Alfred Burchartz

Der jüdische Festkalender

 

Der jüdische Kalender richtet sich nicht nach dem Sonnen-, sondern nach dem Mondjahr, wobei jeder Monat (Mond) mit dem Neumond beginnt und 29 oder 30 Tage zählt. Nach biblischem Gebot (2. Mose 12, 2) beginnt der Jahreskalender mit dem Frühlingsmonat Nissan (Abib). Die Namen der Monate lauten: Nissan, Ijar, Siwan, Tammus, Aw, Elul, Tischri, Cheschwan, Kislew, Tewet, Schwat, Adar (Adar II).

Zwischen einem Mond- und Sonnenjahr entsteht jährlich eine Differenz von mehreren Tagen, die sich nach einigen Jahren zu einem Monat ansammeln. Der wird als Schaltmonat Adar II in dem dann gebotenen Schaltjahr eingefügt.

Der Fest- oder Herbstkalender beginnt mit dem 1. Tischri, dem siebten Monat. Das ist der Tag des Neujahrsfestes, also der Tag des Wechsels der Jahre, deren Zählung nach biblischer Zeitrechnung mit der Schöpfung beginnt. Ab Herbst 1996 z. B. wird das Jahr 5757 gezählt. Eingefühlt wurde der Herbstkalender zur Zeit des babylonischen Exils (6. Jhd. v. Chr.) Außerhalb Israels werden manche Feste einen Tag länger gefeiert. Diese sind im Folgenden in Klammern gesetzt.

 

Rosch Haschana: „Haupt des Jahres"

Der Neujahrstag am 1. und 2. Tischri ist kein biblisches Fest und war ursprünglich das babylonische Neujahrsfest. Für die jüdische Gemeinde hat es folgende Bedeutungen:

1. Geburtstag der Welt: Erster Schöpfungstag, Huldigung des Schöpfers und Herrn der Welt.

2. Tag der Besinnung über Schuld im vergangenen Jahr, damit Vergebung unter Menschen geschehen kann.

3. Tag des Schofarblasens (des Widderhorns).

4. Hoffnung auf Einschreibung ins Buch des Lebens (2. Mose 32, 32-33). Es beginnen die zehn Gerichtstage, auch „furchtbare Tage" genannt.

 

Jom Kippur: „Tag der Versöhnung"

Vgl. dazu 3. Mose 16, 1-34. Auch .“Tag der Bedeckung" nach Psalm 32, 1 und Psalm 85, 3) am 10. Tischri. Gilt als „Schabbat aller Schabbate" und deshalb heiligster Feiertag. Der Vorabend heißt Kol Nidre nach dem Gebet um Entbindung von nicht erfüllten Gelübden gegenüber Gott. Jom Kippur ist der absolute Buß- und Fastentag mit ganztägigem Gottesdienst. Am Abend werden die „Tore bei Gott" geschlossen und ebenso das Buch des Lebens für das nächste Jahr. An Stelle des entsühnenden Opfers tritt nach der Zerstörung des Tempels (70 n. Chr.) das Gebet.

 

Sukkot: „Laubhütten"

Vom 15.-22. Tischri. vgl. 3. Mose 23, 39-43. Bedeutungen: Fest der Freude über die Ernte von Obst und Wein, die „Zeit unserer Freude" (3. Mose 23, 40). Provisorische Behausungen: Laubhütten werden errichtet und laden zum Wohnen ein. Zur Erinnerung an die Wüstenwanderung, an die Ungesichertheit des Lebens und an die Abhängigkeit von Gottes Fürsorge und seiner Vollendung in den Tagen des messianischen Heils für Israel und die Völker. Zum Gang in die Synagoge gehört ein Feststrauß (3. Mose 23, 40), der dort beim Singen geschwungen wird.

Schemini Azeret: „Achter Tag der Versammlung"

Abschlußfest am 22. Tischri (vgl. 3. Mose 23, 36). Gebet um Regen und für die Seelen der Toten.

 

Simchat Tora: Tora-Freudenfest

(23. Tischri). In Israel fallen beide Feste auf den 22. Tischri. Beim Gottesdienst wird der letzte Wochen­abschnitt der fünf Bücher Mose gelesen und an­schließend der erste von 54 Wochenabschnitten. Es finden Umzüge mit Tanz und Gesang in der Synagoge statt, wobei alle Torarollen getragen werden.

 

Chanukka: „Einweihung"

Das „Fest des Lichtes" wird vom 25. Kislew bis 2. Tewet gefeiert (vgl. 1. Makkabäer 4+10). Geden­ken an den Aufstand Is­raels gegen die seleukidische (syrische) Unter­drückung, Wiedereinwei­hung des Tempels nach Befreiung vom heidni­schen Kult 165 v. Chr. Der Talmud (rabb. Lehrt­radition) erzählt von dem Wunder des acht Tage währenden Leuchtens der siebenarmigen Menorah von der gleichen Menge aufgefundenen geweihten Öls. Deshalb hat der über das Fest verwendete Leuchter acht Arme, bei dem täglich ein Licht mehr entzündet wird. Der neunte Arm trägt das „dienende Licht" zum Entzünden der anderen.

 

Tu Bischwat: Neujahrsfest der Bäume

15. Schwat. vgl. 3. Mose 19, 23-25. In Israel ist es Brauch, an diesem Tage Baumanpflanzungen durch­zuführen.

 

Purim: „Fest des Loses"

Vgl. dazu das Buch Ester, gefeiert am 14. Adar. Gedenken an Ester, die im Perserreich durch Einsatz ihres Lebens die Juden vor den Ausrottungsplänen Hamans rettete. Wird mit Verkleidungen und Belu­stigungen (wie Karneval) gefeiert.

 

Pessach: „Verschonung"

15. - 21. (22.) Nissan, s. dazu 2. Mose 13, 1-8 und 3. Mose 23, 5-8. Bedeutungen:

1. Frühlingsfest und Erntefest der Gerste.

2. Fest der Freiheit: Auszug aus Ägypten.

3. Fest der ungesäuerten Brote (Mazzot).

4. Fest der Verschonung durch das Blut der geopfer­ten Lämmer. Das Passahfest mit dem Sederabend ist vornehmlich ein Familienfest, der nach einer festgelegten Ordnung (= Seder) mit der Pessach-Haggada (Pessach-Erzählung) begangen wird. Hierbei haben Symbolspeisen und der „Eliasbecher" eine besondere Bedeutung. (Der Seder­abend war die letzte Feier Jesu mit seinen Jungem.)

 

Jom ha'Schoa: „Tag der Vernichtung" (Holocaust)

27. Nissan: Gedenken an die Opfer der Judenverfol­gung (Auschwitz) und des Warschauer Ghettoauf­standes.

 

Jom ha'Azmaut: „Unabhängigkeitstag"

Am 5. Ijar wird der Staatsgründung Israels am 15. Mai 1948 gedacht.

 

Lag ba-Omer: „33. Tag der 'Omerzählung'"

18. Ijar: Freudenfest besonders der Chassidim (Frommen), Omer = Garbe. Zentrum der Feiern in Israel ist Meron, die Stadt der Kabbala-Überlieferung (einer mittelalterlichen mystischen Lehre).

 

Jom Jeruschalajim: „Tag Jerusalems"

28. Ijar: Gedenken an die Befreiung Jerusalems 1967 und Hoffnung auf die Wiedererrichtung des Tem­pels.

 

Schawuot: „Wochenfest"

6. (7.) Siwan, vgl. dazu 5. Mose 16, 9f. Bedeutungen:

1. Sieben Wochen nach dem Pessach-Fest am 50. Tag (griechisch Pentecoste = Pfingsten).

2. Erntefest: Fest der Erstlingsfrüchte der Weizenernte.

3. Azeret = „Versammlung": Abschlussfest. Mit Azeret ist der achte Tag eines Festes gemeint. Schawuot gilt durch die 50 Tage der Omerzählung als achter Tag an Pessach angebunden, an dem abschließend, .heilige Versammlung" stattfinden soll.

4. Fest der Gesetzgebung am Berg Sinai. Da Scha­wuot auch „Gelübde" heißt, wird mit der Toragebung auch der Gelübde des Volkes (2. Mose 24, 3+7) und Gottes (2. Mose 19, 5) gedacht.

Sukkot, Pessach und Schawuot waren mit gebote­nen Wallfahrten zum Tempel in Jerusalem verbun­den (5. Mose 16, 16; Kap. 26).

 

Tischa be'Aw: „9. Aw"

Gedenken an die Zerstörung des Tempels durch die Babylonier 587 v. Chr. und durch die Römer 70 n. Chr. als Gericht Gottes. Mit Jom Kippur ist der 9. Aw strengster Fasten- und Trauertag. Mit Mahnung zur Buße wurde er in das christliche Kirchenjahr mit dem 10. Sonntag nach Trinitatis eingebracht: „Ge­denken an die Zerstörung Jerusalems", heute „Israel­sonntag".

 

Ta'anit Ester: „Fasten Ester"

13. Adar, s. dazu Esther 4, 16. Fasten der Königin und der Juden als Antwort auf das Dekret Hamans zur Vernichtung der Juden.

Drei weitere Fastentage hängen mit dem 9. Awund der Zerstörung des ersten Tempels zusammen:

10. Tewet: Beginn der Belagerung Jerusalems durch Nebukadnezar.

17. Tammus: Fall der Mauern Jerusalems.

3. Tischri: Nach der Zerstörung Jerusalems Er­mordung des jüdischen Statthalters Gedalja.

 

Alfred Burchartz