eine Sta= tue des zweiten Pyramidenbauers, ist ein Löwe mit Menschen» köpf. Sein Körper ist über 60 m lang, und der Kopf ragt über 20 m hoch. Ein Mann, der solch eine Pyramide konstruieren konnte und die Steine mit solch einer Genauigkeit schlagen ließ, daß sie ohne irgendeinen Spalt ineinanderfassen, der diese Millionen Tonnen Steine transportieren ließ, um sie dann so hoch aufeinanderzutürmen, kann unmöglich ein primitiver Mensch gewesen sein. Und doch waren zu seiner Zeit kaum 150 Jahre vergangen, seitdem man das erste Steinbauwerk über= haupt errichtet hatte. Angesichts dieser Tatsachen kann von einer langsamen Auf= wärtsentwicklung des Menschen kaum die Rede sein. Die Funde sprechen dagegen. Und doch muß man leider heute noch fest= stellen, daß die Entwicklungstheorie gerade dort am lautesten vertreten wird, wo sie am wenigsten Tatsachen für sich hat. Auch die babylonische Kunst und Technik war vor 4000 Jah= ren schon außerordentlich hoch entwickelt. Zwei bronzene Zie= genköpfe aus jener Zeit wurden analysiert und zeigen einen Ge= halt von 82,9% Kupfer, 1,33%' Nickel, 0,88% Eisen, 0,33 % Antimon und 14,61% Sauerstoff. In Telloh wurde eine silberne Vase gefunden, die — nach den Fundumständen zu urteilen — nahezu 4500 Jahre alt sein muß. Man erkennt darauf das Wap= penzeichen von Lagasch und vier Adler mit ausgebreiteten Flü= geln, dazu Darstellungen von Hirschen und Löwen. Alle diese Werke setzen außerordentliche Kunstfertigkeit voraus. Kein Produkt aus späterer Zeit vermag einen solch überwältigenden Eindruck zu erwecken wie sie. Selbst mit unseren modernen Mitteln ist er kaum zu überbieten. Das Tongeschirr aus sumeri= scher Zeit und aus der frühesten Zivilisationsschicht Babyloniens zeigt größere Geschicklichkeit als das irgendeiner späteren Kulturepoche. Soweit die Archäologen sich auch zurückarbeiten konnten: sie fanden immer nur eine sehr hoch entwickelte Zivi= lisation vor. Sir Leonard Woolley („The Sumerians" S. 44) meint sogar: „Soweit uns bekannt ist, erlebte die sumerische Kunst im 4. Jahrtausend vor Christus ihre Blütezeit." Die Sumerer erheben den Anspruch, die ersten Bewohner der babylonischen Ebene gewesen zu sein. C. J. Gadd schreibt in seinem Buch „History and Monuments of Ur": „Soweit zurück wir überhaupt etwas erkennen oder auch nur vermuten können, waren die Sumerer schon im Besitz des Landes. Daß die altbabylonischen Aufzeichnungen — die nach ihrem eige= nen Zeugnis bis auf die Schöpfungszeit selbst zurückgehen — in keinem andern Land entstanden sein können als im geschieht“ liehen Siedlungsraum dieser Völkerschaften, ist schon erwähnt worden." Weiter heißt es dann: „Die benutzten Steinwerkzeuge gehören keiner reinen Steinzeit an. Es sind im Irak auch keiner“ lei sichere Anzeichen für das Vorhandensein solcher Stämme gefunden worden, die den Gebrauch der Metalle nicht gekannt hätten." Das erinnert an die Worte Berosus aus dem dritten Jahrhundert vor Christus, nach denen es die Völker aus dem südlichen Mesopotamien waren, die die Kunst, Metalle zu ver= arbeiten, und auch die Schreibtechnik erfunden haben. Bei ihm ist der Satz zu finden: „Alle Dinge, die das Leben verbessern, wurden den Menschen durch Oannes übermittelt, und seither sind keine weiteren Erfindungen mehr gemacht worden." Über das erste uns bekannte Zeitalter in Babylonien schreibt Gadd noch: „In Ur und anderen Städten wurden Kunstwerke von ganz erstaunlicher Schönheit aufgefunden. Sie stammen nicht etwa erst aus den späteren Zeiten, sondern aus den Anfängen der Geschichte. Nur der glückliche Umstand, daß sie im Zuge plan= mäßiger Ausgrabungen entdeckt wurden, konnte vermeiden, daß sie zeitlich völlig falsch datiert wurden." — „Gold scheinen die Sumerer im Überfluß besessen zu haben; es ist ein Zeichen ihres Reichtums. Im Schutze verschwenderisch reicher Herrscherhäuser wurden zur Zeit der Blüte Kunstfertigkeiten entwickelt, die von einem ausgeprägten Schönheitssinn sprechen und später nicht mehr auftreten. Die angefertigten Gegenstände waren natürlich weithin von der gleichen Art wie die aus späterer Zeit; aber im Gegensatz zu jenen waren sie so reich, ja geradezu verschwen= derisch ausgestattet, daß sie eher an den ägyptischen Stil erin= nern als an die so oft angenommene Nüchternheit des Zwei“ Stromlandes. Immer wieder setzt einen die Menge des verwen= deten Goldes in Erstaunen, vom Silber gar nicht zu reden." Weder die Bibel noch die archäologischen Funde in Babylonien sprechen von einem unentwickelten Menschen. Selbstverständlich war das Leben am Anfang einfach. Aber es war nicht nur von der Vernunft beherrscht, sondern auch schon kultiviert. Die Schreibmethoden vor 5000 Jahren Ein Ergebnis der archäologischen Forschungen verdient beson= dere Beachtung: Solange wir die Geschichte der Menschheit zu= rückverfolgen können, vermag der Mensch zu schreiben. Es wird heute allgemein angenommen, daß der Ursprung der mensch= liehen Zivilisation in Babylonien zu suchen sei. Aus demselben Land stammen auch die ältesten uns bekannten Schriftdoku= mente — ein Beweis echter Zivilisation1). Überraschend ist nun, daß diese Dokumente einer viel früheren Zeit angehören, als man bisher für die Kenntnis der Schreib* kunst anzunehmen geneigt war. Heute läßt man daher das Pen* del viel eher in die andere Richtung ausschlagen und setzt schon um das Jahr 3300 vor Christus Schreibkenntnisse voraus. Man hat sogar Papyrusschriftstücke gefunden, die nach Ansicht eini* ger Ägyptologen rund 3000 Jahre vor Christus entstanden sein sollen1). Vor einigen Jahren besuchte ich Professor Langdon von der Universität Oxford. Er führte gerade in Kisch Ausgrabungen durch, und ich war anwesend, als die älteste Inschrift, die man je gefunden hat, freigelegt wurde. In einer Steintafel waren mit geradlinigen Strichen eine Art stilisierter Bilder eingegra* ben. Nach Meinung vieler Forscher hat sich diese stilisierte Bil= derschrift aus einer noch älteren reinen Bilderschrift entwickelt. Aneinandergereihte Bilder in Stein oder Ton gegraben scheinen also die älteste Möglichkeit für die Menschheit gewesen zu sein, Gedanken zu fixieren. So kindlich und primitiv dieses Schrift* System sein mag, ungeschickt ist es nicht. Die Ägypter hatten ') Vgl. H. Frankfort: " The Birth of Civilization in the Ancient Near East” (1951); und E. A. Speiser: "Ancient Near East: Cradle of History" (1956). es noch in Gebrauch, als sie auf der Höhe ihrer kulturellen Ent* Wicklung standen. Und in den letzten Jahren hat sich sogar un= sere moderne Zivilisation wieder auf dieses System besonnen. An allen Straßenecken begegnen uns Verkehrsschilder als Bilder, Reklame in Bildern usw. Das Anwachsen der illustrierten Zeit* Schriften ist ein weiteres Zeichen für die leichte Verständlichkeit dieser „Schrift". Wieviele moderne Fahrpläne sind auf „Bilder* Schrift" aufgebaut. Sie zeigen z. B. eine Landreise an durch eine vorangestelltc Lokomotive, eine Seereise durch ein Schiff usw. Einige der frühen Bilderschriftformen sind natürlich zu alt, als daß man sie je entziffern könnte, doch die Zeichen der ägypti* sehen Hieroglyphenschrift sind durchaus einsichtig und ver* ständlich. Nach Angaben einiger Archäologen dürften die aufgefundenen Reste der Bilderschrift aus der Zeit zwischen 3300 und 2800 vor Christus stammen. Aus ihr entwickelte sich dann die Keilschrift. Schon in sehr früher Zeit ist Ton als Schreibmaterial verwen* det worden; auf Steintafeln wurde nur für besondere Zwecke geschrieben. Ton war billig und überall zu finden; der aus dem Euphrattal war besonders gut geeignet. Er war so fein wie fein* gemahlenes Mehl. Mit Wasser vermischt ergab er einen Teig, aus dem man leicht Täfelchen jeder Größe formen konnte. Mit einem scharfkantigen Stäbchen aus Metall oder Holz drückte man dann keilförmige Vertiefungen in die weiche „Tafel". Daher der Name „Keilschrift". Die einzelnen Schriftzeichen entstanden dann aus keilförmigen Eindrücken, die je nachdem parallel oder im Win* kel zueinander angeordnet wurden oder sich auch überkreuzten. Bei den verschiedenen Inschriften kann man bis zu dreißig Keil* arten unterscheiden, aus denen nahezu sechshundert verschiedene Zeichen entwickelt wurden. Gewiß gab es mehr Schreibkundige, als wir allgemein annehmen. Aber der Charakter der Schrift blieb zu allen Zeiten gleich unpersönlich, trotz der unterschied* liehen Größe der Schriftzeichen und der Verschiedenheit der be= nutzten Stäbchen, die uns auf den Dokumenten begegnen. Oft sind die Inschriften erstaunlich sorgfältig ausgeführt. Dies ist meist ein Hinweis dafür, daß es sich um einen wichtigen Text handelt. Nachdem die Keilschriftzeichen in den weichen Ton einge* drückt waren, wurden die Täfelchen entweder in der großen Son= nenhitze Babyloniens getrocknet oder in einem besonderen Ofen gebrannt. Oft wurde dem Ton noch etwas Kalk oder Gips bei= gemischt, um zu verhindern, daß sich die Täfelchen beim Trock= nen verzogen oder brachen. Dieser Ton ist neben dem Stein das unverwüstlichste Schreibmaterial, das es gibt. Selbst wenn die Täfelchen nur in der Sonne getrocknet waren, wurden sie so hart, daß ihre Schrift über Jahrtausende hinweg lesbar blieb. Man mußte nur beim Ausgraben sehr sorgfältig Vorgehen, wenn solche sonnengetrockneten Täfelchen in feuchter Erde lagerten. Erneut getrocknet sind sie wieder so hart, daß sie nur schwer von solchen zu unterscheiden sind, die im Ofen gebrannt worden waren. Schon um 2750 v. Chr. waren für Vertragstexte und private Zwecke tönerne „Briefumschläge" im Gebrauch. Es war auch üblich, den Inhalt eines solchen Täfelchens auf dem Umschlag in einer Art Überschrift zu verzeichnen, um ihn dann mit einem privaten Siegel zu verschließen. Der Eigentümer konnte nun sicher sein, daß der Inhalt keine Veränderung erfahren hatte, wenn das Siegel unbeschädigt war. Bei Unstimmigkeiten konnte der Umschlag aufgebrochen und der Originaltext zu Rate gezo^ gen werden. Wie schon angedeutet, wurden in frühester Zeit Gedanken durch Bilder festgehalten. Da man auf Ton oder Stein viel leich= ter gerade Linien zeichnen kann, neigte man wohl sehr schnell dazu, die Bilder zu stilisieren und zu vereinfachen. Hier hätte also das Schreibmaterial die Schriftart bedingt, indem es zur Vereinfachung der Zeichen drängte. In der Keilschrift sind dar= um die Bilder zu reinen Symbolen verblaßt. Von einigen solcher frühen sumerischen Täfelchen, wie sie z. B. in Telloh gefunden wurden, schrieb Professor L. W. King, daß „diese Dokumente durch ihr Material und durch die Schönheit ihrer Schrift zu den schönsten ihrer Art gehören, die je in Babylonien gefunden wor= den sind" (Sumer and Akkad, S. 293). Die gewöhnliche Keilschrift war wohl schon in sehr früher Zeit allgemein bekannt. Man hat Tausende von Täfelchen ge= funden, die vor der Zeit der Patriarchen entstanden sind. Die Gesamtzahl der Tontäfelchen, die uns erhalten geblieben sind und die in den verschiedensten Museen der Welt verstreut lie* gen, schätzt man auf eine viertel Million. Wie weit verbreitet das Schreiben in Babylonien war, mag eine Bemerkung von Friedrich Delitzsch zeigen: „In der Menge der uns überlieferten Schriftstücke aus der damaligen Zeit finden sich viele in der Art wie z. B. der Brief einer Frau an ihren Mann, der sich auf der Reise befindet. Sie teilt ihm mit, daß es den Kindern gut gehe, und bittet um Rat in einer völlig alltäglichen Frage. In einem anderen Brief schreibt ein Sohn an seinen Vater, der N. N. hätte ihn tödlich beleidigt, er würde dem Kerl auch gern einen Denk* zettel verabreichen, möchte nur vorher des Vaters Meinung dazu hören. Ein anderer Sohn drängt seinen Vater, ihm doch endlich das schon so lange versprochene Geld zu schicken. Sein Drängen unterstreicht er noch mit dem unverschämten Anerbieten, dann auch wieder für seinen Vater beten zu wollen, usw. Alle diese Momente weisen auf ein gut organisiertes Nachrichtensystem hin, dem Brief* und Postverbindung nicht unbekannt waren." Als ein typisches Schreiben jener Zeit sei hier ein Brief zitiert, der für Hammurabi — möglicherweise identisch mit dem Am* raphel aus Gen. 141) — geschrieben worden ist. Der Schreiber berichtet über einen Steuereintreiber namens Schep=Sin. Dieser hatte einen Bittbrief geschrieben, weil er die im Vertrag fest* gemachte Summe, mit der er sich das Recht erkauft hatte, in einem Landkreis Babyloniens Steuern einzutreiben, noch nicht an das königliche Schatzamt hatte abliefern können. „Wegen des Obersteuereintreibers Schep=Sin habe ich Dir schon geschrie* ben: Sende ihn mit den 1800 Gur Sesam und mit den 19 Minen Silber, die er schuldet, und auch den Obersteuereintreiber Sin* Muschtal mit den 1800 Gur Sesam und den 7 Minen Silber, die er schuldet, sende sie nach Babylonien. Du hast mir darauf ge* antwortet, daß der Obersteuereintreiber geantwortet hätte: Es ist jetzt Erntezeit; nach der Ernte wollen wir gehen. So haben sie nach Deinen Worten gesagt. Jetzt ist die Ernte vorüber. Sobald ') Die Frage, ob der Amraphel aus Genesis 14, 1 mit Hammurabi aus Babylonien gleidigesetzt werden kann, ist darum so schwer zu beantworten, weil uns neuerdings neben dem Hammurabi aus Babylon der König Hammurabi aus Aleppo und noch drei weitere Könige gleichen Namens bekannt geworden sind. Du dieses Täfelchen erhältst, das ich an Dich adressiere, sollst Du Schep=Sin, den Obersteuereintreiber, nach Babylon schicken mit den 1800 Gur Sesam und den 19 Minen Silber, die er schuh det, und Sin=MuschtaI, den Obersteuereintreiber, mit den 1800 Gur Sesam und den 7 Minen Silber, die er schuldet. Dazu die nötige Bewachung. Sie sollen kommen und ihren ganzen Reich= tum vor mir ausbreiten." (Aus: The Letters and Inscriptions of Hammurabi, übersetzt von L. W. King.) Nahezu tausend Jahre vor Abrahams Geburt und eineinhalb Jahrtausende vor der Zeit Moses begann Lugalzaggisi, König von Erech, seine Inschriften mit den fast gleichen Ausdrücken, wie der letzte König Babylons 2200 Jahre später. Ich zitiere Delaporte: „Es gäbe Schulen, in denen man lernen konnte, wie die Schriftzeichen in den weichen Ton gedrückt wurden. Am be= kanntesten war im ersten Jahrtausend vor Christus die Schule von Nippur, weil sie in ihren Archiven sehr alte Texte aufbe= wahrte. Eine Anzahl Täfelchen aus der Zeit Hammurabis, dazu Unterrichtsmodelle und Abschriften, die uns erhalten sind, ge= ben einen Eindruck von den damaligen Lehrmethoden wieder. Da gibt es zunächst Übungsstücke für Lese= und Schreibübungen, die mit den einfachsten Zeichen anfangen und deren Lautwerte angeben. Sodann wird der Schüler nach und nach in den Ge= brauch der Keilschriftgruppen und Ideogramme eingeführt, um später zu den geläufigeren Formen überzugehen. Es gab auch Unterricht in Grammatik und in der Wahl der Paradigmen, der Deklinationen und Konjugationen. Am Ende der Ausbildung standen grammatische Übungen." Zum Schluß ein Zitat aus dem Vorwort von Luckenbills Ancient Records of Assyria and Ba* bylonia: „Dieses Schreibmaterial war billig. Das mag den merk= würdigen Umstand erklären, daß die Sumerer, Babylonier und Assyrer auch nicht die kleinsten Handelsabkommen abschlossen ohne schriftliche Fixierung der Verträge." In Ägypten wuchs die Papyrusstaude. Darum war Papyrus auch das dort landesübliche Schreibmaterial. Das älteste Papy= russchriftstück, das uns erhalten geblieben ist, soll um drei= tausend vor Christus geschrieben worden sein. Die Papyrus= rollen, auf die man mit Feder und Tinte schrieb, waren gewöhn= lieh 22 bis 25 cm breit. Die längste uns bekannte Rolle ist 45 m lang (vgl. J. Cerny: „Paper and Books in Ancient Egypt", 1947). Im Irak scheint Papyrus überhaupt nicht verwendet worden zu sein. Dort war das beschriebene Tontäfelchen zu Hause. Das Keilschriftsystcm fand in allen zivilisierten Ländern des östlichen Mittelmeergebietes Verwendung. Auch die so oft in der Genesis erwähnten Hethiter hatten es übernommen. Daß man in Ägypten die Keilschrift ebenfalls zu lesen verstand, zei-gen die Tell=eI=Amarna Täfelchen, von denen man im Jahre 1887 gut dreihundert Stück aufgefunden hat. Unter diesen befinden sich in Keilschrift geschriebene Briefe aus der Zeit um 1400 vor Christus, die von ägyptischen Beamten in Palästina an ihre Regierung gerichtet sind. Wann die hebräische Schrift in Palästina heimisch wurde, läßt sich wohl nie mehr sicher sagen. Bis vor kurzem waren die älte= sten bekannten Dokumente der phönizischen Schrift — aus der sich die hebräischen Schriftzeichen entwickelten — der Moabiter-stein (850 v. Chr.) und die Siloa-Inschrift (700 v. Chr.). Seit 1930 ist uns jedoch aus Ras Schamra eine Tontäfelchenbibliothek in Keilschrift bekannt, in deren Texten einige wenige Keilschriftzeichen schon als Alphabetbuchstaben verwendet werden. Dieser Umstand weist auf die Zeit um 1300 v. Chr., in der diese Schrift entstanden sein könnte. Um den Ursprung des Hebräischen zu erklären, müssen wir uns an die Ausgrabungen in Syrien und Palästina halten. Die Assyrische ist dem Hebräischen nah verwandt; beide Sprachen haben sehr viele Wörter gemeinsam. Wir müssen uns nun den Versuchen zuwenden, die zur Entzifferung der Keilschrift führten. Das kann hier natürlich nur in Form eines kurzen Überblicks geschehen, da der Weg bis zur Lesbarkeit der Keilschrift außerordentlich langwierig und verworren war. Als man die ersten Keilschriftproben nach Europa brachte, fragten sich sogar Wissenschaftler, ob man es hier wirklich mit einer Schrift zu tun habe oder vielleicht nur mit einer orientalischen Dekorationsform. Grotefend hat dann als erster den Sinn der geheimnisvollen, keilförmigen Eindrücke erklärt. Um 1802 war er so weit, die drei Eigennamen der Könige ungefähr richtig zu lesen, die auf seinen Inschriften aus Persepolis zu finden waren. Abgesehen von diesen drei Wörtern waren seine Schlüsse allerdings irrig. Major (später General, Sir) Henry Rawlinson, dem britischen Vertreter in Bagdad, gelang es 1835 unter Lebensgefahr, die drei= sprachigen Texte des Darius in Behistun bei Kermanschah abzu* schreiben. Bis 1839 konnte er schon 200 Zeilen dieser Schrift lesen. 1847 kam der irische Geistliche Edward Hincks der Ent* zifferung der Texte einen großen Schritt näher, als er heraus* fand, daß der Keilschrift kein alphabetisches System zugrunde liegt. Bis 1857 hatte er dann den Wert von 252 Keilschriftkom* binationen fixiert. Die Entdeckungen von Rawlinson und Hincks wurden später von anderen Forschern bestätigt. Welche Skepsis den Übersetzungen dieser Männer entgegen* gebracht wurde, zeigt das Anerbieten von Fox*Talbot aus dem Jahre 1857. Er gehörte selbst zu den ersten Übersetzern und schlug vor, Rawlinson, Hincks, Oppert und er selbst sollten einen größeren historischen Text erhalten, der noch nicht veröffentlicht war. Die Genannten erklärten sich bereit, völlig unabhängig von* einander eine Übersetzung anzufertigen und ihre Ergebnisse der Royal Asiatic Society vorzulegen. Diese sollte dann ein Komitee bilden, das die eingereichten Übersetzungen vergleichen sollte. Man stellte dabei fest, daß die Ergebnisse in allen wichtigen Punkten übereinstimmten; damit waren Zweifel nicht mehr am Platz. Seither war der Bann gebrochen, und man erkannte an, daß der Schlüssel zur Entzifferung der babylonischen Keilschrifttexte gefunden worden war. Einige Wissenschaftler erklärten sich zwar immer noch nicht überführt, weil sie sich daran stießen, daß ein einziges Zeichen mehr als einen Silbenwert haben sollte. Das war teilweise darauf zurückzuführen, daß alte Bilderschrift* texte einfach in Keilschriftzeichen kopiert worden waren, so daß ein fünfteiliges Keilschriftzeichen den Zeichen für vier Finger nebst einem Daumen gleichgesetzt worden war und Hand be* deutete. Eine strahlenförmige Anordnung von Keilschriftzeichen bedeutete dann „Stern". Schließlich schwanden aber alle Zweifel, und die Entzifferung der Keilschriften wurde eine Verhältnis* mäßig exakte Wissenschaft. Seit dieser Zeit hat sich eine ganze Reihe fähiger Männer wie Gadd, Poebel, Krämer und Falken* stein beständig weiter mit diesen sprachlichen Problemen befaßt und auch die weiteren Schwierigkeiten überwunden, die durch die immer archaischer werdenden Schriftformen entstanden waren. An diesem Punkt möchte ich den Blick des Lesers noch auf einige andere Momente lenken, nämlich auf die Frage nach den literarischen Gewohnheiten der damaligen Zeit; nach den Stil» formen, die die Schreiber der damaligen Zeit für ihre verschie» denen Niederschriften verwandten; wie sie ihre Briefe und die anderen Täfelchen signierten und datierten. Wichtig ist auch die Frage, wie sie bei größeren Texten zusammengehörige Tä= felchen so bezeichneten, daß sie der Reihe nach gelesen werden konnten. Sie aneinanderzuheften, wie man es bei Pergament» rollen oder Buchseiten tun konnte, war ja nicht möglich. Diese Fragen werden fast in keinem allgemeinverständlich gehalte» nen Buch über die Archäologie behandelt. Wer sich darüber informieren will, muß Spezialwerke zur Hand nehmen, in de» nen um der wissenschaftlichen Forschung willen meist nur Keilschrifttexte im Original wiedergegeben sind. Zunächst ist festzustellen, daß geübte Schreiber nicht nur die Texte von Briefen, Berichten oder Gesetzesabschnitten niederschrieben, sondern daß sie unter den jeweiligen Text auch das Siegel des Eigentümers drückten. Damit war der Text kenntlich gemacht. Die Siegel bestanden gewöhnlich aus Tonzylindern in der Länge von 1 bis 4 cm. Zuweilen waren sie aber auch aus Edel» steinen hergestellt, die mit Schriftzeichen versehen waren und am Finger getragen wurden. Jedes Siegel trug einen Eigentums» vermerk und oft auch den ausgeschriebenen Namen des Trägers in Keilschrift. In Hiob 38, 14 finden wir z. B. einen Hinweis auf einen solchen Siegelring, wo es heißt (Luther): „Sie (die Erde) wandelt sich wie Ton unter dem Siegel." Juda trug einen Sie= gelring mit sich, und Joseph erhielt von Pharao einen Siegel= ring zum Geschenk (Gen. 41, 42). In Ur in Chaldäa fand Sir Leonard Woolley Siegel, die Männern aus vorsintflutlicher Zeit gehört haben. Der Siegeldruck unter einem Schriftstück der da= maligen Zeit bedeutete das gleiche wie heute die eigenhändige Unterschrift. Wenn der Eigentümer unter einen Text sein Sie= gel auf den weichen Ton hatte drücken lassen, war das Schrift» stück signiert. Ich selbst besitze Täfelchen, die vor 4000 Jahren auf diese Weise signiert worden sind. Der Inhalt der Texte auf unseren Täfelchen ist natürlich ganz verschieden. Da gibt es geschichtliche Texte mit Aufzeich= nungen über Familien= und Völkergeschichte und viele Ge= schlechtsregister. Gesetzestexte berichten über Landkäufe, über Gebäude und Kredite; einige Texte aus dem Geschäftsleben stellen eine Art Warenrechnung dar, andere beschäftigen sich mit dem Austausch landwirtschaftlicher Produkte, mit dem An= und Verkauf von Vieh und allerlei Handelswaren, und schließ* lieh gibt es viele Briefe offizieller und privater Art. Wer sich mit Keilschrifttäfelchen etwas auskennt, kann fast beim ersten Blick sagen, um was für einen Text es sich han= delt. Das ist heute ja genau so; auch wir erkennen an der Grö= ße, Papierart und der ganzen Form eines Schreibens sofort, ob es sich um einen Zettel mit Notizen, um einen privaten Brief oder um ein wichtiges Dokument handelt. Bei den babyloni* sehen Täfelchen sind Größe und Form ziemlich verläßliche Hin* weise auf ihren Inhalt. Es gibt Tonprismen, Tonzylinder und Tontäfelchen in der Form einer kleinen Tonne. Andere sehen aus wie ein prall gefülltes Sofakissen. Einige sind so groß wie ein DIN*A=4=Blatt, andere nur wie eine Briefmarke. Gewöhnlich sind die Täfelchen so groß gehalten, daß sie die gesamte Länge eines gewünschten Textes aufnehmen können. Manchmal war das nur durch sehr kleine Schriftzeichen zu er= reichen, wodurch mehr Wörter auf den verfügbaren Raum ge* bracht werden können. Man suchte jedoch möglichst zu ver= meiden, die Täfelchen über ein bestimmtes Maß hinaus zu ver* großem. Einmal wäre die Gefahr des Zerbrechens zu groß ge= wesen, und zum anderen hätten sie durch zunehmendes Ge= wicht an Handlichkeit verloren. Täfelchen mit über dreißig Zentimeter Seitenlänge sind darum nur selten anzutreffen. Im allgemeinen reichte der Raum eines Täfelchens auch aus, um die gewünschten Texte wie Briefe, Verträge, Rechnungen, Ge* nealogien usw. darauf zu verzeichnen. Was aber machte man, wenn ein Text mehr Platz benötigte, als ein Täfelchen bot, oder wenn für eine große Abhandlung eine ganze Reihe Täfelchen benötigt wurden? Es war damals genauso wichtig wie heute, die Reihenfolge der einzelnen Textabschnitte deutlich zu kennzeichnen. Um das zu erreichen, verwendete man „Titel", „Stichwörter" und auch die noch heute übliche „Nummerierung". Die Titel bestanden aus den ersten Wörtern des ersten Täfelchens, die am Ende eines jeden folgenden Täfelchens wiederholt wurden. Dann folgte eine Zahlenangabe, aus der man die Nummer des Täfelchens in der entsprechenden Serie ersehen konnte. Bei uns ist es nicht an= ders, wenn wir auf jeder Buchseite oben den Titel wiederholen und an den Rand die Seitenzahlen schreiben. Auf diese Weise konnte man an jedem Täfelchen erkennen, welchem Text es zugehörte und um welchen Textabschnitt es sich handelte. Um ganz sicher zu gehen, wurden außerdem „Stichwortver= bindungen" angewandt. Dieses System ist noch heute üblich beim Schreibmaschineschreiben und bei der Niederschrift wich= tiger Dokumente. Dabei werden die ersten Wörter der folgen= den Seite am Ende der vorhergehenden wiederholt. Auf den babylonischen Täfelchen erkennt man genau das gleiche Sy= stem. Die ersten Wörter des folgenden Täfelchens stehen als „Stichwortverbindungen" am Ende des vorhergehenden. Wer mit der Kultur des alten Orient etwas vertraut ist, wird sich nicht wundern, daß viele literarischen Formen den unsern ge= nau entgegengesetzt angewendet werden. Die Hebräer schrie= ben von rechts nach links, so daß für ein Buch in der heutigen Form die erste Seite dort steht, wo wir unsere letzte haben. Im alten Irak enthielt nun nicht der Anfang, sondern das Ende die Kennzeichen und Angaben über den Namen des Schreibers, das Datum der Niederschrift und die „Inhaltsangabe" des Buches. Es steht nun außer Frage, daß die Genesis ursprünglich eben= falls auf solche Täfelchen geschrieben war. Auch bei den zehn Geboten wird man nicht von „Tafeln" reden können. Zwar be= standen sie aus Stein, waren aber ähnlich wie in Babylonien auf beiden Seiten beschrieben (2. Mose 32,15). Aus der Bedeutung des hebräischen Wortes für schreiben = „eingraben", „einschnei= den", läßt sich die alte Schreibmethode sogar noch erkennen1). *) *) Für weitere Einzelheiten über Ursprung und Gestalt der Keilschriftzeichen und über die alten Schreibgewohnheiten vgl. G. R. Driver: "Semitic Writing" (1944). Im folgenden Kapitel wird eine Untersuchung der Genesis zei= gen, daß diese alten literarischen Gepflogenheiten auch im Text unserer modernen Übersetzungen noch klar zu erkennen sind. Die Genesis wurde unter Befolgung der gleichen literarischen Gewohnheiten zusammengestellt, wie wir sie von den Schreibern aus Ninive kennen, die vor 2500 Jahren am Ende ihrer Täfelchen kurz angaben, aus welchen Bibliotheken sie die Originaltexte für ihre Kopien entnommen hatten. (Vgl. dazu Bildtafel Nr. 1). Kolophon eines Keilschrifttäfelchens Die letzten neun Zeilen der linken unteren Ecke stellen ein typisches Kolophon eines Keilschrifttäfelchens dar. Der „Stichwortverbindung" für den Textzusammenhang folgen noch Angaben über die Täfelchenserie, zu der der Text gehört, über den Namen des Schreibers und über das Datum der Niederschrift. Die Übersetzung lautet: „Wenn einem Menschen sein Inneres krankt, soll er Milch einer hell-(farbig)en Wildkuh, Butter am 2. Tag..." Soweit die „Stihwortverbindung“. Dann folgen weitere Angaben: „Erste Tafel von: ,Wenn ein Mensh an ... krankt. . .'" Kolophon eines Keilschrifttäfelchens >fcJT ~<#=) i] Steintäfelchen in natürlicher Größe Siegelzylinder \...... Täfelchen aus dem babylonischen Flutbericht Ein aufschlußreicher Hinweis ist auch in Gen. 10, 19 zu fin= den, wo es heißt: „Und ihre Grenzen waren von Sidon an durch Gerar bis gen Gaza, bis man kommt gen Sodom, Gomorra, Adama, Zeboim und bis gen Lasa." Sodom und Gomorra waren schon seit Abrahams Tagen nicht mehr vorhanden und folglich auch nicht mehr als bekannte Reiseziele anzugeben, wie es hier geschieht. Diese Städte sind so vollständig vernichtet worden, daß sogar ihre Spuren verlorengegangen sind und viele glauben, das Tote Meer habe sie verschlungen. Nach unserer Einteilung der Textabschnitte gehört dieser Satz aber in das Täfelchen von Sem, zu dessen Zeit Sodom und Gomorra noch standen. Diese Landmarkierung ist demnach für Menschen geschrieben, die vor der Zeit Abrahams lebten. In Punkt 3 sind Städte erwähnt, deren alte Namen schon zur Zeit Moses nicht mehr bekannt waren. Mose war genötigt, neue, geläufigere Namen an die Seite der alten zu setzen, damit die aus Ägypten kommenden Israeliten die Orte überhaupt erken= nen konnten. Einige Beispiele dafür finden sich in Gen. 14. Die= ses Täfelchen wurde zur Zeit Abrahams niedergeschrieben und berichtet von den Kriegszügen einiger Könige. Für die während des Kriegszugs berührten Städte wurden natürlich die damals geläufigen Namen angegeben. Aber in den vierhundert Jahren, die zwischen der Zeit Abrahams und Moses verflossen waren, änderte sich eine ganze Reihe dieser Namen, und einige gerieten ganz in Vergessenheit. Als Moses die Genesis zusammenstellte, mußte er die neuen Städtenamen dazusetzen, um seinen Zeit= genossen deren Auffindung zu ermöglichen. So entstanden z. B. folgende Ortsangaben: „Bela (das Zoar heißt)" Vers 2 und 8 „Das Tal Siddim (das ist der Salzsee)" Vers 3 „En=Mischpat (das ist Kadesch)" Vers 7 Täfelchen aus dem babylonischen Flutbericht Es ist das elfte Täfelchen aus der Täfelchenserie, die als „Gilgamesch• Epos" bekannt ist; es enthält 310 Zeilen mit einem Text, der zwei Drudeseiten ausfüllt (zur Übersetzung vergleiche: Francis Jordan: .ln den Tagen des Tammuz“, S. gzj. „Hoba (das nördlich von Damaskus liegt)" Vers 15 „Das Tal Sawe (das ist das Königstal)" Vers 17 Hier haben wir die einzige Stelle in der Bibel, an der noch die Namen aus der ganz alten Zeit verzeichnet sind. Weitere Beispiele dafür, daß später Erklärungen hinzugefügt wurden, um die alten Texte verständlicher zu machen, finden sich z. B. in Kapitel 16,14 „Der Brunnen des Lebendigen ... (er liegt bekanntlich zwischen Kadesch und Berde)". In Kapitel 35,19 lesen wir Ephrat, „das jetzt Bethlehem heißt". In Kapitel 23, 2 heißt es, daß Sara in „Kirjath=arba, das ist Hebron, im Lande Kanaan" starb. Die letzte Angabe ist besonders interessant. Es war also nötig, nicht nur die neuen Namen neben den alten zu setzen, um den Ort kenntlich zu machen, sondern auch zu sagen, daß Hebron im Lande Kanaan liegt. Sollte ein Israelit nach der Einnahme des Landes unter Josua nicht gewußt haben, wo He= bron lag? Hebron war doch Kaleb von Josua vor allem Volke zum Erbbesitz gegeben worden. Außerdem war es eine Freie Stadt und folglich überall bekannt. Später war Hebron sogar sie= ben Jahre lang Davids Königsstadt. Diese Überlegungen lassen die obige Bemerkung für die Zeiten nach Josua und damit nach Moses völlig überflüssig werden. Die Erklärung ist ohne Zweifel für solche gedacht, die als Unbekannte von außen in das Land kommen und nicht nur den Namen des Ortes hören, wo die Stammväter ihres Volkes gelebt haben, sondern auch die genaue Lage kennenlernen sollen. Es spricht also alles dafür, daß diese Worte schon zu einer sehr frühen Zeit (Moses!) in einen Text, der damals schon wegen seines Alters (!) nicht mehr recht ver= stündlich war, aufgenommen wurden! Eine ähnliche Bemerkung finden wir im 19. Vers desselben Kapitels: „Die Höhle im Feld Machpelah, Mamre gegenüber, das ist Hebron, im Lande Kanaan". In dieser Höhle Machpelah wa= ren Abraham, Isaak und Jakob begraben. Den Zeitgenossen die= ser Männer war dieser Ort zweifellos bekannt; ihnen kann diese Erklärung nicht gegolten haben. Als die Israeliten sich nach dem Aufenthalt in Ägypten in Kanaan niedergelassen hatten, wußte aber jedes Kind, wo die Väter des Volkes begraben lagen. Auch hier wäre der erklärende Hinweis völlig überflüssig, wenn er nicht für Leser gedacht wäre, die noch außerhalb des Landes wa= ren. Sinn haben diese Bemerkungen nur, wenn man sie sich von Mose geschrieben denkt, der an der Grenze des Landes starb, bevor Israel seinen Boden betrat. Auf unseren Täfelchen finden wir auch ganz primitive geogra= phische Ausdrücke, wie sie zur Zeit Abrahams üblich waren; z. B. „Südland" (Gen. 20, 1 und 24, 62) oder „das Ostland" (Gen. 35, 6). Diese alten Namen für die Gebiete im Süden und Osten Palästinas werden später nie mehr gebraucht. Nach (er Zeit der Genesis gibt es dafür ganz klare und bestimmte Namen. Solche Bezeichnungen sind mit ein Beweis für das Alter des Tex= tes. Kein Schreiber nach Mose hätte sich dieser archaischen Ausdrücke bedient. Auf die gleiche Tatsache weist die Existenz der kleinen „Stadtstaaten" und vielen Sippen hin, die beide charakteristisch sind für eine frühe Entwicklungsstufe der Zivilisation. Zu Salo= mos Zeit waren sie völlig verschwunden, und schon seit Abra= ham gab es in Babylonien und Ägypten mächtige Monarchien, die von ihren Hauptstädten aus über große Gebiete herrschten. Wir werden uns in einem späteren Kapitel noch mit anderen Tatsachen beschäftigen, die dafür sprechen, daß unsere Berichte nicht lange nach den dargestellten Ereignissen niedergeschrieben sein können. Im ganzen zeigen die Schreiber ein so intimes Ver= trautsein mit den Einzelheiten, daß man vernünftigerweise gar nichts anderes sagen kann, als daß hier wirklich „Mitbeteiligte" berichten. Dafür nur ein Beispiel: Das Vorgehen Saras und Abrahams mit ihrer Magd Hagar bei der Geburt Ismaels erfolgte nach Gesetzen, die in dem damals landesüblichen Recht genau bezeichnet waren. Das beweisen die Gesetze Nr. 144—146 aus dem Kodex Hammurabi. Für die nachmosaische Zeit galten ganz andere Ordnungen, wie das Deuteronomium beweist. Der von der Pentateuchkritik vertretene Gedanke, diese Handlungen seien eben Ausdruck einer bestimmten religiösen Vorstellung, stimmt mit den Tatsachen nicht überein. Die Erwähnung der Fehler und Schwächen der Patriarchen ist ein weiterer Hinweis auf die ge= treue Darstellung der Berichte; sie sind nicht stilisiert und ideali= siert worden, sondern bezeugen noch heute die ganze Wirklich= keit ihres Lebens. Das überzeugendste Argument für das Alter der Genesis er= gibt sich aber aus dem Vergleich der internen Texthinweise mit den archäologischen Funden. Die Größe der in Babylonien ver= wendeten Täfelchen richtete sich natürlich nach dem Umfang des gewünschten Textes. Wer wenig zu schreiben hatte, benutzte ein kleines Täfelchen. Waren aber infolge der Länge eines Textes mehrere Täfelchen notwendig, ging man in folgender Weise vor: 1. Jedes Täfelchen einer Serie wurde mit einem gemeinsamen „Titel" versehen. 2. Durch „Stichwortverbindungen" am Schluß eines jeden Täfelchens wurde die Lektüre der einzelnen Textabschnitte in der richtigen Reihenfolge ermöglicht. Darüberhinaus schlossen viele Täfelchen noch mit einer Nachschrift, dem sogenannten Kolophon. Sie entspricht der heutigen Titelseite, die bei den antiken Texten natürlich am Ende stand; nicht am Anfang, wie wir es heute ge= wohnt sind. Diese Nachschrift umfaßte neben anderen Din= gen meist folgende Angaben: 3. Den Namen dessen, der das Täfelchen schrieb. 4. Das Datum, an dem es geschrieben wurde. Diese Schreibgewohnheiten haben ihre Spuren auch in der Ge= nesis hinterlassen. Man kann natürlich nicht erwarten, daß von ihnen viel zu finden ist; für die Zusammenstellung des Textes waren sie zwar wichtig, aber für den Text selbst nicht. Dennoch sind sie nicht ganz verlorengegangen und beweisen damit, wie früh die Texte zusammengefunden haben. Wenn von diesen sachlich unwichtigen Bemerkungen überhaupt noch Spuren vor= handen sind, ist das ein zusätzlicher Beweis für die Treue der Überlieferung. Als Beispiel für solche literarischen Hilfsmittel kann man die folgenden Wort= und Satzwiederholungen anführen, die auffal= lenderweise bei jedem Täfelchen am Anfang und am Schluß zu finden sind: Kap. 1, 1 „Gott schuf die Himmel und die Erde." Kap. 2, 4 „Der HErr Gott machte die Himmel und die Erde." Kap. 2, 4 „Als sie geschaffen wurden." Kap. 5, 2 „Als sie geschaffen wurden." Kap. 6,10 „Sem, Ham und Japheth." Kap. 10, 1 „Sem, Ham und Japheth." Kap. 10, 1 „Nach der Flut." Kap. li, io „Nach der Flut." Kap. 11, 26 „Abraham, Nahor und Haran." Kap. ii, 27 „Abraham, Nahor und Haran." Kap. 25,12 „Des Sohnes Abrahams." Kap. 25,19 „Des Sohnes Abrahams." Kap. 36, 1 „Der Edom ist." Kap. 36, 8 „Der Edom ist." Kap. 36, 9 „Vater der Edomiter" (wörtlich: „Vater Edom"). Kap. 36, 43 „Vater der Edomiter" (wörtlich: „Vater Edom"). Die Wiederholung der genannten Sätze jeweils dort, wo die Täfelchen aufhören und anfangen, findet bei solchen Forschern am meisten Beachtung, die mit den alten Schreibgewohnheiten in Babylonien vertraut sind. Das war der übliche Weg, zusam= mengehörige Texte miteinander zu verbinden. Es kann darum unmöglich Zufall sein, daß sich diese Wiederholungen in den Versen finden, die mit dem Kolophon zusammenstehen: „Das ist die Geschichte von ..." An anderen Stellen sind diese Wie-derholungen nämlich kaum zu finden. Da man aber bisher kei= ne außerbiblischen Vergleichsmöglichkeiten hatte, fielen sie im Textzusammenhang nicht auf. Der Titel für die einzelnen Keilschrifttäfelchen einer Täfel-chenserie wurde aus den Anfangswörtern des Gesamttextes ge-nommen. So haben die Hebräer auch den ersten fünf Büchern der Bibel ihre Namen gegeben. Die Genesis z. B. hieß „Bere= shith" (d. h. „Am Anfang") nach dem ersten Wort des hebräi= sehen Textes; das Buch Exodus: „Weeläh Schemoth“ (d. h. „Und das sind die Namen"); das Buch Levitikus: „Wajjqura" (d. h. „Und er rief"); das Buch Numeri „Bemidbar“ (d. h. „In der Wüste") und das Deuteronomium: „Haddebarim" (d. h. „Diese Worte"). In der hebräischen Bibel heißen die Titel der ersten fünf Bücher Moses noch heute so. Das sah dann praktisch so aus: Wenn zwei oder mehr Täfelchen zu einer Serie gehörten, gab man jedem einzelnen eine gleichlautende Bezeichnung; d. h. man wiederholte im Kolophon der folgenden Täfelchen die ersten Worte des ersten Täfel- chens. Wir machen es bei unseren heutigen Buchausgaben oft ähnlich, wenn wir auf jeder Seite die Kapitelüberschrift wieder» holen. Wie notwendig dieser literarische Brauch ist, leuchtet so» fort ein, wenn man sich vorstellt, wir hätten an Stelle unserer gebundenen Bücher nur lose Blätter in der Hand. Durch die an» geführten Wiederholungen waren die zusammengehörigen Tex» te übersichtlich gekennzeichnet. Darüber hinaus zeigen einzelne Täfelchen auch Spuren einer alten Datierung. Wenn ein Täfelchen fertig geschrieben und mit dem Siegeldruck des Eigentümers versehen war, drückte man gewöhnlich noch das „Datum" auf. In den ältesten Zeiten geschah das auf sehr primitive Weise. Erst später kam man dar» auf, das Regierungsjahr des herrschenden Königs anzugeben. Die alten Datierungen sehen z. B. so aus: „Das Jahr, in dem der Thron Nabus gebaut wurde"; „Das Jahr, in dem Samulel, der König, die Mauer von Sippar baute"; „Im Jahre des Kanals Tu* »Hengal" (d. h. wohl das Jahr, in dem der Bau des Kanals fert.ggestellt wurde); „Das Jahr, in dem Samsu=iluna sich ei» nen goldenen Thron machte"; „Das Jahr, in dem der Kanal Hammurabis ausgeschachtet wurde". So soll nun verdeutlicht werden, nach welcher Methode die Genesistäfelchen datiert wurden. Am Ende des ersten Täfelchens heißt es: „Am Tage, an dem Gott der HErr Himmel und Erde machte." Die Bedeutung der Worte: „Am Tage" ist aus dem 17. Vers desselben Kapitels zu ersehen, wo diese Worte noch einmal Vorkommen. Dort heißt es: „An dem Tage, an dem du davon issest, wirst du gewißlich sterben". Und auch Vers 2: „Gott ruhte am siebenten Tage von allen seinen Werken, die er ge» macht hatte." Am Ende des zweiten Täfelchens (Kap. 5, 1) lesen wir: „Dies ist das Buch der Geschichte Adams, an dem Tage, an dem Gott den Menschen erschuf. Einige der späteren Täfelchen sind dadurch datiert, daß an» gegeben wird, wo der Schreiber zu der Zeit wohnte, als das Kolophon geschrieben wurde. Diese Angaben sind jedesmal unmittelbar mit dem Schlußsatz verbunden: „Das ist die Ge» schichte von ..." So z. B. in: Kap. 25,11 „Und Isaak wohnte bei dem Brunnen des Leben= digen und Sehenden." Kap. 36, 8 „Also wohnte Esau auf dem Gebirge Seir." Kap. 37, x „Jakob aber blieb in dem Lande wohnen, in dem sich sein Vater als Fremdling aufgehalten hatte, im Lande Kanaan." Die auch hier erkennbaren primitiven Datierungsmethoden stimmen überein mit den literarischen Gebräuchen der Frühzeit. Sie unterstreichen erneut die Annahme, daß die Genesis aus sehr früher Zeit stammt. Jakob z. B. schrieb sein Täfelchen ge= nau zu der Zeit, als er „im Lande seiner Väter wohnte." Ich glaube bestimmt, daß die Probleme einer Stelle wie Gen. 11, 26—27 (Tharah war 70 Jahre alt und zeugte Abram, Na= hör und Haran. Dies sind die Geschlechter Tharahs. Tharah zeugte Abram, Nahor und Haran; aber Haran zeugte Lot.") ohne weiteres gelöst werden können, wenn man die antike Da= tierungsmethode und den Gebrauch der „Stichwortverbindun= gen" ganz ernst nimmt. Die Chronologen und Ausleger haben sich immer am ersten Teil dieses Verses gestoßen. Seinem Wortlaut nach scheinen die drei genannten Söhne dem 7ojäh= rigen Tharah in einem Jahr geboren worden zu sein. Aus Gen. 12, 4 und Apostelgeschichte 7, 4 ist aber zu ersehen, daß Abra= ham 60 Jahre später geboren wurde, d. h. als Tharah 130 Jahre alt war. Es ist reine Spekulation, zu sagen, hier sei die Rede von der Geburt der anderen zwei Söhne. Was soll dieser Vers: „Und Tharah lebte siebzig Jahre", aber dann bedeuten? Ich wage zu behaupten, daß Tharah hier — ganz wie in jener Zeit üblich — sein Täfelchen „datiert" hat, d. h. er hat es geschrieben, als er siebzig Jahre alt war. Bei dieser Annahme muß man jedoch für die Angabe des Todes Nahors, des Vaters von Thara, dem samaritanischen Text folgen, wonach Nahor ein Jahr vor Tha= rahs siebzigstem Geburtstag gestorben ist. Daß die Namen: „Abram, Nahor und Haran" vor und nach unserer Tholedoth=■ Formel Vorkommen, besagt, daß sie als „Stichwortverbindun* gen anzusehen sind. Nach der herrschenden Gewohnheit wur= den die ersten Wörter des folgenden Täfelchens nach der letzten Zeile des vorhergehenden Täfelchens vermerkt. Die vielen Täfelchenfunde zeigen uns, daß es in jener Zeit allgemein üblich war, Nachrichten über die Vorfahren und über das eigene Leben zu sammeln und zu tradieren. Daß es die uns bekannten Patriarchen aus der Bibel genau so gemacht haben, ist also nichts besonderes und als selbstverständlich anzuneh* men. In gekürzter Form zusammengefaßt erscheinen solche Nachrichten als Geschlechtsregister, durch die der Schreiber den Zusamenhang herstellt zwischen sich und den Personen und Ereignissen der Vergangenheit. Tharah hat es zum Bei* spiel so gemacht. Sein Bericht besteht nur aus einem Geschlechts* register, das ihn mit Sem verband (Gen. 11, 10—27). Solche Ahnentafeln waren in der damaligen Zeit außerordentlich hoch geschätzt, und jeder scheint sie sich angelegt zu haben. Die Art und Weise, wie sie in der Genesis dann zusammen* gestellt sind, entspricht genau dem Verfahren, das man auch in außerbiblischen Texten beobachten kann. In Palästina und zu der Zeit, für die die Pentateuchkritik die Entstehung der Gene* sis ansetzt, waren diese Methoden aber schon längst außer Übung. Auch die Länge der Texte ist für die damalige Zeit keine Seltenheit. Der Teil der Genesis, den Abraham schon be= sessen haben muß, ist nur so groß wie ein Fünftel des Textes, den wir auf dem „Kodex Hammurabi" finden, der wahrschein» lieh aus Abrahams Zeit stammt. Im Vergleich zu diesem ist der Genesistext sogar auffallend kurz. Der Schöpfungsbericht ist davon der allerkürzeste, wenn man bedenkt, wie wichtig sein Inhalt ist. Erst nach der Flut werden die Erzählungen langsam breiter. Da man annehmen kann, daß das Schreiben vor der Flut nicht so allgemein üblich war wie zu Abrahams Zeiten — zu seiner Zeit scheint die Schreibkunst längst nicht mehr das Privileg einiger weniger gewesen zu sein —, wäre das ungleiche Längenverhältnis der früheren und späteren Stücke auch von daher gut zu verstehen. Das Leben Abrahams und seiner Söhne ist uns viel breiter erzählt als die Geschehnisse der so viel län* geren Urgeschichte. Was aber in jedem Text regelmäßig wiederkehrt, ist die Nachschrift, das Kolophon, das zuweilen umfangreich ist, manchmal aber nur wenige Wörter enthält. Unter anderem erscheint in ihm gewöhnlich der Name des Schreibers oder des Textinhabers. Daß diese literarische Gewohnheit überall und regelmäßig auftaucht, zeigt, wie gut sie sich bewährt hat. Noch heute finden sich ihre Spuren in Zeitschriften und Zeitungen, wo die Namen des Druckers und Herausgebers in der letzten Zeile des letzten Blattes erscheinen. Das Kolophon der Genesis heißt: „Das ist die Geschichte von . . ." Daß die Spuren dieser alten literarischen Hilfsmittel aus der Keilschriftzeit noch heute in der Genesis erkennbar sind, zeigt eigentlich schon überzeugend genug, wie rein der Text geblieben ist und mit welcher Sorgfalt er uns überliefert wurde. Es geht aber auch daraus hervor, daß diese Texte schon in sehr früher Zeit auf Tontäfelchen, die dann eine zusammenhängende Text= folge ergaben, niedergeschrieben wurden. Und zwar fanden sich auf diese Weise die Kapitel 1,1 bis 37,1 zusammen. Kapitel 7 Wer schrieb die Originaltexte? Bevor wir uns den Inhalt der einzelnen Täfelchen näher an= sehen, wollen wir uns noch einmal die Tatsachen in Erinnerung rufen, die in den letzten Jahren so viel neues Licht auf die literarische Tätigkeit der patriarchalischen Zeit geworfen haben. Es ist heute keine Frage mehr, daß das Schreiben schon lange vor Abrahams Zeit weit verbreitet war. Wer die Ausgrabungs= ergebnisse der letzten Jahre kennt, hat keine Schwierigkeit mehr, zu glauben, daß die Patriarchen selbst schriftliche Auf= Zeichnungen anfertigen ließen. Und wenn man bedenkt, wie einzigartig die Offenbarungen waren, die ihnen von Gott zuteil wurden, müßte man sich geradezu wundem, wenn sie sie nicht niedergeschrieben hätten. Im Januar 1902 fand M. de Morgan in Persepolis drei Bruch= stücke eines Steins aus schwarzem Diorit. Zusammengesetzt er= gaben diese Bruchstücke eine Säule von über zwei Meter Höhe und fast fünfzig cm Durchmesser. In diese Säule sind in 49 Kolumnen auf 4000 engen Zeilen über 8000 Wörter — d. i. un= gefähr ein Viertel des Genesistextes — in Keilschrift eingraviert. Die Schrift ist erstaunlich sorgfältig ausgeführt. Schon bald stellte sich heraus, daß dieser Stein den Gesetzeskodex des Ham= murabi trug, der um die Zeit Abrahams geschrieben sein mag (Hammurabi ist möglicherweise der Amraphel aus Gen. 14 und damit Zeitgenosse Abrahams). Das bedeutet, daß Originaltexte der Patriarchen — vorausgesetzt, sie wären aufzufinden — von den Wissenschaftlern heute gelesen und übersetzt werden könn= ten. Daß Abraham solche Texte hat schreiben lassen (sehr wahr= scheinlich z. B. Gen. 14 u. a.), dürfte außer Zweifel stehen. Von Assyriologen sind schon Texte übersetzt worden, die aus einer noch viel früheren Zeit stammen. Manche sollen sogar fünftausend Jahre alt sein. Ich habe selbst zugesehen, als man Täfelchen ausgrub, die nur kurze Zeit nach der Flut entstanden sind. Nach Professor Langdons Ansicht soll eins der gefundenen Täfelchen sogar vor der Flut geschrieben worden sein. Ange= sichts dieser Tatsachen kann es keine begründeten Zweifel mehr darüber geben, daß auch die frühesten Texte der Genesis, die Berichte über Schöpfung und Flut, schon zu einer sehr frühen Zeit niedergeschrieben worden sind. Daß der Text des ersten Täfelchens nicht aus persönlicher Er= fahrung hat niedergeschrieben werden können, ist klar. Es war ja niemand dabei, als die Welt erschaffen wurde. Immerhin ist es interessant, daß am Ende des ersten Abschnitts (vgl. die Aus= führungen in den vorhergehenden Kapiteln über das Kolophon) keine Angaben über den Autor oder Schreiber des Täfelchens zu finden sind. Es heißt dort nur: „Dies ist die Entstehungsge» schichte von Himmel und Erde." Andererseits ist es keine Frage, daß der Inhalt des Schöpfungsberichtes das „naturwissenschaft= liehe Weltbild" jener Zeit weit überstieg. Woher stammt dann dieser Text? Wer hat ihn geschrieben? Die zweite Frage ist hier weniger wichtig als die erste. Weithin wird die Ansicht vertre» ten, es handele sich hier um eine sogenannte „theologische Dichtung"; man könne doch unmöglich annehmen, daß Gott selbst eine Art Kurzbericht über den Ablauf der Schöpfung ge= geben habe. Ob das wirklich so unmöglich ist? Man sehe sich diesen Text einmal unvoreingenommen an. Er macht Angaben, über die man mehrere Jahrtausende lang anderer Meinung war, und die sich erst in den letzten Jahren aufgrund unserer viel exakteren Untersuchungsmethoden als richtig erwiesen haben. Zwar ist man auch heute in der Theologie noch weit mehr geneigt, von den „vielen Unstimmigkeiten in der Bibel" zu spre= chen (daß die Archäologie und andere Forschungszweige mehr und mehr zeigen, wie zuverlässig viele ihrer Angaben sind, wird einfach totgeschwiegen — welch merkwürdige Einseitig» keit!). Aber man kann doch diese erstaunlichen Übereinstim» mungen nicht einfach übersehen. Einer der wenigen, die dieses Thema überhaupt anfassen, ist Professor Wade. Er zieht daraus aber einen umgekehrten Schluß. Auf Seite 41 seiner Old Testa° ment History schreibt er: „Es ist völlig unmöglich anzunehmen, daß ein Text aus so früher Zeit die Ergebnisse der modernen Naturwissenschaft schon so exakt hat vorwegnehmen können." Das ist für ihn dann der Beweis, daß der Schöpfungsbericht erst viele Jahre nach Mose geschrieben worden sein kann. Aber so darf man doch nicht argumentieren! Will man denn behaupten, man wäre in der nachmosaischen Zeit und mit dem damals herr= sehenden Weltbild eher fähig gewesen, einen Schöpfungsbericht zu verfassen, der „die Ergebnisse der modernen Naturwissen» schaff schon so exakt vorwegnimmt"? Die Sprache dieses Berichtes ist zwar einfach; aber sein Be= deutungsgehalt unausschöpflich. Es sind ganz und gar mensch» liehe und damit zweideutige, unvollkommene Worte. Aber Gott hat sich ihrer in vollkommener Weise bedient. Gott selbst hat Adam davon unterrichtet, wie die Erde und alles um ihn her entstanden ist. Gott hatte ja Gemeinschaft mit ihm im Garten Eden und sprach mit ihm. Und dieses erste Täfelchen der Gene» sis ist der schlichte Niederschlag dessen, was Gott gesagt und getan hat. Adam bekam soviel mitgeteilt, wie er fassen konnte. Auf Einzelheiten kam es dabei nicht an; er hätte sie auch nicht verstanden. Der erste Abschnitt der Genesis ist also höchstwahr» scheinlich ein Bericht dessen, was Gott Adam mitgeteilt hat. Was hier steht, ist nicht nur „theologische Reflexion" des religio» sen Menschen der alten Welt, sondern eine Unterweisung Got» tes an den ersten Menschen am Anfang der Geschichte über die Schöpfung und den Zusammenhang der Welt. An diesem ältesten Bericht der Bibel fällt noch mehr auf. Man meint fast, es spiegele sich in ihm die Unterhaltung Gottes mit Adam wieder. Man achte nur einmal auf die folgenden Aus» drücke: „Und Gott sagte . . . Und Gott nannte . . ." Dann wird berichtet, was Gott nannte: „Und Gott nannte das Firmament Himmel; — . . . und das trockene Land nannte er Erde; — und die Sammlung der Wasser nannte er Meer." Das sieht fast so aus, als ob Adam auch den Wortlaut des Gespräches mit Gott festge» halten hätte. Man spürt in diesem Bericht eine sehr persönliche Note. Ein Visionsbericht ist es aber nicht. Von einem: „ich sah", „ich schaute", „ich hörte" ist nichts zu lesen. Alles ist in direkter Rede gehalten: „Und Gott sagte, sehet da, ich habe euch gege» ben allerlei Kraut, . . Diese Worte wurden wirklich zu den ersten Menschen gesprochen und sind nicht nur unklare Vermu= tungen. Man vergleiche diesen Text nur einmal mit dem baby= Ionischen Schöpfungsbericht; es wird nicht schwer sein zu er= kennen, wie unvergleichlich und einzigartig der biblische Be= rieht ist. Die griechische Übersetzung des Alten Testamentes gibt den Schlußsatz des ersten Täfelchens wieder mit den Worten: „Dies ist das Buch der Entstehungsgeschichte von Himmel und Erde." Wie dieses Buch entstanden ist, wissen wir nicht. Daß die Spra= che aber schon im Garten Eden entstand, wissen wir. Es wäre nicht unmöglich anzunehmen, daß auch Adam schon eine ein= fache Möglichkeit kannte, Gedanken zu fixieren. Man denke nur an die Möglichkeit der Bilderschrift. Wie wir aus früheren Ka= piteln dieses Buches wissen, scheint dieser Text zur Zeit Noahs auch schon schriftlich Vorgelegen zu haben. Die Bemerkung der Septuaginta, nach der es sich hier um das „Buch der Entste= hungsgeschichte von Himmel und Erde" handelt, würde diese Annahme noch bestärken. Man könnte für diese Zeit natürlich auch eine mündliche Tradition annehmen. Sie fällt aber gar nicht ins Gewicht, da Adam 930 Jahre alt wurde und erst kurz vor der Flut starb. Wie schon erwähnt, war ich vor einigen Jahren selbst zugegen, als die älteste Bilderschrifttafel, die wir kennen, aus= gegraben wurde. Ihr Alter wird auf wenigstens 5500 Jahre ge= schätzt. Das erste Kapitel der Genesis ist aber noch älter. Es ist so alt, daß sich weder Mythus noch Legende darin finden, und zwar aus dem Grunde, weil es die zu jener Zeit noch nicht gab. Sie hatten noch gar keine Zeit gehabt, sich zu entwickeln; folg= lieh brauchte der Text auch nicht davon befreit zu werden — wie viele Forscher meinen. Dieser Bericht ist ganz und gar original und trägt keine Spuren irgendeines philosophischen Systems an sich. Er ist auch frei von jeder nationalistischen Enge. Weder die Besonderheiten der babylonischen noch der ägyptischen noch der jüdischen Anschauungen sind in ihm zu erkennen. Er war schon da, ehe all diese Völker und Nationen mit ihren verschie» denen Philosophien und Religionen sich entwickeln konnten. Hier haben wir das Ursprüngliche vor uns, das Original. Alles Spätere ist nur Nachahmung, das je nach den verschiedenen re= Iigiösen Anschauungen verändert und bis ins Groteske verzerrt wurde. Man sehe sich doch nur die anderen Schöpfungs= und Flutberichte an, wie sie durchsetzt sind von zeitgebundenen An= schauungen, vom Polytheismus und von der Mythologie. Das erste Kapitel der Genesis dagegen ist so alt wie die Menschheit selbst. Beide überschritten gemeinsam die Schwelle der Ge= schichte und der Kultur. Das zweite Täfelchen (oder die zweite Täfelchenserie) geht von Gen. 2, 4b bis 5, 2. Es berichtet von den Anfängen des Men= sehen auf der Erde, vom Garten Eden, vom Fall und von Abels Ermordung. Auch dieses Täfelchen ist sehr alt und in sehr ein= facher Sprache gehalten. In späterer Zeit wäre es niemals mehr so abgefaßt worden. Der Versucher wird als Schlange dargestellt, die nach dem Fall im Staube kriecht. Dieses Bild kommt im Alten Testament nie mehr vor. Ausdrücke wie: „Die Sünde lau= ert vor der Tür", in Verbindung mit Kains Opfer, und die Be= merkung Lamechs: „Ich habe einen Mann erschlagen für meine Wunden und einen Jüngling für meine Beule" sind ebenfalls Zeichen für das hohe Alter des Textes. Auch dieser Bericht ist sehr persönlich gehalten: „Ich hörte Deine Stimme im Garten und fürchtete mich . . ., darum versteckte ich mich . . .". Man muß annehmen, daß ein späterer Schreiber nie mehr ge= wagt hätte zu schreiben: „Und sie hörten die Stimme Gottes des HErrn, der im Garten spazierenging, als der Tag kühl geworden war." Für jüdische Ohren war das viel zu unehrerbietig. Selbst Moses, der Freund Gottes, näherte sich ihm nur in großer Furcht und Scheu. Der Ausdruck: „Als der Tag kühl geworden war" bedeutet für das dortige Gebiet die Zeit kurz nach Sonnenunter= gang. Dann kühlt ein angenehmer Lufthauch die in der Mittags= hitze nahezu unerträglich heiß gewordene Erde. Aus diesem so persönlich gehaltenen Bericht dürfen wir also entnehmen, daß wir ihn aus erster Hand haben; d. h. von der Person, die am meisten über den Garten in Eden und über den Fall wissen mußte. Das zweite Täfelchen umfaßt die Geschichte von den Anfängen bis zur Geburt der Söhne Lamechs. Kurz darauf ist Adam gestorben. Die Schlußworte des Täfelchens sind: „Das ist das Buch der Geschichte Adams." Noahs Täfelchen umfaßt die Kapitel 5, 3 — 6, 9. Es beginnt mit einer Ahnentafel, die ihn mit Adam verbindet. Solche Ge= schlechtsregister sind gerade auf den ältesten Tontäfelchen häu= fig zu finden. Man kann sich in den verschiedensten Museen der Welt davon überzeugen. Auf diese Ahnentafel folgt eine Aus= fiihrung über die Verderbtheit der Welt zu Noahs Zeiten, und wie es dazu kam. „Das ist die Geschichte Noahs", die neben dem Geschlechtsregister nur wenig anderen Text enthält. Das nächste Täfelchen — oder die nächste Täfelchenreihe — geht von Kap. 6, 9 bis xo, 1. Auch hier handelt es sich um altes Gedankengut. Es beginnt mit einer Szene in Babylonien, endet aber außerhalb des Landes. Doch nicht nach Palästina führt uns der Schreiber, sondern an den Ararat. In diesem Text kommt der Ausdruck: „Gopher" (Holz) vor, der sehr alt ist. Später wird er nie mehr gebraucht. Das Täfelchen schließt mit dem Satz: „Dies ist die Geschichte der Söhne Noahs." Es ist nahezu völlig durch den Flutbericht ausgefüllt. Dieser Abschnitt hat die be= sondere Aufmerksamkeit der historisch=kritischen Forschung auf sich gezogen. Man nahm nämlich an, er sei aus dem Babyloni» sehen entlehnt worden. Wieviele Abhandlungen über diese Ka= pitel sprechen von den „zwei" oder sogar von den „drei Berich» ten", die hier ineinandergearbeitet sein sollen. Schon Astruc meinte, sie mit Bestimmtheit unterscheiden zu können, und führt folgende Stellen an: Kap. 7,18 „Also nahm das Gewässer überhand und wuchs sehr auf Erden ..." Kap. 7,19 „Und das Gewässer nahm überhand und wuchs so sehr auf Erden, daß alle hohen Berge unter dem ganzen Himmel bedeckt wurden." Kap. 7, 20 „Fünfzehn Ellen hoch ging das Gewässer über die Berge, die bedeckt wurden." Kap. 7,21 „Da ging alles Fleisch unter, das auf Erden kriecht." Kap. 7, 22 „Alles, was einen lebendigen Odem hatte auf dem Trockenen, das starb." Kap. 7, 23 „Also ward vertilgt alles, was auf dem Erdboden war, ..." Es genügt hier, auf zwei Dinge aufmerksam zu machen: 1. Daß nach den Angaben am Schluß des Täfelchens mehr als eine Person an seiner Abfassung beteiligt waren, da es sich um die „Geschichte der (drei) Söhne Noahs" handelt, und daß 2. eine gründliche Beschäftigung mit dem Text zeigt, daß diese Tragödie nur von Augenzeugen so dargestellt werden konnte. Das 5. Täfelchen enthält Kap. 10, 2—ix, 9. Es umfaßt das be= rühmte 10. Kapitel — die Völkertafel. Dazwischen eingeschoben ist eine kurze Bemerkung über den Aufrührer Nimrod. Am An= fang des 11. Kapitels ist vom Turmbau zu Babel die Rede und von der Zerstreuung der Völker. „Das ist die Geschichte Sems", heißt es dann am Schluß. Was das scheinbar zusammenhanglos dastehende Schlußstück dieser Geschlechterreihe bedeutet mit der Bemerkung über die „Söhne Joktans" und seine Wiederho= lung und Ergänzung in Tharahs Täfelchen, haben wir schon ge= sehen. Sems Aufzeichnungen beschreiben die Entwicklung der Geschichte in den fünfhundert Jahren nach der Flut. In Gen. 11,10 bis 27 haben wir das Geschlechtsregister Tha= rahs vor uns. Die angeführte Ahnenreihe beginnt mit Sem, dem Sohne Noahs, und schließt mit Abraham. Unter den vielen auf* gefundenen Täfelchen mit Geschlechtsregistern befinden sich auch solche, die schon vor Tharahs Zeiten geschrieben worden sind. Der folgende, lange Abschnitt (Kap. 11, 27 bis 25,12) hat am Schluß ein Nachwort von sieben Versen (V. 13 — 19). Dem da* maligen Brauch entsprechend hat Mose den Namen Ismaels, des ältesten Sohnes Abrahams (V. 12), vor den Isaaks (V. 19) ge* setzt. Nach der gleichen Ordnung steht im nächsten Abschnitt Esau vor Jakob. In Numeri 3, 1 setzt er ebenso den Namen sei* nes älteren Bruders Aaron vor seinen eigenen. Die in diesem Abschnitt vorliegenden Nachrichten stammen von Ismael und Isaak. Sie beginnen mit den Worten: „Tharah zeugte Abram" und schließen: „Und seine Söhne Isaak und Ismael begruben ihn in der Höhle Machpela". Aus den dazwischenliegenden Ka= piteln erfahren wir alles, was wir vom Leben Abrahams, der Hauptgestalt der Genesis, wissen. Das Hauptmaterial dazu hat natürlich Abraham selbst geliefert; aber „zu Ton" gebracht worden ist es von seinen Söhnen. Die Texte, die Mose in die Hand bekam, stammten jedenfalls aus ihrer Hand. Die Darsteh lung zeigt, daß ihre Verfasser mit den Einzelheiten der berichte* ten Ereignisse gut vertraut waren. In Kap. 18 z. B. ist von dem Besuch der 3 Männer bei Abraham die Rede, „da er saß in der Tür seiner Hütte, da der Tag am heißesten war. Und als er sei-ne Augen aufhob und sah, siehe, da standen drei Männer vor ihm. Und da er sie sah, lief er ihnen entgegen von der Tür seiner Hütte und bückte sich nieder auf die Erde und sprach: Herr . . . und Abraham eilte in die Hütte zu Sara und sprach: Eile und menge drei Maß Semmelmehl, knete und backe Kuchen. Er aber lief zu den Rindern und holte ein zartes, gutes Kalb und gabs dem Knechte; der eilte und bereitete es zu. Und er trug auf . . . Und blieb stehen vor ihnen unter dem Baum, und sie aßen." Der Rest dieses Abschnitts ist ebenso persönlich gehal-ten und berichtet von Abrahams Fürbitte für Sodom. Am Schluß lesen wir: „Abraham aber machte sich des Morgens früh auf an den Ort, da er gestanden vor dem Herrn, und wandte sein An-gesicht gen Sodom und Gomorra und alles Land der Gegend und schaute; und siehe, da ging ein Rauch auf vom Land wie ein Rauch vom Ofen" (Kap.19, 27—28). Genauso mag es Abra-ham später seinen Söhnen erzählt haben. Der folgende Abschnitt (Kap. 25,19 — 36,1) hat zwei Nach-Schriften in Kap. 36, die sich auf Esau in Kanaan und Seir be= ziehen. Dieses Täfelchen stammt von Jakob und Esau, berichtet aber hauptsächlich von Jakob und von ihm wieder besonders über seine Reise nach Padan-Aram und zurück. Auch das konnte so genau nur von ihm selbst berichtet werden. Zum Verständnis der folgenden Texte ist es gut, sich klar= zumachen, in welchem zeitgeschichtlichen Rahmen die genannten Personen gestanden haben. Abraham kommt in Ägypten mit dem Pharao und seiner Familie zusammen. Ägypten war damals eine Großmacht. Wenn Abraham als nomadisierender Hebräer — die den Ägyptern ein Greuel waren — dem Pharao vor Augen treten kann, und wenn er von den Hethitern ein „Fürst Gottes" genannt wird — was keineswegs nur als orientalische Anrede-form anzusehen ist —, so kann er kein gewöhnlicher Mann gewesen sein. Wir hören davon, daß er Knechte und Mägde hatte, daß er „große Reichtümef besaß an Vieh, Silber und Gold" usw. Er konnte auch — trotz der Anwesenheit der Kanaaniter — das Land zwischen Lot und sich teilen und sagen: „Laß doch nicht Zank sein zwischen mir und dir und zwischen meinen und dei- nen Hirten; denn wir sind Gebrüder. Steht dir nicht alles Land offen? Scheide dich doch von mir, willst du zur Linken, so will ich zur Rechten; oder willst du zur Rechten, so will ich zur Linken. Da hob Lot seine Augen auf und sah die ganze Gegend am Jordan ... da erwählte sich Lot die ganze Gegend am Jor= dan . . . und Abraham wohnte im Lande Kanaan" (Kap. 13, 8—12). Die Wahl erfolgt und bereitet die Szene für das nächste Kapitel vor, wo Abraham mit den 4 Königen in einem Kriegszug zusammentrifft. Unter ihnen der mächtige Amraphel, König von Sinear. Als diese vier Könige die fünf kleinen Stadtkönige Transjordaniens besiegt hatten, „hörte Abraham, daß sein Bruder gefangen war, und wappnete seine Knechte, 318, in sei= nem Hause geboren, und jagte ihnen nach bis gen Dan . . . und schlug sie . . . und brachte alle Habe wieder, dazu auch Lot, seinen Bruder, mit seiner Habe, auch die Weiber und das Volk . . . Aber Abraham sprach zu dem König von Sodom: Ich hebe meine Hände auf zu dem HErrn, dem höchsten Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat, daß ich von allem, was dein ist, nicht einen Faden noch einen Schuhriemen nehmen will, daß du nicht sagest, du habest Abraham reich gemacht." Abra= ham war also ein Fürst, eine für die damalige Zeit sehr hoch= gestellte Herrschergestalt. Von Isaak und Jakob hören wir das gleiche. Wir dürfen uns diese Männer keineswegs als zurück= gezogene Einzelgänger vorstellen. Von daher muß man ihnen unter allen Umständen die Fähigkeit zuerkennen, daß sie ent= weder selbst schreiben konnten, oder — was noch wahrschein= licher ist — Schreiber angestellt hatten, die die für ihre zukünf= tige Familiengeschichte so unendlich wichtigen und einzigar= tigen Verheißungen Gottes für sie niederschrieben. Es wäre wirklich nicht zu verstehen, wenn sie es nicht getan hätten, wo doch um sie her so viele unwichtige Dinge auf Tontäfelchen niedergeschrieben wurden. Bisher haben wir immer nur von den Kapiteln Gen. 1,1 bis 37,1 gesprochen. Wer aber schrieb die letzten vierzehn Kapi= tel der Genesis? Sie berichten vornehmlich von Joseph in Ägypten, der die Hauptgestalt der Familiengeschichte wird. Der Abschnitt beginnt mit dem Satz: „Joseph war siebzehn Jahre alt . . ." und schließt mit der Bemerkung: „Und er (Joseph) wurde in Ägypten in einen Sarg gelegt." Wie schon erwähnt, enthalten diese Kapitel sehr viele ägyptische Ausdrücke und Sätze und viele unbeabsichtigte Hinweise auf das Leben in Ägypten. Auch literarisch gesehen sind wir mit diesem Ab= schnitt aus Babylonien nach Ägypten übergewechselt, da er aller Wahrscheinlichkeit nach auf Papyrus geschrieben wurde. Im Gegensatz zu den anderen Abschnitten hat er keine Nach= Schrift, aus der hervorginge, wer ihn geschrieben hat. 1~ £se Frage wird uns aber noch weiter beschäftigen. Kapitel 8 Die erste Genesisausgabe Nachdem wir uns bisher nur mit der Entstehung der ersten sechsunddreißig Kapitel der Genesis beschäftigt haben, bleibt noch die Frage offen, welchen Anteil Mose an der Abfassung des Buches hatte. Sein Name wird in dieser Verbindung nie ge= nannt. Es gibt keine Stelle in der ganzen Bibel, die davon spricht, daß Mose die Berichte oder Geschlechtsregister der Genesis nie= dergeschrieben habe. Und nicht ein einziges Mal lesen wir in der Genesis die in den Büchern Exodus, Levitikus, Numeri und Deu= teronomium so oft vorkommende Einleitungsformel: „Der Herr sprach zu Mose" oder: „Gott sprach zu Mose und sagte..." Diese Beobachtung ist außerordentlich interessant. Die Penta= teuchkritik hat immer wieder betont, daß man bei der Frage nach dem Autor des Textes diese Sätze ruhig unberücksichtigt lassen könne. Die späteren Schreiber oder Herausgeber der Bücher hät= ten sie darum so häufig verwendet, weil sie glaubhaft machen wollten, daß der von ihnen verfaßte Text durch Mose, der eine große Autorität im Volk besaß, direkt von Gott gekommen sei. Wenn dies der Fall wäre, wie wollte man dann erklären, daß in der Genesis nicht die geringsten Anspielungen auf Mose zu er= kennen sind? Und gerade die Genesis wurde doch der Autorität des Mose unterstellt! Daraus wird schon deutlich, daß der in der Genesis fehlende Hinweis auf Mose die Existenz des sogenanm ten Redaktors und der verschiedenen Herausgeber recht frag= würdig werden läßt. Sie hatten an der Abfassung der Genesis kein Teil. Umgekehrt heißt es aber, daß die in den anderen Pen= tateuchbüchern verwendeten Einleitungsformeln: „Gott sprach zu Mose und sagte . . ." echt sind und mit zum ursprünglichen Text gehören. Die Art und Weise, wie im Neuen Testament auf die ersten fünf Bücher der Bibel Bezug genommen wird, ist bezeichnend dafür, wie genau man dort die Urheberschaft der einzelnen Aus= sagen beachtet. Obgleich Christus und die Apostel die Genesis oft zitieren, sagen sie nie, daß Mose sie geschrieben hätte. So= bald sich das Neue Testament aber auf Texte aus den Büchern Exodus bis Deuteronomium bezieht, heißt es immer wieder: „Mose sagt..." Welche internen Hinweise gibt es nun dafür, daß Mose an der Abfassung der Genesis mitbeteiligt war? An erster Stelle ist zu erwähnen, daß ihr ein offensichtlicher Plan zugrunde liegt. Die Josephsgeschichten stammen zweifellos von Mose. Er war in aller Weisheit der Ägypter unterwiesen und kannte damit die gesamte ägyptische Literatur. Daß er schreiben konnte, be= darf keiner Frage. Er wurde vierundsechzig Jahre nach Josephs Tod geboren. Höchstwahrscheinlich hat auch Joseph schriftliche Aufzeichnungen hinterlassen, obgleich wir nichts davon hören. Jedenfalls finden wir keinen Satz: „Das ist die Geschichte Jo= sephs." Den Genesistext Kapitel 37—50 kann Joseph schon darum nicht geschrieben haben, weil dort von seinem Tod und von seiner Einbalsamierung die Rede ist. Der ganze Abschnitt enthält zahlreiche ägyptische Ausdrücke und zeigt eine ge= naue Kenntnis der Sitten und Gebräuche dieses Landes. All das deutet darauf hin, daß für die Abfassung dieses Textes nur ein Mann in Frage kommt, der — wie Mose — die Situation wirk= lieh kannte. Außerdem sind noch „Bemerkungen" und „Erklä= rungen" in den Text eingefügt worden mit der Absicht, ihn für „Fremde" verständlich zu machen. Wie wir in Kapitel 6 schon gesehen haben, können sich diese Ergänzungen nur auf Leser beziehen, die noch vor dem verheißenen Lande stehen. Schließ' lieh wäre noch auf den Anfang des Buches Exodus hinzuweisen, das gerade dort fortfährt, wo die Genesis aufhört. Das Buch Exodus ist aber ohne die einführenden Kapitel der Genesis nicht zu verstehen und hätte folglich ohne diese auch nicht so geschrieben werden können. Wieviele Forscher haben sich bemüht, die Autorschaft Moses für den Pentateuch zu verteidigen, aber nicht einer sagt etwas über seinen Anteil an der Abfassung der Genesis. Selbst W. H. Green von Princeton, der so viele wertvolle Argumente dafür an= führt, daß die Gesetze in den Büchern Exodus bis Deuterono= mium von Mose stammen müssen, läßt die Genesis völlig außer Betracht. Adam Young schreibt, daß für Exodus, Leviti= kus, Numeri und Deuteronomium die Autorschaft Moses durch innere und äußere Kennzeichen eindeutig bezeugt sei. Von der Genesis sagt er nicht ein Wort. Andere wieder sprechen von Vs des Pentateuch, die den Anspruch erheben, von Mose ge= schrieben worden zu sein; das erste Fünftel — die Genesis — bleibt unerwähnt. Die konservativ denkenden Forscher waren sich zwar dar= über einig, daß die Genesis von Mose abgefaßt worden ist. Aber wie er zu seinen Informationen gekommen sein soll, hat niemand erklären können. Daß er den Inhalt des ganzen Buches als direkte Offenbarung von Gott erhalten habe, wagte natür= lieh keiner zu sagen — und das mit Recht. Wäre das nämlich der Fall gewesen, hätte Mose es auch klar zum Ausdruck gebracht, wie er es von Exodus bis Deuteronomium beständig getan hat. UV jeder weiß, daß ein klarer Unterschied besteht zwischen einer direkten göttlichen Offenbarung dieser Berichte und Ge= schlechtsregister und einer von Gottes Geist geleiteten Aus= wähl und Niederschrift schon bekannter Texte, wenn auch das Ergebnis dasselbe ist. Lukas schrieb sein Evangelium, nachdem er „alles mit Fleiß von Anbeginn erkundet" hatte. Davon wird die Autorität der Bibel nicht im geringsten beeinträchtigt. Es gab zwar schon einige Wissenschaftler, die die Möglichkeit vor= schlugen und teils auch behaupteten, Mose hätte schriftliche Dokumente zur Abfassung der Genesis benutzt. Aber soweit mir bekannt ist, hat nicht einer den Charakter und Inhalt die= ser schriftlichen Quellen beschrieben. Das liegt einmal daran, daß — wie in Kapitel fünf schon ausgeführt — der Gebrauch des Satzes: „Dies ist die Geschichte von ..." völlig mißverstanden wurde. Zum anderen war man mit den literarischen Gewohn= heiten der damaligen Zeit nicht vertraut, deshalb konnte man sie für die Deutung der Genesis auch nicht fruchtbar machen. Diese literarischen Eigentümlichkeiten sind bisher nie für wich= tig gehalten worden. Darum findet man sie auch nur in den wissenschaftlichen Spezialwerken der Archäologie erwähnt. Dar= über hinaus folgte man aber auch in den theologisch konserva= tiv denkenden Kreisen der allgemeinen Anschauung, daß der Inhalt der Genesis durch mündliche Tradition auf Mose gekom= men sei. Man bemühte sich lediglich, darauf hinzuweisen, daß für die Darstellung der vorsintflutlichen Zeit — soweit sie über die Patriarchen auf Mose gelangt ist —nur verhältnismäßig wenig Zwischenglieder anzunehmen seien. Aber die so oft zitierte These der „mündlichen Überlieferung" ist reine Fiktion. Weder in der Genesis noch in einem anderen Buch der Bibel findet sich für sie irgendein Anhalt. Im Gegenteil, die Aussage in Genesis 5, i („dies ist das Buch — Täfelchen — von . . . ") weist in eine ganz andere Richtung. Und die Ergebnisse der Ausgrabungen aus den letzten Jahren sind ein einzigartiger Kommentar zu dieser Stelle. Die Theorie der mündlichen Tradition ist völlig aus der Luft gegriffen. Sie stammt aus einer Zeit, in der man noch nicht wußte, wie früh sich die Menschheit schon auf das Schreiben verstand. Wir könnten hier ohne weiteres Hunderte von Täfelchen be= schreiben oder ihre Katalognummern angeben, unter denen sie in den verschiedenen Museen der Welt zu finden sind, die teil= weise über tausend Jahre vor Abraham geschrieben wurden. Ich selbst besitze ein Keilschrifttäfelchen, das tausend Jahre vor Mose entstanden ist. Einige dieser alten Täfelchen enthalten z. B. auch Berichte über die Schöpfung und die große Flut. An= gesichts dieser Tatsachen ist es doch unmöglich, noch weiter an der völlig unbegründeten Hypothese festzuhalten, die Berichte der Genesis seien — dem allgemeinen Brauch der Zeit zum Trotz — nicht schriftlich, sondern durch mündliche Tradition überliefert worden; noch dazu, wo Mose am Ende der einzelnen Abschnitte immer wieder die Quellen seiner Information angibt. Er hätte sie klarer kenntlich machen sollen. Aber wie? Er hat sie so oft zitiert, wie es damals üblich war. Wir haben uns nur nach diesem Brauch zu richten, dann wird alles klar. Nun wäre noch zu fragen, wie diese Täfelchen in Moses Hände gekommen sind. Sie müssen ja irgendwie gesammelt worden sein. Vom Anfang der Geschichte kam eins zum andern, und jeder Folgende vermehrte die Reihe durch seinen Beitrag: Noah, Noahs Söhne, Tharah, Isaak und endlich Jakob. Das Täfelchen über die Schöpfung — wir sahen es schon — war zur Zeit Noahs aller Wahrscheinlichkeit nach bereits vorhanden; desgleichen der Bericht vom Garten in Eden und vom Sündenfall. Beide kamen dann in den Besitz Noahs, der sie gekannt haben muß, da er in seinem Abschnitt (Kap. 5, 29) auf die ersten Täfelchen (Kap. 3, 17) Bezug nimmt. Noah fügte dann die in Kap. 5 enthaltene Ahnentafel hinzu. Interessant zu wissen ist, daß einige KeiU schrifttexte gefunden wurden, die ähnliche Angaben enthalten wie dieses Kapitel. In ihnen wird von zehn Männern berichtet, die „vor der Flut Herrscher waren". Allerdings sind die darin erwähnten Angaben, vor allem über die Jahreszahlen, phanta= stisch übertrieben und mit der Nüchternheit des biblischen Tex= tes nicht zu vergleichen. Die in den babylonischen Täfelchen ge= nannten Könige haben zusammen zehnmal länger gelebt als die in der Bibel. In Noahs Täfelchen steht außerdem noch der Hin= weis, daß zu seiner Zeit „der Menschen Bosheit groß war auf Erden". Seine Söhne, so sagt die Genesis, schrieben dann den Flutbericht, während die Völkertafel aus Kapitel 10 und der Kurzbericht vom Turmbau zu Babel von Sem stammen. Noah hat wohl die Täfelchen über die Schöpfung und den Fall zusammen mit seinen eigenen Aufzeichnungen an Sem weitergegeben. Spä= ter kamen sie in Abrahams Besitz, nachdem der Flutbericht, Sems Darstellungen der Völkertafel (Kap. 10) und des Turmbaues (Kap. 11) und Tharahs Geschlechtsregister noch hinzugefügt wor= den waren. Bei Abraham sammelte sich wohl dieser erste Strom der alten Überlieferung (Gen. 1, 1 bis 11, 25), entlang der Linie der göttlichen Erwählung, die nach ihm in der Linie der Verhei= ßung sichtbar wurde. Man darf sich das allerdings nicht so vorstellen, als ob solche Aufzeichnungen nur von den Personen gemacht worden wären, die uns aus der Bibel bekannt sind. Das ist ganz und gar nicht der Fall. Nach den Täfelchenfunden zu urteilen, muß jede Sippe sie gehabt haben und jede Familie wieder Abschriften davon. Diese Art Sammlungen gehörten einfach zum Familienbesitz. Man kann aber feststellen — und das ist nur zu gut zu ver= stehen —, daß bei den späteren Abschriften je nach der Einsteh hing der Schreiber die polytheistischen Anschauungen der Um= weit in die Texte eingeflossen sind. Sehr deutlich zu sehen ist das z. B. in den babylonischen Schöpfungs= und Flutberichten. Die biblischen Darstellungen sind von jenen Verzerrungen völ= lig freigeblieben. Das ist nur so zu erklären, daß sie — im Strom der vielen Überlieferungen — aus einer Linie stammen, in die keine falsche Gottesverehrung und kein Polytheismus haben eindringen können. Im sechsten Kapitel sprachen wir über den Schöpfungsbericht und über den Bericht vom Sündenfall. An Hand des Textes und der archäologischen Funde sahen wir uns zu der Annahme be= rechtigt, daß die Berichte schon zur Zeit Noahs schriftlich vor= gelegen haben müssen und daß die Söhne Noahs sie durch den Flutbericht ergänzten. Wir konnten feststellen, daß Noah die Täfelchen über die Schöpfung und den Fall gekannt hat, da er in seinen Aufzeichnungen direkt auf sie Bezug nimmt. Sem hat dann seinen Bericht mit den früheren Täfelchen verbunden, von denen er offensichtlich Abschriften gehabt hat. Wir wissen heute, daß z. B. das Täfelchen von Tharah in einer Keilschriftart niedergeschrieben worden sein muß, die wir aus Ur in Chaldäa kennen und jetzt auch lesen können. Die Täfelchen vor Tharah waren höchstwahrscheinlich in einer noch älteren Schriftart abgefaßt. Sie scheinen dann, den Erfordernissen der jeweiligen Zeit entsprechend, in die modernen Schriftarten um= geschrieben worden zu sein. So ist Abraham in den Besitz dieser wertvollen Dokumente gelangt, die ihm vom Gott seiner Väter berichteten, von dem einen Gott, dem Schöpfer Himmels und der Erde. Er hörte den Ruf dieses Gottes, Ur zu verlassen und nach Kanaan zu ziehen. Unter seinem Reisegepäck befanden sich auch jene Berichte. Welche Sprache in Kanaan zu der Zeit, als Abra= ham dorthin kam, gesprochen wurde, ist noch nicht restlos ge= klärt. Aber wir wissen, daß noch sechshundert Jahre später die Korrespondenz mit Babylonien und Ägypten aus diesem Lande in Keilschrift geführt wurde. Sie scheint damals überall bekannt gewesen zu sein; und Isaak und Jakob haben sich ihrer ganz ge= wiß auch bedient, als sie ihre Niederschriften abfaßten. Als Ja= kob dann nach Ägypten zog, trug er schon einen recht umfang= reichen Text mit sich. Von den Berichten und Geschlechtsregi= Stern aus Gen. 1 bis 37,1 wird nicht viel gefehlt haben, da Jakob seine eigenen Aufzeichnungen bereits geschrieben hatte, als er noch „im Lande seiner Väter, im Lande Kanaan" lebte. Wie wir in Kapitel 4 sahen, ist Isaaks Täfelchen mit dem Tharahs durch eine Stichwortverbindung verknüpft. Der Rest dieser Serie, Esaus und Ismaels Nachlaß, wurde dann in die Darstellung Jakobs ein= gearbeitet. Vielleicht bildeten die ersten sechsunddreißig Kapitel der Genesis schon zur Zeit Jakobs ein einheitliches Ganzes. In Ägypten entwickelte sich aus der Familie Jakobs das Volk der Hebräer. Und zwar ist anzunehmen, daß die Jakobssöhne im Lande Gosen zunächst einen sehr glücklichen Aufschwung er= lebten, begünstigt durch den mächtigen Reichsfürsten Joseph. Daß hier trotz der Dunkelheit, die über dieser Zeit liegt, die Familientradition zumindest von den Ältesten des Volkes weiter gepflegt wurde, steht außer Frage; wir werden es noch deutlicher sehen. Als Mose später die Führung des Volkes übernahm, kam er dadurch selbstverständlich auch in den Besitz seiner reli= giösen und geschichtlichen Überlieferung. Es müssen nicht unbe= dingt die Originaltäfelchen gewesen sein, die er in den Archiven des Volkes vorfand (obgleich gebrannter Ton ein unverwüst= liches Schreibmaterial darstellt); aber alte Exemplare waren es zweifellos. Ihre Keilschrift zu lesen, bedeutete für einen gebih deten Ägypter keine Schwierigkeit. Sie war zu Moses Zeiten noch die Schrift der Diplomaten. Die gesamte amtliche Korrespon= denz der Nord= und Ostgebiete des Reiches mit dem ägyptischen Außenministerium war in ihr abgefaßt, wie Hunderte von TäfeU chen beweisen, die in Tell=eI=Amarna gefunden wurden. Mose, „unterwiesen in aller Weisheit der Ägypter", ist ohne Zweifel fähig gewesen, die alten Texte zu lesen und, wenn nötig, auch zu übersetzen. Daß Mose nicht nur „in der Weisheit der Ägypter" unterwie= sen war, sondern auch über die Geschichte seines Volkes Be= scheid wußte — und zwar schon vor seiner Führerzeit —, geht aus seiner Berufung in der midianitischen Wüste am brennenden Busch hervor. Gott knüpft in der Berufungsoffenbarung dort an, wo Mose sich auskennt: „Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs." Gott braucht ihn nur an diese Namen zu erinnern, und Mose hat den ganzen Inhalt der Täfelchen vor Augen und „neigte sein Ange= sicht" (Ex. 3, 6). Die gleiche Kenntnis der Überlieferung wird bei den Ältesten Israels vorausgesetzt (Ex. 3, 16). Wenn stimmt, was wir bisher gesagt haben, daß die Berichte aus der Frühzeit auf schriftlichem Wege überliefert wurden, dann stehen im Hintergrund dieser Be= rufungsgeschichte ohne Zweifel unsere Tontäfelchentexte. Diese Täfelchen waren also die „Bibel" des Mose. Aus ihnen wußte er um den Gott seiner Väter, um dessen Verheißungen an Abraham und um seine Führungen in der Geschichte. Aus ihnen erfuhr er auch, wie diesem schon von Abel an Opfer und Ver= ehrung dargebracht wurden. Er hörte von Noahs Altarbau und von Abrahams Anbetung an allen Orten, an denen er sich nieder= gelassen hatte. Die Jahre vor Mose waren nicht dunkel und ohne göttliches Licht; Gott hatte sich den Vätern nicht „unbezeugt ge= lassen". Er hatte zu Adam, Noah, Abraham, Isaak und Jakob ge= redet. Was er zu ihnen gesagt hatte, war bis auf Mose gekom* men, und zwar auf schriftlichem Wege. Die Offenbarungen Got= tes aus der Vergangenheit sind gewiß nicht nur dem Gedächtnis der Menschen anvertraut worden. Schon bald nachdem Mose der Führer des Volkes geworden war, hören wir davon, daß er auf Gottes Geheiß hin zu schreiben beginnt. Es ist möglich, daß er dazu Tontäfelchen benutzt hat (die io Gebote wurden ja auch auf Täfelchen geschrieben, aller= dings auf Steintäfelchen — nicht Tafeln —, und zwar nach der üblichen Weise auf beiden Seiten). Das hebräische Wort für schreiben: „einschneiden, eingraben" ist noch ein Hinweis auf diese alte Schreibmethode. Aber man kann hier auch an Papyrus denken. Als Israel am Sinai mit Amalek gestritten hatte, hören wir: „Und der Herr sprach zu Mose: Schreibe das zum Gedächt= nis in ein Buch" (Ex. 17, 14). Nach dem Bundesschluß am Sinai lesen wir: „Und der HErr sprach zu Mose: Schreibe diese Worte." „Und er schrieb auf Tafeln (Täfelchen) die Worte des Bundes ... " (Ex. 34, 27—28). Nachdem Gott dem Mose den ersten Teil des Gesetzes gegeben hatte, heißt es: „Mose schrieb alle diese Worte des HErrn" (Ex. 24, 4). Von den Stationen auf der Wü= stenwanderung heißt es: „Und Mose beschrieb ihren Auszug, wie sie zogen nach dem Befehl des HErrn ..." (Num. 33, 2). Die feierlichen Schlußbemerkungen der Bücher Levitikus und Nu= meri: „Dieses sind die Gebote, die der HErr dem Mose gebot... " , sagen das gleiche aus. Auch im Deuteronomium 27, 2—3 lesen wir: „Und zu der Zeit, wenn ihr über den Jordan geht in das Land, das dir der HErr, dein Gott, geben wird, sollst du große Steine aufrichten und sie mit Kalk tünchen und darauf schreiben alle Worte dieses Gesetzes, wenn du hinüberkommst..." Nach Vers 8 sollten sie diese Worte „klar und deutlich schreiben". Dem= nach mußte es doch Menschen geben (und wahrscheinlich gar nicht so wenige), die fähig waren, diese Sätze zu lesen. In Deut. 31, 9 heißt es: „Und Mose schrieb dies Gesetz und gab's den Priestern ..." Im gleichen Kapitel lesen wir die interessante An= gäbe, daß Mose ein Lied noch am gleichen Tage schrieb. Warum das so schnell geschah, wird in Vers 21 mitgeteilt: „Denn es soll nicht vergessen werden." Und weiter lesen wir in diesem Kapitel (Deut. 31, 24 f.): „Da nun Mose die Worte dieses Gesetzes ganz aufgeschrieben hatte in ein Buch, gebot er den Leviten .. . : „nehmt das Buch dieses Gesetzes und legt es an die Seite der Lade des Bundes des HErrn." An diesem Tag beendete Mose seine Schreibtätigkeit, die 40 Jahre lang gewährt hatte. Wir haben schon davon gesprochen, daß in der Genesis kleine Bemerkungen und Erklärungen zu finden sind, die den Text verständlicher machen sollen. Sie weisen mit großer Wahrschein= lichkeit darauf hin, daß sie den in das verheißene Land einzie= henden Israeliten den Weg zeigen sollten. Dies bedeutet, daß sie — und damit die ganze Genesis — vor den Grenzen des Landes geschrieben worden sind. Mose hatte auf den Stationen der vierzigjährigen Wüstenwanderung genügend Zeit, sich einge= hend mit der Überlieferung des Gottesvolkes zu beschäftigen. Hinzu kommt die prophetische Schau dieses Freundes Gottes, wie sie in seinen Schriften deutlich wird. Sie hat es ihm ermöglicht, die Ereignisse aus der Vergangenheit und Gegenwart an den richtigen geistlichen und geschichtlichen Ort zu stellen; damit war der rote Faden seiner Darstellung gegeben. Aus der Fülle des überlieferten Materials konnte er dann die Täfelchen auswählen, deren Inhalt wir in der von Mose gebotenen Ordnung kennen. Daß er die alten Texte mit sehr großer Behutsamkeit behandelt hat, zeigen die in ihnen noch heute erkennbaren archaischen Spuren. Mose hat noch nicht einmal veraltete, aus dem Ge= brauch gekommene Wörter verändert, obgleich er doch die Texte höchstwahrscheinlich in eine neue Schriftart hat umschreiben müssen. Auch die alten, ungebräuchlich gewordenen Städte= namen hat er stehen lassen, wie wir schon gesehen haben. Nur kleine Hinweise fügte er zuweilen ein, um sie kenntlich zu machen. Manchmal erwähnt er sogar, daß eine bestimmte Stadt noch „bis auf diesen Tag" so heißt. Andere Bemerkungen er* klären alte Bräuche, bestimmen die Lage Edoms und machen Städte aus der Zeit der Vorväter kenntlich. Wenn man sich eine Stelle wie Gen. 23,17 genau ansieht: „Also ward Ephrons Acker, darin die zwiefache Höhle ist, Mamre gegenüber, Abraham zu eigen ... ", gewinnt man den Eindruck, als handele es sich um einen wörtlichen Auszug aus dem Text eines Kaufvertrages, wie sie oft auf Täfelchen aus Abrahams Zeiten zu finden sind. Alle diese Beobachtungen sind Hinweise dafür, mit welcher Ehrfurcht Mose vor den alten Texten stand. Er hat es noch nicht einmal gewagt, Wiederholungen auszumerzen oder Geschlechts* register zu kombinieren. Die Ahnentafel Sems z. B. findet sich sowohl in Gen. 10, 22—29 wie in Gen. 11, 10—26. Auch die An* gäbe über die Verderbtheit der Menschen und das darauffol* gende Gericht sind zweimal vorhanden (Gen. 5—8 und 9—13). Daß diese doppelten Angaben aus den Täfelchen verschiedener Patriarchen stammen, ist schon erwähnt worden. Solche Wieder* holungen sind für die Genesis geradezu charakteristisch. Jeder Leser kann sie erkennen. Es ist auch bezeichnend, daß mit Aus* nähme der Josephsgeschichte jedes Täfelchen mit einer kurzen Wiederholung der Ereignisse beginnt, die im vorhergehenden Abschnitt berichtet wurden. Wer mit den Schreibmethoden des Altertums vertraut ist, wird gar nichts anderes erwarten und kann darin nur einen Beweis für die Treue der Textüberlieferung sehen. An dieser Stelle könnte man versucht sein, noch über das hin* auszugehen, was die Texte selbst über ihre schriftliche Fixierung sagen. Es wäre zweifellos interessant, den Gedanken weiter zu verfolgen, wie Mose bei der Zusammenstellung des Buches vor* gegangen ist. Aber das würde uns vom sicheren Boden der Tat* Sachen wegführen und zur Spekulation verleiten. Lind Spekula* tion ist kein guter Baugrund; zu viele sind in der Vergangenheit auf ihm ausgeglitten. Was über die Entstehung der alten Be* richte zu sagen ist, kann man der Genesis entnehmen, wenn man sie im Licht ihrer Umwelt zu lesen versteht. Dazu braucht man nicht zu spekulieren. Es genügt zu wissen, daß diese Berichte von Mose zusammengestellt worden sind und daß sie uns noch in derselben Form vorliegen wie einst ihm. Je strenger man die anfangs erwähnten Prinzipien auf die Genesis anwendet, je eingehender man den Inhalt im allgemei-nen und auch die einzelnen Wörter untersucht und je mehr man das Buch im Licht der neuen archäologischen Forschungen liest, um so unausweichlicher drängt sich einem die Überzeugung auf, daß Mose — diese einzigartige Gestalt am Anfang der israeliti= sehen Volksgeschichte, dessen Name unauslöschlich mit der Ab= fassung der ältesten Teile der Bibel vorbunden ist — die Genesis zusammengestellt hat. Er benutzte dabei alte schriftliche Vor= lagen, von denen er am Ende eines jeden Abschnitts angibt, woher er sie hat. Kapitel 9 Überblick über die Geschichte der Kritik Die Vertreter der Pentateuchkritik geben ohne weiteres zu, daß ihre Anschauungen über die Entstehung der ersten Bücher der Bibel mit den Angaben der Schrift nicht übereinstimmen. In einem kurzen Überblick über die Entwicklungsgeschichte der kri= tischen Forschung wollen wir uns hier vergegenwärtigen, wie man sich nach ihr die Entstehung der Genesis vorstellt. Um bei dieser Darstellung alle Mißverständnisse zu vermeiden, wollen wir zunächst Wellhausen selbst zu Worte kommen lassen, der einer der bekanntesten — oder sogar der bekannteste — Vertre= ter jener Schule ist. Er hat den heute weithin vertretenen Anschau= ungen über das Alte Testament den Weg gewiesen. Dabei möchte ich betonen, daß die folgenden Zitate nicht ohne Rücksicht auf ihren ursprünglichen Zusammenhang hier wiedergegeben wer= den und daß wir uns bemühen, den Anschauungen der Kritik wirklich gerecht zu werden. Mit „Pentateuchkritik" bezeichnet man den Zweig der theolo= gischen Forschung, der sich vor allem um den Aufbau, die Autor= Schaft und um die Datierung der ersten fünf Bücher Moses be= müht. Unter dem übergeordneten Begriff „Literarkritik" ver= steht man dieselbe Bemühung um alle Bücher der Bibel. Man kann gegen eine Beschäftigung mit diesen Fragen nichts einwen= den, wenn diese Arbeit dazu beiträgt, das Verständnis der Bibel zu fördern. Heute bezeichnen die genannten Ausdrücke aber eine theologische Schulrichtung, nach deren Ansicht die Entstehung der biblischen Bücher völlig anders zu sehen ist, als die Bibel es angibt. Von der „Literarkritik" bzw. der „Pentateuchkritik" ist die „Textkritik" klar zu unterscheiden, die sich mit den Fragen des Textes, der Überlieferung und Übersetzung beschäftigt. Ihre Ar= beit ist nötig und für jeden Leser der Grundsprachen der Bibel unumgänglich. Eichhorn hat als erster mit „Literarkritik" die Methode be= zeichnet, mit der man die eben genannten Einleitungsfragen in die biblischen Bücher zu lösen versucht. Im Vorwort seiner „Einleitung zum Alten Testament" aus dem Jahre 1787 sagt er, er müsse hier „völliges Neuland umbrechen, um mit Hilfe der Literarkritik die inneren Zusammenhänge der einzelnen Schrif» ten des Alten Testamentes zu erhellen". Bis 1670, dem Erschei» nungsjahr von Spinozas „Tractatus Theologico°Politicus", wurde die Genesis von Juden und Christen selbstverständlich als das Werk Moses angesehen. Was dann weiter geschah, soll uns Well» hausen in seinen eigenen Worten berichten: „Spinozas kühne Behauptung, nicht nur der Pentateuch, son» dem auch die historischen Bücher des Alten Testamentes seien von Esra geschrieben worden, schoß allerdings weit über das Ziel hinaus. Eine mühevolle Kleinarbeit war nötig, um den Aufbau des Pentateuchs einigermaßen zu klären. Die ersten Schritte zur richtigen Lösung dieses Problems unternahm der französische Arzt Jean Astruc. Er hat in der Genesis zwei Quel» len entdeckt, auf die er das gesamte Material des Buches — von einigen Ausnahmen abgesehen — aufteilen konnte. Das Haupt» Unterscheidungsmerkmal war für ihn der verschiedene Gebrauch der Gottesnamen Elohim (Gen. 1, vgl. Ex. 6, 3) und ]ehova (Gen. 2, 4). Daneben machte er schon auf Stilunterschiede auf» merksam, die in einem gewissen Verhältnis zu dem verschiede» nen Gebrauch der Gottesnamen standen. Astrucs Hypothesen wurden in Deutschland durch die „Einleitung in das Alte Testa= ment" von Eichhorn bekannt und gaben den Anstoß zu weiteren Forschungen. In der weiteren Entwicklung übertrug man die aus der Genesis abgeleiteten Prinzipien auch auf die anderen Bücher des Penta» teuch. Das geschah zunächst nur zögernd, weil bei ihnen die unterschiedliche Verwendung des Gottesnamens als Unterschei» dungsmerkmal der zwei Quellen nicht mehr ganz zutraf. Als man es dann doch tat, löste sich der Pentateuch unter den Hän» den des Schotten Geddes und des Deutschen Vater in eine Masse mehr oder weniger langer Fragmente auf, für die man vergeblich nach einer Verbindung untereinander suchte (Fragmentenhypo» these). Die Fragmentenhypothese wurde hauptsächlich durch Ar» gumente aus Beobachtungen der mittleren Bücher des Penta-teuch gestützt. Allein auf diese angewandt, fand sie auch einen weiten Eingang. Sogar De Wette ging in seinen Forschungen von ihr aus, obwohl das gar nicht zu seinem Arbeitsbereich ge= hörte. Ihm ging es vornehmlich darum, durch alle Teile des Pen» tateuch die Spuren bestimmter Grundmotive, einer theologischen Tendenz also, festzustellen. Er hat dabei schon geahnt, wie nahe der Elohist der Genesis und die gesetzgebenden Teile der mittleren Bücher des Pentateuch miteinander verwandt sind. Gegen diese allzu negative Kritik erhob sich aber eine heftige Opposition. Man war zu weit gegangen. Es kam eine positivere Schule auf, die sich stark absetzt von der rein destruktiv aus= gerichteten Arbeit De Wettes. Ihre Hauptvertreter waren Bleek, Ewald und Movers. In dieser Schule ging man so vor, daß man einige Teile des Pentateuch aufgab, um andere dafür um so be= stimmter Mose zuschreiben zu können. Bei der Behandlung der Psalmen war die gleiche Methode angewandt worden: Man hatte für einige Psalmen den Anspruch auf davidische Autorschaft auf» gegeben, um sie für andere dafür um so überzeugender be= haupten zu können. Diese Arbeitsweise, einige Lieder aus den Psalmen oder einige Gesetze aus dem Pentateuch herauszulösen und aufzugeben, war so etwas wie ein „decretum absolutum" in der damaligen Theologie geworden, mit dem man sich seine wissenschaftliche Glaubwürdigkeit einzuholen suchte. Die damit auftretende Reaktion hatte schon ihre Berechtigung. Der junge De Wette und seine Schüler waren wirklich zu radikal vorgegangen, als sie das gleiche Prinzip, das man an die Genesis angelegt hatte, rigoros auch auf den ganzen Pentateudi ausdehnten. Das Ergeb-nis war eine außerordentlich unbefriedigende Sicht über den Aufbau und die inneren Zusammenhänge der einzelnen Teile der Bibel. Hier mußte die historisch kritische Forschung ansetzen. Schon De Wette spürte diese Notwendigkeit und beteiligte sich nach 1817 — dem Jahr, in dem seine „Einleitung" erschien — mit großem Erfolg an der Lösung der Pentateuch-Probleme. Dadurch wurde die Fragmentenhypothese abgelöst. Die Verwandschaft des Elohisten der Genesis mit den Gesetzesteilen der mittleren Bücher des Pentateuch wurde klar erkannt; das Buch Josua zeigte sich immer deutlicher als Abschluß des gesamten Pentateuch- Werkes. Besonders großen Eindruck machten der enge Zusam= menhang und der regelmäßige Aufbau der Erzählung des Elohi* sten. Immer mehr hielt man ihn für das Skelett des ganzen Werkes, das mit Fleisch und Blut des Jahwisten bekleidet war. Der Jahwist zeigte bei weitem nicht so viele innere Über= einstimmungen. Aus all dem schloß man, daß der Elohist als Grundschrift anzusehen sei, die dann von dem später entstan= denen Jahwisten ergänzt wurde (Ergänzungshypothese.) Diese Sicht war vorherrschend, bis Hupfeid 1853 seine Unter= suchungen über „Die Quellen der Genesis und die Methode ihrer Komposition" veröffentlichte. Hupfeid bestritt, daß der ]ah* wist sich dem Rahmen des Elohisten unterordne, um hier und da durch Ergänzungen zu bereichern. Er zeigte vielmehr, daß die elohistischen Abschnitte in der Genesis (z. B. Kapitel 20, 21, 22), die offensichtlich durch eine jahwistische Redaktion ge^ gangen seien, zu einem anderen Elohisten gehören, als dem, der sich in Gen. 1 zeigt. Er unterschied also drei voneinander unabhängige Quellen. Er nahm weiter an, alle drei wären unab= hängig voneinander entstanden und erst durch einen späteren Redaktor ineinandergearbeitet worden. Diese Annahme erfuhr allerdings durch Noldeke eine Korrektur, als er nachwies, daß der zweite Elohist nur auszugsweise im jahwistischen Ge= schichtswerk zu finden sei. Nach ihnen bilden der Jahwist und der zweite Elohist die eine Quelle und die elohistische Grund= Schrift die zweite Quelle des Pentateuch (das Deuteronomium klammerte er dabei aus). Damit konnte man trotz Hupfeids Ent= deckung wieder von zwei Quellen sprechen." (Julius Wellhausen, Encl. Britannica, 9. Auflage, Band 18). Über die weitere Entwicklung dieser Theorien schreibt Driver auf Seite 20 seiner Literature of the Old Testament: „Den Vorgang, durch den die Genesis ihre heutige Gestalt erhielt, kann man sich ungefähr wie folgt vorstellen: Zuerst wur= den die zwei unabhängig voneinander entstandenen Erzählun= gen über die Zeit der Patriarchen, J und E, zu einem einheit= liehen Werk zusammengefügt. Die Arbeitsmethode des Redak= tors, der manchmal längere Abschnitte der einzelnen Erzählun= gen aneinandersetzte, manchmal Parallelberichte zu einem ein= zigen verschmolz, ist verhältnismäßig klar nachzuzeichnen. Das so entstandene Gesamtwerk JE ist später von einem zweiten Re= daktor mit einem Erzähler P (Priesterschrift) kombiniert wor= den. Dieser Redaktor nahm P als Gerüst und füllte seine Lücken mit JE aus. Unnötige Wiederholungen ließ er einfach weg und fügte kleine redaktionelle Bemerkungen hinzu, um ein einheit« liches Werk zu schaffen. Der Text Gen. 1, 1 bis Gen. 2, 3 nahm natürlich den ersten Platz ein. Dabei verlor möglicherweise auch der Vers Gen. 2, 4a seinen ursprünglichen Platz — er stand wohl als Überschrift vor Gen. 1,1 — und kam an die Stelle, an der wir ihn heute finden. Vom folgenden J=Bericht über das Paradies ließ er wahrscheinlich die Anfangsworte weg (die Erzählung setzt ganz unvermittelt ein) und fügte dem ]ahwe=Namen noch Elohim (Gott) hinzu, um den Schöpfer des Lebens aus Gen. 2, 4b ausdrücklich mit dem Gott der Schöpfung aus Gen. 1, 1 ff. zu identifizieren. Weiter J folgend, entnahm er ihm die Ge= schichte Kains und seiner Nachkommen (Gen. 4, 1—24), ließ aber das Geschlechtsregister über die Nachkommen Seths fallen (aus Bruchstücken in J ist zu ersehen, daß er sie gehabt haben muß); nur seine ersten zwei Namen (Gen. 4, 25 f.) und die Namen= erklärung Noahs (Gen. 5,29) hat er für das Geschlechtsregister und für die chronologischen Angaben der Priesterschrift herangezo= gen (Gen. 5,1—28. 30—32). In Gen. 6,1—9 und V. 17 verschmolz er zwei Flutberichte zu einem einzigen, übernahm aber mehr Ein= zelheiten der beiden Berichte, als es sonst seine Gewohn= heit war. Auch die Wortstellung änderte er. In Gen. 9, 18—27 übernahm er von J die prophetischen Aussagen über den Charak= ter und die Eigenschaften der drei großen von Noah abstam= menden Völkergruppen. Darauf folgt der P=Bericht über Noahs Lebensende (Gen. 9, 28 ff.). Das Kapitel 10 (die Völkertafel) ent= hält Elemente aus beiden Quellen. Ihm folgt der J=Bericht über die Zerstreuung der Menschheit (Gen. 11, 1—9). In Kapitel 11, 10—25 führt ein P=Bericht die Linie der Vorväter Israels von Sem bis auf Tharah weiter. Der Abschnitt 11, 26—32 zielt dann direkt auf Abraham und stammt teils von P und teils von J. Er ist als Einleitung gedacht für die Abrahamsgeschichten der Kapitel 12 ff. Mutatis mutandis ist dann in den weiteren Kapiteln der Genesis die gleiche Methode angewandt worden." Seit Wellhausen ist zur Erforschung der Entstehungsprobleme der Genesis nichts Neues mehr gesagt worden. Man hat nur weiter gefragt, wer diese unbekannten Schreiber gewesen seien und wann und wo sie gelebt hätten. Um unserem Grundsatz treu zu bleiben, sollen auch hier die Vertreter jener Schule wieder selbst zu Worte kommen. In Hastings Bible Dictionary, Band II, S. 145, schreibt Ryle: „Die Mehrheit der Kritiker neigt zu der Ansicht, der jahwistische Erzähler stamme aus dem Südreich (Juda). Um diese Annahme zu begründen, weist man darauf hin, daß nach J Hebron als Wohnort Abrahams und wahrscheinlich auch Jakobs angegeben ist und daß als Führer der Brüder Josephs nicht Rüben, sondern Juda genannt wird. Solche Argumente sind natürlich mit Vor-sicht aufzunehmen; aber die Auffassung Kuenens, der den Schrei= ber aus dem Nordreich kommen läßt, ist nicht überzeugend be= gründet." Über den Elohisten sagt Ryle: „Allgemein nimmt man an, E spiegele eine ephraimitische Tradition wieder. In seiner Dar= Stellung werden nämlich Orte genannt, die im Nordreich liegen, und Personen, deren Erinnerung sich mehr im Nordreich als im Südreich eingeprägt haben muß." Über die Verschmelzung der beiden Erzählungen J und E schreibt er: „Ob diese Vereinigung durch einen einzigen Schreiber vorgenommen wurde, oder ob sie das Ergebnis einer langen Ent-Wicklung unter Leitung einer Gruppe von Männern aus propheti= sehen Kreisen ist, muß offengelassen werden." Und weiter (auf Seite 146): „Welches dieser beiden Dokumente älter ist, wird keiner mehr sagen können." Er fährt dann fort: „Die Schwierigkeit, vor der wir heute stehen, besteht in der Notwendigkeit, den historischen Kern der Erzählungen von seinen späteren legendären Überlagerungen und vom orientalischen Symbolismus zu befreien. Diese Aufgabe ist aber so ungeheuer, daß sich unsere bisherigen Forschungsmethoden hier als unfähig erwiesen haben. Vielleicht bringen neue Entdeckungen weiteres Licht auf diese Erzählungen der Patriarchenzeit." Man wundert sich nur, daß man angesichts dieser Lage immer noch so unbekümmert von „gesicherten Ergebnissen der historisch-kritischen Forschung" sprechen kann. Wer sich etwas mit der Entwicklung der angedeuteten Hypothesen beschäftigt hat, muß doch feststellen, daß sich das dort angewandte Erklärungs= prinzip schon längst den Händen seiner Entdecker entwunden und seine Anhänger ratlos gemacht hat. Man vergleiche hierzu nur die Worte in Lenormants „Genesis“ (Seite 7), wo es heißt: „Inzwischen ist schon jeder einzelne Vers des Pentateuch in unermüdlicher Arbeit Wort für Wort mehrfach durchdiskutiert worden, um herauszubekommen, wo er herstammt. Das Material ist aber so ungeheuer angewachsen, daß sich-nur noch Spezia= listen einen Überblick verschaffen können über die Ergebnisse dieser Forschungsarbeit." Diese Selbstdarstellung der Kritik mag im Rahmen unseres Buches genügen, um uns über die Art der Forschungsarbeiten an der Genesis zu informieren. Kapitel 10 Kritik an der Kritik Eins ist gewiß: die kritischen Theorien über die Entstehung der Genesis wären nie entwickelt worden, wenn man zur Zeit ihrer Entstehung die archäologischen Kenntnisse gehabt hätte, die wir heute haben. Ihre hauptsächlichen Fehlerquellen liegen ja gerade darin, daß man im letzten Jahrhundert über die in der Genesis beschriebene Zeit völlig falsche Vorstellungen hatte. Zusammenfassend sind für diese Fehlentwicklungen folgende Ursachen anzugeben: 1. Als die genannten Theorien entstanden, wußte man noch nichts über den Stand der Zivilisation in der Frühzeit. 2. Man trieb die literarkritische Analyse der Texte ganz un= kritisch von modernen Gesichtspunkten aus, ohne Rücksicht zu nehmen auf die (zu dieser Zeit allerdings noch unbe= kannten) alten Schreibgewohnheiten. 3. Mit der größten Selbstverständlichkeit nahm man ganz all» gemein an, daß die Patriarchen noch nicht schreiben konn» ten. 4. Die Untersuchungen an der Genesis waren weithin von weltanschaulichen (d. h. von dogmatischen) Voraussetzung gen her bestimmt (Evolutionstheorie, Mythenhypothese, usw.), die unsachgemäß waren und im direkten Gegensatz zur Bibel standen. Wie sich heute zeigt, ist das Gebäude der Kritik an der Genesis auf Sand gebaut. Es ist überholt, weil die Voraussetzungen nicht mehr stimmen. Die Wirklichkeit widerspricht den allzu selbst» verständlich angenommenen Vorstellungen über die Frühzeit der Geschichte, d. h. über den Stand der Zivilisation zur Zeit der Genesis. Selbstverständlich konnte damals niemand ahnen, daß die Ausgrabungen im Euphrattal unsere Auffassungen über jene Zeit so vollständig verändern würden. Sie begannen ja auch erst gegen die Mitte des letzten Jahrhunderts; und da noch sehr zögernd. Man hat, wie es scheint, noch nicht einmal mit der Möglichkeit gerechnet, daß sich von jener Seite aus ein Einspruch gegen all die kritischen Konstruktionen erheben könnte. Man hielt sich auch ohne jene Kenntnisse für befähigt, die literarischen Verhältnisse so alter Texte wie der Genesis zu erklären. Das Alte Testament war das einzige geschichtliche Zeugnis, das uns aus dieser sonst so dunklen Zeit überliefert ist. Erst als Layard und Botta die historischen Stätten in der Nähe Ninives auszugraben begannen, fielen die ersten Lichtstrahlen in jene Finsternis. Aber die damaligen Entdeckungen führten uns nicht weiter zurück als in die Zeit der alttestamentlichen Propheten. Am Anfang des 20. Jahrhunderts kam man dann bis in die Zeit Abrahams. Wir erinnern uns noch an die Arbeiten Sir Leonard Woolleys, der die Flutschicht in Ur freilegte. Diese Entdeckungen schafften völlig neue Verhältnisse, und man sollte meinen, daß die alten, auf falschen Voraussetzungen aufgebauten Hypothesen aufgegeben worden wären. Aber daran scheinen deren Vertreter gar nicht zu denken. In vielen Kreisen macht man noch heute so weiter, als wäre nichts geschehen. Bei der literarischen Analyse der Genesis zog man auch den Gebrauch auffälliger Wörter und Sätze in die Diskussion, ohne zu wissen, auf Grund welcher literarischen Gewohnheiten sie in den Text gekommen waren. Wer sich anmaßt, Aussagen über das Alter, den Aufbau und den Autor solch alter Texte wie die der Bibel zu machen, muß eine recht genaue Kenntnis der literari* sehen Verhältnisse der Zeit besitzen, aus der das Buch stammt. Aber die Hypothesen der Literarkritik waren schon in aller Munde, als noch kein schriftliches Zeugnis aus der Zeit Abra= hams ans Tageslicht gekommen war. Niemand wußte damals, wie man zu jener Zeit Geschichte schrieb und überlieferte. Es ist daher auch nicht verwunderlich, daß in den letzten zwei Jahrhun= derten so viele Theorien über die Entstehung der Genesis kamen und gingen; sie konnten sich ja nur auf Annahmen und Ver= mutungen stützen. Das Ganze war schließlich ein Gebäude aus vieldimensionalen Hypothesen. Nicht nur die Ergebnisse, auch die Prinzipien übernahm einer vom andern, wobei man sich dem Geist der Zeit und der allgemeinen Ratlosigkeit entsprechend über sie einigte. Die „Zweidokumententheorie" wurde durch die „Fragmentenhypothese" ersetzt, der darauf von der „Ergän= Zungshypothese" widersprochen wurde. Ihr folgte die „Kristalli= sationshypothese". Eine lange Lebenszeit war keiner dieser Theo* rien beschieden. Wir haben ja gelesen, was Wellhausen über die Geschichte dieser Entwicklung sagt: Eine Theorie „ersetzt" die andere; die „Fragmentenhypothese dominiert", bis Hupfeid sie „umstößt". Hupfeids Annahme wird dann von Noldeke „korri= giert". Wer gibt uns denn die Garantie, daß die von diesem oder jenem Spezialisten heute vertretene Anschauung nicht mor= gen schon einer neuen weichen muß? Es steht hier viel zu viel auf dem Spiel, als daß man sich jeder zeitgebundenen Lehr au f= fassung ohne weiteres anschließen könnte. Noch weniger aber kann man verstehen, warum man zu diesen hin= und herwogen» den Theorien Zuflucht nimmt, wo doch genügend Tatsachen vorhanden sind, an die man sich halten kann. Daß man die zweifellos erstaunliche Arbeit an der Genesis mit so dürftigen Kenntnissen über die wahren Verhältnisse jener Zeit durchgeführt hat, ohne je ein schriftliches Zeugnis von damals vor Augen gehabt zu haben, nötigt uns von vorneherein Zu» rückhaltung auf. Es geht doch wohl zu weit, nur auf Grund von „stilistischen Unterschieden" oder „redaktionellen Bemerkun= gen" solch alte Texte zu winzigen Partikelchen zu zerlegen, für die man auch noch verschiedene Autoren angeben will. Je kriti= scher man vorging, um so unkritischer hat man moderne Maß= Stäbe an die Schriften der alten Israeliten angelegt. Man hat sie einfach nach Gesichtspunkten beurteilt, die man an die heutigen literarischen Erzeugnisse anzulegen gewohnt ist. Neben den philosophisch belasteten Grundanschauungen der Forscher war vor allem sachliche Unkenntnis eine der Ursachen für die falschen Voraussetzungen in dieser Arbeit. Nur so war es möglich anzunehmen, die Zivilisation sei am Anfang der Ge= schichte unentwickelt und das Schreiben zur Zeit der Patriarchen noch unbekannt gewesen. Wie wenig man darüber wußte, geht schon daraus hervor, daß man die ersten nach Europa ge= brachten Keilschriftzeichen für eine Art Dekoration der orientali» sehen Keramik hielt. Wie seltsam kommt es einem heute vor, wenn man ein Vorwort zu den Kommentaren über die Genesis aus dem letzten Jahrhundert in die Hand bekommt und liest, wie man sich dort genötigt findet, die angefochtene Behauptung zu verteidigen, daß Mose wohl doch hätte schreiben können! Man vergleiche nur die Worte aus dem konservativ gehaltenen Spea* ker's Covnmentary aus dem Jahre 1871 (S. 2): „Natürlich taucht hier die Frage auf, ob die Kunst des Schreibens schon zu einer so frühen Zeit wie der des Mose überhaupt bekannt war, besonders, was die Ägypter und Juden betrifft..." Dabei haben wir Täfel* chen ausgegraben, die 1 000 Jahre vor Mose entstanden sind. Ich selbst habe einige davon in meiner Sammlung. Und die großen Museen haben Tausende von Täfelchen, die schon alt waren, als Mose lebte. 1000 Jahre vor dem großen Gesetzgeber der Israeli= ten hat man schon so gewöhnliche Dinge schriftlich festgehalten wie Geschichtsdarstellungen, Kaufverträge, Privatbriefe usw. Zu Moses Zeiten hatte man offensichtlich bereits einen kulturellen Höhepunkt hinter sich und war nicht erst dabei, sich langsam dahin zu entwickeln. Fünfzig Jahre vor Beginn der archäologischen Forschungen war man allgemein sehr stark von der sogenannten „Mythen* theorie" eingenommen. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts, also sehr bald nach der Formulierung der ersten kritischen Hypothek sen, war es in ganz Europa Mode, alle auf uns gekommenen Dar= Stellungen aus der Frühzeit der Geschichte als „Mythen" zu er* klären. 1795 veröffentlichte Wolf seine berühmt gewordenen „Prolegomena", in denen er zu zeigen versuchte, daß alle Per* sonen und Orte, die bei Homer auftreten, mythologischen Ur= Sprungs seien. Er bezweifelte sogar, daß Homer je gelebt habe. Diese merkwürdige Ansicht breitete sich wie eine Epidemie aus. Überall suchte man dann nach weiteren historischen Dokumen* ten, um sie mythologisch zu deuten. Daß diese Interpretations* methode sofort von den Vertretern der kritischen Schule aufge= griffen wurde, versteht sich von selbst. Jetzt hatte man, was man wollte: Die geschichtlichen Darstellungen der Genesis waren in Wirklichkeit nur verkleidete Aussagen aus der Mythologie. Über ein dreiviertel Jahrhundert war das die herrschende Schulmei* nung, als ein unerwarteter Gegenschlag alles umwarf: 1874 hatte Schliemann seine Ausgrabungen begonnen und entdeckte am 16. November 1876 das Grab des Agamemnon. Zuerst versuchte man, seine Ausgrabungen lächerlich zu machen. Agamemnon, der König von Mykene, war doch — nach Ansicht aller führenden Wissenschaftler — die mythische Schöpfung eines unbekannten griechischen Schriftstellers. Allmählich sah man sich aber doch genötigt einzulenken. Die archäologischen Gegenbeweise redeten eine zu deutliche Sprache. Inzwischen hat man mehrere hundert Mumien von Personen entdeckt, die man früher als „mythische Gestalten" angesehen hatte, und viele Paläste ausgegraben, in denen sie gelebt haben. Darum ist es unwissenschaftlich und ungerechtfertigt, von den „gesicherten Ergebnissen der modernen Kritik" zu reden. Die Ergebnisse sind weder gesichert noch modern. Sie stehen sogar auf recht unsicheren Füßen; und modern sind sie schon gar nicht, weil sie aus einem Jahrhundert stammen, in dem man sich noch völlig falsche Vorstellungen machte über die Zeit der Genesis. Sie sind einfach überholt. Die Archäologie hat uns den kulturellen und literarischen Hintergrund des patriarchalischen Zeitalters so deutlich gemacht, daß wir einen verhältnismäßig guten Über= blick über die Ausbreitung der damaligen Zivilisation und der Schreibkenntnisse jener Zeit haben. Damit stehen wir vor einer ganz erstaunlichen Tatsache, die kein noch so konservativer Forscher je zu hoffen gewagt hätte: Die archäologischen Forschungen haben die kritischen Hypothe* sen über die Genesis und deren Voraussetzungen völlig wider= legt, die Angaben der Bibel dagegen vollauf bestätigt. Kapitel ii Die Genesis und die Kritik Wir müssen uns nun noch etwas näher ansehen, welche Argu= mente die Kritik zur Untermauerung ihrer Theorien aus dem Text selbst heranzieht. Es werden folgende Punkte angeführt: x. Der Unterschied in Wortgebrauch und Stil. 2. Die Doubletten (d. h. mehrfaches Vorkommen derselben Berichte). 3. Interne Hinweise auf die Abfassungszeit der Texte. 4. Der unterschiedliche Gebrauch der Gottesnamen. Die Literarkritik setzt voraus, daß wir heute noch in der Lage sind, in den alten Texten der Bibel Unterschiede in Stil und Wortgebrauch klar zu erkennen. Auf diese Weise könne man einzelne Verse und sogar Sätze und Wörter voneinander unterscheiden und sie den jeweiligen Quellenschriften wie P (Priesterschrift), J (fahwist) und E (Elohist) zuschreiben; an einigen Stellen könne man sogar erkennen, wo spätere Her= ausgeber oder Redaktoren einzelne Wörter in den Text einge= fügt hätten. Obwohl man diese Schreiber weder kennt noch weiß, wo sie lebten und wann sie schrieben, will man ihren Stil genau kennen. Vor einigen Jahren sprach man auch davon, man müsse nicht nur eine „Priesterschrift" oder einen „jahwistischen Erzähler" usw. annehmen, sondern ganze Schulen der jeweiligen Richtung. Diese hätten dann während einer längeren Zeit an den Texten gearbeitet. Die Schriften dieser Gruppen seien von späteren Re= daktoren erneut überarbeitet worden, um die einzelnen Erzählun= gen noch weiter zu harmonisieren; aber auch ihr Werk sei später von den Schlußredaktoren noch einmal durchgesehen worden, bis das Buch die uns heute bekannte Gestalt erhielt. Man war in der Kritik aus vielen Gründen genötigt, die so verschiedenen Re= daktoren einzuführen; andererseits widerspricht das aber ihren eigenen Erkenntnissen. Diese Redaktoren wären doch gewiß in der Lage gewesen, die noch vorhandenen „Widersprüche" und „Doubletten" aus dem Text zu entfernen. Wir dürfen annehmen, daß ein Hebräer als Herausgeber der Bücher die so oft zitierten „Risse" im Text genauso erkannt hätte wie jeder durchschnitt= liehe kritische Forscher unserer Tage. Es wäre eine ebenso mühsame wie nutzlose Arbeit, den so ver= schiedenen Ansichten über die „Unterschiede in Wortgebrauch und Stil" in den Texten der Genesis einzeln nachzugehen. Ein Beispiel mag genügen, um zu zeigen, wie man dabei vorgeht. Wir greifen dazu das 37. Kapitel der Genesis heraus. Dieser Text wird in der folgenden Weise aufgeteilt (wir folgen dabei nur einer Schulrichtung; es gibt noch eine ganze Reihe anderer Er= klärungsmöglichkeiten): Vers 1 bis 2a wird P zugeteilt. Vers 2b bis 4 wird J zugeteilt. Vers 5 bis 11 wird E zugeteilt. Vers 12 bis 18 wird J zugeteilt. Vers 19 bis 20 wird E zugeteilt. Vers 21 wird J zugeteilt. Vers 22 bis 25a wird E zugeteilt. Vers 25b bis 27 wird J zugeteilt. Vers 28a wird E zugeteilt. Vers 28b wird J zugeteilt. Vers 28c bis 30 wird E zugeteilt. Vers 31 bis 35 wird J zugeteilt. Vers 36 wird E zugeteilt. Nach dieser Analyse wird der Text zu einer Sammlung ganz verschiedenen Gedankenguts. Die Erzeugnisse der verschiedenen Schulen wären darin vereinigt, und doch sollen sie eine fort= laufende Darstellung bilden. Wir haben in diesem Buch eine Lösung des Genesisproblems vorgeschlagen, die uns wirklich einleuchtender erscheint als die Theorie von den vielen unbe= kannten Schreibern, von denen keiner weiß, wo sie lebten und wann sie schrieben, deren Stil, Wortgebrauch und religiöse Hal= tung man aber so genau zu erkennen meint, daß man sogar in der Lage ist, ihre Spuren an einzelnen Wörtern abzulesen. Wir halten uns hier lieber an die Angaben Moses, die im Vergleich zu der Zeitgeschichte um vieles klarer und einleuchtender sind als die von der Kritik vorgeschlagenen Erklärungen. Viel hat man geschrieben über die sogenannten „Doubletten". So sagte Driver z. B., daß „der Flutbericht aus Gen. 6, 9—13 (die Verderbtheit der Menschen) eine Wiederholung des Abschnitts aus Gen. 6,5—8 sei". Diese Wiederholungen kann keiner leugnen. Aber wie kamen sie da hin? Das ist erst zu erkennen, wenn man sie im Licht der zeitgeschichtlichditerarischen Verhältnisse sieht, die wir in Kapitel 7 dieses Buches kurz Umrissen haben. Der erste Bericht (Gen. 6, 5—8) gibt den Schluß des Täfelchens von Noah wieder. Die „Doublette" in Gen. 6, 9—13 leitet dagegen den Flut= bericht der „Söhne Noahs" ein. Solche Wiederholungen sind eine durchaus übliche Erscheinung in der Literatur jener Zeit. Als zweite „Doublette" werden die zwei Verheißungen ge= nannt, in denen Sara ein Sohn zugesagt wird (Gen. 17, 16—19 und Gen. 18, 9—15). Die Schwierigkeit löst sich, wenn man weiß, daß wir es in diesen Abschnitten mit den Berichten der beiden Halbbrüder Ismael und Isaak zu tun haben. Viele Theologen scheinen auch gar nicht zu merken, daß man den Vorwurf der „Doubletten" nahezu jedem alten Text machen kann. Sie gehören mit zum Stil jener Tage und sind ein Zeichen für das Alter der Niederschrift. Als Arno Poebel einige sumerische Täfelchen be= arbeitet hatte, die in Nippur (Kalneh) gefunden waren (vgl. seine Arbeiten über die Keilschrifttexte: Historical Texts, herausgegeben im Jahre 1914 von der Universität Pennsylva= nia), sagte er im Blick auf diese: „Bibelleser würden hier so= fort ein bekanntes Prinzip wiedererkennen: Texte werden teil= weise wiederholt, und man nimmt oft Bezug auf vorher geschrie= bene Abschnitte." Als dritte Doublette führt Driver den Abschnitt Gen. 27, 46 bis 28, 9 an, „der sich in seinem Stil von Gen. 27, 1—45 erheblich unterscheidet". Auch hier stammen beide Texte aus Abschnitten, die von Isaak und Ismael kommen. Driver scheint gar nicht gesehen zu haben, wie sehr verschieden beide Berichte sind; der eine ist nämlich — genau wie zu erwarten — von der Sicht Ismaels aus geschrieben und der andere von der Isaaks. Als vierte und fünfte Doublette führt Driver Gen. 28, 19 und Gen. 35, 15 an, „wo sich zwei Erklärungen des Namens Bethel finden" und Gen. 32, 28 und Gen. 35, 10, „wo der Name Israel zweimal gedeutet wird. Von Esau heißt es da, daß er schon in Edom wohne, wogegen in Kap. 36, 6 seine Wanderung dorthin von Ursachen abhängig gemacht wird, die vor der Rückkehr Ja= kobs aus Padan=Aram aufgetreten sein können" (Vgl. „Gene* sis", S. 4). Wenn man das annimmt, muß man voraussetzen, daß Esau vor Jakobs Rückkehr aus Padan-Aram keine Herden besessen haben kann. Jakob ging aber erst nach Padan=Aram, als er schon 77 Jahre alt war. Nicht ein Wort steht in diesem Abschnitt, das man mit Recht anzweifeln könnte. Driver wußte doch auch, daß das Gebirge Seir am Südende des Toten Meeres liegt, rund 70 km von Beer=seba entfernt, wo Jakob lebte. Und wenn man immer davon spricht, diese Patriarchen seien Nomadenscheiche gewesen, so ist doch als selbstverständlich anzunehmen, daß sie häufig hin- und herwanderten. Mit diesen fünf Beispielen haben wir uns alle Doubletten an= gesehen, die Driver anführt. Ich glaube nicht, daß man durch sie gezwungen ist, ihre Herkunft so zu erklären, wie die Kritik es tut. Als weiteres Argument zugunsten der kritischen Sicht werden interne Hinweise auf die Abfassungszeit der Genesis angeführt. Nach Driver („Genesis", S. 15) gibt es Stellen in der Genesis, „von denen man bei unvoreingenommener Betrachtung kaum annehmen kann, daß sie vor Israels Niederlassung in Kanaan geschrieben sein können. Z. B. Kapitel 12, 6; 13, 7; 14, 14 (Dan); 21, 32 und 34; und 26, 1 (die Philister — falls die An-gaben in 10, 14 richtig gesehen sind — waren vor Ramses III. nicht in Palästina zu finden, d. h. nicht vor dem Auszug der Is-raeliten aus Ägypten) und 40, 15 (Kanaan, ,das Land der He-bräer' genannt)". Die ersten beiden Stellen beziehen sich auf den gleichen Gegenstand; wir können sie darum auch gemeinsam betrachten. In Kap. 12, 6 heißt es: „Es wohnten aber zu der Zeit die Kanaani- ter im Lande" und in Kap. 13, 7: „So wohnten auch zu der Zeit die Kanaaniter und Pheresiter im Lande." Die Schwierigkeit die= ser Stelle ist aber sofort beseitigt, wenn man sie als Erklärung ansieht, die Mose bei der Zusammenstellung der alten Täfelchen hinzugefügt hat. Im Textzusammenhang werden nämlich zwei Orte erwähnt: Sichern und Bethel. Abraham hatte sich dort zeit= weise niedergelassen, als er, von Mesopotamien kommend, Kana= an erreicht hatte. Er schlug seine Zelte in Sichern auf und stieß dabei auf die Kanaaniter, die in diesem Gebiet wohnten. Als er später weiter südwärts nach Bethel kam, wohnten dort die Kana= aniter und Pheresiter im Lande. Aus dem Gebrauch der beiden Namen Kanaaniter und Pheresiter wird aber klar, daß „Kanaani= ter" hier — wie an anderen Stellen oft — nur eine Stammes= bezeichnung sein kann. Die Kanaaniter werden hier noch als ein Stamm unter vielen andern, die in Palästina wohnhaft waren, bezeichnet. Diese „Erklärungen" stammen zweifellos aus der Hand Moses, der sie nach der 40jährigen Wüstenwanderung hinzufügte, als Israel an den Grenzen Kanaans stand und sich anschickte, das Land zu betreten. Wie wir wissen, geschah das vierhundert Jahre nach Abrahams kurzem Aufenthalt in Sichern und Bethel. Zu Moses Zeiten wohnten andere Stämme an den genannten Orten, was die hier beigefügte Erklärung deutlich machen soll. In Num. 13, 29 heißt es nämlich, daß zu Moses Zeiten „die Hethiter, Jebusiter und Amoriter auf dem Gebirge wohnen, die Kanaaniter aber am Meer und am Jordan". In den verflossenen vierhundert Jahren hatten die Kanaaniter also ihre einstigen Wohnsitze verloren oder verlassen und waren vom Bergland um Sichern und Bethel in die Küstenebene und in das Jordantal hinuntergewechselt. Diese Bemerkung ist ein Beweis dafür, daß Mose sie später hinzugefügt hat, um die neue Situa= tion zu klären, und daß folglich der Kontext ursprünglich aus ganz alter Zeit stammt. Als weiteres Argument für die kritischen Theorien gilt die Erwähnung von „Dan" in Gen. 14, 14. Man meint, es handele sich um das Dan der Daniten, d. h. um die Stadt, die — ganz im Norden gelegen — erst seit der Zeit der Richter für Israel erobert worden war. Aber diese Folgerung ist nicht zwingend. Solche Übereinstimmungen von Ortsnamen gibt es in alten Texten zu häufig, als daß man sofort von Widersprüchen und Fälschungen sprechen könnte1). Es handelt sich hier wahrscheinlich um eine alte Stadt dieses Namens, die schon lange vor der Zeit bestand, als Lais (vgl. Richter 18, 29) von den Daniten eingenommen und in „Dan" umbenannt wurde. Die nächste Stelle, von der Driver spricht, ist erst durch die kritische Umdeutung schwierig geworden. Es handelt sich um die Erwähnung der Philister) in Gen. 10, 14. Der Text bietet hier keine Schwierigkeiten; man kann ihn nur schwierig machen. Wir haben uns bemüht, auch die anderen Standpunkte so ob» jektiv wie möglich zu Wort kommen zu lassen. Soweit mir bekannt ist, haben wir keine wichtigen Argumente unberück= sichtigt gelassen. Aber es ist überall festzustellen, daß die Er= klärungen der kritischen Forschung sehr einseitig ausfallen. Es werden ausschließlich Argumente vorgebracht, die gegen die Glaubwürdigkeit der biblischen Angaben sprechen sollen. An keiner Stelle finden sich auch nur einige Andeutungen darüber — auch in Drivers Zusammenfassung nicht —, daß es auch Text» stellen gibt, die eindeutige Angaben in der anderen Richtung machen. Ein Text wie z. B. Gen xo, 19 wird nirgends erwähnt, in dem Sodom und Gomorra als Wegmarkierungen angegeben wer= den, obwohl die Städte schon zu Abrahams Zeiten zerstört wor» den sind. Angesichts der Ergebnisse der historisch=kritischen Forschung an der Bibel drängt sich einem die Frage auf, ob hinter ihr nicht eine ganz andere Tendenz zu sehen sei als nur die der wissen» schaftlichen Wahrheit. Kritische Forschung ist gut; aber wo sie nur Dienerin unsachgemäßer Tendenzen — d. h. der Bibel nicht gemäßer Tendenzen — ist und sich dogmatisch gebunden zeigt, *) *) Ein Assyriologe von heute wird sich nicht mehr an solch einer Er» klärung über das Vorkommen von „Dan" in Gen. 14, 14 stoßen, da mehrfach Belege dafür gefunden wurden, daß gleiche Städtenamen für verschiedene Orte verwandt worden sind. Vgl. D. J. Wiseman: " Alakh Tablets" (1953) und B. Isserlin: " Palestine Exploration Quarterly" (1956). !) Vor kurzem durchgeführte Ausgrabungen in Cyprus (Enkomi) zeigen, daß es dort schon mehr als ein Jahrhundert früher, als man bisher an= nahm, Philister gegeben haben muß; es ist zumindest sehr wahr» scheinlich, daß es in der Küstenebene von Palästina zu der von der Genesis beschriebenen Zeit schon philistäische Kolonien gegeben hat. muß sie sich Gegenkritik gefallen lassen. In unserem Fall reichen ihre Argumente nicht aus, die Angaben der Genesis umzustoßen. Im Gegenteil; im Lichte der neueren archäologischen Forschung werden diese nur bestätigt. Im folgenden Kapitel werden wir uns nun noch mit dem letz= ten Argument beschäftigen, das als interner Beweis für die Theo= rien der Quellenscheidung herangezogen wird; mit dem ver= schiedenen Gebrauch der Gottesnamen in der Genesis. Die Gottesnamen in der Genesis Das Hauptargument für die Thesen der Quellenscheidung stützt sich nach Ansicht ihrer Vertreter auf den verschiedenen Gebrauch der Titel und Namen Gottes in der Genesis. Man setzt voraus, daß jeder Schreiber nur einen Namen oder Titel für Gott verwendet hat. Jeder Abschnitt oder Vers, in dem die je» weilige Gottesbezeichnung erscheint, kann auf Grund dieser Voraussetzung nur von dem Schreiber stammen, der diesen Namen allein oder vorwiegend gebraucht. Mit dieser Beobach» tung begann überhaupt erst die Arbeit der Quellenscheidung. Mit der Zeit wurde das Ganze aber ein immer komplizierteres Zusammensetzspiel. Soweit es in der hier gebotenen Kürze geht, wollen wir einmal dem Gedankengang dieser Hypothese folgen. Wie schon angedeutet, hat der französische Arzt Jean Astruc zum ersten Mal den Gedanken ausgesprochen, daß in der Genesis verschiedene Quellen verarbeitet seien und daß man sie an dem verschiedenen Gebrauch der Gottesnamen unterscheiden könne. In den ersten fünfunddreißig Versen der Genesis (Gen. 1,1 bis 2, 4a fand er für Gott nur den Ausdruck Elohim (Gott). In den Kapiteln 2, 4b bis 3, 24 heißt Gott nur Jahwe Elohim (Herr Gott), abgesehen von den Stellen, wo Satan das Wort „Gott"' verwendet. Diese Texte, meinte er, müßten von zwei verschiede» nen Schreibern stammen, da man nicht annehmen könne, daß Mose einmal diesen, und in einem anderen Abschnitt unver» mittelt den anderen Namen für Gott verwendet habe. Astruc teilte dann das Buch in kleinere Abschnitte auf, die sich durch ihre verschiedene Gottesbezeichnung voneinander unterschieden. Auf diese Weise kam der uns unbekannte Schreiber der elohisti» sehen Texte zu seinem Namen Elohist, und der Schreiber der Jahwe»Abschnitte wurde entsprechend Jahwist genannt. Nach einem Jahrhundert emsiger Bemühungen hatte man 1x4 folgendes geistvolle Gewrr herausgearbeitet, mit dem man den Gebrauch der Gottesnamm in der Genesis zu erklären versuchte: Die beiden Quellen J uid E stammen von zwei verschiedenen Erzählern (oder auch Säulen) aus der Zeit irgendwann nach Saul. Ein Redaktor RJE cerarbeitete beide Erzählungen so inein* ander, wie es seinem Plai am besten entsprach, indem er beiden Berichten die gewünschtin Stellen entnahm, manchmal kleine Veränderungen anbrachti oder Wörter und Sätze hinzufügte. Er verstand sein Handwerk :o gut, daß es heute schwierig ist — wie die Kritiker sagen —, die ursprünglichen Texte voneinander zu unterscheiden. Spätere Ridaktoren haben dann sein Werk noch» mals überarbeitet. Rund tausend Jahre nach Mose ist eine wei* tere Quellenschrift entstmden, P (Priesterschrift) genannt. Ein Redaktor, EP, fügte dies< Schrift zu JE und machte hier und da noch einige erläuternde Zusätze. Wenn die Kritik recht Jätte, wäre kein Buch der Weltgeschichte so geschrieben worden vie die Genesis. Und doch wird gerade von der Kritik immer wilder betont, daß sich die Bibel in keiner Weise von anderen Büdern unterscheide. Vor einigen Jahren kam eine kritische Ausgabe der Genesis heraus, in der die einzel» nen Quellenstücke durch verschiedenfarbigen Druck kenntlich gemacht waren. Die Ausgabe wurde als „Regenbogenbibel" be= kannt. Sie ist ein eindrücdiches Beispiel für das Durcheinander, in das man hier geraten ist. Nicht nur der logische Zusammen« hang des Textes, sondert auch das grammatische Gefüge muß nach dieser Methode zerrissen werden, um den Prinzipien gebrecht zu werden. In diese: Verbindung müssen wir noch auf eine wichtige Stelle besonders eingehen. Schon Astruc hat auf sie hin* gewiesen und sie zur Urterstützung seiner Theorie herangezo* gen. Seine Nachfolger mähten es ihm natürlich nach und sahen in ihr einen starken Pfei.er für das Gebäude ihrer Hypothesen. Es handelt sich um die Stelle in Ex. 6, 3, wo es heißt: „Da redete Gott mit Mose und sagte zu ihm: „Ich bin der Herr (Jahwe). Ich bin dem Abraham, Isaak und Jakob als der ,all= mächtige Gott' (,El Schiddai') erschienen, aber mit meinem Namen Herr (Jahwe) habe ich mich ihnen nicht geoffenbart1)." *) Die Aussprache des Gottemamens Jehova ist auf ein Mißverständnis zurüdczufiihren und wurde durch christliche Theologen Ende des 15. Nach Ansicht der Vertreter der Literarkritik ist mit diesem Satz alles gesagt. „Nicht eine einzige Stelle (der Genesis) kann aus der Hand des Schreibers von Ex. 6, 3 stammen; es sei denn, er widerspräche sich selbst" schreibt Carpenter (Oxford Hexa= teuch Band 1, S. 34). Wie sehr dieser Vers („aber mit dem Namen Jahwe habe ich mich ihnen nicht geoffenbart") für die Anschauungen der Kritik zu sprechen schien, zeigt am deutlichsten die Haltung der kon= servativen Forscher zu dieser Stelle. Sie zogen sich dadurch aus der Verlegenheit, daß sie dem Vers eine andere Bedeutung unter= schoben Man argumentierte z. B.: „Der Name Jahwe kommt in der Genesis fast 200 mal vor. Folglich muß dieser Vers etwas an= deres sagen, als er seinem Wortlaut nach zu sagen scheint." Ein anderer schreibt zu dieser Stelle: „Obwohl der Name (Jahwe) aus alter Zeit stammt und die Patriarchen ihn gekannt haben, war ihnen doch seine volle Bedeutung nicht geoffenbart; das Wesen Gottes war ihnen aus diesem Namen noch nicht aufgegangen." Oder: „Den Namen Jahwes kannte man, aber man kannte nicht den Sinn dieses Namens." Diese Deutungen übersehen erstens, daß Gott hier selbst sagt, er habe sich den Erzvätern unter einem andern Namen geoffenbart als hier dem Mose, und zweitens, daß von einer besonderen Erklärung des Namens Jahwe in seiner vollen Bedeutung auch hier nicht die Rede ist. Wir hören nur die zwar ungeheuer tiefsinnige, aber einfache Erklärung: „Ich bin, der Ich bin." Um zu zeigen, daß Ex. 6, 3 nicht bedeuten kann, was sein Wortlaut offensichtlich sagt, hat man auch auf Gen. 4, 26 hin= gewiesen: „Zu der Zeit fing man an, den Namen Jahwes anzu= rufen (Luther: ,zu predigen den Namen des Herrn')." Aber um Jahrhunderts aufgebracht. Kein Jude hat diesen Namen jemals so ausgesprochen. Die alten hebräischen Bibeltexte waren „unpunktiert", d. h. sie hatten nur Mitlaute. Für „geben" standen folglich nur die Mitlaute „gbn" — um ein deutsches Beispiel zu nehmen. — Um das Lesen und Verstehen der Texte in der späteren Zeit zu erleichtern, wurden die Selbstlaute in Form von Punkten und Strichen unter die Mitlaute geschrieben. Da man aber den Gottesnamen Jahwe nie aus= sprach, setzte man unter seine Mitlaute JHWH die Selbstlaute für das Wort Adonai (= Herr). Das A am Anfang wurde zu einem E ver= dünnt; das I am Schluß fiel fort. Aus dieser Form las man dann im Mittelalter Jehova. das zu sagen, hätte man schon auf viel frühere Texte hinweisen können; der Name taucht ja schon viel eher auf. Der Heraus= geber der Companion Bible, ein Vertreter der konservativen Schule, sagt dazu: „Dieser Vers kann sich unmöglich auf den Anfang des wahren Gottesdienstes beziehen; Abel und Kain haben schon damit begonnen, und ihre Nachkommen sind zwei= fellos ihrem Beispiel gefolgt. In Wirklichkeit haben wir es hier mit der Profanierung des Jahwe=Namens zu tun." Diese „Auslegung" steht aber nicht weniger im Widerspruch zum Text als die Hypothesen der Kritik. Sie ist einfach aus der Luft gegriffen. Schon die ganze Art der Argumentation zeigt, wie sehr man hier versucht ist, eine Schwierigkeit zu umgehen, der man nicht beikommen kann. Man könnte noch eine ganze Reihe solcher unsachlichen und unbegründeten Erklärungsver= suche anführen, in denen sich die ganze Verlegenheit wieder= spiegelt, in der man sich angesichts dieser Stelle befindet. Von ihnen soll hier nur noch ein zwar sehr geistreicher, aber darum doch nicht mehr überzeugender Deutungsversuch wiedergegeben werden, der von dem Juden H. M. Weiner stammt: „Im Verständnis des Schreibers ist der Satz: ,Ich offenbarte mich ihnen . . .' ganz klar. Heute aber verstehen wir darunter etwas anderes. Der primitive Mensch meint nämlich, daß ein Name auch eine objektive Existenz habe. Sobald einer diesen Namen nennt, hat er nach diesem Verständnis in gewisser Weise Gewalt über den Genannten. Es läßt sich im Alten Testament überall leicht nachweisen, daß auch die Hebräer an die objektive Kraft der Namen glaubten. Genau das scheint auch die Anwendung des Gottesnamens hier zu bedeuten. Der eigentliche Sinn dieser Stelle ist also nicht, einen neuen Namen zu offenbaren oder einem schon bekannten Namen eine neue Bedeutung beizulegen; es soll vielmehr eine Verbindung her= gestellt werden zwischen der Gottheit und den Menschen. Für Mose und die Israeliten sollte von nun an der Name das Unter= pfand dafür sein, daß ihnen die Kraft der Gottheit zur Ver= fügung stehe" (Origin of the Pentateuch, S. 38). Es würde zu weit führen, alle widerspruchsvollen Deutungen hier anzuführen, die — genau wie von den konservativen Aus= legern — auch von den Vertretern der theologischen Kritik zu dieser Stelle vorgeschlagen worden sind. Niemand hat erklären können, wieso nach Ex. 6, 3 der Name Jahwe den Patriarchen noch nicht bekannt gewesen sein soll, obwohl Abraham, Isaak und Jakob in der Genesis ihn so oft nennen. Alle diese Fehb deutungen und Ausflüchte sind aber auf die falsche Annahme zurückzuführen, daß kein Teil der Genesis vor Mose nieder* geschrieben worden sei. Die Kritik kam auf Grund dieser Annahme in den unentwirr* baren Irrgarten der Quellenscheidung, und die Vertreter der konservativen Schule waren gezwungen, die Texte zu verdrehen und umzudeuten. Um ihre Theorie zu retten, mußten die ersteren geheimnisvolle Redaktoren und Herausgeber einführen. Dabei setzten sie voraus, die Genesis sei in einem jahrhundertelangen Arbeitsgang entstanden und von vielen Händen immer wieder durchgearbeitet und gefeilt worden. Dürfte es nach dieser Theo= rie noch möglich sein zu glauben, die letzten Bearbeiter hätten den Widerspruch zwischen Ex. 6, 3 und der Genesis nicht er= kannt? Erklärungen wie die der Kritik machen die Schwierigkeiten nur noch größer. Die ganzen Ausflüchte sind einzig darum ent= standen, weil man in der sich so lange dahinziehenden Debatte nie bemerkt hat, daß die Genesis ursprünglich von den Personen geschrieben wurde, deren Namen sie selbst nennt. Man muß sich folgendes vor Augen halten: Die ersten Texte wurden höchst= wahrscheinlich in einer ganz alten Schriftart abgefaßt. Die spä= teren entstanden dann in Keilschrift. Die Täfelchen, die Abraham von Ur mitnahm, waren zweifellos in der Keilschriftart abgefaßt, die auch uns aus dem Ur jener Tage bekannt ist. Als Mose dann in den Besitz der Texte kam, mußte er sie natürlich übersetzen und auch in eine andere Schriftart umschreiben. Auf diesen Täfelchen fand er dann immer wieder das Keilschriftzeichen für „Gott". Im Schöpfungsbericht kam es 34 mal vor. An anderen Stellen fand er das Keilschriftzeichen für El Schaddai („Der allmächtige Gott", „der allgenügsame Gott"), d. h. den Namen, unter dem sich Gott den ausdrücklichen Angaben von Ex. 6, 3 zu= folge dem Abraham, Isaak und Jakob geoffenbart hatte. Im Blick auf die Gottesbezeichnung „El Schaddai" sind nun einige interessante Beobachtungen zu machen. Der volle Titel „El Schaddai", wie wir ihn aus Ex. 6, 3 kennen, wird nur in der Genesis verwendet, und zwar nur an sehr bezeich= nenden Stellen (vgl. Gen. 17, x: „Als nun Abraham 99 Jahre alt war, erschien ihm Jahwe und sprach zu ihm: ,Ich bin der El Schaddai, wandle vor mir und sei fromm.'" Vergleiche dazu noch Kapitel 28, 3; 35,11; 48, 3). Weiter fällt auf, daß Schaddai ohne EL noch 42 mal vorkommt, und zwar fast immer bei Personen, die außerhalb des Landes Palästina leben oder schreiben oder eine Verbindung zur babylonischen Kultur haben. Hiob verwen= det es 31 mal. Bileam, der aus Mesopotamien kommt, gebraucht es auch. Desgleichen Naemi, die Moabitin, und Hesekiel, der Prophet in Babylonien. Wenn von den 42 Stellen, in denen dieser Name vorkommt, 38 in dieser Verbindung stehen, hat das zwei= fellos etwas zu sagen. In Ex. 3 haben wir einen Bericht über die Offenbarung Gottes am Horeb und über seinen Auftrag an Mose, nach Ägypten zu gehen und das Volk aus der Sklaverei zu befreien. Dort heißt es: „Da sagte Mose zu Gott: ,Wenn ich nun aber zu den Israeliten komme und ihnen sage: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt — und wenn sie mich dann fragen: Wie heißt er denn? was soll ich ihnen dann anworten?' Da sagte Gott zu Mose: ,Ich bin, der ich bin.' Dann fuhr er fort: ,So sollst du den Israeliten sagen: Der »Ich bin« hat mich zu euch gesandt!' Und weiter sagte Gott zu Mose: ,So sollst du zu den Israeliten sagen: Der Herr, der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs hat mich zu euch gesandt. Das ist mein Name in Ewigkeit und meine Benennung von Geschlecht zu Ge= schlecht.'" Der Begriff „Gott" ist kein Name, sondern ein Titel. Jahwe war der Name Gottes. Im folgenden muß man zwischen Namen und Titel klar unterscheiden. Man kann sich das verdeutlichen am zweiten Gebot, wo es heißt: „Du sollst den Namen Jahwes, deines Gottes, nicht mißbrauchen ..." Kein Jude hatte Hem= mungen, von Gott (Elohim) zu reden und zu schreiben. Aber das zweite Gebot über den Namen Gottes hielt er so genau, daß er diesen Namen noch nicht einmal bei der Lektüre der Heiligen Schriften aussprach. Wo er vorkam, las man darum an seiner Stelle Adonai (Herr). Die Hebräer konnten auch von „dem Elohim", dem wahren Gott reden —im Gegensatz zu den vielen falschen Göttern —, aber sie sprachen nie von „dem Jahwe", da es nur einen Jahwe im Himmel und auf Erden gab. Wir lesen auch in der Genesis „von meinem Gott", aber nie von „meinem Jahwe". Er heißt zwar „der Gott Israels", aber nie „der Jahwe Israels", da es nur einen Jahwe gab. „Ich bin Jahwe, das ist mein Name, und meine Ehre gebe ich keinem andern." Als die Menschen aber begannen, sich „viele Götter und viele Herren" zu machen, kam man mit dem Titel „Gott" für sie alle nicht mehr aus; man brauchte Namen, um sie voneinander unter= scheiden zu können. Der Begriff „Gott" sank zu einer Gattungs= bezeichnung herab. Auch die Bibel geht auf diese Veränderung ein und nimmt Namen auf zur Bezeichnung des wahren Gottes im Gegensatz zu den Götzen. Denn auch die Götzen wurden „Götter" genannt. Laban nannte seine Götzen, die Rahel ihm gestohlen hatte, „Götter" (Elohim); und Jakob tut das gleiche. In Ex. 12,12 hören wir von den Göttern (Elohim) Ägyptens, von Kamosch und Dagon. Die Babylonier kannten Dutzende von Göttern, von denen jeder seinen eigenen Namen hatte. In Her= mann Rankes Early Babylonian Personal Names of the Hamurabi Dynasty (S. 197 ff.) — veröffentlicht in der Reihe D der Resear* ches and Treatises of the University of Pennsylvania — werden die Namen von über 80 babylonischen Göttern genannt, die auf Tontäfelchen mit der Bezeichnung ilu (Gott) gefunden wurden; sie waren zur Zeit Abrahams „modern". Zu Moses Zeiten war es noch schlimmer. In Ägypten gab es allein über 40 Kleinstaa= ten, von denen jeder seinen eigenen Hauptgott hatte, der in der Hauptstadt verehrt wurde. Neben ihm standen noch die vielen Nebengötter, Göttinnen und Göttersöhne. Und jeder Gott wurde in seinem Gebiet als „der allmächtige Gott" verehrt, als Schöp= fer und Erhalter der Welt. Heute erscheint uns das unlogisch, nicht aber der damaligen Zeit. Jede Stadt, jedes Dorf, ja jedes Haus hatte seinen eigenen Gott und jeder seinen besonderen Namen. In der thebanischen Rezension des „Totenbuches" wer= den über 450 Götter aufgezählt, und aus den Pyramidentexten sind uns noch weitere 200 bekannt. Wir kennen heute noch über 2 200 Namen der Götter Ägyptens; und wieviele mag es erst wirklich gegeben haben! In dieser polytheistischen Umgebung wollte Gott sich als der einzige, lebendige Gott offenbaren. Wie sollte er sich da zu erkennen geben? Das war nur möglich, indem er sich einen Namen gab, durch den man ihn von den Göttern der Umwelt deutlich unterscheiden konnte. Und dieser Name war dann auch bezeichnend genug: „Ich bin." Als Mose zur Niederschrift der nach ihm benannten Bücher kam, lagen die Ereignisse aus Ex. 6, 3 schon lange hinter ihm. Daß er zu dieser Arbeit Keilschrifttäfelchen aus der patriarcha= lischen Zeit benutzt hat, haben wir schon gesehen. Dem babylo= nischen Sprachgebrauch und der Stelle Ex. 6, 3 nach zu urteilen, muß er dabei neben dem Titel „Gott" auch auf den Ausdruck „El Schaddai", d. h. der allmächtige Gott (oder „El Ellion", der höchste Gott", vgl. Gen. 14, 19—20), gestoßen sein. Diese Be= Zeichnung verrät schon eine Auseinandersetzung mit dem Poly= theismus der Umwelt. In der babylonischen Tradition der wahren Gottesverehrung mag man Gott durch die Bezeichnung „El Schaddai" von den Götzen des Landes unterschieden haben. Nun hatte sich dieser lebendige Gott dem Mose in einem neuen Namen geoffenbart, Jahwe (= ein persönliches Fürwort, kein Titel). Welchen Ausdruck sollte Mose jetzt bei der Übersetzung und Umschrift der Keilschrifttexte verwenden, um den wahren Gott aus der Geschichte der Väter so unmißverständlich wie möglich zu kennzeichnen? Jeder Bibelübersetzer steht vor der gleichen Frage. Den Titel „Gott" kann man natürlich ohne wei= teres wiedergeben. Aber wie sollte der schon als Name verstan= dene Ausdruck „El Schaddai" aus den Keilschrifttexten über= setzt werden? Um den Gott der Väter am klarsten als den kennt= lieh zu machen, der sich auch zur Zeit des Mose so sichtbar um sein Volk kümmerte, konnte er nur den neu geoffenbarten Namen nehmen und ihn auf die Vergangenheit anwenden. Jede andere Gottesbezeichnung, auch die direkte Übernahme des Be= griffes „El Schaddai", hätte, aufs Ganze gesehen, für die Leser der Genesis nur Mißverständnisse erwecken können. Außer* dem hatte Israel auch jetzt das Vorrecht, Gott bei diesem neu geoffenbarten Namen Jahwe zu rufen; welcher andere hätte den gleichen Klang und die gleiche Berechtigung gehabt, auch schon für den Gott der Väter verwendet zu werden? Es war ja auch Jahwe, der damals zu den Vätern sprach. Und es ging hier nicht um die Gleichheit der Namen, sondern um die Gleich* heit des Gottes, unter welchem Namen er auch immer genannt wurde. Darum war Mose auch zu diesem „Anachronismus" sachlich berechtigt; durch die Verhältnisse der Umwelt war er so= gar dazu gezwungen. Als die Bibel ins Chinesische übersetzt wurde, stand man vor dem Problem, welchen chinesischen Gottesnamen man für den Gott der Bibel verwenden sollte. „Tien=Chu" bedeutete: „Der Herr des Himmels"; „Schang=Ti" war die konfuzianische Be= Zeichnung für den „Obersten Herrscher"; mit „Schin" hätte man den Begriff „Geist" wiedergeben können. Aber alle diese Gottes= bezeichnungen waren so eng mit den jeweiligen heidnischen Reli= gionen verbunden, daß man unmöglich den Gott der Bibel mit ihnen hätte benennen können. In den arabisch sprechenden Län= dem liegen die Verhältnisse ebenso. Der Gott des Himmels ist dort „Allah", der als einziger Gott angesehen wird („Elah" ist die Einzahl von „Elohim" und heißt im Arabischen „ilah"; mit dem Artikel heißt das: „al'ilah", woraus das moderne „Allah" wurde). Für die Araber ist „Allah" eine klare und eindeutige Gottes* bezeichnung. Wenn man aber zu Christen oder Juden im arabisch sprechenden Raum von „Allah" spräche, würde man sich sofort zum Gott des falschen Propheten Mohammed bekennen. Mose stand nun vor der Frage, welchen Namen er für die Neufassung der Texte verwenden sollte. Man muß sich dabei vor Augen halten, daß Gott sich ihm mit einem neuen Namen geoffenbart hatte. Dieser Name war den Israeliten in Ägypten mitgeteilt und seither von ihnen verehrt worden. Nun sollte die geschichtliche Überlieferung des Volkes zusammengefaßt und herausgegeben werden. Die alten Bezeichnungen wie „El Schad= dai" („der allmächtige Gott") und „El Ellion" („der höchste Gott") waren im Schmelztiegel des Polytheismus inzwischen mit den unmöglichsten Anschauungen des Götzendienstes durch= setzt worden. Wenn hier Mose den Namen Jahwe auch für die ältere Zeit einsetzte, dann ist das nur natürlich, ja nötig gewesen. Damit wäre das Vorkommen dieses Namens in der Genesis er* klärt, ohne einerseits dem Text ausweichen zu müssen und ohne andererseits sich in die noch widerspruchsvolleren Hypothesen der Kritik einzulassen1). Wie wir gesehen haben, ist die Genesis aus einer Täfelchen* Serie zusammengesetzt. Die einzelnen Täfelchen=Abschnitte er* geben auch den natürlichen Rahmen des Buches. Diese natürliche Einteilung der Genesis wirft auch ein neues Licht auf den ver= schiedenen Gebrauch der Gottesbezeichnungen. Bei unserem Überblick über das erste Täfelchen, den Schöpfungsbericht, stell* ten wir fest, daß dort nur der Titel „Gott" vorkommt. Dieser Titel reichte auch im Anfang der Geschichte völlig aus, den wahren Gott zu bezeichnen. Andere „Götter" gab es noch nicht. Ein besonderer Name zur Kennzeichnung Gottes, des Schöpfers von Himmel und Erde, war damals noch nicht nötig. Das zweite Täfelchen (Kap. 2, 4b — 4, 26) wurde vor der Flut geschrieben und enthält den Titel „Gott" und den Namen „Jah* we"; und zwar stehen Titel und Name hier immer zusammen, ausgenommen in den Worten Evas und des Versuchers. Die ge* meinsame Verwendung beider Bezeichnungen ist für dieses Täfelchen geradezu charakteristisch. Wir stehen hier in der Zeit der Enkel Adams, in den Tagen Henochs, wo man anfing, „den Namen Jahwes anzurufen". Hier wird der wahre Gott also schon mit einem besonderen Namen bezeichnet. Warum das? Das kann doch nur der aufkommende Polytheismus nötig gemacht haben. Es wurden immer mehr „Götter" verehrt, folglich mußte der wahre Gott durch einen Namen angerufen werden, mit dem er sich von den andern Göttern unterschied. Wenn Ex. 6, 3 richtig ist, war dieser „Name" hier nicht „Jahwe", sondern „El Schad* dai", da Gott sich in jenen Tagen unter diesem Namen den Menschen geoffenbart hat. Der Gebrauch des Namens El Schad* dai wurde dann durch den immer stärker werdenden Polytheis* mus ebenfalls zweideutig und mißverständlich und mußte durch einen neuen Namen, Jahwe, ersetzt werden. Die Pentateuchkritik — vgl. Kap. 9 dieses Buches — entstand auf Grund des verschiedenen Gebrauchs der Gottesnamen in der Genesis. Heute zeigt sich, daß dieser Wechsel sich ganz anders ‘) Für weitere Erklärungen dieser Stelle vgl. W. J. Martin: " Stylistic Criteria in Pentateucnical Criticism" (1956) und A. Motyer: " The Revelation of the Divine Name " (1957). erklärt, als die Kritik meint. Wenn man sich die Entstehungs= geschichte der Genesis im Lichte ihrer Umwelt ansieht, erscheint er sogar notwendig. Es ist auch bezeichnend, daß H. W. Green in seinem Buch: The Higher Criticism and the Pentateuch (S. 98) sagt: „Es ist allerdings festzustellen, daß der Gebrauch der Got= tesnamen im Pentateuch nur in der Genesis so auffallend ver= schieden ist; und da wiederum im ersten Teil des Buches." Diese Kapitel beschreiben aber gerade die Zeit, in der der Polytheismus wuchs und überhand nahm, ohne daß es schon eine feste Volks= gemeinschaft gegeben hätte, in der der Name des wahren Gottes hätte rein erhalten werden können. Bei näherem Zusehen ist übrigens zu erkennen, daß die Täfel= chen, aus denen die Genesis besteht, an manchen Stellen mit den Einteilungen der Quellenscheidung übereinstimmen. Das ist nicht verwunderlich. Durch die Arbeit an der Genesis sind auch von der kritischen Forschung Beobachtungen gemacht worden, z. B. über Stil, Wortgebrauch, Textzusammenhang usw., die häufig richtig sind. Aber ihre Deutung der Beobachtungen ist falsch, weil sie von falschen Voraussetzungen ausgeht. Sie läßt nämlich die zeitgeschichtlichen Gegebenheiten unberücksichtigt und macht dadurch die Genesis und den ganzen Pentateuch zu einem undurchsichtigen Wirrwarr, der auf ganz ungewöhnliche Weise und viel später, als das Buch selbst angibt, zustande= gekommen sein soll. Trotz aller Gegenerklärungen seitens der Literarkritik wird hier der Abfassung der grundlegenden Bücher der Bibel eine Tendenz unterschoben, die man nur als „frommen Betrug" ansehen kann. Obwohl man sich heute weithin an diesen Gedanken gewöhnt hat, wird ein gläubiger Bibelleser große Hem= mungen haben, den Heiligen Geist und „das wahrhaftige Wort Gottes" mit solchen Tendenzen in Einklang zu bringen. Und das um so mehr, als alle vorgebrachten Hypothesen außerordentlich einseitig und schwach begründet sind und die literarischen Ver= hältnisse der Genesis sich auch anders erklären lassen. Wer sich an die von der Sache selbst gegebene Einteilung des Buches hält, wird erkennen, daß sich viele seiner kritischen und exege= tischen Schwierigkeiten lösen. Kapitel 13 Was will die Literarkritik? Manchmal wird die Ansicht vertreten, die kritische Forschung an der Bibel geschehe mit der Absicht, den Glauben an Gott und an seine Offenbarungen in der Schrift von falschen Stützen zu befreien und zu stärken. Ohne ungerecht sein zu wollen glauben wir, eine solch positive Bewertung der Kritik ohne weiteres in Frage stellen zu dürfen. Um hierüber eines Besseren belehrt zu werden, sehe man sich nur einmal ihre Geschichte an. Die An= fänge geben ein besonders klares Bild. Da aber am Anfang durch die Pioniere dieses Forschungszweiges die Prinzipien und Ar= beitsmethoden festgelegt wurden, die noch heute für die kritische Theologie gültig sind, wird gerade hier deutlich werden, „wes Geistes Kind" die ganze Arbeit ist. Es ist gewiß nicht Zufall, daß unter den ersten Vertretern der kritischen Forschung der englische Deist Hobbes und der hol= ländische Jude Spinoza zu nennen sind. Spinoza ist der Begrün= der des philosophischen Pantheismus, einer philosophischen Rich= tung, die die Existenz eines persönlichen Gottes radikal ver= neint (!). Diese Männer führten einen offenen Kampf nicht nur gegen die Bibel als Offenbarung Gottes — keiner von ihnen glaubte, daß sie wirklich göttliche Offenbarung sei —, sondern auch gegen die christliche Botschaft als solche. Von ihnen über= nahm Eichhorn den Begriff „Literarkritik". Über Eichhorn, den Vater der Bibelkritik, schreibt Cheyne in seinen Founders of Old Testament Criticism auf Seite 16, daß er „durch seine Arbeit dazu beitragen wollte, die gebildeten Schich= ten des Volkes zur Religion zurückzuführen". Nun muß man wissen, daß zu seiner Zeit in Deutschland eine geistige Revolu= tion im Gange war, in der alles Übernatürliche geleugnet wurde. Der Rationalismus, für den es weder Wunder noch über= natürliche Eingriffe in diese Welt gibt, begann das Denken zu bestimmen. Eichhorn hoffte nun, er könne den Glauben an Gott und an sein Wort den Menschen dadurch erleichtern, daß er alles Übernatürliche und alle Wunder aus der Bibel entfernte. Soweit wie Spinoza wollte er allerdings nicht gehen. Spinoza hielt er sogar entgegen, es hieße „sich über den menschlichen Verstand lustig zu machen, wenn man Teile der mosaischen Schriften Esra zuschreiben wolle". Aber trotz seiner guten Ab= sichten war er für Gottes Offenbarungen in der Bibel blind. So-gar Ewald, der so viel zur Verbreitung des kritischen Gedanken-guts beigetragen hat, schreibt von ihm, „man (könne) nicht um-hin zu sagen, daß die Bibel, vom religiösen Standpunkt aus gesehen, ihm ein verschlossenes Buch gewesen sei". Als nächster großer Vertreter der kritischen Forschung ist De Wette zu nennen. Er machte Schluß mit Eichhorns Glauben an die mosaische Autorschaft der Genesis, obwohl auch dieser in ihr nur jahwistische und elohistische Fragmente gesehen hatte. Eichhorns Absicht, die gebildeten Schichten für die Bibel zurückzugewinnen, war gescheitert. De Wette scheute sich darum auch nicht, noch weiter zu gehen und den historischen Boden des Buches zu verlassen. Nach seiner Meinung ist die Genesis mehrere Jahrhunderte nach Mose geschrieben worden; auch enthalte sie keine Tatsachen, sondern nur Legenden. Relativ unbedeutende geschichtliche Ereignisse seien im Lauf der Jahrhunderte durch die mündliche Tradition glorifiziert und mit einem Legendenkranz umwoben worden. Als die Bibelkritik dieses Stadium der Entwicklung erreicht hatte, trat ihr ein Hindernis in den Weg: die Autorität Jesu Christi und seine Stellung zum Alten Testament und besonders zur Genesis. Hier machte Semler, ein weiterer Pionier der kritischen Forschung, den Weg frei und verkündete seine „Akkomodationstheorie". Diese Theorie leugnet die Berechtigung, daß Jesus Christus hier als Zeuge angeführt werden könne. Nach ihr hat Jesus zwar von Mose als dem Verfasser einiger Bücher des Alten Testamentes gesprochen, er schloß sich dabei aber nur der Meinung des Volkes an, um nicht anzustoßen (er wußte es also besser, sagte es aber nicht!). Es ist für solche Theorien kennzeichnend, daß sie den Wahrheitsbegriff aufweichen. Wie unmöglich sie sind, kann jeder sehen. Wer wollte wirklich zu behaupten wagen, Jesus hätte sich der Unkenntnis seiner Zeit angeglichen, um nicht anzustoßen, wo gerade er doch sein Leben eingesetzt hat, die falschen Ansichten seiner Zeitgenossen zu korrigieren. Sir William Robertson Nicoll berichtet über ein Gespräch mit Wellhausen folgendes: „Wir sprachen über Robertson Smith. Ich sagte ihm, daß Smith die Bibel für inspiriert und historisch zu= verlässig halte, obwohl er seine (Wellhausens) Theorien über= nähme, und daß er auch an der Wahrheit der Wunder festhalte. Wellhausen schüttelte darauf den Kopf und sagte, daß es für die Wunder keinen historischen Beweis gäbe — obwohl er nicht leugnen wolle, daß sie möglich seien —, und daß Smiths Stellung sehr „sonderbar" sei; er wolle ihm allerdings nicht zu nahe tre= ten. Ich fragte ihn dann, was er über die Stellung Jesu Christi zum Alten Testament meine. „Christus", sagte er, „hat sich im Blick auf das Alte Testament offensichtlich geirrt. Er hat von der Bibel in dieser Hinsicht genauso wenig verstanden wie von der Erde und von der Sonne; aber das hat hier wenig zu bedeuten." Auf meinen Einwurf, daß solche Ansichten notgedrungen die Stellung der Bibel im Volk untergraben müßten, gab er zu, daß ihn dieser Gedanke auch bedrücke; aber er sehe keinen Ausweg. Er zeigte sich auch ärgerlich über Stade, der in Gießen seine (Wellhausens) Theorien als Evangelium verkünde." Diese Theo= rien breiteten sich in Windeseile aus und wurden auch im Aus= land aufgenommen. In England wurden sie besonders von Robertson Smith verbreitet. W. Robertson Smith ist 1881 aus dem freikirchlichen theologischen Seminar von Aberdeen ent= lassen worden auf Grund seines Artikels über die Bibel in der Encyclopaedia Britannica. C. W. Emmet schreibt von ihm, daß seine Schriften heute die Lehrbücher einer sehr gemäßigten und orthodoxen Kritik seien. Er gibt wohl zu, daß diese Lehren „am dünnen Ende des Keils zwar richtig" seien. „Sobald aber die Kirche den traditionellen Inspirationsglauben aufgegeben hat, sobald auch nur eine historische Darstellung, ein Wunder in Frage gestellt ist oder die Möglichkeit für Fehler und Wider= Sprüche zugegeben wird, kann man nicht mehr sagen, wo dieser Prozeß enden wird. Die starre Inspirationstheorie ist jetzt zu Gunsten der Tatsachen aufgegeben worden; nun kann man nur noch Zusehen, wohin die Tatsachen uns führen. Wo soll man hier die Grenze ziehen? Wäre man schon früher diesen Weg gegangen, würden heute schon alle verantwortlichen Lehrer der Kirche die Historizität des Schöpfungs= und Flutberichtes ver= neinen." Wie seltsam: Diese Sätze waren kaum einige Jahre geschrieben, als Archäologen begannen, ganze Kapitel über die historische Wahrheit der Flut zu schreiben. Wie Sir Leonard Woolley und Stephen Langdon auf die Spuren der Flut stießen, haben wir schon gesehen. Der letzte und größte Pionier der kritischen Forschung, der noch eigene und neue Gedanken hervorgebracht hat, war Julius Wellhausen. Grundsätzlich Neues ist nach ihm nicht mehr gesagt worden; die alten Gedanken sind nur hier und da modifiziert und durch neue Fragestellungen bereichert worden. Wellhausen wurde ein reiner Rationalist. In demselben Maße, wie seine Forderung gen ihm Blatt um Blatt der Bibel aus der Hand nahmen, schwand auch sein Glaube, bis von beiden nichts mehr übrig war. Er gab sogar öffentlich zu, daß er seinen eigenen Glauben „zerstört" habe. Nach ihm kam Kuenen. In seinem Buch Religion of Israel beschreibt er die Religion Israels im Vergleich mit den anderen Religionen und sagt (S. 37): „Für uns ist die Religion Israels eine dieser Religionen, nicht mehr und nicht weniger." Alle diese Männer gingen vom Glauben zum Zweifel und vom Zweifel zum radikalen Unglauben. Die Sache, die sie trieben, hatte ihr eigenes Gefälle und trieb sie zu den praktischen Folgerungen, wie sie Friedrich Delitzsch in seiner Schrift „Die große Enttäu= schung" beschrieb. Noch vor einigen Jahren äußerte einer dieser Forscher, W. F. Lofthouse, Dekan des Handsworth College in Birmingham, daß „die Hebräer — abgesehen von wenigen Anschauungen un= gewissen Ursprungs — kaum besser waren als die Menschen, die wir heute Animislen nennen". Um der Gerechtigkeit willen muß aber gesagt werden, daß man sich heute im allgemeinen nicht mehr so weit vorwagt; das Pendel schlägt zurück. Man hütet sich jetzt mehr und mehr, die Theorien bis zu ihrem logi= sehen Ende auszuziehen. Das heißt aber nicht, daß sich die ihnen zu Grunde liegenden Prinzipien geändert hätten. Trotz dieser erfreulichen Wendung zum Maßhalten muß man leider noch immer feststellen, daß die grundsätzliche Neigung der kritischen Forschung nach wie vor einseitig ist. Man hat den Eindruck, daß die Bibel nur zu dem Zweck untersucht wird, Mate-rial zu sammeln, das gegen ihre Echtheit und Glaubwürdigkeit spricht. In den kritischen Arbeiten sucht man vergeblich nach Hinweisen darauf, daß die Bibel an irgendeiner Stelle auch ein= mal eine richtige Angabe gemacht hätte. Sogar die gemäßigten Forscher wie Driver u. a. zitieren nur solche Stellen, aus denen man, im Gegensatz zu den biblischen Angaben, spätere Abfas-sungszeiten usw. herauslesen könnte. Stellen, die in eine andere Richtung weisen, werden einfach übergangen. Sayce sagt in seinem Buch Higher Criticism and the Monu= ments auf Seite 21, daß man den Eindruck habe, „die Bibel sei regelrecht gefoltert worden, um Aussagen gegen sich selbst aus ihr herauszupressen. Nicht eine Stelle ist übersehen worden, die sich gegen sie auslegen ließe, und nicht eine Deutung, die der Diskriminierung der Bibel weiter Vorschub leisten könnte". Diese einseitige, negative Grundtendenz in der kritischen Forschung, die keiner leugnen kann, der ihre Geschichte kennt, be= weist eine philosophische Voreingenommenheit, die sie zur Be= urteilung so wichtiger Fragen wie die der Entstehung biblischer Bücher untauglich macht. In der heutigen Zeit scheint man wieder viel positivere Aus-sagen über die Bibel zu machen. Aber leider scheint es nur so. Denn vor der Ansicht, daß die Bibel im allgemeinen historisch glaubwürdige Angaben mache, warnen noch heute viele Theo= logen wie vor einem Gift. Unter ihnen befinden sich leider auch einige angesehene Forscher. Die Tendenzen sind heute zwar ver-feinert und weniger radikal, aber grundsätzlich die gleichen ge-blieben. Vom geistlichen Standpunkt aus kann man es nur als einen überaus bedauerlichen Vorgang ansehen, daß diese kritischen Theorien, die zugegebenermaßen von Rationalisten und bewußten Feinden der Gemeinde Jesu Christi als Angriffe gegen die Bibel begonnen wurden, heute überall in den theologischen Schulen gelehrt werden. Daß der Glaube des durchschnittlichen Christen dadurch eine besondere Bereicherung erfahre, kann man kaum sagen. Im Gegenteil; er wird vielmehr systematisch vom Katheder herab angegriffen und in Frage gestellt; und das alles nur um eines heute so fraglich gewordenen Wissenschafts» begriffs willen. Um die Wahrheit geht es hier schon lange nicht mehr. In welchen Zwiespalt aber Menschen durch diese Arbeit hineingezogen werden, kann man sich leicht deutlich machen: Die mit diesen Lehren ausgerüsteten Kandidaten für das kirch= liehe Predigtamt werden vor ihrer Ordination auf die alten Dog» men und Glaubenssätze vereidigt, die sich ausdrücklich auf die absolute Wahrheit und Glaubwürdigkeit der Heiligen Schrift gründen. Jeder Bewerber für das Predigtamt in der Kirche von England wird zum Beispiel gefragt, ob er „unverhohlen an alle kanonischen Schriften des Alten und Neuen Testaments glaube". Wer den kritischen Theorien über die Bibel zustimmt und doch auf diese Frage mit „Ja" antwortet, kann das nur mit der „dop» pelten Wahrheit" tun, d. h. auf Grund einer moralischen Zwei» gleisigkeit, deren Unterschied zur Unwahrheit man nur schwer erklären kann, wie geistreich man auch immer versucht, den sich hier zeigenden ethischen Widerspruch zu überbrücken. In jedem Fall beeidet man etwas anderes, als die Worte meinen. Hier muß man sich doch fragen, was Wahrheit und Wahrhaftigkeit noch bedeuten. Früher war die Zweigleisigkeit im Denken und Glauben, zwischen Bekenntnis und wissenschaftlicher Erkenntnis, zeit» weise vielleicht die einzige Möglichkeit, sich als denkender Christ zu behaupten. Meist hat man sich einfach für das eine oder das andere entschieden; entweder im Namen der wissenschaftlichen Wahrheit — die einem damals zugänglich war — gegen die Wahrheit des Glaubens (so die meisten), oder im Namen des Glaubens an Jesus Christus gegen die wissenschaftlichen Er» kenntnisse. Wie notvoll diese Spannung ist, weiß nur der zu sagen, der durch sie hindurch mußte. Diese Zeit ist aber vorüber. Fleute besteht keine Notwendigkeit mehr, sich im Namen der Wissenschaft gegen die Bibel entscheiden zu müssen. Die neueren Forschungen auf allen Gebieten, von der Archäologie bis zur modernen Physik, haben uns den Zugang wieder freigelegt zu einem einheitlichen, geschlossenen Denken. Heute geht es darum, durch den Ballast der überholten Vorstellungen durchzustoßen zur Freiheit des an Christus gebundenen Glaubens und Denkens. Kapitel 14. Bibel und Babel Im Irak haben die Ausgrabungsarbeiten eine Reihe Täfelchen zutage gefördert, auf denen man Berichte über die Schöpfung und die Flut fand. Ihre Entdeckung erregte allgemein großes Auf= sehen. Als man ihre Texte mit der Bibel verglich, entstand unter den Forschern ein Streit, der unter dem Stichwort „Bibel und Babel" bekannt wurde. In ihm ging es um die Frage, welche der beiden Darstellungen von der anderen abhängig sei. Die aufgefundenen Berichte unterscheiden sich ganz erheblich von den Darstellungen der Genesis. Sie stehen in demselben Verhältnis zueinander, wie sich eine Lehmhütte zu einem Palast verhält: In beiden kann man leben; beide haben Türen und Fenster; und doch sind sie völlig verschieden voneinander. Eben= so verschieden sind die biblischen und babylonischen Berichte über Schöpfung und Flut. Natürlich bestehen auch Ähnlichkeiten, und um sie zu erklären, sind zwei sich widersprechende Hypo= thesen entwickelt worden: 1. Die Täfelchentexte aus Babylonien sind vergröberte Nach= ahmungen der biblischen Berichte. 2. Die biblischen Berichte stammen von den babylonischen Darstellungen ab. Die Schreiber der Bibel haben diese nur vorher von allen phantastischen Verzerrungen des Poly= theismus gereinigt. Wie nicht anders zu erwarten, schlossen sich die konservativen Forscher genauso selbstverständlich der ersten Erklärung an wie die Vertreter der kritischen Schule der zweiten. Über den wichtigsten Punkt waren sich alle einig: Die bibli= sehen Berichte stehen unvergleichlich höher als die babyloni= sehen. Darüber gab es keinen Zweifel. Sie sind sachlich und ein= fach und in ihrer Gottesanschauung völlig sauber. Die babylo= nischen Darstellungen dagegen sind phantastisch, sensationell und von einem rohen Polytheismus durchsetzt. Man könnte den Unterschied zwischen den beiden mit dem klaren Wasser der Themse an ihrer Quelle und mit dem Schmutzwasser in den Londoner Docks vergleichen; an beiden Stellen ist es das Wasser desselben Flusses. Genauso ist es hier. In der Genesis finden wir noch die reine Quelle; die Texte der babylonischen Täfelchen dagegen sind durch das schmutzige Wasser des Polytheismus gezogen worden und tragen folglich auch seine Spuren. Warum aber übernahmen die Vertreter der Kritik so geschlossen die Meinung, daß die Genesisberichte über Schöpfung und Flut ge= reinigte Nachschriften der babylonischen Texte seien? Die Ant= wort darauf ist nicht schwer zu finden: Man ging von der Vor= aussetzung aus, daß die Genesis zu einer viel späteren Zeit ge= schrieben worden ist als die babylonischen Täfelchen, woraus sich ergab, daß die biblischen Darstellungen später als die baby= Ionischen entstanden und infolgedessen auch von jenen abge= schrieben worden sind. Daß sie reiner waren und ohne die phan= tastischen Verzerrungen, entsprach außerdem der allgemeinen Ansicht, nach der sich die Religion erst langsam vom Polytheis= mus zum Monotheismus hin entwickelt hat (Evolutionstheorie). Danach hat es am Anfang der Geschichte nur ganz niedrige poly= theistische, animistische Vorstellungen gegeben, die sich erst mit der Zeit geläutert und verfeinert haben. Gemeinsam ist beiden Darstellungen eigentlich nur das all= gemeine Thema. Die Einzelheiten der babylonischen Berichte sind in einer solchen Unmenge mythologischer Vorstellungen eingebettet, daß sie fast unkenntlich geworden sind. Ganze Herden gröhlender und eifersüchtiger Götter werden in ihnen be= schrieben und groteske Anschauungen über Natur und Welt vertreten. Die folgenden Zeilen stammen aus dem vierten Täfel= chen des babylonischen Schöpfungsberichts. Es sind die Zeilen, die am deutlichsten auf die Schöpfung selbst eingehen. Sie sagen besser als alle Erklärungen, wie wenig Wahrscheinlichkeit die zweite Hypothese für sich hat: Den Klumpen des Rumpfes betrachtete er lange, Er wog, wie er weise ihn teilen könnte, In zwei gleiche Hälften teilte er ihn: Zum Himmelsdach macht er die eine Hälfte, Zur Erde macht er die andere. Von Sternen zog er die weite Schranke, Vor Ungemach die Erde zu hüten. Er schritt über den Himmel und sah seine Werke. Er trat vor das Meer hin, das Ea bewohnt. Marduk maß ab des Ozeans Grenzen, Er maß Escharra, das feste Land. Da er herrlich und breit seinen Himmel gebauet, schuf er dort Stätten für Ennil, Ea und Anu. (Aus Francis Jordan: „In den Tagen des Tamuz", S. 117) Im Flutbericht kommen die babylonischen Täfelchen der bibli= sehen Darstellung etwas näher, und zwar in den folgenden Punkten: 1. Die Flut ist eine Strafe für Sünden. 2. In beiden Berichten wird der Auftrag erteilt, ein Schiff zu bauen, um das Leben zu retten. 3. Nach beiden Berichten wird Erdharz (Bitumen) verwendet, um das Schiff wasserdicht zu machen. 4. Die Erwähnung der Taube. 5. In beiden Berichten setzt das Schiff nach der Flut auf einen Berg auf. 6. Nach beiden Berichten werden nach der Flut Opfer dar= gebracht. Der Rahmen der babylonischen Erzählung stimmt also in seinen Hauptzügen mit dem Flutbericht der Genesis überein. Aber polytheistisch durchsetzt und phantastisch vergröbert ist auch er. Die „Götter verkriechen sich ängstlich wie Hunde, sie fliehen in Schwärmen wie Fliegen" usw. Nur wenige Sätze er= innern an die Genesis. Jede Einzelheit ist vom Polytheismus verzerrt. In vielen Büchern wird der Gedanke vertreten, die biblischen Patriarchen hätten im Grunde genommen keine anderen religiö= sen Vorstellungen gehabt als alle andern Menschen ihrer Zeit; sie seien in dieser Hinsicht genau so abhängig gewesen von ihrer Umwelt wie jeder ihrer Zeitgenossen. Aber diese Behauptung verrät zuviel Tendenz, als daß man ihr unbesehen Glauben schenken könnte. Man kann nämlich auch mit gleichem Recht das Gegenteil behaupten, zumal die Bibel ausdrücklich darauf auf= merksam macht, daß sie sich in ihrer religiösen Überzeugung entschieden von ihrer Umwelt absetzten. Abraham lebte die ersten 75 Jahre seines Lebens am Euphrat. Jakob war den letzten Teil, Joseph den größten und Mose den ersten Teil seines Lebens in Ägypten. Aber von Beeinflussung durch die Religionen dieser Länder ist bei ihnen nichts zu spüren. Im Gegenteil, als Abraham noch am Euphrat lebte, mag er zwar mit dem Götzendienst in Berührung gekommen sein; aber nachdem ihn Gottes Ruf ge= troffen hatte, war der Polytheismus für ihn abgetan. Aus dem „Totenbuch" wissen wir, daß sich die gesamten religiösen Vor= Stellungen der Ägypter um das Schicksal des Menschen nach dem Tod, um das Leben in der andern Welt drehten. Aber diese ägyp= tische Eigentümlichkeit zeigt sich an keiner Stelle im religiösen Leben der Patriarchen. Und das ist doch bezeichnend! Die ge= samte „Totenreligion" hat so wenig Einfluß auf sie gehabt, daß im ganzen Alten Testament nahezu nichts über den Zustand der Seele nach dem Tode zu finden ist. Rückfälle im Volk, z. B. die Errichtung des goldenen Kalbes, werden sofort und schärfstens geahndet. Immer wieder wird Israel davor gewarnt, die Kulthandlungen der umliegenden Völker nachzumachen: „Ihr sollt nicht tun nach den Werken des Landes Ägypten, darin ihr gewohnt habt, auch nicht nach den Werken des Landes Kanaan, darein ich euch führen will" (Lev. i8, 3). Kapitel 15 Das Neue Testament und die Genesis Über die Haltung der Schreiber des Neuen Testamentes zur Genesis besteht keinerlei Zweifel: Für sie waren ihre Aussagen so undiskutierbar Gottes Wort und höchste Autorität, daß sie die wichtigsten Lehraussagen des Neuen Bundes darauf gründe* ten. Man braucht hier nur Rom. 5 und 1. Kor. 15 zu zitieren. Im Römerbrief schreibt Paulus: „Derhalben, wie durch einen Men= sehen die Sünde ist gekommen in die Welt und der Tod durch die Sünde,. . . herrschte der Tod von Adam an bis auf Mose auch über die, die nicht gesündigt haben mit gleicher Übertretung wie Adam ..." Er fährt dann fort, den Unterschied zwischen Adam und Christus zu erklären und beschreibt die Wirkungen, die von der sündigen Handlung Adams im Garten Eden und von der Sühnetat Christi am Kreuz ausgingen. Man sehe sich diesen Text des Römerbriefes einmal gut an. Wären die Berichte über Adam und den Fall lediglich mythische Erzählungen, dann wäre Jesu Tod sinnlos und unbegründet gewesen. Denn nach der genannten Römerbriefstelle wurde Jesu Tod erst notwendig durch jenen von Paulus geschichtlich verstandenen Fall im Paradies. In 1. Kor. 15, 45 wird Adam „der Anfang der menschlichen Rasse" genannt: „Wie es geschrieben steht: Der erste Mensch Adam, ward zu einer lebendigen Seele, und der letzte Adam zum Geist, der da lebendig macht." „Der erste Mensch ist von der Erde und irdisch; der andere Mensch ist der HErr vom Hirn* mel." Und in Vers 22: „Denn gleich wie sie in Adam alle Star* ben, also werden sie in Christo alle lebendig gemacht werden." Auf dieselbe Stelle wird auch in 1. Tim. 2, 13 und in Hebr. 4, 4 Bezug genommen. In 2. Kor. 11, 3 schreibt Paulus: „Wie die Schlange Eva ver= führte mit ihrer Schalkheit,..." Und in Hebr. 11, 4 heißt es: „Durch den Glauben hat Abel Gott ein größeres Opfer getan denn Kain; ..." Und in 1. Joh. 3, 12: „Nicht wie Kain, der von dem Argen war und erwürgte seinen Bruder. Und warum er= würgte er ihn? Weil seine Werke böse waren, und die seines Bruders gerecht." Judas weiß aus der Genesis, daß „Henoch, der siebente von Adam" war; und der Schreiber des Hebräerbriefes weiß (11, 7), daß „durch den Glauben Noah Gott geehrt" hat „und die Arche zubereitet zum Heil seines Hauses, da er ein göttliches Wort empfing über das, was man noch nicht sah". Pe= trus bezieht sich in seinem ersten Brief (Kap. 3,20) auf die Zeit, „da Gott harrte und Geduld hatte zu den Zeiten Noahs, da man die Arche zurüstete, in welcher wenige —das ist 8 Seelen —gerettet wurden durchs Wasser", und fügt in seinem zweiten Brief (Kap. 2, 5) hinzu, daß Gott die vorige Welt „nicht verschont hat, son= dem bewahrte Noah, den Prediger der Gerechtigkeit, mit sieben andern und führte die Sintflut über die Welt der Gottlosen". Die Zentralstelle des Neuen Testamentes über den rettenden Glauben wird mit dem Leben Abrahams begründet. In Gen. 15, 6 heißt es: „Abraham glaubte dem Herrn, und das rechnete er ihm zur Gerechtigkeit." Nicht nur Paulus, sondern auch Jakobus führt diese Stelle an, was ein Zeichen dafür ist, daß man diesen Vers im Urchristentum als eins der Hauptargumente für die Ausein= andersetzung mit dem Judentum heranzog. In Röm. 4, 3 macht Paulus auf dieses Ereignis im Leben Abrahams aufmerksam und fragt: „Was sagt denn die Schrift?"; darauf zitiert er die oben= genannte Stelle der Genesis. Im Galaterbrief ist dieser Vers er= neut Ausgangspunkt seiner Gesetzesdiskussion. In Aposteh geschichte 7, 2 sagt Stephanus: „Der Gott der Herrlichkeit er= schien unserem Vater Abraham, da er noch in Mesopotamien war, ehe er wohnte in Haran, und sprach zu ihm: Gehe aus dei= nem Land und aus deiner Freundschaft und zieh in ein Land, das ich dir zeigen will. Da ging er aus der Chaldäer Land ..." Wenn die Gestalt Abrahams nur legendär ist — wie noch heute viele behaupten — und wenn die Darstellungen seines Glaubens= gehorsams nur das in die Vergangenheit projizierte Ideal der hebräischen Frömmigkeit darstellen, ist dieser Schriftbeweis nicht nur nutzlos, sondern frommer Betrug und Schwindel. Im Neuen Testament werden auch noch andere Ereignisse aus dem Leben Abrahams zitiert; und zwar als geschichtliche Be= gebenheiten. In 2. Petrus 2, 6 lesen wir, daß Gott „die Städte Sodom und Gomorra zu Asche gemacht hat und umgekehrt und verdammt, damit ein Beispiel gesetzt" sei „den Gottlosen". Ähnliches schreibt auch Judas. Der Hebräerbrief berichtet uns, daß Abraham „durch den Glauben" Isaak opferte (Kap. 11, 17—19), „da er versucht ward, und gab dahin den Eingeborenen, da er schon die Verheißung empfangen hatte, von welchem gesagt war: In Isaak wird dir dein Same genannt werden; und dachte, Gott kann auch wohl von den Toten erwecken." Und Jakobus fragt: „Ist nicht Abraham, unser Vater, durch die Werke gerecht geworden, da er seinen Sohn Isaak auf dem Altar opferte?" In der gleichen Weise werden auch die andern Personen und Ereignisse aus der Genesis als historische Wahrheiten angesehen. Paulus (Gal. 4, 23—31) erwähnt Ismael und Isaak, die beiden Söhne Abrahams, und spricht vom „Sohn der Magd" und vom „Sohn der Freien". In Hebr. 11, 20 heißt es: „Durch den Glauben segnete Isaak von den zukünftigen Dingen Jakob und Esau". Im Kapitel darauf lesen wir vom Verkauf des Erstgeburtsrechts durch Esau, den er nachher mit Tränen rückgängig zu machen suchte. In Apostelgeschichte 7 erwähnt Stephanus, wie die Söhne Jakobs den Joseph „neideten und ihn nach Ägypten verkauften; aber Gott war mit ihm und errettete ihn aus aller seiner Trübsal und gab ihm Gnade und Weisheit vor Pharao, dem König in Ägypten; der setzte ihn zum Fürsten über Ägypten und über sein ganzes Haus". Im gleichen Kapitel hören wir auch von der Hungersnot in Kanaan und von Jakobs Zug nach Ägypten. Pe= trus (2. Petr. 2, 7) zitiert den Genesisbericht, wonach Gott „den gerechten Lot erlöst hat, welchem die schändlichen Leute alles Leid taten mit ihrem unzüchtigen Wandel". In Hebr. 11, 22 heißt es, daß „Joseph durch den Glauben vom Auszug der Kinder Isra= el" redete, und „daß er starb, und tat Befehle von seinen Ge= beinen". Auf nahezu jedes Ereignis der Genesis wird im Neuen Testa= ment nicht nur in unsicheren Andeutungen, sondern als auf ge= schichtliche Tatsachen Bezug genommen. Auf diese geschiehtli= chen Ereignisse bauen sich die wichtigsten neutestamentlichen Lehren auf; Lehre und Geschichte sind im Neuen Testament nicht voneinander zu trennen. Es ist bezeichnend, daß die kritische Theologie gerade das auseinanderreißen will (durch die Legen* den=Theorie wird ja den biblischen Darstellungen der geschieht* liehe Boden entzogen und dadurch auch der biblischen Lehre!). Wo aber der Botschaft des Neuen Testamentes ihre Begründung in der Geschichte genommen wird, verliert sie ihren Bezug zum Leben und wird reine Theorie. Das Neue Testament gründet sich aber auf Geschichte und da vor allem auf die Geschichte der Genesis. Kapitel 16 Jesus Christus und die Genesis Den Theorien der historisch=kritischen Forschung wird in nrer das Zeugnis eines Mannes entgegenstehen, dessen Stellung ium Alten Testament von ausschlaggebender Bedeutung ist: Jesus Christus. Das bestreitet auch niemand. Was man ihm aber strei= tig macht, ist das Recht, hier überhaupt ein Wort mitreden zu können. Und damit hat man sich die Freiheit verschafft, trotz seines Einspruchs an den erarbeiteten Hypothesen festhalten zu können. Den Vertretern der Kritik blieb auch weiter gar nichts übrig, als ihn zum Schweigen zu bringen, wenn sie ihre For= schungen überhaupt weitertreiben wollten. Das hat man dann auch gründlich zu tun versucht, und zwar sind zwei besondere Theorien dafür entwickelt worden: die „Akkomodationstheorie" und die „Kenosis". Nach der ersten Theorie wird die Vertrauens= Würdigkeit Jesu und nach der zweiten seine Kenntnis in Frage gestellt. Nach der ersten hätte Jesus wohl gewußt, daß die Gene= sis von unbekannten Autoren, die lange Zeit nach Mose gelebt haben, verfaßt wurde; aber er habe so getan, als ob das Buch doch von Mose stamme. Obwohl er es besser wußte, glich sich Jesus so den Irrtümem seiner Zeit an. Dieser Einwand ist schon beantwortet: das ganze Leben Jesu zeigt das Gegenteil. Wenn er gewußt und auch für richtig gehal= ten hätte, daß die Genesis so entstanden ist, wie die theologische Kritik es meint, dann hätte er das gewiß als Hauptargument im Kampf mit seinen pharisäischen Feinden angeführt. Aber man sehe sich diese Theorie noch einmal etwas näher an: Sie schließt doch die Behauptung ein, Jesus habe zwar gewußt, daß Mose mit der Abfassung der ersten Bücher der Bibel nichts zu tun ge= habt hat und daß es z. B. eine Flut, wie sie in Gen. 7 beschrieben ist, nie gegeben hat; um sich aber den Menschen anzugleichen, sie nicht zu schockieren, habe er sich in seinen Äußerungen in den Linien der allgemeinen Ansichten bewegt. Dieser denkmäßige Zwiespalt ist aber nicht einmal von einem Vertreter der kritU sehen Theologie zu ertragen, ohne innerlich unwahrhaftig zu sein. Man lese und höre nur einmal ihre Predigten! Ob man denn wirklich zu behaupten wagt, Jesus hätte diese Zweigleisigkeit auf sich genommen? Hieße das nicht, sich selbst für sittlich höher achten als den Sohn Gottes? Man denke diese Theorie doch ein= mal zu Ende! Die andere Theorie, die „Kenosis" (= Entäußerung, Entlee= rung, vgl. Phil. 2, 7) behauptet, Jesus habe über den Ursprung und Aufbau der Genesis nicht so viel gewußt, wie man mit Hilfe der Literarkritik heute wissen kann. In einem kritischen Nach= schlagewerk der gemäßigten Schule heißt es: „Christus und die Apostel oder Schreiber des Neuen Testamentes vertraten genau wie das Judentum die damals üblichen Ansichten über die gött= liehe Autorität und Offenbarung des Alten Testamentes" (Ha= stings, Band 3, S. 601). Der Schreiber dieser Zeilen beeilt sich aber zu betonen, daß diese „damals üblichen Ansichten" heute natürlich überholt sind. Damit sind aber auch die Ansichten Jesu überholt und seine Autorität aufs äußerste in Frage gestellt. Man versichert zwar, daß sein Wort in religiösen Fragen auch weiterhin gültig bleibe, im Blick auf die Autorschaft gewisser Bücher und Texte des Alten Testamentes hingegen habe er sich mit seinen Zeitgenossen geirrt. Aber wer kann denn einen Unter* schied machen zwischen „religiösen" und „theologisch=kriti= sehen" Fragen? Es ist doch für den Glauben nicht belanglos zu wissen, ob z. B. eine biblische Verheißung wirklich von Gott stammt oder ob das betreffende Wort nicht vielleicht später von einem religiösen Gemüt für eine bestehende geschichtliche Situa* tion gebildet worden ist? (Vgl. den Ausdruck „Vaticinium ex eventu"). In der kritischen Theologie ist es allgemeiner Brauch, alle Verheißungen der Bibel von vorneherein so zu datieren, daß man sie nicht vor dem verheißenen Ereignis entstanden sein läßt, sondern daß sie erst rückwärts für eine geschichtliche Lage ge= bildet worden sind, sozusagen als nachträgliche göttliche Legiti* mation des Geschehens. Sie wären also das, was wir heute als „frommen Betrug" bezeichnen. Bevor wir zum Schlußkapitel kommen, wollen wir noch einen Blick ins Neue Testament werfen und sehen, wie Jesus zur Ge= nesis stand. Er bezieht sich ja sehr häufig auf sie; vor allem auf ihre ersten Kapitel. Er zitiert das zweite Kapitel, erwähnt den Schöpfungsbericht, den Fall, Satan, Abel, Noah, die Flut, Lot und die Zerstörung Sodoms. Er spricht zumindest andeutungsweise von den Personen und Geschehnissen aus jedem der ersten elf Kapitel und natürlich auch von dem Leben Abrahams, Isaaks und Jakobs. In Matth. 19, 4—5 (vgl. Markus 10, 6—8) spricht er vom An= fang der Geschichte, von der Schöpfung des Menschen: „Habt ihr nicht gelesen, daß, der im Anfang den Menschen gemacht hat, der machte, daß ein Mann und ein Weib sein sollte und sprach: ,Darum wird ein Mensch Vater und Mutter verlassen und an seinem Weibe hangen, und werden die zwei ein Fleisch sein?"' Hier hat also Jesus Gen. 2, 24 wörtlich zitiert. In Joh. 8, 44 weist er auf Satan hin: „Ihr seid von dem Vater, dem Teufel, und nach eures Vaters Lust wollt ihr tun. Er ist ein Mörder von Anfang und ist nicht bestanden in der Wahrheit; denn die Wahrheit ist nicht in ihm. Wenn er die Lüge redet, dann redet er von seinem Eigenen; denn er ist ein Lügner und ein Vater derselben." Hier bezieht Jesus sich zweifellos auf den Satan im Garten Eden. In Lukas 11, 50—51 spricht Jesus erneut vom Anfang der Ge= schichte, wenn er sagt, daß „gefordert werde von diesem Ge= schlecht aller Propheten Blut, das vergossen ist, seit der Welt Grund gelegt ist, von Abels Blut an ... " Aus dem Leben Noahs, aus dem Bericht über die Arche und die Flut, zieht er in Lukas 17, 26—27 eine Lektion: „Sie aßen, sie tranken, sie freiten, sie ließen sich freien bis auf den Tag, da Noah in die Arche ging und die Sintflut kam und brachte sie alle um." In Vers 28 fährt er dann fort mit der Erwähnung Lots und des Untergangs von Sodom: „Desgleichen wie es geschah zu den Zeiten Lots, sie aßen, sie tranken, sie kauften, sie verkauften, sie pflanzten, sie bauten; an dem Tage aber, da Lot aus Sodom ging, da regnete es Feuer und Schwefel vom Himmel und brachte sie alle um." Noch häufiger wird Abraham von Jesus erwähnt: „Abraham, euer Vater, ward froh, daß er meinen Tag sehen sollte; und er sah ihn und freute sich. Da sprachen die Juden zu ihm: Du bist noch nicht 50 Jahre alt und hast Abraham gesehen? Jesus sprach Kapitel 17 Zusammenfassung Am Anfang dieses Buches stand die Behauptung, daß 1. die Genesis ursprünglich in ganz alter Schrift auf Tom täfelchen niedergeschrieben wurde, und zwar 2. durch die Patriarchen selbst, die mit den berichteten Er= eignissen am besten bekannt waren; 3. daß Mose diese Texte dann zu dem Buch zusammengefaßt hat, das uns in der Bibel überliefert ist; 4. daß er, der Gewohnheit der damaligen Zeit entsprechend, klare Angaben im Text darüber macht, woher er seine In* formationen bezogen hat. Der Schreiber glaubte, genügend Material Zusammentragen zu können, um diese gewiß überraschend klingenden Thesen zu untermauern. Ob es gelungen ist, wird sich am Urteil des Lesers zeigen. Natürlich können im Rahmen eines solchen Buches nur Andeutungen gemacht werden. Sollten die vorliegenden Aus* führungen aber einem Leser einen neuen Zugang zu den alten Problemen der Genesis verschafft haben, wäre der Zweck des Buches vollauf erreicht. Zum Schluß wollen wir noch einmal kurz zusammenfassen, wie diese Behauptungen begründet wurden. Die Zusammenfas* sung soll zeigen, daß der Beweis nicht von der Sicherheit nur eines Argumentes abhängt, sondern daß viele Ansätze zum gleichen Ziel führen. Die vielen Begründungen zusammen* genommen ergeben ein so sicheres Gesamtbild, daß diese Thesen jeden Vergleich mit den Thesen der kritischen Theologie aus* halten können. 1. Die archäologischen Forschungen, die erst begannen, als die Literarkritik ihre Theorien schon entwickelt hatte, hat den bisher völlig dunklen zeitgeschichtlichen Hintergrund der Genesis ganz neu in unser Blickfeld gerückt und gezeigt, daß die Angaben der Genesis mit ihm völlig übereinstimmen (Kap. 2). 2. Die Berichte der Genesis deuten an, daß sich — entgegen der allgemeinen Meinung — die Zivilisation der Anfangszeit sehr rasch entwickelt hat. Die Archäologen sind bis auf jungfräulichen Boden durchgestoßen und haben das Gleiche festgestellt. Die Ausgrabungen zeigen, daß die Menschen schon in den frühesten Anfängen der Geschichte auf einer kulturell sehr hohen Stufe standen. Die sumerische Kultur scheint sogar schon vor Abraham ihren Höhepunkt über= schritten zu haben (Kap. 3). 3. Die Archäologie hat unsere Vorstellungen über die Früh= geschichte vor allem in der Hinsicht korrigiert, daß wir heute Schreibkenntnisse schon für eine sehr frühe Zeit an= nehmen müssen. Der weitaus größte Teil der Genesis be= schreibt einen Geschichtsabschnitt, in dem das Schreiben bereits so allgemein üblich war, daß ganz alltägliche Dinge schriftlich fixiert wurden (Kap. 4). 4. Es gibt Hinweise im Text, die vermuten lassen, daß die ersten Kapitel der Genesis schon sehr früh schriftlich fixiert wurden (Kap. 5). 5. Aus der Genesis sowohl als aus den Ergebnissen der archäo= logischen Forschung ist zu schließen, daß die Berichte und Geschlechtsregister des ersten Buches der Bibel in ganz alter Schrift auf Steinen oder Tontäfelchen niedergeschrieben wurden (Kap. 4—5). 6. Durch die neuen Entdeckungen sind wir auch mit den litera= rischen Gewohnheiten der alten Zeit vertraut gemacht worden. Besonders auffällig ist auf den Tontäfelchen der Gebrauch des Kolophons. Spuren dieses Kolophons er= kennt man auch noch in der Genesis, wenn man sie im Licht dieser alten Gewohnheiten liest. Das Kolophon er= scheint in der stereotypen Formel: „Dies ist die Geschichte von..." Mose hat sie bei der Zusammenstellung der Texte in die Genesis mit aufgenommen und macht da= durch auf seine Quellen aufmerksam (Kap. 5—6). 7. Andere literarische Gewohnheiten zeigen sich z. B. in der Verwendung von „Titeln" und „Stichwortverbindungen", durch die die einzelnen Fortsetzungen der Täfelchen gekenn» zeichnet wurden. 8. Wenn man einige Stellen der Genesis mit Tontäfelchen» texten vergleicht, lassen sie sogar alte Daitierungsmethoden erkennen, aus denen zu ersehen ist, wanm die betreffenden Täfelchen geschrieben wurden. Hinter solchen, uns zunächst undurchsichtigen Ausdrücken verbergen :sich oft ganz alte literarische Gewohnheiten (Kap. 6). 9. Die Punkte 4—8 werden gestützt durch die Beobachtung, daß an keiner Stelle in einem Täfelchen etwas berichtet wird, was die Person (oder die Personen), die jeweils am Ende genannt ist (vgl. Kap. 5) nicht hätte schreiben können. In Kap. 7 haben wir versucht darzustellen, wann und wie die Niederschrift der einzelnen Texte erfolgt sein mag. Aus dem Vergleich mit den Schreibgewohnhei ten der alten Zeit glauben wir schließen zu dürfen, daß die Theorie von der mündlichen Tradition für die Überlieferiung der Genesis» berichte nicht zutrifft. Darum kann man auch für die Einzel» heiten der Darstellungen nicht mehr die „Erzählerfreude des Orientalen" verantwortlich machen, womit man sich bisher diese besonderen Züge der Genesisberichte zu er» klären versuchte. 10. Sehr bezeichnend ist auch die Tatsache, daß die einzelnen Abschnitte alle vor der Nachricht über den Tod des jeweils genannten Patriarchen enden. Oft findet sich am Schluß des Täfelchens zudem noch eine Angabe, aus der das Datum der Niederschrift zu entnehmen ist. 11. Das Vorkommen babylonischer Wörter in den ersten 11 Kapiteln der Genesis weist darauf hin, daß diese Kapitel in sehr früher Zeit im babylonischen Lebensraum entstanden sind (Kap. 6). 12. In den letzten 14 Kapiteln erscheinen viele ägyptische Wör» ter auf einem typisch ägyptischen Hintergrund. Diese Kapi» tel können nur in Ägypten entstanden sein (Kap. 6). 13. Das erste Täfelchen — der Schöpfungsbericht — scheint sogar im Frühlicht der Geschichte selbst geschrieben worden zu sein. Er hat ganz alte Ausdrücke und scheint auch aus einer Zeit zu stammen, in der der Polytheismus sich noch nicht hatte entwickeln können (Kap. 7). 14. In der Bibel gibt es nicht einen Hinweis dafür, daß die Berichte und Geschlechtsregister der Genesis mündlich überliefert seien. Im Gegenteil; bei genauem Zusehen fin= den sich sogar Angaben, die eine ganz frühe Niederschrift der Texte sehr wahrscheinlich machen ( Kap. 5, 7, 8). 15. Es werden Städte erwähnt, die schon zu Moses Zeiten ent= weder nicht mehr existierten, oder deren Namen schon so ungebräuchlich geworden waren, daß ihre „modernen" Be= Zeichnungen dazugesetzt werden mußten. Die Einsetzung der neuen Namen und Erklärungen ist nur verständlich, wenn sie für Leser bestimmt sind, die noch nicht in der Nähe der erwähnten Städte leben. Das ist ein weiteres Zei= chen dafür, daß Mose alte Berichte vor sich hatte, als er die Genesis für sein Volk vor dessen Einmarsch nach Kanaan herausgab (Kap. 7 und 8). 16. Daß die Genesis noch heute diese archaischen Ausdrücke und Spuren alter literarischer Gewohnheiten an sich trägt, ist ein Zeichen für die treue Überlieferung der Texte (Kap. 6). 17. Die bekanntgewordenen babylonischen Schöpfungs= und Flutberichte sind zweifellos eine Verzerrung der biblischen Darstellungen. Die entsprechenden Abschnitte der Genesis kann man unmöglich als gereinigte Nachschriften der baby= Ionischen Täfelchen ansehen (Kap. 2). 18. Die Ansicht, die Genesis enthielte weithin nur mythische und legendäre Darstellungen, ist durch die Erkenntnisse der Archäologie überholt. Von einer ganzen Reihe der als mythisch angesehenen Gestalten der Frühzeit sind ein= deutige historische Dokumente gefunden worden. 19. Die angeblichen Textschwierigkeiten, auf die die Literar= kritik beständig hinweist, finden eine ganz natürliche Er= klärung, wenn man die Texte im Licht der Umwelt liest, in der sie entstanden sind; d. h. daß sie ursprünglich in sehr alter Schrift auf Täfelchen niedergeschrieben wurden, und zwar von Personen, die am Schluß jedes Abschnitts genannt sind. Unterschiede in Stil und Wortgebrauch sind dabei durchaus zu erwarten (Kap. 12). hat, hält er die Bibel je länger je mehr für historisch vertrauenswürdig. Wir dürfen Gott von Herzen danken für die Ergebnisse der Archäologie. Er hat uns durch sie die Möglichkeit gegeben, die Echtheit dieses ersten und grundlegenden Buches der Heiligen Schrift auch auf Grund von äußeren Hinweisen als gesichert an-sehen zu können. Wir wissen zwar auch, daß das für den Glauben nicht ausschlaggebend ist, aber für unser Denken ist es eine große Hilfe.