Wilhelm Busch - Kleine Erzählungen

 

Vorwärtskommen Ja! Gottes Wort - Nein!

 

Und wo endet solche Erziehung?

 

Es ist schrecklich, wenn ein Mann weint! Worüber können einem richtigen Mann die Tränen kommen? Es ist das Leid um den eigenen Sohn. Das kann einen Mann schon im Tiefsten erschüttern. Das Leid ist aber dann besonders bitter, wenn solch ein Mann als Vater sich sagen muß: Das habe ich selbst verschuldet.

Doch laßt mich lieber die Sache der Reihe nach erzählen:

Den Sohn lernte ich als vierzehnjährigen kleinen Kerl ken­nen. Da kam er in die Bibelstunden, die wir für solche Jungen eingerichtet haben.

Mit großer Freude kam er. Wie der vom Pflug aufgerissene Ackerboden die Körner, so nahm sein Herz den guten Samen des Wortes Gottes auf. Wie die Sonnenblume sich nach dem Licht hinwendet, so streckte der Junge sich nach Jesus und sei­nem Heil aus.

Dann kam eine Zeit, die Zeit des Dritten Reiches, da stan­den unsre Bibelstunden im Mittelpunkt des Kampfes. Man lief Sturm dagegen. Es wurde erklärt, es sei unnötig und unnatür­lich, wenn frische Jungen in Bibelstunden zusammenkämen. Und die Jungen, die doch kamen, wurden verspottet und ausgelacht, ja, manchmal bedroht. Die Jungen trugen das tapfer. Sie ver­standen gut, daß man um Jesu und der Wahrheit willen auch Kampf auf sich nehmen muß.

Aber viele Eltern wurden ängstlich. Unter ihnen auch der Vater meines jungen Freundes. Er meinte: „Man kann ja auch so ein Christ sein." „Nein", sagten wir ihm, „es gibt kein Chri­stentum ohne Gemeinschaft unter Gottes Wort."

„Ja, aber wenn mein Junge dadurch auffällt, wenn man ihn für rückständig oder gar für dumm hält? Und er muß doch vorwärtskommen! Vorwärtskommen muß er auf alle Fälle. Da darf man auch schon mal das Segel nach dem Wind stellen."

„Lieber Herr", so machte ihm der Leiter unserer Jungen­stunde klar, „gewiß soll Ihr Junge vorwärtskommen! Und das wird er auch, denn er ist ein tüchtiger Kerl. Wenn Sie ihn aber abhalten, in unsere Bibelstunde zu kommen, dann nehmen Sie dem Jungen den Halt ..."

„Ach was, den Halt muß er in sich haben!"

„Nein, Sie irren sich. Wir haben keinen Halt in uns. Nur wenn so ein Junge den Herrn Jesus kennt, dann hat er Halt."

Aber der Vater setzte seinen Willen durch. Es gelang ihm, den eigenen Sohn zu überreden, von den Bibelstunden fernzu­bleiben. Immer wieder luden ihn die anderen jungen Freunde ein, die noch zur Jugend-Bibelstunde kamen. Sie wußten ja nicht, was vorangegangen war. Sie bedauerten nur, daß dieser Freund nicht mehr kam, und suchten vergeblich nach Gründen.

Die Folge war natürlich, daß der Junge seine alten Freunde mied und ihnen, wo er nur konnte, aus dem Wege ging. Es dauerte auch gar nicht lange, dann hatte er andere Freunde gefunden, denen die Bibelstunde für Jungen schon lange ein Dorn im Auge war.

Königlich freuten sich diese, daß nun einer von den „from­men Knaben" zu ihnen stieß. „Dem wollen wir es beibringen!" hieß die Parole. Und sie brachten's ihm bei. Der Vater merkte das zum ersten Male am Karfreitag, als die ganze Familie zur Kirche gehen wollte. „Ich gehe nicht", erklärte patzig der Junge. „Du nicht? Warum denn nicht?" fragte erstaunt der Vater. „Ach, das ist doch alles Quatsch!" stieß der Junge heraus. „Man muß Geduld haben", dachte der Mann und ließ seinen Sohn zu Hause. Aber wenige Tage später beklagte sich die Mutter: „Unser Junge wird so frech. Ich kann ihm gar nichts mehr rich­tig sagen. Sofort widerspricht er."

Der Vater war erstaunt. Sein Sohn?! Er war doch immer so stolz auf seinen gehorsamen Sohn gewesen. So stellte er ihn kurzerhand zur Rede. Der Junge aber begehrte auf. Da wurde der Vater zornig und haute „dem Bengel" eine kräftige Ohr­feige herunter.

Seit diesem Tage war die Brücke zwischen Vater und Sohn abgebrochen. Es würde zu weit führen, wollte man die ganze Leidensgeschichte erzählen, die nun folgte. Der Junge tat, was er wollte. Er kam spät nach Hause, er rauchte unheimlich viel Zigaretten. Abende lang saß er in den Kinos. Na, und so weiter . . .

Es half keine Strafe und keine Ermahnung mehr, es wurde immer nur schlimmer. Und eines Tages kam der „große Knall". Da erschien nämlich der Chef, bei dem der Junge in der Lehre war. Und jetzt kam eine ganz böse, dumme Geschichte ans Tageslicht.

In den Tagen war es, als der Mann mit tränenden Augen vor mir saß. Natürlich, vorwärtskommen — dreimal Ja! Aber Gottes Wort hören — bloß das nicht! Der Preis war ihm zu hoch gewesen.

Es bleibt dabei, daß alles nichts hilft, wenn wir das Feinste versäumen: unsere Jugend zu Jesus zu bringen! Denn: „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?"