Wilhelm Busch

Jakob und Rahel

 

„Also diente Jakob um Rahel sieben Jahre."

1. Mose 29, 20a

 

Es gibt so viele einsame Menschen.

Das klingt im ersten Augenblick verwunderlich. Denn noch nie haben Menschen so dicht aufeinander gewohnt wie wir heute in Deutsch­land. Aber — je dichter die Menschen beieinander sind — je mehr wir einander von unsern Nöten und alltäglichen Schwierigkeiten vor­reden — desto einsamer werden wir innerlich.

AU den einsamen Leuten unter uns möchte ich jetzt sagen: Warum erwarten wir etwas von Menschen, was sie uns doch nicht geben können? Jesus ist der, welcher unsre hungrige Seele sättigen kann. Hast du schon einmal darüber nachgedacht, wie stark der Seelen­freund und Herzenskündiger Jesus um dich wirbt?

 

Sein ganzes Leben war ein Ringen um die Seele der Menschen. Und auch jetzt sucht Er als der Lebendige durch den Heiligen Geist, uns zu gewinnen. Am stärksten aber hat Er um uns geworben, als Er am Kreuze starb. Davon singt eines der beliebtesten Passionslieder:

 

 

„Wie er dürstend rang um meine Seele..."

 

Dies Werben Jesu will ich deutlich machen an einer Geschichte aus dem Leben Jakobs.

 

1. Die Geschichte einer ganz großen Liebe

Der junge Jakob war auf seiner Wanderung in das Haus eines Man­nes namens Laban geführt worden. Dort sah er Labans Tochter Rahel. Die gewann er so lieb, dass er um sie warb. Der Laban aber war ein harter und geiziger Mann. So gab das eine lange Verhand­lung. Das Ende war, dass Jakob sich erbot, er wolle sieben Jahre als Knecht dienen, um Rahel zur Frau zu bekommen. Und so geschah es. Nun denkt einmal: Dieser Jakob stammte aus einer sehr reichen Familie. Er war der verwöhnte Sohn seiner Eltern gewesen. Der macht sich nun selber zum niedrigen Knecht, zum Sklaven, um die Braut zu gewinnen.

Und als die sieben Jahre um waren, betrog ihn Laban. Da musste er noch weitere sieben Jahre um Rahel dienen. Sollte er vor dieser schweren Belastung nicht den Mut verlieren? O nein! Er nahm auch diese weiteren sieben Jahre auf sich. „So lieb hatte er sie." Das ist eine ergreifende Liebesgeschichte, die unserer oberflächlichen Zeit wie ein Märchen vorkommen mag. In Düsseldorf hörte ich einst den albernen Karnevalsschlager von dem treuen Husar: „Er liebt sie schon ein Jahr und mehr. / Wo nimmt denn bloß der Kerl die Liebe her!" Ein Geschlecht, das die Liebe so billig gemacht hat, wird kaum ein Verständnis haben für diese ganz große Liebe des Jakob. Und so kann die Geschichte eine Anklage werden für manchen jungen Mann, der mit der Liebe schändlich spielt; und für manche Ehe, wo man es von vornherein nicht so ernst nahm wie Jakob. Und die Ehe wurde dann auch danach!

Aber wir haben in dieser Erzählung mehr vor uns als eine ergrei­fende Liebesgeschichte. dass ein Mann vierzehn Jahre Sklave wird, um eine Braut zu gewinnen, ist so unerhört, dass wir mehr dahinter vermuten dürfen.

 

2. Der Knecht

Ich sehe im Geist den Jakob vor mir, der Jahr um Jahr sich erniedrigt, der harte Dienste als Knecht tut. „Knecht"!

Jeder Kenner der Bibel horcht hier auf. „Knecht", das ist ja der Name, den schon das Alte Testament dem kommenden Heiland und Erlöser gibt! Er wird da genannt der „Knecht Gottes". So sagt Gott Jesaja 42, 1: „Siehe, das ist mein Knecht, an welchem meine Seele Wohlgefallen hat." Oder Jesaja 53, 13: „Siehe, mein Knecht wird er­höht und sehr hoch erhaben sein."

In diesem Kapitel ist auch die Rede von Seiner Knechtsarbeit: „Darum, dass seine Seele gearbeitet hat..." Und als ein Lastträger wird Er uns da gezeigt: „Der Herr warf unser aller Sünde auf ihn." Welch ein Lastträger!

Ich sah vor kurzem in einer Kirche ein ergreifendes Passionsbild. Es war dargestellt, wie der Herr unter dem Kreuz zusammenbricht. Wie ein Schwerstarbeiter sah Er aus, der bis zum letzten die Kraft ange­spannt hat. Die größte Arbeit aber tat Er, als Er völlig erniedrigt an diesem Kreuz hing. Wieder spricht ein alttestamentliches Wort von Seiner Knechtsarbeit: „Mir hast du Arbeit gemacht mit deinen Sün­den und hast mir Mühe gemacht mit deinen Missetaten." Seht, da ist der „Knecht Gottes" unser Knecht geworden. Die Jünger haben ja — bis ihre Augen erleuchtet wurden — sich immer an dieser Knechtsgestalt Jesu gestoßen. Und immer wieder hat Er ihnen ge­sagt, dass Er gekommen sei, „nicht dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zur Bezahlung für viele". Seht nun, wie der Jakob den Heiland vorgebildet hat! Er war der geliebte Sohn in seines Vaters Haus. Noch viel mehr war es so mit Jesus. Im hohenpriesterlichen Gebet lässt Er uns wie durch ein Fen­sterchen einen Blick tun in jene Stellung beim Vater, wenn Er da spricht von der Klarheit, die Er beim Vater hatte, ehe die Welt war.

Und wie Jakob ist Er aus dieser Herrlichkeit herausgegangen und ein dienender, niedriger Knecht geworden, um sich eine Braut zu erwer­ben und zu verdienen.

Jawohl, um die geliebte Braut zu verdienen — darum wurde Jakob ein Knecht, und darum wurde Jesus der niedrige Knecht, der ster­bend am Kreuz Lastträger wurde und mit der Seele arbeitete. Wer ist denn die Braut, um die Jesus durch Seinen Knechtsdienst werben wollte?

 

3. Die Braut

Wie glücklich muss die Rahel gewesen sein, dass der verwöhnte Jakob um ihretwillen die schwere Knechtsarbeit auf sich nahm! Es ist schön, mit solcher Liebe geliebt zu werden. Wie selig aber muss erst die Braut sein, die der Sohn Gottes mit einer Knechtsarbeit, die zum Tode führte, erwerben wollte! Wer ist die glückliche Braut, die so überschwenglich geliebt wird?

Die Bibel sagt: Diese Braut ist die Gemeinde der Auserwählten. Aber weil diese Gemeinde eben nicht ein Kollektiv ist, sondern eine Schar von lauter Einzelnen, darf jetzt jeder von euch für sich fest glauben: Die Braut, um die der Herr Jesus so unendlich hart gewor­ben und gedient hat, ist meine Seele.

O seht nur recht auf das Kreuz! Seht den Mann mit der Dornen­krone genau an! Lasst nicht den Blick von dem Haupt voll Blut und Wunden, bis es euch aufgeht: Hier wirbt Er um mich. Meine Seele soll sich Ihm verloben, Ihm, der hier um meinetwillen so niedrig wurde. Seine Dornenkrone, Sein gemarterter Leib, die blutigen Nägel, Seine arbeitende Seele, Sein Todesschrei — alles, alles redet die werbenden Worte, die wir Hosea 2, 21 lesen: „Ich will mich dir ver­loben in Ewigkeit."

Rahels Herz fliegt ihrem Bräutigam entgegen. Sollte nicht auch unser Herz diesem Liebeswerben sich ergeben? O wie hart ist unser Herz! dass wir doch sprechen lernten: „Liebe, dir ergeb ich mich, / dein zu bleiben ewiglich!"