Wilhelm Busch

Christus lebt!

Erlebnisse und Kurzgeschichten

 

„Gott ist an allem Schuld!“

 

Manchmal erlebt man das Walten des lebendigen Gottes so deutlich, dass man nur staunen muss. Und wenn das geschieht, ist man – so glaube ich – immer irgendwie beschämt. Diese Tatsache wurde mir durch folgendes Erlebnis neu bewusst:

Da saß ich am Steuer meines Wagens und brummte ärgerlich vor mich hin. Es war auch wirklich kein Spaß zu fahren: Der Regen troff nur so. Man konnte kaum durch die Scheiben sehen. Und die Nacht war schwarz wie ein Tunnel. Dabei musste ich eine weite Strecke zurücklegen. Es ging über lauter Straßen mit einem ekelhaften Kopfpflaster. Das ist bei Regen schrecklich glatt. Und dann die Straßenbahnschienen! Der Wagen rutschte nur so durch den großen Verkehr! Jedes entgegenkommende Auto, ja jeder Radfahrer – und es wimmelte von Bergleuten, die zur Schicht fuhren! – warf mit seiner Laterne eine lange Lichtbahn in die Nässe. Das blendete unerträglich! Das war nun schon der dritte Abend, dass ich diese mühsame Fahrt machte. Und vier Abende hatte ich noch vor mir. Dazu sah es gar nicht so aus, als wenn das Wetter besser werden wollte.

Und warum das alles?

Da hatte nun so ein kleines Dorf eine Evangelisation veranstaltet. Schön und recht! Aber was in aller Welt hatte mich bewogen, diese Sache zu übernehmen? Eigentlich hatte ich selbst das auch gar nicht getan. Wie war es denn dazu gekommen? Ein Jugendkreis meiner Gemeinde war in dem Dorf freundlich aufgenommen worden. Und da hatte man sie am Schluss gebeten: „Nun sagt doch eurem Pfarrer, er soll einmal eine Woche lang bei uns Vorträge halten!“ Das hatten die Burschen so halb zugesagt. Jedenfalls versicherten sie mir, ich dürfe sie jetzt nicht blamieren und absagen!

„Langsam! Langsam!“ Ich fasse das Steuer fester. Es geht wieder um so eine gefährliche Kurve. Und natürlich kommt mir ausgerechnet ein riesiger Lastwagen entgegen. Abblenden, das kennt der Fahrer offenbar auch nicht … Vorsichtig schiebe ich meinen Wagen daran vorbei.

Wirklich, es ist „zum Wild-Werden“! Ich muss an den ärgerlichen Brief denken, der zu Hause auf meinem Schreibtisch liegt. Aus einer Stadt im Süden ist er gekommen. Und die Leute dort beschweren sich bitter, dass ich ihnen nun schon zum zweiten Mal eine Einladung abgeschlagen habe.

Im Geist sehe ich die große Stadtkirche vor mir. Unwillkürlich vergleiche ich sie mit dem armen DorfkirchIein in dem „Nest“. Nur mit Mühe und Not bekommt man da ein paar Leute zusammen. Das ist ja so verständlich: wer mag bei diesem Wetter die weiten Wege aus den zerstreuten Bauernhöfen antreten! Das müssen immerhin sehr hungrige Seelen sein!

Im Gedanken an diese verlangenden Herzen wird mir ein bisschen besser zu Mute.

So, und nun haben wir endlich die letzten Zechen hinter uns. Jetzt kann man etwas freier fahren. Wir überholen ein paar triefende Gestalten, die zu der Dorfkirche eilen – durch Nacht und Sturm! Wirklich – das Bild packt uns. Und man schämt sich schon fast seines Ärgers.

Aber das Eigentliche kommt erst!

Als ich meinen Wagen am gewohnten Platz anhalte, mich da ein Mann: „Guten Abend, Herr Pfarrer! Darf Sie in mein Haus einladen? Es kommt da ein kleiner Kreis zum Gebet zusammen vor Ihren Versammlungen.“

Das kann man brauchen. Alle Nerven zittern nach der anstrengenden Fahrt. Da ist es schön, mit ein paar Gleichgesinnten vor Gott stille zu werden.

In einem netten Hause finden wir ein paar Männer, Frauen und junge Leute. Und da hören wir die wunderbare Geschichte, die mir klar macht, warum ich ausgerechnet dort Vorträge halten musste.

„Sehen Sie“, berichtete der Mann, „schon in meinem Elternhause hat das Evangelium von der Gnade Gottes in Jesus Christus das Leben beherrscht. Und darum hat es meinen Vater und Großvater immer geschmerzt, dass hier in der Gegend so viel geistlicher Tod ist. Die Leute gehen auf in den Sorgen des täglichen Lebens. Und nach Frieden mit Gott fragen nur ganz wenige.

Als mein Vater dann hörte, dass da und dort Vortragsreihen und Evangelisationen gehalten wurden, sagte er oft: Wenn das doch in unserer Gemeinde einmal geschähe, dass eine Woche lang der Weg zur ewigen Seligkeit klargelegt würde!

Wir Jungen meinten dann, wir könnten das ja einmal veranstalten. Aber mein Vater wehrte ab: Das darf man nicht erzwingen! Das muss von dem Kirchengemeinderat oder – wie man hier sagt – vom Presbyterium ausgehen! Wir wollen darum beten! – Und das haben wir seitdem getan. Nun schon durch Jahre hindurch. Mein Vater ist darüber gestorben. Aber wir haben weitergemacht. Jede Woche ist hier im Hause gebetet worden, Gott möge es dem Presbyterium doch ins Herz geben, dass sie einmal einen Evangelisten berufen …

Und sehen Sie, jetzt hat Er unsere Bitten erhört. Sie sind ganz offiziell vom Presbyterium berufen. Und wir können Ihnen gar nicht sagen, wie sehr wir uns freuen, dass nun eine Woche lang unser Kirchlein sich füllt – trotz Sturm und Regen!“

So wurde mir dort in der Stube berichtet. Und man wird verstehen, dass es mir etwas den Atem verschlug. Denn wenn wir auch mit der Erfüllung unsrer Gebete rechnen, so ist es für unsere harten Herzen doch immer wunderbar, wenn wir die Hand des lebendigen Gottes eingreifen sehen.

Wie musste ich mich nun von Grund meines Herzens schämen, dass mir diese Fahrten hatten zu viel werden wollen!

Aber dabei durfte ich gar nicht stehen bleiben. Da war ein junger Mann in der Stube. Der lachte mich fröhlich an und sagte: „Sehen Sie, darum hat es uns auch so gefreut, dass Sie am ersten Abend ausgerechnet das Thema hatten!“

Da besann ich mich, dass ich meine Vortragsreihe begonnen hatte mit einer Rede über das Thema: „Gott ist an allem schuld!“ So stand es auf den Handzetteln, die zu den Versammlungen einluden. In der Tat: Gott war an allem schuld!

Da wurde mir das Herz weit. Und so haben wir zusammen gebetet, dass Er in dieser Sache weiter wirken wolle.