Wilhelm Busch – Die ganze Schöpfung preist seine Kraft

 

2. Sonntag nach Epiphanias

»Denn dein ist... die Kraft.« (Matthäus 6, 13)

Heute will ich meine Predigt mal mit dem RWE beginnen. Welch eine schöne Einrichtung ist das! Stellt euch einmal vor, uns fiel heute abend der Strom aus. Wie ständen wir da! Vollständig im Dunkeln. Bei mir im Haus ist gar kein Licht, keine Kerze, kein Petroleum, kein Gas. Aber das macht nichts. Das RWE hat genug für mich. Ich denke an einen vollelektrischen Haushalt: Die Hausfrau hat keine Kohlen, kein Holz. Aber was tut's! Das RWE hat genug für sie an Kraft und Wärme, dass sie kochen und den Badeofen heizen kann usw. Ich habe keine Ahnung von der Technik des RWE. Aber das weiß ich, dass es Kraft und Licht und Wärme genug für mich hat und dass alles nur darauf ankommt, dass ich mit ihm verbunden bin. So stehen die Christen mit ihrem Gott. Oh, sie verstehen vieles nicht. Aber das wissen sie: Bei ihm ist Licht und Kraft genug für mich. Ich muss an ihn angeschlossen sein. So sagt David in Psalm 27, 1: »Der Herr ist meines Lebens Kraft.« Und der Sänger des 71. Psalmes: »Ich gehe einher in der Kraft des Herrn.« Und der fromme König Josaphat betet (2. Chronik 20, 12): »Bei uns ist keine Kraft... Wir wissen nicht, was wir tun sollen, sondern unsere Augen sehen nach dir!« Darum lehrt der Herr uns beten:

 

 

»Dein ist... die Kraft.«

 

 

1. Die Vernunft denkt ganz anders

Die unerleuchtete Vernunft denkt: »Es gibt gar nichts Kraftloseres als Gott!« In einer großen Freidenkerver­sammlung hörte ich mal vor Jahren jemanden höhnen:

»Wo ist denn Gott? Hier stehe ich und lästere ihn. Er soll mich doch strafen, wenn er kann!« Nun, das war ein dummer Schreier. Aber wie viele ernste Leute fragen mich täglich: »Wie kann denn Gott das alles zulassen, den Krieg und die Terrorangriffe und das viele Leid?« Und hinter dieser Frage steckt doch der Gedanke: Gott will das doch alles nicht. Er ist also offenbar kraftlos und außerstande, es zu verhindern.

Da steht vor mir ein Vater mit Tränen in den Augen: »Mein Sohn ist gefallen! Und ich habe soviel gebetet.« Und ich höre aus seinen Worten die Klage: »Gott ist kraftlos. Er hat nicht helfen können!«

Ja, der Vernunft erscheint Gott kraftlos. Und erst rech wenn wir hinweisen auf die Offenbarung Gottes in Jesus. Ach, da ist ja Gott ganz schwach: Als hilfloses Kind liegt er in der Krippe. Und endlich hängt er am Kreuz. Wenn wir die angenagelten Hände sehen, — will's uns da nicht unsinnig vorkommen, wenn wir zu ihm beten: »Dein ist die Kraft!«?

So denkt die Vernunft: Gott ist ohne Kraft. Und darum verlässt der natürliche Mensch sich lieber auf sich selbst.

 

2. Seine Kraft ist verborgen

Ja, lasst uns nur recht bitten um diesen guten Heilige Geist, damit er uns die blinden Augen aufmache. Dar werden wir Gottes heimliche Kraft sehen. Eigentlich ist sie gar nicht so verborgen. Die ganze Schöpfung preist seine Kraft. Jeremia 10, 12: »Er hat die Erde durch seine Kraft gemacht.« Ja, die Himmel rühmen des Ewigen Ehre ...! Und in jeder Sekunde trägt er alle Dinge mit seinem kräftigen Wort (Hebräer 1, 4). Wenn die Sonne aufgeht, rühmt sie seine Kraft. Das Heer der Sterne und das Brausen der Meere sind Lobgesänge seiner Macht. Und doch — es ist wahr, dass seine Kraft verborgen ist. Es gibt ein seltsames Wort des Propheten Nahum (1, 3): »Der Herr ist geduldig und von großer Kraft.« Eine wunderliche Zusammenstellung! Da sagt Nahum, dass Gott seine große Kraft verbirgt hinter seiner Geduld. Die Welt soll nur nicht so arg höhnen, wo denn Gottes Kraft heute wäre. Sie soll froh sein, solange er sich hinter seiner Geduld verbirgt. Denn wenn sie hervorbricht, dann geschieht es im Zorn. Und was die Welt dann zu erwarten hat, kann sie in der Of­fenbarung nachlesen.

Aber nun hat Gott seine große Kraft verhüllt in seiner Geduld. Ich kann auch sagen: Er hat sie verborgen in Jesus. Ja, der Herr Jesus heißt »Kraft« — (Jesaja 9, 5) — Und nun will ich euch das Geheimnis des Evangeliums sagen: Je schwächer der Herr Jesus erscheint, desto mehr Kraft ist bei ihm — für uns. Wie armselig erscheint z. B. seine Aufer­stehung ! Da ist so wenig Pomp und Klimbim, dass die Welt die Auferstehung einfach leugnet. Und doch — Paulus spricht davon, dass er durch die Kraft seiner Auferstehung ein Heer von Sündern zum Leben und zur Herrlichkeit führt (Philemon 3, 10).

Am schwächsten erscheint der Herr ja am Kreuz. Und doch — im Kreuz ist Kraft! Wie ging mir das auf, als ich mit einem Sterbenden betete: » ... Wenn mir am allerbängsten wird um das Herze sein, so reiß mich aus den Ängsten kraft deiner Angst und Pein!« Im Kreuz Jesu ist die Kraft, dich von deiner schrecklichsten Not zu befreien, von der Last deiner Schuld. Bunyan hat ja in der »Pilgerreise« das Leben wie eine Fahrt zum Himmel­reich beschrieben. Und da schildert er, wie der Christ sich quält mit einer schweren Last, die ihm niemand von den Schultern nehmen kann. Und da kommt er an ein Kreuz. Er sieht hinauf. Und siehe — in dem Augenblick löst sich seine Last und stürzt in den Abgrund. Oh, wer kann die Vergebung der Sünden durch Jesu Blut schildern? Es muss erfahren sein!

Im Kreuz ist Kraft, Sündenketten zu sprengen. Ich kannte einen Trinker, dem keiner helfen konnte. Der Gekreuzigte aber hat ihn frei gemacht. Ja, im Kreuz ist Kraft, aus verlo­renen, von Gott und ihrem Gewissen verdammten Sündern Kinder Gottes zu machen.

So ist es ein Satz, den nur der Glaube recht erfährt: »Dein ist die Kraft.« Und für alle angefochtenen Seelen darf ich hinzufügen: Wie er die Kraft hat zu erwecken, zu erretten, zu heilen und zu trösten, so hat er auch die Kraft, uns hin­durchzubringen bis in den Himmel.

 

3. Seine Kraft wird aller Welt offenbar werden

In Offenbarung 2 wird uns ein grandioses Bild gezeigt. Schon sind allerlei Gerichte geschildert, die über die Welt kommen werden. Dann hört Johannes den siebten Engel posaunen. Und im selben Augenblick bricht im Himmel ein unendlicher Lobgesang los: »Es sind die Reiche der Welt unsres Herrn und seines Christus geworden ...« Und dann kommt da ein Satz, der unseren Text angeht: »Wir danken dir, Herr, allmächtiger Gott, dass du hast ange­nommen deine große Kraft und herrschest!« Oh, er hatte immer eine große Kraft. Aber nun hat er sie — so meint dieser Lobgesang — vor aller Welt angetan wie einen Herrschermantel. Nun, da alles Starke und alles Mächtige kraftlos geworden ist, sieht man vor aller Augen, wo in Wahrheit die Kraft ist und war. Wenn wir also beten: »Dein ist die Kraft« — dann singen wir gewissermaßen schon leise das Lied der Ewigkeit, der Herrlichkeit und der Vollendung.