Wilhelm Busch - Kleine Erzählungen

 

Er wollte nicht, aber er mußte!

 

Die Geschichte von einem gestörten Feierabend

 

„Hans, nun sag' mir mal, wie bist du eigentlich zu uns ge­kommen?"

Fragend schaute ich den Mann an, der da groß und breit­schultrig vor mir stand.

Der lachte. Umständlich klopfte er seine Pfeife aus, stopfte sie neu und steckte den Tabak in Brand.

„Wie es kam, daß ich in eure Bibelstunde kam und in euren Männerkreis — — ja, mein lieber Pastor, das ist eine merk­würdige Geschichte. Wenn's angenehm ist, gehe ich ein paar Schritte mit und erzähle."

Ich war gespannt. Seit ein paar Jahren sammelte ich in dem Arbeiterbezirk Männer um Gottes Wort. Es war bestimmt nicht einfach. Einer hatte einst bei meiner Ankunft erklärt: „Mensch, pack gleich deinen Koffer wieder und hau ab! Hier ist nischt zu machen!" Trotzdem hatte ich im Glauben angefangen, und es kamen immer mehr.

So war auch eines Tages dieser Hans erschienen und kam seitdem treu. Ja, er war bald einer der Eifrigsten in der kleinen Kampfgemeinschaft, in der wir alle „du" zueinander sagten. —

„Also", fing er an, „was ich früher für einer war, das ist dir ja wohl bekannt."

Ich nickte. Ja, er war ein gottloser Kerl gewesen. Bei jeder richtigen Sauferei war Hans dabei. „Des Teufels Gesangbuch", das Kartenspiel, war seine Leidenschaft. Und fluchen konnte er, daß einem angst und bange wurde.

„Eines Abends liege ich im Fenster", fuhr er jetzt mit seiner Erzählung fort. „Es war ein schöner, warmer Sommerabend. Ich sah den Kindern zu, wie sie auf der Straße spielten. Ich sah den Frauen nach, die dies und jenes einholten. Ich sah ein paar Kum­pels nach der Kneipe gehen und überlegte gerade, ob ich mit­gehen sollte — da sehe ich ein Trüppchen Männer vorbeigehen.

Nun, du weißt, ich wohne im Erdgeschoß und konnte sie des­halb anrufen: ,Wo wollt ihr denn hin?'

,In die Bibelstunde!' sagt einer.

Mir bleibt die Sp... weg. ,Wat', rufe ich. ,Bibelstunde? Bibel­stunde? Da gehen doch bloß alte Weiber und Kinder hin!'

,Bei uns nicht!' sagt einer und guckt mich an. ,Bei uns gehen auch Männer hin!'

Und dann gehen sie weiter. Ich lache hinter ihnen her. ,Ihr Bibelidioten!'

Aber nun paß auf. Kaum sind sie weg, da packt mich eine merkwürdige Unruhe. Die läßt mich die ganze Woche nicht los. Als der bewußte Tag kommt, stehe ich hinter dem Fenster und gucke: richtig, da laufen sie wieder!

Und in dem Augenblick wußte ich ganz klar: du mußt auch mit!

Ich habe mich selber ausgelacht, ich habe mich betrunken, ich habe geflucht und gespottet.

Es half nichts. Jedesmal, wenn der bewußte Tag kam, stand ich hinterm Fenster und schaute ihnen nach. Und jedesmal zog es mich wie mit tausend Stricken, ihnen nachzugehen.

So ging das sieben Wochen. In der achten Woche nahm ich die Mütze vom Nagel und ging den Kumpels nach. —

Bis in den Saal.

Ja, und da setzte ich mich in die Ecke.

Und dann kamst du. Da wurde gesungen und gebetet und aus der Bibel was vorgelesen. Und dann — — na, das weißt du ja!"

Erstaunt legte ich dem Hans die Hand auf den Arm: „Was war dann? Ich weiß von nichts."

Hans guckt mich ein bißchen ärgerlich an: „Ja, dann fingst du doch an, von mir zu reden. Die anderen werden dir wohl vor der Türe gesagt haben, was ich für einer sei, und daß ich da sei."

Jetzt muß ich lachen: „Nee, Hans, ich habe nie von dir ge­sprochen. Aber wenn's gleich bei dir eingeschlagen hat, dann ist das nur wieder ein Beweis dafür, daß Gott recht hat, wenn er sagt:

 

,Ist mein Wort nicht wie ein Feuer und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt?'"

 

Eine Zeitlang gehen wir schweigend nebeneinander. Endlich sagt mein Hans:

„Merkwürdig ist das doch; wie will man das erklären?"

„Oh, ich kann es wohl erklären", entgegnete ich. „Die Er­klärung steht im Neuen Testament in Lukas 15; da sagt der Herr Jesus:

‚Welcher Mensch ist unter euch, der hundert Schafe hat, und er eines verliert, nicht lasse die neunundneunzig in der Wüste und hingehe nach dem verlorenen, bis daß er's finde? Und wenn er's gefunden hat, so legt er's auf seine Achseln mit Freuden. Und wenn er heimkommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn und spricht zu ihnen: Freuet euch mit mir; denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war.

Ich sage euch: Also wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut.'

Hans, dir ist Jesus nachgegangen . . .!"