Charles Haddon Spurgeon

Guter Rat für allerlei Leute

Reden hinterm Pflug

 

Ergreife die Gelegenheit

 

Einige Leute sind nie zur Stelle, wenn der Zug abfährt. Sie kommen genau zu der Zeit in den Bahnhof geschlendert, zu der sie gewiss sein können, dass es zu spät ist, und sagen dann in schläfrigem Ton: „Was? Ist der Zug schon fort? Da muss meine Uhr in der Nacht stehen geblieben sein!“ Sie kommen regelmäßig einen Tag nach dem Markt zur Stadt und packen ihre Waren eine Stunde nach Geschäftsschluss aus. Sie machen ihr Heu, wenn die Sonne nicht mehr scheint, und schneiden das Korn, sobald das schöne Wetter vorüber ist. Sie schreien „Halt!“, wenn der Schuss aus dem Gewehr heraus ist, und verschließen die Stalltür, nachdem das Pferd gestohlen ist. Sie gleichen dem Kuhschwanz, der immer hinten nachhängt. Unpünktliche Leute entschuldigen sich meistens mit den Worten, dass sie sich nur ein wenig verspätet haben; aber ein wenig zu spät ist viel zu spät, und beinahe gewonnen bedeutet ganz verloren. Mein Nachbar Gemächlich deckte seinen Brunnen zu, nachdem das Kind hineingefallen war. Demnächst wird er den Entschluss fassen, sein Testament zu machen, wenn er die Feder nicht mehr in der Hand halten kann, und wird versuchen, Buße zu tun, wenn ihm das Bewusstsein zu schwinden beginnt.

Diese langsamen Menschen denken Morgen ist besser als heute. Ihre Lebensregel ist ein altes, aber auf den Kopf gestelltes Sprichwort: „Was du heute kannst besorgen, das verschieb getrost auf morgen.“ Sie warten immer auf gebratene Tauben, die ihnen in den Mund fliegen sollen, und träumen immer von einem Glück, das ihnen in den Schoß fallen werde. Dabei wuchert das Unkraut in ihren Furchen, und die Kühe brechen durch die Lücken ihrer Hecken hindurch. Wenn sich die Fasane nur Salz auf den Schwanz streuen lassen wollten, was für einen Schmaus würden sie dann ihren Familien heimbringen! Solange sich aber alles :in der Welt noch immer so schnell bewegt werden ihre Kleinen schon den Löffel leer in den Mund stecken müssen. „Lass gut sein“, sagen sie, „es kommen bessere Zeiten, warte noch einweniglänger.“ Ihre Tauben sind alle auf dem Dach und sind alle außerordentlich fett, wie sie meinen; und es wäre ihnen dies auch sehr zu wünschen, denn bis jetzt haben sie noch keine in der Hand gehabt, nicht einmal einen Spatz. Es wird noch was zum Vorschein kommen, sagen sie; warum gehen die dummen Menschen nicht selber hin und bringen es zum Vorschein? Zeit und Flut warten auf niemand, und doch treiben sich diese Müßiggänger umher, als ob Zeit und Gelegenheit ihnen als unverlierbarer Erbbesitz gehörte, als ob sie eine bestimmte Lebenszeit gepachtet hätten, als ob man sich ein Kaninchengehege von guten Gelegenheiten anlegen könnte. Doch wer den Frühling vergeudet, wird einen mageren Herbst haben. Wer das Eisen nicht schmieden will, wenn es heiß ist, wird das kalte Eisen bald sehr hart finden. Wer nicht will, wenn er kann, wird nicht können, wenn er will. Die Zeit fährt vorüber wie der Wind, und wer sein Korn mit ihr mahlen will, muss die Mühlenflügel nach ihr richten. Wer den Mund aufsperrt, bis er Brot hat, wird ihn solange aufsperren, bis er den Tod hat. Nichts in der Welt ist ohne Mühe zu erlangen, als Armut und Schmutz. Früher pflegte man zu sagen: „Der Dumme hat Glück“ – aber heutzutage ist eher das Gegenteil richtig. Nie aber, weder in alten noch zu irgendwelchen anderen Zeiten, wird einer Glück haben, der sich die ihm gebotenen guten Gelegenheiten törichterweise entgehen lässt. Denn die Hasen laufen nicht den schlafenden Hunden ins Maul. Wer Zeit hat und auf bessere Zeit wartet, wird eine Zeit bekommen, die ihm nicht gefällt. Wenn ich einen Menschen finde, der über die schlechten Zeiten klagt und jammert, dass er immer Unglück habe, so sage ich mir gewöhnlich: Die alte Gans ist nicht ordentlich auf den Eiern sitzen geblieben, und nun, wo sie alle verdorben sind, klagt sie die Vorsehung an, dass keine Jungen herauskommen. Ich habe niemals an das Glückhaben geglaubt, außer in der Art, dass ich glaube: Einen Menschen wird sein Glück über den Graben tragen, wenn er tüchtig springt; es wird ihm ein Stück Speck in den Topf tun, wenn er fleißig nach seinem Garten sieht und sich ein Schwein fett macht. Ich denke mir, dass das Glück wenigstens einmal im Leben an jedermanns Tür klopft, macht aber dann der Fleiß die Tür nicht auf – fort ist es! Wer den letzten Zug versäumt hat und sich jede Gelegenheit entwischen lässt, fängt meistens an, sein Schicksal zu schelten, dass es ihn immer in ungünstige Umstände versetze. „Ich habe doch immer Pech. Wäre ich Hutmacher, so würden bestimmt die Leute ohne Köpfe geboren werden. Liefe ich ans Meer, um Wasser zu schöpfen, so fände ich's ausgetrocknet.“ Jeder Wind ist widrig für ein unvernünftiges Schiff. Weder die Weisen noch die Wohlhabenden können dem helfen, der sich lange geweigert hat, sich selber zu helfen.