67. Bibelkurs                                                                                                                 BK 67

 

                                      Wer ist Jesus Christus? III

                 Jesu Umgang mit Menschen und mit der Welt

 

            Wenn wir Jesus Christus in den Evangelien studieren, dürfen wir nicht vergessen, dass es das Ziel Gottes mit einem Christen ist, dass wir Christus ähnlich werden, dass wir „IHM gleich sein sollen“ schreibt Paulus. (Römer 8, 29). Das ist wirklich das Ziel Gottes, obwohl es manchen unerreichbar erscheint. Wenn Gott so ein hohes Ziel setzt, dann zeigt ER uns auch die Wege und hilft uns, dieses Ziel zu erreichen.

            Eine Hilfe dafür ist es, wenn wir erfahren, was ein Rabbi für eine Person ist. Als Gott Seinen Sohn auf die Erde schickte, wählte ER ausgerechnet das jüdische Erziehungssystem des ersten Jahrhunderts und ließ Jesus als Rabbi aus einer Stadt namens Nazareth zu den Menschen kommen.

            Elf Mal wird Jesus von Seinen Jüngern in den Evangelien als Rabbi angeredet. Gleich am Anfang fragen ihn die Jünger, als Johannes der Täufer sie auf Jesus hingewiesen hatte: „Rabbi, wo bist Du zur Herberge?“ (Johannes 1, 38) - und Nathanael sagt bei der ersten Begegnung zu Jesus: „Rabbi, Du bist Gottes Sohn, Du bist der König von Israel.“ (Johannes 1, 49) Am Schluss der Evangelien sagt Jesus: „Einer ist euer Meister (= Rabbi), ihr aber seid alle Brüder. Einer ist euer Lehrer (= Rabbi): Christus.“ (Matthäus 23, 8+10). Beim Abendmahl fragte Judas: „Bin ich’s, Rabbi?“ und sein letztes Wort an Jesus vor der Gefangennahme war: „Sei gegrüßt, Rabbi! - und küsste Ihn.“ (Matthäus 26, 25+49) Maria Magdalena begrüßt den Auferstandenen mit „Rabbuni!“ (= „mein Rabbi“) (Johannes 20, 16).

            Was ist ein Rabbi in Israel zur Zeit Jesu?

In jedem Dorf gab es eine Synagoge und einen Tora-Lehrer, einen Rabbi. Mit sechs Jahren kamen die Kinder bei ihm in den Unterricht und lernten die Heilige Schrift. Mit zehn Jahren konnten sie die Tora ( = die 5 Bücher Mose) auswendig, mit 14 Jahren den Rest des Alten Testaments. Als Maria schwanger war, singt und betet sie das „Magnifikat“ (Lukas 1), eine ganze Serie von Zitaten aus den Psalmen und den Propheten, die sie einmal auswendig gelernt hatte. Der Text des Alten Testaments war bei jedem Juden im Kopf und im Herzen fest verankert. Die Lehre eines Rabbi nannte man „Joch“. Dieses Wort verwendet auch Jesus: „Mein Joch ist sanft“ (Matthäus 11, 30). Der Rabbi hält Ausschau nach Talmidim (= Schüler), die seine Lehre weitergeben können. Die entscheidende Frage bei dieser Suche lautete: „Kann dieser Schüler sein so wie ich?“ Wenn er dann sagt: „Komm und folge mir nach!“, dann bedeutet das: „Dieser Junge kann es schaffen. Er kann tatsächlich so sein wie ich.“ Die Schüler setzten alles ein, so zu sein wie der Rabbi. Alles, was der Rabbi machte, machte man auch. Der Jünger will beten wie sein Rabbi, auswendig lernen wie sein Rabbi, reden wie sein Rabbi, gehen wie sein Rabbi. Ein großer Wunsch lautete: „Mögest du dich so sehr bemühen, so zu sein, wie dein Rabbi, dass du so nah hinter deinem Rabbi hergehst, dass dein ganzes Gesicht mit dem Staub des Rabbi bedeckt ist.“ –                                       Warum folgten die Jünger Jesus? Sie waren überzeugt: „Dieser Rabbi glaubt, ich kann so sein wie er. Er meint fest: ich kann es schaffen.“ – Diese Gedanken spielen in Matthäus 14 eine Rolle, wo Jesus, auf dem Wasser gehend, dem Petrus zuruft: „Komm her!“ – „Und Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser.“ – Was der Rabbi tut, das tut auch Sein Jünger. Das ganze rabbinische System basierte darauf, dass der Rabbi sagte: „Du kannst es schaffen. Du kannst das Gleiche schaffen wie ich.“ Wir sollen nicht vergessen, dass Jesus gleichsam sagt: „Nicht du hast Mich erwählt, sondern ICH habe dich erwählt (Johannes 15, 16) Denn Ich glaube, dass du so sein kannst wie ICH. ICH habe dich berufen, du kannst es schaffen. Vertraue Mir!“ – Von daher verstehen wir den Apostel Paulus, der ein Schüler des Rabbi Gamaliel (Enkel des berühmten Rabbi Hillel) in Jerusalem war, etwas besser, wenn er so oft (über 100 mal) davon spricht, dass wir als Christen Menschen „in Christus sind“. Auch Jesus selbst hat diese Redewendung häufig benützt: „... wer in Mir bleibt und ICH in ihm, der bringt viel Frucht, denn ohne Mich könnt ihr nichts tun“ (Johannes 15, 5) – oder im hohepriesterlichen Gebet, wo Jesus das drei Mal verwendet: „... ICH in ihnen und DU (Vater) in Mir, damit sie vollkommen eins seien...“ Dieses große Gebet schließt mit dem Satz: „... damit die Liebe Gottes in ihnen sei und ICH in ihnen.“ (Johannes 17, 10.23.26). Dieses Denken, das die Theologie des Paulus so sehr prägt, hat seine Wurzeln im rabbinischen Denken. Die Jünger, ein-fache Fischer vom See Genezareth, waren von Anfang an mit diesen Gedanken vertraut: „So wie unser Rabbi können wir auch sein!“ Wenn wir an den „Staub des Rabbi“ denken (siehe oben!), der uns bedecken soll, bedeutet das: je enger wir mit Jesus und Seinem WORT verbunden sind, je mehr wir im Gespräch und im Gebet mit Jesus Verbindung pflegen, desto mehr geht Seine Art auf uns über. Wie es schon das alte Sprichwort sagt: „Sage mir, mit wem du umgehst, und ich sage dir, wer du bist.“ (Pastor Rob Bell in Grandville/ Mich.-USA beschreibt in seinen Predigten ausführlich die Situation in Israel zur Zeit Jesu; siehe die Zeitschrift AUFATMEN Juli 2005).

 

I. JESU Umgang mit Menschen

 

Jesus war ein Mensch wie wir, sagt der Apostel. ER hatte nie „Berührungsängste“ (wie man heute oft sagt). ER hat mit allen Menschen Umgang gepflegt, ohne jemand auszugrenzen. Aber in einer Hinsicht ist ER doch anders als wir: „ER kennt alle Menschen, ER durchschaut sie alle bis auf den Grund ihres Wesens.“ (Johannes 2, 24+25). „ER sieht ihre Gedanken“ (Matthäus 9, 4) Man konnte Jesus nicht täuschen und Ihm auch nichts vormachen. Wenn Jesus jemand begegnete, dann war Ihm die ganze Vergangenheit dieses Menschen gegenwärtig (Johannes 4, 18: „... fünf Männer hast du gehabt...“). Deshalb ist es interessant, die Begegnungen mit Jesus in den Evangelien zu studieren.

 

1. Jesus und die Familie. Jesus ist in Nazareth im Kreise seiner Familie aufgewachsen. ER lebte zusammen mit einigen Geschwistern (Markus 6, 3) Die Lebenserwartung in jener Zeit in den Dörfern Galiläas lag bei 30 bis 40 Jahren. Mit ca. 25 Jahren hatten die meisten keine Zähne mehr, weil die Ernährung so schlecht war. Als Jesus mit etwa 33 Jahren am Kreuz gestorben ist, starb Er in einem für damalige Zeit durchschnittlichen Lebensalter. Über die Kindheit und Jugendzeit Jesu erfahren wir fast nichts, - außer dem Besuch des 12-Jährigen im Tempel in Jerusalem (Lukas 2). Im zweiten Jahrhundert hat die Fantasie in einigen Gemeinden seltsame Kindheitslegenden von Jesus hervorgebracht. Aber die Bibel legt einen Schleier über das Werden Jesu in seiner Familie. – Es zeigt sich hier, dass im religiösen Bereich beim Menschen eine große Neugierde herrscht. Viele wollen unbedingt das wissen, was Gott verbirgt (z.B. woher stammt Kains Frau?) und halten sich sehr zurück vor dem, was Gott deutlich offenbart hat. Dieser Drang der Neugierde zeigt sich schon im Paradies. Gott verbirgt vieles in der Bibel, weil es für uns nicht wichtig ist. Aber was ER offenbart, das ist äußerst wichtig, - das sollten wir mit ganzem Herzen aufnehmen, weil es uns helfen will zum ewigen Heil.

            Ein Zug wird aus Jesu Kindheit deutlich: ER war ein gehorsamer Sohn. Lukas 2, 51: „... und Jesus (der 12-jährige) ging mit ihnen (Josef und Maria) nach Nazareth und war ihnen untertan.“ Sein Wort am Kreuz zeigt uns, dass ER bis zuletzt mit liebender Sorge an Seine Mutter gedacht hat und Johannes beauftragt, für Maria zu sorgen (Johannes 19, 26+27). In dem Gleichnis von den ungleichen Söhnen hebt Jesus den Gehorsam der Tat als das Entscheidende hervor (Matthäus 21, 28). In Seiner Familie hat Jesus schwere Kämpfe erleben müssen. „ER ist verrückt geworden!“ sagten sie (Markus 3, 21). „Auch Seine Brüder glaubten nicht an Ihn“ sagt Johannes (Johannes 7, 5). Auch heute noch gibt es dieses Missverstehen im engsten Familienkreis.

            In Nazareth hatte man große Vorbehalte gegenüber Jesus. ER ging „nach Seiner Gewohnheit“ am Sabbat in die Synagoge. Aber als ER dort zum ersten Mal eine Predigt hielt, wurde Seine Botschaft nicht angenommen. „Ist das nicht Josefs Sohn?“ sagte man. Jesus gab die kurze Erklärung: „Kein Prophet gilt etwas in seinem Vaterland“. (Lukas 4) Es ist schon eigenartig: Fast dreißig Jahre lang hat Jesus als vollkommener Mensch in Nazareth verbracht. Er hat niemals einen verletzt, geärgert, verleumdet. Aber niemand ist dadurch verwandelt worden. Später hat es sich gezeigt: Menschen werden vor allem durch die Botschaft Jesu verändert. „... ihr seid wiedergeboren durch das lebendige WORT Gottes“ sagt Petrus in seinem Brief (1. Petrus 1, 23); die Erlebnisse ringsherum und die Wunder Jesu waren nur „Zeichen“, Hinweise auf die Person Jesu – und Jesus arbeitet durch Sein WORT (zusammen mit Seinem Geist), - das ist das Hauptinstrument Seines Wirkens. Wer das WORT Gottes gering schätzt oder an den Rand schiebt, wird schwerlich Gottes Wirken erleben.

            Wie hat Jesus diesen Widerstreit überwunden? - durch bedingungslosen Gehorsam gegen Seinen Vater im Himmel. Wer Gottes Willen tat, der wurde Jesus so nahe, dass er zu den nächsten Verwandten Jesu zählt („Wer den Willen Gottes tut, der ist Mein Bruder und Meine Schwester.“ Markus 2, 35).

 

2. Frauen in der Umgebung Jesu. Der erste Jüngerkreis war kein Männerbund sondern es

 gehörten von Anfang an auch Frauen dazu: Maria Magdalena, Johanna, Susanna (Lukas 8, 1-3). Das war für die Zeit der Antike außergewöhnlich. Im Judentum mussten beim Gottesdienst die Frauen im Vorhof bleiben. Die Frau war zum Dienen da. Ein Rabbi hat überhaupt nicht mit Frauen über religiöse Dinge gesprochen. Für Jesus war es selbstverständlich, die häuslichen Aufgaben der Frau (im Hause von Maria und Martha – Lukas 10) zurückzustellen, sobald es sich um die Sorge für die Seele handelt. Im kommenden Gottesreich gibt es keinen Unterschied zwischen Mann und Frau (Markus 12, 25) – im Gegensatz zu den sinnlichen Phantasien eines Mohammed. Vor Gott sind sie völlig gleich. Jesus kann vor einer Frau die tiefen Geheimnisse Seiner Sendung enthüllen: „Das Heil kommt von den Juden. – Gott ist Geist und die Ihn anbeten, müssen Ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.“ (Johannes 4) Eine Frau – Maria Magdalena – ist die erste Zeugin Seiner Auferstehung. Paulus wagt es allerdings nicht, bei seiner Aufzählung von Augenzeugen der Auferstehung Jesu Frauen mit aufzuführen, da Frauen im Judentum rechtlich unmündig waren (1. Korinther 15, 5).

            Auffällig ist die Begegnung Jesu mit der Prostituierten in Lukas 7. Jesus wertet die Sünde ganz anders als die öffentliche Meinung. Für IHN ist das Sünde, was von Gott scheidet. Wenn Gott die Sünde vergeben hat, dann ist es gottlos, die moralische Ächtung weiter aufrecht zu erhalten. Der Gastgeber Simon sieht nur das Äußere und denkt nur an das, was man von dieser Frau in der Stadt erzählte. Seine Selbstgerechtigkeit deckt seine Gottesferne auf. Jesus aber erkennt, dass Gott in ihr schon ein großes Werk getan hat ( - wie das geschah, erfahren wir nicht.

→ Wir müssen sehr vorsichtig sein, Menschen nach dem Äußeren zu beurteilen. Wir wissen nicht, was Gott innerlich schon an ihnen getan hat!). Jesus sagt zu den Pharisäern: „Die Zöllner und Huren kommen eher ins Reich Gottes als ihr “ (Matthäus 21, 31). Simon hatte nur Interesse für Jesus; einem Wanderrabbi die Füße zu waschen, das fiel ihm nicht ein. Interesse haben für Jesus, das reicht nicht! Jesus will Gehorsam, Nachfolge, Hingabe.

 

3. Jesus und die Kinder. Im Altertum wurden Kinder nicht ernst genommen. Die Erziehung der Kinder wurde meist Sklaven überlassen. Das Verhalten der Jünger zeigt, wie selbstverständlich es ihnen schien, dass der Meister nichts mit Kindern zu tun haben sollte. (Markus 10, 13: „Sie brachten Kinder zu Jesus, dass ER sie anrühre. Die Jünger aber fuhren sie an und wollten sie wegschicken.“) Jesus bringt eine neue Wertung für Kinder: sie sind genau so wie die Erwachsenen zur Gemeinschaft mit Gott bestimmt. Aus diesem Grund liebte Jesus die Kinder, - nicht, weil sie eine zukünftige Bedeutung haben (vgl. den bekannten Slogan: „Wer die Jugend hat, hat die Zukunft“). Jesus stellte die Kinder den Erwachsenen zum Vorbild hin („Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen.“ Markus 10, 15) Dabei übersah Er gewiss nicht die Unarten von Kindern. Aber Jesus entdeckte, worin uns die Kinder beschämen können: die Offenheit der Kinderseele, die bereit ist, zu empfangen, die Einfalt und Anspruchslosigkeit und vor allem ihr Vertrauen. – Warum fühlte sich Jesus so sehr zu den Kindern hingezogen? - sie sind am meisten liebesbedürftig ( - wie das auch unsere Kinderpsychologen auch sehr betonen!)

 

4. Jesus und die Ausgestoßenen. Im ganzen Leben Jesu kann man beobachten, dass ER sich der Ausgestoßenen, Verachteten und unbedeutenden Menschen angenommen hat. (Heute wären das bei uns die Asylanten, Ausländer, die Menschen aus den Nachtlokalen, Drogenabhängige). Jesus verkehrt mit römischen Offizieren, einer samaritischen Frau, den Zöllnern, den Aussätzigen – alles Menschen, die von frommen Juden gemieden wurden. Jesus hat sich mit Absicht an diese Menschen gewandt und lässt sich nicht durch die Vorurteile der öffentlichen Meinung leiten. ER hatte eine einfache Begründung: „Die Starken bedürfen keines Arztes sondern die Kranken. ICH bin gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten“ (Markus 2, 15). Jesus hat immer die Kleinen und Schwachen in Schutz genommen, manchmal sogar mit harten Worten: „Wer aber einen dieser Kleinen, die an Mich glauben, zum Abfall verführt, für den wäre es besser, dass ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er ersäuft würde im Meer, wo es am tiefsten ist.“ (Markus 18, 6) → Übernehmen wir im Blick auf die „Randsiedler“ der Gesellschaft die Wertung Jesu oder das Urteil der Allgemeinheit?

            Menschen, die in der großen weiten Welt eine Rolle spielten, haben Jesus nicht sehr angezogen. ER ging viel lieber zu den „kleinen Leuten“. – Wir sollten von Jesus lernen, Zeitfragen nicht zeitbedingt zu behandeln, sondern sie unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit zu sehen.

 

II. Jesu Stellung zu Welt.

1. Freude an der Natur. Jesus lebte in engster Berührung mit der Natur. ER hielt Seine großen

 Reden unter freiem Himmel: auf dem Berg, im Feld, am Seeufer. ER gründete keine Schule sondern wanderte mit Seinen Jüngern. ER zog sich gerne in die Einsamkeit der Berge zurück. Wir finden aber bei Ihm keine sentimentale Naturromantik. Seine Gleichnisse zeigen eine feine Naturbeobachtung. ER sah das Leben der Herden und das der wilden Tiere, achtete auf Wachsen und Welken, auf Saat und Ernte, auf Wolken und Winde und freute sich an Gräsern und Lilien (= einfache Feldblumen) (Matthäus 6, 25-30). Bezeichnend ist, dass Jesus hinter allem Naturgeschehen das Wirken Seines Vaters im Himmel sieht. Vögel, Lilien, das Gras – alles bringt ER in unmittelbare Beziehung zu Gott. Der kleine Sperling, der tot vom Dach fällt, sagt Ihm nicht, wie alles sterben muss, sondern dass der Vater da oben auch über das Kleinste wacht. Wenn im Winter die Raben krächzen, so erzählen sie Ihm nicht von Hunger und Not, sondern von einem reichen Gott, der selbst den Raben Futter gibt (Lukas 12, 24).

 

 

2. Jesus – und die Welt um Ihn herum. Jesus hatte eine große Unbefangenheit gegenüber der Welt. Das widersprach den Vorstellungen, die sich Seine Zeitgenossen von einem von Gott gesandten Lehrer gemacht hatten. Matthäus schreibt: „Johannes der Täufer ist gekommen, aß nicht und trank nicht (lebte von Heuschrecken und wildem Honig!); so sagen sie: er hat den Teufel. Jesus ist gekommen, isst und trinkt; so sagen sie: Siehe, wie ist der Mensch ein Fresser und Weinsäufer, der Zöllner und Sünder Geselle!“ (Matthäus 11, 18+19). Der Volksmund hat dann gleich übertrieben. Selbst für die Jünger war Jesu unerhörte Unbefangenheit schwer verständlich. Jesus bringt eine völlig neue Wertung von Rein und Unrein. („Was zum Munde hineingeht, das verunreinigt den Menschen nicht, sondern was aus dem Munde, - aus dem Herzen - herauskommt, das verunreinigt den Menschen.“ Matthäus 15, 18+19) Jesus will sagen: Wer noch entscheidenden Wert auf Essen oder Nichtessen, Trinken oder Nichttrinken legt, zeigt nur, dass er noch nicht weiß, dass die letzte Wirklichkeit dieser Welt nicht die sichtbaren Dinge sind sondern der lebendige Gott und Seine Gedanken. – Jesus kennt sehr wohl „freiwilligen Verzicht“ „um des Himmelreiches willen“ (Matthäus 18, 8 und 19, 12). Um einer missverstandenen, zu großzügigen Freiheit willen kann ein Bruder zu Fall kommen, aber andrerseits kann auch wegen unserer Lieblosigkeit jemand verloren gehen.

 

3. Jesus und der Reichtum. Hier geht es nicht darum, was Jesus über den Reichtum gelehrt
 hat, sondern wie sich Jesus selbst zu den Gütern dieser Welt gestellt hat. – Jesus blieb freiwillig arm, aber ER macht aus der Armut kein Evangelium. ER ließ in der Jüngerschaft eine Kasse führen (die Judas verwaltete) und für sie Gaben annehmen. Zu Seinen Anhängern gehörten auch Reiche: Nikodemus, Joseph von Arimathia (Matthäus 27, 56), Zachäus. ER ließ sich in die reichen Häuser der Pharisäer einladen (Lukas 7, 36; 14, 1), aber ER sprach dann auch von den Gefahren des Reichtums. ER sprach ebenso klar von den Gefahren der Armut: sowohl der Geiz als auch die Sorge trennen von Gott. - Beide Male wird das Ich in den Mittelpunkt des Lebens gestellt. Beide Male wird über den Gütern der Welt, ob ich sie besitze oder andere darum beneide, Gott vergessen. – Das Gleichnis Jesu über den reichen Kornbauern (Lukas 12) schließt mit dem Satz: „So geht es dem, der sich Schätze auf Erden sammelt und ist nicht reich bei Gott.“

 

4. Jesus und die Ehe. Obwohl Jesus nur Männer zu Seinen Aposteln machte, waren doch stets

 Frauen in Seiner nächsten Umgebung. Jesus hatte Verständnis für das Glück der Ehe. Sein erstes Wunder fand auf einer Hochzeit statt (Johannes 2 – in Kana!), zu der ER mit Seinen Jüngern eingeladen war. ER benützt gern das Bild der Hochzeit für die Schilderung der Freude im Reich Gottes. ER vergleicht sich selbst mit dem Bräutigam, dessen Braut Seine Gemeinde ist (Matthäus 25). Die wahre Ehe gehört zur Gottesschöpfung. – Johannes der Täufer und Paulus blieben ehelos. Paulus verzichtete auf die Ehe, um ungehindert Seinem Herrn zu dienen (1. Korinther 7). Nach der Auferstehung gibt es keine Trennung der Geschlechter mehr: „Denn in der Auferstehung werden sie weder heiraten noch sich heiraten lassen, sondern sie sind wie die Engel im Himmel.“ (Matthäus 22, 30) Diese neue Ordnung war schon in Jesus Wirklichkeit.

 

5. Jesus und der Staat. Jesus hat sich nicht aus der organisierten Volksgemeinschaft herausgestellt. ER hat z.B. Seine Steuern bezahlt. In einem Gespräch darüber gab Er die klassische Lösung der Frage, wie der Christ zum Staat stehen soll, mit der Antwort: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“ (Matthäus 22, 15-22) Jesus war dem Staat gehorsam. Das wurde deutlich in Seiner Leidenszeit. ER leistete den vom Hohenpriester geforderten Eid (Matthäus 26, 63). Ja, ER erkannte an, dass die Macht, die die Gewalthaber über Ihn hatten, ihnen von Gott gegeben ist. Jesus sagt zu Pilatus: „Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht von oben her gegeben wäre.“ (Johannes 19, 10+11)

 

6. Die soziale Not. Jesus trat nicht als sozialer Reformer auf, aber doch ist von keinem anderen

 durch zwei Jahrtausende hindurch soviel soziale Kraft ausgegangen wie von Jesus. Fast alle Errungenschaften des modernen Sozialstaats gehen auf den Geist des Christentums zurück: die sog. „caritative“ Arbeit (caritas = Liebe), Krankenhäuser, Waisenhäuser, Kinderheime, Gefängnisdienst, das Rote Kreuz, Heime für Suchtkranke (vor der Wende 1989 waren von den 30 Entziehungsstätten für Alkoholiker in Westdeutschland 29 in christlicher Trägerschaft), das Rote Kreuz. Einige Namen beleuchten das schlaglichtartig: Pfr. Oberlin rief 1770 den ersten Kindergarten ins Leben - im Elsaß im Steintal, die Halle’ schen Waisenhäuser des Aug. Herm. Francke, Friedrich von Bodelschwingh in Bethel (seine großen Anstalten für Epileptische und für Landstreicher), Wilh. Löhe in Neuendettelsau, Johannes Hinr. Wichern, der 1857 die Innere Mission ins Leben rief, Graf Zinzendorf und sein Dienst an den Sklaven auf den karibischen Inseln – und viele, viele andere. Bei ihnen allen ist dieser Geist des Helfens durch Jesus entstanden, der von sich sagte: „ICH bin unter euch wie ein Diener.“ (Lukas 22, 27) Sie alle hatten die Liebe Jesu und Rettung durch IHN erfahren. Das war das Motiv, anderen zu helfen – mit dem Ziel: „dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat ... damit Gott gepriesen werde.“ (1. Petrus 4, 11) Jesus hat die Ursache aller Nöte angegriffen: die Gottesferne. Er sagte in der Bergpredigt: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach Seiner Gerechtigkeit (= nach den göttlichen Prinzipien), so wird euch das andere von Gott gegeben.“ (Matthäus 6, 33). Jesus heilte den Sklaven des Hauptmanns (Lukas 7), forderte aber nicht irgendwie zur Abschaffung der Sklaverei auf. ER hat es mit scharfen Worten abgelehnt, bei Erbstreitigkeiten als Schiedsrichtiger tätig zu sein (Lukas 12, 13+14). Selbst Johannes der Täufer wurde an Jesus irre, weil ER nicht weltverändernd mit starker Hand eingriff. Johannes meinte, Jesus „komme mit der Worfschaufel in der Hand und werde die Tenne fegen ... und die Spreu verbrennen mit unauslöschlichem Feuer.“ (Matthäus 3, 12 und 11, 3). Jesus hat nichts unternommen, um Israel von der römischen Besatzungsmacht zu befreien. Sicher hatten das einige unter Seinen Jüngern (z.B. Judas) gehofft, die zu den „Zeloten“ gehörten (eine Untergrundbewegung gegen die römische Herrschaft im Land). Im Hause von Maria und Martha stellte Jesus deutlich klar, dass vor aller Arbeit eine Grundvoraussetzung erfüllt sein muss: „Eins ist not. Maria hat das gute Teil (= auf Jesus hören!) erwählt, das soll nicht von ihr genommen werden.“ (Lukas 10, 42) „Oft ist die Beschäftigung mit sozialen Fragen nur ein Ausweichen vor der letzten Lebensfrage“ schreibt der Chinamissionar Johannes Weise.

 

            Die Welt, in die Jesus gesandt wurde und in der die Christen leben, hat ein doppeltes Gesicht: sie ist Gottes Schöpfung – aber sie ist auch durch die Sünde der Menschen verdorben. Jesus hat das ganz klar durchschaut. ER hat sich unbefangen an der Schöpfung Seines Vaters gefreut – aber auch zugleich mit feinem Takt gespürt, wo diese göttlichen Grundlagen durch die Sünde der Menschen verdorben wurden. Deshalb setzt ER, um den Menschen wirklich zu helfen, an der Wurzel an: ER will die Menschen wieder zurück zu Seinem Vater, zu Gott, bringen. Das geschieht, wenn Menschen Ihre Sünde und Schuld zu Christus bringen, der sie auf sich nimmt und aus der Welt schafft (das ist der Sinn Seines Todes am Kreuz). Auf diese Weise wird das von Gott Trennende beseitigt, so dass Menschen wieder eine Verbindung zu Gott haben. Alles, was Jesus getan hat und tut, ist diesem Ziel untergeordnet. Alles andere hat für Jesus nur zweitrangige Bedeutung. – Leider sehen wird das Zweitrangige meist für wichtiger an. Deshalb sagte Jesus in der Bergpredigt zusammenfassend: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes!“ (Matthäus 6, 33) – das heißt: „Trachtet zuerst nach CHRISTUS!“ ER ist der Schlüssel zum neuen Leben, zu einem Leben mit Gott. Mit IHM ist das Hauptproblem gelöst. Alle anderen Probleme des Lebens sind kleiner – und lassen sich mit IHM viel leichter lösen.

            Die Dichterin Marie Schmalenbach, die fast 25 Jahre lang ein schweres Nervenleiden zu tragen hatte und deren Mann als Pfarrer zur Minden-Ravensberger Erweckungsbewegung gehörte, hat es vor über hundert Jahren in schlichte Verse gebracht. Mit dem „süßen Schein“ hat sie Jesus gemeint:

                                   Brich herein, süßer Schein, sel’ger Ewigkeit!

                                   Leucht in unser armes Leben, unsern Füßen Kraft zu geben,

                                   unsrer Seele Freud.

                                  

Ewigkeit, in die Zeit leucht hell herein,

                                   dass uns werde klein das Kleine

                                   und das Große groß erscheine,

                                   sel’ge Ewigkeit.

 

23. Juli 2005                                                                                      Pfr. Gerhard Hägel, Bobengrün