Theo Lehmann – Jugendgottesdienst Nr. 75

Abschrift der Predigt vom 12. September 1982 über Apostelgeschichte 12, 1-25 (Die wunderbare Befreiung des Petrus aus dem Gefängnis und das Ende des Herodes).

 

Liebe Freunde,

Ein Diktator bekommt Staatsbesuch. Er führt den Besuch durch seinen Palast und zeigt ihm stolz die vielen Geschenke, die ihm seine Untertanen gemacht haben. Ganze Säle voller Kostbarkeiten, die sie gespendet und gebastelt haben - der Besucher ist tief beeindruckt. „Das haben die dir alles geschenkt?“ fragt er. „Die müssen dich aber lieb haben!“ – „Ja“, sagt der Diktator: „Die müssen mich lieb haben!“

Der unbeliebte König Herodes.

Einer, den seine Untertanen gar nicht geliebt haben, das war der König Herodes. Nicht der Herodes, der zur Zeit von Jesus gelebt hat, sondern der, der von 41-44 n. Chr. regiert hat. In dieser Zeit war Palästina auch noch unter römischer Besatzungsherrschaft. Und weil Herodes mit der römischen Besatzung unter einer Decke steckte, war er bei der jüdischen Bevölkerung unbeliebt. Er saß also zwischen zwei Stühlen: nach oben war er abhängig und nach unten hatte er keine Anhänger.

Das ist natürlich ziemlich schwer, wenn man ein Volk regieren muss, bei dem man ziemlich unbeliebt ist. Da muss man dann irgendwie versuchen, sich beliebt zu machen. Im Laufe der Geschichte hat es dazu die verschiedensten Methoden gegeben. Die Methode der Römer war beispielsweise „panem et circenses“, auf Deutsch: „Brot und Zirkusspiele“. Das bedeutet, um sich die Gunst des Volkes zu verschaffen, muss man ihm genügend Brot verschaffen. Man muss der Masse das Maul mit materiellen Gütern stopfen – dann hält sie schon die Schnauze. Denn wem der Bauch voll ist, dem gehen nur selten die Augen auf und wer gut gegessen hat, macht höchstens einen Rülpser, aber keine Revolution.

Da aber der Mensch nicht nur aus Bauch besteht, sondern auch aus einem Kopf, also ein sogenanntes geistiges Wesen ist, muss man für diesen Geist ja auch noch etwas tun. Natürlich immer hübsch in Maßen, allzu viel ist ungesund. Wenn die Leute anfangen nachzudenken, über manche Lehren, zum Beispiel über manche leeren Geschäfte, kommen die noch auf ganz verkehrte Gedanken. Es gibt ja jetzt schon welche, die verwechseln die Fleischerläden immer mit Fliesenläden.

Um den Menschen vom Nachdenken abzuhalten, muss man ihn unterhalten. Und je mehr Unterhaltung einer bietet, desto beliebter ist er. König Herodes hatte, um sich bei seinem Volk beliebt zu machen, eine etwas grobe Methode. Für solche Feinheiten wie Volksbelustigungen hatte dieser orientalische Herrscher überhaupt keinen Sinn. Das war ihm außerdem viel zu teuer. Dafür ließ er kein Geld fließen. Seine Methode war billiger, aber wirkungskräftiger. Er ließ Blut fließen. Das war die Methode, die Familientradition war. Diese hatte schon sein Großvater angewandt. Der Großvater war jener König Herodes gewesen, der den Kindermord von Bethlehem zu verantworten hatte. Er hatte alle Jungs bis zum Alter von zwei Jahren in der Gegend von Bethlehem abschlachten lassen, um ein Kind namens Jesus zu erwischen.

Nun hätte ja Herodes, der Enkel, aus der Geschichte lernen können, dass gegen diesen Jesus mit Mord nicht anzukommen ist. Damals war es ein Engel, der zu Joseph und Maria gesagt hat: Flieht nach Ägypten![1] und so wurde das Jesuskind gerettet. Später, als sie es endlich geschafft hatten, als sie diesen Jesus endlich mundtot gemacht hatten, als sie Ihn gekreuzigt hatten, als sie Ihn begraben hatten, als sie auf seinem Grab noch einen großen Stein gelegt hatten, ein Wachkommando davor gesetzt hatten und es versiegelt hatten, da war es wieder ein Engel, der kam und der den Stein vom Grab wegwälzte und der zu den trauernden Frauen sagte: Was sucht ihr den Lebendigen bei den Toten? Er ist nicht hier! Er ist auferstanden![2] Man kann den Auferstandenen nicht irgendwo einsperren. Man kann Ihn nicht noch einmal totschlagen, Er lebt!

Herodes legt sich mit Gottes Gemeinde an.

Und nun kommt also Herodes. Was keiner vor ihm und nach ihm geschafft hat, das will er: Die verhassten Christen aus der Welt schaffen. So unbeliebt wie Herodes waren auch die Christen. Wenn ich diese zusammenstauche, so kombinierte Herodes, dann werde ich das jüdische Volk beeindrucken.

Als er zu Ostern 44 nach Jerusalem kam, ließ er gleich zum Frühstück einmal ein paar Christen verhaften, darunter Jakobus, den Leiter der Gemeinde. Jakobus ließ er gleich ohne irgendein Verhör, ohne einen Grund, ohne eine Verhandlung mit dem Schwert töten. Jakobus war der erste christliche Märtyrer, den eine weltliche Obrigkeit wegen seines Glaubens getötet hat.

Es fällt auf, dass der Tod des Jakobus in der Apostelgeschichte, Kapitel 12, nur so nebenbei erwähnt wird. Die Bibel ist kein Buch der Heiligenverehrung, sondern die Bibel ist das Buch der großen Taten Gottes. Von denen will ich euch gleich noch mehr erzählen.

Als Herodes Jakobus geköpft hat, klatschten die Juden Beifall, und das gefiel dem Herodes. Sein Appetit nach mehr Blut wächst. Als nächstes lässt er Petrus verhaften. Man sieht, die Aktion des Herodes bekommt allmählich Methode. Sein Ziel ist, die Christen zu beseitigen. Er will aber kein Massenmartyrium schaffen. Er will nur die Anführer der Christen ausschalten.

Alle Verfolger der Christen, die etwas klug gewesen sind und etwas von Psychologie verstanden haben, haben sorgfältig vermieden, Märtyrer in großen Mengen zu schaffen. Der Tod von ein paar Rädelsführern als Abschreckung ist eine delikate Sache. Massenhinrichtungen dagegen berühren die Volksseele unangenehm. Herodes ist schlau, das heißt, er bildet sich ein, schlau zu sein. Er rechnet damit, dass der Rest der Gemeinde auseinanderfällt, wenn die Führungsspitze fehlt. Aber er hat, wie alle Verfolger der Kirche, eines übersehen: Die Führung der Kirche liegt nicht in der Hand von ein paar Aposteln, oder ein paar Bischöfen oder ein Pfarrern, sondern sie liegt in der Hand des auferstandenen Christus.

Die Kirche lebt nicht davon, dass in der Mitte ein paar führende Männer leben, sondern sie lebt davon, dass in ihrer Mitte das Wort Gottes lebt. Daran ist bisher jede Christenverfolgung gescheitert, auch wenn man es noch so gescheit anfangen wollte. Auch für Herodes ist hier der Punkt gekommen, wo seine Macht zu Ende ist. Er trägt nur dazu bei, dass es am Ende dieses Kapitels im letzten Satz heißen kann: Das Wort Gottes wuchs und mehrte sich.

Herodes lässt also Petrus verhaften und im Gefängnis scharf bewachen, und morgen ist mit seiner Hinrichtung zu rechnen. Es kommt aber im Gefängnis zu unwahrscheinlichen Ereignissen.

Petrus im Knast. Eine Befreiung der anderen Art.

Es geht schon damit los, dass Petrus schläft. Das kommt uns ja schon unwahrscheinlich vor, dass einer in einer solchen Situation nachts so ruhig schläft. Aber so unwahrscheinlich ist das gar nicht.

Heute ist der Tag der Opfer des Faschismus. Wir denken heute besonders an die, die wegen ihres Glaubens in der Nazizeit gequält wurden und ihr Leben verloren haben. Im Jahre 1944, also genau 1900 Jahre, nach dem Petrus im Gefängnis gesessen hat, saß ein anderer Mann der Kirche im Gefängnis, nämlich der Bischof Lilje[3]. Er hat später ein Buch geschrieben über die Gestapohaft, worin er beschrieben hat, dass er trotz der Aufregung, des Lärms, des Gestanks, der harten Pritsche, trotz der grellen Lampe, die die ganze Nacht in der Zelle brannte, geschlafen hat wie ein Kind.

So wie Petrus, der schläft wie ein kleines Kind. Wie es bei ihm weitergeht, das lese ich euch jetzt vor, Apostelgeschichte 12: 6In der Nacht, bevor Herodes ihn vor Gericht stellen wollte, schlief Petrus zwischen zwei Wachsoldaten. Er war mit zwei Ketten gefesselt. Vor der Tür der Zelle waren weitere Posten aufgestellt. 7Plötzlich stand ein Engel des Herrn in der Zelle. Der Glanz, der von ihm ausging, erhellte den Raum. Der Engel rüttelte Petrus und sprach: schnell, steh auf! Im gleichen Augenblick fielen Petrus die Ketten von den Händen. 8Der Engel drängte: Zieh dich an und binde dir die Sandalen fest. Petrus tat es, und der Engel sagte weiter: Nimm den Mantel und komm mit. 9Petrus folgte ihm nach draußen. Er wusste nicht, dass das alles Wirklichkeit war, sondern meinte, zu träumen. Sie kamen an der ersten Wache vorbei, ebenso an der zweiten, standen schließlich vor dem eisernen Tor, das in die Stadt führte. 10Sie eilten zum Tor, und das Tor ging von selbst auf. Sie liefen auf die Straße hinaus, und plötzlich war der Engel verschwunden. 11Als er wieder zu sich kam, sprach Petrus: Der Herr hat mir tatsächlich einen Engel geschickt, um mich vor Herodes zu retten und mich vor dem zu bewahren, was die Juden mir zufügen wollten.

Soweit die Geschichte aus der Apostelgeschichte 12. Ich muss ja sagen, es ist ja wirklich eine sehr verwunderliche Geschichte. Zumal wenn man bedenkt, dass neben dem Wort Gottes Gefängnismauern zu dem Stabilsten gehören, was es auf dieser Welt gibt. Aber da nicht einmal Petrus selbst erklären kann, wie er dort hinaus gekommen ist, und wie das passiert ist, da brauche ich mir hier auch keinen abzubrechen mit Erklärungsversuchen. Gott allein weiß, welchen Engel Er damals zu dieser Rettungsaktion benutzt hat. Fakt ist jedenfalls, dass Petrus unter Herodes verhaftet war, und dass er nachher noch jahrelang draußen herumgelaufen ist und gepredigt hat. Und dazwischen liegt diese Befreiung. Die hat Petrus selber erlebt wie einen Traum. Genauso wie es die Bibel schon Hunderte von Jahren vorher im Psalm 126 angekündigt hat: Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, dann werden wir sein wie die Träumenden[4].

Als Petrus zur Besinnung kommt, da steht er mitten in der Nacht mitten auf der Straße. Ab jetzt schaltet er ganz klar. Er hat nur einen Gedanken: „Ich muss jetzt zu den anderen!“ Denn das weiß er ganz genau: Die anderen, seine Freunde, die pennen jetzt nicht, obwohl es mitten in der Nacht ist. Sondern die tun was. Sie tun das einzige, das Christen in dieser Situation tun können, nämlich beten.

Petrus: nicht freigekauft, sondern freigebetet. Die Macht des Gebets.

Ich möchte dich fragen, ob du Menschen hast, die für dich beten. Hast du einen, der für dich betet, wenn du in der Klemme sitzt? Kannst du dich darauf verlassen, dass an dem Tag, wo es für dich abgeht, ins Sterbezimmer oder ins Krankenhaus oder in den Knast, es jemanden gibt, der für dich betet? Wenn du niemanden auf der Welt weißt, der für dich betet, dann hast du bisher die falschen Freunde gehabt. Ich rate dir: Verschaffe dir Menschen, die für dich beten, die deinen Namen jeden Tag vor den Thron Gottes bringen. Das ist wichtig, das ist lebenswichtig! Für den Petrus war das überlebenswichtig, er verdankt seine Freiheit dem Gebet seiner Kumpels.

Sie haben ihn freigebetet. Wir werden erst in der Ewigkeit sehen, wie viele Menschen und wie viele Völker ihre Freiheit dem Gebet verdanken. Wie viele es sind, die zumindest durch die Gefängniszeit durch das Gebet hindurch getragen worden sind. Wir sind ja noch nicht in der Ewigkeit. Aber vorhin vor der Predigt kam jemand zu mir und hat gesagt: „Ich habe einmal im Knast gesessen und ich habe das gemerkt, wie Menschen für mich gebetet haben. Ich kannte damals nur ein Bibelwort, und an dem habe ich mich festgehalten.“

Kennst du ein Bibelwort, dass du auswendig weißt, an dem du festhalten kannst, das du dir hersagen kannst? Nimm deine Bibel und lerne ein paar Verse auswendig, damit du damit leben kannst, wenn es einmal darauf ankommt. Das nur nebenbei.

Petrus jedenfalls verdankt seine Freiheit dem Gebet seiner Freunde. Das Gebet hat eine ganz gewaltige Macht. Schon das Gebet eines einzelnen Menschen ist wirkungskräftig. Und das Gebet von vielen, die sich zusammentun, ist noch kräftiger. Wir können mit unserem Gebet auf Gott einwirken. Wir haben es doch nicht mit einem eiskalten Schicksalsablauf zu tun! Wir haben es mit Gott, unserem Vater zu tun, der auf uns hört, der auf uns eingeht. Er freut sich, wenn wir Ihn um etwas bitten.

Ich bin Vater von drei Kindern. Als sie klein waren, habe ich mich immer gefreut, wenn sie reinkamen und haben mich um etwas gebeten – „Papa, kann ich einmal deine Luftpumpe kriegen?“ – „Na, warum nicht.“ Mal angenommen, die Tür zum Wohnzimmer knallt auf, und alle drei kommen hereingerammelt und wollen gleichzeitig etwas. Da sind die Chancen noch größer! Seht ihr, das ist Gebetsgemeinschaft! Da sind die Chancen größer. Gebetsgemeinschaft heißt, dass die Kinder Gottes sich zusammen tun und bei Gott zur Türe hereinrammeln und Ihm ihre Wünsche vortragen. Das machen die Freunde des Petrus. Von dem Moment seiner Verhaftung an beten sie rund um die Uhr, Tag und Nacht. Gegen den Staatschef, der unschuldige Bürger ohne Gerichtsurteil einfach köpfen lässt, und gegen die Gefängnismauern und die Wachsoldaten setzen sie eine einzige Macht: Das gemeinsame Gebet. Sie bitten Jesus: „Wir bitten dich für unseren Bruder Petrus, befreie ihn aus den Händen des Herodes!“

Die verdutzte Gebetsgemeinschaft.

Wie sie so beten, klopft es plötzlich draußen an der Türe. Sie lassen sich in der Gebetsgemeinschaft gar nicht stören, da kann ja jeder kommen, und beten feste weiter. Bloß eine Sklavin war etwas neugierig (es war ja ein Mädchen), sie hatte den schönen Namen Röslein, geht zur Türe und horcht, wer da draußen ist. Als sie die Stimme des Petrus erkennt, ist sie so verdattert, dass sie die Hauptsache vergisst, nämlich aufzumachen, rennt zurück und platzt in die Gebetsgemeinschaft, und ruft: „Feierabend, aus, ihr könnt Schluss machen: der Peter steht draußen.“

Worauf die gesamte christliche Gemeinde im Chor antwortet: „Du spinnst ja!“ Das muss man sich mal vorstellen: Da beten welche eine Nacht lang um die Befreiung eines Todeskandidaten. Und als es an der Türe klopft, als der Befreite vor der Tür steht, als die Gebetserhörung leibhaftig da ist, da finden sie das unwahrscheinlich.

Als ich an dieser Predigt arbeitete, habe ich Folgendes erlebt. Da kam eine junge Frau, sie hatte Schmerzen im Bauch. Sie ging zum Arzt und bekam die Diagnose, sie muss sofort operiert worden, jede Stunde Zeitverlust ist gefährlich, Verdacht auf Krebs. Nun wirst du ja in einer Großstadt am Freitag nicht mehr operiert, sondern musst bis Montag warten, und da haben wir bis zum Montag alle gebetet wie die Irren um Gesundheit. Am Montag geht die Frau erst noch einmal zu einem anderen Arzt, er untersucht sie und sagt: „Ich weiß gar nicht, was Sie haben, Sie haben nichts! Es ist nichts, kein Krebsverdacht.“ Jetzt kommt der springende Punkt: Statt vor Freude in die Luft zu springen, statt sich über die Gebetserhöhung zu freuen, fängt die Frau an zu zweifeln. Sie kann es nicht fassen, sie hält es für unwahrscheinlich, sie kann es nicht glauben.

Genau wie die damals nicht glaubten, dass ihre Gebetserhörung schon vor der Türe steht. Statt das zu glauben, was heißt zu glauben, statt hinauszugehen und ihre Gebetserhörung in Empfang zu nehmen, fangen sie an, zu überlegen, ob so etwas möglich ist. Sie können es sich nicht erklären, und so erklären sie lieber die Sklavin Röslein, die einzige, die die Realität wirklich richtig sieht – die erklären sie für verrückt – „Röslein, Röslein, Röslein rot, du spinnst, der Peter ist längstens tot.“

Als das Röslein fest und steif darauf besteht, dass der Peter draußen vor der Tür steht, da sagen sie: Es ist sein Doppelgänger oder es ist ein Totengespenst, was seinen Tod anzeigen will! Inzwischen klopft und klopft der Petrus ruhig und geduldig draußen an der Türe weiter, bis sie da drin aufhören zu diskutieren, wer hier verrückt ist und was möglich ist und was nicht möglich ist. Bis sie endlich die Türe aufmachen und sehen, was möglich ist. Da sehen Sie den Peter stehen. „Hallo, Leute!“ sagt er. Und bevor die in ein Freudengeschrei ausbrechen können, macht er gleicht: „Psst! Die Nachbarn sollen nichts hören“ spricht er weise – „Der Feind hört mit“ und er informiert kurz die Gemeinde und er taucht dann anschließend gleich unter, damit er nicht mehr erwischt werden kann.

Der Rest von der Geschichte. Herodes‘ unwürdiges Ende.

Am nächsten Tag gibt es natürlich eine große Aufregung im Knast und im Palast, der Häftling ist spurlos verschwunden! Herodes lässt sofort die Wachmannschaften einbuchten. So lernen die das Gefängnis einmal von innen kennen, wo sie vorher nur davor gestanden haben. Und er selber verlässt  fluchtartig in einer großen Staubwolke Jerusalem.

Der Schluss des Kapitels ist schnell erzählt. Herodes gelingt es, einen Wirtschaftskrieg zu beenden, also dem Volk wieder Brot zu verschaffen, und nach dem Motto „Brot und Zirkusspiele“ lässt er in einer Großveranstaltung sich von den Massen beklatschen und als Gott verehren. Die rufen: „Das ist die Stimme Gottes!“ nachdem er eine Rede gehalten hat. Ich hatte euch ja gleich am Anfang gesagt, dass solche Zirkusspiele nichts für Herodes gewesen sind, und tatsächlich bekommt ihm der ganze Zirkus seines Personenkultes schlecht. Ihn trifft auf der Stelle der Schlag oder so etwas, er stirbt und muss, husch husch, zu den Würmern.

Und dann kommt der wichtigste Satz aus dem ganzen Kapitel zwölf, der das eigentliche Wunder beschreibt, Vers 24: Und das Wort des Herrn wuchs und mehrte sich.

Niemand kann das Wachstum der Gemeinde Gottes verhindern.

So aussichtslos die Situation für die verfolgte Kirche auch gewesen ist, Gott hat immer eine Möglichkeit gefunden, um seine Kirche am Leben zu erhalten. Und so aussichtsreich oft die Situation gewesen ist für die Verfolger der Kirche, es ist ihnen niemals gelungen, die Kirche zu erledigen. Und überall, wo es kirchliche Märtyrer gegeben hat, und das waren bis zum heutigen Tag Millionen Christen, überall dort war das Blut der Märtyrer der Samen der Kirche.

Nehmen wir zum Beispiel einmal China. In China gab es vor der Kulturrevolution eine Million Christen. Während der Kulturrevolution wurden die Christen verfolgt, die Kirchen geschlossen und verboten, die Organisation aufgelöst, es gab keine Kirche mehr. Keine Mensch durfte mehr in seinem Haus eine Bibel besitzen und so weiter und sofort. Und die ganze Welt hat gedacht, in China ist die Kirche erledigt. Na und, was ist jetzt, nachdem der Spuk vorbei ist? Da stellt sich heraus, dass es in China vier bis sechs Millionen Christen gibt. Also trotz der Verfolgung, oder vielleicht wegen der Verfolgung hat sich die Kirche nicht etwa vermindert, sie hat sich nicht bloß verdoppelt, sie hat sich vervier-, verfünf, versechs-, verachtfacht![5]

Wie Gott solche Wunder macht vor unseren Augen, wie Er es macht, dass die Kirche wächst und wie Er macht, dass sie lebt, das kann ich nicht erklären. Er macht es jedes Mal anders, Er macht es in dem einen Fall so, dass Er einen sterben lässt wie den Jakobus und dass dadurch die Kirche wächst, und in dem anderen Fall macht Er es so, dass Er einen befreit, wie den Petrus, und dass dadurch die Kirche wächst. In dem einen Fall erhört Gott die Gebete noch schneller, als die Beter glauben und fassen können, im anderen Fall hört Er die Gebete nicht. Und ich nehme an, dass die Gemeinde für den Jakobus vorher ja auch gebetet hat. Könnt ihr euch vorstellen, was das für die erste Christen-gemeinde für ein Schock gewesen ist, als Jakobus geköpft wurde. Die hatten doch auch um sein Leben gebetet und mussten die Erfahrung machen, dass Gott offenbar etwas zulässt, was sie nicht begreifen können. Und sie hätten ja resignieren können, sie hätten sagen können: „Es hatte keinen Zweck, zu Gott zu beten. Offenbar ist Gott machtlos gegen Herodes! Und wenn Petrus jetzt im Knast ist, dann brauchen wir gar nicht erst anfangen, für ihn zu beten.“

Genau so haben sie nicht gedacht. Die Gemeinde wird nicht kopflos, nachdem Jakobus geköpft worden ist. Sondern gerade weil Jakobus geköpft worden ist, setzen sich die Christen ein paar Nächte später schon wieder zusammen und beten für Petrus und seine Befreiung. Und dann machen sie die Erfahrung, dass Gott kein Automat ist, der in jedem Falle gleich reagiert. Sondern dem einen öffnet Gott die Gefängnistür und lässt ihn in die Freiheit, und den anderen überlässt Er dem Henker. Die einen lässt Er frei, die andern lässt Er Opfer des Faschismus werden. Dem Bischof Hanns Lilje hat Er die Gestapo Haft überleben lassen, den Pfarrer Schneider ließ Er im KZ Buchenwald sterben.

 Keinem der Märtyrer zwischen 1933 und 1945 ist an der Wiege gesungen worden, dass sie einmal ihr Leben aufs Spiel setzen müssten, dass einmal geprüft würde vor Gott und der Welt, wie viel Gott ihnen wert ist. Die meisten von denen haben ja eine bürgerliche Jugend gehabt. Sie hatten eine behütete Jugend, so wie wir auch. Von denen hat keiner geahnt, dass er einmal sein Leben für Gott lassen muss. Sie wuchsen ja in einem zivilisierten Kulturstaat auf und wussten nicht, dass ein paar Jahre später die organisierte Barbarei ausbrechen würde. Keiner von denen hat gewusst, dass er Märtyrer würde, keiner von denen hat sich vorgenommen, Märtyrer zu werden. Und keiner von uns wird einen solchen Gedanken haben. Aber rechnen muss jeder damit, dass er von Gott so geführt wird.

Gott bleibt nie untätig, aber er handelt immer anders.

Es gehört zum Wesen der Kirche, dass sie auf Widerstand stößt und dass sie Druck und Verfolgung leidet. Die Christen wollen diesen Konflikt nicht. Es steht in der Bibel: Ist es möglich, so viel an euch ist, so habt mit allen Menschen Frieden[6]. Nach diesem Grundsatz hat auch die erste Gemeinde in Jerusalem gelebt. Sie haben dem Herodes nichts getan und trotzdem hat Herodes die Gemeinde verfolgt. Wer zur Gemeinde von Jesus gehört, muss wissen, dass er mit Schwierigkeiten rechnen muss bis hin zu Gefängnis und Tod. Das kann jeden treffen, dich genauso wie mich. Und Gott ist kein Automat, der jeden befreit. Du darfst nicht denken, dass Gott jeden aus jeder Klemme befreien muss. Es steht in diesem Kapitel nur, dass Er es kann. Und zwar auch dann, wenn wir nicht weiter wissen. Wenn einer weiß, dass er Krebs hat und die Ärzte ihn schon längst aufgegeben haben, dann sind bei Gott immer noch alle Möglichkeiten drin. Es steht in der Bibel: Bei Gott ist kein Ding unmöglich[7]. Wenn du in irgendeiner vertrackten Situation nicht mehr mit Gott rechnest, dann bist du ein Fatalist, aber kein Christ. Du kannst immer mit Gottes Überraschungen rechnen.

Allein unsere heutige Geschichte enthält drei Doppelüberraschungen. Erstens: Eine Tür, von der man dachte, sie bliebe geschlossen, die Gefängnistüre, die ging auf. Und eine Tür, von der man dachte, sie wäre geschlossen und müsste sich auftun, nämlich die Türen der Gemeinde, die blieb lange zu. Zweitens: Der Mann, von dem man dachte, er wäre munter in der Nacht, Petrus in der Zelle, der schlief wie ein Kind. Und die Männer, von denen man dachte, sie würden pennen, nämlich die Christengemeinde, die waren munter. Und drittens: Der Mann, von dem man dachte, sein Leben sei zu Ende, Petrus in der Zelle, der hatte ein langes Leben vor sich. Und der Mann, von denen alle dachte, der hat ein langes Leben vor sich: König Herodes, der musste sterben.

Gott handelt oft anders als wir denken. Aber Er handelt! Und Gott steht zu seinen Versprechen, was Er uns schwarz auf weiß gegeben hat: Dass die Pforten der Hölle die Kirche nicht überwältigen können[8]. Die Kirche ist nie verloren, wenn sie von ihren Gegnern bedrängt wird. Sie ist erst dann verloren, wenn sie ihre Gegner für stärker hält als Gott. Von außen kann die Kirche jedenfalls niemals zerstört werden, solange es in ihr den Glauben an das Wort Gottes gibt. Das Wort Gottes hat eine ganz seltsame Eigenschaft. Diese ist in tausenden von Fällen in der Geschichte geprüft worden: Je mehr man es unter  Druck setzt, umso mehr breitet sich aus. Vers 24: Und das Wort des Herrn breitete sich aus und wuchs immer mehr.

 

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[1] Matthäus 2, 19-20

[2] Lukas 24, 5

[3] Hanns Lilje (1899 – 1977), ev.-lutherischer Theologe, Landesbischof von Hannover und stellv. Ratsvorsitzender der EKD. – Anm. des Schreibers.

[4] Vers 1.

[5] Im Jahr 2015 reichen die Schätzungen bzgl. der Anzahl der Christen in China von 88 Millionen bis zu 130 Millionen. Einige Kenner gehen davon aus, dass die Anzahl der Christen in China im Jahr 2030 bereits bei 295 Millionen Christen liegen könnte. Damit würde China zur größten christlichen Nation (Quelle: open doors). – Anm. des Schreibers.

[6] Römer 12, 18

[7] Matthäus 19, 26

[8] Matthäus 16, 18