Wilhelm Busch – Mir hat er geholfen

 

Sexagesimae 1944

»Desgleichen auch die Hohenpriester spotteten sein samt den Schriftgelehrten und Ältesten und sprachen: 'Andern hat er geholfen'..« (Matthäus 27, 41-42)

 

Irgendwo las ich einmal die Geschichte von einem jungen Künstler, der in großer Armut in Paris lebte. Eines Tages kam er an einer Auktionshalle vorbei. Er trat ein und hörte der Versteigerung zu. Da wurde auf einmal ein altes, ver­staubtes und beschmutztes Kruzifix vorgezeigt. Sofort ging ein wilder Spott los. Das tat dem jungen Mann weh, und er kaufte das alte Ding für ein paar Pfennige. Aber als er nun zu Hause anfing, es vom Schmutz zu reinigen, da stellte sich heraus, dass lauter Gold war. So ist es auch mit dem Evangelium vom Gekreuzigten er­gangen. Wie hat man es seit der Aufklärung vor 150 Jahren verspottet und verachtet! Aber über all dem hat sich nur herausgestellt, dass echtes göttliches Gold ist. So hat das Evangelium selten geleuchtet wie in unseren Tagen. Und so ging es auch mit Jesus. Da stehen seine Feinde hasserfüllt unter dem Kreuz. Die wollen ihn verspotten. Aber über dem kommt das Gold seiner Herrlichkeit zum Vor­schein. Denn nun fällt den Feinden gar nichts ein, was sie ihm vorwerfen könnten als dies: »Ändern hat er ge­holfen.«

 

 

Jesus im Urteil seiner Feinde.

 

 

1. Wie schön ist, was sie von ihm sagen

Diese Schriftgelehrten und Ältesten wollten die Hilflo­sigkeit unseres Heilands verspotten. So schreien sie:

»Andern hat er geholfen und kann sich selber nicht helfen!« Und da geben sie nun ungewollt ein Zeugnis für ihn ab, wie es schöner nicht gedacht werden kann: »Ändern hat er geholfen!«

Wenn man eine Überschrift setzen müsste über die drei Jahre der Tätigkeit des Herrn, so könnte man es gar nicht besser sagen, als die Feinde des Herrn es tun: »Ändern hat er geholfen!«

Es ist, als kämen sie damit unter dem Kreuz einmal zu Wort: Der Mensch, der 38 Jahre am Teich Bethesda krank gelegen hatte, und die kananäische Frau, die so in Not war um ihre Tochter, und der Gichtbrüchige und all die Aussät­zigen. Und die blutflüssige Frau, »die all ihre Habe an die Ärzte gewandt hatte«, und der Blindgeborene und der Knecht, dem der Petrus das Ohr abgehauen hatte und ...und... Das könnte man lange fortsetzen. Wenn wir all diese Elenden an unserem Geist vorbeiziehen lassen, dann geht uns auf, dass es alles Leute waren, denen kein Mensch helfen konnte und die man darum gleichsam mit ihrem Elend beiseite schob. Denn die Welt wird nicht gern an ihre Hilflosigkeit und an ihr Elend erinnert. Die Welt will die Il­lusion aufrecht erhalten, sie sei doch ganz nett und schön. Und darum rückt sie alles Elend immer in den Winkel und an die Seite.

Aber der Heiland war das Licht und der Helfer gerade für die Winkel geworden, für die Abseitigen und die Unver­standenen.

Darum bekommt unsere Zeit vielleicht ein neues Ohr für Jesus, weil die Winkel sich so füllen, weil so viel Zer­schlagene und Betrübte und Elende da sind. Vor einiger Zeit besuchte ich eine Frau. Die hatte nie etwas wissen wollen vom Evangelium. Ja, sogar die Pfarrer waren ihr so verhasst, dass sie mich in der beleidigendsten Weise empfing. Ich wäre sofort wieder gegangen, wenn ich nicht einen Brief in der Tasche gehabt hätte, in dem mitgeteilt wurde, dass ihr Sohn gefallen ist. Das sagte ich ihr nun. Ach, was ging da für ein Jammer an! Und da konnte ich ihr nur sagen: »Sie haben bisher keinen Heiland gebraucht. Aber nun sind sie mit einem Schlage unter die 'Mühseligen und Beladenen' geraten. Nun ist er der rechte Mann auch für sie.« Da hat sie aufgehorcht.

Sie haben recht, die Feinde Jesu. »Ändern hat er ge­holfen.« Und wollt ihr mir nicht glauben, so glaubt doch seinen Feinden.

 

2. Wie verkehrt sie es sagen

Von den Feinden Jesu heißt es im zweiten Psalm: »Der im Himmel sitzt, lacht ihrer«. Und wir lachen auch ihrer. Denn sie wollen ihn verspotten und müssen ihm doch ein herrliches Zeugnis ausstellen.

Und dennoch kann man von den Feinden Jesu nichts Gründliches über Jesus erfahren. Weder damals noch heute. Denn der »natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geist Gottes«.

So ist auch das ungewollte Zeugnis der Feinde Jesu nur die halbe Wahrheit. Wisst ihr, was daran verkehrt ist? Es ist falsch, dass sie die Vergangenheitsform wählen. Sie sagen: »Andern hat er geholfen.« Als wenn das nun zu Ende wäre. Es muss aber heißen: »Andern hilft er«. Ja, gerade als er am Kreuz hing, musste gesagt werden: »Nun hilft er an­deren!«

Seine größte Tat für andere ist nicht dies, dass er da und dort einem Elenden half. Nein! Seine größte Tat ist, dass er für andere starb. Seine größte Tat für andere ist das Kreuz. Ja, darauf kommt nun alles an, dass man das Kreuz richtig

sieht. Die Feinde Jesu sehen darin nur das Ende, darum reden sie von seiner Tätigkeit in der Vergangenheitsform. Der Glaube aber sieht im Kreuz den Höhepunkt von Jesu Taten.

Da hat er auch mir geholfen. Ich will es an einem Bild klar­machen.

Im Jahre 1917 eroberten die Bolschewisten den Admiralspalast in Petersburg. Am nächsten Morgen wurden alle im Hof aufgestellt, die man gefangen hatte. Und dann hieß es: »Jeder zehnte wird erschossen! Abzählen!« Ein junger Mann bekam die Zahl 20. Er wurde leichenblass. Aber in dem Augenblick fühlte er sich leise am Ärmel gepackt und auf die Seite geschoben. Ein anderer tauschte mit ihm den Platz. Es war der alte Oberpriester der Admiralskathedrale. Und der starb dann für ihn. Nicht wahr, dem war geholfen. Genauso hat mir auch Jesus geholfen. Als mir die Schwere meiner Sünden und mein verlorener Zustand vor Gott aufgingen, da erkannte ich mit Staunen, dass Jesus an meinen Platz getreten war und das Gericht getragen hatte. »Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten. Und durch seine Wunden sind wir geheilt.« (Jesaja 53, 5)

So stellen wir uns im Glauben neben die Feinde unter Jesu Kreuz. Und wenn sie schreien: »Ändern hat er geholfen!« dann rufen wir: »Nein! Jetzt, gerade jetzt, schafft er durch sein Sterben die größte Hilfe allen Sündern!«

 

3. Wie traurig ist, was sie sagen

»Andern hat er geholfen«, rufen sie, und fahren fort: »... und kann sich selbst nicht helfen!« Sie könnten aber auch weitermachen: »Uns aber hat er nicht geholfen, weil wir seine Hilfe nicht wollten.«

Wie unendlich traurig ist dies: »Ändern hat er geholfen, nicht uns.« Als sie das so höhnend unter dem Kreuz riefen, da hob vielleicht der Schacher sein sterbendes Haupt. Über seine blassen Züge ging ein Leuchten. Und seine Lippen murmelten: »Nein! Nicht anderen! Mir! Mir hat er geholfen! Mir!«

Da stand ein junger Mann, der spätere Apostel Johannes. Der sah dankbar auf seinen Heiland, und sein Herz dachte: »Nein! Nicht anderen! Mir hast du geholfen, damit mein Leben einen Halt und ein Ziel bekam. Mir hast du geholfen! Mir!«

Das ist das Traurigste, was ich mir denken kann, wenn man an anderen sieht, wie herrlich Jesus hilft und selbst hat man nichts davon. Wenn man sieht, wie andere die Ver­gebung der Sünden rühmen, und selbst bleibt man be­laden. Wenn man an anderen den Frieden mit Gott findet, und selbst ist man friedlos.

Und wenn du hoch von Jesu rühmtest und sagtest: »Ändern hat er geholfen!«, so ständest du immer noch bei den Feinden Jesu. Die wussten das auch. Erst wer bezeugen kann: »Mir hat er geholfen«, ist eingegangen in die Tore der Freude, des Friedens, des Reiches Gottes.