Theo Lehmann – Jugendgottesdienst Nr. 66

Abschrift der Predigt vom 10. Mai 1981 über Apostelgeschichte 5, 1-42 (Petrus und Johannes sind vor dem hohen Rat angeklagt – Gamaliels vermeintlich weiser Rat).

 

Liebe Freunde, das letzte Mal habe ich euch erzählt von dem Petrus. Ihr erinnert euch: in der Nacht, bevor Jesus verhaftet wurde, da hat jemand zu Petrus gesagt: „Und du gehörst auch zu dem!“ Aus lauter Angst, auch verhaftet zu werden, hat Petrus glatt geleugnet und gesagt: „Ich? Jesus? Nie gehört! Kenn ich überhaupt nicht.

Ein paar Wochen später hat es ihn doch erwischt. Man hat ihn wegen seiner Zugehörigkeit zu Jesus verhaftet. Er steht vor dem gleichen Gericht, das Jesus zum Tode verurteilt hat. Er steht auf dem gleichen Platz, auf dem Jesus als Angeklagter gestanden hat. Aber diesmal steht Petrus wie eine Eins. Er hat inzwischen den Heiligen Geist empfangen, er ist ein verwandelter, ein neuer Mensch geworden. Aus dem feigen Versager wurde ein mutiger Bekenner. Und als sie ihm verbieten, weiter von Jesus in der Öffentlichkeit von Jesus zu reden, da widerspricht der auf der Stelle und sagt: wir können das nicht lassen, von dem zu reden, was wir gesehen und gehört haben[1]. Er Predigt also, obwohl er unter Redeverbot steht, in der Öffentlichkeit weiter. Er wird also wieder verhaftet und zusammen mit seinem Freund Johannes wieder vor Gericht gestellt. Das erste Mal stand er vor Gericht, weil er einen kranken gesund gemacht hatte, und hinterher gesagt hat, den hab gar nicht ich gesund gemacht, sondern der Auferstandene Jesus ist das gewesen. Also eine religiöse Macke, kein strafrechtlicher Tatbestand. Sie hatten ihn bloß verboten, weiter von seinem Jesus zu reden.

Diesmal steht er aber vor Gericht wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt. Er hat sich über das Redeverbot weg gesetzt und jetzt lautet die Anklage: Ungehorsam gegen die Obrigkeit. Seine Antwort, Apostelgeschichte Fünf, Vers 29: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.

Dieser Satz aus der Bibel erspart viele lange, umständliche Diskussionen. Diesen Satz aus der Bibel müsste jeder Christ kennen, wissen, auswendig wissen! Denn jeder Christ muss nach diesem Satz handeln. Der Gehorsam gegenüber den Eltern, den Vorgesetzten, der Obrigkeit, gegenüber den staatlichen Behörden, der ist für uns Christen eine Selbstverständlichkeit. Aber dieser Gehorsam hört auf, wenn irgendjemand irgendetwas von uns verlangt, was gegen den Willen Gottes ist. Dann gilt Apostelgeschichte Fünf Vers 29: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.

Das ist die Grundsatzerklärung von Petrus und daran schließt er gleich noch eine Bekehrungspredigt an und er sagt zu dem Gericht, vor dem er steht: Jesus, den ihr gehängt und getötet habt, den hat Gott auferweckt vom Tod, um euch Gelegenheit zu geben zur Bekehrung und zur Vergebung der Sünden[2]. Bekehrung – da war es wieder raus, das hässliche Wort, das schon Johannes den Täufer so unbeliebt und verhasst gemacht hatte.

Das bis heute viele Atheisten abschreckt, viele Christen aufschreckt, viele Theologen auf die Palme bringt, Bekehrung  – das rote Tuch für alle, die sich weigern, ihr Leben Jesus auszuliefern. Bekehrung und Gehorsam gegen Gott, das waren schon immer zwei Reizworte. Und ausgerechnet diese beiden Reizworte spricht der Petrus hier aus. Und als er sie ausgesprochen hat, da heißt es hier von den Richtern: Als sie das hörten ging's ihnen durch und durch. Und sie beschlossen, sie zu töten[3]. Im griechischen Text heißt es: Sie wurden zersägt. Das heißt sie wurden im Innersten von diesem Wort Gottes getroffen. Von dem Anspruch Gottes, ihm sein Leben zu geben. Sie erlebten das, was später mal in der Bibel beschrieben ist, im Hebräerbrief über die Schärfe von Gottes wort: Das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidiges Schwert und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens[4]. Denen ging es durch und durch, als sie hörten, sie sollten sich ihre Sünden vergeben lassen und sich bekehren. Die haben damals den Petrus sehr gut verstanden. Die wussten ganz genau, dass sie sich ändern sollten, und genau das wollten sie nicht. Und deswegen wollen sie bloß noch eins – sie wollen diese Christen abschaffen. Diese Leute, die dauernd von Veränderung predigen, mussten weg. Das  Jesusgeschwätz muss aufhören, diesem Bekehrungsrummel muss ein Ende gesetzt werden. Und deshalb sagen sie: Als sie das hörten, ging es in durchs Herz und sie dachten, sie zu töten[5].

Entweder gibst du Gott dein Leben – oder du gibst Ihm kontra.

Man muss sich das einmal vorstellen – sie haben ja überhaupt nichts verbrochen. Das ist der blanke, blinde Hass, der hier entgegenschlägt. Und ich glaube, so ist es geblieben bis heute. Vor der Forderung, sich zu bekehren und Gott zu gehorchen, da kannst du bloß eins: entweder zusammenbrechen und gehorchen oder hassen. Entweder du gibst zu, dass du falsch gelebt hast, dass du ein Sünder bist, dass du Gottes Vergebung brauchst; entweder gibst du Gott dein Leben, oder du gibst Ihm kontra. Nun gibt es auch Leute, die versuchen, sich um eine klare Entscheidung herum zu drücken. Die sind weder für noch gegen Jesus, die sind einfach neutral, tolerant. Vielleicht habt ihr Christen recht, vielleicht auch nicht. Ich halte mich daraus, Abwarten und Tee trinken. Der erste, der diese These vertreten hat, das war ein gewisser Gamaliel. Nicht ein Gammler, wie ihr denkt, sondern ganz im Gegenteil, Gamaliel war einer der berühmtesten Menschen seinerzeit, ein Gelehrter im damaligen jüdischen Volke, bekannt wegen seiner Weisheiten. Wenn der etwas sagte, dann hielten alle anderen die Luft an.

Der Rat des Gamaliel.

Und als die Gerichtsversammlung gerade am Kochen ist und sie beschließen, die Apostel zu töten, dann meldet er sich zu Wort. Sofort ist Ruhe. Als erstes lässt er die beiden Angeklagten aus dem Saal rausführen und dann fängt er an, wie es sich für einen ordentlichen Wissenschaftler geziemt, mit einer langen, umständlichen, historischen Rede. Er bringt Beispiele aus der Geschichte. Da war doch neulich, sagt er, ein gewisser Thaddäus.  Der tat so, als ob er sonst was wäre, machte eine kleine Revolution, und vierhundert Leute sind ihm nachgelaufen, und wo sind sie hin? In alle Winde zerstreut. Und der Mann selber ist erschlagen. Und kurz danach, da kam ein gewisser Judas aus Galiläa, der hat auch eine Revolution angezettelt, riesige Volksmassen sind immer hinterher gerannt, alle sagten, das ist das große neue, aber der ist auch umgekommen, alle, Die sich mit ihm solidarisiert haben, sind in der Zwischenzeit in alle Winde zerstreut. Und jetzt, sagt Gamaliel, kommen als neuste Mode diese Christen hier an.

Bloß dass diesmal nicht die Rede davon ist, alles Äußerliche umzukrempeln, sondern es geht jetzt um eine innere Veränderung, wir sollen uns alle innerlich verändern. Und nun, sagt der Gamaliel, gebe ich euch folgenden Rat (ich lese euch den Text aus der guten Nachricht vor): darum rate ich euch, lasst die Männer in Ruhe. Lasst sie laufen. Denn wenn ihr Vorhaben nur von Menschen kommt, löst sich alles von selbst wieder auf. Steht aber Gott dahinter, dann seid ihr machtlos und am Ende stellt sich heraus, dass ihr euch Gott selber in den Weg gestellt habt[6].

Das klingt nicht nur logisch, das klingt auch fromm. Gott hat solchen eigenmächtigen Bewegungen, wie diese vom tadellos, und dem Judas, in die Luft gehen lassen. Die Geschichte hat bewiesen, dass viele, die als Revolutionäre auftraten, mit einer großen Botschaft, eines Tages pleite gemacht haben, und wenn die Jesusbewegung auch nach diesem Muster gestrickt ist, wenn das auch bloß eine Mode, eine Macke, ein Strohfeuer ist, eine rein menschliche Angelegenheit, dann wird sie sich ganz von selber totlaufen.

Zwei Gründe, warum der Rat des Gamaliel nicht weise, sondern Gammel ist.

Und gesetzt den Fall, die Jesusbewegung ist doch von Gott, kann man sowieso nichts dagegen machen. Also gilt in jedem Falle: die Entscheidung der Zeit überlassen. Abwarten und Tee trinken. Das hört sich alles gar nicht übel an, und trotzdem ist dieser Rat des Gamaliel Gammel, und zwar aus zwei Gründen:

Erstens, der Gamaliel behauptet, nur was von Gott kommt, das hat in dieser Welt Bestand. Was nicht von Gott kommt, das verschwindet. Aber das ist bloß die halbe Wahrheit. Es stimmt zwar: viele Menschen und Bewegungen, die groß losgegangen sind, aber gottlos waren, die mussten von der Bildfläche der Geschichte wieder verschwinden. Angefangen beim Pharao und seinem Großreich über die Weltreiche der Perser, der Römer, der Griechen, bis hin zum Großdeutschen Reich von Adolf Hitler.

In der Hitlerzeit war der Pfarrer Wilhelm Busch im Gefängnis. War auch so einer, der zu viel von Jesus geredet hat. Aus dessen Erinnerungen lese ich mal was vor. Ausnahmsweise ist es mal ein West-Buch, aber am Tag des freien Buches[7] kann ich auch einmal aus einem West-Buch was vorlesen. Also, er ist bei der Vernehmung bei der Gestapo im Gefängnis und da wird ihm eröffnet, dass er den falschen Beruf hat – er war Jugendpfarrer: „Ja, das müssen sie doch langsam begreifen, dass dieser Beruf doch völlig überholt ist. Wir werden in Zukunft keine Jugendpfarrer mehr brauchen. Wir haben heute eine neue Weltanschauung. Das Christentum hat ausgespielt. Ich sage Ihnen, in zehn Jahren wird in Deutschland kein junger Mensch mehr wissen, wer ihr imaginärer Jesus ist. Dafür werden wir sorgen!“ Diese gewaltigen Worte wurden 1938 gesprochen. Es hat keine zehn Jahre gedauert, da hatte Gott dafür gesagt, dass diese großfressige Weltanschauung abgegessen hatte.

Nicht immer kommt der Zusammenbruch so schnell wie bei den Nazis, deren tausendjähriges Reich schon nach zwölf Jahren wieder zu Ende ging. Aber eins ist klar: nichts kann auf ewig bestehen, was sich auf Gottlosigkeit, Gewalt, Lüge und Unterdrückung gründet. Sondern Gott selber wird die Unterdrücker stürzen und die Unterdrückten stützen. So steht das in der Bibel an vielen Stellen, zum Beispiel im Lukasevangelium Kapitel Eins. Gott stürzt die Mächtigen vom Thron und richtet die Unterdrückten auf[8]. Trotzdem ist die Behauptung des Gamaliel, dass alles was gottlos ist, nicht von langer Dauer ist, falsch. Es gibt Gottlosigkeiten, die dauern sehr sehr lange. Es gibt in unserem Land heidnischen Aberglauben, der ist älter als das Christentum. Es gibt ja auch unter euch welche, die sich mit uralten Gottlosigkeiten wie Amuletts und Talismanen behängen und damit gegen Jesus sündigen. Die Sünde ist älter als Jesus[9]. Es gibt Lügen, die halten sich über Jahrtausende. Und mancher und manches ist gottlos bis in die Knochen und wird trotzdem steinalt. Auch die menschliche Dummheit ist steinalt. Man hat den Eindruck, die Engstirnigkeit wird immer breiter. Religionen wie der Islam, der Hinduismus, der Buddhismus sind uralt. Aber dass irgendwas schon lange da ist, ist noch lange kein Beweis dafür, dass es auch wahr ist. Und umgekehrt: es kann etwas von Gott sein und trotzdem nur von ganz kurzer Dauer sein. Jesus selber, der Sohn Gottes, der von Gott kam, der hat das Rentenalter nicht geschafft. Er ist mit dreiunddreißig Jahren gestorben und sein Tod war der letzte Schmäh[10], der hing zwischen zwei Verbrechern wie ein Verbrecher am Kreuz. Und trotzdem hat dieser Jesus gesagt, von sich: ich bin die Wahrheit[11]. Die Wahrheit ist weder jung noch alt. Die Wahrheit ist eine Person. Sie heißt Jesus.

Und damit bin ich bei dem zweiten Grund, warum der Gamaliel nicht recht hat. Sein Ratschlag – Abwarten und Teetrinken – der wäre ja schön und gut, wenn es hier nicht um die Entscheidung für oder gegen Jesus ginge. Es geht doch nicht darum, in aller Seelenruhe abzuwarten, ob die Jesusbewegung sich geschichtlich durchsetzen wird, sondern es geht um das ewige Seelenheil.

Gott bietet den Mördern Jesu durch Petrus seine Gnade an.

Es geht um Jesus, der gesagt hat: wer an mich glaubt, der hat das ewige Leben und wer nicht an mich glaubt, der wird das ewige Leben nicht sehen. Wegen diesem Jesus ist Petrus angeklagt. Da hat er also seinen Richtern gesagt: den Jesus, den ihr umgebracht habt, den hat Gott auferweckt – damit ihr eine Chance habt zur Bekehrung und zur Vergebung eurer Sünden. Man muss sich einmal vorstellen, zu wem Petrus hier redet. Er spricht zu denen, die Jesus zum Tode verurteilt haben. Die haben den Tod eines Unschuldigen auf dem Gewissen.  Keiner von denen, auch der Gamaliel nicht, kann wagen, er wäre ohne Schuld. Wenn es damals eine Menschengruppe auf der Welt gegeben hat, die die Vergebung Gottes nötig hatte, dann waren es diese siebzig Männer, die den Sohn Gottes getötet hatten. Denen – da kannst du mal sehen, wie groß Gottes Liebe ist! – denen lässt Gott durch Petrus eine Chance auf Vergebung und Umkehr anbieten. Vergebung gibt es aber bloß für den, der sie will, der seine Sünde zugibt, der Jesus sein Leben gibt, der sich für Jesus entscheidet. Alles dreht sich um diese Entscheidung. Die Luft ist sozusagen dick, voll von Entscheidung. Und da kommt dieser Gamaliel daher und sagt: „Entscheidet euch nicht! Entscheidet euch jetzt noch nicht. Wartet.“

Es kann eben einer steinalt, gelehrt, berühmt, eine allseitig gebildete Persönlichkeit sein, und trotzdem falsche Ratschläge geben. Der Rat des Gamaliel ist falsch! Ich rate dir das Gegenteil: warte nicht. Entscheide dich! Entscheide dich jetzt. Zwischen dir und den Leuten vom hohen Gericht gibt es viele Unterschiede. Aber in einem Punkt, da bist du denen gleich. Du hast den Tod von Jesus auf dem Gewissen. Deine Sünde ist einer der Gründe, warum er am Kreuz gestorben ist. Im Alten Testament steht: Er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, damit wir Frieden hätten[12]. Deinetwegen war er am Kreuz, an deiner Stelle, für dich. Du brauchst Vergebung für deine Sünden.  Und Gott bietet sie dir heute an, und deswegen bitte ich dich an der Stelle von Jesus: lass dich versöhnen mit Gott.

Ich weiß nicht, ob diese Männer vom hohen Gericht noch einmal die Chance zur Bekehrung bekommen haben. Ich weiß nur, dass sie an dem Tag, an dem Petrus zu ihnen gesprochen hat, diese Chance hatten. Ich weiß nicht, ob Gott dir noch einmal die Chance zu Bekehrung gibt. Ich weiß nur, dass er sie dir heute gibt.

Und deshalb bitte ich dich, höre nicht auf den falschen Rat des Gamaliel und seiner Nachfolger, wenn es deine eigenen Eltern oder deine Kumpels sind, die dir einreden: entscheide dich noch nicht, warte ab. Was willst du denn eigentlich noch abwarten? Deine Schuld wird nicht weniger, und Gottes Angebot wird nicht größer. Mehr als Vergebung deiner Schuld kann und wird dir Gott nicht anbieten. Mehr gibt’s ja gar nicht.

Toleranz und Intoleranz – und falsche Vorstellungen davon.

Der Gamaliel ist ganz nah an Jesus dran, zum Greifen nahe. Er räumt ja immerhin auch die Möglichkeit ein, die Jesus-Sache könnte von Gott sein. Er persönlich sieht Gott hier irgendwie am Werke, aber eben auch nur irgendwie. Möglicherweise! Eventuell! Gamaliel entscheidet sich nicht, er wählt nicht, er bleibt in der Schwebe, er bleibt Jesus gegenüber neutral. Er ist tolerant; er sagt: ich habe nichts gegen die Christen, ich habe auch nichts für die. Ich habe meinen Glauben, sollen die ihr Zeug glauben. Jeder soll nach seiner Fasson selig werden. Gamaliel ist tolerant. Als tolerant gebärden sich immer die Leute, die das Wort Gottes nicht ernst nehmen, und die sich nicht festlegen wollen. Christen, die sich auf Jesus festgelegt haben, die sind intolerant. Selbstverständlich bezieht sich diese Frage der Intoleranz nur auf die Fragen des Glaubens und der Weltanschauung. Ob du in Jeans oder in Filzhosen herumläufst, das ist eine Frage des Geschmacks oder des schlechten Geschmacks, jedenfalls ist das vom Standpunkt des Glaubens aus schnuppe egal. Meiner Meinung nach sind die Christen überhaupt die tolerantesten Menschen auf der ganzen Welt. Bei allen Menschen kommt die Toleranz immer ganz schnell an irgendeine Grenze.

Die Toleranz des Busfahrers.

Ich denke da an so einen amerikanischen Busfahrer, der so einen Bus zu fahren hat. Da sind Kinder drin, weiße und schwarze. Die Weißen sitzen vorn, die Schwarzen müssen hinten sitzen. Große Keilerei im Bus, Gedresche, Gebrülle. Da fährt er auf den Parkplatz und lässt die alle aussteigen. Alle mal raus! Dann stellt er sich vor die (Kinder) und hält eine Rede. Er sagt: „Kinder, nun hört mal zu. Wir sind alle von Gott gleich geschaffen, sind alle gleiche Menschen. Wozu streitet ihr euch, wozu keilt ihr euch, was heißt hier schwarz, was heißt hier weiß? Für mich gibt’s schwarz und weiß überhaupt nicht mehr, wir sind alle gleich. Habt ihr das verstanden?“ – „Ja!“ sagen die Kinder. „Also gut“ sagt er „ihr seid für mich nicht schwarz und nicht weiß. Ihr seid für mich, sagen wir einmal – grün! Ist alles jetzt ok? Na dann können wir alle wieder einsteigen, die hellgrünen vorne, die dunkelgrünen hinten!“

Christen sind am tolerantesten – mit einer Ausnahme.

Irgendwo hört bei den meisten Menschen die Toleranz ganz plötzlich auf. Bei allen Menschen hört die Toleranz spätestens dort auf, wo es um den Feind geht. Der Feind, der muss gehasst, der muss bekämpft, der muss geköpft werden. Die Toleranz der Christen geht an diesem Punkt weiter. Die geht soweit, dass sogar der Feind geliebt wird. Das ist ja der eigentliche Unterschied eines Christen und eines Nichtchristen. Seine Kumpel hat jeder gerne. Aber seinen Feind lieben – das ist das Eigentliche, was einen Christen ausmacht. Wie gesagt, die Toleranz der Christen geht bis an die allerletzte Grenze.

Aber an einem Punkt sind die Christen absolut intolerant. Nämlich wenn es um Jesus geht. Jesus hat den Alleinvertretungsanspruch erhoben. Er hat gesagt: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater außer durch mich[13]. Und die Apostel haben den Alleinvertretungs-anspruch erhoben. Sie haben gesagt: In keinem anderen ist das Heil und es ist auch kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch den wir gerettet werden können[14]. Dieser Behauptung gegenüber musst du dich entscheiden. Selbst wenn du dich weigerst, dich für oder gegen Jesus zu entscheiden, fällst du auch eine Entscheidung, und zwar gegen Jesus. In dem Lied, das der Jörg nachher singt, heißt es: „Auch Schweigen ist ein Nein“.

Die gewaltlose Intoleranz der Christen – die gewalttätige Toleranz ihrer Gegner.

Jesus selber hat gesagt: Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich[15]. Wenn du das intolerant nennst, da kann ich dir nur recht geben. Es ist so. Wir Christen sind intolerant. Wir sagen: es gibt nur ein Heil, es gibt nur eine Rettung, es gibt nur eine Möglichkeit, gesund zu werden, und die heißt Jesus. Auf eines verzichtet die christliche Intoleranz auf alle Fälle: und das ist die Gewalt. Es hat mal Zeiten gegeben, in denen die Kirche Gewalt angewendet hat. Im Mittelalter, Kreuzzüge und so. Das kennt ihr aus der Schule bis hierher. Wir wissen heute und wir sagen heute, dass das falsch gewesen ist. Denn die einzigen Waffen der Christen sind die Liebe und das Leiden. Und davon redet der Schluss unserer Geschichte.

Als der Gamaliel fertig ist, da schließen sich alle seinem Toleranzgedanken an, so im Sinne der Fabel von Gerhard Branstner[16]: „In meinem Reich“ sagt der Löwe „da gibt es keine Zensur. Hier kann jeder sagen, was ich will.“ Jeder. Sie schließen sich dem Toleranzgedanken an. Aber was sie wirklich unter Toleranz verstehen, das zeigt sich darin, was sie jetzt mit Petrus und Johannes machen. Sie lassen sie nämlich auspeitschen. Es sind nicht die intoleranten Christen, sondern die ach so toleranten Gegner, die die rohe Gewalt anwenden - „Ein jeder ist für Toleranz, nur wenn’s drauf ankommt, nicht so ganz.“

Jetzt zeigt sich, dass das ganze vornehme und gebildete Toleranzgeschwafel weiter nichts gewesen ist als Lüge, als vornehm getarnter Jesus-Hass. Es zeigt sich, dass Jesus recht hat, wenn er sagt: wer nicht für mich ist, der ist gegen mich. Und anstatt die Apostel in Ruhe zu lassen, da lassen sie die auspeitschen. Hast du einmal den Prügelbock gesehen, in Buchenwald, im KZ? So ein Prügelbock gehört zu den schrecklichsten Dingen, die ich in meinem Leben gesehen habe. Die Prügelstrafe damals war die härteste Strafe vor der Todesstrafe. Mit der dreifachen Lederpeitsche vierzig Schläge weniger eins, das heißt neunundreißig Schläge auf den Nackten Rücken – mein Lieber, wenn du diese Tortur hinter dir hast, dann hörst du die Engel singen.

Das Leiden der Apostel für Jesus und ihre Freude darüber.

Und tatsächlich, so ist das: die beiden Apostel hören die Engel singen. In ihren geschundenen Körpern, da lebt eine Seele, die ist geborgen bei Gott, die ist unerreichbar und unzerstörbar für die Werkzeuge der Christushasser. Und trotz des Blutes, das ihnen den Rücken hinunter läuft und trotz der Tränen, die ihnen die Augen hinunter laufen, da laufen die voll Freude nach Hause. Voll Freude, so steht das hier, das ist das Größte an der ganzen Geschichte, das muss ich euch noch vorlesen: man rief die Apostel wieder herein, peitschte sie aus, und ließ sie frei – verbot ihnen aber weiterhin, öffentlich von Jesus zu sprechen. Die Apostel verließen das Gericht voll Freude, weil Gott sie für wert gehalten hatte, für Jesus zu leiden. Das ist eine Veränderung! Petrus, der gleiche Mensch, der vor ein paar Wochen voll Angst war, für Jesus leiden zu müssen, der ist jetzt voll Freude, für Jesus leiden zu dürfen. Und unbelehrbar und unverbesserlich geht er den Weg des offenen Bekenntnisses. Unbeirrbar verkündeten sie Tag für Tag im Tempel und in den Häusern die gute Nachricht, dass Jesus der versprochene Retter ist. So kann Jesus einen Menschen verwandeln, der bereit ist, sich verwandeln, sich bekehren zu lassen.

 

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[1] Apostelgeschichte 4, 20

[2] Apostelgeschichte 5, 30-31

[3] Apostelgeschichte 5, 33

[4] Hebräer 4, 12

[5] Apostelgeschichte 5, 33

[6] Apostelgeschichte 5, 35.38.39

[7] Der Tag des freien Buches wurde erstmals 1947 zum Gedenken an die Bücherverbrennung 1933 begangen und in der DDR als Gedenktag weitergeführt. 

[8] Aus der Lobesrede der Maria, Lukas 1, 50-55

[9] Theo Lehmann meint damit wohl, dass die Sünde schon da war, bevor Gott in Jesus Mensch wurde. Jesus ist ewig (z.B. Johannes 8, 58), daher kann die Sünde nicht älter sein als er. – Anm. des Schreibers

[10] Theo Lehmann meint vermutlich: „eine extreme Schmähung“ – Anm. des Schreibers

[11] Johannes 14, 6: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.

[12] Jesaja 53, 5

[13] Johannes 14, 6

[14] Apostelgeschichte 4, 12

[15] Matthäus 12, 30: wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich, und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut.

[16] Gerhard Branstner: Der Esel als Amtmann oder Das Tier ist auch nur ein Mensch. Buchverlag der Morgen, Berlin 1976 – Anm. des Schreibers