Wilhelm Busch – Drei Worte des Herrn, die der Vernunft lächerlich, dem Glauben aber tröstlich sind

 

Sonntag Rogate 1944

Jesus sprach: »Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und lehret alle Völker ... Und siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende.« (Matthäus 28, 18)

 

Das war ein wunderliches Wetter, das wir in den letzten Wochen hatten. Oft war es so warm, dass man sich am liebsten ins Gras gelegt hätte. Und dann pfiff wieder so ein kalter Wind, dass man den Mantelkragen hochschlug. Der Winter war noch nicht ganz vergangen, und der Frühling war noch nicht da. Das ist ein Bild für ein Christenleben. Wenn man sich zum Herrn Jesus bekehrt, dann hat da im Herzen ein neues Geistesleben begonnen. Dies inwendige Licht ist wie ein lieblicher Frühling. Aber es ist erst der Anfang. Der Apostel sagt: »Es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden« (1. Johannes 3, 2). Das alte Wesen der Ver­nunft und des Fleisches ist auch noch da. Das gibt nun oft einen rechten Kampf und Zwiespalt, der erst in der zukünf­tigen Welt zu Ende geht. Ich will das deutlich machen an unserem Text.

 

1. »Mir ist gegeben alle Gewalt... «

Ach, wie lächerlich scheint das der Vernunft. Wenn da doch stünde: »Mir wird alle Gewalt gegeben werden.« Aber nein, im griechischen Text heißt es ganz deutlich: »Mir wurde alle Gewalt gegeben.« »Das ist Unsinn«, sagt die Vernunft. Man möchte sagen: »Ich schlage die Zeitung auf. Da ist von allen Weltmächten die Rede, aber Du, Herr Jesus, wirst nicht mit einem Wort auch nur erwähnt. Ich sehe auf Deine Kirche, Herr Jesus, wie kümmerlich, arm­selig und gedrückt ist sie! Ich sehe auf die Welt. Ach, da ge­schehen ja lauter teuflische Dinge, die Du unmöglich ge­wollt hast. Wo in aller Welt soll da Deine Gewalt sein?« So spricht die Vernunft. Der Glaube aber hört das Wort seines Herrn und freut sich. »Dir ist gegeben alle Gewalt?« Oh, dann stehe ich ja richtig. Dann singe ich mit Graf von Zinzendorf: »Wie gut und sicher dienet sich's dem ewigen Monarchen, im Feuer ist er Zuversicht, für's Wasser baut er Archen.«

So unwahrscheinlich es klingt, dass ihm alle Gewalt ge­geben ist, so haben es doch kluge Leute, die nicht Christen waren, je und dann geahnt. Als Napoleon als Gefangener auf St. Helena saß, hat er einst zum Grafen Monhalon gesagt: »Alexander, Cäsar, Karl der Große und ich haben große Reiche gegründet. Aber worauf? Auf die Gewalt. Jesus allein hat sein Reich auf die Liebe gegründet; und heute noch würden Millionen von Menschen für IHN sterben. Es ist weder ein Tag, noch eine Schlacht, welche der christlichen Religion in der Welt den Sieg verschafft haben. Nein, ein Krieg vieler Jahrhunderte, begonnen durch die Apostel und fortgeführt durch ihre Nachfolger und die Flut nachkommender christlicher Generationen. In diesem Krieg stehen alle Könige und Mächte auf der einen Seite, auf der anderen sehe ich keine Armee, sondern eine geheimnisvolle Kraft einiger Menschen, die hier und da in alle Teile der Welt ausgestreut sind und die kein an­deres Bundeszeichen haben als das Kreuz. Ich sterbe vor der Zeit und mein Leib wird der Erde wiedergegeben und eine Speise der Würmer werden. Das ist das Schicksal des großen Napoleon! Welch mächtiger Abstand zwischen meinem tiefen Elend und dem ewigen Reich Christi, das da gepriesen und gepredigt wird und über die ganze Erde sich ausbreitet... «

»Mir ist gegeben alle Gewalt.« Der Glaube freut sich und hat nur eine Sorge, dass diese Gewalt sich im eigenen Herzen und Leben recht offenbare. Wie der Herr sonst seine Gewalt offenbaren will, das ist seine Sorge.

 

2. »Machet zu Jüngern alle Völker!«

So heißt das Wort Jesu wörtlich. Das ist für die Vernunft nun wieder lächerlich. Wem sagte das denn der Herr Jesus zuerst? Elf armen Handwerkern. Ja, wenn er denen gesagt hätte: »Sucht einige Anhänger zu gewinnen!« — das könnte die Vernunft verstehen. Aber: »Macht die Völker zu Jüngern!« — ist das nicht rasant? Oh, dieser Satz ist der Vernunft ganz unerträglich. Sie sagt: »Wie passt denn das Christentum überhaupt für alle Völker? Und sollen denn wir nun wirklich dieselbe Re­ligion haben wie die Papua in Neuguinea?« Kurz, der Vernunft ist dieser Befehl Jesu lächerlich und ärgerlich. Aber der Glaube freut sich daran. Denn der erweckte Mensch empfindet ganz besonders die tiefe Not der Völker, ihre Hoffnungslosigkeit, ihre Sündenknecht­schaft, ihr Ringen, Suchen und Kämpfen. Und nun hört er hier, was allen Völkern helfen kann: das Evangelium von Jesus, dem für uns Gekreuzigten und Auferstandenen. Der Glaube sieht nicht auf das schwache Häuflein der Christen, sieht nicht auf die eigene Armut. Nein! Er steht kühn und großartig da und sagt: »Die Nationen sollen uns hören! Wir haben eine weltbewegende, heilbringende Bot­schaft!« Der Glaube singt frei und stolz: »Jesu, aller Völker Heil, unserem Volk ein Gnadenzeichen ... « Er singt: »Es kann nicht Friede werden, bis Jesu Liebe siegt, bis dieser Kreis der Erden zu seinen Füßen liegt, bis er im neuen Leben die ausgesöhnte Welt dem, der sie ihm ge­geben, vors Angesicht gestellt.«

Das wohl meinte ein junger Offizier, der mir dieser Tage schrieb: »Dieser schlimme Bandenkrieg auf dem Balkan ... Jetzt fiel wieder einer meiner Kameraden, der nicht mit Gott versöhnt war. Man möchte es den Menschen am liebsten den ganzen Tag zubrüllen: »Lasst euch versöhnen mit Gott!« (2. Korinther 5, 20)

 

3. »Ich bin bei euch alle Tage...«

Das kann die Vernunft nun ganz unmöglich fassen — die Allgegenwart des Sohnes Gottes. Sie meint, sie hätte schon viel gefasst, wenn sie sagt: »In dem Himmel ferne, wo die Englein sind, schaut doch Gott so gerne...« Ja, ein ferner Gott irgendwo — das kann sie noch zur Not fassen. Aber die Allgegenwart unseres Heilands? Nein! Ich will euch einen wunderlichen Beweis geben, wie schwer die Vernunft das fasst: Die katholische Kirche hat einen »Stellvertreter Christi« eingesetzt. Das hätte sie niemals getan, wenn sie mit der Gegenwart des Herrn bei uns gerechnet hätte. Denn wer da ist, braucht keinen Stell­vertreter.

Aber lasst uns von uns selber reden! Ach, wir wären nicht so oft böse und launisch, mutlos und trostlos, verzagt und aufgeregt, wenn wir mit der Gegenwart des Heilands rech­neten. — Die Vernunft will es nicht fassen, aber der Glaube fasst es und freut sich an dem Versprechen seines Herrn. Komme ich da neulich ins Weiglehaus. Da sitzt ein einziger Junge von unserm Schülerkreis. Erst dachte ich: »Es lohnt sich ja nicht!« Aber dann setzten wir zwei uns über die Bibel. Und es wurde eine köstliche Stunde. Denn Jesus selbst war bei uns.

Ein anderes Erlebnis: Am Abend des 26. März saß ich mit den Meinen während des Bombenangriffs in einem mehr als windigen Keller. Ich brauche euch nicht zu schildern, wie schauerlich diese Augenblicke waren. Da sagte ich: »Wir wollen singen!« Und dann sangen wir: »Ich steh in meines Herren Hand und will drin stehen bleiben...!« Und als der Angriff vorbei war, sagte mein Jüngstes: »Es war aber doch schön!« »Es war schön!« sagte ein Kind. Wie ist das möglich? Dies ist der Grund: Jesus hatte sein Wort wahr gemacht: »Ich bin bei euch alle Tage!« (Matthäus 28, 20)

 

Und wo er ist, ist es schön!