5. Juni 1980
24. Ludwig-Hofacker-Konferenz
„Ich sehe bei mir nichts
davon“, so sagte ein jüngerer Mann, der mir im persönlichen Gespräch gegenüber
saß, „ich habe zwar um Vergebung gebeten, aber das schlechte Gewissen und die
Folge früherer Verfehlungen sind noch da; so wird mir die Vergebung wieder
zweifelhaft. Vielleicht ist auch in meinem Leben anfangsweise
etwas neu geworden, und ich habe einige Fortschritte gemacht; aber jetzt habe
ich den Eindruck, bei Licht besehen bist du halt noch der Alte, ja du kommst
rückwärts statt vorwärts. Gewiss, auch ich habe andern etwas vom Glauben an
Gott gesagt, einigen Kollegen; aber irgendeinen Erfolg sehe ich nicht. Andere
Christen sagen von großen Glaubenserfahrungen; ja,
einige Male hatte ich den Eindruck, dass auch meine Gebete erhört werden; aber
jetzt drängt sich mir der Eindruck auf, Gott hört gar nicht hin, wenn ich bete.
Bei mir sehe ich rundherum nichts.“
Vielleicht blicken uns
auch Menschen, die solche Anfechtungen haben, fragend an. Was sollen wir ihnen
antworten? Ein Tag wie der heutige soll uns nicht nur für uns selber etwas
bringen, sondern er soll uns auch zurüsten dafür, dass wir andern einen Dienst
tun können. Aber vielleicht ist das auch unsere eigene Not und Anfechtung,
heute oder morgen: „Bei mir sehe ich rundherum nichts.“
Im Blick auf derartige
Anfechtungen weist uns das Neue Testament wiederholt auf Abraham hin: In der Nacht
unter dem Sternenhimmel sprach Gott mit ihm und er mit Gott. Abraham war aus seiner
Heimat und seiner Sippe ausgezogen auf die Weisung Gottes hin und seine
Verheißung, Gott werde ihn und seine Nachkommenschaft ein Segen sein lassen für
alle Völker. Mit ihm sollte eine Segenslinie in vielen Generationen beginnen;
mit ihm und seiner Nachkommenschaft wollte Gott Heilsgeschichte machen. Aber
nun war er auch nach den damaligen Maßstäben ein alter Mann und seine Frau
Sara, die drüben im Zelt schlief, war ebenfalls alt. Und sie hatten noch nicht
das erste Kind. Da sprach Gott zu ihm: „Sieh gen Himmel und zähle die Sterne;
kannst du sie zählen? So zahlreich sollen deine Nachkommen sein!“ Da glaubte
Abraham Gott aufs Wort. So ganz klar war das auch bei Abraham nicht immer; aber
er rang sich immer wieder dazu durch. Gott überwand ihn immer wieder dazu: Er
glaubte Gott aufs Wort. Das hat ihn Gott hoch angerechnet. Es heißt in dem
alten Bericht: „Abraham glaubte dem Herrn, und das rechnete er ihm zur
Gerechtigkeit“ (1. Mose 15, 1-6).
Auch wir wollen dieser
Abraham sein, der allem Augenschein zum Trotz Gott glaubt aufs Wort:
(1) Wir wollen Gott
glauben aufs Wort im Blick auf die Vergebung unserer Schuld. Da will uns
noch unser Gewissen anklagen. Und wir haben vielleicht auch täglich die Folgen
vergangener Schuld vor Augen, die uns als Strafe Gottes für unsere Sünden
erscheinen. Aber Gottes Wort sagt: „Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes,
macht uns rein von aller Sünde“ (1.
Johannes 1, 7). „Gott warf unser aller Sünde auf ihn; die Strafe lag auf ihm,
auf dass wir Frieden hätten (Jesaja 53, 5-6). „Er ist um unserer Sünden
willen dahingegeben“ (V. 25). Der Vater hat dem Sohn „alles Gericht
übergeben“ (Johannes 5, 22). Und nun sah er uns, wie zusammengewachsen mit
unserer Schuld, auf seinen Richterthron zukommen, und er hätte uns alle nach
der ewigen Gerechtigkeit verurteilen müssen. Doch da ist er auf den Wink des
Vaters in seiner Barmherzigkeit mit uns Menschen still niedergetreten von
seinem Richterthron und hat sich an unsere Seite gestellt, sich unsere Last mit
allen Folgen selbst aufgelegt und gesagt: Wenn schon gerichtet werden muss,
dann will ich gerichtet werden. Wenn schon verurteilt werden muss, dann will
ich verurteilt werden. Wenn schon gestorben werden muss, dann will ich sterben.
So ist die Voraussetzung für unsere Vergebung geschaffen. Wir brauchen sie nur
noch für uns erbitten, wie die Schrift sagt: „ Wer den Namen des Herrn anrufen
wird, der wird gerettet werden“ (Joel 3, 5; Apostelgeschichte 2, 21; Römer 10, 13).
Wenn irgendwo, dann gilt
hier: „Bittet, so wird euch gegeben.“ Wir können uns an Jesus, den
gekreuzigten, auferstandenen und gegenwärtigen Herrn halten und uns in ihm
bergen. So sind wir Gott recht. So sieht Gott, wenn er uns anblickt, nicht mehr
uns sündige Menschen, sondern einen andern, den mit der Dornenkrone und den
Wundmalen; und sein wundervolles Zeugnis gilt uns: „Dies ist mein lieber Sohn,
an dem ich Wohlgefallen habe.“ Paulus schreibt hier: „Er ist Zu unserer
Rechtfertigung auferweckt“ (V. 25). Wir wollen dann uns nicht noch weiter
mit alter Sünde abquälen und dabei sogar meinen, das sei fromm und bußfertig.
Nein, es wäre Unglaube und Verunehrung Gottes. Es soll vielmehr bei uns wie bei
Abraham heißen: „Er zweifelte nicht durch Unglauben an der Verheißung
Gottes, sondern war stark im Glauben und gab Gott die Ehre“ (V. 20).
(2) Wir wollen Gott
glauben aufs Wort auch im Blick auf die Neuschaffung unseres Lebens. Wir
mögen im Blick auf uns selbst die enttäuschende Feststellung treffen: Du bist
doch noch immer der Alte, und du bleibst der Alte; schreib nur alle Hoffnungen,
dass du je einmal weiterkommst, ab; so wie du bist und von jeher warst, so
wirst du auch einmal in die Ewigkeit gehen müssen. Doch Gottes Wort sagt: „Ist
jemand in Christus, so ist er eine
neue Kreatur“ (2. Korinther 5, 17), eine Neuschöpfung durch Gott. Wenn du nur
dein Leben ihm anbefohlen hast, in seine Hand und seine Verfügungsmacht gelegt
und ihn hast an dir arbeiten lassen, dann wird das Neue über das Alte obsiegen.
Und er wird termingemäß, für das große Fest, mit seinem Werk an dir fertig. Die
Schrift sagt: „Der in euch angefangen hat das gute Werk, der wird's auch
vollführen bis auf den Tag Jesu Christi“ (Philipper 1, 6). Auch hier wollen wir
der Abraham sein, der „geglaubt hat auf Hoffnung“, in der Hoffnung auf
Gott, „da nichts zu hoffen war“ (V.
18). Wir wollen nicht im Spiegel unser eigenes Bild betrachten, da sehen
wir wenig oder nichts, sondern der Aufforderung in der Schrift folgen: „Lasset
uns wegsehen auf Jesus, den Anfänger und
Vollender unseres Glaubens“' (Hebräer 12, 1-2).
(3) Wir wollen glauben
aufs Wort auch im Blick auf
unsere Wirksamkeit. Gerade in unseren wachsten und ehrlichsten Stunden
kann uns der bedrängende Gedanke überfallen: bei Licht besehen ist im Grund der
Ertrag meines Lebens und meiner Wirksamkeit vor Gott gleich null. Alles, was
ich getan habe und was ich einmal Gott bringen wollte, wird mir nun fraglich.
Ich werde bei ihm einmal mit leeren Händen ankommen. Doch wir wollen auch hier
gegen allen Augenschein Gott, unserem Herrn Jesus Christus, glauben aufs Wort.
Und er sagt: „Bleibet in mir, dann bleibe ich in euch, und so bringet ihr viele
Frucht“ (Johannes 15, 5); halt dich an mich; birg dich in mir; gib mir in dir
und durch dich als dem Heiligen Geist und seinen Gaben Raum. Weil Jesus
auferstanden ist und den Feind überwunden hat, ist auch das schreckliche „Umsonst“
überwunden. Was wir unserem Herrn in die Hände legen, ist nicht mehr umsonst
getan. „Eure Arbeit ist nicht vergeblich in dem Herrn“ (1. Korinther 15, 58).
Und insbesondere gilt, wo wir andern Menschen Gottes Wort bringen: „Mein Wort
wird nicht leer zurückkehren“ (Jesaja 55, 11). – Ein Geschäftsmann Ende dreißig
kam zum Glauben. Und er sagte dann: „Das hatte bei mir eine lange
Vorgeschichte. Als fünf-, sechsjähriger Junge wurde ich von meinen Eltern, die
nicht glaubten und die beide ins Geschäft gingen, täglich zu einer alten, gehbehinderten
Nachbarin gebracht, die mich betreuen sollte. Diese holte ein oder zweimal in
der Woche ein Buch mit biblischen Bildern hervor, erzählte jeweils die
dazugehörige Geschichte und betete kurz mit mir; alles, was zu meiner Welt
gehörte, brachte sie vor Gott. Dabei kam etwas überaus Wohltuendes, Hilfreiches
auf mich zu. Wenig später zogen wir weg, aber das Heimweh nach dem, was ich
hier verspürt hatte, verlor ich nie, bis ich nun, von einem Kollegen in seine
Gemeinde eingeladen, voll zum Glauben durchdrang.“ So kann uns Gott, ohne dass
wir's auch nur ahnen, als Mittel in seiner Hand gebrauchen dazu, einen Menschen
ein Stück weiter zu bringen auf dem Weg zu seinem Ziel. Paulus schreibt hier:
„Abraham wusste aufs Allergewisseste: was Gott verheißt, das kann er auch
tun“ (V. 21). Joachim Neander, der vor nun dreihundert Jahren verstorbene
Dichter des Liedes: „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“ hat
gesagt: „Ich will mich lieber zu Tode hoffen, als durch Unglauben verloren
gehen.“ Dieses Vertrauen, diese Hoffnung soll sich insbesondere auch auf die
Rettung anderer beziehen. – Das gilt auch im Blick auf die uns anbefohlenen
Kinder, dass auch sie zum Glauben kommen. Vielleicht sehen wir auch hier wenig
oder nichts. Doch auch da wollen wir, allem Augenschein zum Trotz, Gott glauben
aufs Wort, wie in der Schrift gesagt wird: „Glaube an den Herrn Jesus, so wirst
du und dein Haus gerettet.“ Noch
einmal: „Abraham wusste aufs Allergewisseste: was Gott verheißt, das kann er
auch tun.“ Und Johann Christoph Blumhardt, der vor nun 150 Jahren verstorbene,
sagte: „Uns ist geboten, auszuharren und bei den Verheißungen zu bleiben.“
(4) Wir wollen Gott
glauben aufs Wort im Blick auf unser Gebet. Manche werden denken: Gewiss,
in kleineren Dingen erlebe ich Gebetserhörungen und Durchhilfen,
aber in den wichtigen, mir auf den Nägeln brennenden Dingen, da bewegt sich
nichts: in meinem labilen Gesundheitszustand, in meinen bedrängenden
Verhältnissen, persönlich, in der Familie, im Haus oder am Arbeitsplatz, ebenso
in unserer Gemeinschaft, in unserer Gemeinde und im Kreis ihrer
Gottesdienstbesucher (da sind ältere Leute weitgehend unter sich, und der
Schwund hält an), in der Bitte um eine geistliche Erneuerung in unserem Land
und in unserem ganzen Volk und um einen grundlegenden Wandel unter den vielen
süchtig gewordenen oder ideologisch verdrehten jungen Menschen, in der Bitte, dass
doch die vielen einzelnen, die uns aufgetragen sind und deren Namen in unseren
Fürbittelisten stehen, zum Glauben kommen. Es hat jemand gesagt: „Heute sind
viele für das Evangelium so, wie wenn ich mit der Waldsäge ein Stück von einem
Baumstamm abschneide, es aufrichte und damit Ultrakurzwellen empfangen will.“
Aber es soll bei uns sein wie bei Abraham, von dem hier gesagt wird, dass er „Gott
geglaubt hat, dem, der die Toten lebendig macht und ruft dem, was nicht ist, dass
es sei“. Wir wollen eindeutig bei der Verheißung bleiben: „Bittet, so wird euch gegeben“ – nicht immer so und
zu der Zeit, wie wir's uns denken, aber richtiger und zur richtigeren Zeit als
wir's wissen können. „Vor Gott ist kein Ding unmöglich.“ „Sein Rat ist
wunderbar, und er führt es herrlich hinaus.“ Wir wollen niemand abschreiben.
Wir wollen im Blick auf niemand vor dem Feind kapitulieren. Gerade auch in
dieser Hinsicht wollen wir „uns lieber zu Tode hoffen, als durch Unglauben verloren
gehen“.
(5) Wir wollen Gott
glauben aufs Wort auch im Blick auf den Ausgang, den alles nimmt. Viele fürchten
heute, so wie die Verhältnisse gelagert und die Menschen geartet sind, sei
schließlich ein Endkampf um die Reste der Vorräte auf dieser Erde, Öl usw.,
früher oder später, unausweichlich, und das Verhängnis sei, dass gerade auf
diese Zeit sich die Menschheit ihre Selbstmordwaffe verschafft habe. Auch
Christen sind hier geneigt, nur „auf das Sichtbare zu sehen“, auf die
menschlichen Gegebenheiten, wie die andern, nicht aber auf das Unsichtbare, den
Unsichtbaren, den lebendigen Gott. Sind auch wir in dieser Versuchung? Da werden
wir durch dieses Schriftwort aufgerufen, mit nichts so zu rechnen wie mit Gott
und seinen Verheißungen: Dass der, der das erste Wort über dieser Erde
gesprochen hat: „Es werde“, auch das letzte spricht: „Siehe, ich mache alles
neu.“ Unser Herr Jesus Christus konnte in der Mitte der Geschichte am Kreuz
rufen: „Es ist vollbracht!“ Sein Fuß berührte diese Erde. Sein Blut benetzte
sie. Sein Leib lag in einem Grab dieser Erde. Er lässt nicht zu, dass der Wahn
der Menschen und die Grausamkeit der Dämonen die letzte Hand an diese Erde
legen. Vielmehr nimmt er alles in seine gute Hand, dann, wenn er seine Macht
und Hoheit offenbart und diese Erde in Gerechtigkeit und Frieden regiert
(Offenbarung 19, 11ff.). Insbesondere hier gilt es „auszuharren und bei den Verheißungen
zu bleiben“. Und wenn wir zuvor uns noch zum Sterben niederlegen müssen und wir
ganz und gar keine Vorahnung der Seligkeit fühlen, sondern kaum einen Gedanken
fassen können vor lauter Schmerzen, Atemnot, Übelkeit und Schwachheit, dann lasst
uns nur den einen Gedanken haben: „Herr, in deiner Hand!“ Und lasst uns das ihm
jetzt schon sagen: „Herr, in deine Hand befehle ich mich, du guter Hirte!“ Dann
kann uns nichts aus dieser Hand reißen und sie wird uns über den Abgrund des
Todes heben und heim nehmen zu unserem Herrn. Er hat gesagt: „Ich gehe hin,
euch die Stätte zu bereiten, auf dass ihr seid, wo ich bin!“ „Ich lebe, und ihr
sollt auch leben.“ So wird alles gut. Auch wir wollen dem Herrn glauben aufs
Wort, „der da lebendig macht die Toten und ruft dem, was nicht ist, dass es
sei“ (V. 17). Sein Wort ist
unseres Herzens Freude und Trost. Ihm wollen und können wir vertrauen.