Charles Haddon Spurgeon

Guter Rat für allerlei Leute

Reden hinterm Pflug

 

Gedanken über Gedanken

 

Es gibt nicht so viele Stunden in einem Jahr, wie man Gedanken in einer Stunde haben kann. Die Gedanken fliegen scharenweise wie Stare und in Schwärmen wie Bienen daher. Man kann sie ebenso wenig zählen wie die dürren Blätter im Herbst. Und wie die Glieder einer Kette zieht einer den anderen hinter sich her. Was für ein unruhiges Geschöpf ist doch der Mensch! Seine Gedanken tanzen auf und nieder wie die Mücken an einem Sommerabend! Wie eine Wanduhr voller Zahnräder, deren Pendel sich in lebhafter Schwingung befindet, so bewegt sich sein Gemüt, so schnell, wie die Zeit verfließt. Dadurch wird das Denken überaus bedeutsam. Aus vielem Kleinen wird etwas Großes, und aus vielen leichten Gedanken wird leicht ein schweres Gewicht von Sünden. Wo viele Kinder sind, hat die Mutter wohl Ursache, sie gut zu beaufsichtigen. Wir sollen auf unsere Gedanken Acht geben, denn wenn sie sich in unsere Feinde verwandeln, so werden sie überhand nehmen und uns ins Verderben hinunterziehen. Gute Gedanken füllen unsere Seele mit Himmelsliedern wie Vögel im Frühling, aber böse Gedanken werden uns stechen wie Ottern.

Die Menschen meinen oft, die Gedanken seien frei; aber ich erinnere mich gelesen zu haben, wenn Gedanken auch zollfrei sind, so sind sie doch nicht höllenfrei. Das stimmt genau mit dem überein, was das gute alte Buch, die Bibel, sagt. Wir können wegen unserer Gedanken vor keinen irdischen Gerichtshof zitiert werden; aber seid versichert, dass wir uns darüber vor dem letzten großen Tribunal werden verantworten müssen. Böse Gedanken sind das innerste Mark der Sünde. Sie sind das Malz aus dem die Sünde gebraut wird; der Zunder, welcher den Funken der Versuchung des Teufels fängt; das Butterfass, in dem die Milch der Phantasie zu Absichten und Plänen gerinnt; das Nest, in welches alle bösen Vögel ihre Eier legen. Wie das Feuer sowohl Reisig als Holzblöcke verzehrt, wird Gott ebenso wohl die sündlichen Gedanken wie die sündlichen Taten bestrafen (Matthäus 5,28; 9,4).

Denke niemand, dass die Gedanken dem Herrn nicht bekannt seien. Denn er hat ein Fenster das sich zum innersten Gemach der Seele hin öffnet – ein Fenster, das man durch keine Läden verschließen kann. Wie wir in einem Aquarium die Fische beobachten, so blickt das Auge des Herrn auf uns. Die Bibel sagt: „Ich kenne ihre Werke und ihre Gedanken“ (Jesaja 66,18). Der Mensch ist für Gott lauter Außenseite; für den Himmel gibt es keine Geheimnisse. Was im Privatgemach des Herzens geschieht, ist für das Auge Gottes so öffentlich wie ein Marktplatz.

Einige werden sagen, dass böse Gedanken unwillkürlich in ihnen aufsteigen. Das mag sein, aber die Frage ist, ob sie sie hassen oder nicht? Wir können es den Dieben nicht verbieten, in unsere Fenster hineinzusehen; wenn wir ihnen aber die Türen aufmachen und sie mit Freuden aufnehmen, so sind wir nicht besser als sie. Wir können die Vögel nicht hindern, über unseren Köpfen hinzufliegen; aber wir brauchen es nicht zu dulden, dass sie ihre Nester in unseren Haaren bauen. Unnütze Gedanken klopfen wohl an die Tür, aber wir sollen ihnen nicht auftun. Wenn böse Gedanken auch in uns aufsteigen, so dürfen sie doch nicht über uns herrschen. Wer einen Bissen im Munde hin und her bewegt, tut es, weil ihm der Geschmack gefällt; und wer in dieser Weise über das Böse nachdenkt, liebt es und ist fähig, es zu begehen. Denke an den Teufel, und er wird erscheinen. Wende deine Gedanken der Sünde zu, und deine Hände werden bald nachfolgen. Schnecken lassen eine Schleimspur hinter sich zurück, und ebenso machen es unnütze Gedanken. Ein Pfeil fliegt durch die Luft, ohne eine Spur zurückzulassen; aber ein böser Gedanke lässt immer eine Fährte hinter sich, wie eine Schlange. Wo viel böse Gedanken hausen, da wird auch viel Schmutz und Unrat sein. Hätschle die Sünde nur auf dem Schoß des Gedankens, und es wird ein Riese daraus erwachsen. Tauche Wolle in Petroleum ein und wie wird es auflodern, wenn es dem Feuer zu nahe kommt! Darum gebietet uns die Weisheit, das Denken und Planen unseres Herzens täglich in acht zu nehmen. Gute Gedanken sind segenbringende Gäste und sollten herzlich willkommen geheißen, reich bewirtet und oft eingeladen werden. Wie Rosenblätter geben sie einen guten Geruch von sich, wenn sie im Krug des Gedächtnisses aufbewahrt werden. Sie können gar nicht genug kultiviert werden; sie sind eine Frucht, die den Boden bereichert. Wie eine Henne ihre Küken unter ihren Flügeln wärmt, so sollten wir alle heiligen Gedanken in uns pflegen. Gottselige Betrachtungen sollten uns über alles wertvoll sein. Geheiligte Gedanken bringen geheiligte Worte und geheiligte Taten hervor und sind zuverlässige Kennzeichen eines erneuerten Herzens. Wer möchte sie nicht haben? Ein sicherer Weg, den Scheffel von Spreu freizuhalten, ist der, ihn bis oben an mit Weizen zu füllen. Und wenn man eitle Gedanken fernhalten will, so ist es klug und weise, stets geeignete Gegenstände im Herzen zu bewegen, die uns zu göttlichen Betrachtungen veranlassen. Sie sind leicht zu finden. Wir sollten nie ohne sie sein. Möchten wir stets mit David sagen können: „Als viele unruhige Gedanken in mir waren, beglückten deine Tröstungen meine Seele“ (Psalm 94,19).