5. Juni 1980
24. Ludwig-Hofacker-Konferenz
(1.
Korinther 15, 19 und 1. Korinther 15, 53-38)
Christenhoffnung im Licht der Ewigkeit
Uns Christen wird oft der
Vorwurf gemacht, wir würden an den Nöten und Problemen dieser Welt vorbei leben
und die Menschen, ohne ihnen zu helfen, mit einem billigen Trost auf das
Jenseits abspeisen. Die christliche Hoffnung, so heißt es, sei daher keine
Hilfe für den Menschen, der heute und hier von Not und Leid bedrängt ist.
Wer so von der
christlichen Botschaft redet, ist einem fatalen Irrtum verfallen. Er übersieht,
welche reale Kraft das Evangelium von Jesus Christus für das Heil und das Wohl
des jetzigen Menschen in sich birgt. Aber noch fataler ist der entgegen gesetzte
Irrtum, und von diesem ist in dem verlesenen Abschnitt aus 1. Korinther 15 die
Rede: der Irrtum nämlich, die christliche Botschaft und ihre Hoffnung würden
sich nur auf diese irdische Welt
beziehen.
Uns kommt dieser Hinweis
des Apostels sehr aktuell vor. Denn viele versuchen in unseren Tagen, aus dem
Evangelium eine reine Diesseitsreligion oder gar Ideologie zu machen. Was
bleibt aber vom Glauben noch übrig, wenn die Hoffnung auf das zukünftige Leben
in der Herrlichkeit Gottes entfällt? Vielleicht eine Moral, eine bestimmte
Ethik. Vielleicht ein paar Grundwerte wie Nächstenliebe, soziale Gerechtigkeit,
Menschenwürde. Jesus als Modell des Menschen, dem man nacheifern soll.
Christliches Evangelium als ein Appell an Idealisten, sich für eine gute Sache
einzusetzen und notfalls auch zu opfern.
Aber bei aller Hochachtung
vor Idealisten und gesellschaftlich Engagierten müssen wir bestätigen, was die
Bibel sagt und die Erfahrung bezeugt: wenn die Hoffnung unseres Glaubens sich
nur auf dieses Leben beziehen würde, dann wäre sie ohne jede Kraft. Wir wären
auf das wenige an gutem Willen angewiesen, das es in dieser Welt gibt. Wir
hätten keine Lösung für die Frage der Schuld und des Leides. Wir würden uns ein
paar Jahrzehnte lang mit mehr
oder weniger Erfolg einsetzen für einen Glauben, der nur eine Idee wäre. Und je
näher der Tag unseres Todes käme, desto mehr müssten wir resignieren angesichts
der übermacht des Bösen in dieser Welt und angesichts unserer eigenen
beängstigenden Vergänglichkeit. Am Ende würde sich zeigen, dass der Glaube eine
Täuschung war. Bei einem solchen Christsein ohne den Horizont der Ewigkeit
sitzt man am Ende zwischen zwei Stühlen und ist ein bemitleidenswerter Mensch.
Denn man hat sich vielleicht ein paar Forderungen des christlichen Glaubens zu Eigen
gemacht, ohne an ihrer realen Zukunft, ohne an dem neuen Leben beteiligt zu
sein.
Was ist das Entscheidende
an der Hoffnung, die dem Christen geschenkt ist?
1.
Die Hoffnung der Christen beruht auf
klaren Verheißungen Gottes für die Zukunft, deren Erfüllung mit der
Auferstehung Jesu von den Toten begonnen hat. Denn seine Auferstehung ist der Schritt Gottes, mit
dem er allen Menschen die ewige Erlösung eröffnet hat. Hier wurde konkret in
Raum und Zeit, in Heilsgeschichte und Weltgeschichte die Liebe Gottes zu allen
Menschen als real erwiesen. Hier zeigte Gott, dass er für uns eine Zukunft
bereitet hat, die über den körperlichen Tod hinausgeht.
Ein Leben auf dem Boden
begründeter Hoffnung ist daher nur dem möglich, der Jesus Christus als seinen
auferstandenen Herrn erfahren hat und sich des neuen Lebens bewusst geworden
ist, das ihm dadurch geschenkt wurde. Ohne diese Grundlage wäre unser Glaube
gegenstandslos, und wir würden nur ein vages „Prinzip Hoffnung“ übrig behalten,
nur verkrampften Optimismus ohne reale Grundlage, eine Art Mut zur Utopie trotz
gegenteiliger Erfahrungen. Ohne den persönlichen Glauben an die Auferstehung
Jesu wären wir wie jene Politiker, die immer erklären, es sei unchristlich, in
Sachfragen auf vorhandene Gefahren hinzuweisen. Sie behaupten, es wäre
christlicher, falsche Hoffnungen zu wecken, besonders wenn Wahlen bevorstehen.
Die Kraft Gottes aber, die Jesus Christus von den Toten auferweckt hat, ist für
uns der Anlass, im Vertrauen auf ihn voller Hoffnung der eigenen Zukunft wie
der Zukunft dieser Welt entgegenzusehen. Jede andere Hoffnung wäre
unrealistisch, illusionär und unchristlich.
2. Die Hoffnung der
Christen beruht auf empfangener Vergebung der Sünde. Jesus Christus hat mit
seinem Tod und seiner Auferstehung die Strafe für unsere Schuld auf sich
genommen und deren zerstörerische Macht besiegt. Das gilt für jeden einzelnen,
für die ganze Menschheit und sogar für den Kosmos. Allerdings wird Sünde nicht
pauschal vergeben und Erlösung nicht pauschal wirksam, sondern im Einzelfall,
wo immer ein Mensch sich mit seinem ganzen Leben an Jesus Christus wendet und
ihn als seinen persönlichen Retter und Herrn annimmt. Bei Menschen, die diese
Erfahrung nicht kennen, beobachten wir immer wieder, wie ihre aktiven Bemühungen
mit allem Engagement in dieser Welt nicht wirklich die ungelöste Schuld und
Sinnfrage des eigenen Lebens auf Dauer verdecken oder kompensieren können.
Keine Selbstbestrafung, kein Idealismus kann die Sünde eines Menschen
rückgängig machen, und sie verhindert, dass sein Leben den eigentlichen Sinn
findet. Daher die panische Angst vor dem Tod und die unbewusste Ahnung von dem
bevorstehenden Zorn Gottes, in dessen Hände zu fallen für den Unerlösten
furchtbar ist. Empfangene Vergebung aber ändert die Motive unseres Handelns,
das Selbstbewusstsein und die Zukunftsperspektive. An die Stelle von Angst
tritt Hoffnung und freudige Erwartung kommender Herrlichkeit.
3. Die Hoffnung der
Christen bezieht sich auf ihr Weiterleben in Herrlichkeit und
Unvergänglichkeit. Unsere jetzige Existenz ist, wenn wir die Realität der
Auferstehung Jesu nicht erfahren haben, nur „Sein zum Tode“, der als sicherstes
Ereignis unserer Zukunft in jeder Stunde seine bedrohlichen Schatten vorauswirft. Welchen Trost gibt es für einen Jugendlichen,
der Krebs hat und weiß, dass er in einigen Monaten sterben muss? Oder für einen
älteren Menschen, dessen Körper langsam gebrechlich wird, so dass die Glieder
ihren Dienst versagen? Welche Hoffnung gibt es für uns angesichts der Tatsache,
dass unserem Körper Tod und Verwesung bevorstehen und dass auch die
fortgeschrittenste Medizin daran nichts ändern kann?
Paulus beantwortet diese
Frage ganz klar: Dem vergänglichen Leib wird ein unvergänglicher nachfolgen,
wie es bei Jesus in seiner Auferstehung bereits geschehen ist. Die Zukunft
Gottes mit uns Menschen hat Ostern bereits begonnen! Der Tod hat daher für den
Erlösten seinen Stachel verloren, weil er ganz gewiss nicht das Ende ist. Ihm
folgt ein Leben in der Herrlichkeit Gottes nach, in dem unsere Leiber nicht
mehr den Gesetzen der Materie und ihrer Vergänglichkeit unterworfen sind. Mag
das Sterben auch mitunter grausam sein; der Tod als solcher ist es für den
Erlösten nicht mehr. Und angesichts des vielen Leides in dieser Welt und
gewesener und kommender Katastrophen, die sich abzeichnen, gibt es keinen
billigen Trost, keine andere Antwort als letztlich nur diese einzige Hoffnung.
Mag diese Erde eines Tages vergehen; mag die Menschheit in einer nuklearen
Selbstvernichtung oder durch andere Ursachen umkommen: Die Erlösten warten auf
eine neue Schöpfung, in der sie dann mit ihrem Herrn weiterleben werden.
4. Die Hoffnung der
Christen befreit sie zum Einsatz für den Bau des Reiches Gottes in dieser Welt.
Denn die im Evangelium gegebene Hoffnung bewahrt uns vor beidem: vor
weltfernem Sektierertum, das gegenüber dieser Welt lieblos die Augen
verschließt und in frommer Untätigkeit ihren Untergang erwartet, wie auch vor
jenem diesseitigem Aktivismus, der ohne wirkliche Hoffnung ist und die Welt
vergeblich nach utopischen Rezepten zu verbessern sucht. Vielmehr befreit uns
die Hoffnung auf die Ewigkeit vor der Furcht, vor Hektik und Verzettelung wie
überhaupt vor jener Weltbetrachtung aus der Froschperspektive, die das Leben so
sinnlos macht. Vielmehr werden die Erlösten von Gott eingesetzt als aktive
Mitverantwortliche in seinem
Langzeitprogramm. Sie haben dafür klare Anweisungen und Maßstäbe, die sie vor
dem Zickzackkurs des Zeitgeistes bewahren. Sie fließen über von der Liebe
Gottes, die sie durch seinen Geist zum Handeln in dieser Welt motiviert.
Solches Handeln erfordert den Einsatz aller unserer Kräfte: zur Abwendung erkennbarer
Gefahren, ohne dabei Illusionen zu haben; zur Errettung von Menschen aus dem
Verfallensein an Sünde und Zeitgeist; zur Vollendung der Gemeinde und in alledem
zur Verherrlichung Gottes, dem die Zukunft gehört.