Wilhelm Busch

Naeman

 

„Da stieg Naeman ab und taufte sich im Jordan siebenmal. ...und er ward rein."                                            2. Könige 5, 14

 

In der letzten Zeit hat mich oft die Frage bewegt: „Wie kommt es, dass so wenig Menschen das Evangelium fassen?" Es ist doch so eine herrliche Botschaft — die Botschaft vom Friedensbund mit Gott und von der ewigen Erlösung. Und wenn ich dann sehe, welche unsin­nigen Weltanschauungen und welch törichte Dinge geglaubt werden, dann will es mir recht unfassbar erscheinen, dass das Evangelium so wenig Glauben findet. Wie ist das zu erklären?

Ein englischer Journalist, der zum Glauben an Jesus kam, hat vor einigen Jahren ein Buch veröffentlicht mit dem Titel: „Nur für Sün­der." Das ist es! Nur die Menschen, die sich als Sünder erkannt haben, haben damit ein Ohr bekommen für das Evangelium. Bist du ein Sünder? Vielleicht sagst du: „Nein! Ich tue recht und scheue nie­mand." Dann bleibt dir das Evangelium verschlossen. — Vielleicht gibst du zu: „Ja, wir sind allzumal Sünder." Dann antworte ich dir: „Dich hat deine Sünde noch nicht beunruhigt. Du wirst nichts ver­stehen."

 

 

Fluten der Heilung

 

1. Ein unglücklicher Mann

Die Bibel berichtet uns von dem syrischen Feldhauptmann Naeman. „Der war ein trefflicher Mann vor seinem Herrn und hoch gehalten; denn durch ihn gab der Herr Heil in Syrien. Und er war ein gewal­tiger Mann." So sagt die Bibel. Er war also ein Mann, den man be­neiden konnte. Ein erfolgreicher Mann. Aber — und nun kommt das „Aber" — er war aussätzig.

Haben wir Phantasie genug, uns vorzustellen, was das bedeutete? Da stand er am Ziel seiner Wünsche. Er war der erste Mann nach dem König. Er hatte ein feines Haus, Macht, Ehre, eine große Lebens­aufgabe. Und nun bricht der Aussatz aus. Er will ihn verbergen. Aber auf die Dauer geht das nicht. Er sucht alle Ärzte auf. Keiner weiß Rat gegen Aussatz. Schließlich ergreift ihn jene ganz große Resigna­tion, wo man die Dinge laufen lässt, wo die heimliche Verzweiflung das Herz erfüllt.

Der Aussatz ist in der Bibel ein Bild der Sünde. Ich kann mir kein besseres Bild denken. Wie der Aussatz ist die Sünde entsetzlich an­steckend. Ein Betrüger bleibt nicht lange allein. Schnell hat er Ge­nossen seiner Unehrlichkeit geworben. Ein unkeuscher Mensch kann seine ganze Umgebung mit seiner unsauberen Art vergiften. Einer, der Gott nicht fürchtet, schafft eine Atmosphäre der Gottlosigkeit. Ein Verleumder träufelt sein Gift in viele Ohren und zerstört die Gemeinschaft.

Und wie der Aussatz ist die Sünde eine schnell wachsende Krankheit. Jetzt spielt man in Gedanken mit einer Sünde. Und mor­gen ist ein tiefer Fall daraus geworden.

Der Aussätzige hat keine Hoffnung. Er hat den Tod vor Augen. So ist es mit dem Sünder. Er hat keine Hoffnung. Das Gericht Got­tes und der ewige Tod schrecken ihn. Nichts ist hoffnungsloser als das Leben eines Sünders.

Und einsam macht der Aussatz. Wohl wurde der gewaltige Nae­man nicht in die Wüste getrieben wie viele andere. Aber wer mochte mit ihm verkehren?! Er war furchtbar einsam. Ich habe gefunden, dass auch die Sünde einsam macht. Man ist von Gott geschieden. Und gerade von den Menschen, zu denen man aufschauen könnte, fühlt man sich getrennt. „Wenn die wüssten...!" sagt das Gewissen. Wohl dem, der seinen elenden Zustand  erkennt und mit David (Psalm 51, 4) anfängt zu schreien:  „Wasche mich wohl von meiner Missetat, und reinige mich von meiner Sünde."

 

2. Ein wenig einleuchtender Rat

Kehren wir zu Naeman zurück. Die Bibel erzählt sehr anschaulich, wie eine kleine Sklavin aus Israel in sein Haus kommt. Die sagt: „Ach, dass mein Herr wäre bei dem Propheten Elisa! Der würde ihn von seinem Aussatz losmachen." Das Wort erfährt der Naeman. Es lässt ihn nicht los. Und so macht er sich auf mit großem Gefolge. Nach mancherlei Irrwegen — ihr müsst das selber 2. Könige 5, 1-19 nach­lesen — kommt er vor dem Hause des Propheten an. Der lässt ihm sagen: „Gehe hin und wasche dich siebenmal im Jordan. Dann wirst du rein werden." Fluten des Heils für den Aussätzigen! Gibt es solche Fluten des Heils für solche, die am Aussatz der Sünde krank sind? Ja! Da lese ich Sacharja 13, 1: „Zu der Zeit werden die Bürger zu Jerusalem einen freien, offenen Born haben wider die Sünde und Unreinigkeit." Fluten des Heils gegen den Aussatz der Sünde! Wo ist der Born? Ein Lied gibt Antwort: „Es ist ein Born, draus heilges Blut / für arme Sünder quillt, / ein Born, der lauter Wunder tut / und jeden Kummer stillt. — Es quillt für mich dies teure Blut, / das glaub und fasse ich. / Es macht auch meinen Schaden gut, / denn Jesus starb für mich." Am Kreuz auf Golgatha entspringt der Jordan, in dem Sünder sich waschen dürfen und rein werden.

Aber kehren wir zu Naeman zurück. Als er den Rat des Elisa bekom­men hat, wird er zornig. Seine Vernunft empört sich gegen die Zu­mutung. „Haben wir", sagte er, „in Syrien nicht gute Heilquellen, die tausendmal besser sind als das Jordanwasser? Sind die Wasser Amana und Pharphar nicht besser als alle Wasser in Israel?" Und er zog weg im Zorn.

Gerade so hat unsere unerleuchtete Vernunft auch kein Vertrauen zum Born des Heils von Golgatha. Sie sagt: „Da haben wir im Be­reich des Weltlichen doch bessere Wege, um der Krankheit der Sünde beizukommen. Man kann z. B. sich eine Weltanschauung zulegen, in der es kein Gericht Gottes gibt und in der die Sünde bagatellisiert wird." Oder: „Wenn ich meine letzten Willensreserven einsetze, werde ich wohl auch so fertig." Oder: „Ich rede mir ein, Gott sieht meinen guten Willen an und nimmt es nicht so genau." Dazu kann ich nur sagen: Die Wasser in Syrien hatte der Naeman ja längst aus­probiert. Sie hatten nicht geholfen. Und die unerleuchtete Vernunft heute soll zusehen, wie sie mit ihren hilflosen Ratschlägen einem un­ruhigen Gewissen zur Ruhe verhilft. Gottes untrügliches Wort preist uns in immer neuen Worten den Heilsbrunnen von Golgatha als einzige Hilfe für Sünder an. Da spricht der Prophet Hesekiel in einem wunderbaren Bild von einem kristallklaren Strom, der in dem Heiligtum entspringt und vom Altar herkommt. Und wo der Strom herfließt, da wird Heilung geschenkt und neues Leben. Welch ein Bild für die Fluten des Heils, die von dem Altar kommen, wo das Gotteslamm sich selbst opfert! Wie sehnt sich unser Gewissen nach dem Bad in diesem Strom!

 

3. Eine wunderbare Heilung

Wir hatten den Naeman zuletzt gesehen, wie er voll Zorn wegzog. Aber damit ist die Geschichte nicht zu Ende. Seine Knechte reden ihm zu: „Wenn der Prophet etwas Schweres verlangt hätte, das hät­test du getan." O wie haben sie recht! Auch um sich von Sünden zu reinigen, unternimmt der Mensch gern die schwersten Dinge. Er ver­anstaltet Wallfahrten und Bußübungen.

Zum Kreuze des Heilandes kommen und sagen, man sei ein ver­lorener Sünder und man wolle gern gerettet werden — dies scheint dem Menschen zu einfach, zu albern. Und doch — es ist der einzige Weg zur Heilung.

Dem Naeman redeten seine Knechte zu, der Weisung des Propheten zu gehorchen, und er folgte ihrem Rat. Uns in unserer Not will der Heilige Geist denselben Dienst tun. Wohl uns, wenn wir Seinem Zureden folgen.

Der Schluss der Geschichte ist so, dass Naeman geheilt wurde. Und wer zu dem offenen freien Born wider die Sünde und Unreinigkeit auf Golgatha gegangen ist, der bekennt mit dem Propheten Jesaja: „Durch seine Wunden sind wir geheilt."

Fluten des Heils für geschlagene Gewissen! Wir wollen hinter uns lassen, was gewesen ist. Lasst uns dahin gehen, wo es heißt: „Das Wasser des Lebens, das ist diese Flut, / durch Jesus ergießet sie sich. / Sein kostbares, teures und heiliges Blut, / o Sünder, vergoss er für dich. / O Seele, ich bitte dich, komm / und such diesen herrlichen Strom! / Sein Wasser fließt frei und mächtiglich. / O glaub's, es fließet für dich."