Das Geheimnis Israels und der Gemeinde
Mit der Berufung Abrahams (1. Mose 15) begann die Geschichte des alttestamentlichen Bundesvolkes Israel, und mit Pfingsten die des neutestamentlichen Bundesvolkes, der Gemeinde Jesu Christi (Apostelgeschichte 2). Die Nachkommen Abrahams entwickelten sich zu einem ansehnlichen Volk, das unter dem Segen und unter der Verheißung Gottes stand. Doch mit der Zeit setzte mehr und mehr der Abfall vom lebendigen Gott ein. Zur Zeit des Propheten Hosea, im 8. Jahrhundert vor Christus, hatte diese Entwicklung einen Höhepunkt erreicht. Gott musste seinem Volk das Gericht androhen. In Hosea 3, 5-6 gibt uns Gott dann aber eine bemerkenswerte Prophetie: „Die Kinder Israel werden lange Zeit ohne König, ohne Fürsten, ohne Opfer, ohne Altar, ohne Leibrock und ohne Heiligtum bleiben. Danach werden sich die Kinder Israel bekehren und den Herrn, ihren Gott, und ihren König David suchen und werden mit Zittern zu dem Herrn und seiner Gnade kommen in der letzten Zeit.“
Die Herrlichkeit Gottes verlässt den Tempel und Jerusalem
Stück für Stück fand und findet diese Weissagung ihre Erfüllung. Im Jahre 722 v. Chr. fiel Samaria den Assyrern in die Hände. Das Ende des Nordreiches Israel war gekommen. 586 v. Chr. geschah das Gleiche mit dem Südreich Juda: Babylonische Heere zerstörten Jerusalem und führten einen großen Teil des Volkes in die Verbannung. Israel hatte keinen König mehr. Die große nationale Katastrophe folgte dann im Jahre 70 n. Chr., nachdem sie ihren Messias verworfen hatten. Römische Heere zerstörten Jerusalem und den Tempel und zerstreuten die Juden in alle Welt. Nun hatte Israel auch kein Heiligtum mehr.
Der Tempel, einst die Wohnung Gottes, wurde von Gott aufgegeben. Hesekiel sah dies im 6. Jahrhundert v. Chr. in einer Vision: „Und die Herrlichkeit des Gottes Israels erhob sich von dem Cherub, über dem sie war, zu der Schwelle des Tempels am Hause“ (Hesekiel 9, 4). „Und die Herrlichkeit des Herrn ging wieder hinaus von der Schwelle des Tempels und stellte sich über die Cherubim. Da schwangen die Cherubim ihre Flügel und erhoben sich von der Erde vor meinen Augen, und als sie hinausgingen, gingen die Räder mit. Und sie traten in den Eingang des östlichen Tores am Hause des Herrn, und die Herrlichkeit des Gottes Israels war oben über ihnen“ (Hesekiel 10, 18-19). „Und die Herrlichkeit des Herrn erhob sich von der Stadt und stellte sich auf den Berg, der im Osten vor der Stadt liegt“ (Hesekiel 11, 23). Stück für Stück wird uns hier beschrieben, wie der lebendige Gott den Tempel und Jerusalem verlässt. Die Zeit der Heiden (Lukas 21, 24) hatte begonnen.
Israel hat seit diesen Tagen keinen Fürsten mehr. Auch die Tieropfer haben aufgehört. Das Heiligtum und der Altar liegen zerstört da. Dies ist bis heute, nach fast 2000 Jahren, so geblieben.
Gott schafft sich die neutestamentliche Gemeinde
Mit der Beiseitesetzung Israel schuf sich Gott in Jesus Christus ein neues Bundesvolk. „Er ist es, der uns allen Frieden gebracht und Juden und Nichtjuden zu einem einzigen Volk verbunden hat. Durch sein Sterben hat er die Mauer eingerissen, die die beiden trennte und zu Feinden machte“ (Epheser 2, 14 Gute Nachricht). Wie wilde Zweige wurden die Heiden auf den guten Ölbaum eingepfropft (vgl. Römer 11, 17-18). Deshalb kann das Neue Testament auch von der Gemeinde als dem neuen Israel sprechen. Jude ist derjenige, der im Herzen beschnitten ist (vgl. Römer 2, 29), und „erkennt also: die aus dem Glauben sind, das sind Abrahams Kinder“ (Galater 3, 7). Jakobus schreibt „an die zwölf Stämme in der Zerstreuung“ (Jakobus 1, 1) und hat damit wahrscheinlich die gesamte Gemeinde Jesu Christi der damaligen Zeit im Auge.
Wenn Gott nun Israel vor bald 2000 Jahren zur Seite gesetzt hat und sich die Gemeinde Jesu Christi als das neutestamentliche Israel, das ja auch Juden enthält, geschaffen hat, bedeutet dies nun, dass das alttestamentliche Bundesvolk überhaupt keine Verheißungen mehr hat und im Heilsplan Gottes keine Rolle mehr spielt? Wir sagen nein!
Zwei Extreme
Man kann an diesem Punkt in zwei Extreme fallen. Das eine besteht darin, dass man wie die frühe Kirche bis weit in unsere Zeit hinein Israel seiner Verheißungen beraubt und alles auf die Gemeinde überträgt. Diese Art von Enterbungs- oder Substitutionstheologie ist aber nicht der Heiligen Schrift gemäß. Die Gemeinde Jesu Christi besitzt wohl die Haushaltung Israels, wie weiter oben schon aufgezeigt, und darf das Alte Testament auch geistlich auf sich anwenden, aber nicht alles, was dort und auch im Neuen Testament geschrieben steht, gilt für sie. Gott hatte Abraham bei seiner Berufung ein Land, Nachkommen und Segen zugesagt. Die Zusage des Landes Israels an Israel ist nicht auf die Gemeinde übergegangen. Wie besonders die Staatsgründung Israels im Jahre 1947 zeigt, gilt diese Verheißung Gottes immer noch dem Volk Israel. Wir müssen es beim Bibellesen neu lernen zu unterscheiden, was für die Gemeinde und was für Israel gilt, ferner was geistlich auf die Gemeinde übertragen werden darf und was nicht.
Ein Beispiel sei noch aus dem Neuen Testament angeführt: „Wenn ihr aber den unheilvollen Gräuel an dem Ort seht, wo er nicht stehen darf - der Leser begreife -, dann sollen die Bewohner von Judäa in die Berge fliehen“ (Markus 13, 14 Einheitsübersetzung). Der Text spricht hier offensichtlich vom wiederhergestellten Israel am Ende der Tage, das beim Aufrichten des Gräuels der Verwüstung durch den Antichristen in die Berge flüchten soll. Wie kann sich dieser Text aber auf die Gemeinde Jesu beziehen? Diese lebt rund um die Erde verstreut. Ein gläubiger Urwaldindianer im Amazonasbecken Südamerikas oder ein Afrikaner im Herzen des schwarzen Kontinents, der kaum das Nötigste zum Überleben hat, hätte auch gar nicht die Möglichkeit, ins Bergland von Judäa zu fliehen.
Das zweite Extrem, das es zu vermeiden gilt, ist mir in Form eines Bruders entgegengetreten, der mich aufgrund eines meiner Briefe in Idea-Spektrum aufsuchte. Er kam mit seinem konkordanten Neuen Testament und erklärte mir sinngemäß: „Das Alte Testament brauchen wir nicht mehr zu lesen. Das galt dem Volk Israel und hat für uns keine Bedeutung mehr, da alles, was darin geschrieben steht, in Jesus Christus seine Erfüllung gefunden hat. Es ist somit überflüssig.“ Dem halten wir 2. Timotheus 3, 16 entgegen: „Denn alle Schrift (auch die des Alten Testamentes), von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Zurechtweisung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit!“
Israel bekehrt sich am Ende der Tage
Wir kommen zurück zu unserer eingangs zitierten Weissagung des Propheten Hosea! In Hosea 3, 5 wird uns gesagt, dass „danach“, d. h. nach der Zerstörung des Tempels und nach der Zeit ohne Heiligtum, Opfer, Altar und Leibrock, Israel sich bekehren und den Herrn, seinen Gott suchen wird. Mit Zittern werden sie zu seiner Gnade kommen. Dieser Teil der Weissagung ist noch nicht in Erfüllung gegangen. Er wird in Vers 5 auch ausdrücklich „in die letzte Zeit“ verlegt.
Hier wird wieder etwas von dem Geheimnis und der Wechselwirkung der Gemeinde Jesu Christi und Israel deutlich. Nach Ostern und Pfingsten setzte Gott Israel als Volk beiseite und machte mit seiner neu entstandenen Gemeinde Heilsgeschichte. In diesem Abschnitt leben wir heute noch. Dass sich dieser Zeitabschnitt der Heilsgeschichte aber langsam seinem Ende entgegen neigt, zeigt die Tatsache, dass Gott in letzten Jahrhundert den fallengelassenen Faden mit seinem alttestamentlichen Bundesvolk Israel wieder aufgenommen hat. Der Heilsträger im 1000jährigen Reich wird offensichtlich wieder Israel sein. Die Gemeinde Jesu wird vorher in den Himmel entrückt (vgl. 1. Thessalonicher 4, 14-17).
Römer 11 zeigt dies auch deutlich. Der Verständlichkeit halber sei nach Hoffnung für alle zitiert: „Damit ihr nicht überheblich werdet, liebe Brüder, möchte ich euch anvertrauen, was mir Gott offenbart hat. Ein Teil des jüdischen Volkes ist zwar blind für die Botschaft von Jesus Christus (das ist ihr heutiger Zustand!). Aber das wird nur so lange dauern, bis die Heiden, die Gott dafür ausersehen hat, den Weg zu Christus gefunden haben (Luther: ‚die Fülle der Heiden’). Danach wird ganz Israel gerettet (zwischen diesen beiden Ereignissen liegt die Entrückung), so wie es bei den Propheten heißt: ‚Aus Jerusalem wird der Retter kommen (die sichtbare Wiederkunft Jesu Christi in Macht und Herrlichkeit). Er wird Israel von seiner Gottlosigkeit bekehren.’ Und das ist der Bund, den ich mit ihnen schließe: Ich werde sie von ihren Sünden befreien“ (Römer 11, 25-27).
In den folgenden Versen geht Paulus darauf ein, dass die Ablehnung des Messias durch Israel den Völkern das Heil gebracht hat, dass aber auch Israel später wieder die Barmherzigkeit Gottes erfahren wird: „Indem sie das Evangelium ablehnen, sind viele Juden zu Feinden Gottes geworden. Aber gerade dadurch wurde für euch der Weg zu Gott frei. Doch Gott hält seine Zusagen, und weil er ihre Vorväter erwählt hat, bleiben sie sein geliebtes Volk. Denn Gott fordert weder seine Gaben zurück, noch widerruft er seine Zusagen. Früher habt ihr Heiden Gott nicht gehorcht. Aber weil die Juden Christus ablehnten, hat Gott euch seine Barmherzigkeit erfahren lassen. Jetzt wollen die Juden nicht glauben, dass Gott jedem Menschen in Christus barmherzig ist, obwohl sie es doch an euch sehen. Aber auch sie sollen jetzt Gottes Barmherzigkeit erfahren“ (Römer 11, 28-31).
Wohl dem, der recht unterscheiden und das Geheimnis Israels und der Gemeinde erfassen kann! Wohl dem, der zum Volk Gottes gehört! Ob Jude, ob Nichtjude, für jeden gilt: „Jesus Christus und sonst keiner kann die Rettung bringen. Auf der ganzen Welt hat Gott keinen anderen Namen bekannt gemacht, durch den wir gerettet werden können“ (Apostelgeschichte 4, 12 Gute Nachricht)! Bekehre Dich zu Ihm und folge Ihm nach!