Eckart zur Nieden
Mein Name ist Markus
1979
Abschrift des Hörspiels „Mein Name
ist Markus“ aus einer Sendung des Evangeliums-Rundfunks.
Mein Name ist Markus, zu Deutsch: der Hammer. Johannes
Markus, wohnhaft in Jerusalem, das heißt, eigentlich in Alexandria. Nun, ich
bin fast so etwas wie ein Weltbürger geworden, man könnte höchstens sagen, dass
ich meinen ersten Wohnsitz in Jerusalem habe. Nur gelegentlich kehre ich
dorthin zurück. Ich hätte mir ja nie träumen lassen, dass ich mich einmal so
von meiner Heimat lösen würde.
Ich bin einer von denen, die sich nicht recht wohl fühlen,
wenn sie nicht ihren eigenen Schornstein rauchen sehen. Das hat mir auch
anfangs manche Schwierigkeiten gemacht. Später habe ich ein bestimmtes Image
bekommen: Markus, der Mann der Tat. In der Symbolik hat man mir sogar einen
Löwen zugeordnet. Ich muss sagen, das schmeichelt mir sehr, aber ich kann es
mir nicht erklären, vielleicht weil mein Name Markus so „markisch“ klingt?
Vielleicht, weil ich Jesus in meinem Evangelium als den Mann der Tat
geschildert habe? Und da meint man eben, da wäre was von meinem eigenen Wesen
eingeflossen. Das stimmt überhaupt nicht. Gerade weil ich so wenig von dem
Heldenhaften an mir hatte, hat mir die Gestalt Jesu imponiert. So wie er mich
beeindruckt hat, habe ich ihn geschildert. Weiter nichts. Wenn es aber wirklich
so sein sollte, dass ich das Bild eines mannhaften Gottesstreiters abgebe, dann
muss ich bekennen, das das allein Gottes Werk ist. Er hat mich zu dem gemacht,
was ich bin. Verstehen sie mich recht: Ich sage das nicht aus frommer
Bescheidenheit oder weil wir in unseren Kreisen es eben so gewöhnt sind, keinen
Ruhm für uns zu ernten und in allem Gott die Ehre zu geben, sondern es ist
wirklich so. Es lässt sich beweisen. Ich war ein Feigling. Ein zaghafter
Randsiedler, der ersten christlichen Gemeinde. Gott aber hat mich aus der
Sofaecke geholt. Er hat mich zu einem Streiter in seinem Reich gemacht. Er ganz
allein. Die Entwicklung dahin ging allerdings über eine lange Zeit. Da war viel
seelsorgerliche Hilfe nötig, viel Geduld der Brüder. Manche Rückschläge hat es
gegeben. Aber unser Herr gibt nicht auf. Dafür bin ich ein wandelndes Beispiel.
Aber nun genug der Vorrede, ich will endlich zu meiner Geschichte kommen. Sie
begann im Haus meiner Mutter. Es war sicherlich für meine ganze
Lebensgeschichte von Bedeutung, dass meine Mutter, Maria, ein großes Haus
besaß. Da sie zu den Frauen gehörte, die Jesus und seine Jünger finanziell
unterstützten, lag es natürlich nahe, dass wir sie oft zu Gast hatten. Ich
erlebte das alles mit, in räumlicher Nähe aber innerlicher Distanz. Ich war
damals noch sehr jung, fast eher ein Kind als ein Mann. Neugier zog mich zu all
den Dingen hin, die sich da ereigneten, aber nicht im tieferen Sinn ein
geistliches Bedürfnis. Sicher war es auch der erzieherische Einfluss meiner
Mutter, die mein Interesse weckte, aber viel stärker noch die Faszination, die
von Jesus ausging. Es ist ja bekannt, dass junge Leute sich nach Vorbildern
ausstrecken und dieser Mann aus Nazareth war in der Tat ein Leitbild, wie es
sich ein Halbwüchsiger nur wünschen kann. Eine unerklärliche Güte ging von ihm
aus. Man fühlte sich immer zugleich verunsichert und geborgen. Es war einfach
unmöglich in seiner Gegenwart so zu bleiben wie man war. Immer wusste man sich
auf geheimnisvolle Weise gemeint, wenn er sprach, so als spräche er nur für
einen selbst. Ich habe ihn nicht sehr oft gesehen, aber die wenigen Male sind
mir unauslöschlich in Erinnerung geblieben. Am lebendigsten aber ist mir die
Erinnerung an seine Gefangennahme. Ich hatte schon geschlafen, wie sich das für
einen wohlerzogenen Jungen gehört, da erwachte ich von einigem Tumult zu Hause.
Es hatte schon die vergangenen Tage etwas in der Luft gelegen, das auf eine
dramatische Zuspitzung der Ereignisse hindeutete. Ich wollte nichts verpassen,
schnell warf ich mir das Leinentuch über mit dem ich mich auf meinem Lager in
der nackten Haut zugedeckt hatte, es war ja warm und rannte hinaus. Jesus und
seine Jünger gingen wieder in Richtung Ölberg. Sie übernachteten dort immer,
hatte meine Mutter gesagt. Sie wusste aber nicht genau, wo. Die Neugier tritt
mich hinter ihnen her. Im schwachen Sternenlicht fiel mir gar nicht auf, das
nur elf der Jünger bei Jesus waren, das merkte ich erst später. In der
Ölbaumpflanzung Getsemaneh jenseits des Kidron-Tales machten sie Halt. Ich
konnte nicht näher heranschleichen, wenn ich nicht entdeckt worden wollte, so
wartete ich ab. Nach längerer Zeit bemerkte ich viele Lichter, die von der
Stadt herüberkamen. Irgendetwas Dramatisches schien sich anzubahnen. Ich kroch
noch tiefer in mein Versteck, dann waren sie da. Tempeldiener und Leute des
Hohenpriesters. Sie waren bewaffnet mit Schwertern und Spießen. Fackeln
erleuchteten die Szene. An der Spitze der Schaar: Judas. Mir stockte der Atem,
bei dem was sich nun abspielte. Judas gab Jesus, der den Häschern entgegentrat
einen Kuss. Das war offensichtlich ein Zeichen. Die Männer griffen nach ihm.
Petrus zog sein Schwert und verletzte einen der Männer. Jesus sprach, einige
der Tempeldiener stürzten zu Boden, aber der Meister nutzte nicht etwa die
Gelegenheit, zu fliehen. Im Gegenteil: Er heilte den Verletzten und ließ sich
dann willig gefangen nehmen. Das war den Jüngern unheimlich: Kämpfen wollten
sie noch für ihren Herrn, aber sich wehrlos gefangen nehmen lassen… Sie
schlugen sich rasch seitlich in die Büsche und suchten im Schutz der Dunkelheit
das Weite. Das war wohl auch nicht so ganz im Sinne der Pharisäer und ihres
Trupps. Man begann den Garten systematisch zu durchsuchen und da erst wurde mir
die Gefahr bewusst, in der ich schwebte. Wenn sie mich hier entdeckten, musste
ich ja da mit hineingezogen werden. Ich sprang auf und wollte fliehen, da
packte mich aber einer, der in der Nähe stand. Zum Glück erwischte er nur den
leinenen Überhang. Ich ließ das Tuch los und rannte nackt davon. Das Leinen
habe ich nie wieder gesehen. Aber, der Verlust war zu verschmerzen. Ich möchte
jedenfalls das Erlebnis in dem nächtlichen Garten nicht missen.
Und ein anderes Erlebnis ist mir noch sehr deutlich vor
Augen. Es war, nachdem Jesus gekreuzigt und wieder auferweckt und in den Himmel
aufgefahren war. Die Gemeinde sammelte sich nur heimlich im Haus meiner Mutter,
nachts, wenn es dunkel war, trafen sie ein, in kleinen Trupps, um nicht
aufzufallen. Nur auf ein bestimmtes Klopfzeichen wurde das Tor geöffnet. Ich
fand das alles verständlicherweise ungeheuer spannend, andererseits teilte sich
mir diese geheime Furcht mit. Weil ich damals noch nicht den lebendigen Glauben
an Jesus hatte, dem alle Macht gegeben ist, ängstigte ich mich. Als Jakobus,
der Bruder von Johannes enthauptet worden war, nahm die Angst zu. Aber
merkwürdig, die Jünger waren überhaupt nicht ängstlich. Man sollte doch meinen,
dass wenigstens Johannes, der Bruder des Ermordeten und Petrus, engster Freund
zurückgezogen hätten. Aber gerade die beiden waren die mutigsten Bekenner. Mich
beeindruckte das ungeheuer. Und ich begann etwas von der Kraft zu ahnen, die
Gott seinen Leuten gibt. Ja mehr noch: ich verlangte danach, auch diese Kraft
kennen zu lernen. Herodes fühlte sich herausgefordert, als die Apostel so mutig
auftraten und sich nicht einschüchtern ließen. Er ließ Petrus verhaften und für
einen der folgenden Tage seine öffentliche Verurteilung und Hinrichtung
festsetzen. Ich erinnere mich noch, als wäre es gestern gewesen, mit welcher
Inbrunst die Gemeinde in unserem Haus betete. Die Sache war doch hoffnungslos,
da noch länger zu beten, war reine Zeitverschwendung, fand ich. Zumal ja auch Jakobus
nicht durch das Gebet hatte gerettet werden können. Plötzlich wurde das Gebet,
mitten in der Nacht, durch Klopfen am Tor unterbrochen. Rode, unsere Magd, ging
um nachzusehen. Nach kurzer Zeit kam sie wieder und stammelte überglücklich,
Petrus stände draußen. Niemand wollte das glauben, das Wunder schien ihnen
allen nun wohl doch zu groß. Erst ein nochmaliges drängendes Klopfen brachte
ihnen in Erinnerung, dass jetzt eigentlich nicht der rechte Augenblick für
theologische Diskussionen war. Sie öffneten, und tatsächlich: Petrus stand
draußen. Alle wollten sich auf ihn stürzen und ihn jubelnd begrüßen, er aber
winkte mit der Hand, dass sie still sein sollten, erzählte kurz die Geschichte
seiner wunderbaren Befreiung durch einen Engel und verschwand dann wieder,
damit man ihn hier nicht finden sollte. Verstehen Sie, dass ich von all dem so
betroffen war, dass ich den Entschluss fasste, nun nicht mehr länger als
Zuschauer am Rande zu stehen, weil ich nun eben in das Haus gehörte. Ich wollte
auch zur Gemeinde Jesu gehören, ja, ihm selbst wollte ich gehören. Denn dass
hatte ich gemerkt, dass die Gemeinde nicht eine Schar von Leuten war, die nur
die Lehren eines leider verstorbenen Meisters pflegen und hochhalten wollten.
Nein, Jesus war selbst lebendig unter ihnen, wenn auch unsichtbar. Ich habe ja
das Ereignis von Pfingsten aus unmittelbarer Nähe miterlebt und begriffen: Hier
ist der Herr wieder lebendig zu seinen Leuten gekommen, für die er vorher
gestorben war. Aber so etwas muss man eben nicht nur mit dem Verstand
begreifen, man muss es ergreifen. Wie konnte das aber bei mir geschehen?
Was lag näher, als Petrus danach zu fragen, der ja bei uns
ein und ausging. Der musste es schließlich wissen. Das tat ich dann auch und er
half mir bei dem entscheidenden Schritt. Darum hat er mich später immer gerne
seinen Sohn genannt, seinen geistlichen Sohn.
So völlig anders von nun an meine innere Haltung war – ich
war nun ein Kind Gottes – ich gehörte jetzt Jesus, so wenig änderte sich
zunächst äußerlich. In der Gemeinde war ich ja schon fast zu Haus gewesen und
auch was meinen Lebenswandel betrifft, war keine völlige Umstellung nötig, war
ich doch ein wohlerzogener Sohn aus gutem Hause, sogar ein Levit. Wenn doch nur
all die guten und charaktervollen Menschen begreifen könnten, wie weit entfernt sie von der Gotteskindschaft
sein können. Wie gut aber, dass Christus jeden aufnimmt, das er keinen Versager
ausschließt. Mir selbst ist das so wichtig, weil ich gerade am Anfang meines
Lebens mit ihm so versagt habe. Noch heute schäme ich mich dessen. Aber ich
weiß, dass der Herr mit vergeben hat und darum kann ich die Geschichte auch
getrost erzählen, ich will mich ja nicht besser machen als ich bin, gerade das
ist das schlimmste was ein Christ tun kann.
Die Sache begann so. In Antiochien hatte sich eine große
christliche Gemeinde gebildet. Sie war vielleicht in mancher Hinsicht
lebendiger als die Gemeinde in Jerusalem. Dort hatte ein Prophet eine
wirtschaftliche Notzeit angekündigt, die sich besonders in Judäa auswirken
sollte. Mann sammelte daraufhin und schickte das Geld durch zwei Männer nach
Jerusalem. Einer von ihnen war Paulus, der früher, damals noch unter den Namen
Saulus, die Gemeinde energisch verfolgt hatte, bis ihn Christus überwand. Der
andere war mein älterer Vetter Josef aus Zypern, der allgemein nur Barnabas genannt
wurde. Als die beiden wieder nach Antiochien ziehen wollten, bestürmte ich
meinen Vetter, mich doch mitzunehmen. Ich war ja noch nie aus Jerusalem
herausgekommen und wollte wenigstens einmal Antiochien sehen, diese große
Metropole, in der es außerdem so eine lebendige Gemeinde gab. Barnabas nahm’
mich mit. Es entstand zwischen uns eine Freundschaft, die über die
verwandtschaftliche Bindung hinausging. Als wir einige Zeit in Antiochien
waren, wurde den führenden Männer dort durch den heiligen Geist klar, dass sie
nicht unter sich bleiben, sondern die Botschaft von Jesus Christus auch zu
denen bringen sollten, die bisher noch nichts davon gehört hatten. Paulus und
Barnabas wurden für diese Aufgabe bestimmt. Die beiden suchten noch einen
jungen Helfer, der ihnen, wenn sie ihre ganze Kraft auf Verkündigung und Gebet
konzentrieren mussten, in mancherlei äußeren Belangen zur Hand gehen konnte.
Barnabas schlug mich vor. Ich sagte zu und bald bestiegen wir ein Schiff und
fuhren nach Zypern. Ich sagte wohl schon, dass ich eigentlich an meinem Zuhause
hänge, aber war es die Abenteuerlust(?), die ich trotzdem mitgingen ließ oder
war es einfach das Wissen, dass ich etwas für Jesus tun sollte(?), jedenfalls
fuhr ich mit etwas gemischten Gefühlen. In Zypern ging dann alles noch recht
gut. Wir hatten sogar Eingang in den höchsten Kreisen. Der römische
Provinzverwalter empfing uns und war tief beeindruckt von dem, was Paulus und
Barnabas sagten.
Noch mehr davon, dass Paulus seinen Hof-Astrologen als
Strafe für seine dunklen Machenschaften für eine begrenzte Zeit Blindheit
ankündigte. Als das dann so kam, waren alle von Gottes Macht überzeugt, und das
war wohl auch der Sinn. Der Konsul wurde gläubig. Man kann sich denken, dass
wir es gut hatten auf der freundlichen Insel unter einer uns wohl gesonnenen
Regierung. Aber aus einem, mir damals völlig unerfindlichen Grund drängte
Paulus weiter. Schließlich fuhren wir wieder nach Kleinasien hinüber zur
Hafenstadt Perge. Und dort – ja es hilft nicht, lange darum herumzureden – ich
ging stiften. Ich trennte mich von den beiden und fuhr auf eigene Faust nach
Jerusalem zurück. Natürlich könnte ich es mir bequem machen und das Ganze mit
jugendlicher Unreife entschuldigen, natürlich gab es reichlich Gründe dafür.
Wir kamen in das raue Bergland, die Macht Roms war hier nur sehr begrenzt, weil
auch die Römer sich hier nicht sehr gerne in dieser unbequemen Gegend
aufhielten. Straßenüberfälle waren hier an der Tagesordnung, die Leute pflegten
ihre Meinungsverschiedenheiten lieber mit Handgreiflichkeiten als mit Worten
auszutragen, was ja auch Paulus später am eigenen Leib erfahren musste. Ein
bisschen mag auch bei meinem Entschluss mitgewirkt haben, dass ich mir zu
schade war, für einen unbeachteten Hilfsdienst, während alle Leute immer nur von
Paulus und Barnabas sprachen. Ich fiel dabei gar nicht auf, dabei war ich doch
auch jemand, kam aus einer der ersten Familien in der Urgemeinde in Jerusalem,
hatte – im Gegensatz zu den beiden – Jesus bei seinen Lebzeiten als Mensch
selbst gesehen und mit seinen Jüngern engen Kontakt gehabt. Heute weiß ich
natürlich, das das alles ziemlich unsinnige Gedanken sind. Gründe hatte ich
reichlich für meine Flucht, aber sie sind keine Entschuldigung. Im Gegenteil:
Meine Feigheit und mein Hochmut klagen mich an.
Nun, es ist geschehen und lässt sich nicht mehr rückgängig
machen. Im Gegenteil – die Sache hatte noch weit reichende Folgen. Als ich
später zur Besinnung gekommen war, habe ich um Vergebung gebeten. Bei meinen
Herrn und Brüdern, vor allen aber bei meinem himmlischen Herrn. Als Paulus dann
mit Barnabas zu einer erneuten Reise aufbrechen wollte, schlug mein Vetter vor,
mich wieder mitzunehmen. Da aber war Paulus strikt dagegen. Sie gerieten hart
aneinander, was damit endete, dass Paulus mit Silas nach Kleinasien zog,
Barnabas aber mit mir nach Zypern. Ich verstehe Paulus natürlich in seiner
Reaktion. Wir sind auch später wieder in ein gutes brüderliches Verhältnis
eingetreten. Ich konnte wieder mit ihm zusammenarbeiten und die Sache war
vergeben und vergessen. Er hat sogar später öffentlich gesagt und geschrieben,
dass ich ihm für seinen Dienst nützlich wäre. Ich erzähle Ihnen dass auch
nicht, um einen alten Groll aufzuwärmen, sondern um deutlich zu machen, welche
Veränderung Jesus bei mir bewirkt hat. Vielleicht ist das Wort „Veränderung“
auch gar nicht der richtige Ausdruck, ich habe gar nicht etwa das Gefühl, ich
sei über jene Schwäche längst hinaus – im Gegenteil: Im Grund bin ich auch
heute noch auf der einen Seite stolz und eingebildet auf der anderen Seite
feige und zurückhaltend. Kurz: ein Versager. Aber weil Christus mehr und mehr
die Herrschaft über mich bekommen hat, hält er all das unter Kontrolle. Ich bin
von ihm abhängig. Ich muss nicht nach meinen eigenen Regungen handeln, nach
Angst und Ich-Sucht, die immer noch da sind, sondern ich lasse mich von ihm
leiten.
Aber bis dahin hatte der Herr noch einige Arbeit mit mir und
so sehr ich Paulus verstehe mit seiner Ablehnung, es war mir doch eine große
Hilfe, dass Barnabas es noch einmal mit mir versuchte. Wie gut, wenn man
jemanden hat, der da ist, wenn man strauchelt, der einem wieder zurecht hilft
und einen ermuntert, wieder die ersten Schritte vorwärts zu tun. Aber der auch
weiß, das solch eine Betreuung eine Grenze haben muss, wenn man den anderen nicht
gängeln will. Und da war Barnabas ein guter Seelsorger. Er hielt mich nicht bei
sich fest, sondern sorgte dafür, dass ich auch wieder an anderen
Front-Abschnitten des Reiches Gottes zum Einsatz kam. So kam dann auch wieder
die brüderliche Verbindung zu Paulus zustande und so wurde ich vor allem ein
enger Mitarbeiter von Petrus. Darüber freute ich mich natürlich besonders. Mit
ihm – meinen geistlichen Vater – verband mich ein besonders herzliches
Verhältnis. Längere Zeit war ich mit ihm auf Reisen und dann in Rom. Ich war
sein Dolmetscher, sein Schreiber und… das darf ich wohl sagen…auch einfach sein
Bruder, der ihm zur Seite stand, wenn er mutlos werden wollte. Viel mehr aber
als er von mir, habe ich von ihm geistliche Hilfe erfahren. Ungezählte gemeinsame
Erlebnisse haben uns näher zusammen gebracht. Haben uns aber vor allem beide
näher zu Jesus gebracht. Er ist ja der Mittelpunkt unseres Lebens. Es geht im
Grunde nicht um unsere Gemeinschaft untereinander, sondern in erster Linie um
unsere Gemeinschaft mit Jesus. Ihn müssen wir alle mehr und mehr kennen lernen.
Wir merken bei unserem Dienst, wie wichtig es war, dass die Christen, die
früher keine Juden, sondern Heiden gewesen waren, mehr von Jesus erfuhren.
Überall mussten wir unsere Erlebnisse mit ihm erzählen, vor allem natürlich
Petrus. Die Zeit reichte kaum, mit unseren Berichten in alle Gemeinden zu
kommen – und es war ja so viel zu erzählen. Da kam der Gedanke auf, alles das,
was wir mit Jesus erlebt hatten, nieder zu schreiben. So konnte es aufbewahrt,
abgeschrieben und überall vorgelesen werden. Ja, und diese Aufgabe viel mir zu.
Manches konnte ich aus eigener Erfahrung aufschreiben, das meiste aber übernahm
ich natürlich von Petrus. Einen zuverlässigeren Augenzeugen als ihn gab es ja
wohl kaum. Daraus wurde dann die Schrift, die Sie als das Markus-Evangelium
kennen. So ist also mein Name in die Geschichte eingegangen. Ein Name, der es
eigentlich gar nicht Wert gewesen wäre. Wer bin ich denn schon? Ein Mann, der
von sich aus, sicher zu keiner historischen Großtat fähig gewesen wäre. Aber
mein himmlischer Vater hatte es in seiner Güte so beschlossen, dass
ausgerechnet ich das erste Evangelium schreiben durfte. Später übrigens haben
dann auch andere den Gedanken übernommen und noch etwas ausführlicher die
Geschichte Jesu niedergeschrieben. Levi oder Matthäus, der ja auch zu den Zwölf
gehörte, dann Lukas, der Arzt, der mit Paulus unterwegs war und zuletzt noch
Johannes, als er schon ein Greis war. Ich freue mich darüber. Jeder hat andere
Dinge für wichtig angesehen, hat manches anders in Erinnerung gehabt. So rundet
sich das Bild viel besser ab, dass sich alle, die das lesen, von Jesus machen
können. Unvollständig bleiben all diese Berichte natürlich immer noch. Man kann
einfach den Eindruck, den Jesus auf uns gemacht hat, nicht in Worten
wiedergeben. So viele Jahre ist es nun schon her und doch ist mir sein Bild vor
Augen, als sähe ich ihn jetzt. Solch einen unauslöschlichen Eindruck hat er bei
mir hinterlassen. Aber von der Erinnerung allein kann ich natürlich heute nicht
leben. Wie gut, dass er heute noch gegenwärtig ist. Dass mir heute seine Kraft
zufließt. Ein Leitbild, dass ich als halbwüchsiger hatte, hätte mich sicher
nicht so prägen können, wie es der Auferstandene selbst getan hat und noch tut.
Nur er, der durch seinen heiligen Geist in mir wohnt, konnte aus einem feigen
Versager einen brauchbaren Gottesstreiter machen. Nur er konnte mir auch die
Kraft geben, nachdem dem Petrus in Rom den Märtyrertod gefunden hatte, allein
weiter zu kämpfen. Nun hatte ich meinen väterlichen Freund nicht mehr, aber ich
hatte einen Vater im Himmel. Ich suchte auch bewusst nicht die anderen, um nun
mit ihnen gemeinsam zu wirken, etwa Paulus auf seinen Reisen durch das
Mittelmeer und alle angrenzenden Länder, Johannes in Ephesus, Jakobus, der
Bruder des Herrn in Palästina, Thomas sogar im fernen Indien. Sie alle blieben
ja auch nicht beieinander um von den alten Zeiten zu schwärmen und sich
gegenseitig zu stärken, sondern sie zogen hinaus und erwarteten die Stärkung von
Jesus. Sie erfüllten damit seinen Befehl. Das wollte ich auch tun. Ja und so
zog ich dann – der ehemals heimwehkranke Jugendliche – als Erwachsener, als im
Glauben gewachsener nach Ägypten. Dort in Alexandria, in einem Kulturkreis, der
sich sowohl von dem jüdischen als auch von dem römischen unterschied, gründete
ich in der Kraft des Christus eine Gemeinde und wurde Bischof. Ja, damit ist
meine Geschichte eigentlich schon zu Ende erzählt. Ob ich Ihnen damit ein
bisschen Mut machen konnte? Mut, mit der Kraft Christi zu rechnen. Mut, seiner
Führung zu vertrauen. Mut, seine Gnade in Anspruch zu nehmen, die auch noch die
Nieten in seinem Reich gebrauchen kann. Ich sagte, meine Geschichte hätte ich
Ihnen erzählt, aber ich sollte eigentlich zutreffender sagen: Die Geschichte
Jesu mit mir.