Meister Eckehart - was wir von Menschen vergangener
Zeiten lernen können
Der heutige Mensch ist, zum Teil bedingt durch die Schnelllebigkeit unserer Zeit, mehr oder weniger ein Augenblicksmensch. Auf ihn trifft zu, was jemand einmal so formuliert hat: „Das Einzige, was der Mensch aus der Vergangenheit gelernt hat, ist, dass er eben nichts daraus gelernt hat.“ Möge dieses Urteil auf alle, die wiedergeboren und ein Eigentum Jesu Christi sind, nicht zutreffen! Die Heilige Schrift ermahnt uns nämlich: „Gedenkt an eure Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben; ihr Ende schaut an und folgt ihrem Glauben nach“ (Hebräer 13, 7). Um aber auf geistlichem Gebiet aus der Vergangenheit die nötigen Lektionen zu lernen, müssen wir uns gerade mit dieser Vergangenheit beschäftigen und sie studieren. Wir können dabei aus dem Leben anderer positiv lernen, wie wir handeln sollen, und negativ sehen, wie man es nicht machen sollte. Ein solches Studium wollen wir im Folgenden anhand einer im evangelikalen Raum wenig bekannten Person des Mittelalters wagen. Es geht um Meister Eckehart...
Seit dem 12. Jahrhundert ist die Mystik in der Kirche nie wieder ausgestorben. In Deutschland fand sie im 14. Jahrhundert ihre Blüte. Ihr eigentlicher Vater war hierzulande Eckehart von Hochheim, der besser unter dem Namen Meister Eckehart bekannt ist. Unter Mystik versteht man die geheimnisvolle Verbindung der menschlichen Seele mit Gott. Der Mensch versenkt sich dabei in sich selbst, er meditiert abgeschlossen von der Umwelt, die durch ihre Eindrücke und ihren Lärm den Menschen von Gott trennt.
Die Mystiker horchten in die Stille und in die Tiefenschichten der Seele, um sich zutiefst mit Gott zu vereinigen. Ihr Ziel war das Ablegen der Selbstsucht und die Vollendung der Liebe, die durch ein gleichsames Untergehen in Gott erreicht wurden. Abgeschlossenheit von der Außenwelt, sakrale Räume, buntes Licht (möglichst gedämpft), Kerzenschein und Weihrauch, bildeten eine gute Voraussetzung, um sich zu versenken. Die römische Kirche des Hochmittelalters entwickelte sich in zwei verschiedene Richtungen: Die Gelehrsamkeit richtete sich entweder auf das Interesse für die Lehre und führte zur Scholastik, oder sie richtete sich auf das Interesse für das Leben und führte zur Mystik. Auf diese Art und Weise konnte die römische Kirche Theorie und Praxis christlichen Lebens in sich vereinigen. Eckehart von Hochheim brachte die Mystik in Deutschland zur vollen Entfaltung.
1. Eckeharts Leben
a) Die Jahre bis zu seiner Berufung nach Paris
Meister Eckeharts Name ist eigentlich Eckehart von Hochheim. Im Mittelalter trugen die Menschen keinen Familiennamen wie in der heutigen Zeit. Deshalb wurden sie mit dem Vornamen und dem Zusatz „von...“ genannt. Über die Geburt Eckeharts ist uns wenig bekannt. Er wurde um 1260 in Hochheim bei Gotha geboren. Seine Eltern waren kleine thüringische Adelige. Eine andere alte Tradition will ihn nach Straßburg beheimaten. Über seine Jugendjahre ist uns nichts bekannt. Da er der Sohn adeliger Eltern war, dürfen wir annehmen, dass er eine relativ unbeschwerte Jugendzeit verbringen konnte. Seine Eltern waren in der Lage, ihm alles zum Leben Notwendige zu bieten. Wohl aus diesem Grund schickten sie ihn in jungen Jahren in das Dominikanerkloster nach Erfurt, um ihm eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Auch über diese Jahre ist wenig bekannt. Offensichtlich war sein Studium mit Erfolg gekrönt, denn gegen Ende des 13. Jahrhunderts tritt er uns einige Jahre als Prior von Erfurt und Provinzialvikar von Thüringen entgegen.
Zur weiteren Ausbildung wechselte er dann nach Köln, wo er unter Albertus Magnus seine Studien fortführte. Dadurch kam er auch in engen Kontakt mit den Schriften Thomas von Aquins, der die mittelalterliche Theologie entscheidend beeinflusste. Im Jahre 1300 wechselte er erneut seinen Studienplatz und ging nach Paris, wo er 1302 den Grad eines Magisters oder Meisters (daher der Name Meister Eckehart) oder Doktors der Theologie erlangte. Obwohl sein persönliches Leben äußerlich von Erfolg gekrönt war, sah es in seiner Welt nicht so erfolgreich und friedevoll aus. Seine Zeit war eine Zeit, „in der Westeuropa im allgemeinen und weite Teile Deutschlands im besonderen in latentem Bürgerkrieg schweren politischen, wirtschaftlichen und seelischen Erschütterungen preisgegeben war“ (Friedrich Heer, Meister Eckhart. Predigten und Schriften. Frankfurt/Main, Hamburg: Fischer Bücherei, 1956, S.8). Man glaubt heute zu wissen, dass die Wachstumserscheinungen des jungen Europa die Ursache waren, dass die Städte wie elektrische Speicher wirkten: In ihnen kämpften Bischöfe, Hochadelige, Patrizier, Großbürger, Zünfte und Handwerker um die Macht. Die Städte in Deutschland waren weithin freie Reichsstädte und damit politisch von größter Bedeutung. In Flandern z. B. herrschte zwischen 1297 und 1328 ein dreißigjähriger Bürgerkrieg zwischen Großbürgern und kleinen Handwerkern. Und gerade in den Städten war es, in denen sich Eckehart aufhielt und seine Wirksamkeit entfaltete.
Eckeharts Eltern scheinen voll hinter ihm gestanden zu haben. Wiewohl sie selbst Adelige waren, scheinen sie der glänzenden Laufbahn und dem Aufstieg ihres Sohnes nichts in den Weg gelegt zu haben. Der Berufsstand des Theologen war damals wie weithin heute noch ein gesicherter Stand. Die Theologen standen beim Volk in hohem Ansehen. Dies resultierte nicht zuletzt daraus, dass die Klöster die Stätten des Wissens waren. Theologie und Wissenschaft waren zu der Zeit noch eng miteinander verzahnt.
b) Die Jahre von seiner Promotion bis an sein Lebensende
Als Doktor der Theologie standen Eckehart nun alle Türen offen. 1304 wurde er zum Provinzial für Sachsen ernannt, 1307 (wohl provisorisch) zum Generalvikar für Böhmen. In beiden Stellungen machte er sich verdient um die Reformation der Klöster seines Ordens. Insgesamt organisierte er die Neueinteilung der Ordensprovinzen, die sich von den Niederlanden bis nach Livland erstreckten und 51 Männer- und 9 Frauenklöster umfassten.
Wir sehen also, dass er einen großen Einfluss auf große Gebiete in Europa hatte. In führenden Theologenkreisen und auch bei dem einfachen Volk muss er ein bekannter Mann gewesen sein. 1311 ging er erneut nach Paris, um dort eine Lehrtätigkeit aufzunehmen. Diese dauerte von 1311 bis 1313. Im Jahre 1311 wurde er zum Oberhaupt über die Provinz Deutschland gewählt. Innere Unruhe und Unrast, vielleicht auch Abenteuerlust, muss ihn dazu getrieben haben, öfters den Platz seiner Wirksamkeit zu wechseln. Nach seiner Lehrtätigkeit in Paris wirkte er zeitweise lehrend und predigend in Straßburg. Dort übernahm er die Leitung der theologischen Schule. Die Glanzperiode seiner Wirksamkeit als Lehrer, Prediger und Schriftsteller begann er hier in Straßburg zu entfalten. Um das Jahr 1322 übernahm er einen Lehrauftrag für systematische Theologie an der theologischen Schule in Köln. Diese Position behielt er bis an sein Lebensende inne. Der 22. Februar 1327 ist das letzte Datum, wo von Eckehart als von einem Lebenden geredet wird. Kurz darauf muss er gestorben sein. Er hat also das Alter von 67 Jahren erreicht.
Zur Zeit Eckeharts, dieser ruhe- und rastlosen Zeit, in der alles im Verfall begriffen war, bildeten sich in den Städten zahlreiche Gruppen von Menschen, die sich, einzeln und getrennt, als „Brüder“ oder „Schwestern“ bezeichneten und um ein eigenständiges religiöses Leben bemühten. Freude, Freiheit und Friede war ihr Ziel in hasserfüllter Zeit. Bereits 150 Jahre vor Eckehart polemisierte im „heiligen“ Köln der größte Prediger des 12. Jahrhunderts, Bernhard von Clairvaux, gegen ein „lichtscheues“ Gesindel, das sich in den Vorstädten und Kellern, in unterirdischen Konventikeln zu geheimen religiösen Zusammenkünften traf. Schon seit 200 Jahren vor Eckehart stieg die Zahl solcher Gruppen ständig, die direkt die Kirche verließ: „... Katharer, Waldenser, später Brüder des Heiligen Geistes, Brüder des Geistes der Freiheit, Lollarden, Beghinen und Begarden, Adamiten, Pikarden, Luciferianer, manche Geißler“ (Ibid., S.10). Mit einigen dieser andersdenkenden Gruppen muss Eckehart in Berührung gekommen sein. Er wurde von ihnen beeinflusst, und umgekehrt wurden viele von ihnen seine Schüler. Als Brüder vom freien Geist oder auch fahrende Begarden genannt, trugen sie seine Lehren in das Volk. Diese fanden um so mehr Anklang, als sie in deutscher Sprache gehalten wurden.
Erste wichtige Lektion für uns heute
Es gab durch die Jahrhunderte hindurch immer Gruppen und Gemeinden, die nicht zur römisch-katholischen Kirche gehörten. Von einigen dieser Gruppen wissen wir nicht viel, andere trugen sektiererische Züge und bei noch anderen handelte es sich um Gemeinden und Kreise, deren alleinige Grundlage die Heilige Schrift war und die die wahre Gemeinde Jesu Christi ihrer Zeit bildeten. Es ist auf jeden Fall nicht so, wie man uns heute gerne weiß machen will: Vor der Reformation gab es in unseren Breiten nur eine Kirche, die römisch-katholische, und deshalb sollten wir uns alle wieder mit dieser Mutterkirche vereinigen.
Es ist im Gegenteil geradezu eine Lästerung des lebendigen Gottes, wenn Papst Bonifaz VIII. zur Zeit Meister Eckeharts eine Bulle herausgab, in der er 1302 erklärte: „Dem römischen Papst sich zu unterwerfen, ist für alle Menschen unbedingt zum Heile notwendig: das erklären, behaupten, bestimmen und verkündigen Wir.“ Nach dem Zeugnis der Heiligen Schrift ist zu unserem Heil nur eins nötig: an Jesus Christus zu glauben, denn „in keinem anderen ist das Heil, auch ist kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch den wir sollen selig werden“ (Apostelgeschichte 4, 12). Mag der Papst „behaupten, bestimmen und verkündigen“, was er will! Wer wiedergeboren ist, ist an solche widergöttlichen Aussagen nicht gebunden, weder damals noch heute!
Die Reaktion der Kirche auf die Lehren Meister Eckeharts
Die päpstliche Kirche fühlte sich mit Eckeharts Theologie im Widerspruch und holte zum Gegenschlag aus: Als Erzbischof Heinrich von Virneburg in Köln sein Amt antrat, begann er seine Regierungstätigkeit mit dem Versuch der Ausrottung der Häresie. Diese Tätigkeit setzte er später auch in Avignon in Südfrankreich fort. Scharenweise wurden Leute dem Tod in den Wellen des Rheins oder auf dem Scheiterhaufen überliefert, weil sie sich zu Sätzen bekannten, die Eckehart täglich vom Lehrstuhl oder von der Kanzel vortrug. 1290, 1292 und 1306 waren die Hauptwellen der Verfolgung der Begarden. 1317 eröffnete auch der Bischof von Straßburg das Inquisitionsverfahren gegen die fahrenden Begarden. Wieder mussten viele Menschen, auch immer wieder Frauen und Kinder, ihr Leben lassen. 1322 wurden in Köln wieder Begarden und Brüder vom freien Geist verbrannt und ertränkt. Der zu der Zeit amtierende Papst Johannes XXII „zählte 28 angeblich eckhartsche Sätze von meist pantheistischer Färbung, von welchen sie 17 als häretisch, 11 als übellautend, verwegen und der Häresie verdächtig verurteilt...“ (Johann Heinrich Kurtz, Lehrbuch der Kirchengeschichte. Leipzig: August Neumanns Verlang, 1906, S.313).
1326 wird Eckehart vom Erzbischof von Köln wegen ketzerischer Irrtümer vor eine Inquisitionskommission zitiert. „Aber Meister Eckehart bestritt am 24. Januar 1327 die Kompetenz einer Kommission und appellierte an den Apostolischen Stuhl, indem er zusicherte, sich dem Entscheid dieses zu unterwerfen. Außerdem beteuerte er am 13. Februar 1327 nach einer in der Dominikanerkirche in Köln gehaltenen Predigt feierlich vor allem Volk, dass er jeden Irrtum im Glauben und jede Abweichung in den Sitten aufs entschiedenste verabscheut habe und verabscheue, so dass er, falls sich in seinen Schriften oder seinen Reden etwas Irrtümliches finden sollte, es feierlich widerrufe“ (Ernst Staehelin, Die Verkündigung des Reiches Gottes in der Kirche Jesu Christi. Basel: Verlag Friedrich Reinhardt AG, 1955, S.390-391).
Noch bevor eine Entscheidung der Kurie aus Avignon eintraf, starb Eckehart 1327. Am 27. März 1329 erging dann die Bulle „Im Acker des Herrn“ von Papst Johannes XXII. Darin wird zwar verkündet, dass Meister Eckehart am Ende seines Lebens alles, was ketzerisch oder irrtümlich sein könnte, widerrufen habe, dass aber 28 seiner Lehrsätze ausdrücklich als ketzerisch oder der Ketzerei verdächtig bezeichnet werden müssten, damit sie in den Herzen der Gläubigen keinen Schaden anrichten können.
Zweite wichtige Lektion für uns heute
Das Papsttum trat in der Vergangenheit mit dem Anspruch auf, von Gott bevollmächtigt worden zu sein, die beiden Schwerter zu tragen, das geistliche Schwert und das weltliche Schwert, wobei Gott angeblich die weltliche Gewalt der geistlichen Gewalt untergeordnet habe. Demzufolge habe die Zivilgewalt im Dienste der Kirche zu stehen. Und dass man dann vom Schwert rigoros gegen Abweichler Gebrauch machte, zeigen die Hinrichtungswellen der Begarden 1290, 1292, 1306 und 1317. Ähnlich erging es auch anderen Gruppen und besonders der wahren Gemeinde Jesu Christi. Einigen Schätzungen zufolge sollen allein zwischen 1200 und 1800 bis zu 30.000.000 Menschen der Inquisition zum Opfer gefallen sein. Andere sprechen von 10.000.000. Wie hoch die Zahl der ermordeten Menschen auch wirklich war: Für diese Gräuel hat sich der Vatikan bis heute nicht entschuldigt noch Buße getan!
Im Zuge der europäischen und interkonfessionellen Einheitsbestrebungen unserer Zeit muss jetzt schon darauf hingewiesen werden, dass solche Verhältnisse mit einiger Wahrscheinlichkeit die Zukunft der Gemeinde Jesu sein werden, sollten die ökumenischen Bestrebungen mit Erfolg gekrönt werden und zur Vereinigung der Kirchen mit der römisch-katholischen Institution führen. Bezüglich der europäischen und weltweiten Zukunft wurde bereits ein 12-Punkte-Programm aufgestellt, das für alle Menschen verbindlich sein soll und in dem es u. a. heißt: „Das Ziel jeder politischen Vereinigung ist die Herbeiführung des zeitlichen Gemeinwohls und indirekt des ewigen Heils... Unser Herr Jesus Christus besitzt die beiden Reiche und die beiden Schwerter: das geistliche, das von ihm selbst in seiner Kirche zum Heil der Seelen, das zeitliche, das durch die weltliche Gewalt für das zeitliche Gemeinwohl geführt wird, jedoch im Dienst der Kirche und sogar zu ihrer Verfügung, da der Zweck des Staates im Dienst des Zweckes der Kirche steht“ (katholisches Mitteilungsblatt St. Pius X. Stuttgart, Nr. 163 vom Juli 1992, S.23-24).
Zu Petrus, dem angeblich ersten Papst, sagte der Herr Jesus: „Stecke dein Schwert an seinen Ort! Denn wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen“ (Matthäus 26, 52). Die späteren Päpste griffen dagegen bedenkenlos zum Schwert, und es ist zu befürchten, dass sie dies auch in Zukunft tun werden. Die Gemeinde Jesu Christi sollte sich deshalb jetzt schon auf Matthäus 24, 9 einstellen: „Dann werden sie euch der Bedrängnis preisgeben und euch töten. Und ihr werdet gehasst werden um meines Namens willen von allen Völkern.“
2. Eckeharts Theologie
a) Die Wesenseinheit von Gott und Mensch
Bei der Entwicklung seiner Theologie kann Eckehart bereits auf die kirchliche Tradition zurückgreifen. Bereits der Kirchenvater Augustin verquickte neuplatonische Elemente mit biblischen Wahrheiten. Danach erschienen im 6. Jahrhundert mystische Schriften von Dionysius Areopagita, die einen neuplatonisch-christlichen Synkretismus enthalten. Angeblich sollen sie von dem in Apostelgeschichte 17, 34 genannten Paulusschüler Dionysius stammen. Im 12. Jahrhundert erneuerte Hugo von St. Viktor diese Gedanken, und Bernhard von Clairvaux wurde zum Hauptvertreter einer gefühlsmäßigen Jesusliebe. Wir sehen an dieser Stelle, dass Eckehart keine umwälzenden Neuerungen in die Kirche einführte, als er seine Tätigkeit entfaltete. Der Sauerteig der Mystik hatte bereits vor ihm gewirkt.
Eckehart entwickelte seine Theologie in die Richtung, dass zwischen Gott und der Seele des Menschen eine Wesenseinheit bestehe. Daraus resultiert folgerichtig, dass man sich nur in sich selbst hinein zu versenken braucht, um Christus zu finden. „Wenn die Seele ganz leer geworden ist, dann strömt Gott selbst in sie ein. Es kommt also geradezu zu einer Vergottung der Seele. Der Vollmystiker wird ein Teil Gottes, gottgleich“ (Kurt Dietrich Schmidt, Grundriss der Kirchengeschichte. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1960, 7. Aufl., S. 242). Mit dieser Lehre befand sich Meister Eckehart gefährlich nahe am Pantheismus, dass nämlich alles Gott oder ein Teil Gottes ist. Wäre dem so, dann müsste er eine Stufe der Vollkommenheit erreichen können, wo er Gottes Ratschluss immer erkennen kann. Man hat ihn deshalb auch als einen genannt, „dem Gott nie nichts verbarg“ (Friedrich Oehninger, Geschichte des Christentums. Emmishofen, Konstanz, New York: Verlag von Carl Hirsch, 1897, S.213). Diese Gedanken standen in einem großen Kontrast zu der Ruhelosigkeit und den Wirren seiner Zeit. Die Menschen wurden dadurch aus der Realität ihrer Welt herausgerissen und in einen Zustand der Verinnerlichung, auf einen Höhenweg der Abgeschiedenheit der Seele versetzt. Diese Abgeschiedenheit war nur ein Mittel zum Zweck, um die volle Vereinigung mit Gott zu erlangen. Wenn man heute Christen vorwirft, sie würden Weltflucht betreiben, so galt das in besonderem Maß den Anhängern Meister Eckeharts.
Dritte wichtige Lektion für uns heute
Durch das Wort Gottes werden wir an unzähligen Stellen aufgefordert, mit unserem Geist aktiv und niemals passiv für die Sache des Herrn einzutreten, zum Beispiel: „Tut Buße“ (griech. „metanoeite“, was auch bedeutet: „sinnt um, denkt um, kehrt um“, woran Geist, Wille und Verstand immer aktiv beteiligt sind, Matthäus 3, 2), „wachet und betet“ (Markus 14, 38), „wachet, steht im Glauben, seid mutig und seid stark“ (1. Korinther 16, 13), „seid nüchtern und wacht“ (1. Petrus 5, 8), „dem widersteht, fest im Glauben“ (1. Petrus 5, 9).
Was geschieht nun, wenn sich ein Gläubiger von der Außenwelt abschließt, um sich zu versenken? Wenn er dazu sakrale Räume, Kerzenschein, Weihrauch oder dergleichen als Mittel zum Zweck braucht, um in die Tiefenschichten seiner Seele hineinzuhorchen? Was geschieht, wenn er seine Seele leer macht, um so, wie die Mystiker meinten, Gott in sich hineinströmen zu lassen? Er handelt dem Wort Gottes zuwider und missachtet die biblischen Imperative! Er wird passiv! Und der Geist, der dann bei ihm einzieht, ist nicht der Heilige Geist! Der Heilige Geist legt nämlich immer „zusammen mit unserem Geist Zeugnis ab“ (so Römer 8, 16 wörtlich nach dem griechischen Grundtext, vgl. auch Konkordantes Neues Testament oder Rev. Elberfelder Bibel). Der falsche Geist schaltet unseren Geist aus und macht den Menschen zum Medium seiner Botschaft, indem er ihm z. B. erhebende Glücksgefühle erleben lässt, Weissagungen eingibt, Visionen sehen lässt oder in Zungen reden lässt.
An diesem Punkt befinden sich Pfingstler und Charismatiker in gefährlicher Nähe zum Mystizismus, sagt man in ihren Reihen doch Menschen, die die sogenannte Geistestaufe suchen oder den „zweiten Segen“ haben wollen: „Lass Dich fallen! Entspanne Dich!“ und dergleichen. Bevor ich diese Zusammenhänge durchschaute, gab es in meinem Leben eine Zeit, in der ich den charismatischen Angeboten gegenüber sehr offen war und auch ein Mehr in meinem geistlichen Leben haben wollte. So kam dann der Tag, an dem in England ein Mann über mir betete: „Lord, blot out his mind (Herr, schalte seinen Verstand aus).“ Hätte ich dies mit mir geschehen lassen, hätte ich die „Geistestaufe“ bzw. den „Geist“ mit Sicherheit sofort mit entsprechenden Begleiterscheinungen erhalten. Nur: Es wäre nicht der Heilige Geist gewesen, sondern ein Dämon, der sich als Geist Gottes ausgegeben hätte. Es ist nur der Gnade Gottes zu verdanken, dass ich damals vor einem schrecklichen Fall bewahrt geblieben bin!
Vor mystischen Wegen, auch im pfingstlich-charismatischen Gewand, und wenn sie noch so biblisch scheinen, muss deshalb eindringlich gewarnt werden! Hände weg davon!
Die Folge der Lehre von der Wesenseinheit von Gott und Mensch
Die Folge dieser Theologie Eckeharts von der Wesenseinheit Gottes und der menschlichen Seele war, dass die biblische Lehre, dass alle Menschen Sünder sind und von Geburt an von Gott getrennt sind und eines Erlösers bedürfen, um in die Gemeinschaft mit Gott zu kommen (vgl. 1. Mose 8, 21; Römer 3, 23; Johannes 14, 6 u. a.), aufgegeben wurde. Die Versenkung in sich selbst kann niemals eine Verbindung zu Gott schaffen. Bei dieser Zentrierung um das eigene Ich wird der Mensch zum höchsten Maß aller Dinge erhoben. Glaube und reale Umwelt werden voneinander getrennt, so dass Meister Eckehart und seine Anhänger unbedenklich der Askese verfallen. Man enthielt sich von sinnlichen Freuden, kehrte sich von der Welt ab, hielt das Zölibat als erstrebenswertes Ideal hoch und lebte in Armut.
Eckehart verglich diese innere Freiheit und Gelassenheit der Seele mit einer Tür in der Angel: „Eine Tür geht in einer Angel auf und zu. Nun vergleiche ich das äußere Brett an der Tür dem äußeren Menschen, und die Angel vergleiche ich dem inneren Menschen. Wenn nun die Tür auf und zu geht, so bewegt sich das äußere Brett hin und her, und doch bleibt die Angel in steter Unbeweglichkeit und wird nicht im Geringsten verändert... Also steht es um das abgeschiedene Herz“ (Schmidt, op. cit., S.242).
Weil für Eckehart zwischen Gott und der Seele des Menschen eine Einheit besteht, ist Gnade nur ein Einwohnen und ein Mitwohnen der Seele in Gott. Durch diese Art von Gnade kann jedermann ein Sohn Gottes werden, wenn er liebt. Eckehart leitet das lateinische Wort für Sohn, „filius“, von dem griechischen Wort für Liebe, „filea“, ab. Die Liebe Gottes, die eine Eigenschaft seiner ewigen Person ist, wird hier zu einer gefühlsmäßigen Jesusliebe umgeprägt.
Als Christen, die im Neuen Testament zu Hause sind, müssen wir die Theologie Meister Eckeharts ablehnen!
b) Die Bedeutung der Kirche und der Sakramente
Die oben beschriebene übertriebene Verinnerlichung des Glaubens führte logischerweise zur äußeren Abkehr von der Kirche. Das ganze Mittelalter hindurch sehen wir die Kirche als eine Institution, die angeblich unbedingt heilsnotwendig ist. Das Konzil von Florenz bestimmte 1442: „Die heilige römische Kirche, durch das Wort unseres Herrn und Erlösers gegründet, glaubt fest, bekennt und verkündet, dass niemand außerhalb der katholischen Kirche, weder Heide noch Jude noch Ungläubiger oder ein von der Einheit getrennter - des ewigen Lebens teilhaftig wird, vielmehr dem ewigen Feuer verfällt, das dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist, wenn er sich nicht vor dem Tod ihr (der Kirche) anschließt“ (zitiert bei Wolfgang Bühne, Ich bin auch katholisch. Die Heilige Schrift und die Dogmen der Kirche. Bielefeld: Christliche Literatur-Verbreitung e. V., Postfach 110135, 4. überarbeitete Aufl. 1992, S.37).
An dieser grauenhaften, für alle Katholiken bindenden Lehre, hat sich bis heute nichts geändert. Das zweite Vatikanische Konzil bestätigte 1964: „Darum können jene Menschen nicht gerettet werden, die um die katholische Kirche und ihre von Gott durch Christus gestiftete Heilsnotwendigkeit wissen, in sie aber nicht eintreten oder in ihr nicht ausharren wollen“ (Ibid., S.38).
Die meisten Menschen des Mittelalters hatten deshalb eine abergläubige Angst vor dem Kirchenbann oder dem Ausgestoßenwerden aus der katholischen Kirche. Deshalb konnte und kann die römische Kirche bis in unsere Tage den Anspruch erheben: „Wir sind die allein seligmachende Kirche.“ Damit kann sie Druck auf die Gewissen der Menschen ausüben. Zur Zeit Eckeharts finden wir nun die Situation vor, dass sich ganze Städte manchmal jahrzehntelang im Kirchenbann befanden. Die Ursache dafür war oft ein Widerstand gegen die päpstliche Steuerpolitik. „Durch den machtpolitischen Kampf kam es immer öfter vor, dass eine Stadt jahre-, ja, jahrzehntelang von ihrem Bischof oder vom Papst mit dem Interdikt belegt wurde: Kult, Sakramentspendung, also auch Beichte, Buße und Eucharistie, die Lossprechung von den drückenden Sünden... waren dem Klerus untersagt“ (Heer, op. cit., S.9).
Diese Situation war ein guter Nährboden für die Anschauungen und Lehren Eckeharts. Die Menschen sehnten sich nach Sicherheit und Geborgenheit. Die Kirche konnte ihnen diese nicht mehr oder nicht immer bieten. So fand Eckehart bei seiner Zuhörerschaft ein offenes Ohr, wenn er predigte: „Greift nicht so gierig nach Gott! Alles Jagen und Rennen nach Gnadenmitteln, Sakramenten, Messen, Wallfahrten, guten Werken nützt euch nichts, wenn ihr diese Sucht nicht aufgebt, wenn ihr nicht gelassen ausgeht aus eurem engen, ängstlichen und gierigen Ich...“ (Ibid., S.21).
Diese Lehren stellten eine regelrechte Untergrabung des kanonischen Kirchenrechts dar. Eckehart und seine Anhänger wurden dadurch für die Kirche gefährlich. Es nimmt deshalb nicht wunder, dass überall das Inquisitionsverfahren gegen die fahrenden Begarden und die Brüder vom freien Geist eingeleitet wurde und Meister Eckehart selbst auch vor ein Kirchengericht gestellt wurde. Im Extremfall bedeuteten seine Lehren doch nichts anderes als: „Leute, lasst die Kirche Kirche sein. Die braucht ihr nicht. Ihr könnt ganz individuell euer Christenleben führen und auch so selig werden.“ Es muss Eckehart aus katholischer Sicht zu gut gehalten werden, dass er nie einen Bruch mit der Kirche verursachen wollte. Deshalb hat er auch öffentlich Anschuldigungen der Ketzerei zurückgewiesen und seinen Willen bekundet, sich dem katholischen Recht zu unterwerfen. Seine Theologie kann vielleicht als zusätzlicher Weg zur Erlangung des Heils im Schoß der Kirche, aber nicht notwendigerweise durch deren Gnadenmittel, angesehen werden.
3. Eckeharts Werke
Man kann die Werke Eckeharts in zwei Gruppen einteilen: Einmal die in lateinischer Sprache abgefassten dogmatischen und exegetischen Werke und zum anderen die zum Teil in lateinischer, überwiegend aber in deutscher Sprache gehaltenen Predigten und Traktate. Über die Umstände und wann die Werke entstanden sind, ist nicht allzu viel bekannt. Sie sind die Frucht seiner langjährigen Arbeit als Professor für systematische Theologie und seiner ausgiebigen Tätigkeit als Priester seiner Kirche.
a) Die Kommentare in lateinischer Sprache
Bei den lateinischen Werken von Meister Eckehart handelt es sich hauptsächlich um Kommentare zur Heiligen Schrift. Es war sehr naheliegend, dass Eckehart diese Werke in lateinisch abfasste. Die Theologie stand nur dem Klerus offen, und die Auslegung der Bibel war nur den Priestern vorbehalten. Außerdem gab es offiziell noch keine Bibel in deutscher Sprache, so dass Eckehart auf die lateinische Kirchenbibel zurückgreifen musste. Inoffiziell besaßen die nichtkatholischen bibeltreuen Gemeinden des Mittelalters aber doch Bibelübersetzungen in verschiedenen deutschen Dialekten. Durch die Abfassung der Auslegungen in lateinischer Sprache wurden seine Werke nicht nur deutschen Theologen, sondern praktisch dem gesamten Klerus der römischen Kirche seiner Zeit zugänglich. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurden Eckeharts Kommentare immer wieder in verschiedenen Bänden neu herausgegeben. Da sie sehr umfangreich sind, kann an dieser Stelle nicht auf alles eingegangen werden. Einige Proben sollen genügen, um zu zeigen, wie Eckehart mit dem Bibeltext umging.
Am Anfang war das Wort...
Meister Eckehart zitiert in seinem Kommentar zu Johannes 1, 1-5 den Kirchenvater Augustin: „Aus keiner anderen Ader strömt Sein und Leben in uns als allein daraus, dass du uns schaffst, o Herr; denn du bist höchstes Sein und höchstes Leben“ (Ibid., S.127) und kommentiert: „Der Grund also für den Satz, dass alles durch Gott ward, ist dieser: Ein Jegliches wirkt ein ihm Ähnliches, und nichts wirkt über seine Art hinaus“ (Ibid., S.127). Mit anderen Worten sagt Eckehart hier, dass die Schöpfung, da sie von Gott stammt und die Vollkommenheit Gottes widerspiegelt, von Gott kommt und von göttlicher Art ist. Wir sehen hier wieder die gefährliche Anlehnung an den Pantheismus. Es ist zwar wahr, dass die Schöpfung von Gott stammt und die Vollkommenheit Gottes widerspiegelt, aber sie ist nicht wesenseins mit Gott, weil sie eben geschaffen ist. Außerdem ist sie durch den Fall Satans und den Sündenfall des Menschen verdorben.
Maria und Marta
Jesus wurde vom Heiligen Geist empfangen und von der Jungfrau Maria geboren. Diese Tatsache überträgt Eckehart auf die menschliche Seele. Unter der Überschrift: „Von der Empfängnis Gottes in der Seele“ schreibt er zu Lukas 10, 38: „So wie die Meister sagen, dass gleich und gleich allein die Grundlage für die Vereinigung bildet, so muss der Mensch Magd sein, Jungfrau, die den magdgleichen Jesum empfangen soll“ (Ibid., S.198-199). Durch sein „gleich und gleich“ will Meister Eckehart sagen, dass Gott und die Seele des Menschen wesensgleich seien. Auf dieser Grundlage soll dann Jesus empfangen werden, und zwar durch „alle, die mit Eigenschaft gebunden sind an Gebet, an Fasten, an Wachen und allerhand Übungen und Kasteiungen“ (Ibid., S.199).
Die Tempelreinigung
Zur Tempelreinigung, Matthäus 21, 12, schreibt Eckehart: „Willst Du der Kaufmannschaft ein für alle Mal los sein, so dass dich Gott in diesem Tempel lassen möge, so sollst du alles, was du in deinen Werken vermagst, ganz rein Gott zum Lob tun und sollst so losgelöst davon bleiben, wie das Nichts losgelöst ist, das weder hier noch dort ist“ (Ibid., S.175). Wieder schimmert Eckeharts Theologie der Selbstverleugnung durch. Der Mensch soll sich loslösen von allen irdischen Begierden, besonders denen nach Geld, um im Tempel Gottes, also in der Gemeinschaft mit Gott, bleiben zu können.
Christus soll zu Gott geworden sein
Eine der wichtigsten Stellen zum Verständnis der Theologie Eckeharts finden wir in seinen lateinischen Werken, Band III, Seite 241. Dort gesteht Eckehart: „Ich beneide Christus nicht, weil er Gott geworden ist, denn auch ich kann, wenn ich will, nach seinem Vorbild dasselbe werden“ (Ibid., S.31). Hier wird am allerdeutlichsten, wie weit sich Eckehart von der Lehre der Heiligen Schrift entfernt befindet. Christus ist nicht Gott geworden! Es ist umgekehrt: Christus, die zweite Person der Gottheit, ist zu Weihnachten Mensch geworden. Bestätigt wird diese Wahrheit u. a. durch Römer 9, 5: „... denen auch die Väter gehören, und aus denen Christus herkommt nach dem Fleisch, der da ist Gott über alles, gelobt in Ewigkeit. Amen.“ Kein Mensch kann sich aus eigener Kraft vergotten. Er bekommt höchstens eine göttliche Natur, wenn er sich zu Christus bekehrt!
Die angeführten Beispiele zeigen, dass die Theologie Eckeharts in ihrer Essenz immer wieder darauf hinausläuft, dass der Mensch sich von der Welt abkehren muss, um in der Stille der Seele die Vereinigung mit Gott vorzunehmen. Mit dem, was er lehrte, befand er sich nicht auf neutestamentlichem Boden, auch wenn er sich um einen Weg zu einem persönlichen Verhältnis mit Gott bemüht hat und dabei in seinem Gedankengebäude viele biblische Wahrheiten mit verarbeitet hat.
Vierte wichtige Lektion für uns heute
Meister Eckehart war Theologieprofessor, und als solcher war er mit der Bibel vertraut, aber trotz seiner Schriftkenntnis hat er sich nicht an das Wort Gottes gebunden und vertrat Irrlehren. Er dürfte wohl schwerlich wiedergeboren gewesen sein. Sein Leben und seine Theologie zeigen deutlich, dass ein Studium der Theologie nicht notwendigerweise einen Diener Gottes aus einem Menschen macht. Dies ist heute so wenig der Fall wie zur Zeit Eckeharts. Deshalb ist das Ansehen, das Theologen, Pfarrer und Priester beim Kirchenvolk bis heute genießen, in vielen Fällen nicht berechtigt. Man beachte in diesem Zusammenhang auch das Urteil Jesu über die Theologen seiner Zeit (vgl. z. B. Matthäus 23).
Es ist in den Reihen der wahren Gemeinde Jesu Christi hinlänglich bekannt, dass die Lehrstühle für evangelische Theologie an unseren Universitäten heute durchweg von Professoren besetzt sind, die nicht wiedergeboren sind und sich anstatt der biblischen der modernistischen Theologie verpflichtet wissen. Was die Theologen betrifft, die auf den evangelischen Kanzeln stehen, bietet sich weithin das gleiche Bild. Von ihnen ergießt sich Sonntag für Sonntag, Monat für Monat, Jahr für Jahr eine Flut unbiblischer Lehren und Anschauungen über die Kirchentreuen. Und unter diesen Kirchentreuen befinden sich zahlreiche Gläubige, deren Glaubensleben dadurch vergiftet wird. Ihre geistliche Kraft wird gebrochen und ihr geistliches Auge getrübt.
Römer 16, 17 gibt uns klare Anweisungen, wie wir uns Irrlehrern und Irrlehren gegenüber verhalten sollen: „Ich ermahne euch aber, liebe Brüder, dass ihr euch in acht nehmt vor denen, die Zwietracht und Ärgernis anrichten entgegen der Lehre, die ihr gelernt habt, und euch von ihnen abwendet!“ Hierhin gehört auch Titus 3, 10: „Einen ketzerischen Menschen meide, wenn er einmal und noch einmal ermahnt ist.“ Anstatt sich aber von solchen Menschen und ihrem nicht oder nur teilweise auf der Heiligen Schrift gründenden Kirchensystem abzuwenden und sie zu meiden, ruft der Gnadauer Verband seine Mitglieder immer noch dazu auf, sich ihnen anzuschließen und darin zu verharren. Dies zeigt u. a. die vor einigen Jahren von Pfarrer Christoph Morgner, dem Präses des Gnadauer Verbandes, geäußerte Meinung: „Wer ein Haus der Landeskirchlichen Gemeinschaft betritt, betritt den Boden der evangelischen Landeskirche. Wir erwarten daher, dass Gemeinschaftsleute auch Kirchenmitglieder sind“ (siehe dazu das durch den Chefredakteur des Informationsdienstes der Deutschen Evangelischen Allianz mit Pfarrer Morgner geführte Interview, Idea-Spektrum Nr. 23/1998, S. 14-17).
Pfarrer Morgner erwartet also, dass alle Gemeinschaftsleute auch Kirchenmitglieder sind. Ob unser Herr Jesus Christus das auch erwartet? Man studiere sorgfältig 2. Korinther 6, 14-7, 1!
b) Eckeharts Predigten in deutscher Sprache
Gedrängt von der Not der Menschen hielt Eckehart die meisten seiner Predigten in deutscher Sprache, um von seinen Zuhörern verstanden zu werden. Dies war in der Hauptsache auch der Grund, warum er so populär wurde. Hier war ein Mann, der dem gemeinen Volk etwas zu bieten hatte. Eckehart wirkte tief in die Seele des deutschen Volkes hinein. In seinen Predigten benutzte er den Wortschatz des Mannes auf der Straße. Darüber hinaus wurde er zu einem genialen Sprachschöpfer, der aus dem Brunnen des archaischen Untergrundes des deutschen Volkes schöpfte. In dieser Hinsicht ist er durchaus mit Luther und Goethe vergleichbar. Er benutzte die Paradoxie, die Hyperbel, die Häufung, die Antithese, die Verbindung von Position und Negation und den Zusammenklang der Gegensätze. Auffällig bei seinen deutschen Predigten ist auch, dass die deutschen Begriffe gegenüber den lateinischen Definitionen verschwommen und oft auch doppeldeutig sind, so dass selbst Fachleute bei der Übersetzung seiner Predigten ins Neuhochdeutsche Schwierigkeiten haben. Als Mystiker kämpfte Eckehart gegen die Sprache, da er glaubte, dass Gott sich im Schweigen und im Ungesagten offenbare und wurde so zum Sprachschöpfer, um seinen Gedanken Ausdruck zu verleihen.
In seinen Predigten vergleicht Meister Eckehart die Seele mehrfach mit einem Magneten. Die menschliche Natur könne nur vom Seelengrund her verändert werden. Die Seele ist dabei der Magnet, die Natur die Nadel, die an dem Magnet hängt: „... Wenn jemand eine Nadel an einen Magnetstein hängt und an diese Nadel eine zweite Nadel, auf welche Weise man wohl vier Nadeln an den Magnetstein hängen kann: Solang nur die erste Nadel an dem Magnetstein hängt, solang bleiben auch die anderen Nadeln alle an ihr hängen, und wenn die erste Nadel sich löst von dem Magnetstein, so lösen sich auch die anderen alle von ihr“ (Gerhard Lüben, Die Geburt des Geistes. Das Zeugnis Meister Eckeharts. Berlin: Westliche Berliner Verlagsgesellschaft Heenemann KG, 1956, S. 58-59).
In seiner Predigt über Matthäus 6, 33: „Zum ersten sucht das Reich Gottes“ sagt Meister Eckehart: „Nun verstehet mit Ernst: Gottes Reich ist er selbst und sein vollkommenes Wesen! Andererseits versteht man das Reich Gottes als die Seele; darum spricht er selbst: ‚Das Reich Gottes ist in euch’“ (Staehelin, op. cit., S.392). Gottes Reich und die menschliche Seele werden gleich gesetzt. Nach Eckeharts Theologie braucht der Mensch nur seine eigene Seele zu suchen und zu finden, um das Reich Gottes zu finden. Die neutestamentliche Bedeutung von Matthäus 6, 33 ist aber, dass man der Stimme Gottes gehorsam ist, den Willen Gottes tut und als Zeuge Jesu Christi in dieser Welt lebt.
Eine Stelle aus Eckeharts Predigt Nummer 10 zeigt seine Einstellung zu materiellen Dingen. In der Berührung mit dem Irdischen neigt die Seele sich „leibhaftigen Dingen zu und verliert da ihren Adel“ (Lüben, op. cit., S.70). Bei einem sorgfältigen Studium der Heiligen Schrift stellt man fest, dass der Mensch ein dreiteiliges, mindestens aber ein zweiteiliges, Wesen ist: Geist, Seele und Leib oder Seele und Leib. Nirgendwo in der Schrift wird gelehrt, dass der Leib der Seele gegenüber minderwertig ist. Der Leib wird zwar nach dem Tod des Menschen wieder zu Staub zerfallen, aber die Seele verliert nichts an Adel, wenn der Mensch sich der materiellen Werte wie Essen, Trinken, Sexualität usw. erfreut, sofern er diese in den in der Heiligen Schrift vorgezeichneten Bahnen gebraucht.
Abschließende Gedanken
In Meister Eckehart sehen wir einen brillanten Geist, der es verstanden hat, seine Gedanken zu formulieren und diese in seiner deutschen Muttersprache zu äußern und so einen tiefen Einfluss auf das deutsche Volk auszuüben. Er ist als der Meister der deutschen Mystik anzusehen. In den politischen und kirchlichen Wirren seiner Zeit waren seine Predigten ein Ruhepol für viele haltsuchende Menschen. Viele von seinen Anhängern haben auch bereitwillig ihr Leben für ihre Überzeugung gelassen.
Es bleibt uns, heute zu fragen: Sind wir bereit, für unsere Überzeugung zu sterben, wie es die Anhänger Meister Eckeharts waren? Oder würden wir lieber die Lehre der Bibel aufgeben, um unser Leben zu retten? Sind wir bereit, aus der Geschichte zu lernen und auf gemeindlichem, kirchlichem, ökumenischem Gebiet die nötigen Konsequenzen zu ziehen? Sind wir bereit, Irrlehre zurückzuweisen und uns davon zu trennen? Sind wir bereit, aus kirchlichen Systemen auszutreten, die nicht oder nicht mehr Gemeinde Jesu Christi im biblischen Sinn sind?