Wilhelm Busch – Die drei fehlenden Sätze in der Himmelfahrtsgeschichte

 

Sonntag Exaudi — Himmelfahrt 1944

»Und es geschah, da er sie segnete, schied er von ihnen und fuhr auf gen Himmel. Sie aber beteten ihn an und kehrten wieder gen Jerusalem mit großer Freude.« (Lukas 24, 51-52)

 

Auf einsamer Bergeshöhe steht der Herr mit seinen Jüngern. Eben hat er die Hände erhoben, um sie zu segnen. Da geschieht etwas Unerhörtes, Erschütterndes: Eine Wolke nimmt den Herrn vor den Augen der Jünger hinweg. Der Herr geht zurück in die Welt, aus der er ge­kommen war. Wer nun den nüchternen Bericht über dieses Ereignis aufmerksam liest, der muss sich wundern. Denn da steht etwas sehr Merkwürdiges, ja Ärgerliches: »Er schied von ihnen... und sie kehrten wieder um mit großer Freude.« Das sieht ja so aus, als seien sie froh gewesen, als er weg war.

Standen die Jünger so zu ihrem Herrn? Nein! Um dieses Rätsel zu verstehen, müssen wir nach dem Satz »Er schied von ihnen« ein paar Sätze einschieben, die im Bericht nicht gesagt sind.

 

1. Er schied von ihnen, um im Geist immer bei ihnen zu sein

Die Jünger hatten in den 40 Tagen nach der Auferstehung Jesu einen intensiven Unterricht gehabt. Dieser Unterricht war auf das eine abgestellt: »Liebe Jünger, ihr müsst meine Worte ganz ernst nehmen. Wie oft habe ich euch z.B. gesagt, dass ich sterben werde für die Welt und am dritten

Tage auferstehen werde. Aber als es eintrat, habt ihr es nicht begriffen. Nehmt meine Worte ernst!« Und das wollten sie nun tun. Nun hatte er ihnen gerade eben gesagt: »Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.« Und jetzt wirkte der Unterricht. »Er hat gesagt: >Ich bin bei euch<. Also ist er bei uns, auch wenn er unseren Augen entnommen ist.«

Wenn einer die Jünger bei ihrem Heimweg getroffen hätte, hätte sich vielleicht folgendes Gespräch ergeben: »Wo ist euer Herr?« — »Der ist zu seinem Vater zurückgegangen.« — »Aber wenn er fortgegangen ist, wie könnt ihr dann so fröhlich sein?« — »Er ist ja gar nicht von uns gegangen. Er ist bei uns jetzt und alle Tage.«

Da hätte der Fremde wohl den Kopf geschüttelt und ge­dacht: »Die sind verrückt, ihre Sinne sind verwirrt.« Was versteht die Welt auch von der Gegenwart Jesu im Geist? Ja, die Jünger waren nun besser dran als früher. Wie oft war es früher geschehen, dass der Herr nicht bei ihnen war, wenn sie ihn am nötigsten gebraucht hätten. Z.B. als sie einmal bei Nacht auf dem See waren und der Wind ihnen zuwider war; oder als ein Vater mit seinem anfallskranken Knaben kam und sie sich nicht zu helfen wussten. Wie oft hatten sie ihn suchen müssen, wenn er sich zum Gebet heimlich von ihnen gestohlen hatte. Das war nun vorbei seit der Himmelfahrt. Nun ist Jesus immer bei den Seinigen. Nun heißt es überall und immer bei Christen: »Ach mein Herr Jesu, Dein Nahesein bringt großen Frieden ins Herz hinein. Und Dein Gnadenanblick macht uns so selig, dass Leib und Seele darüber fröhlich und dankbar wird.«

Darum kann jeder Christ mit großer Freude — wie die Jünger — von der Himmelfahrt Christi aus seine Straße wandern.

 

2. Er schied von ihnen, um den Thron des Siegers zu besteigen

Vor einiger Zeit war ich in einem Konstruktionsbüro. Da hatte man eine Bauzeichnung aufgespannt. Für mich war das nur ein verwirrendes Durcheinander von Linien und Zahlen. Für den Ingenieur aber ist solch ein Plan ganz ver­ständlich und durchsichtig.

So wie es mir mit dieser Bauzeichnung geht, so geht es den meisten Menschen mit dem Evangelium. Es ist ihnen eine unverständliche und verworrene Sache: Sohn Gottes! Jungfrauengeburt! Kreuz! Versöhnung! Auferstehung! Das sind alles verworrene, dogmatische, mittelalterliche Begriffe. Die Jünger aber standen vor all dem wie der Inge­nieur vor dem Plan. Es war ihnen alles klar geworden. Sie verstanden das Geheimnis des Kreuzes, so dass sie es später in geradezu klassischer Weise weitersagen konnten. So schrieb Petrus später (1. Petrus 1, 18): »Wisset, dass ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Gold erlöst seid von eurem eitlen Wandel nach väterlicher Weise, sondern mit dem teuren Blut Christi als eines unschuldigen und unbe­fleckten Lammes.« Oder Johannes schrieb später (Johannes 3, 16): »Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einge­borenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.« Wer das Geheimnis der Erlösung und der Versöhnung durch das Blut des Sohnes Gottes erfasst hat, der wird eine unendliche Liebe zu diesem guten Hirten und barmher­zigen Heiland empfinden. Er wird den einen Wunsch haben, dass dieser Herr geehrt und erhoben werde. So ging es den Jüngern. Am Tage der Himmelfahrt er­lebten sie es, wie ihr Herr zur Rechten Gottes erhöht wurde. Sie hörten im Geist die Lobgesänge der himmlischen Heerscharen zu Ehren des Siegers. Ihnen fiel Psalm 47, 6 ein: »Gott fährt auf mit Jauchzen und der Herr mit heller Posaune.«

Himmelfahrt ist die Thronbesteigung Jesu. Da sagte der Vater zu ihm: »Setze Dich zu meiner Rechten, bis ich lege Deine Feinde zum Schemel Deiner Füße.« Und seht, diese Erhebung ihres Heilands ergötzt die Jünger. Darum gehen sie und alle Liebhaber Jesu mit großer Freude vom Berg der Himmelfahrt.

 

3. Er schied von ihnen, um ihnen die Stätte zu bereiten

Diese Jünger waren als Jünger zum Berg der Himmelfahrt gegangen. Als Apostel, d.h. als Gesandte, kehrten sie zurück. Sie machten sich keine Illusionen. Sie wussten, dass die Welt sie ausstoßen, verfolgen, ja töten werde, wie es ja auch geschehen ist. Denn die Welt kann jeden Zotenreißer eher ertragen als einen rechten Zeugen Jesu. Die Jünger wurden also heimatlos in der Welt. Und doch waren sie erfüllt mit großer Freude. Seltsam! Nun, sie dachten an ein Wort Jesu: »In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Und ich gehe hin, euch die Stätte zu be­reiten« (Johannes 14, 2).

Wir wissen doch alle, was ein Quartiermacher ist. Der muss für die nachfolgende Truppe Unterkünfte besorgen. Der Heiland ist unser Quartiermacher in der zukünftigen Welt. »Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten.« Als Schuljunge lernte ich einen Vers, der mir damals gar nichts sagte. Aber seit die Welt mir viel Übles tat, seitdem mein Haus verbrannte, mein Sohn gefallen, meine Kirche zerschlagen ist, wird er mir so wichtig:

 

»Auf Christi Himmelfahrt allein

 ich meine Nachfahrt gründe

und allen Zweifel, Angst und Pein

hiermit stets überwinde.

Denn weil das Haupt im Himmel

ist wird seine Glieder Jesus Christ

zur rechten Zeit nachholen.«

 

Oh, dass doch die vielen, die abgebrannt, ausgebombt und heimatlos geworden sind, sich recht zu diesem himmlischen Quartiermacher halten wollten. Jesus ist vorangegangen. Nun ziehen wir als Erlöste dem Himmel entgegen. Wir wollen uns nicht aufhalten lassen.