Wach werden für's Wesentliche!

Rolf Scheffbuch

 

Wie diene ich Jesus richtig?

 

Vortrag beim Christustag in Weingarten am 19. Juni 2003

 

 

Bei Jesus ist alles etwas anders

 

Wer Jesus Gutes tun will, der lasse sich von ihm dienen

 

Vor dem Dienstgebäude des Evangelischen Oberkirchenrates in Stuttgart ist eine mannshohe Statue aufgestellt Sie stellt den legendären Christopherus dar. Auf seinen starken Armen trägt er das schwache Jesuskindlein. Böse Zungen haben schon gelästert: "Da wird Jesus aus dem Oberkirchenrat hinausgetragen!" Der Künstler Jürgen Weber jedoch wollte mit dem Fährmann Christopherus die Kirche versinnbildlichen. Es soll doch die Aufgabe der Kirche sein, Jesus in die Welt von heute hinein zu tragen. Bei der feierlichen Einweihung jedoch sagte unvergesslich der damalige Landesbischof D. Martin Haug: "Wir wollen nie vergessen, dass es gerade ganz anders ist! Nicht wir sind es, auf die der schwache Jesus angewiesen ist.
Sondern ER trägt uns!"

Bei Jesus ist überhaupt alles etwas anders. In allen Religionen bemühen sich Menschen eindrucksvoll, der Gottheit zu dienen, ihr Gutes darzubringen, ihr Wertvolles zu spenden, ihr Freude zu machen, sich kasteiend ihr zu unterwerfen, ja sogar Blut und Leben der verehrten Gottheit zu opfern. Jesus aber hat klar gemacht: "Ich bin nicht gekommen, dass ich mir dienen lasse, sondern dass ich diene und gebe mein Leben zur Erlösung für die Vielen" (Matthäus 20, 28).

Jesus - der Name steht für ein ganzes Programm. Jesus ist der unüberbietbare Diener, der Helfer ohnegleichen, der Retter comme il faut, der fürsorglichste Beistand, den wir uns wünschen können. Ihm ist jedes einzelne Menschlein wichtig. Er will schwache, hilflose Leute bei sich sammeln und bergen, wie eine Henne ihre Küchlein sammelt unter ihre Flügel. Er will uns Wahrheit über uns seelsorgerlich wissen lassen, er will uns Wahrheit künden über unsere Welt und über Gott. Eines der ganz gewaltigen Worte aus dem Mund von Jesus lautet: "Wohl denen, die wach sind, wenn ihr Herr kommt! Wahrlich, ich sage euch: Er wird sich schürzen und wird sie zu Tisch bitten und kommen und ihnen dienen " (Lukas 12, 37). Der große schwäbische Bibelausleger Johann Albrecht Bengel schrieb neben dies Jesuswort an den Rand seiner Bibel: "Maxima promissio" (unüberbietbare Zusage)! Jesus, das starke Wort!
Jesus, der dienende Herr! Wirklich stark!

Überall in der Welt legen sich Menschen, Firmen und Aktionen ins Zeug, um bloß nicht als altmodisch zu gelten. Möbel von vorgestern kommen auf den Sperrmüll, Erfahrungen der vorausgehenden Generation werden mild belächelt, die Säcke der Altkleidersammlung füllen sich mit keineswegs abgetragenen, aber eben unmodischen Stücken. Aber Mode ist nun einmal hässlich. Darum muss sie wieder und wieder modernisiert werden. Bei Jesus ist jedoch auch das anders. Jesus hat in überlegener Ruhe gesagt: "Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen" (Matthäus 24, 35). Darum halten wir uns in der Christenheit an die Worte des Christus.

Es wundern sich ja immer wieder Zeitgenossen, warum bei den Zusammenkünften der Christenheit immer wieder die Worte aus der uralten Urkunde der Bibel gelesen werden. Gibt's denn nichts Überlegenswertes aus heutiger Zeit?, so fragen sie. Doch, das gibt es schon. Aber das Meiste davon ist morgen schon veraltet, überholt. Anders ist es mit der Wahrheit des Christus Jesus. Die Christenheit wird nur dann Zukunft haben, wenn sie sich wieder viel mehr, viel elementarer, viel hörbereiter, viel demütiger dem Wort des Jesus Christus aussetzt.

Dazu wollen wir auch heute mit dem Christustag Mut machen. Die Christenheit wird nicht dadurch aktuell, dass sie im allgemeinen Stimmengewirr unserer Tage auch ihre oft so widersprüchlichen Stimmen zur Weltlage laut werden lässt. Sondern sie ist darin unüberbietbar, dass sie das laut werden lässt, was Christus bis heute uns zu sagen hat. Uns, die wir heute fragen: "Wie diene ich Jesus richtig?"

Gerade für solche Leute hat Jesus ein Wort. Es lautet: "Wer mir dienen will, der folge mir nach" (Johannes 12, 26). Solche Leute also spricht Jesus an, die gerne etwas für ihn getan hätten. "Wer mir dienen will,...". Eigentlich müssten wir erwarten, dass Jesus weitergemacht hätte: Wer mir dienen will, "der soll Gefährdete begleiten, Hungernde speisen, sich für Gerechtigkeit und Frieden einsetzen, die Schöpfung helfen bewahren, Kranke und Einsame besuchen, und, und, und!" Aber auch da ist es bei Jesus anders, als wir erwarten. Vielmehr heißt es: "Wer mir dienen will, der folge mir nach". "Komm doch zu mir!", das war der Ruf des Christus zur Nachfolge. "Nachfolge" ist erst in zweiter Linie ein Sammelsurium von christlichen Aktivitäten. Nachfolge bedeutet in erster Linie, dass wir uns nicht dagegen sperren, wenn Jesus uns bei sich sammeln und bergen möchte, so wie eine Henne ihre schutzbedürftigen Küken birgt, schützt und wärmt unter ihren Flügeln.

"Jetzt kommt doch einfach zu mir!" Diese Einladung erinnert mich immer an unsere Mutter. Sie hatte sonntags immer schon ein reichhaltiges Essen vorgekocht für etwaige Gäste. Wenn wir dann mit unserer kinderreichen Familie unangemeldet eintrudelten und fürsorglich die alte Mutter fragten: "Können wir denn dir nicht mit irgend etwas helfen?", dann konnte sie resolut-klar-liebevoll sagen: "Am allerbesten könnt ihr mir helfen, wenn ihr euch rasch an den Tisch setzt und kräftig zugreift!" So ist es auch bei Jesus gemeint: "Was, ihr wollt mir helfen? Ihr fragt, wie ihr mir recht dienen könnt. Gut, ich sage es euch: Kommt rasch und lasst euch endlich von mir dienen!" Das einzige, womit man rechnen muss, wenn man Jesus dienen will, ist dies, dass man sich seine Wohltaten gefallen lassen muss. Es ist sicher gut gemeint, aber trotzdem total falsch, wenn unter uns der Satz tradiert wird, wie wenn er ein Jesuswort wäre: "Jesus hat keine anderen Hände als unsere Hände!" Nein, die Hand des Christus ist bis heute nicht paralysiert. Deshalb braucht Jesus auch keine Handlanger. Aber es ist die Würde eines Christenlebens, dass Jesus uns an seinem Werk mitschaffen lässt. Uns, die wir doch so oft Stümper sind, ungeschickt, unerfahren,

 

Welch ein Herr, welch ein Herr! Ihm zu dienen, welch ein Stand!

 

Diese Liedzeile war l949 die Losung eines christlichen Zeltlagers. Damals habe ich begriffen, dass ich endlich Gott wirklich Großes zutrauen sollte. Das wurde zu einem wichtigen Markstein in meinem Leben - in ehrenamtlicher und in hauptamtlicher Mitarbeit in der Gemeinde des Christus. "Ihm zu dienen, welch ein Stand!" Es wurde ein unsagbar reiches Leben - reich an Impulsen, an Begegnungen, an Herausforderungen, an Bewahrungen, an Erkenntnissen aus Gottes Wort. Aber dass die Bilanz in den Augen von Jesus auch anders aussehen kann, das wurde mir in kritischen Krankheitszeiten bewusst. Wie viel öfter habe ich versagt, habe ich Menschen vor den Kopf gestoßen, habe ich die Sache des Jesus in Misskredit gebracht, habe ich Jesus in sein Werk gepfuscht!

Je älter ich werde, desto mehr geht mir das auf. Desto wichtiger wird mir auch die alte Liedzeile voll Staunen: "...der ohn' Ende hebt und trägt, die in seinem Dienst sich üben!" Was hat denn Jesus von meinem Dienst? Jeder menschliche Chef käme aus dem Kopfschütteln über meine "Tappigkeit" nicht mehr heraus! Es ist doch wirklich so, dass ich mich erst darin "übe", es Jesus einiger Maßen recht zu machen. Das Entscheidende aber ist, ja das Erstaunliche und Begeisternde, dass Jesus solche Anlernkräfte, solche Christentumspraktikanten wie mich "ohn' Ende hebt und trägt".

So war es von allem Anfang der Christengemeinde an. Daran erinnert der Bibelabschnitt, der unserem Thema zugeordnet wurde. Er erzählt nicht bloß ein rührendes "G'schichtle". Er ist eine rechtsgültige Urkunde, die garantiert: So ist das mit Jesus! So will er auch mich behandeln, wie er einst den Petrus behandelt hat. Der hatte doch mit seinem Umgestüm und mit seinem gut gemeinten Feuereifer so viel verpatzt. Ja, schließlich hatte er Jesus sogar abgeschworen: "Nein, den kenne ich nicht! Mit dem hatte und habe ich nichts zu tun, aber auch gar nichts!" Jetzt, nach der Auferstehung fragte Jesus nicht danach, ob ihm das alles leid tut, ob er um Verzeihung bittet, ob er überhaupt irgendwelche Fähigkeiten hat, Jesus zu dienen. Vielmehr fragte Jesus nur wieder und wieder: "Hast du mich lieb?"

Manche Ausleger sind der Meinung: Jesus hat den Petrus dreimal nach der Liebe gefragt, weil Petrus dort im Hof des hohenpriesterlichen Palastes dreimal Jesus verleugnet hatte. Können Sie sich wirklich vorstellen, dass Jesus den Petrus nach seiner Liebe fragte - und dass Jesus dabei still und leise mit dem moralischen Zeigefinger winkte? Ach was! Erst recht "aller guten Dinge sind drei"! Jesus wollte doch bei dem Petrus festmachen, festklopfen, festnieten: Wenn es für mich ungeschickten Simon Jonas Sohn, für mich impulsiven Zertrampler, mich über das Ziel Hinausschießenden überhaupt einen Retter gibt, der mich vor meinen eigenen Torheiten bewahrt, dann bist das doch du, Jesus! Wenn ich mich überhaupt auf etwas verlassen kann, dann nicht auf meine guten Vorsätze, sondern auf dich, Jesus, der du dafür sorgen kannst, dass mein Glaube nicht aufhört! Ob ich dich lieber habe, als die anderen Jünger dich lieben, das weiß ich nicht. Ob ich dich überhaupt richtig liebe, das weiß nicht ich; aber du weißt es, Jesus, weil du alle Dinge weißt. Ich weiß nur, dass ich dich brauche und dass ich froh darüber bin, dass es dich gibt! Mit dir will und muss ich verbunden bleiben!

Leuten, die sich ohn' Ende von Jesus heben und tragen lassen wollen, denen kann Jesus sogar Aufgaben der Betreuung und der Fürsorge in seiner Gemeinde anvertrauen: "Weide meine Schafe!" - Im jetzt 300 Jahre alten St. Petersburg brach um 1870 eine Erweckung auf. Sie erfasste die vornehmsten Kreis und wirkte sich aus bis zu den Droschkenkutschern und Handwerkern, ja bis hinunter zu den Bettlern. Feinde versöhnten sich, Sträflinge änderten ihr Leben, adlige Damen verschenkten ihren Schmuck, Suppenküchen für die Ärmsten wurden eröffnet. Ausgelöst worden war diese ganze Bewegung durch einen merkwürdigen englischen Adligen, den ehrenwerten Lord Radstock. Der sprach kein Wort Russisch. Seine geistlichen Ansprachen mussten immer übersetzt werden Auch das Französische, das damals in den obersten Kreisen Russlands parliert wurde, war ihm fremd. Eigentlich kannte er nur einen einzigen Satz, mit dem die Menschen grüßte, die ihm vorgestellt wurden, nämlich die Frage: "Aimez vous Jesus" (Lieben Sie Jesus)? Diese Frage war's, die Verkrustungen der Gleichgültigkeit und christlicher Routine aufbrach.

Wo staunende Liebe zu Jesus aufkeimt, wo Menschen von Herzen sich bei Jesus bergen, da vermag Jesus sie auch mit seinen Augen zu leiten. Er kann ihnen Winke geben für Aufgaben, die er für sie bereit hat. - Wie viel Leben könnte in der Gemeinde des Jesus Christus neu anbrechen, wie würde Jesus selbst unsere Häuser und Gemeinden heilen können, wenn wir wieder voll erster, junger Liebe begreifen würden, was wir an IHM haben! An IHM, "der ohn' Ende hebt und trägt, die in seinem Dienst sich üben!"

Alles ist verloren, alle noch so gut erdachten Programme sind umsonst, wo man den Herrn Jesus nicht lieb hat (vgl. 1. Korinther 16, 22). Aber "Gnade sei mit allen, die lieb haben unseren Herrn Jesus Christus, in Unvergänglichkeit" (Epheser 6, 24).