Jakobs Kampf und Sieg
1. Mose 32, 25 – 31
Jakob blieb allein. Da rang ein Mann mit ihm, bis die Morgenröte anbrach. Und da er sah, daß er ihn nicht übermochte, rührte er das Gelenk seiner Hüfte an; und das Gelenk der Hüfte Jakobs ward über dem Ringen mit ihm verrenkt. Und er sprach: Laß mich gehen, denn die Morgenröte bricht an. Aber er antwortete: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. Er sprach: Wie heißest du? Er antwortete: Jakob. Er sprach: Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft, und bist obgelegen. Und Jakob fragte ihn und sprach: Sage doch, wie heißest du? Er aber sprach: Warum fragest du, wie ich heiße? Und er segnete ihn daselbst. Und Jakob hieß die Stätte Pniel; denn ich habe Gott von Angesicht gesehen, und meine Seele ist genesen. Und als er an Pniel vorüberkam, ging ihm die Sonne auf; und er hinkte an seiner Hüfte.
Wir haben hier eine der wundervollsten Geschichten vor uns, welche in der gesamten heiligen Schrift erzählt werden, und die wir etwas näher zu erwägen gedenken. Durch die Verheißung: ich will dir wohl tun, gestärkt und erquickt, war der Erzvater Jakob auf ausdrücklichen Befehl seines Gottes aus Haran von seinem Oheim Laban weggezogen, um wieder in seiner Väter Lande zu wohnen. Dies gefiel dem Laban so übel, daß er seinem Schwiegersohn nachsetzte, ihn auch auf dem Gebirge Gilead einholte. Sein Unwille und Zorn waren so heftig, daß er dem fliehenden Erzvater gewiß ein großes Unglück angetan haben würde, wozu er, wie er sich rühmt, mit der Hilfe Gottes wohl Macht genug gehabt hätte, wenn Gott diesem Syrer nicht im Traum geboten hätte, sich zu hüten, daß er nicht anders, als freundlich mit ihm rede, wiewohl Rahel doch in Lebensgefahr geriet. Alles nahm zuletzt einen erwünschten Ausgang. Sie kamen friedlich und freundlich auseinander. Laban zog wieder zurück, und indem Jakob seine Reise fortsetzte, begegneten ihm zu seinem guten Trost die Engel Gottes. So lieblich löste sich dies Gedränge auf.
Kaum aber aus der Not errettet, geriet er in eine noch viel bedenklichere. Der Grimm seines Bruders Esau, seine Drohung: es wird die Zeit bald kommen, daß mein Vater wird Leid tragen müssen um seinen Sohn Jakob, denn ich will ihn erwürgen, hatte den lieben Mann genötigt, seine Sicherheit durch die Flucht zu suchen. Bei seiner Rückkehr in die Nähe Esaus hatte er denn nichts Angelegentlicheres zu tun, als ihn für sich zu gewinnen. Dies versuchte er durch eine Gesandtschaft an ihn, welche ihn in den demütigsten Ausdrücken um seine Wohlgewogenheit ersuchen sollte. Die Boten gingen ab und kehrten bald mit der Nachricht zurück: dein Bruder Esau zieht dir mit vierhundert Mann entgegen. Da fürchtete sich Jakob sehr, und ihm ward bange. Und mit recht. Denn was hatte Esau anders als feindselige Absichten? Und was konnte Jakob diesem Heer entgegensetzten? Nichts, nicht einmal die Flucht. Beängstigende, ratlose Lage! O Gott, in was für Umstände läßt du zuweilen deine Lieblinge geraten! Doch nur zu den gesegnetsten Zwecken. Doch ist Jakobs Angst nicht so groß, daß sie ihm die Besinnung geraubt hätte, wenngleich sein Vertrauen zu Gott nicht so lebendig war, daß es ihn getrost gemacht hätte, wie ein junger Löwe. Der Klugheit gemäß richtete er alles so ein, daß dem einen teil die Möglichkeit der Rettung übrigblieb, wenn der andre von Esau zugrunde gerichtet werden sollte. Auch versäumte er sonst nichts von dem, was geeignet schien, Esau zu versöhnen und sein Herz dem Jakob zu gewinnen, wozu mehrere ansehnliche Geschenke mit helfen sollten, die er in Bereitschaft setzte.
Dabei ließ es aber dieser gottselige Mann nicht bewenden, darauf gründete er sein Vertrauen nicht, sondern auf Gott. Zu ihm wendet er sich mitten in seinen ängstlichen Vorkehrungen durch ein ernstliches Gebet aus der Tiefe seiner Not. Offen erscheint er vor seinem Bundesgott. Er bekennt ihm unumwunden: ich fürchte mich, und hat also seines Elends vor Gott kein Hehl; er dankt für alle bisherigen, unverdienten Wohltaten; er beugt sich in dieser Demut; er klammert sich im Glauben an den Befehl und an die gnädige Zusage des Herrn: du hast ja gesagt, ich will dir wohl tun; er klammert sich an die Macht und Güte seines Gottes und fleht: errette mich. So brachte er die Nacht schlaflos und ordnend zu. Er führte seine Herden, seine Familie und seine Leute über den Bach Jabbok. Jetzt blieb er allein. Er zog die gänzliche Einsamkeit vor. Sie reimt sich am besten zu seiner damaligen Gemütsstimmung. Hier wollte er sein Herz noch ausführlicher vor dem Herrn ausschütten, noch inbrünstiger flehen, ungehindert von außen sich zu dem Gnadenstuhl drängen zur Zeit, da ihm Hilfe nötig war. Die über ihm waltende, gute Hand Gottes zog ihn in diese Stille, weil sie etwas Großes, Besonderes mit ihm vorhatte.
Es war Nacht, an sich geeignet, Schauer zu erregen. Der Himmel über ihm mit seinen zahllosen Sternen erinnerte ihn an die seinem heiligen Großvater gegebene, auch ihm versiegelte Verheißung: also soll dein Same sein. Die finstere Erde war für ihn jetzt voller Schrecken und Esau nicht fern, vielleicht ganz nahe. Seine Hilfe stand lediglich im Namen des Herrn, der Himmel und Erde geschaffen hat. Welche selige Nacht hatte er schon einmal erlebt, wo er in einer Wüste, einen Stein unter dem Haupte, schlief, der Himmel über sich über ihm öffnete. Dieses aber war eine Nacht der Angst. Nacht war es nicht nur um den heiligen Patriarchen her, sondern in seiner Seele war es auch dunkel geworden. Er fürchtet sich.
Diese Furcht schien durch die Umstände sehr gerechtfertigt. Allein sie hatte ihre Wurzel doch in dem Kleinglauben; und tadelte Christus seine Jünger wegen ihrer kleingläubigen Furcht, die sie in der augenscheinlichsten Todesgefahr blicken ließen, so ist auch Jakob wegen gleicher Unart eines gleichen Verweises wert, wenngleich es ein ungemeines Vertrauen sein muß, das in solchen furchterregenden Umständen vor Furcht sichern soll. Offenbar war Jakob, nach des Apostels Ausdruck, nicht völlig in der Liebe, denn sie treibt die Furcht aus. Hauptsächlich aber hat die Furcht ihre Wurzel in einem bösen, befleckten Gewissen. Sobald Adam dasselbe durch seinen Ungehorsam sich zugezogen hatte, fürchtete er sich und floh vor Gott. Dies ist wie ein böses, giftiges Geschwür im Menschen, das endlich ihm die Flammen der Hölle bereitet, wofern es nicht durch das einzige Genesungsmittel, das Blut Christi, geheilt worden ist. Dies allein, in Kraft des heiligen Geistes zugeeignet, bringt Frieden.
Wer wüßte nicht, daß Jakob ein Gegenstand der Liebe Gottes und also auch dieses Friedens teilhaftig geworden war! Aber wie die Erneuerung der Kinder Gottes hier auf Erden überhaupt unvollkommen ist: so ist es auch dieser Teile derselben insbesondere, und dies zeigt sich das eine Mal, bei vorkommenden Gelegenheiten und Versuchungen, klarer als das andere Mal. Außerdem stellt Gott, wie Mose Ps. 90 sagt, in Zeiten der Heimsuchung unsere Missetat vor sich und unsere unerkannte Sünde ins Licht vor seinem Angesichte. Er fängt wohl hintennach an, mit seinen Knechten zu rechnen und ihnen unter die Augen zu stellen, was sie getan, wo es dann nach den Worten des 99. Psalms geht: du erhörtest sie, du vergabst ihnen und straftest sie. Sie haben etwa die Größe ihrer Verschuldung, die Abscheulichkeit und Strafbarkeit derselben, ihre erschwerenden Umstände und Begleitungen nicht genugsam erkannt. Sie sind etwa darüber nicht genugsam zerknirscht, gedemütigt und zerschlagen: sie haben sich nicht genugsam vor Gott darüber angeklagt, haben sich noch einigermaßen selbst, wo nicht rechtfertigen, doch entschuldigen wollen, ihr Haß wider dieselbe ist etwa noch nicht glühend genug, ihr Verlangen nach Errettung und ihre Dankbarkeit für die Erlösung noch nicht inbrünstig genug. Sie sollen höher hinaus- und tiefer hinuntergeführt werden. Ihre Selbsterkenntnis soll einen Zuwachs bekommen, sowie die Einsicht in die wahre Beschaffenheit, den Umfang die Unentbehrlichkeit und die Kostbarkeit der Gnade heller werden. Ihr Gewissen soll zarter, ihr Wandel vorsichtiger, ihr Aussehen auf den Herrn unverwandter, ihr Bleiben in ihm und sein Bleiben in ihnen inniger und sie überhaupt tüchtiger gemacht werden zu jeglichem guten Werk durch den Glauben an Christus Jesus. Der Töpfer nimmt den Ton in seine schaffende Hand, und er verwandelt sich von einer Klarheit in eine andere, noch edlere. Es geht aus Glauben in Glauben, aus Kraft in Kraft. Die dreißigfältige Fruchtbarkeit wird eine sechzigfältige, und diese eine hundertfache. Aus dem Grase gestaltet sich eine Ähre, diese tritt lieblich aus ihren Windeln hervor und füllt sich mit Körnern, und diese reifen in Sonnenschein und Sturm. Das Kind entwickelt sich zum Jüngling, der Jüngling zum Mann und Vater in Christus, in welchem, der das Haupt ist, sie insgesamt wachsen in allen Stücken.
So ist des Vaters Weg mit seinen Auserwählten, welche er durch Christus erwählt hat vor Grundlegung der Welt, daß sie sollten sein heilig und unsträflich vor ihm in der Liebe. So war des Vaters Weg mit Jakob, den er lieb hatte.
In dem Leben dieses Erzvaters war etwas vorgekommen, das nicht in der Ordnung war, nämlich der Segen seines Vaters. Isaak wollte denselben dem Esau erteilen, unter dem Beistande seiner Mutter aber, welche den Jakob, wie Isaak seltsamerweise den Esau, vorzog, hatte er den ihm nicht zugedachten Segen dem Esau zu entziehen und auf sich zu leiten gewußt. Es ist uns bekannt, auf welche hinterlistige Weise dies zuging, und wie der alte, blinde Vater, hinters Licht geführt, den Jakob für den Esau hielt und ihn statt dessen segnete.
Wahr ist es, daß der Segen gerade über denjenigen kam, dem Gott ihn zugedacht. Denn ehe noch die Kinder geboren waren und weder Gutes noch Böses getan hatten, ward zu der Rebekka gesagt: der Größere soll dienstbar werden dem Kleineren, damit der Vorsatz bestände nach der Wahl, nicht aus Verdienst der Werke, sondern aus Gnade des Berufers, wie denn geschrieben steht: Jakob habe ich geliebt, aber Esau habe ich gehaßt. Wahr ist es auch, das Isaak, als er hernach den eigentlichen Hergang der Sache erfuhr, seinen Segen so wenig widerrief, daß er ihn vielmehr bestätigte und auch kein mißbilligendes Wort über die trügerische Art fallen ließ, wie man ihn getäuscht und geleitet hatte. Aber Betrug ist und bleibt Betrug und folglich sündlich, mithin nicht zu entschuldigen, sondern zu schelten, er mag sich äußern, in welcher Sache er will.
Zwar haben einige, unter welchen der ehrwürdige Luther obenan steht, die Handlungsweise der Rebekka und ihres Sohnes nicht nur entschuldigen, sondern sie sogar rechtfertigen und als eine Frucht eines edlen Glaubens verteidigen wollen. Jakob selbst sah sie doch nicht so an, sondern besorgte, sich durch dies Benehmen eher den Fluch, als den Segen seines Vaters zu erwerben; und wenn seine Mutter ihn damit beruhigen will, daß sie sagt: der Fluch sei auf mir, so war das doch nur ein Gerede und ein Beweis, daß sie eigentlich nichts Rechtes zu antworten wußte. Jene Verteidigung ist im Grunde nur die Behauptung des abscheulichen Satzes: der Zweck heilige die Mittel. Das ist aber gewiß, daß Gott seines Zwecks nie verfehlt, und daß selbst die Unarten der Menschen dessen Ausführung befördern müssen. Aber diese Unarten selbst werden damit nicht gerechtfertigt, sonst würde der Fluch wegen der Kreuzigung Christi mit Unrecht auf den Juden haften bis auf den heutigen Tag. Sollen wir Böses tun, damit Gutes daraus komme? Das sei ferne. Solcher Verdammnis ist ganz recht.
Es geht oft nach jenen Worten des 50. Psalms: das tust du, und ich schweige. Aber ich werde dich strafen und werde es dir unter die Augen stellen! Jene Handlungsweise mochte sich wohl jetzt erst an ihm rächen, und er jetzt hintennach den Fluch wieder fürchten, über welchen er sich ehemals durch die gehaltlosen Worte seiner zärtelnden Mutter so leichtlich hatte beruhigen lassen.
Wie nahe lagen ihm Gedanken, wie diese: dein Vater hat doch eigentlich nicht dich, sondern seinen Erstgeborenen, den Esau, gesegnet, für den du dich ausgabst. Dich geht der Segen nichts an. Du bist ein Betrüger, das bist du und wohl ein Betrüger, schändlichster Art. Hast du gleich deinen ehrwürdigen Vater getäuscht und seine mitleidswürdige Blindheit, welche dich gerade hätte zu der größten Aufrichtigkeit bewegen müssen, mißbraucht: so hat dich Gottes Auge desto schärfer erschaut. Ihn hast du nicht täuschen können. Du bist ein Betrüger; du bist des Todes wert! Und siehe, Esau, der doch eigentlich in deiner Person gesegnete Esau, kommt mit vierhundert Mann, dies Todesurteil als ein Diener der Gerechtigkeit Gottes zu vollziehen. Du hättest dein Vergehen eher erkennen, bereuen, gutmachen sollen. Jetzt erwacht der lang verhaltene Zorn über dich.
Nun ist es zu spät. Wie hast du, wie hat ein Mensch, wie du bist, sich erkühnen dürfen, zu meinen, als hätte Gott zu dir gesagt: ich will dir wohl tun. Ja, dir wohltun! das hätte ich gedacht. Willst du wohl gar Gott zu einem Sündendiener machen, indem du elender meinst, er werde solchen gnädig sein? Der Teufel muß dir aus gerechtem Gericht solche angenehme Gedanken eingegeben haben, um dich desto sicherer zu verderben. Statt mit der Buße den Anfang zu machen, hast du dir verderblicherweise eingebildet, du seist schon im Stande der Gnaden. Jetzt, jetzt wird es sich ausweisen! Esau – ja was ist das für ein edler Mann, gegen dich zu rechnen. Er hat dir den Tod gedroht. Und was hast du denn anders an ihm verdient? Hast du ihn nicht auf die allerärgste Weise berauben und totschlagen wollen, indem du ihm den ihm zugedachten, eigentlich über ihn ausgesprochenen Segen listiger Weise stehlen wolltest. „Sei ein Herr über deinen Bruder!“ heiß es in dem Segen, den du widerrechtlicher Weise an dich reißen wolltest. Siehst du nun mit Augen, an wem er in Erfüllung gegangen ist! Du ein armer Knecht: er ein Herr mit vierhundert Mann, und du ganz in seiner Hand! O, du armer, betrogener Jakob. Wo ist ein ärmerer Mann als du! Und er hob seine Stimme auf und weinte bitterlich (Hos. 12,5).
Sind euch ähnliche Anfechtungen ganz unbekannt, ihr Christen? Schwerlich, wofern ihr nicht ganz Neulinge seid. Angelegt habt ihr den Harnisch. Bis ihr ihn ablegen könnt, mag sich vielerlei ereignen, wovon jetzt besonders zu reden nicht not tut. Genug; seid ihr Kinder, so ruft ihr den als Vater an, der ohne Ansehen der Person richtet nach eines jeglichen Werk. Führt derhalben euren Wandel, so lange wie ihr hier wallet, mit Fürchten. Seid ihr Kinder: so bleibt ihr nicht ohne Züchtigung, und je lieberes Kind, desto genauere Zucht. David sprach auch einst, da es ihm wohlging: nimmermehr werde ich darniederliegen; denn durch sein Erbarmen hatte der Herr seinen Berg fest gemacht. Aber als er sein Angesicht verbarg, erschrak er. Sei ja nicht stolz, sondern demütig. Sei nicht sicher, sondern sieh zu, daß du nicht fällst, der du zu stehen meinst. Rühme dich des morgenden Tages nicht, denn du weißt nicht, was sich vielleicht heute noch begeben mag. Baue dein Haus auf den Felsen und sieh zu, daß du nicht etwas für den Felsen ansiehst, was er nicht ist. Und ist er’s so baust du leichtlich Stroh und Holz drauf, was verbrennt. Hast du echtes Gold: so wird’s dennoch ins Feuer müssen. Denn eines jeglichen Werk wird durch das Feuer offenbar werden, welcherlei es sei. Deine Unreinigkeit ist so greulich, heißt es Hes. 24,13, daß, obschon ich dich gereinigt habe, du doch nicht rein geworden bist. Darum kannst du hinfort nicht rein werden, bis sich mein Grimm an dir gekühlt hat.
Der heilige Patriarch ging gegen die angedeuteten Anfechtungen im Glauben kämpfend an und betete, wollte es wenigstens tun und mit dem Herrn reden. Bist du denn – so wollte er etwa sagen und fragen, bist du denn wirklich mein Gott und Vater noch oder nicht mehr? Sollte ich mich denn getäuscht haben, wenn ich festiglich glaubte, daß du mich, aller meiner Unwürdigkeit ungeachtet, zu einem desto größern Lobe deiner herrlichen Gnade, lieb habest, wenn ich solches sah und schmeckte und dich lobte und pries und liebte? Es kann – ach, es kann ja nicht möglich sein. Aber es ist mir jetzt so verdunkelt, es wird mir so bestritten, ich kann des nun so nicht froh werden, und das jetzt nicht, in dieser meiner Not nicht, wo ich des doch so sonderlich bedürftig wäre. Ach, so siehe doch drein. Ach, so laß doch dein Angesicht leuchten. Wirf mir doch einen freundlichen Blick zu in diese meine Nacht. So etwa wollte er beten. Da rang ein Mann mit ihm. Wunderbares Ereignis! Welcher Schrecken! Jakob glaubt mit Recht, hier ganz allein zu sein. Mit einem Male aber fühlte er sich von jemand angegriffen. Wer ist es, weiß er nicht, nur so viel merkt er, daß es kein wildes Tier ist, das ihn etwa zerreißen will, sondern ein Mann. Dieser Mann scheint nicht sein Freund, sondern sein Feind, vielleicht einer von jenen vierhundert. Wer es auch sein mag – er ringt mit ihm. Er faßt den geängsteten Jakob so an, als wolle er ihn entweder von dieser Stätte wegdrängen oder ihn zu Boden werfen. Jakob wehrt sich. Er faßt seinen Gegner, den er noch nicht kennt. Er will sich weder verdrängen, noch zu Boden werden lassen. Er bietet alle seine Kräfte, auf und der Kampf dauert lange, bis daß die Morgenröte anbrach.
Wer war dieser Mann? Anfangs wußte Jakob es nicht, es klärte sich ihm aber nach und nach auf, wer es war. Beurteilen wir diesen Mann darnach, daß er sah, daß er den Erzvater nicht übermochte: so ist unsere Meinung eine ganz andere von ihm, als wenn uns gleich darauf gemeldet wird: Er rührte das Gelenk seiner Hüfte, und es war über dem Ringen verrenkt; denn dazu gehört eine übermenschliche Kraft. Spricht er: Laß mich gehen, so erscheint er geringer als Jakob und abhängig von ihm. Wenn ihn aber Jakob um Segen bittet, so erhebt er ihn weit über sich, ja über seinen Vater Isaak, der ihn schon im Namen Gottes gesegnet hatte. Gibt ihm dieser Mann den Namen Israel, erklärt er ihm die Bedeutung dieses Namens selbst, indem er ihm sagt, mit wem er gerungen, wem er obgelegen, nämlich mit Gott und mit Menschen, und sagt uns Hosea schlechthin, er habe mit Gott gekämpft: so fallen alle Schleier weg, und der Man steht in seiner wahren Gestalt da. Lehnt er es gleich ab, dem einfältig genug fragenden Jakob seinen Namen zu nennen: so offenbart er denselben desto deutlicher durch die Tat, da er ihn daselbst segnete. Als aber dem Erzvater selbst die Sonne über das Ganze aufging, nannte er die Stätte Pniel; denn, sagte er, ich habe Gott von Angesicht gesehen, und meine Seele ist genesen.
Unerhörte Begebenheit! Wer mag es ergründen? Wie, dünkt euch das so sonderbar? Wie, wenn ihr des Menschen Sohn dann noch unter ganz andern Umständen sehen werdet? Und er heißt: Wunderbar.
Dieser Mann rang mit ihm, bis die Morgenröte anbrach. Dieser Mann hatte für eine Zeitlang einen menschlichen Körper an sich genommen, um körperlich mit Jakob zu ringen. Er faßte ihn mit seinen Händen und umklammerte ihn mit seinen Armen, um ihn von der Stätte zu verdrängen oder auch zu Boden zu werfen. Sollte das so stillschweigend hergegangen und dabei nichts mehr und nichts anders gesprochen sein, als uns davon gemeldet wird? Schwerlich!
Aber werden wir es wagen dürfen, durch unsere, wenn auch christliche, wenn auch in dem Worte Gottes gegründete, dem Glauben und der Erfahrung ähnliche Vermutungen die Lücke zu ergänzen, die Mose hier laßt? Ich sollte denken, warum nicht? Wenigstens ist es gewiß, daß, wenn bei dem Ringen eines geredet worden ist, es von Seiten des Gott- Engels nichts Tröstliches und Ermutigendes, sondern dem Ringen, was kein Zeichen der Freundschaft ist, Entsprechendes war. Was ist es aber, was der Geist den Seelen aufdeckt, vorrückt? Ist es nicht ihre Sünde? Und hatte Jakob deren nicht? Konnte es nicht von ihm heißen: weg mit dir von dieser heiligen Stätte, wo Engel verweilten? Konnte ihm nicht sein ganzes Schuldregister Stück vor Stück offengelegt und ihm so aufs deutlichste nachgewiesen werden, daß in ihm selbst der geringste Grund zu der Liebe, die Gott zu ihm habe, nicht anzutreffen sei, sondern daß derselbe ganz anderswo gesucht und gefunden werden? So wurde ihm auch geistlicher Weise die Hüfte verrenkt und der letzte Gedanke von eigner Würdigkeit u. dgl. zerstört.
Rückt der Satan einer Seele ihre Sünden vor, tritt er einem Josua in unreinen Kleidern zur Rechten, ihn zu verklagen: so wissen wir wohl, was für Absichten er hat, nämlich zu ängsten, in übermäßige Traurigkeit zu versenken, in Verzweiflung zu stürzen und gänzlich zu verderben. Nicht aber also der Sohn Gottes. Er tut es, um zu demütigen und an sich zu locken und hernach desto mehr zu trösten. Wie machte er es mit Saulus? Rief er ihm nicht zu: du verfolgst mich? Wie mit Petrus? Fragte er ihn nicht dreimal: hast du mich lieb? Wie ging er mit dem kananäischen Weiblein um? Schien es nicht, als wolle er nichts mit ihr zu tun haben; nannte er sie nicht beinahe einen Hund? Und bekamen die Engel jener sieben Gemeinen nicht fast ein jeglicher einen besonderen und nachdrücklichen Verweis? Wir wissen, zu welchem Zweck. Sobald Paulus merkte, daß der Satan seine Hand mit einmenge, riet er den Korinthern, ihren Sünder desto mehr zu trösten und ihm zu vergeben, auf daß er nicht in allzu große Traurigkeit versinke und sie vom Satan übervorteilt würden.
Rang der Gott-Engel mit Jakob, Jakob kämpfte auch mit allen Kräften mit Gott oder benahm sich fürstlich gegen ihn. Er wollte sich durchaus nicht von seiner Stelle verdrängen lassen, er widersetzte sich aus aller Macht körperlich und geistig. Tränen und Gebet waren die kräftigen und siegreichen Waffen, womit er den Sohn Gottes bestritt und überwand. Rücke mir nur – so wird er unter Bächlein von Tränen gebetet haben – rücke mir nur alle meine Sünden vor, entfalte und enthülle sie in ihrer ganzen Abscheulichkeit, entdecke mit jeden erschwerenden Umstand derselben, zeigen mir meinen ganzen Lohn – ich gebe alles zu, ich entschuldige, ich bemäntele, ich verkleinere nichts. Aber das sage ich dir auch, ich stehe und liege hier nicht auf meine Gerechtigkeit, der ich keine habe, sondern eben auf deine Barmherzigkeit. Bist du, ja bist du nicht selber – magst du dich auch noch so feindlich gegen mich stellen – bis nicht eben du Jehova Zidkenu, meine Gerechtigkeit? Ist daran der geringste Flecken, Runzel oder Tadel? Ist denn mein Großvater Abraham durch seine Werke gerecht geworden, ist er es nicht aus deiner Gnade? Nein, nein, du verstößest den armen Sünder nicht, der zu dir flieht. Hast du nicht dein Wort darauf gegeben, du seist gekommen, die Sünder zur Buße zu rufen und nicht die Gerechten? Solltest du bei mir anheben, den Wort selber ungültig zu machen? Das leidet deine Wahrhaftigkeit nicht. Wider deine Gerechtigkeit reicht mir deine große Barmherzigkeit selbst die Waffen.
Auf solche und ähnliche Art wird der Glaubenskampf geführt. Heimlich und unmerklich werden dem Streiter allerlei schickliche Waffen zugedient, wie dem kananäischen Weiblein die geschickte Entgegnung: Ja, Herr; aber doch essen die Hündlein von den Brosamlein, die von ihres Herrn Tisch abfallen, wodurch sie Jesus gleichsam festsetzte, daß er ihr den Sieg zuerkennen mußte.
Der Streit war heftig und dauerte lange, bis die Morgenröte anbrach. Je länger er dauerte, desto tiefere Blicke bekam der ringende Erzvater teils in sein Verderben, teils in die Grüne seines Glaubens. Je länger er dauerte, desto demütiger, desto schwächlicher wurde er, desto mehr genötigt, alles auf lauteres Erbarmen zu bauen und gänzlich an sich selbst zu verzagen, wozu vollends ein Umstand, nämlich die Verrenkung seiner Hüfte, beitrug, den wir später betrachten werden.
Seht denn wohl zu, daß ihr das Haus eurer Hoffnung recht auf den Felsen baut, damit es standhalte, wenn es angefochten wird. So viel ist gewiß, das Jakob zu viel wagte, wenn er auf das Wort seiner Mutter hin: der Fluch sei auf mir, sich der Gefahr aussetzte. Dazu mußte er viel andere Gründe haben! Rebekka war freilich ihrer Sache gewiß. Darum war es aber ihr Sohn doch noch nicht. Man schwätze andern nicht nach, man sei in anderer Licht nicht fröhlich. In uns selbst, in uns selbst muß es ausgeboren, erfahren, versiegelt werden, und überhaupt besteht die Gottseligkeit nicht in Worten, sondern in der Kraft.
Mögen denn auch unangefochtene Seelen aus
Jakobs Kampf ein angemessenes Verhalten in den Anfällen auf ihr Vertrauen, auf
ihre Hoffnung lernen. Erwartet sie, aber flüchtet nicht, flüchtet wenigstens
nirgends anders hin als zu Jesus! Bettelt kühne, wenn es auch schiene, daß er
euch von dannen trieb. Greift die Verheißung an, bestreitet damit die
Drohungen, weint und bittet ihn, auch dann noch, wenn er selbst wider euch
wäre. Er aber stärke uns! Amen.
1. Moses 32,26
Da er sah, daß er ihn nicht übermochte, rührte er das Gelenk seiner Hüfte an; und das Gelenk der Hüfte Jakobs ward über dem Ringen mit ihm verrenkt.
"Da er sah, daß er ihn nicht übermochte", so fährt die wunderbare Erzählung fort. Der Sieg entscheidet sich für Jakob, und der Sohn Gottes muß ihm das Feld einräumen! Kein Wunder auch, denn er hatte sich selbst die Hände gebunden durch sein Wort: "Ich will dir wohl tun" und dadurch seiner Allmacht die Richtung angewiesen, die sie nehmen mußte. Sie konnte wohl Dinge wegräumen, die dem Jakob hinderlich waren, nicht aber sein Verderben befördern. Wohl konnte und sollte sie Wohltaten aber ihn ausschütten, nicht aber sie ihm entreißen. Die Allmacht war eine Dienerin der göttlichen Wahrheit und konnte nichts wider, sondern nur alles für dieselbe. Himmel und Erde hätte sie zusammen und durcheinander reißen können, aber sie hätte zugleich den Jakob unversehrt erhalten müssen.
Allmacht ist eine Eigenschaft Gottes, deren Anwendung von seinem Willen abhängt, die Gott also erweisen und zurückhalten kann, je nachdem er will. Mit seiner Wahrheit verhält es sich anders, denn die macht sein Wesen aus, und es ist unmöglich, daß er die verleugnet, dann müßte er aufhören, Jehova, das ist der zu sein, der er ist. Schon oft hat er seine Allmacht ganz und gar verleugnet, daß man nichts als Schwachheit an ihm sah. Wo war seine Allmacht, da er vor Herodes nach Ägypten floh? Ach, ist das der Mann, der sein Volk selig machen, der Mann, der als der Stärkere über den stark Gewappneten kommen und ihn binden will? Ist das das Kind, welches Kraft und Held ist? Wo war seine Allmacht, da man ihn band, da man ihn an Händen und Füßen an ein Kreuz nagelte, da er tot im Grabe lag? Sie war wohl da, aber er verleugnete sich selbst um der Wahrheit willen, wie er selbst sagt: Wie würde die Schrift erfüllt? Es muß also gehen. Denn gegen seine Wahrheit kann die Allmacht darum nicht, weil Gott sie nur zugunsten derselben anwenden will. Zu seinen Schafen hatte er aber gesagt: Niemand soll sie aus meiner Hand reißen; deswegen mußte Gottes Macht gleich bei der Hand sein, als es das ansehen gewann, Jesu Zusage würde an dem verleugnenden Petrus und sah den ihn sichtenden Satan mit allmächtigem Blick an, da ward die Allmacht der Wahrheit Dienerin.
Das begriff niemand besser als Jakobs Großvater Abraham, was er an der göttlichen Wahrheit habe und was man wagen und hoffen dürfe, wenn man sein Wort für sich habe. In Isaak war ihm eine segenbringende und gesegnete Nachkommenschaft verheißen. Den sollte er schlachten. Getrost griff er zum Messer, aus festeste überzeugt: sein Wort muß Gott halten, weil er es kann, und so erwartete er, daß seine Allmacht, der Wahrheit dienstbar, eher den getöteten und verbrannten Isaak wieder von den Toten auferwecken, als Gott zum Lügner werden lassen würde, denn dies ist unmöglich, sonst aber alle Dinge bei Gott und durch ihn dem möglich, der da glaubt.
Das begreift Jakob auch. Ich will dir wohltut, hatte der Herr ihm versprochen. Also konnte er seine Allmacht nur insofern an ihm beweisen, als es diesem Wort gemäß war, und weil er sich daran hielt, vermochte der Allmächtige nicht, ihn von der Stelle zu verdrängen, sondern zog im Kämpfen den Kürzern.
Wo ist doch ein Gott wie er, und wie spielt die ewige Weisheit mit ihren Kindern! Wie mögen wir wohl mit David aus Psalm 119, V. 38 beten: laß deinen Knecht dein Gebot festiglich für dein Wort halten! Wie würden wir dann die Herrlichkeit Gottes sehen und finden, daß wir an derselben einen Trost haben, der uns nicht umkommen läßt im Elend. Hat er uns nicht alles versprochen, was zu unserer Seligkeit, Freude und Wohlfahrt erforderlich ist, und es gleichsam zum Überfluß noch mit Brief und Siegel, mit Taufe und Abendmahl befestigt? Was können wir mehr verlangen? Will er nicht Missetat und Übertretung vergeben? Was ängstigen wir uns denn? Der Teufel und unser eigen lügenhaftes Herz mag dagegen murren, was es will! Will er uns nicht ein neues Herz geben und selbst Leute aus uns machen, die in seinen Geboten wandeln, seine Rechte halten und darnach tun? Und wir sollten töricht genug sein, zu besorgen, wir müßten unser unartiges Herz deswegen behalten, weil wir es selbst nicht ändern können? Christus selbst sollte uns zur Weisheit gemacht sein, und wir doch immer töricht bleiben, er unsere Heiligung übernommen haben, und wir doch unrein bleiben?
Im Grunde muß man sich ja wohl mit Recht darüber verwundern, daß wir nicht vollkommene Heiligen sind, denn was mag die Ursache davon sein, daß wir es nicht sind? Ich denke, die Hauptursache liegt darin, daß wir zu hochmütig und zu werkheilig sind, um alles aus lauter Gnade und um seines Wortes willen zu erwarten, und noch zuviel durch uns selbst zwingen, so viel für uns selbst sein und werden wollen. Sagt uns nicht das wahrhaftige Wort: Der Herr sorgt für euch, darum werft alle eure Sorgen auf ihn? Aber wer glaubt solcher Predigt? So hat man Ruhe, so wird man stille, so erquickt man die Müden. Doch wollen sie solcher Predigt nicht und sorgen selbst, statt zu glauben, und deswegen erfahren wir auch so wenig von der Herrlichkeit Gottes und quälen uns vergeblich mit einer Last, der wir nicht gewachsen sind. Aufs Geschöpf zu vertrauen, halten wir für vernünftig, auf den lebendigen Schöpfer zu hoffen, für ungereimt. O wir Toren, da wir doch nicht einmal die Farbe eines Haares ändern können! Wie gut könnten wir es aber haben um des Wortes willen: Er sorgt für euch, darum werft alle eure Sorgen auf ihn, im Innern wie im Äußern, wenn wir zugleich demütig, biegsam, willenlos genug wären! Dann würde Jesus uns nicht mit den Vöglein beschämen, sondern wir würden, der Lerche im Gewitter ähnlich, auch mitten im Gedränge ein Loblied singen. Kurz, durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein. Wenn ihr stille bliebet, so würde euch geholfen. Und ist nicht sein gegebenes Wort, dessen Dienerin und Ausführerin seine Allmacht ist, gänzlich von der Art, daß es uns ganz still und ruhig machen kann? Denn wenn auch Berge weichen und Hügel hinfallen, so soll doch meine Gnade nicht von dir weichen und der Bund meines Friedens nicht hinfallen.
Allein, sollten nicht Gottes Gerechtigkeit und Heiligkeit solche Eigenschaften sein, die uns billig schüchtern machen müßten, seine Zusagen auf uns zu deuten, und wird die Bemerkung, daß wir Sünder sind, darin nicht eine große Abänderung machen? Wenn Jakob so hätte denken und demgemäß handeln wollen, so würde er bald vom Kampfplatz gewichen sein, denn was war er mehr als ein Sünder, und wenn er mehr war, hatte er das aus sich selbst oder aus der Gnade des Berufers? Ehe noch die beiden Zwillinge geboren waren, sagt Paulus, und weder Gutes noch Böses getan hatten, auf daß der Vorsatz Gottes bestünde nach der Wahl, ward zu Rebekka gesagt, nicht aus Verdienst der Werke, sondern aus Gnade des Berufers, als: der Größere soll dienstbar werden dem Kleinern. Freilich sind wir Sünder, da aber Jesus gekommen ist, Sünder selig zu machen, so wächst das ich so rede, das Recht an den Seligmacher in dem Maße, als wir unsere Sünderschaft gewahr werden. Das müssen wir wissen, daß Gott nicht nur dem Volk Israel Kanaan nicht gab um seiner Gerechtigkeit willen, "denn ich weiß," spricht er, "daß du ein halsstarriges und ungehorsames Volk bist," sondern daß überhaupt seine Zusagen ihren Grund in seiner freien Gnade haben und in dem Blute Jesu Christi. Wenn jemand um seiner guten Eigenschaft und um seines Wohlverhaltens willen an göttliche Zusagen Ansprüche zu haben glaubte, so würde er deswegen wenig oder nichts bekommen, weil er nicht verstände, umsonst zu kaufen. Gott weiß viel besser, was für elende Sünder wir sind, als wir selbst und hat uns in seinem Buche so signalisieren und bezeichnen lassen, daß wir Mühe haben, nicht höher von uns zu halten, als uns, dieser Beschreibung gemäß, geziemt Aber dessen ungeachtet hat er zum Ruhm seiner herrlichen Gnade eben diesen die teuersten und allergrößesten Verheißungen gegeben, und Christus hat durch seinen Gehorsam, Leiden und Sterben hinlänglich dafür gesorgt, daß die Gnade über uns walten kann, ohne daß sich die göttliche Gerechtigkeit und Heiligkeit derselben widersetzen könnte.
Jene, die Gnade, ist, so zu rechen, auch älter wie diese. Des Baums des Lebens wird eher gedacht als des Baums der Erkenntnis des Guten Böden mit seiner Drohung. Die Verheißung ist nach der Lehre Pauli (Gal. 3,17) wenigstens 430 Jahre älter als das Gesetz, welches Gottes Gerechtigkeit und Heiligkeit offenbart, aber seine versprochene Gnade ebenso wenig schmälert als ein gültiges, durch den Tod bestätigtes Testament auch nicht einmal unter Menschen nachgehends wieder aufgehoben werden kann. Und das Testament, spricht der Apostel, das von Gott zuvor bestätigt ist auf Christus, wird nicht aufgehoben, daß die Verheißung sollte auf hören. So haben wir es nicht mit dem Gesetz, das da sagt: "Tue das", sondern mit dem Evangelium zu tun, welches spricht: "Ich will dir geben, heische von mir!" Sagt uns dort der Kämmerer: Was hindert es, daß ich mich taufen lasse?, so sollen wir ja nun billig sagen: Was hindert es, daß mein Gemüt lauter Glauben und Zuversicht werde und sich nicht anders betrachte, als sei alles schon überwunden, als seien wir schon so gut als wirklich im Himmel, zumal da, wenn wir einmal in das Glaubensschifflein eingetreten sind, nichts dasselbe an dem vollen Eingang in den Hafen hindern kann. Denn aus Gottes Macht werden die Gläubigen bewahrt zur Seligkeit.
O verständen wir dasjenige nur recht, was zu unserm Frieden dient, wir würden vor gutem Mut jauchzen, und der Arge würde es nicht wagen, uns anzutasten. Jakob verstand es vortrefflich, so vortrefflich, daß er überwand, da der Allmächtige sich selbst in einen Kampf mit ihm einließ, jedoch nicht eher einließ, bis er sich selbst mit den starken Seilen der Liebe und den festen Stricken seiner wahrhaftigen Verheißungen die Hände gebunden hatte; der Allmächtige, dessen Allmacht auf die Seite des Kämpfers getreten, um ihn durch alles durchzubringen. O gewiß, alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt. gewiß, so du glauben würdest, solltest du die Herrlichkeit Gottes sehen. Hast du nur eine Verheißung auf deiner Seite, so ist dein herrlicher Sieg ganz gewiß, und schien er ebenso unmöglich, als es unmöglich schien, daß der gestorbene, schon in Verwesung übergegangene Lazarus seinen Schwestern wiedergegeben werden würde. So fürstlich betrug sich Jakob, wie Gott durch den Propheten Hosea von ihm rühmt, recht, wie es sich für einen geistlichen König geziemt, der im Streit nicht nachläßt, bis sich der Sieg entscheiden hat. Aber siehe, was ereignet sich? Da er sah, daß er ihn nicht übermochte, heißt es, rührte er das Gelenk seiner Hüfte an, und das Gelenk seiner Hüfte ward über dem Ringen mit ihm verrenkt. Ein neues Wunder! Er verrenkt seine Hüfte. Dies muß merkwürdig sein, denn es wird zweimal gesagt. Die Ursache der Verrenkung wird in den Worten angegeben: Er rührte seine Hüfte an; und indem er dem Jakob alle Kraft zum weiteren Ringen benahm, bewies er seine gänzliche Überlegenheit, führte aber zugleich das Wunderbare ganz ins Unbegreifliche, indem er sich dennoch für überwunden erklärt, da er zum Erzvater spricht: Laß mich gehen!
Die Hüfte ist gleichsam das Fundament des Gebäudes unseres Körpers. Wird sie verrenkt, so fällt der Körper dahin. Eine Hüftverrenkung ist ein äußerst seltener Fall. Nur durch erstaunliche Gewalt ist sie möglich und bei derjenigen Stellung, die jemand dann einnehmen muß, wenn er gegen jemand ringt, der ihn von einem Orte verdrängen will, wie es beim Jakob der Fall war, fast undenkbar. Geschieht sie doch, geschieht sie durch bloßes Anrühren wie hier, so ist das ein seltsames Wunder. Eine solche Verrenkung ist natürlicher Weise mit sehr heftigen Schmerzen verknüpft. Ob der Sohn Gottes diese den Jakob auch hat empfinden lassen, wissen wir nicht. Es hing von seinem Willen ab, und die Wirkung war auf jeden Fall dieselbe. Ringen konnte der liebe Mann nicht mehr. Es blieb ihm also nichts anders übrig, als sich ganz und gar mit seinen Armen an seinem Gegner festzuhalten, ihn aus aller Macht zu umklammern. Und dies tat er auch, so daß er nicht von der Stelle kommen konnte, ohne ihn mitzuschleppen, weswegen er auch sagte: Laß mich gehen! Jakob konnte aber nicht mehr gehen noch stehen, viel weniger ringen, er mußte sich tragen lassen. Nun, das hat der Herr ja auch versprochen: "Ich will dich heben und tragen", und dazu zwang ihn der Sohn Gottes selbst dadurch, daß er ihm alle Kraft benahm, ihm also nichts übrigließ, als sich an seinen Hals zu hängen, wenn er nicht allen wollte. Aber was sollte dies doch bedeuten? Warum verrenkte ihm doch der Sohn Gottes die Hüfte und das vielleicht unter heftigen Schmerzen? Was war doch der Zweck, die Absicht, die Ursache?
Vorerst müssen wir wissen, daß Gott durch den Propheten Jesaja die Antworte auf die Frage Jakobs an seinen Gegner: Wie heißt du? Auch dadurch hat beantworten lassen, daß er sagte: Er heißt Wunderbar. Es liegt ohne Zweifel aber soviel Demut als Weisheit darin, wenn wir auf die Frage: Warum tut Gott dies und jenes? Uns völlig mit der Antwort begnügen können: Weil es ihm so gefällig ist. Darüber bekommen wir auch wohl nachgehends befriedigende Aufschlüsse. In seiner Regierungsweise kommt vieles Unbegreifliche vor, und wir sollten uns unter seine gewaltige Hand demütigen lernen, dann erhöht er uns zu seiner Zeit.
So lange Hiob dabei bliebe: der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen, der Name des Herrn sei gelobt, so lange hieß es: In dem allen versündigte sich Hiob nicht. Als er aber mit seinen Freunden über die Ursachen und Absichten seiner Schicksale disputierte, kamen sie in eine Verwirrung, woraus sie sich nicht zu wickeln wußten. Hiob wollte Gott der Ungerechtigkeit, sie ihn der Gottlosigkeit beschuldigen, und beide hatten unrecht, bis Gott ins Mittel trat und sprach: Wohlan, bist du so weise, alles ergründen zu können, so will ich dich fragen, lehre mich; worauf Hiob aber es umkehrte und sagte: ich habe unweislich geredet, was mir zu hoch ist und ich nicht verstehe, so erhöre und laß mich reden, ich will dich fragen, lehre mich! Da hieß es: Mein Knecht Hiob hat recht geredet von mir.
Wenn Abraham erst die Zwecke und Absichten der verlangten Aufopferung seines Isaak hätten wissen wollen, so hätte er die Zwecke und Absichten vereitelt; aber nun glaubte er, Gott könne nichts tun, als was seinem gegebenen Worte gemäß sei, und so stieg er den Morija hinan und bekam das große Lob: Nun weiß ich, daß du Gott fürchtest. Als Christus anfing, seinen Jüngern die Füße zu waschen, wollte Petrus erst die Absicht dieser Handlung wissen, bevor er sich bequemte, seine Füße seinem Herrn hinzugeben. Es hieß aber: Was ich tue, weißt du jetzt nicht, du wirst es aber hernach erfahren. Und da dies noch nicht helfen wollte, sagte der Herr: Werde ich dich nicht waschen, so hast du kein Teil an mir. Zu Mose hieß es überhaupt: Von hintennach wirst du mich sehen.
Meine Schafe folgen mir, sagt Christus, aber er führt sie nicht selten so, als ob er nicht ein Hirt sei, sondern sie nur zur Schlachtbank führe. Sind das Gottes Kinder, hätte man fragen sollen, die nur da zu sein scheinen, um verfolgt, getötet, von Hunden und Löwen zerrissen zu werden und, mit Pech überzogen, die Straßen Roms durch die langsamen Flammen zu beleuchten, die ihr Leben aber nicht achteten und dazu bestimmt sind, im Himmel zu leuchten wie Sterne immer und ewiglich. Der Herr dieser Gemeinde trägt statt der Krone einen Dornenkranz, statt des Zepters ein schwaches Rohr, hängt an einem Kreuze, statt auf einem Throne zu sitzen. Welch ein Herr, welch eine Gemeinde! Wohl ist es eine törichte Predigt und sollte es auch dermaßen sein, daß der natürliche Mensch ganz töricht darüber werden möchte. Aber glaube du nur, harre du nur auf den Herrn im Wege seiner Gerichte. Das Ende wird Herrlichkeit sein, eine Herrlichkeit, die wohl kein Auge gesehen, kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist. Sein Name ist: Wunderbar, aber herrlich führt er es hinaus.
Könnten wir auch gar keine Weisheit in seinem Benehmen gegen Jakob entdecken, so müssen wir dennoch glauben, daß er aus sehr weisen und heilsamen Gründen so mit ihm umgegangen sei, wenn es ihm auch nicht gefallen haben sollte, uns etwas hierüber zu offenbaren. Jedoch ist es nicht schwer, etliche heilsame Absichten dieses Verfahrens zu entdecken. Die vornehmste ist die, wenn Gott uns durch Erfahrungen inne werden läßt, daß wir keine eigene Gerechtigkeit haben, noch uns erwerben können, und daß wir durch unsre eigne Weisheit nichts auszurichten vermögen, und wenn er uns so demütigt, so ist dies ein Weg, den er mit allen seinen Kindern einschlägt, wenngleich die Mittel verschieden sind, wodurch er diesen Zweck erreicht. Für den alten Menschen sind diese Wege schmerzhaft, wie bei Jakob die Verrenkung seiner Hüfte, aber dieser Schmerz wird durch die nachfolgende Frucht reichlich erstattet.
Im Anfang macht man sich seltsame und ungegründete Vorstellungen vom Christentum. Man bildet sich in demselben ein Wachstum ein, wie wir es an den Kindern wahrnehmen, welche der mütterlichen Pflege und Hilfeleistung immer weniger bedürfen, bis sie dieselbe endlich ganz entbehren können. Christus aber vergleicht die Seinigen lieber mit den Weinreben, welche nie aus sich selbst, sondern nur dadurch Frucht bringen, daß sie am Weinstock bleiben. So, sagt er, könnt auch ihr keine Frucht bringen von euch selber, ihr bleibt denn in mir, denn ohne mich könnt ihr nichts tun. Im Anfang hat man gemeiniglich Vorstellungen vom Christentum, welche diesem Bilde wenig entsprechen. Man denkt von alten Christen, die hätten es nun weit gebracht, und sie haben es auch wirklich so weit gebracht wie Jakob, der für sich selbst nicht mehr stehen noch gehen, geschweige gar ringen konnte, und dem nichts mehr übrig blieb, als sich an den Sohn Gottes anzuklammern und sich von ihm gleichsam tragen zu lassen, oder nach Pauli Ausdruck: im Glauben des Sohnes Gottes zu leben, der sie geliebt und sich selbst für sie dahingegeben hat. Wenn sie schwach sind, so ist er ihre Stärke; sie haben nichts inne und haben doch alles; können aus sich selbst auch nicht einmal etwas Gutes denken und vermögen doch alles, und was der seltsamen Beschreibungen vom innern Leben mehr sind, welches man mit Recht ein beständiges Rätsel nennen möchte, das ohne eigne Erfahrung nicht entziffert werden kann. Ein wahres Zunehmen, welches allerdings bei einem wahren Christentum stattfinden muß, besteht nicht darin, daß man aus und für sich selbst immer besser fertig werden kann mit den Pflichten der Gottseligkeit, sondern es ist vielmehr ein Zunehmen in der Gnade und Erkenntnis Jesu Christi, eine immer größere Fertigkeit, sich Christus so zunutze zu machen, wie und wozu er uns von Gott gemacht und gegeben ist, und dies kann natürlich nicht anders erlernt werden, als dadurch, daß unsere eigne Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung zerstört werde, wodurch wir abnehmen, Christus aber wächst. Die Hüfte, daß ich so rede, worauf der ganze Körper einer bloß natürlichen Gottseligkeit ruht, der Grund der sie trägt, ist nichts anders, als das Vertrauen zu sich selbst. Daher sind die Rechtschaffenen stolz auf ihre Rechtschaffenheit und haben Ursache dazu, weil sie eine Frucht ihres Fleißes ist. Sie verdanken sie ihrer Einsicht, ihrem eigenen Nachdenken, oder doch dem Verstande, den sie einmal hatten, und ihr löbliches Verhalten ist der Erfolg ihrer guten Vorsätze, welche sie gehabt, und sich auch stark genug gefunden haben, sie auszuführen. Das Schreien von menschlicher Ohnmacht halten sie für ein Gewäsch, womit man nichts anders beweise als seine Faulheit, oder für einen Kunstgriff, seine Schlechtigkeit damit zu bemänteln und ein pflichtgemäßes Verhalten auf eine heuchlerische Weise von sich zu weisen, und das Berufen auf Gnade ist in ihren Augen wenig mehr, als Gott die Schuld geben, daß man nicht besser ist. Beides ist in ihren Augen gleich abscheulich, und sie danken Gott, daß sie nicht sind, wie solche Leute, Maulchristen und Schwärmer. Diese Starken bedürfen des Arztes nicht. Natürliche Menschen, welche ein Gottloses Leben führen und sich also freilich nicht auf ihre Tugenden berufen können, behelfen sich stets damit, daß sie doch diese und jene Sünde nicht begangen haben; teils bilden sie sich ein, wenn sie es einmal nötig finden sollten, sich zu bessern, so wollten sie bald damit fertig sein. Dies hat aber immer noch Zeit. Mit dem wahren Christentum, dem sie diesen Namen nicht bewilligen, mögen beide Klassen nichts zu schaffen haben, sondern sind ihm Feind, so wie ihnen das meiste von demselben höchst ungereimt und läppisch vorkommt, daß sich ein vernünftiger Mensch dessen zu schämen Ursache hätte. Sie verlassen sich auf eigenen Verstand und eigene Kräfte und begreifen nicht, worauf man sich sonst sollte verlassen können. laßt sie fahren, denn sie sind blind!
Fängt aber der Herr an, mit einer Seele zu ringen, wir wollen sagen: Fängt er sein Gnadenwerk in einem Menschen an, so ringt er auch so mit ihm, daß er sicherlich früher oder später die Hüfte verrenkt, so verrenkt, daß ihm nichts übrig bleibt, als was dem Jakob übrig blieb, nämlich mit beiden Armen des Glaubens den Sohn Gottes zu umfassen, nichts übrig bleibt, als sich von ihm heben und tragen zu lassen. Er wird nach und nach von der alten Weise, zu bestehen und zu wirken, ganz abgebracht und in eine Weise übergeleitet, wovon er selbst gestehen muß, daß es ihm nicht von Fleisch und Blut geoffenbart sei, daß er es nicht aus Büchern, aus Predigten, von andern Menschen, durch eigene Klugheit erlernt habe, sondern daß eine wunderbare Gnade ihn erst unmündig gemacht und ihm sodann das Geheimnis des Reiches Gottes zu offenbaren angefangen habe. Jetzt lernt er recht von Herzen Schriftstellen glauben, wo es heißt: So liegt es nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen; Stellen, die ihm sonst ein heimliches Ärgernis waren und jetzt zu lauter Weisheit werden. Jetzt erfährt er an sich selbst, wie viel Ursache Petrus gehabt habe, das Licht, wozu das auserwählte Geschlecht von der Finsternis berufen ist, ein wunderbares zu nennen.
Wir hätten davon noch manches zu reden, wie
der Herr die Zerstörung des falschen Grundes des Selbstvertrauens in der Buße
beginnt und sodann durch allerlei Anfechtung und allerlei seltsame Weisen vollendet,
bis sich der von allem entblößte Sünder glaubensvoll in die Arme eines
gebenedeiten Herrn und Heilandes wirft. O wo bleibt unsere Weisheit nach dem
Ausspruch des Christentums, da es dies als den Weg zur Weisheit angibt, daß wir
Narren werden nach dem Grundsatze der Welt und derjenige noch nichts weiß, der
da meint, er wisse etwas? Wo bleibt unsere Kraft, da Christus nur in Schwachen
mächtig ist und wir ohne ihn nun einmal nichts tun können? Wo unsere
Gerechtigkeit, da wir alle für Gottlose erklärt erden, unter denen kein
Unterschied ist, als den die Gnade macht? Wo unsere Bemühung, da ihr aus Gnaden
selig geworden seit? Herr, öffne uns die Augen, daß wir sehen die Wunder an
deinem Gesetz!
1. Mose 32,27
Und er sprach: Laß mich gehen, denn die Morgenröte bricht an. Aber er antwortete: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.
In dieser merkwürdigen Geschichte folgt ein Wunder auf das andere. Der Sohn Gottes renkt dem Jakob die Hüfte auseinander, aber Jakob verliert darüber so wenig den Mut, daß er sich dem um den Hals wirft, der ihm alle Kraft genommen, und sich von ihm tragen läßt, da er für sich nicht mehr stehen kann. Jetzt ereignete sich ein neues Wunder. Der Sohn Gottes bittet den Jakob, der Sieger den Überwundenen, der Starke den Schwachen: Laß mich gehen! Aber Jakob weiß seine Zeit klüglich in acht zu nehmen. Er antwortet: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.
Laß mich gehen! So spricht der Sohn Gottes zu Jakob. Dies Wort gehört zu den wunderbaren Worten, deren die Schrift mehrere enthält, zu den Worten, welche auf den ersten Blick etwas Ungereimtes zu besagen scheinen und doch den Charakter der göttlichen Weisheit an sich tragen. Wollten wir eine ganze Reihe solcher Paradoxen, solcher scheinbaren Ungereimtheiten anführen, so möchten es die Stellen sein, wo Paulus sagt: „Wenn ich schwach bin, so bin ich stark“; „als die Traurigen, aber allezeit fröhlich“; „als die Armen, die aber doch viele reich machen“; „als die nichts inne haben und doch alles haben“.
„Laß mich gehen!“ War das Ernst oder Verstellung? Verstellung? Wer kann das von dem Wahrhaftigen denken? Ernst? So war es ihm ein Geringes, sich aus den Armen Jakobs loszuwinden. Es war also eine neue Versuchung, in die er den Erzvater führte. Wehe ihm, hätte er ihn losgelassen! Elendiglich wäre er zur Erde hingesunken; der Sohn Gottes wäre verschwunden und mit ihm der Segen, welchen er durch sein Festhalten erlangte. Laß mich gehen! Wie, konnte er ihm die Arme nicht auch verrenken, welches doch leichter geschieht, als eine Hüfte? Nein, so weit reichte seine Macht nicht, weil sie innerhalb der Grenzen bleiben mußte, welche ihr das gegebene Gotteswort: „Ich will dir wohl tun“, anwies. Die Verrenkung der Arme aber, das Loswinden aus denselben, das Wegeilen, ohne gesegnet zu haben, wäre nicht Wohltun, sondern Schaden gewesen, und das konnte er freilich nicht um seines Wortes willen.
Laß mich gehen! Bedurfte er dazu der Einwilligung seines Freundes? gewiß! Er hatte ja den Bund der Gnade mit ihm und allen geistlichen Nachkommen Abrahams errichtet, nach welchem er ihr aller Schild und Schutz sein will. Er hat sich selbst zum Segnen und Wohltun verbindlich gemacht und kann dieser mit einem Eidschwur bekräftigten Verbindlichkeit ohne die Einwilligung seiner Bundesgenossen nicht los werden, und er selbst hat ihnen in der Wiedergeburt einen solchen Sinn gegeben, daß sie ihm dieses nie einräumen können noch werden. Ich halte dir vor dein Wort: Ihr sollt mein Antlitz suchen, darum suche ich auch, Herr, dein Antlitz. Verleugnen wir, so wird er uns auch verleugnen; glauben wir nicht, so bleibt er doch treu. Er kann sich selbst nicht leugnen (2. Tim. 2,12. 18). Unser Unglaube kann Gottes Glauben nicht aufheben (Röm. 3,3). Aber er begehrte doch wohl nicht wirklich, daß Jakob ihn von der angenehmen Verbindlichkeit, ihm wohlzutun, loslöste? gewiß nicht, sondern er wollte das Vergnügen haben, zu sehen, wie fest durch seine Gnade auch das Herz seines Bundesgenossen ist, wenn auch viele Wasser der Trübsale über ihn ergehen, wie Gottes Same in seinen Kindern bleibt. So war es ihm ungemein angenehmen, wenn ein Hiob erklärte: „Und wenn der Herr mich auch töten wollte, so will ich doch auf ihn hoffen“, ungemein angenehm, wenn seine Jünger sagten: „Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast allein Worte des ewigen Lebens“, wenn seine Kirche in den äußeren Trübsalen und Anfechtungen unverrückt an ihm bleibt. Er selbst ist Urheber von diesem allen, und eben deswegen gefällt es ihm so, denn er hat Wohlgefallen an allen seinen Werken. Welch eine Freude wird es ihm gemacht haben, daß er den Jakob gar nicht wegkriegen konnte, daß er sich kurzum an seinem Worte hielt, daß er sich mit nichts von der Stätte verdrängen ließ, der Herr möchte sagen und tun, was er wollte, nachdem er einmal das Wort von ihm weg hatte: „Ich will dir wohl tun“, daß er sich gar an seinen Hals war, als er ihn des Vermögens, allein zu stehen, beraubt hatte, und auch nun noch unerschütterlich blieb, da es zu ihm hieß: „Laß mich gehen!“ Welch ein Vergnügen macht es ihm, wenn sich der Christ durch keine Leiden und Anfechtungen an ihm irre machen läßt, sondern auch dann an seinem Worte und seiner Gnade klebt, wenn es widerwärtig geht, wenn er getreu ist bis in den Tod.
Dies mutete der Herr dem Erzvater zu, ihn zu prüfen, ob er den auch lieb habe, der ihn so hart angriff und ihm so empfindliche Schmerzen verursachte. Was hier der Herr selbst zu Jakob, - das sagte zu Hiob sein Weib: Du hältst an deiner Frömmigkeit noch fest, obschon dich Gott mit unerhörten Trübsalen heimsucht? Nimm Abschied von ihm und laß ihn fahren! Es ist in der Tat keine geringe Weisheit und Kunst, sich in der Trübsal nicht nur geduldig zu verhalten, sondern sich ihrer sogar zu rühmen und an der Güte, dem Mitleiden und der erbarmenden Freundlichkeit des Herrn dennoch keinen Augenblick zu zweifeln, obschon man mit der Kirche (Jes. 63), klagen möchte: Deine große, herzliche Barmherzigkeit hält sich hart gegen mich; dennoch sagen: Du bist doch unser Vater, mit David bekennen: Dein Weg ist heilig (Ps. 77); und mit dem Klagelied Jeremias: „Deine Güte ist alle Morgen neu!“ Das ist Kunst! Gewiß hat Gott in dieser Zeit der Not manchem seiner Kinder zugemutet, diese Lektion aufzusagen; und zu manchem mag der Versucher gesprochen haben, was die Feinde Jesu zuriefen, da er am Kreuze hing: „Er hat Gott vertraut, der erlöse ihn nun.“
Laß mich gehen! Dies sagte der Herr zum Erzvater, um seinen Glauben zu prüfen, ob der Erzvater dennoch an der Verheißung festhalte: ich will dir wohl tun, obschon das widerwärtige Benehmen des Sohnes Gottes gerade das Gegenteil zu beweisen schien. Der Glaube hat mancherlei Stufen: Jetzt ist es ein Glaube, weil man sieht, fühlt, schmeckt und sich der Herr in seiner Freundlichkeit und Gnade so zu der Seele des Begnadigten bekennt, daß er sagen möchte: ich glaube nicht bloß um des Wortes willen, sondern ich erfahre es an mir selber, daß Jesus Sünder selig macht. Das sind teure Erfahrungen, süß in der Empfindung, köstlich in der Frucht. Aber der Glaube, welcher in diesen Umständen ungemein stark zu sein scheint, ist doch im Grunde sehr schwach. Er wandelt an dem Stabe der Empfindung; die empfindliche Freude am Herrn ist seine Stärke. Er hat seinen Grund mehr in sich selbst als im Herrn und sinkt oft zur äußersten Mutlosigkeit herab, wenn die Entzückung nachläßt.
Eine höhere Staffel ist es: nicht sehen und doch glauben, dem Worte gemäß beten und an Erhörung glauben, obschon man sie nicht mit Findern zeigen kann, glauben, des Herrn Wege seien eitel Güte und Wahrheit, obschon es die Vernunft nicht sieht.
Noch weiter aber geht es, wenn man glaubt auf Hoffnung, wo nichts zu hoffen ist, ja wider die Hoffnung, wider die Empfindung an. So glaubte selbst der Herzog unserer Seligkeit sich durch, da er, von Gott verlassen, von der sichtbaren und unsichtbaren Welt bestürmt, voll Schmerzen an Leib und Seele drei Stunden lang am Kreuze hing. Gott legte ihn in des Todes Staub, und dennoch nannte er ihn im Glauben seinen Gott. Das ist das Höchste im Glauben. Wer da überwinden will, der muß in der Erkenntnis des Geheimnisses Gottes befestigt, der muß in der Verleugnung seiner selbst schon weit gekommen, ihm muß das Gelenk des Vertrauens auf eigene Weisheit und Kraft ziemlich verrenkt sein. Er muß Jesu ziemlich tief ins Herz schauen können und wird dann doch wohl mit Paulus sagen müssen: Uns ist bange, aber wir verzagen nicht (2. Kor. 4,8). Ich glaube, darum rede ich (Ps. 116,10), werde aber sehr geplagt.
Laß mich gehen! Auch der Mut Jakobs ward auf die Probe gestellt. laß ihn gehen, hätte er denken können. Deine Tränen, deine Bitten sind ja ohnehin vergeblich. Die Hüfte hat er dir verrenkt, und was sagen dir die Schmerzen anders, als daß er keine gnädige Gesinnung gegen dich hegt? Wer weiß, was er dir noch weiter für Unheil zufügt! Sieht er doch wohl ein, daß du jämmerlich hinsinken und so dem Esau, ohne nur einmal fliehen zu können, in seine grausamen Hände fallen müßtest, und doch verlangt er: Laß mich gehen! Aber so hatte Jesus schon dafür gesorgt, daß er ihn nicht loslassen konnte und durfte, indem er ihm keine Wahl ließ, sondern ihn selbst in die Notwendigkeit gesetzt hatte, sich an ihn halten zu müssen. Nein, Jesus mußte ihn selbst wegstoßen. Freiwillig ihn loslassen, das tat er nicht; und wegstoßen, das kann Jesus nicht, denn er hat gesagt: Wer zu mir kommt, den werde ich ihn hinausstoßen. Also Mut oder keinen Mut, Jakob mußte wohl!
O glückselige Seelen, die Jesus so verwendet hat, daß nur er sie heilen kann, und die er durch die Empfindung ihres Elendes an sich fesselt, denen er nur die Wahl läßt zwischen Tod und Leben, und die mit Hosea (6,1) sagen müssen: Kommt zum Herrn! Er hat uns zerrissen, er wird uns auch heilen; er hat uns geschlagen und wird uns verbinden. Er wird uns aufrichten, daß wir vor ihm leben. Wohl dem, der sich genötigt sieht, anzuhalten, und sollte er es, ohne Trost zu empfangen, auch bis an seines Lebens Ende fortsetzen müssen, weil er außer diesem nichts als Tod und Untergang sieht. O, ob er verzieht, harre des Herrn! Sei getrost und unverzagt und harre des Herrn!
Laß mich gehen! Welchen Mut mußte das dem Jakob einflößen! Denn was erkannte er daraus? Dieses, daß der Sohn Gottes in seiner Gewalt sei, daß er nicht weggehen wolle noch werde, es sei denn, Jakob gebe seine Einwilligung dazu, und die zu geben, hatte er ihm selbst unmöglich gemacht. Was war das für ein kahler Grund, den er anführte, warum er ihn loslassen sollte: „denn die Morgenröte bricht an!“ Sie mag anbrechen, konnte Jakob antworten, was geht mich das an? Ich habe tausend Gründe, warum ich dich nicht loslasse, und selbst das Anbrechen der Morgenröte ist einer unter denselben! Es bricht für mich ein schwerer Tag an. Ich fürchte mich vor meinem Bruder Esau, ich bedarf deines Segens ganz besonders! Du tust wohl, daß du mich daran erinnerst, damit ich mich noch fester an dich klammere.
O wie angenehm wird es Jesu gewesen sein, daß sein Schüler so wohl bestand, daß sein gutes Werk in ihm so lieblich hervorleuchtete! Um seiner gegebenen Verheißungen willen ist Jesus auch gleichsam in unserer Gewalt; und sollte er, seinem Namen gemäß, noch so wunderbar mit uns umgehen wollen, so kann er weder sich selbst noch sein Wort verleugnen. Wirft er dir vor, du seiest ein Sünder, gib ihm vollkommen recht, und rücke du ihm wieder vor, er sei aber der Sünder Heiland. Gib ihm recht, wenn er dir deinen Unglauben, dein Elend, deine Unwürdigkeit vorhält, und halte du ihm vor sein Wort: Suchet, so werdet ihr finden, klopfet an, so wird euch aufgetan! Als ein Kindlein lag er in Windeln gebunden, und jetzt sind seine Versprechungen die Seile der Liebe, woran wir ihn festhalten mögen. Und das Beste ist, daß er uns selbst festhält, sonst würde der furchtsame Jakob beim ersten Angriff die Flucht ergriffen haben. Wo wie lieblich! Vor seinem Bruder Esau fürchtete er sich, aber vor dem lieben Sohn Gottes auch da nicht, da er ihm die Hüfte verrenkte.
Laß mich gehen! Wie wunderbar, daß er sich in dem nämlichen Augenblick für überwunden erklärt, da Jakob nichts mehr vermochte. So lange Jakob, auf seine Güsse gestemmt, sich noch wehren konnte, tut sein Gegner auch sein Bestes gegen ihn. Sobald seine Füße ihm keinen Halt mehr geben, und Jesus seine Stütze allein und ganz sein muß, ist er es auch ganz allein und vollkommen, und Jakob vermag nun alles, da er nichts mehr kann, durch den, der ihn mächtig macht, Christus, in welchem er hat Gerechtigkeit und Stärke, und der ihn selbst der eigenen Stärke beraubte.
Es geht im Christentum noch auf eine ähnliche Weise. Im Anfang pflegt man noch viel selbst zu können. Man faßt edelmütige Vorsätze und gedenkt, sie trau auszuführen, was auch ziemlich gelingt. Man wappnet sich mit einer Menge schöner Grundsätze und edler Beweggründe. Man hört und liest Gottes Wort mit Andacht und Salbung. Man betet mit Inbrunst und viel. Fehlt man irgend, man büßt es mit bitterer Reue und erneuert seinen guten Vorsatz: Aber, was pflegt sich nachher zuzutragen? Die Inbrunst im Gebet verliert sich, und das gepreßte Herz kann sich kaum durch Seufzer erleichtern. Tränen hat es selten zu vergießen und muß mit großem Kummer erfahren, daß das Wort wohl recht hat, von steinernen Herzen zu reden. Ja, hätte man nur rechten Kummer darüber! Aber man scheint wie verstockt. Betet man auch, ach, wo ist das innige Gebet? Wo der Glaube? Und es wird doch kein Gebet erhört, es geschehe denn im glauben. Wo ist die Andacht, da selbst der Genuß des heiligen Abendmahls die Zerstreutheit nicht hemmen kann bei aller Mühe, die man sich gibt, nur mit guten Gedanken beschäftigt zu sein? Und die guten Vorsätze? O man weiß selbst länger nicht mehr, ob sie wohl so recht aufrichtig sein mögen. Die Eigenliebe, der Unglaube, die Herzenshärtigkeit fühlt man wohl, aber – wie es ändern, wenn der heilige Geist es nicht tut? Und wie den erlangen, da man ein so jämmerlicher Beten ist?
Dann geht es dem Christen nicht anders als dem Jakob bei der Hüftverrenkung. Er meint wohl, er müsse dem Elend ohne Rettung anheim fallen, wovor er sich fürchtet. Tut Jesus es nicht ganz und gar, ist er nicht Anfang, Mittel und Ende, ist es nicht lauter Gnade, daß wir selig werden, so ist wenigstens für ihn weiter nichts zu hoffen. Nur der Name „Jesus“, nur das Wort „Gnade“ hält ihn einigermaßen, da ihm aller sonstige Boden weicht.
Aber was tut nun der treue Hirt? Nun ist es rechte Zeit zum Erbarmen. O, was bekommt der arme Mensch zu sehen? Seinen Heiland, sein Evangelium. Er erkennt seine höchste Treue eben darin, daß er ihn so gedemütigt hat, obschon er meinte, sein Meister habe es wunderbar und übel mit ihm vor. Jetzt findet er, daß der Herr aus lauter Barmherzigkeit nichts gelingen ließ, da er vorher nicht fassen konnte, warum er sein ängstliches Flehen nicht erhören wollte. Nun versteht er, daß der Herr bloß darum seinen Weg mit Dornen verzäunte, um ihn den wahren einschlagen zu machen, und ihn deswegen in die Wüste führte, um freundlich mit ihm zu reden. Laß mich gehen! Das ist gleichsam ein Spiel der ewigen Weisheit auf dem Erdboden, da sie oft wiederholt, um ihre Freude an dem Wohlverhalten der Menschenkinder zu haben. Ein Ähnliches wird uns von Mose erzählt, 2. Mose 32. Dieser Mann Gottes blieb lange auf dem Berge Sinai, von welchem herab der Herr sein Gesetz gegeben hatte. Endlich sprach das Volk: Wir wissen nicht, was aus diesem Manne geworden ist, und bewogen den Bruder Moses, ihnen ein goldenes Kalb zu verfertigen. Er tat es, und sie verehrten es als ihren Gott, aßen und tranken, spielten und tanzten. Der Herr tat es dem Mose kund und sprach zu ihm: Ich sehe, es ist ein halsstarrig Volk, und nun laß mich, daß mein Zorn über sie ergrimme und sie auffresse, so will ich dich zum großen Volke machen. Ohne die Einwilligung seines Knechtes wollte der Herr also nichts tun, und diese Herablassung benutzte sein Diener so geschickt, daß er die Vergebung der Sünde mit vom Berge nahm. Und wie geschickt bestritt er den Herrn mit seinen eigenen Waffen! Er bekennt die Bosheit des Volkes, aber er hält ihm auch sein Wort, seinen Eid, die Ehre seines Namens vor und bindet damit gleichsam seine schon zum Strafen aufgehobenen Arme, denn Gott handelt überall nur seinem Worte gemäß.
Das kananäische Weib ist davon auch ein merkwürdiges Beispiel. Sicherlich nur, um ihr zu helfen, machte der Heiland die weite Reise bis an die Grenze von Tyrus und Sidon. Aber gerade, als wollte er mit dem Helfen und Retten nichts mehr zu tun haben, ging er in ein Haus und wollte es niemand wissen lassen, daß er da sei, aber zum Glück konnte er doch nicht verborgen bleiben. Seine Ankunft ward ruchbar und glücklicherweise einem sehr geplagten kananäischen Weibe bekannt. Sie schrie ihm jämmerlich um Hilfe nach, aber Jesus sah sich nicht einmal um, viel weniger redete er ein Wort. Er ließ sie schreien und schritt unbarmherzig vorwärts. Aber man hätte sein Herz sehen sollen, wie das von Erbarmen wallte! Die Jünger, voll Verwunderung über das ungewöhnliche Verhalten ihres Meisters, legen Fürbitte für die arme Frau ein. Sie werden zurückgewiesen, und das auf eine Art, die auch der bedrängten Mutter allen Mut benommen haben würde, hätte der Herr ihr nicht immer heimlich Mut eingeflößt. „Meine Sendung betrifft nur die verlornen Schafe vom Hause Israel, nicht Leute wie dies Weib.“ Aber sie läßt sich nicht abweisen.
Sie verrennt ihm den Weg, tut einen Fußfall und schreit: Her, hilf mir! Jetzt muß sie noch die härteste Probe bestehen, sie bekommt zur Antwort: es ist nicht fein, daß man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde. Recht ist es freilich nicht, antwortete sie; behandle mich denn nicht wie ein Kind, sondern wie man einem Hündlein tut, dem man etwas von den Überbleibseln gibt! Da ist Jesus überwunden. Weg, ruft er aus, dein Glaube ist groß, dir geschehe, wie du willst.
Er gesellt sich nach seiner Auferstehung zu den beiden Jüngern, welche nach Emmaus wandern. Er redet so mit ihnen, daß ihnen ihr Herz in Liebe und Freude zu brennen anfängt, da er ihnen die Schrift auslegt. Er hält ihre Augen und sie wandern mit ihm fort. Sie hören ihm zu, ohne zu wissen, wer er ist. Endlich, gegen Abend, kommen sie an die Herberge. Seine Liebe ist zu groß, sie noch zu verlassen, und doch will er das Vergnügen haben, von ihnen eingeladen zu werden. Sie nötigen ihn, zu bleiben. Eigentlich heißt es: sie zwangen ihn, was ihm sehr lieb war. Er blieb also. Indem er das Brot brach, wurden ihnen die Augen geöffnet. Sie erkannten ihn, und in dem nämlichen Augenblick verschwand er. Ihre Freude war für sie beide allein zu groß. Sie eilen nach Jerusalem zurück, und da ist alles eine Freude, ein leben, ein Triumph: „Er ist wahrhaftig auferstanden!“
Lazarus, sein Freund, stirbt, obschon man ihm seine Krankheit meldet und er wieder sagen läßt: er werde nicht sterben. Ruhig bleibt er an seinem Ort. Er läßt und liegt da vier Tage. Alles Hoffen ist am Ende. Er läßt die Maria und Martha weinen und jammern, die er doch auch lieb hat, und besucht sie nicht einmal. Ja, er macht sie fast irre an ihrem Glauben, den Lazarus ist gestorben, obschon er gesagt hatte: die Krankheit sei nicht zum Tode. Endlich kommt er, aber zu spät, und steht nun da und weint mit, da er doch hätte helfen können. „Ach, Herr! Wärest du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben“, sagt Maria und fällt weinend und ganz zerknirscht zu seinen Füßen nieder, und niemand kann sich des Weinens enthalten, er selbst auch nicht. Auf einmal heißt es: Lazarus, komm heraus! Und der Tote steht wieder lebendig da, nachdem er vier Tage gelegen. Denn Christi Wort und Zusage muß erfüllt werden, es mag gehen, wie es will. Und Abraham tat der Sache durchaus nicht zu viel, daß er nach empfangener, göttlicher Zusage auf Hoffnung glaubte, wo nichts zu hoffen war.
Laß mich gehen! Sollen viele von den Angehörigen Christi, die sich mit Hand und Herz ihm ergeben, mit den Namen „Jakob“ und „Israel“ genannt werden, wie es Jesaja 44 heißt, so geht es ihnen auf eine ähnliche Weise wie ihm.
Laß mich gehen, so sagt im Anfang die Welt und Sünde zu dem Herzen, das sich Jesus ergeben will, als ob man es im Dienst der Sünde besser haben werde, als in der Nachfolge Jesu. Sie kann heftig und auf mancherlei Weise reizen und versuchen, daß man Jesu sein Herz entziehen, nicht länger gegen sie streiten, sondern sich ihr unterwerfen solle. Die Welt rät:
laß Jesus gehen. Warum wolltest du deinen bisherigen Gesellschaften und Vergnügungen entsagen und deine Tage verkümmern? Denke doch, was würden andere dazu sagen? Wer kann doch so leben? Es ist ja wohl nicht nötig, und wenn es ja nötig ist, ist es ja noch immer früh genug. Sie sucht nur ein Teilchen unsers Herzens zu gewinnen, weil dann alles Übrige leicht nachfolgt. Hat Jesus selbst solche Versuchung aushalten müssen, da es hieß: dies alles will ich dir geben, so du niederfällst und mich anbetest, so werden auch wir sie uns gefallen lassen und als gute Streiter Jesus Christi leiden müssen. Auch der Feind sagt: Laß mich gehen, wie er Jesu selbst lügenhafter Weise die ganze Welt versprach, wenn er Gott fahren lassen und dem Fürsten dieser Welt dienen wollte.
Solange es angehen will, nimmt er dem Menschen das Wort vom Herzen weg. Gerät es ihm nicht weiter, sondern fängt der Mensch an, mit Ernst ans Seligwerden zu denken, dann sucht er ihm die Gottseligkeit als viel zu schwer, das Herz Jesu als voll Zorn und Ungnade zu schildern und ihn zu bereden, es sei nun ohnehin zu spät; es hilft so nicht; beruhig dich, so gut du kannst, und laß die ernsten Gedanken an Jesus und sein Heil fahren! Wenn er nicht gar anführt, was die Verächter Maleachi 3 sagen: Es ist umsonst, daß man Gott dienet, und was sind wir es gebessert, daß wir seine Gebote halten und hart Leben führen vor dem Herrn Zebaoth!
Ja, wie Jesus selbst dort fragte: Wollt ihr auch weggehen? Und hier zu Jakob sagte: Laß mich gehen! So kündigt er auch uns an, daß, wenn wir ihm nachfolgen wollen, wir uns selbst verleugnen und das Kreuz auf uns nehmen müssen, daß man nicht lauter Freude erwarten müsse, sondern auch empfindliche Leiden. Wenn er uns oft lange beten läßt, ehe er hilft, oder sich aufs neue verbirgt, wenn wir glauben, ihn jetzt recht gefunden zu haben, wenn wir in seinen Wegen nicht merken können, daß er uns liebe, daß er für uns sorge, daß er es wohl mache, sondern er uns vielmehr entgegen zu sein scheint wie dem Jakob, dann spricht er gleichsam: Laß mich gehen!
In solchen Umständen hat der Christ eine schöne Gelegenheit, eine Probe abzulegen, wie viel er von Jesus hält, inwiefern es ihm mit dem Seligwerden ein wahrer Ernst sei, was er suche und erwähle, womit er es halte, was er aufopfern wolle. Da ging ein Hiob so weit, daß er erklärte: „Von meiner Gottseligkeit lasse ich nicht, und sollte ich darüber sterben.“ Ein Abraham war bereitwillig, sein Liebstes und Bestes, was er in der Welt hatte, seinen Isaak, aufzuopfern. Die Apostel und viele tausend andere Christen scheuten keine Bande und Gefängnis, ja selbst alle Martern und den grausamsten Tod nicht, um Christus zu gewinnen.
Der Heiland kann aber nicht nur, sondern gibt den Seinigen auch wirklich oft einen solchen Blick in sein Herz voll Gnade, Liebe und Wahrheit, daß sie wie Jakob klar einsehen, daß sie in seinem Namen bitten mögen, was sie wollen, dessen gewiß, daß er es ihnen schenken werde, ja gewissermaßen schenken müsse um seiner Treue und Wahrheit willen. Es wird ihnen so weit um das Herz, daß sie den ganzen Nachdruck des Wortes empfinden: „Hat er seines eigenen Sohnes nicht verschonet, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben: wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?“ „Alles, was ihr den Vater bittet in meinem Namen, das wird er euch geben.“ So weit ward es auch dem Jakob um das Herz bei den Worten: Laß mich gehen! Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn, antwortete er. – Doch davon ein ander Mal! Nur noch dies eine:
Wollt ihr wahre, rechtschaffene Christen
werden, so fürchte sich euer Herz nicht und erschrecke nicht! Glaubt an Gott
und glaubt an Jesus Christus! Geht es auch zuweilen wunderlich, unbegreiflich
und schmerzhaft her: es hat nichts zu sagen. Erschreckt nicht, wenn ihr durch
eigene Kraft weiter nichts mehr ausrichten könnte, denn Christus macht euch nur
darum schwach, damit seine Kraft in euch mächtig werde. Habt guten Mut, oder
habt keinen, nur laßt Jesus nicht! Getreu ist, der euch ruft, er wird es auch
tun. Amen.
1. Mose 32,27
Aber er antwortete: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.
In Ängsten über den Zorn seines Bruders Esau, nimmt Jakob seine Zuflucht im Gebet zum Herrn. Kaum hat er sein Gebet begonnen, so greift in der Dunkelheit der Nacht ein Man ihn an und ringt mit ihm. Er bemüht sich, ihn nicht nur dem Körper nach von der Stätte zu verdrängen durch Anwendung seiner körperlichen Kraft, sondern ihn auch vom Gnadenthron zurückzutreiben durch Vorhaltung seiner Sünden; doch beides nur in der Absicht, seinen Glauben zu üben und ihm einen neuen Segen mitzuteilen. Jakob wehrt sich mit seinen körperlichen Kräften, wehrt sich besonders (nach Hosea 12) durch Tränen und Gebet. Der Kampf wird immer heftiger, so daß sich der Erzvater die Hüfte verrenkt, indem sein Gegner sie anrührt. Aber in dem nämlichen Augenblick, da ihm das weitere Kämpfen unmöglich gemacht wird durch Beraubung seiner Kräfte, da er notwendig ganz überwunden niedersinken und dem Esau in die Hände fallen muß, wirft er sich ganz seinem Gegner um den Hals, und dieser erklärt sich nun für überwunden, erklärt, er sei in Jakobs Gewalt, er könne nicht wen, es sei denn, daß der Patriarch ihn freiwillig loslasse. Wunderbarer Gang! Solange Jakob Kräfte hat, wird er überwunden und siegt in dem Augenblick, da sie verschwinden. Wenn ich schwach bin, so bin ich stark. Den Unvermögenden wird Stärke genug gegeben, aber die Starken werden müde und fallen. Wer kann es begreifen und die Wunder des Reiches Gottes fassen? Nur die, denen es gegeben ist; den andern ist es Anstoß und Torheit. Jakob begriff sehr wohl, was in den Worten steckte: Laß mich gehen, begriff sehr wohl, daß sein Gegner in seiner Gewalt sei, sich ihm übergeben, zu ihm sage: heische von mir, so will ich dir die Heiden zum Erbe geben und der Welt Enden zum Eigentum! Und das benutzte er treulich, wenn er antwortete: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.
Wir betrachten: 1. Was der Segen sei; 2. den Vorsatz Jakobs: Den Sohn Gottes vor Mitteilung desselben nicht loszulassen; 3. den Erfolg.
Der Herr hat uns in seinem Worte die Gnadentür zum Erstaunen weit aufgetan. Wenn wir nur Glauben hätten und wie Jakob einen gehörigen und freimütigen Gebrauch davon machten, so würden wir Wunderdinge erfahren. Es heißt überhaupt: Bittet, so wird euch gegeben. Bittet, so werdet ihr nehmen, daß eure Freude vollkommen sei. Und weder im bitten noch im Geben wird irgendeine Einschränkung gemacht. Vielmehr sagt Christus (Markus 11): Alles, was ihr bitten werdet in eurem Gebet, glaubet nur, daß ihr es empfangen werdet, so wird es auch werden, und setzt hinzu: habt doch Glauben an Gott, denn Amen, ich beteure es euch: Wer zu diesem Berge spräche: hebe dich und wirf dich ins Meer, und zweifelte nicht in seinem Herzen, sondern glaubte, daß es geschehen werde, was er sagt, so wird es ihm geschehen, wie er es sagt. Welche Wechsel – daß ich so kaufmännisch rede – hat der Amen hier auf sich selbst ausgestellt! Und da sein Reichtum unausforschlich ist, so wird an ihrer Zahlung kein Zweifel sein. Ja, Paulus sagt: er ist reich über alle, die ihn anrufen. Aber freilich heißt es: Habt Glauben an Gott! Und der mangelt auf Erden. Der Menschen Zeugnis nimmt man an, aber Gottes Zeugnis, das doch größer ist, nimmt – es lautet erschrecklich – niemand an (Joh. 3). Wer es aber annimmt, der versiegelt es, daß Gott wahrhaftig sei, und wer es nicht tut, der macht sich des ewigen Lebens verlustig.
Auf wie mancherlei Weise sucht unser Heiland die Freimütigkeit im Gebet zu befördern. Er fragt Eltern, ob sie ihren bittenden Kindern wohl einen Stein für Brot und Gift für Speise geben würden, und lehrt uns den Schluß machen, daß der freundliche Gott, der die Liebe ist, doch gewiß Gutes zu geben bereit sein werde, das ihm nichts kostet, da Menschen dazu fähig sind, Gutes zu tun, obschon sie arg sind und es sie etwas kostet. Ist es möglich, daß ein Freund dem andern Dienste erweist, obschon sie ihm Beschwerden verursachen, wenn er dringend darum gebeten wird, und ihr wollt Gott nicht ein Ähnliches zutrauen, der durch einen bloßen Wink die größten Wohltaten mitteilen kann, ohne die mindeste Beschwerde davon zu haben. Ihr haltet es für möglich, daß ein ungerechter, stolzer Richter, der sich vor Gott nicht fürchtet und keinen Menschen scheut, doch der anhaltenden Bitte einer nichtsbedeutenden Witwe willfährt, und könntet meinen, euer gnädiger, liebevoller Vater werde euch fühllos stehen lassen? Er, der da sagt: Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten? Schämt euch doch eures Unglaubens! Seinen Sohn, das Beste, Liebste, Herrlichste, was er hatte, sollte er gegeben haben und sich bei unendlich geringeren Wohltaten besinnen? Sollte er uns vielmehr mit ihm nicht alles schenken? Daran den geringsten Zweifel hegen, sollte nicht Unvernunft, nicht Aberglauben, nicht Torheit und Sünde sein? Ach, Herr, lehre uns doch beten! Denn recht beten ist doch eine wunderbare Kunst.
Wir wissen weder was, noch wie wir beten sollen, wie sich's gebührt; aber der Geist vertritt uns aufs beste mit unaussprechlichem Seufzen. Und gewißlich besteht das Gebet in ganz etwas anderm, als in dem Getön und der Ordnung der Worte, und es ist die Frage, ob manche je in ihrem Leben gebetet haben, wie oft sie zu beten meinen und scheinen, so wie andere sehr kräftig beten, die da glauben, sie könnten gar nicht beten. So ihr aber in mir bleibt, und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren (Joh. 15,7).
Das alles begriff Jakob. Er sah ein, er habe den Sohn Gottes in seiner Gewalt und könne so viel Segen von ihm verlangen, wie er nur wolle. Deswegen erklärt er: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.
Was heißt aber Segnen?
Segnen bei den Menschen heißt: ihnen von Gott durch Christus betend und gläubig allerlei Gutes, besonders geistlicher Art, wünschen. Die Segnungen, welche Isaak und nachgehends Jakob über ihre Söhne aussprachen, waren prophetische Vorherverkündigungen, also ganz eigener Art. Die erste Art von Segnen ist lieblich und heilsam.
Jakob begehrt von dem Herrn selbst gesegnet zu werden, und das Segnen des Herrn besteht nicht in Worten, sondern in wirklicher Mitteilung von Gnade und Gaben. Segnend schied der Herr von der Erde, indem er die Hände aufhob, aber wir lesen nicht, daß er etwas dabei gesagt habe. Er teilte ihnen wirkliches Leben mit, und dasselbe setzte sie in den Stand, nicht mit Trauern, sondern mit Freuden ohne die sichtbare Gegenwart Jesu nach Jerusalem zurückzukehren.
Im Reiche Gottes ist es überall auf etwas Wesentliches abgesehen. Es ist ein Reich der Wahrheit. Die Welt ist ein Reich der Lügen. Sie verspricht zwar Lust, Vergnügen, Ruhe sogar, aber sie hält nicht Wort. Was sie gibt, ist Schein, der wohl eine Zeitlang täuschen kann, so daß der betrogene Mensch selbst meint, wundervergnügt zu sein. Aber ehe er's sich versieht, wird ihm ein Strich durch die Rechnung gemacht, und am Ende läßt sie ihn ganz im Stich. Sie nimmt alle verliehenen Würden, Vergnügungen, Güter und Freuden wieder zurück, um sie andern zu leihen. Sie kehrt sich nicht daran, ob er den ferneren Besitz und Genuß derselben auch noch so heftig begehrte, ob er sich auch noch so ungern davon trennte. Der böse, unerbittliche Tod stiehlt ihm alles, macht ihn selbst zur Erde und jagt ihn nackt und bloß in eine andere Welt, wo er von allen seinen geliehenen Gegenständen nichts antrifft, wo der vornehme Mann nichts gilt, der Reiche nichts hat, weil da nichts in Anschlag kommt als eine neue Kreatur, die nach Gott geschaffen ist in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit, und die er nicht besitzt, - als ein Glaube, der durch die Liebe tätig ist und den er nicht hat. Armer, betrogener Mensch! So ist die Welt ein Lügenreich, und wir selbst sind auch voller Lügen. Sie verleiten den Verstand samt den Begierden, das Heil in der Eitelkeit zu suchen. Daher muß der Mensch wiedergeboren werden, aus einem fleischlichen geistlich, aus einem irdischen himmlisch werden, aus einem ungläubig gläubig werden und so ins Reich Gottes eingehen. Das enthält lauter Wirklichkeit und Wahrheit. Was in demselben böse oder gutgenannt wird, ist es auch wirklich und wird sich so ausweisen. Die Sachen verhalten sich wirklich so, wie es sie schildert. Wenn es sagt: Suche das, so ist es wahrlich der mühe wert. Sagt es: Trachtet darnach nicht, so lohnt sich's auch wirklich der Mühe nicht, darnach zu ringen. Kurz, es rät uns immer gut. Auch seine Versprechungen sind lauter Wahrheit. Sagt es: Christi Blut mache uns ein fröhliches Gewissen und rein von aller Sünde, es erweist sich auch so an unserm Gemüte, wie es viele Tausende zu allen Zeiten in eigner Erfahrung bestätigt gefunden haben. Sagt es: Der Herr sorgt für euch, es erweist sich so an allen, die es fassen mögen. Seine Freuden sind wirkliche Freuden in der Tat und Wahrheit, und wenn es einmal erscheinen wird, was wir sein werden, so werden alle unsere Erwartungen übertroffen sein. Kurz:
Wer Erde sucht, find't Erdenlast
Und geht auf Spreu und Wind zu Gast.
Mit Müh' und Streit, Verdruß und Leid
Erjagt, bewahrt und spät bereut;
ein Freund in Not, ein Trost im Tod,
Dir g'nug ist keiner,
Bis dir's wird einer:
Dein Gott allein!
Lieblich sind die guten Wünsche des einen über den andern, wenn sie aus einem liebevollen, durch Christus zu Gott gekehrten Herzen quellen; denn sie sind Beweise und Zeichen der Liebe, also Äußerungen des Ebenbildes Gottes und folglich etwas sehr Schönes und Heiliges, was nur wahre Christen zu üben verstehen. Sie üben es auch. Wie viele Grüße enthält das neue Testament! Das 16. Kapital des Briefes an die Römer besteht fast aus lauter Grüßen, und grüßen heißt nichts anders, als liebend segnen, und besteht nicht in dem Schall der Worte, sondern in der Bewegung des Herzens. Es steht Christen sehr wohl an, denn sie sind Priester, denen das Segnen zukommt. Daher bestellte Paulus auch sehr gern Grüße von andern, die er keineswegs für unbedeutende Kleinigkeiten ansah. Auch der Apostel Johannes ermangelte nicht, ihm von frommen Kindern aufgetragene Grüße auszurichten, wie sein zweiter Brief beweist. Er nimmt's aber auch recht ernstlich und genau mit den Grüßen, wenn er in der nämlichen Epistel befiehlt, denjenigen, der die Lehre Christi, die Lehre vom Vater und Sohn nicht mitbringe, nicht ins Haus aufzunehmen, ihn auch nicht einmal zu grüßen. Johannes besaß ebenso viel Heiligkeit als Liebe, von welcher man sich überhaupt nicht vorstellen muß, als ob sie zu allem Ja sage, wenn sie sich gleich nicht ungebärig stellt. Gott selbst ist ein Meer von Liebe, und doch brennt sein Zorn, seine Lippen sind voll Grimm, und seine Zunge ist wie ein verzehrend Feuer. Denn wie die Liebe das Ähnliche an sich zieht, so stößt sie auch das Unähnliche mit Heftigkeit von sich. Deswegen wird Jesus auch am Tage des zukünftigen Gerichts sagen: gehet weg von mir, ihr Übeltäter, ich habe euch noch nie erkannt, wie er zum Satan sprach: Hebe dich von mir!
Das Grüßen oder Segnen wahrer Christen ist auch etwas Heilsames und Kräftiges, wenn es geschieht, wie es geschehen soll, mit gläubiger Erhebung des Herzens zu Gott durch Christus. Wir glauben eine Gemeinschaft der Heiligen. Sie besteht nicht bloß in der herzlichen und aufrichtigen Liebe, welche unter wahren Christen so unfehlbar stattfindet, daß Johannes sie als Kennzeichen angibt, man sei vom Tode ins Leben gekommen, und wer den Bruder nicht liebe, bleibe im Tode. Sie besteht nicht bloß darin, daß man die Brüder mit seiner äußeren Habe unterstützt und mit seinen geistlichen Gaben ihnen dient, sie belehrt, aufmuntert, tröstet; sondern wir haben Grund zu glauben, daß unser Werk in dem Herrn keineswegs vergeblich sei, wenn ich euch und ihr hin wiederum mich im Geiste segnet, und wir Heil und Gnade vom Herrn betend aufeinander herabwünschen. Der Herr tut, was die Gottesfürchtigen begehren. Ja, es ist gegenseitige Pflicht. „Wünschet Jerusalem Glück“, heißt es Ps. 122, „es müssen wohl gehen denen, die dich lieben.“ – „Wir segnen euch im Namen des Herrn“, so schließt der 129. Psalm, und Paulus spricht: Betet für einander, so wie er die Gemeine um ihre Fürbitte für seine Person und Amt ersucht. Lasset auch uns das gegenseitig fleißig üben, damit der Leib Christi erbauet werden! Doch ist unser Segnen an sich unkräftig und nur dann kräftig, wenn unsere Herzen vom Herrn dazu getrieben werden und mit seinem Rat übereinstimmen.
Mit aller ihrer Weisheit ist die Welt lauter Lüge, wenn sie sich anmaßt, in geistlichen Dingen mitreden zu wollen, weil sie von Christus nichts weiß. Aber wer ins Reich Gottes eintritt, dem geht das rechte, wunderbare Licht auf, und er sieht, was sonst seinen Augen verborgen war. Segnet Jesus, so teilt er wirklich allerlei seiner göttlichen Kraft mit, was zum Leben und göttlichen Wandel dient.
Was nennen wir denn Segen? Es ist das Gegenteil vom Fluch. So wie dieser alles Unheil nach Leib und Seele in Zeit und Ewigkeit, so faßt hingegen der Segen alles geistliche, leibliche, zeitliche und ewige Wohlsein in sich. Leibliches Wohlsein, das ist: vollkommene Gesundheit, die keine Krankheit, kein Schmerz, kein Überbefinden stört, wo der Körper alle mögliche Vollkommenheit besitzt, so daß keine Müdigkeit ihn drückt, keine Langsamkeit ihn beschwert und kein Tier an irgendeinem körperlichen Vorzug ihm gleich kommt. Freilich müssen wir dabei die endlose Zeit nach der Auferstehung mit in Rechnung nehmen. Allein im Reiche Gottes gelten ja auch tausend Jahre nur für einen Tag, und Jesus macht, als ein vollkommener Heiland, beides, den Leib und die Seele, endlich vollkommen gesund und selig, wofür wir ihn selbst mit Leib und Seele zum Unterpfand im Himmel haben, das uns nicht betrügen wird.
Der geistliche Segen ist ein vollkommen beruhigtes Gemüt, ein alles erkennender Verstand, ein durch und durch vergöttlichtes Herz, welches ganz mit Gott eins ist, wovon schon hienieden ein gutes Maß erfahren werden kann. Freilich lebt man hier noch im Glauben und nicht im Schauen, ist selig und heilig in der Hoffnung, noch nicht im vollkommenen Besitz und Genuß.
Jedoch der Segen, das Leben, das hier beginnt, ist ein ewiger Segen, ein ewiges Leben und wird in uns ein Quell des Wassers, welcher fließt in das ewige Leben. Genug, daß ihr aus Gottes Macht bewahrt werdet zur Seligkeit. Genug, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum besten dienen. Freuet euch, daß eure Namen im Himmel angeschrieben sind, daß euch die Stätte schon bereitet, daß alles in Richtigkeit ist. Der himmlische Josua wird euch schon durch die Wüste führen wissen und es euch weder an Wasser noch an Brot in derselben fehlen lassen. Und müßt ihr einmal Fleisch haben, so weiß er auch dafür Rat. Nur müßt ihr der Welt ihren Knoblauch und Zwiebel lassen.
Das Gesagte beweist schon zur Genüge, daß der Segen die ganze Zueignung des Heils in sich faßt, von dem ersten leisen, dem Menschen selbst noch verborgenen Zug der Willensneigung zu Gott bis zur vollkommenen Seligkeit vor dem Thron des Lammes; von der kräftigen Berufung an bis zur Herrlichmachung im Himmel, denn es ist ein Segen, ein Ganzes. Daher stellt’s auch Paulus, Röm. 8, als eine goldne Kette dar: „Die er versehen hat, die hat er auch verordnet, daß sie gleich sein sollten dem Ebenbilde seines Sohnes. Welche, er verordnet hat, die hat er auch berufen; welche er berufen, die hat er auch gerecht gesprochen, die hat er auch herrlich gemacht. Was wollen wir denn hiezu sagen? Ist Gott für uns, weg mag wider uns sein?“
Irdische Wohltaten sind auch eine Art von Segen, den man nicht übersehen soll. Dies Jahr, die gegenwärtige Erntezeit lenkt unsre Aufmerksamkeit lebhaft darauf hin. Felder und Gärten halten uns eine Predigt von der Güte Gottes, indem sie uns den Genuß derselben darreichen. Dagegen dürfen wir nicht unempfindlich sein, sondern sollen unsere Augen aufheben zu dem Segens-Gott, der seine milde Hand auftut und erfüllt alles, was lebt, mit Wohlgefallen, und von dem unsere zeitliche Wohlfahrt ebenso gut abhängt, wie unsere geistliche. Alles aber, was zu dieser zeitlichen Wohlfahrt gehört, nennen wir dennoch nur eine Art von Segen, weil auch Gottlose dessen teilhaftig werden und Gottselige nicht selten wenig davon bekommen. Gott läßt seine Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten und läßt regnen über Gerechte und Ungerechte. Gottlosen gereicht das zeitliche Gut nur zum Fluch, und sie geraten auf die Dauer doch in die bitterste Armut, wie an dem reichen Mann zu sehen ist. Was hilft es auch dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele? Was hilft aller Anteil an der gegenwärtigen Welt beim Mangel des Anteils an der zukünftigen? Und wie beweinenswert ist die Torheit, über dem Trachten nach einem augenblicklichen Gut ewige Güter zu versäumen, und wie gewöhnlich ist das leider!
Die Quelle alles Segens ist der dreieinige Gott. Der Herr segne und behüte dich! Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig! Der Herr hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden! Von ihm als dem Vater des Lichts kommen alle guten und alle vollkommenen Gaben. Niemand kann etwas nehmen, es werde ihm denn vom Vater gegeben. Es liegt überall nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes freiem Erbarmen und freiem Willen.
Vergeblich steht man des Morgens früh auf und sitzt bis in die Nacht, wenn der Herr nicht sein Gedeihen dazu gibt. Umsonst ist die Wachsamkeit der Wächter, wenn der Herr nicht behütet, und der Fleiß der Bauleute, wenn er nicht mitbaut. Bei aller Schnelligkeit kann es doch dem Läufer fehlen, weil er sie zu früh oder zu spät anwendet. Bei aller Geschicklichkeit kann der Kaufmann sich doch verrechnen und kann fehlen bei aller Klugheit. Zum glücklichen Ausgang eines Streits ist Stärke allein nicht genug, und zum Wohlgeraten hilft es nicht, daß jemand ein Ding wohl könne. Das Gelingen gehört unter ein Gebiet, dem Fürsten keine Gesetze machen können, da diese ihm selbst unterworfen sind. Die Menschen nennen es Glück, wir Christen aber göttliche Vorsehung. Sorget nichts! Wisset wenigstens, daß es nichts hilft! Im Geistlichen verhält sich es auch also, und noch eigentlicher. Der Herr segne dich! Dann bist du gesegnet.
Die eigentliche Ursache des Segens ist Christus, der Gekreuzigte. Der Segen war von uns gewichen und mußte uns wieder erworben werden. Der Fluch war über uns gekommen und mußte weggeschafft werden. Beides war für uns selbst zu groß, zu schwer. Es kostete zu viel, daß wir es müßten anstehen lassen ewiglich. Da sandte Gott seinen Sohn in diese Welt. Er kam in einem Aufzuge, daß niemand ihn für das hielt, was er wirklich war als nur der, dem es der Vater offenbaren wollte. Er kam als ein schlichter Menschensohn und ward an Gebärden wie ein anderer Mensch erfunden! Nur wenige sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit, als des eingebornen Sohnes vom Vater voller Gnade und Wahrheit. Er kam als ein Knecht. Wer dachte, daß er den Herrn vom Himmel vor sich habe? Was für ein Ende nahm er? Er starb in der Blüte seiner Jahre, starb, da er noch nichts zustande gebracht zu haben schien, starb auf die elendeste, schmerzlichste, schmachvollste Weise, verurteilt als ein Schänder göttlicher und menschlicher Majestät, und ward begraben. Was sollte man dazu sagen? Die Jünger wußten es nicht und weinten. Die Juden meinten es zu verstehen: Wäre er nicht ein Übeltäter, wäre etwas an der Sache, wäre es nur halb wahr, was er mit einem Eide beteuert hat, er sei Gottes Sohn, unmöglich hätte er gekreuzigt werden können. Aber es lag und es liegt in der ganzen Sache ein Geheimnis, ein Geheimnis, das von der Welt her verborgen war, das uns aber durch die Apostel geoffenbart ist, ein Geheimnis, das die Obersten dieser Welt nicht erkannt haben, eine Weisheit Gottes bei den Vollkommenen, mit einem Worte: das Geheimnis des Kreuzes Christi. Und was für ein Geheimnis ist das? Paulus erklärt es, Galater 3,13, wenn er sagt: Christus hat uns erlöst von dem Fluche des Gesetzes, und zwar dadurch, daß er ein Fluch für uns ward, welches seine Todesart beweist, denn es steht geschrieben: Verflucht ist jedermann, der am Holz hängt. Und Christus hat am Holz gehangen, auf daß wir den Segen empfingen, der schon dem Abraham verheißen war. Jesus ist demnach Kraft seines Kreuzestodes der wahre Hohepriester, der uns segnet. Bei ihm muß es gesucht werden, wie auch Jakob tat.
Welches ist aber das Mittel, den Segen zu erlangen? Nicht Werke. Geht damit um, ihr bleibt nichtsdestoweniger unter dem Fluche (Gal. 3,10). Quält euch Tag und Nacht, ihr kommt nicht weiter. Jakob hatte auch tüchtig gerungen, und das muß sein, muß solange mit allem Ernst fortgesetzt werden, als man noch etwas auszurichten vermag. Endlich kommt es zum Stillestehen. Endlich blieb Jakob nichts übrig, als mit verrenkter Hüfte sich dem Sohne Gottes an den Hals zu werfen. Und nun erst heißt es: Er segnete ihn daselbst. Durch den Glauben, sagt Paulus an andern Orten, sollen wir den verheißenen Geist empfangen, und er nennt die Galater, die es anders meinten, Unverständige, Bezauberte. Man lese doch das angeführte Kapitel, ja den ganzen Brief nach. Man tue es als ein demütiger Schüler! Man tue es mit betendem Aufschauen auf den Herrn, damit man von ihm selbst die rechte Weise lerne, seines Segens teilhaftig zu werden! Eigene Vernunft tut es hier nicht. Ich danke dir Vater, daß du solches den Weisen und Klugen verborgen hast und hast es den Unmündigen geoffenbart.
Von der Notwendigkeit dieses Segens brauchen wir nicht viele Worte zu machen. Man sollte denken, jeder sähe sie lebhaft ein. Oder seid ihr die Leute, die, wenn sie etwas gesät und gepflanzt haben, selbst machen können, daß es aufgeht und gedeiht? Und sind irgendwo Fürsten, an welche wir uns wenden mögen, um Sonnenschein oder Regen und gesunde Zeit zu erlangen? Seid ihr selbst die Klugen, die Geschickten, die starken Leute, von denen die Richtung des Glücks und der Zeit abhängt, so wollen wir bekennen, daß ihr kleine Götter seid. Könnt ihr selbst den Trieb zu allem guten und den Haß des Bösen in euch wirken? Könnt ihr selbst die Sünde, die Eigenliebe, den Neid, den Eigennutz, den Unglauben aus euch verdrängen? Könnt ihr aus euch selbst sanft, demütig, mildtätig, geduldig, himmlisch gesinnt sein? Nun ja, so müssen wir bekennen, daß ihr wirklich die Gesunden seid, die des Arztes nicht bedürfen, und die Gerechten, die keine Buße nötig haben; müssen bekennen, daß ihr einen andern Stammvater habt, als den Sünder Adam, und daß ihr des zweiten Adams füglich entbehren könnt, daß Pauli Behauptung: es ist hier kein Unterschied, sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhms, den sie vor Gott haben sollen, sich nicht bis auf euch erstreckt und ihr eine unerhörte Ausnahme davon macht. Wir andern glauben, daß Gott es sei, der in uns wirkt Wollen und Vollbringen, glauben, daß wir nicht tüchtig sind, von uns selber etwas Gutes zu denken als von uns selber, sondern daß wir tüchtig sind, ist von Gott. Wir halten dafür, daß es Gottes Werk sei, wenn wir glauben an den Namen des Sohnes Gottes. Wir meinen, Jesus habe vollkommen recht, wenn er sagt: Ihr vermögt ja nicht ein einziges Haar weiß oder schwarz zu machen.
Wenn wir uns Sünder nennen, so wissen wir auch wirklich anders nichts anzugeben, und so bleibt uns kein andrer Rat übrig, als zu dem nämlichen unsere Zuflucht zu nehmen, an dessen Halse Jakob hing, und mit ihm zu erklären: Ich lasse dich nicht, so segnest mich denn! Wisset ihr einen bessern Weg? Gott selbst sagte: ich weiß ja keinen. Endlich wollen wir noch die Möglichkeit der Erlangung dieses Segens betonen und die Gewißheit derselben für alle, die zum Samen Abrahams gehören. Suchet, so werdet ihr finden! Das kann man von irdischen Gütern so bestimmt nicht sagen, sonst hätten wir mehr reiche Leute. Was aber diesen Segen betrifft, so sind wir von der höchsten Autorität, nämlich von dem König aller Könige, befugt, zu versichern: Wer da suchet, der findet. Wem denn daran gelegen ist, der gebe sich ans Suchen, und wer am Suchen ist, der sage ihm Jakob: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!
Seht denn zu, daß ihr die Gnade Gottes nicht
vergeblich empfangt! Es lautet schrecklich, wenn es von jemand heißt: er wollte
den Segen nicht, er wollte den Fluch, der wird ihm auch kommen. Schrecklich
lautet es, wenn es von allen Übertretern des Gesetzes heißt: Er sei verflucht!
Verflucht alles Volk, das nichts vom Gesetz weiß! Hütet euch, daß ihr den
irdischen Segen nicht für zu hoch, den geistlichen aber für zu gering achtet,
und wisset, daß ihr schon längst unter dem Fluche lagt, so lange ihr noch nicht
an Jesus Christus glaubtet. Seht euch beizeiten vor, daß das schon
ausgesprochene Todes- und Verdammnisurteil nicht an euch vollzogen, sondern
durch die Vermittlung Christi in ein Urteil der Rechtfertigung zum Leben
umgeschaffen werde. Was will sonst aus euch werden? Ringt um den Segen wie
Jakob aus aller Macht und aus allen Kräften! Sprecht: Ich will und muß es
wissen, wie es mit meiner Seele Heil und Seligkeit steht; eher ruhe ich nicht.
Nie wird euch die Arbeit gereuen, und sollte es euch auch etwas sauer werden, wie
es auch bei Jakob nicht ohne Arbeit und Schmerz herging. Aber wie herrlich war
der Ausgang, wenn es heißt: er segnete ihn daselbst! Wie glücklich werdet ihr
euch preisen! Mit welchem Dank, mit welcher Freude werdet ihr die Stunde, die
Gelegenheit, den Ort nennen, wo ihr in eurem eigenen Innern des Segens
vergewissert, teilhaftig werdet, versetzt werdet aus dem Lügenreich ins Reich
der Wahrheit und die Wunder desselben selbst erfahrt. Und dann wird der Herr
über euch bleiben. Glücklich wird er euch leiten durch die Wüste, bis ihr
daheim bei dem Herrn seid.
1. Mose 32,27
Ich lasse dich nicht.
Es hält Natur so wunderfest,
Eh’ sie sich ganz dem Herren läßt.
Gott muß durch tausend Kreuz und Leiden
Zu diesem Lassen dich bereiten.
Jesusnam’, du Perl’ der Seelen,
O, wie köstlich bist du mir!
Dich will ich zum Schatz erwählen;
Was ich wünsch’, ist ganz in dir,
Leben, Kraft und Heiligkeit,
Gnade, Ruh’ und Seligkeit!
O, dein Name, deine Treue ewig meine Seel’ erfreue!
Das vorige Mal haben wir betrachtet, was der Segen sei. laßt uns jetzt das Verhältnis Jakobs in Absicht desselbigen erwägen, ausgedrückt in den Worten: „Ich lasse dich nicht.“
Der Segen schließt die ganze Zuneigung des durch Christus erworbenen Heils in sich, von seinem ersten, dem Menschen selbst unmerklichen Anfang an bis zu seiner Vollendung im Himmel, von dem ersten Zug der Willensneigung zu Gott und seiner Wahrheit bis zum Stehen vor des Lammes Stuhl, von der bekümmerten Frage: Was muß ich tun, daß ich selig werden? Bis zur Sättigung mit Wonne wie mit einem Strom. Bei dieser Zueignung gibt es einen Anfang, eine Fortsetzung und eine Vollendung. Jakob äußert ein heftiges, starkes Verlangen nach dem Segen. Doch meint er damit nicht die ersten Anfänge desselben. Daran zweifelte er nicht, daß er bei Gott in Gnaden sei, daß er Vergebung seiner Sünden habe, daß die Erneuerung nach Gottes Bild wirklich in ihm begonnen sei. Er zweifelte nicht an der Gültigkeit des von seinem Vater – wenngleich nicht auf dem ganz geraden Weg – empfangenen Segens, den nicht nur sein Vater, sondern Gott selbst bestätigt hatte. Er zog die ihm zuteil gewordenen, göttlichen Verheißungen keineswegs in Zweifel, sondern berief sich (Vers 12) mit aller Freimütigkeit darauf. Er betrachtete sich nicht wie einen Menschen, an dem der Herr bisher keinen Gefallen gehabt, sondern als einen, wenngleich ganz unwürdigen, doch glückseligen Gegenstand seiner Barmherzigkeit und seiner wohlmeinenden Güte, wovon er auch die augenscheinlichsten und rührendsten Beweise hatte.
Allein er war nicht satt geworden. Er begehrte auf eine höhere, innigere, tiefere Weise gesegnet zu werden als bisher. Und diese Begierde, diesen Hunger, dieses Sehnen hatte der Herr selbst in ihm erregt. Der Herr hatte ein Bedürfnis für einen höheren Segen, für eine wesentlichere Mitteilung der Gnade in ihm erweckt. Er hatte ihm nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich eine tiefe Wunde beigebracht, die ihn nach Heilung begierig machte. Er konnte auf die bisherige Weise nicht mehr bestehen. Er konnte mit seiner bisherigen Stufe im Gnadenstande nicht mehr zufrieden sein. Er mußte mehr haben. Aus dem Jakob sollte ein Israel werden. Der Adler merkte seine Flügel und wollte damit auffahren. Es ging ihm, wie dem Weizenkorn im Schoße der Erde, dessen Keim die Hilfe sprengt und sich hervordrängt. Es hieß jetzt gleichsam zu ihm, wie zu seinem Großvater Abraham: Wandle vor mir und sei fromm und sei vollkommen; denn ich will einen Bund zwischen mir und dir machen. Aus dem Jüngling sollte ein Mann werden.
Wird eine Seele von dem niedern Stehen in der Gnade zu einem höheren, zu einem völligeren Glauben berufen, soll Christus mehr eine Gestalt in der Seele gewinnen, so geht auch ein gewisses Drängen vorher. Dies war auch bei Jakob der Fall, und der Herr bediente sich verschiedner Mittel, dieses Bedürfnis und diesen Hunger für eine höhere Mitteilung der Gnade und des Segens in ihm zu wirken. Er gab ihm zunächst den Befehl, in das Land Kanaan, wo sein Vater, aber auch sein Bruder Esau wohnte, zurückzukehren, und führte ihn so nach und nach auf den Kampfplatz, wo es ihm wunderlich, doch herrlich erging. Bisher hatte er sich in Mesopotamien um seines Bruders Grimm nicht zu bekümmern gehabt, obschon er mit seinem geizigen Schwiegervater seine Last Und Mühe hatte. Aber nun ward er mit allem, was ihm lieb und teuer war, gleichsam aufs Spiel gesetzt, ward, wie Paulus sagt, gleichsam den Löwen vorgeworfen. Es war seine eigene Wahl nicht, das wäre tollkühn gewesen, und er würde sich Gottes dabei nicht haben getrösten können. Es war eine Führung Gottes über ihm. Darauf beruft er sich auch (Vers 9): Du hast zu mir gesagt: Ziehe wieder in dein Land. Und der Herr hatte ihm verheißen: Ich bin mit dir, wohin du ziehst, und will dich behüten (Kap. 28,15). Eigne Vernunft und eigner Wille würden ihn nicht gut geleitet haben und leiten keinen gut. Daher ist es eine Verheißung: Ich will dir deinen Weg mit Dornen verzäunen, dich in eine Wüste führen und freundlich mit dir reden (Hosea 2). Daher bittet David: Dein guter Geist führe mich auf ebener Bahn, und abermal: Wende von mir den falschen Weg und gönne mir dein Gesetz!
Allein es war dem Jakob nicht verliehen, sich in diesen Umständen seinem Bruder gegenüber so zu verhalten, wie es den empfangenen Verheißungen angemessen gewesen wäre. Unter der weisen Zulassung des Herrn bemeistert sich seiner Seele eine gewaltige Furcht vor seinem erzürnten Bruder, und er verhält sich dabei zum Teil allzu menschlich, zum Teil jedoch musterhaft. Die Empfindung der Furcht war nicht nur an sich beschwerlich, sondern man hätte auch denken sollen, sie würde bei einem Manne wie Jakob nicht haben statthaben können. Ohne Zweifel betrachtete er selbst sie als etwas Ungeziemendes, als etwas Unschickliches, ja Ungereimtes, wozu er teils keine Ursache habe, teils dadurch der Treue, Macht und Zusage des Herrn zu nahe trete. Aber diese Betrachtung vermochte nicht ihn zu beruhigen. Seine Vernunft sah zu viel auf das Sichtbare, zu wenig auf das Unsichtbare, zu viel auf den Esau, zu wenig auf Gott, und er selbst konnte sich davon nicht frei machen.
Und was entstand daraus? Der Kampf, das Verlangen, der Sohn möge ihn frei machen. Bis er das erlangte, benahm er sich allzu menschlich klug. Daher seine demütige Gesandtschaft an seinen Bruder, daher die untertänigen und übertriebenen Höflichkeiten, da er den Esau immer seinen Herrn, sich aber seinen Knecht zu nennen befahl. Daher die kluge Verteilung in zwei Haufen, um wenigstens den einen zu retten. Daher die Aufstellung der Geschenke vornan und die Abrichtung aller einer Hausgenossen zu ausnehmenden Komplimenten. Er tat alles, sich von seiner Furcht zu befreien. Aber dennoch heißt es von ihm: Jakob fürchtete sich sehr, und ihm war sehr bange. Und freilich sollte er sich selbst nicht frei machen. Diese Ehre gebührt dem Sohne Gottes allein. Ohne Zweifel wurde die Angst Jakobs durch die Vorwürfe noch peinigender, die ihm sein erleuchteter Verstand darüber machte, welcher ihm ein ganz entgegengesetztes Verhalten vorschrieb, ein Verhalten, wie es den empfangenen, vielen Beweisen der göttlichen Huld angemessen war, wie es David im 91. Psalm ausdrückt: "Ob tausend fallen zu deiner Rechten und zehntausend zu deiner Linken, so wird es dich doch nicht treffen. Ja, du wirst mit deinen Augen deine Lust sehen. Es wird der kein Übel begegnen und sich keine Plage deiner Hütte nahen; denn er hat seinen Engeln befohlen, daß sie dich behüten sollen auf allen deinen Wegen."
Was hatte Jakob nicht alles für sich? Den von Gott selbst bestätigten Segen seines Vaters, auf seiner Flucht das merkwürdige Traumgesicht von der Himmelsleiter und die herrliche Verheißung von dem Segen, der sich durch seine Nachkommen über alle Völker ausbreiten solle, die vielen zeitlichen Güter, welche ihm der Herr während seines Aufenthaltes bei Laban auf eine so augenscheinliche Weise verliehen hatte, den ausdrücklichen Befehl zur Rückreise mit dem zugesicherten Schutz, die wundervolle Lenkung Labans, daß er, seines grimmigen Zorns ungeachtet, kein unfreundlich Wort mit ihm reden durfte, die Begegnung eines Heeres von schützenden Engeln bei Mahanaim. Und doch noch Furcht, eine so große Furcht! Das war offenbar nicht rechts, war ein Beweis, daß Jakob noch keinen völligen Glauben besaß, daß er diese Perlenschnur von Verheißungen genug, aber nicht Glauben genug. Wer sich noch fürchtet, sagt Johannes, der ist nicht völlig in der Liebe (1. Joh. 4,18). Die Furcht hat Pein; aber die völlige Liebe treibet die Furcht aus. – Der völlige Glaube flieht nicht (Jes. 28,16), er eilet nicht und fürchtet sich auch nicht. Wer mit Psalm 46 sagen kann: Gott ist unsre Zuversicht und Stärke, der spricht auch: darum fürchten wir uns nicht, wenn auch die Welt unterginge und die Berge mitten ins Meer sänken.
Aber auf diesem Standpunkt befand sich Jakob damals noch nicht, und man hüte sich vor dem Gedanken, als ob dies ein Standpunkt sei, wozu vielleicht nur alle hundert Jahre ein einziger Heiliger gelange, vor dem Gedanken, er könne deswegen von andern auch nicht erreicht werden, weil wir selbst dahin noch nicht gekommen sind. Denn solche Gedanken sind sehr schlechte, Gott verkleinernde Gedanken, Ruhestätten des Fleisches. Jakob fühlte das gar wohl, daß sein Glaube noch nicht der Verheißung gemäß sei. Seine Furcht wich allen seinen Klugheitsmaßregeln kein Haar breit und lachte, wie Hiobs Leviathan der bebenden Lanzen. Alle eine Bemühungen, selbst sein Gemüt zur Stille und Beruhigung zu bringen, waren fruchtlos und beförderten seine Furcht und Unruhe nur, statt sie zu besänftigen.
O glückliches Mißlingen des eigenmächtigen Wirkens, Selbsthelfens und Besserns! Glücklich der, dem über dem Ringen die Hüfte der eigenen Kraft, Klugheit und Gerechtigkeit auseinandergeht, dem nichts übrig bleibt, als sich ganz dem Herrn Jesus in die Arme zu werfen!
So ging es dem Jakob. Sein beschwerlicher Zustand von außen und noch mehr von innen, dem er selbst nicht abhelfen konnte, nötigte ihn, durch Gebet seine Zuflucht zum Herrn zu nehmen. In demselben legt er ihm seinen Gemütszustand offen und bekennt aufrichtig: Ich fürchte mich vor meinem Bruder Esau. Zugleich bittet er um eine höhere Mitteilung der Gnade. Vielleicht waren es mehr unaussprechliche Seufzer als deutlich empfundene und klar ausgesprochene Bitten, ein Ächzen der neuen Kreatur, die wider ihren Willen unter der Eitelkeit gefangen lag, nach der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes, ein Sehnen nach etwas Besserem, was er nicht deutlich an den Tag legen konnte.
Aber der, der die Herzen erforscht, kannte des Geistes Meinung wohl. Er selbst hatte diesen höhern Hunger nach Gerechtigkeit in ihn hineingelegt, diesen Drang in ihm gewirkt. Gleichwie ein Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schrie seine Seele zu Gott. Seine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott, daß er dahin käme, daß er Gottes Angesicht schaute. Daselbst sah er nach ihm in seinem Heiligtum und wollte gern schauen seine Macht und Ehre. Das wäre seines Herzens Freude und Wonne gewesen, wenn er den Herrn mit fröhlichem Munde hätte loben mögen (Psalm 63). Er suchte die Einsamkeit. Er betete und weinte, wie Hosea sagt. Er konnte sich nicht recht sagen, was er wollte. Es war nicht bloß die Furcht, wovon er befreit zu werden wünschte, sondern auch die eigentliche Quelle derselben, das noch nicht im völligen Glauben geöffnete Herz, das Gott in seinen Verheißungen noch nicht so fassen konnte. Es waren gleichsam geistliche Geburtswehen, wie der Heiland sagt, wodurch etwas Neues in der Seele ausgeboren werden sollte.
Aber nachdem der Herr ihn so angefaßt hatte, fing die rechte Arbeit erst an. Der Herr rang selbst wider ihn. Seine Sünde und Unwürdigkeit ward ihm tief aufgedeckt, aber zugleich sein Drang zum Herrn, sein Hunger nach dem Segen so vermehrt, daß er nicht ablassen konnte, mochte es gehen, wie es wollte. Obschon aufs übelste zugerichtet, obschon aller Kraft beraubt, erklärte er dennoch: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn! Unmöglich kann ich dich eher lassen; ich will, ich muß einen besonderen Segen haben. Der Herr war willens, ihm denselben mitzuteilen, deswegen bereitete er ihn dafür zu. Er raubte ihm alle sonstigen Stützen, damit der Herr selbst sein Stecken und Stab sein könnte. Er benahm ihm alle Kraft, damit er sie in dem Sohne Gottes allein finden möchte. Er mußte die Vertreibung der Furcht, aller ihm gegebenen Verheißungen ungeachtet, er mußte die Umänderung seines Herzens, die Beruhigung seiner Seele für sich unmöglich finden, damit er dies und alles andere allein bei dem Herrn suchte und von ihm erwartete. Er nahm ab, Christus wuchs. Er ward klein, zunichte, damit der Herr groß, ja alles würde, so daß er noch auf seinem Sterbebett bekennen mußte: Er hat mich erlöst von allem Übel und nicht ich selbst, sowie er sein ganzes, inneres Bestehen in den Worten ausdrückt: Herr, ich warte auf dein Heil!
Ähnliche Wege hat der Herr auch mit andern gehalten, an welchen er sich näher in seiner Herrlichkeit offenbaren wollte. Nehmt die Jünger! Der Herr hatte ihnen noch vieles zu sagen, aber sie konnten es da noch nicht tragen; sie waren noch nicht fähig, es zu fassen. Es würde ihnen ungereimt vorgekommen sein, sie hätten es nicht annehmen können; also schwieg der weise Heiland und hatte Geduld, bis der Geist kommen und sie in alle Wahrheit leiten würde. Allein, was ging der näheren Offenbarung Christi in ihren Herzen voran? Der Heiland deutet es selbst (Joh. 16,21) in der Gleichnisrede an: ein Weib, wenn sie gebiert, hat die Traurigkeit, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr der Angst um der Freude willen, daß der Mensch zur Welt geboren ist. So habt auch ihr jetzt Traurigkeit, aber ich will euch wieder sehen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen. Und Paulus sagt zu den Galatern: Meine lieben Kinder, die ich abermal mit Ängsten gebäre, bis daß Christus in euch eine Gestalt gewinne. Die Jünger aber kamen über dem Leiden Jesu selbst mit in ein tiefes, ungewohntes Leiden. Ihr ganzes, bisheriges Gebäude ward über den Haufen geworfen, und es blieb allein der Grund desselben, den Gott selbst in sie gelegt hatte. Aber der andere Grund der sündlichen Natur offenbarte sich auch auf eine Weise, wie sie es nie von selbst geglaubt hätten. Sie hielten sich zwar schon längst für Sünder, aber doch zugleich für weit bessere Menschen, als sie sich nun kennen lernen mußten. Sie ärgerten sich an Jesus, der doch den selig gepriesen hatte, der sich nicht an ihm ärgern würde. Sie ärgerten sich an Jesus, obschon sie das für unmöglich gehalten hatten und deswegen ihm hartnäckig widersprachen, als er es ihnen voraussagte, es werde mit ihnen dahin kommen. Nimmermehr, antworteten sie; dazu sind wir dir zu sehr ergeben. Aber als es darauf ankam, liefen sie alle davon, ließen Jesus im Stich, suchten es geheim zu halten, daß sie seine Anhänger gewesen, fürchteten sich vor ihren Esausbrüdern und besorgten, sie würden die Mütter mit den Kindern schlagen. Ja, sie fingen an, ihre Hoffnung: Jesus werde Israel erlösen, für grundlos zu halten und also zu denken, es sei ihm von den Juden ein Streich geschehen, dessen er sich nicht versehen habe.
Das ging in ihrem alten Grunde, in ihrem natürlichen Verstande und Herzen vor. Was machte aber indessen ihr neuer Mensch? Der weinte und heulte, wie Jesus ihnen vorhergesagt hatte. Der befand sich in Geburtswehen; aber es war noch keine Kraft da zum Gebären. Der wollte zu einer höheren Stufe des Glaubens ausbrechen; aber es fehlte an dem dazu nötigen Licht und an der Kraft. Sie heulten also vor Unruhe und Angst ihres Herzens und glichen einem Schiff auf stürmischer See. Sie wurden hin und her geworfen, hatten keinen Anker und sahen keinen Hafen. Mit Jesus war es aus und mit ihnen auch. Ein Mann rang mit ihnen, um sie von der Stätte zu drängen, sie an Gott, an Jesus, am Reiche Gottes, an allen Verheißungen, an sich selbst irre zu machen. Der Bräutigam war von ihnen genommen und die Zeit zum Fasten für sie da. Aber was folgte darauf? Eine höhere Offenbarung der Herrlichkeit Christi, eine Einsicht, wie sie sie früher nicht gekannt, ein Glaube, der ihnen bis dahin fremd gewesen, eine Erkenntnis der Schrift, wie sie sie bisher nicht gehabt, eine Demut und ein Vertrauen, eine Unmündigkeit und eine Weisheit, die ihnen früher ganz fremd gewesen waren.
"Ich will dich auserwählt machen im Ofen des Elendes" (Jes. 48,10). Wer mit Christus auferstehen will, der wird auch vorher im Ölgarten samt ihm um und um mit Trauen umfangen und gebunden worden sein. Er wird eine Weile sich nicht regen können, damit er frei werde, wird vom göttlichen und weltlichen Gericht, vom Gesetz und seinem Gewissen verdammt, damit er für gerecht erklärt, gekreuzigt und getötet werde, damit er Gott lebe. Die wahre Gottseligkeit besteht nicht in Worten, sondern in Früchten der Buße und des Glaubens, in wesentlicher Erfahrung von Sünde sowohl als von Gnade, von sich selbst und von dem lebendigen Gott.
Auf eine ähnliche Weise geht es allen denjenigen unter den Christen, welche dazu verordnet und berufen sind, dem Sohne Gottes gleichförmig zu werden. Nachdem sie die erste Station der Buße durchgegangen, nachdem sie durch die enge Tür ins Reich Gottes gedrungen sind, nachdem sie der Vergebung der Sünden fröhlich versichert worden sind und an Christus und seine Gnade glauben, genießen sie viel. Der Bräutigam ist bei den Hochzeitsleuten, wie können sie Leid tragen? Ein schönes Kleid wird ihnen angelegt. Sie bekommen einen Ring an ihre Finger, Schuhe an ihre Füße. Ein Freudenmahl wird zugerichtet; man hört den Gesang und den Reigen. Die Versicherung vom Gnadenstand ist groß, die Freude innig. Man spricht auch zu andern: Kommt her, die ihr Gott sucht! Man spürt eine Kraft, daß man schon Pauli Ruhmsprache führt: In allem überwinden wir weit um deswillen, der uns geliebt hat, einen Mut, der keine Schmach der Welt, kein Kreuz, keinen Tod, keinen Teufel scheut, ein Himmlisch-gesinntsein, das alles auf Erden anekelt, einen Geschmack am Lesen der heiligen Schrift, daß man selbst dem Schlaf einige Stunden abbricht, einen Einfluß zum Beten, daß Stunden verfliegen wie Augenblicke und man nur mit Unlust davon scheidet, Mitteilungen der Gnade, daß man sie kaum auszuhalten vermag, eine Bereitwilligkeit zu leiden, daß man bereit wäre, sein Brot zu betteln und alle seine Habe den Armen zu geben, einen Abscheu an der Sünde, der an Zorn grenzt, eine Leichtigkeit zu allem guten Werk, daß man Jesu Joch von ganzem Herzen als Saft und seine Last als leicht preist. O, wie ist man jetzt so selig! Man meint, man müßte es allen Menschen sagen, damit sie sich doch auch aufmachten. Man gönnt es ihnen, daß sie doch das Glück auch wüßten, und quält wohl seine noch unbekehrten Hausgenossen mit unablässigen Zuredungen, sie möchten sich doch auch bekehren, (gerade als wäre das Menschenwerk) und ruft: "Ach, ganze Welt, ach komm herein! Hier kannst du, daß Gott gnädig sei ohn' dein Verdienst, anschauen!" Wollen erfahrene Christen solchen Seelen dreinreden, daß sich das ändern werde, so ist ihnen das unglaublich. Wie könnten sie auch fasten, so lange der Bräutigam bei ihnen ist? Vielmehr rufe man ihnen zu: Freuet euch, der König kommt! Durch sein Erbarmen hat der Herr ihren Berg fest gemacht. Sei sprechen: Nimmermehr wollen wir uns fürchten. Aber wenn er sein Angesicht verbirgt, so erschrecken sie. Dies ist gleichsam der Willkomm im Reiche Gottes. Sie kommen, wie die Kinder Israel nach ihrem Auszug aus Ägypten und Durchgang durchs Rote Meer nach Elim zu den zwölf Wasserbrunnen und siebenzig Palmenbäumen und lagern sich daselbst.
Aber von da zieht die ganze Gemeinde in die Wüste, die nach Sinai führt. Die Erquickungen lassen nach und wechseln oft mit großer Dürre. Die Seele empfindet bald eine große Kraft, bald sieht sie sich in dem jämmerlichen Unvermögen. Jetzt hat sie großen Mut und dann eine große Zaghaftigkeit. Nun kann sie sich Jesus zueignen und dann wieder nicht. Zu einer Zeit fühlt sie sich zu heiliger Übergabe sehr geschickt, zu einer andern gar nicht dazu aufgelegt. Dieser beständigen Abwechslungen wird die berufene Seele endlich ungemein müde, und sie fragt: Sollte denn das Herz nicht fest werden können? Sie fragt: Sollte es denn bloß ein Paulus gewesen sein, der da sagen konnte: Ich weiß, an welchen ich glaube, und bin gewiß? Sollte man denn nicht zu dem Glauben gelangen können, den der Apostel beschreibt als eine gewisse Zuversicht des, das man hoffet, und nicht zweifeln an dem, das man nicht sieht, als einen Reichtum des gewissen Verstanden? Sollte man denn nach der Vorschrift des Johannes die Liebe, die Gott in Christus zu uns hat, heutzutage nicht mehr so glauben und erkennen können, daß die Furcht durch die Liebe ausgetrieben wird und man eine Freudigkeit hat selbst auf den Tag des Gerichts? Oder sollte ich nur nicht dazu gelangen können, da doch bei Gott kein Ding unmöglich ist, wenngleich ich aus mir selber nicht tüchtig bin zu einigem guten und geneigt zu allem Bösen? Sollte man in unsern Tagen nicht mehr zu einem Gnadenstande gelangen können, wie er jenen Beschreibungen des Apostels gemäß ist, wenn er schreibt von einem Lossein vom bösen Gewissen, von einem freimütigen Hinzunahen zum Gnadenthron, von einer Ruhe in Gott, von einem Anhangen an dem Herrn, wodurch man ein Geist mit ihm wird?
Genug, sie muß glauben, daß es etwas Höheres, Herrlicheres und Seligeres im Christentum gebe, als sie selbst und auch ihre Bekannten es bis dahin erfahren haben mögen, und sie spürt einen lebhaften Hunger nach diesem wesentlichen Christenstande, obschon sie sich desselben unwürdig erkennt und bekennt, daß es von der freien Gnade des Herrn abhange, ob es ihm gefallen wolle, sie aus ihrer bisherigen Enge in einen weiten Raum zu führen, und sie preist diejenigen auserwählten Seelen besonders selig, die aus Gnaden dazu gelangt sind, wobei sie glauben lernt, daß den unehrlichsten Gliedern manchmal die größte Ehre angetan wird und niemand Ursache habe, um seiner Unwürdigkeit willen zu verzagen, weil es nicht ist aus Verdienst der Werke, sondern aus Gnaden. Solche Seelen, die in einem vorzüglichen Sinne nach Gerechtigkeit hungern und dürsten und denen das Sattwerden verheißen ist, empfinden einen Ekel, ein gewisses Mißfallen an ihrem bisherigen Bestehen in der Gottseligkeit, und sie entdecken in allen ihren guten Übungen ungemein viel Armseligkeit und können sie auf die bisherige Weise nicht mehr fortsetzen. Sie sehen zu deutlich die sich in alles mengende Eigenliebe und Eigengerechtigkeit. Sie verabscheuen das eigene Wirken, obschon sie es auch noch nicht aufgeben können. Sie erkennen auch die Erquickung als etwas, was das Wesentliche im Christentum nicht ausmacht. Sie schmachten darnach, daß der Sohn sie recht freimache, daß die Hilfe aus Zion über Israel käme und der Herr sein gefangen Volk erlöste.
Hier nun bekommt der Mensch weit tiefere Einsichten in die eigentliche, verderbte Beschaffenheit unsers Herzens, Einsicht in die schreckliche Eigengerechtigkeit und Eigenliebe, die uns ganz durchdrungen hat, in den ungeheueren Unglauben, worin wir begraben sind, und muß alles Selbsttun als lauter Hinderung betrachten. Hier geht es ihm nicht anders als dem Jakob, da ihm seine Hüfte verrenkt, ihm also alles Vermögen, für sich zu stehen, alles Vermögen, weiter zu kämpfen, benommen war und ihm also nichts übrigblieb, als entweder wehrlos seinem ergrimmten Bruder in die Hände zu geraten oder sich einem Gegner an den Hals zu werfen. Nichts bleibt ihm übrig, als sein Vertrauen und seine Hoffnung ganz auf den Herrn zu setzen und mit Jakob zu sagen: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn; du segnest mich denn mit einem höheren Lichte, als mir bisher geleuchtet, wodurch ich dich, mein Heiland, recht erblicke, wie du am Kreuz mich hast versöhnt, mit einem standhaften Frieden, der mein Herz und Sinn bewahrt in Christo Jesu; statt der bisherigen Störung meines Gemüts, mit einem völligen Glauben, der aus deiner Fülle nimmt eine Gnade um die andere und an dir bleibt wie eine Rebe an dem Weinstock, der eine gänzliche und beständige Zustimmung zu dem Erlösungswerk abgibt und darin beharrt, so daß ich gewisse Zuversicht haben: - du segnest mich mit einer wahren Gemeinschaft mit dir, so daß ich ohne Unterlaß beten, dir Dank opfern und dadurch dich preisen kann! Sehr, so ist das Gebet Jakobs: "Ich lasse dich nicht!" ein Gebet des Anfangs, aber auch ein Gebet des Fortgangs im Gnadenleben. Wohl dem, der es in beider Beziehung braucht, dem ein Licht aufgeht in der Finsternis!
Der Herr segne uns alle! Er fange sein Werk in
den Seelen an, wo es noch nicht geschehen ist! Und wo der Anfang da ist, da
fördere er es, daß der völlig Tag anbreche! Völlige Einsicht, völliger Glaube,
völlige Heiligung, völlige Liebe sei unser Gnadenteil!
Er sprach: Wie heißest du? Er antwortete: Jakob.
Die Absicht des Herrn ging dahin, dem Erzvater einen höheren Segen mitzuteilen, als er bisher gehabt. Aber man sehe doch, welch einen seltsamen Weg er dazu einschlägt! Es scheint auf seinen gänzlichen Ruin abgesehen zu sein. Ja, es scheint nicht nur, es ist wirklich so. Jakob wird immer enger und enger in die Klemme gesetzt. Er fürchtet sich vor Esau, und die empfangenen Verheißungen tun ihm die gehofften Dienste nicht mehr, daß sie sein Gemüt beruhigten. So verrechnet sich manche Seele bei den Verheißungen, welche ihr besonders lebhaft eingeprägt worden sind. Sie betrachtet sie als ein Kapital, wovon sie einmal in der Not Vorteil ziehen können, und merkt sie sich sorgfältig, um sich dann, wenn sie es bedarf, einmal daran erquicken und aufmuntern zu können. Aber siehe, das ersparte Manna will seine Dienste nicht tun. Das Wort ist wohl dasselbe, aber da der Geist nicht dabei ist, so haftet es so wenig bei Jakob, der sich dennoch fürchtete. Und das hat auch seinen Nutzen.
Während Esau noch fern ist, und er sich durch Gebet stärken will, fällt ihn feindselig ein Mann an und ringt mit ihm. Er zerreißt seine Seele durch Vorrückung seiner Sünden und seinen Leib durch Verrenkung der Hüfte. Und seine Absicht – ist die, durch das Erstere ihn zu nötigen, den Herrn als seine Gerechtigkeit, durch das Andere aber, ihn als seine Stärke zu ergreifen. Jakob begriff das sehr wohl. Deswegen ließ er sich nicht von der Stätte verdrängen, sondern setzte sich zur Wehr, und da er sich nicht mehr wehren konnte, warf er sich in die Arme des Herrn und ließ sich tragen. Und so eben wollte der Herr es gern haben. – So sehen wir selbst die Seelen, die es für etwas Böses ansehen, wenn ihre eigene Gerechtigkeit durch Sündengefühl und die eigene Kraft durch Ohnmacht zerstört wird. Beides leitet doch zuletzt zu einem Glauben, der da schwört: In dem Herrn habe ich Gerechtigkeit und Stärke. Aber nun meint man, es gehe nur dann gut mit uns, wenn unser Vornehmen überall gelingt, da es uns doch oft weit nützlicher ist, wenn uns unser Vornehmen überall mißlingt, damit es hernach recht gelingen möge.
In der jämmerlichen Lage, am Halse seines Gegners hangend, wird innerlich die Begierde des Erzvaters nach einem höheren Segen heftig vermehrt und ihm sodann zugemutet, den loszulassen, der ihm denselben allein erteilen kann. So kann's scheinen, als bekümmere sich Jesus um den Jammer der Seele nicht, als wenn sie darin stets bleiben müsse. Aber die Absicht des Herrn ist nur die, den Menschen gründlich die eigentliche Quelle kennen zu lehren, aus der alles Gute quillt, und ihn so tief von der Unzulänglichkeit alles Selbstbessern zu überzeugen und davon zu heilen.
Jetzt bittet Jakob um Segen. Aber er bekommt ihn nicht augenblicklich, sondern der Herr läßt sich erst in ein Gespräch mit ihm ein, welches noch einen Aufschub verursacht. Das müssen christliche Seelen sich auch gefallen lassen. Sie meinen leichtlich, wenn sie ein oder etliche Mal mit Ernst und Drang um ein Heil, eine Gnadenwohltat gebeten haben, so müßte sie nun auch alsbald erfolgen, oder sie besorgen, ihr Gebet sei nicht rechter Art und ihr Gnadenstand ungewiß, wenn es nicht geschieht. Aber, lieber Mensch, ohne dein Wissen magst du vielleicht noch nicht arm genug, noch nicht genug gedemütigt sein. Siehe den Jakob an. Wann siegt er? Wann wird er gesegnet? Erst dann, wenn ihm seine Hüfte verrenkt und ihm gar keine Kraft mehr übrig gelassen ist. Vermutlich hat der Herr es mit dir dahin angelegt, daß du dich schämen und vor Scham deinen Mund zu keinem Prahlen mehr auftun sollst, wenn er dir alles vergeben wird, was du getan hast. Da wirst du dich also schicken müssen, du magst wollen oder nicht.
Und er sprach: wie heißest du? Wer fragte das? Es ist merkwürdig, daß 1. Kön. 18,31 gesagt wird: Das Wort des Herrn habe dies geredet. Merkwürdig nennen wir dies deswegen, weil bekanntlich Johannes den Sohn Gottes, unsern Herrn Jesus Christus, auch so nennt. Sonst kennen wir den Fragenden freilich schon.
Er fragt nach dem Namen des Erzvaters. Er tat das nicht aus Unwissenheit, als ob er seinen Namen nicht gewußt hätte. Den hatte er schon von Ewigkeit gekannt und geliebt. Durch seine Vorsehung hatte er es veranstaltet, daß ihm der Name gegeben worden war. Er tat diese Frage um Jakobs willen, um ihn anzuleiten, über die Bedeutung seines Namens und über die Veranlassung nachzudenken, wodurch er ihn bekommen.
Die Veranlassung war die gewesen, daß er bei seiner Geburt seinen Zwillingsbruder Esau an der Ferse hielt. Seine Geburt erinnerte ihn an das Wort des Herrn, was seiner Mutter über ihn gesagt worden war: "Der Größere wird dem Kleineren dienen". Rebekka hatte ihm dies gewiß nicht verschwiegen, sondern hatte ihn wohl vorzüglich dadurch vermocht, sich in die nicht ganz geeignete Weise zu fügen, den Segen von seinem Bruder Esau gleichsam zu erschleichen. War denn auch Jakob, so war doch nicht auch der Herr seines Wortes vergessen. Konnte Jakob sich nicht sonderlich daran halten, so hielt sich doch der Herr daran gebunden. Denn, "es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen". Auch die Bedeutung dieses Namens sollte den Erzvater aufmuntern. Er heißt auch deutsch: Untervertreter. Darum sagte auch sein Bruder, als er ihm im Segen seines Vaters zuvorgekommen war: er heißt mit Recht Jakob; denn er hat mich nun zweimal untergetreten; meine Erstgeburt hat er dahin, und nun nimmt er mich auch meinen Segen (Kap. 27,36). Dieser Name hätte also dem Erzvater auch Mut und getrosten Sinn einflößen sollen, daß Esau ihn nicht überwältigen werde. Allein daran dachte er nicht. Und freilich, woran denkt man, wenn man in dem Gedränge, in der Dunkelheit ist? Meistenteils nur an dasjenige, was sie noch vermehren kann, an das Gesetz, seine Forderungen und Drohungen. Und denkt man auch an die Verheißungen, sie haften nicht, und wenn sie vormals noch so süß waren.
Jakob konnte auch denken: wie kann dein Name dir Mut machen, den dir der Zufall, den dir menschliches Gutfinden gegeben hat? Hätte Gott selbst befohlen, dich so zu heißen, dann wäre es etwas anders.
So macht es auch mancher mit den Verheißungen. Er denkt: sie fallen dir nur so ein, du hast sie irgendwo gelesen, gehört oder auswendig gelernt. Allein, das wäre doch eine seltsame und für fleißige Leser der heiligen Schrift üble Sache, wenn man sich solcher Verheißungen nicht getrösten dürfte, die man schon weiß. David erfuhr es anders. Er hielt dem Herrn sein Wort vor und erwartete sodann betend die Erfüllung desselben. Indessen, was hilft es, ob uns Verheißungen einfallen, wenn uns nicht zugleich gegeben wird, damit gehörig wirksam zu sein?
Vielleicht dachte Jakob auch: du magst wohl Untertreter heißen; du wirst aber tüchtig unter die Füße getreten. Esau kommt daher mit vierhundert Mann; was willst du ausrichten? Gott selbst ist dir zuwider und nimmt dir das Vermögen, auch nur die Flucht zu ergreifen, geschweige, dich zu wehren. Nichts anders bleibt dir übrig als Gebet und Tränen. So sind Seelen manchmal geneigt zu fragen: Ist der Herr mit uns, dann müßte es uns ja ganz anders gehen. Und doch irren sie sich. Eben weil der Herr mit ihnen ist, muß es so gehen. Weil der Herr mit Jakob war, mußte ihm jede Stütze genommen werden und ihm nichts anders übrig bleiben als der Herr und sein Wort: "Ich will dir wohl tun!"
Vielleicht dachte Jakob auch: Wozu noch diese Frage? Ich bitte um Segen, und er fragt, wie ich heiße. Hielte er mich damit doch nicht auf, sondern erfüllte meines Herzens Verlangen! Allein er mußte sich diesen Aufschub gefallen lassen. Gott tut alles fein zu seiner Zeit, und die muß ausgeharrt werden, wenn es auch noch so unbequem wäre. Maria sagt: sie haben nicht Wein, und bekommt zur Antwort: meine Stunde ist noch nicht gekommen. Jetzt werden seltsame Anstalten gemacht, man bedarf Wein und füllt große Gefäße mit Wasser, aber am Ende gibt es doch Wein von der besten Beschaffenheit. Oft wird es erst sehr arg, ehe es sehr gut wird. Jairi krankes Töchterlein stirbt erst, bevor Jesus hilft. Der kranke Lazarus geht in Verwesung über, ehe es sich beweist, daß seine Krankheit nicht zum Tode war. Die Seele meint, nun sei ihr geholfen, und stimmt Loblieder an! Aber siehe, da sie meint, es gehe rechts, so wendet sich ihr Führer links, bis sie endlich lernt, sich führen zu lassen, ohne voraus zusehen und zu sorgen, wie die Wolken- und Feuersäule sich wendet oder ruht.
Wie heißt du? wußte der Herr es nicht? Und wenn er es wußte, warum fragt er und stellt sich, als wüßte er es nicht? Jawohl, warum verleugnet der Herrn, wie es scheint, manchmal seine Eigenschaften, läßt uns beten und schreien, als hörte er es nicht, wie das kananäische Weiblein lang schrie, ehe ihr ein Laut zur Antwort ward. Wie reimt sich das mit seiner Zusage (Ps. 50,15): "Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten", und (Jes. 65,24): "ehe sie rufen, will ich antworten". Ist er so voll Mitleiden und Erbarmen, warum übt er denn so manchen durch die härtesten Leiden und achtet weder Seufzer noch Tränen? Ist sein Vermögen so groß und seine Kraft so unerschöpflich: warum findet dann seine Kirche noch Anlaß zu Klagen, wie die sind (Jerem. 14,18): "Du bis der Trost Israels und ihr Nothelfer; warum stellst du dich denn, als wärest du ein Gast im Lande, und als ein Fremdling, der nur eine Nacht darin bleibt? Warum stellst du dich denn als ein Held, der verzagt ist, und als ein Riese, der nicht helfen kann? Du bist ja unser Herr, und wir heißen nach deinem Namen." – Sieh doch an meinen Jammer, betet David, - als ob der Herr sich desselben nicht annähme. Solche Umstände können empfindliche Schmerzen verursachen, und doch sind sie nicht selten, aber auch gewiß nicht ohne vortreffliche Früchte, wenn auch die Aussaat nicht ohne Tränen geschieht. Ob sich auch der Herr eine Weile fremd stellt, so muß man sich das nicht befremden lassen, denn es ist gut gemeint. "Ich heiße Jakob", antwortete der Erzvater in der Einfalt seines Herzens. – Wie einfältig und kindlich dürfen wir doch mit unserm Herrn und Freunde Jesus Christus umgehen, besonders unter dem neuen Testament, wo nicht ein knechtischer, sondern ein kindlicher Geist herrscht, durch welchen wir rufen: Abba, lieber Vater! Was dürfen wir ihm nicht alles sagen, klagen, erzählen! Es braucht nicht immer wichtige Sachen zu sein. – Es dürfen auch kleine sein. Wie schön, wenn wir uns überall an ihn wenden und ihm mit vielen oder wenigen Worten sagen: Ich stecke in der Verlegenheit; hier bedürfte ich wohl Rat; wie fange ich es denn an? Wie verhalte ich mich dabei am besten? Und was dergleichen mehr ist. Das hieße ja wohl, mit dem Herrn umgehen, sich an ihn gewöhnen.
"Ich heiße Jakob". wußte doch der Herr den Namen des heidnischen Königs Kores und nannte ihn 150 Jahre vorher. Wie viel mehr können wir es ihm glauben, daß er seine Kinder nach ihrem Namen, Wohnort, ihrer Lage, ihren Bedürfnissen und Umständen kennt. Hat er ihre Haare gezählt und sollte Wichtigeres außer acht lassen?
Indem Jakob seinen Namen nannte, mag ihm ein neues Licht aufgegangen sein, das ihm dessen Bedeutung auf eine liebliche Weise klar machte. Es bedarf oft nur eines kleines Wörtleins, um Licht und Frieden in der Seele zu verbreiten, und ganze Predigten können gehört, ganze Bücher gelesen werden, und man bleibt dabei unerbaut, wie es dem Herrn gefällt. Da ist mancher kindisch genug zu denken. Hättest du das doch eher gehört! Wäre dir jenes doch früher eingefallen! Allein wenn die Zeit erst da ist, kommt auch wohl Rat, den man früher vergebens suchte. Jetzt fand Jakob in seinem Namen selbst eine Aufmunterung, die er früher nicht darin sah. Hieraus erkannte auch er, wie uns in dunkeln Stunden alles so verborgen bleibt, was Mut macht und was uns sonst wohl so klar war, als hätten wir es mit Händen greifen können. Dann bildet man sich wohl törichter Weise ein, man wolle nun auch nie wieder zweifeln und zagen. Aber was bleibt das Meine, wenn du entzeuchst das Deine? Die Lampe unserer Seele brennt nicht länger, als der himmlische Haushalter ihr Öl zugießt. Man kann sich selbst nichts anmaßen. Alles Gute bleibt des Herrn Eigentum, worüber er sich das Verwaltungsrecht vorbehält. Er ist nach Hebr. 8 der Pfleger der himmlischen Güter.
Niemand kann sich etwas nehmen, es werde ihm denn vom Himmel gegeben. Da fuhr Gott auf von Jakob, heißt es Kap. 35, und ließ sich nicht länger halten. Daran gewöhnt man sich nach und nach und freut sich darüber allein, daß der Herr stets ist, der er ist, wenn es auch in uns wechselt. Ja, am Ende erkennt man, daß man auf jeden Fall nichts mehr ist, wenn er uns mit seinen Gaben ziert, und nicht weniger, wenn er sie uns entzieht.
"Ich heiße Jakob", sagt der Erzvater. Diesen Namen hatten ihm seine Eltern bei der Beschneidung gegeben, und er mochte bedeuten, was er wollte, so erinnerte ihn derselbe doch an den Gnadenbund, wovon die Beschneidung das Siegel war, und dessen Hauptinhalt die Verheißung war: Ich bin dein Gott. In dieser Hinsicht genießen wir mit Jakob dasselbe Vorrecht. Unsere Namen sind uns bei der heiligen Taufe, diesem Siegel des neuen Bundes, der auf weit vortrefflicheren Verheißungen beruht, gegeben worden. Ein Botschafter an Christi Statt hat uns mit Namen genannt und uns im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes den neuen Bund versiegelt. Was wollen, was brauchen wir doch mehr? Welche freimütigen Ansprüche an Gott dürfen wir selbst auf unsern Namen gründen, d er uns an den Bund erinnert, den Gott um Christi willen mit uns errichtet hat! Wir sind Sünder, das ist wahr; allein wahr ist es auch, daß Christus uns mit seinem Blut und Geist von allen unsern Sünden waschen und unsere Natur wieder nach seinem Ebenbilde erneuern will. Das ist aber freilich ein großer Schimpf, wenn jemand den Namen führt und den Bund nicht achtet. Wohl dem, den Gott in solche Schrauben setzt und ihn dermaßen in die Enge treibt, daß er gern zu dem Gnadenbunde seine Zuflucht nimmt und die wirkliche Mitteilung der herrlichen Güter sucht, die ihm da versprochen sind. Siehe, Gott will dein Vater, und du sollst sein Kind sein. Alles, was der Sohn Gottes durch Leiden und Tod erworben hat, soll dein eigen sein. Der heilige Geist soll dein Lehrer und Tröster sein. Wie sollte also aus deinem Heil nicht etwas Vollkommenes werden können, da solche drei Personen es auszurichten übernommen haben? Schäme dich deines Unglaubens!
Ohne Zweifel wird Jakob auch eine heilige Scham empfunden haben; teils wenn er an die ungemeine Herablassung Gottes dachte, sich mit einem solchen Wurm in ein so herrliches Bündnis einzulassen, in welchem er doch eigentlich nichts fordern, wenn es auch wohl so scheint, sondern alles geben will; und wenn er sagt: wandle vor mir und sei fromm, erst den Glaubensblick dahin lenkt, daß er der allgenugsame Gott ist. Er will sorgen, er will abwaschen unsere Sünden, er will lehren und trösten. Also dürfen wir nur still sein. Und können wir nicht still sein, so will er auch das geben. Alle unsere Sorgen dürfen wir auf ihn werfen. Und können wir des Sorgens nicht los werden, so dürfen wir fragen: Wie lange soll ich sorgen in meiner Seele und mich ängsten in meinem Herzen täglich? Wie lange soll sich mein Fein über mich erheben? (Ps. 13,3). – Heische nur von mir, so will ich dir die Heiden zum Erbe geben und der Welt Enden zum Eigentum (Ps. 2, 8). Was ist das doch für ein Bündnis, in dem alles versprochen wird! Wohl mag es da heißen: Ich bin zu gering aller Warmherzigkeit und aller Treue, die du an mir getan hast!
Wer sollte nicht Lust zu einem solchen allerliebsten Bündnis bekommen, wo es heißt: "Selig sind die Armen, denn das Himmelreich ist ihr! Selig sind, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden", und woran nur die Satten, die Reichen, die Weisen und Frommen keinen Teil nehmen können. Dies recht eingesehen, versetzt in die süßeste Scham und in eine Dankbarkeit von ganz eigener Art: "Denn ich sah dich in deinem Blute liegen und sprach: Du sollst leben!" Wunderbare Barmherzigkeit! Teils mußte Jakob sich heiliglich schämen über seine Furchtsamkeit. Wie? mußte er denken: Ist Gott für uns, wer mag dann wider uns sein? laß Esau viertausend statt vierhundert Mann bei sich haben, was kann er mit tun? Hat doch Gott selbst mich nicht übermocht, weil seine Allmacht mich nicht anders behandeln konnte, als es seiner Zusage gemäß war: "ich will dir wohl tun". O, mußte er denken, wie wenig kenne ich ihn noch, wie wenig fasse ich ihn noch! Was bin ich ohne sein Licht anders als der Unverstand selbst, ohne seine Gnade anders als die Ohnmacht selbst? Und was bin ich in ihm? Ich habe alles genug. Wie wurde ihm vollends zumute, wenn er sich besann: Wer gab dir den Mut in dem Kampfe, wer Mut zum Aushalten? Wie weise war die ganze Behandlungsart! Wohl mochte er die Stätte ein Pniel nennen. Ähnliche Erfahrungen machen gedemütigte Seelen noch.
"Ich heiße Jakob", sagte der Erzvater. Und wie heißen wir? Unsere Namen lauten zum Teil sehr übel, zum Teil sehr tröstlich, zum Teil sehr herrlich.
Sehr übel lauten unsere Namen, und weil das wahrhaftige Wort sie uns gibt, so können wir uns derselben nicht weigern, ohne den wahrhaftigen Gott zum Lügner zu machen, welches eine entsetzliche Sünde wäre. Und wie heißen wir denn? O, es ließe sich ein langes Register solcher bösen Namen anführen: Ungerechte, Sünder, Gottlose, Abtrünnige, Ungehorsame werden wir gescholten und mit andern bösen Namen mehr belegt.
Was sollen wir damit anfangen? Sie ableugnen, hieße, sie noch schwärzer machen. Sich nicht daran stören geht auch nicht an; denn diese Namen sind lauter Urteilssprüche. Nicht gleichgültig dürfen wir dagegen sein, sondern sie müssen uns so lange einen geängsteten Geist machen und sollen unser Herz zerknirschen und zerschlagen, bis wir dahin kommen, dem Herrn unsere Missetat zu bekennen, ihm wider uns Recht geben und gestehen: Was diese Namen sagen, das bin ich und nichts anderes. Dann ist er treu und wird uns stärken und bewahren vor dem Argen. Aber ach, was gehört dazu, ehe es dahin kommt? Wie lange pflegt man manchmal alle Versuche zu machen, um zu bewirken, daß man den Namen eines Frommen verdient, und welchen Kummer und welche Not verursacht es, wenn dies alles mißlingt. Man will sich von seiner Sünde losbeten, losängstigen und – kämpfen. Und solche Versuche sind auch um so nützlicher, je ernstlicher sie sind, denn über denselben lernt der Mensch desto gründlicher an sich selbst verzagen, desto gründlicher sein Heil bei Christus allein suchen und mit desto größerem Erstaunen an den glauben, der die Gottlosen gerecht spricht. Allein gewiß ist es: Will man den Namen Jesus verstehen lernen, so geschieht es auf keinem andern Wege, als daß man zuvor seinen eigenen Namen: Sünder wohl einsehe. Je völliger wir den gelten lassen, desto mehr wird auch der Name Jesus bei uns gelten, der nur Sünder selig macht.
Können wir das recht bei uns gelten lassen, so werden die tröstlichen Namen uns auch erquicken. Und was für welche sind das? Auch hier steht der Sündername mit obenan als ein sehr tröstlicher Name. Wie das denn? Nennt Gott selbst uns so, so beweist er damit, daß er von uns als von uns selbst auch anders nichts erwarte, als was diesem Namen gemäß ist, und macht uns dadurch Mut, uns ihm denn auch in unserer Armut und Blöße darzustellen. Und welche Verheißungen sind daran geknüpft? So daß ich wirklich nichts als ein Sünder zu sein brauche, um mich der herrlichsten Dinge zu getrösten, denn der Name Jesus steht ihm mit der Verheißung gegenüber, daß er solche selig machen wolle.
Und das ist je gewißlich wahr. Leuchtet dies einem bekümmerten Gemüt ein, so wird gerade das im Mut einflößen, was es sonst beängstigte, und es wird in Jesus alles finden, was es bei sich selbst vergeblich suchte. Macht er Sünder selig, so werden sie auch gewißlich selig werden, oder Jesus müßte kein vollkommener Seligmacher sein. Je mehr sich also jemand als Sünder fühlt und erkennt, desto mehr mag er vertrauen: Jesus werde ihn von allen seinen Sünden und seinem Elend selig machen.
Wie tröstlich ist der Name der Gottlosen, denn Gott spricht sie gerecht; der Verlornen, denn Jesus sucht sie; der elenden, denn er leitet sie recht; der Betrübten, denn er tröstet sie; der Gefangenen, denn er macht sie frei! Kurz, können wir nur Jesus dabei fassen, so wandeln sich alle jene Namen in lauten Mutgebungen um. Fragt Jesus uns also: wie heißest du? Und wir können in Einfalt, mit gründlicher Zustimmung antworten: Sünder, so wird es uns wie dem Jakob ergehen, dem bei Nennung seines Namens ein liebliches Licht aufging. Sollten wir uns aber sträuben, sollten wir das Seligmachen noch mit verwalten und Jesus nicht allein anvertrauen wollen, so ist lauter Unfall und Herzeleid in unserm Wege. Aber die Übung hiervon ist so leicht nicht, wie es sich ansieht. Man versuche es nur! Wir sind dazu viel zu eigenweise, stolz und eigengerecht, und es gehört mancher Schlag mit dem Hammer des Gesetzes dazu, ehe der Fels unsers Herzens zertrümmert ist.
Diejenigen, die nun aber auf Eigenes zu verzichten, alles in Jesus suchen, führen auch die herrlichsten Namen von der Welt, welche im Himmel angeschrieben sind. Einer der vortrefflichsten Namen, die sie führen und der alle sonstige Herrlichkeit in sich faßt, der auch ganz schriftgemäß ist, ist der: Christen. Wir lesen, daß Gott den Namen des Abraham und der Sarah verändert, indem er denselben einen Buchstaben aus seinem Namen „Jehova“ beifügte, wodurch er sie in eine gewisse Gemeinschaft seiner Herrlich aufnahm.
Indem wir aber Christen genannt werden, werden
wir dadurch in Gemeinschaft und Beziehung auf Christus gesetzt. Und das will
viel bedeuten,. Für uns sind wir Sünder, allein in Christus sind wir Gerechte
Gottes. Für uns sind wir schwach, mit Christus verbunden aber stark und
unüberwindlich. Für uns sind wir elend, in ihm selig und herrlich. Doch können
Einbildungen hier nichts helfen, es muß Wahrheit und Wesen sein. Wie heißest du
denn? Aber bist du auch, was du heißest? Welch ein Glück ist dann dein!
Christus muß dann eher gestürzt werden, ehe dir etwas zuleide geschieht. Ist
der Herr dein Hirt, dann wir dir nichts mangeln.
1. Mose 32,29
Er sprach: du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und bis obgelegen.
Unlängst betrachteten wir die Frage des Herrn: Wie heißest du? Und die gerade Antwort des Erzvaters: Ich heiße Jakob. Jetzt gibt der Herr ihm einen neuen Namen: du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel, und gibt den Grund davon an: denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und bist obgelegen.
Durch Namen bezeichnen wir Personen und Sachen, um sie von andern zu unterscheiden. Verändert sich die Sache, so bekommt sie auch einen andern Namen.
Wasser, wenn es gefroren ist, nennen wir Eis, Schnee, Hagel; wenn es vom Himmel herabfällt, Regen; wenn es sich nachts auf die Pflanzen niederläßt, Tau; wenn es sich in kleine Teile auflöst, Nebel.
Der Mensch bekommt nach seinem Alter die Namen eines Kindes, eines Jünglings, Mannes, Greises. Nach seiner Stellung zu Gott und seinem Reiche heißt er entweder ein Sünder, ein Gottloser oder gar ein Kind des Teufels und Feind Gottes; oder ein Erweckter, ein Bußfertiger, Gläubiger, Gerechter, Heiliger, Vollkommener, ein Kind und Erbe Gottes.
Einige wahre Christen werden Kinder, andere Jünglinge und noch andere Väter genannt. Einige heißen Fleischliche, andere Geistliche. Die Jünger, solange Jesus bei ihnen war, konnten vieles noch nicht tragen, wofür sie nachgehends empfänglich wurden. Bis dahin schwieg Jesus, sagte ihnen jedoch ihren eingeschränkten Stand. Zu den Korinthern sagt Paulus: Ihr konntet ehemals nicht und könnt auch jetzt noch nicht, und ich muß mit euch umgehen wie mit kleinen Kindern, denen man Milch reicht. Bisher hieß der Erzvater Jakob ein Untertreter oder Fersenhalter, und dieser Name entsprach seinem bisherigen, mangelhaften Gnadenstand mehr als demjenigen, in den er jetzt hinübergeführt worden war. Er hielt seinen Fein gleichsam an der Ferse, aber überwunden hatte er ihn noch nicht. Er hatte herrliche Verheißungen, aber er konnte sich doch nicht recht dabei beruhigen. Er sah noch zu viel auf das Sichtbare, auf seinen Bruder, auf dessen vierhundert Mann, auf das Unglück, das ihn möglicherweise treffen konnte, auf seine Wehrlosigkeit. Er war noch allzu vernünftig und blieb zu sehr bei natürlichen Ursachen und Wirkungen stehen und hielt es deswegen für möglich, daß er samt seinen Kindern erschlagen würde, obschon Gott ihm versichert hatte: durch ihn und seine Nachkommen sollten alle Völker auf Erden gesegnet sein. Er empfang viel Furcht, und Johannes sagt: Wer sich fürchtet, der ist nicht völlig in der Liebe. Doch war er ein wahrhaftiges Kind Gottes und würde also selig geworden sein, wenn er auch nicht zu einem höheren Stande gelangt wäre, zu dem ihn aber Gottes Vorsatz verordnet hatte, zu dem er in also auch berief und vorbereitete. Der Apostel sagt zu den Korinthern: „Ihr seid satt geworden“, und er sagt tadeln. gewiß gibt es auch diesseits der Ewigkeit ein seliges Sattsein, das denen verheißen ist, welche nach Gerechtigkeit hungern und dürsten. Was will ich mehr als diesen Himmelsfürsten?
Ich wird’ hinfort in Ewigkeit nicht dürsten,
Weil er mich tränkt, der selbst das Leben ist.
Kein Hunger wird die Seele jemals pressen,
Da mir ein Teil von Manna zugemessen,
Das du allein, o süßer Jesus, bist.
Keinen Hunger wird die Seele des Gerechten leiden. Mir wird nichts mangeln. Ich habe alles genug, sagte Israel. Aber ein schädliches Sattsein ist es, wenn ein Christ mit seinem Gnadenstande so zufrieden ist, daß er meint, all die Erfahrungen gemacht zu haben, die gemacht werden müssen und können, und nach diesen seinen Erfahrungen alles beurteilt, und zwar mit einer solchen Eigenliebe, als ob alles, was darüber hinaus und weiter geht, Einbildung wäre. Das ist sehr übel, und der Armut am Geiste ganz zuwider. Paulus sagt deswegen auch: Wer da meint, er sei etwas, so er doch nichts ist, der betrügt sich selbst. Sind wir wirklich nichts, so müssen wir uns auch so kennen lernen, und gerade das ist das Höchste. Wer da meint, er wisse etwas, der weiß noch nichts, und so geht es auch mit den übrigen Dingen. „Wenn du mich demütigst, machst du mich groß.“ Man sehe doch nur den Jakob an! Auf welchem Wege wird er ein Israel? Auf dem der Demut. Alle Stütze wird ihm entzogen, seine Hüfte verrenkt. Es bleibt ihm statt aller sonstigen Stützen nur der Sohn Gottes allein übrig, und will er seinem Feinde nicht in die Hände fallen, so muß er sich dem Engel des Bundes in die Arme werfen. Und gerade in dem Augenblick, wo alles aus ist, siegt er. Nun paßte auch sein bisheriger Name nicht mehr für ihn. Der Herr hatte ihm eine höhere Gnade mitgeteilt. Das Gold seines Glaubens war von den ihm anklebenden Schlacken mehr gereinigt, und so bekam er einen neuen Namen. „Du sollst nicht mehr Jakob heißen!“ Künftig soll sich die Furcht nie wieder in dem Maße deines Herzens bemeistern können, weil deine Seele mir anhangen und so meiner belebenden Friedenseinflüsse teilhaftig werden wird. Die gro0en Abwechslungen von Furcht und Hoffnung, von Angst und Freude sollen nicht mehr bei dir stattfinden; du wirst mehr vollkommen sein in Eins! Man verrechnet sich oft in seinem Christenstande. Ist man einmal glücklich aus einem dunkeln Tal herausgekommen, wird man seines Gnadenstandes einmal wieder recht froh, verschwinden die Nebel des Zweifels vor den lieblichen Strahlen der Sonne der Gerechtigkeit, so meint man oft, nun habe man es erreicht, und glaubt, nun wolle man auch künftig so zaghaft nicht mehr sein. Allein, liegt in solchen Gedanken nicht wieder eine eigene Anmaßung, als wenn man selbst noch dies und das könne? Und Jesus, der gesagt hat: Ohne mich könnt ihr nichts tun, ist in der Tat zu eifersüchtig auf seine Ehre und auf die Aufrechterhaltung seiner Aussage, auf seinen Jesus-Namen, als daß er bei seinen Lieblingen solche Anmaßung und an seinem Golde solche Schlacken duldete. Er wird also sitzen und schmelzen und die Kinder Levi reinigen und läutern wie Gold und Silber, bis sein Gold die Lauterkeit erlangt, die er ihm verordnet hat. Vielleicht zerreißt er ihnen die Hüfte und bringt sie so in die Enge, daß sie sich nicht mehr irgendeinem großen oder kleinen Zweifel ohne ihn gewachsen fühlen, daß sie ihm sein „nichts“ buchstäblich müssen gelten lassen. Was aber alsdann? „Nun sollst du nicht mehr Jakob heißen!“ Israel, dies ist der prächtige Titel, den außer Jakob niemals jemand geführt hat. Er heißt: Fürst Gottes! – Gott prangt gleichsam mit dem Jakob und tut groß mit ihm, weil er durch denselben so viel ausgerichtet hat. So tut Gott auch groß mit seinem Volke, wenn er Jes. 41,14 sagt: Fürchte dich nicht, du Würmlein Jakob, ich helfe dir. Berge sollst du zerdreschen und zermalmen und die Hügel wie Spreu machen.
Zermalmt ein Würmlein Berge, so ist das nicht anders möglich als durch Gott; der empfängt alle Ehre davon. So prangt auch Jesus mit seinen Schafen: sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen. Das erregt die Welt samt den Pforten der Hölle. Die schwersten Irrtümer, die schlimmsten Versuchungen, Feuer, Schwert, Marter, Gefängnis und Tod werden aufgeboten, zu sehen, ob wehrlose Schafe nicht zu vertilgen seien. Ganze Heere von Wölfe fallen sie an, und was richten sie aus? Nichts anders, als daß sie Jesu Wahrhaftigkeit beweisen und seinen Ruhm vermehren. Und hier streitet gar Gott mit einem schwachen, sündigen Menschen und kann ihn nicht überwinden. „In dem allen überwinden wir weit um deswillen, der uns geliebt hat!“
„Israel sollst du heißen.“ Was sind alle, auch noch so hochtönende Titel, die Menschen führen, auf die Dauer? Sie lösen sich zuletzt in Dunst und Nebel auf. Die Geschichte hat es genugsam bewiesen. An sich schützen sie vor nichts, gegen Gottes Zorn am allerwenigsten, dem das, was unter Menschen groß, ein Greuel ist, und der am liebsten das erwählt, was schwach, unweise, verachtet, nichts ist, damit er das, was weise, geehrt und stark, ja was etwas ist, zuschanden mache, auf daß sich kein Fleisch rühme und die überschwengliche Kraft sei Gottes und nicht von uns. Welche törichte Richtung bekommt die uns vom Schöpfer eingepflanzte Ehrbegierde, wenn wir Ehre bei Menschen suchen und die Ehre bei Gott nicht achten; wenn wir dieser Welt Güter suchen und nicht reich in Gott sind. Ein zerstoßenes Rohr im Reiche Gottes ist mehr als die, welche in der Welt als Eichbäume prangen, und ein glimmender Docht im Tempel Jesu Christi mehr als die brennenden Fackeln außer demselben. Esau übertraf den Jakob an Glücksgütern sehr weit. Er konnte mit vierhundert Mann ins Feld ziehen, und seine Söhne waren Fürsten.
Aber Gott hatte den Jakob lieb, den Esau nicht. Was half es denn nun? Man betrüge also nicht sich selbst! Soviel wird der Mensch nur taugen, als er gilt in Gottes Augen. „Israel sollst du heißen!“ Ohne Zweifel bekam der Erzvater diesen Namen mit Hinsicht auf die merkwürdige Person, deren Stammvater er sein und von welcher sich Segen über alle Völker des Erdbodens verbreiten sollte, Jesus Christus, dem der Name: Fürst Gottes, ganz eigentlich gebührt. Es heißt ja auch Jerem. 30,21: „Ihr Fürst soll aus ihnen hervorkommen und ihr Herrscher von ihnen ausgehen, und er soll zu mir nahen.“ – „König, Fürst des Lebens, Herr der Herrlichkeit“ sind seine Namen, und er trägt auf seinen Hüften den Titel geschrieben: „König der Könige“. Wohl mußte derselbe mit Gott, mit Menschen und mit dem Teufel kämpfen und ist obgelegen und hat einen amen empfangen, der über alle Namen ist. Ohne seinen Kampf wäre all unser Kämpfen verlorne Arbeit. Durch ihn aber überwinden wir weit.
Der wunderbare Mann gibt auch den Grund an, warum er den Namen Jakob in Israel verwandle, denn, sagte er, du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und bis obgelegen. Der Name Jakob, Untertreter, war auch ein sehr lehrreicher und aufmunternder Name. Allein der Erzvater hatte aus Mangel an Licht nicht viel Aufmunterung darin gefunden. Deswegen gibt ihm der Herr über seinen neuen Namen die erforderliche Belehrung. „In deinem Licht sehen wir das Licht,“ sagt David und betet: „Öffne mir die Augen, daß ich sehe die Wunder an deinem Gesetz!“ Auch wir bedürfen des heiligen Geistes, der uns in alle Wahrheit leitet, nicht weniger als die Jünger des Herr, die doch seinen eigenen Unterricht genossen. Ohne sein Licht sehen wir höchstens Menschen wie Bäume wandeln, also undeutlich und verworren. Deswegen lehrte Paulus nicht nur, sondern betete auch, daß die gläubigen begreifen möchten, welches da sei die Breite und die Länge und die tiefe und die Höhe. Gott gibt dem Jakob das Zeugnis: er habe gekämpft, und wir haben ja auch seinem Kampf zugesehen. Man wollte ihn von der Stätte verdrängen, aber er ließ sich nicht verdrängen, sondern widersetzte sich, und zwar aus allen Kräften, wie Hosea 12,4 sagt. Er setzte alle seine Macht daran, äußerlich seines Körpers, innerlich seines Willens. So ist es ganz recht. Der Faule stirbt über seinen Wünschen, und seine Hände wollen nichts tun. Er gehe zur Ameise und lerne von diesem kleinen Tierlein, wenn er es an Jakob nicht sehen kann, alle Kräfte aufbieten, alle Mittel anwenden! Er versuche, was er vermag, und lege sich nicht zu früh schlafen auf dem Kissen einer menschlichen Ohnmacht, von der er nur vom Hörensagen weiß. gewißlich hätte Jakob den neuen Namen nicht empfangen, wenn er alsbald geflohen wäre in der Meinung: zum Widerstand hast du ja keine Kraft. Aber er mußte schon kämpfen, weil es hier ums Leben ging. Wie mancher mag es Jesu nachsagen: ohne ihn können wir nichts tun, ohne es zu glauben, weil er noch keine Versuche gemacht hat, wie weit seine Kräfte reichen. gewiß stehen die Aufforderungen zum Kämpfen und Streiten, zum Fürchten und Fleißtun, zum Schaffen und Gewalttun und Ansichreißen nicht umsonst in der Schrift und sind ebenso wahr, wie daß man durch Stillesein und Hoffen stark wird. „Ich schreibe euch Jünglingen, daß ihr stark seid und das Wort Gottes bei euch bleibt, denn ihr habt den Bösewicht überwunden. Indessen, alles hat seine Zeit. Das Gesagte bezieht sich auf die erste Station, daß ich so rede, auf der Reise nach Jerusalem. „Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun, aber am siebenten Tage, dem Sabbat des Herrn, da sollst du ruhen.“ -
Dem Jakob ging es auch so. Er rang und rang. Aber endlich war das ringen vorbei, indem die Hüfte, deren Unverletztheit zum Ringen durchaus erforderlich war, verrenkt wurde. Nun war das Ringen am Ende, weil keine Kraft mehr dazu vorhanden war. Nun fiel er seinem Gott in die Arme, und siehe, nun siegte er und nicht eher. Nun ward er gesegnet und nicht früher. Kämpfe deswegen, o Mensch, der du selig werden willst!
Kämpfe aus aller Macht! Weiche kein Haar breit! Wache, bete, höre, lies! Denn siehe, Esau zieht dir entgegen mit vierhundert Mann. Mit vierhundert Mann! Und Jakob war allein. Gefährlicher Stand! Seine Weiber, seine Kindlein, seine Hirten – was für Hilfe gaben die ihm? Er mußte aber mit Menschen kämpfen. Zurück nach Mesopotamien dürfte er nicht; Gott wollte es nicht haben. Vorwärts konnte er nicht. Welche Tollkühnheit, allein vierhundert Mann entgegenzuziehen! Also heulen und klagen, jammern und verzweifeln?
Nein, das nicht! Er glaubte an einen allmächtigen und barmherzigen Gott. Er glaubte an seine Verheißung: ich will dir wohl tun. Doch war sein Glaube damals noch nicht so stark, daß er hätte sagen können: Ob Tausende wider mich sind, so fürchte ich mich doch nicht, daß er mit Ruhe hätte denken können: Der Gott, der dem Laban gebot, nicht anders denn freundlich mit mir zu reden, ist noch derselbe und kann und wird das Herz Esaus auch lenken, daß er nicht grausam gegen mich handeln kann, da ja Gott mir verheißen hat, daß durch meine Nachkommen alle Völker der Erde gesegnet sein sollen. Hätte er sich so verhalten können, wie herrlich wäre das gewesen! Allein das war seiner bisherigen Gnade noch nicht gemäß. Er fürchtete sich, weil seine Vernunft noch zu sehr überlegte und mehr auf das Sichtbare sah als auf das Unsichtbare. Aber sein Glaube war der Sieg, der die Welt überwunden hat. Dieser Glaube erweichte sein Herz, daß er weinte, wie Hosea sagt, und da hat man schon viel gewonnen, wenn man einen zerbrochenen Geist bekommt und das harte Herz schmilzt. Sein Glaube öffnete seinen Mund und Herz, daß er beten konnte, wie Hosea auch von ihm sagt. Sein Glaube nahm seine Zuflucht zu Gott. Wie? Sollte Gott denn ein Wunder tun? Was für ein armes Werk, vierhundert Bewaffneten nur das Gebet entgegensetzen zu können! Freilich, vernünftig ist das nicht, aber gläubig. Und dem Gläubigen sind alle Verheißungen eines lebendigen Gottes gegeben, der alle natürlichen und zufälligen Begebenheiten lenkt nach seinem Wohlgefallen. So kämpfte er mit Menschen auf die allerklügste Weise, indem er Gott wider sie zu Hilfe nahm, denn: ist Gott für uns, wer mag dann wider uns sein? Und o wie evangelisch klug verfahren wir alle, wenn wir unsern geistlichen Streit bei Leibe nicht auf eigene Klugheit und Kraft beginnen, sondern den Herrn selbst durch Glauben und Gebet mit in unsern Streit ziehen.
Dann wird er für uns streiten, während wir still sind: Ziehen wir ohne Gott in den Streit, meinen wir durch eigene Klugheit und Kraft genug gerüstet zu sein, so ist das ebenso töricht, als wenn Jakob geglaubt hätte, allein vierhundert Mann begegnen zu können, und dasjenige, was wir ausgerichtet zu haben meinen, ist nur Selbstbetrug. Mit Gott konnte es aber dem Jakob einerlei sein, ob sein Bruder mit vierhundert oder mit viertausend gegen ihn daherzog. Denn wer ohne Christus nichts kann, vermag durch ihn alles, und es ist dem Herrn einerlei, zu helfen durch viel oder durch wenig. So kämpfte Jakob fürstlich, wie es eigentlich heißt, gegen Menschen. Er verzagte nicht im Blick auf die Menge und Macht derer, die wider ihn waren, und sah nicht an seine Wenigkeit und Ohnmacht. Er vertraute aber auch nicht auf den zerbrechlichen Stab eigener Kraft und konnte es freilich nicht, denn der war zerbrochen. Die Vernunft zeigte ihm nichts als Untergang und Tod, und die Natur fürchtete sich, aber der Glaube half ihm durch. Durch denselben ehrte er Gott als denjenigen, der da helfen könne, wo andere Hilfe aus ist, und obschon er nicht verstand, durch welches Mittel ihm geholfen werden könne, so stellte er das Gottes allumfassender Weisheit anheim. Er fragt: Wirst du es nicht tun, Her? Ich weiß nichts mehr und kann nichts mehr und sehe mich genötigt, mich dir und deinem Wohlgefallen mit all den Meinigen und dem, was du mir sonst geschenkt hast, zu übergeben. Tu denn, was dir wohlgefällt!
Freilich erzittert da die Natur, wenn sie sich genötigt sieht, bei Gott die Hilfe zu suchen, weil sie sonst nirgendmehr zu finden ist, und ist geneigter, ihren gänzlichen Untergang zu besorgen, als Rettung und Hilfe zu erwarten. Doch gibt der heilige Geist hier den Ausschlag. Er hält die Seele fest, daß sie erklärt: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. Dies sind die eigentlichen, innern Kämpfe und Geburtswehen, während welcher die Seele aus der Tiefe ihrer Not zu Gott schreit und sodann in die Höhe emporsteigt, wenn die Zeit gekommen ist. Es ist dies in der Tat kein Scherz, und man kann da mit Salomo fragen: Einen niedergeschlagenen Geist – wer will den aufrichten? Es sind dies aber auch zugleich Wege, die auf das Ziel hinauslaufen: Der Herr hat Großes an mir getan, des bin ich fröhlich.
Du hast mit Menschen gekämpft und bist obgelegen, sagte der Herr zu Israel. Bei Laban war er leichter davongekommen. Er floh und benutzte klüglich die Abwesenheit seines Schwiegervaters als den geeignetsten Zeitpunkt zur Flucht. Damit er jedoch nicht allen Erfolg seiner Klugheit zuschreiben konnte, erfuhr Laban seine Flucht früh genug, um ihm nachzueilen. Er tat es, indem er seine Verwandten zu sich nahm, welches aber nicht die freundlichsten Absichten verriet, und ereilte ihn am siebenten Tage. Doch half Gott dem Jakob dadurch, daß er dem Laban durch einen Traum das Herz so lenkte, daß er ihm nichts zu Leide tun durfte, sondern ihn nur hart anfuhr und zuletzt nach freundlichem Abschied zurückzog. Hier kam Jakob noch leicht und mit einem kleinen Schrecken davon; denn Gott pflegt die Seinen stufenweise zu leiten und diejenigen, welche er zu schwereren Kämpfen berufen hat, vorher in leichteren zu üben. Eine Zeitlang können sie durch eigene Kraft und Überlegung noch vieles ausrichten; endlich aber geht beides zugrunde. Wellen bedecken das Schifflein, und es erhebt sich das Geschrei: Meister, wir verderben, und dann ist die Hilfe am nächsten.
So ging es auch dem Jakob. Nach der Abreise Labans bekam er einen großen Trost und eine mächtige Stärkung des Glaubens, denn es begegneten ihm die Engel Gottes. Diese Begebenheit war ihm höchst merkwürdig und ermunternd. Und weil man damals die Schreibkunst noch nicht verstand, so nannte er die Stätte, wo dies geschah: Mahanaim, des Herrn Heere. Denn da er die Engel Gottes sah, sprach er: es sind Gottes Heere. Dies half ihm nachher kämpfen. Ist jemand aus sechs Trübsalen errettet, so hegt er die Hoffnung, in der siebenten nicht stecken zu bleiben: Erfahrung bringt Hoffnung, und Hoffnung läßt nicht zuschanden werden. Christus fragte den Petrus: Meinst du nicht, wenn ich den Vater bäte, er könnte mir nicht mehr denn zwölf Legionen Engel zuschicken? So sah Jakob, daß Gott ihm allenfalls zwei Heere Engel zu Hilfe senden könne. Aber in dem Gedränge schwinden nach und nach alle sinnlichen Stützen, und Jakob bleibt mit Gott allein.
Mit Esau hat es weit mehr zu bedeuten als mit
Laban. Aber auch den übermochte der wehrlose Israel, nicht durch Wehr und
Waffen, nicht durch die demütigen Gesandtschaften, nicht durch seine Geschenke,
und das sonst seine Klugheit für dienlich achtete, sondern durch sein demütiges
und gläubiges Gebet oder vielmehr durch Gott. Gott erweichte das Herz des
grimmigen Esau, der seinem Bruder den Tod geschworen hatte, dermaßen, daß, als
er seines Bruder ansichtig war, er ihm entgegenlief, ihn mit den freundlichsten
Gebärden herzte, ihm um den Hals fiel und weinte. Jakob sah aber seines Bruders
Angesicht als Gottes Angesicht. Er erkannte in seinem ganzen Benehmen die
wunderbar lenkende Kraft Gottes, der ihn gesegnet hatte. Er sah mit seinen
Augen auf die auffallendste Art, wie des Menschen Tun nicht stehe in seiner
Gewalt, wie sich der Mensch vornehmen kann, etwas zu sagen, und es doch darauf
ankommt, ob der Herr ihm zuläßt, es auszusprechen Jakob selbst maßte sich
nichts davon an als eine Wirkung seiner Klugheit und konnte es auch nicht. Er
gab Gott allein die Ehre und sah in dem ganzen Benehmen Esaus nur Gottes Macht
und Treue. Darum bückte er sich siebenmal zur Erde, mehr vor Gott als vor
seinem Bruder. Darum nannte er ihn seinen Herrn, wie er es auch wirklich war.
Denn natürlicherweise konnte Esau mit seinen vierhundert Mann mit Jakob machen,
was er wollte, jedoch nichts anders, als was Gott wollte. Von Furcht wußte
Jakob nichts mehr, denn er sah auf das Unsichtbare, nicht auf das Sichtbare. So
übermochte er mit seiner zerbrochenen Hüfte durch Gott den Esau mit vierhundert
Mann. Das heißt so kämpfen, daß man siegt. Der Glaube ist der Sieg, der die
Welt überwindet. Da geschieht es nicht in eigener Kraft und auch nicht zum
eigenen Ruhm. Gott empfängt alle Ehre. Ob jemand auch kämpft, wird er doch
nicht gekrönt, er kämpfe denn recht. Seht zu, wie ihr allein stehen wollt gegen
vierhundert, oder ob ihr mit zehntausend dem entgegenziehen dürft, der mit
zwanzigtausend wider euch kommt! So euch aber der Sohn frei macht, seid ihr
recht frei.
1. Mose 32,29
Du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und bist obgelegen.
Du hast mit Gott gekämpft, so sagt der, der die ganze Nacht mit Jakob gerungen. Ungleicher Kampf! Gott und Mensch gegeneinander. Unerhörter, unglaublicher Ausgang! Der Mensch gewinnt. Jetzt erfuhr also Jakob, mit wem er es zu tun gehabt. Nicht mit einem Feinde, sondern mit seinem besten Freunde. Wie verwundert sich die Seele, wenn sie am Ende in den dunkelsten Wegen, wo sie geneigt war zu denken: Hat Gott seine Barmherzigkeit vor Zorn verschlossen? Ist es denn ganz und gar aus mit seiner Güte, und hat seine Barmherzigkeit ein Ende? – wenn sie gerade in diesen Wegen die besonderste Herablassung des Herrn, die größte Liebe in seiner Führung erblickt, die nur Verderben zu bringen schien. Freilich bricht da eine wunderbare, herrliche Morgenröte an.
Mit Gott gekämpft. Also schien Gott nicht für ihn, sondern gar wider ihn zu sein. Gott schien nicht für ihn, warum ging es ihm sonst so mit Esau, warum so mit Laban? Warum beengte die Furcht sein Inneres so sehr, daß er sich ihrer nicht erwehren konnte? Warum wich sie auch auf seine demütige Bitte und Danksagung nicht? Wollte Gott ihm wohl tun, warum ließ er ihn in eine solche Gefahr geraten und dabei so wehrlos sein? Kannte er ihn, warum fragte er nach seinem Namen? Hatte er ihn lieb, warum sprach er denn: laß mich gehen? Warum machte er ihn so ganz zuschanden? – „Ist der Herr mit uns, warum ist uns denn solches alles widerfahren?“ Diese Frage Gideons zu tun sind noch oft Gottes Kinder geneigt. Bin ich wirklich wiedergeboren, woher denn die sündlichen Regungen in mir? Hat der Herr mich lieb, warum läßt er mich denn in diese und jene Umstände kommen? Ist mein Gebet erhörlich, warum bringt es nicht mehr Frucht? Ist Gott für mich, warum ist denn so vieles wider mich? Aber das Ende der Wege des Herrn ist besser als ihr Anfang, und zuletzt bekommt die Seele auf diese Fragen eine sehr genügende Antwort. Doch der Herr schien gar wider den Jakob. Wider ihn mit Worten. Denn Bitteres muß er ihm gesagt haben; warum weinte er sonst nach Hosea? Er muß ihm Vorwürfe, Weigerungen, Einwendungen, Drohungen gemacht haben; warum bat er ihn sonst? Verglich er doch nachgehends das kananäische Weib mit einem Hunde und sprach davon, was recht und was nicht recht sei. Und geht es den Seelen nicht oft so, daß, wenn sie sich an einem Wort trösten wollen, tritt ihnen gleich ein Gebot, eine Drohung, ein Verweis entgegen und raubt es ihnen gleichsam vor dem Munde weg, und dies dauert so lange, bis die Decke Moses vor dem Herzen wegfällt, bis die Seele durchschaut in das Gesetz der Freiheit, bis Christus des Gesetzes Ende, bis die ganze heilige Schrift zu einem Testament wird und der Gnadenbund als Gnadenbund hervorleuchtet. Was gehört aber meistens dazu, ehe es dahin kommt! Der Herr bringt den Jakob gewissermaßen zur Verzweiflung, da er sagt: Laß mich gehen, ich will fort. Und entzieht er sich nicht oft, während die Seele meint, sie wolle ihn halten, es gehe, wie es wolle.
Es blieb nicht bei den Worten. Die Tat kommt hinzu. Er vermehrt Jakobs Not, indem er mit ihm ringt und zwar so heftig, daß Jakob sich nach des Hosea Ausdruck aus aller Macht dagegen anstemmen muß. Er wählt dazu die ohnehin schauerliche Nacht und den Zeitpunkt, wo Jakobs Not wegen Esaus Nähe ohnehin einen hohen Gipfel erreicht hatte und seine Angst groß war. Er raubt ihm durch Verrenkung seiner Hüfte alle Kraft und macht ihm die Fortsetzung des Kampfes unmöglich, obschon die Unterlassung desselben ebenso unmöglich ist. Er verursacht ihm Schmerzen. Er wirft ihn gleichsam wehrlos seinem Feinde hin, indem er ihm zugleich das Entrinnen unmöglich macht. Jakob sah sich also genötigt, sich zu wehren, gegen seinen Widersacher zu kämpfen, er mochte sein, wer er wollte. Und der Herr gibt ihm das Zeugnis: du hast mit Gott gekämpft und bist obgelegen. Mit Gott? Wie wunderbar! Wie? Macht sich Gott so mit den Menschen zu tun? läßt er sich so herab, daß er mit einem Menschen ringt, Mann gegen Mann? Das ist gar nicht glaublich. Nicht glaublich? Du wirst noch größere Dinge, noch unerhörtere Sachen sehen denn diese. Wie willst du die glauben, wenn dir das Kleinere unglaublich ist? Geh einmal nach Bethlehem, da findest du ihn in einem Stalle liegen als ein kleines, hilfsbedürftiges Kindlein. Geh nach Jerusalem, da findest du ihn in den Händen Gottloser Leute, die ihn an ein Kreuz nageln; da siehst du ihn zwischen zwei Übeltätern am Holz hängen, hörst ihn klagen, er sei von seinem Gott verlassen, siehst ihn sterben, siehst ihn begraben werden.
Was sagst du denn zu diesen erstaunlichen Geheimnissen? Kannst du das Geringere nicht glauben, wie sieht es um das Größere aus? Macht Gott sich so mit den Menschen zu schaffen? Wie sollte er nicht? Fällt kein Sperling ohne Gottes Willen, was meinen wir denn, könnte Gottes Kindern begegnen, ohne ihres Vaters Regierung? Auch die Haare auf ihrem Haupte sind gezählt. O, ein jeglicher derselben ist ihm ungemein köstlich, und wie könnte es anders sein, da er für einen so unschätzbaren Preis erkauft ist! Wie wunderbar! Nimmt seine Liebe wohl eine solche Gestalt an, wie wir es hier an Jakob sehen? Erteilt er Wohltaten auf solchem Wege? Ja, gehört auch das zum Wohltun, wenn er zu schaden scheint?
Wie kämpfte Jakob denn gegen Gott? Freilich nicht in dem Sinne, wie Stephanus zu den Juden sagte: Ihr widerstrebet allezeit dem heiligen Geist, wie eure Väter, also auch ihr. Der Erzvater wehrte sich nicht bloß mit dem Körper durch Ringen, das war nur die Frucht. Die Wurzel lag tiefer, lag innerlich, und das war der Glaube. Dieser Glaube war gerade nicht ein gefühlter, gerade nicht ein völlig beruhigter Glaube, denn er fürchtete sich; sondern die Not trieb ihn, und das ist die beste Art des Glaubens, wo man in der Empfindung seiner gänzlichen Armut nicht eben auf seinen Glauben, sondern auf Jesum sieht. Der Glaube ist das Göttliche in dem Christen, welches durch einen starken Trieb das Göttliche sucht, und ist unüberwindlich. Er äußert sich in dem Zufluchtnehmen zu Christo unter dem starken Zug des Vaters in dem Hinwegwerfen des Vertrauens, welches eine große Belohnung hat.
Jakob hielt sich so fest an der göttlichen Verheißung, und die Not zwang ihn dazu, daß er sich durch das derselben widersprechende Benehmen des Herrn so wenig irre machen ließ, daß er dasselbe nach seiner Aussage deutete, daß er daran fest hielt: Ich will dir wohl tun. Jakob kämpft gegen Gott, erst mit Aufbietung aller seiner Kräfte, im entschlossensten Ringen, so lange er noch Kraft bei sich spürt. Aber dies dient nur dazu, ihn zu überzeugen, daß man durch Wirken das Ziel nicht erreiche, und das Friedensreich nicht mit Gewalt einnehme. Diese Art zu kämpfen ward ihm unmöglich gemacht, da ihm die dazu erforderlichen Kräfte durch Verrenkung der Hüfte geraubt wurden. Nun mußte der Kampf auf eine ganz entgegengesetzte Weise fortgesetzt werden, nämlich durch ein leidendliches Verhalten. Es blieb dem gelähmten Kämpfer nichts anders übrig, als sich dem in die Arme zu werfen, der ihn so zugerichtet hatte, und, statt selbst zu arbeiten, sich tragen zu lassen; mit anderen Worten: statt selbst zu sorgen, sein Anliegen auf den Herrn zu werfen, zu glauben, vom Gesetz sich zum Evangelium zu wenden. Und da er’s so anfing, sah der Herr, daß er ihn nicht übermochte, und trat auf seine Seite. Da wurde es ein ganz anders Kämpfen, nämlich ein Ruhen, und zwar ein solches Ruhen, wovon des Jes. 30,7 heißt: Stille sitzen wird ihre Stärke sein und abermal: Durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein. So sehen wir an Jakob, wie die gesetzliche Arbeit endlich der evangelischen Sabbatsruhe weicht, und in dieser das umsonst und ohne Mühe erlangt wird, was man durch alle Arbeit vergeblich suchte, denn seinen Freunden gibt er’s schlafend (Ps. 127,2). Wunderbar! Da Jakob nicht mehr konnte, sah der Herr, daß er ihn nicht übermochte.
Warum ließ sich aber Gott in einen solchen Kampf mit Jakob ein?
Erstlich, weil es ihm gefiel. Zweitens, um einen besonderen Beweis seiner Herablassung zu geben, wie genau er sich um die Seinigen bekümmere; eine Sache, die unser Gottloses Herz so sehr in Zweifel zieht, die wir so schwer in einem solchen Umfange gelten lassen, wie es sich für uns schickte, wenn wir nur der einzigen apostolischen Aufforderung Gehör geben; Sorget nichts. Aber nun verlangt der Gottlose, alte Mensch einen Beweis nach dem andern, und bleibt doch glaubenslos, wie Hiob sagte: Wenn ich ihn anrufe und er mich erhöret, glaube ich doch nicht, daß er meine Stimme höret (Kap. 9, 16). Man will lieber selbst sorgen und richtet doch nichts aus und macht sich viel vergebliche Mühe.
Freilich haben wir viel höhere und auffallendere Beweise von der ungemeinen Herablassung Gottes zu den Menschen in der heiligen Schrift als diesen, doch ist derselbe nicht zu verachten. Wann würden wir damit fertig werden, wenn wir nur einigermaßen die Geschichte der Nachkommen Jakobs durchgehen wollten, sowohl auf ihrer vierzigjährigen Reise durch die Wüste, als während ihres wirklichen Aufenthalts in Kanaan, um zu zeigen, wie Gott oft so augenscheinlich drein griffe, und was würde dies dem alten Menschen helfen, der sich doch dahin flüchten würde, zu sagen: Wenn Gott das ehemals getan hat, so tut er’s doch jetzt nicht mehr! Gerade, als ob er entweder nichts täte, oder offenbar Wunderwerke tun müßte, und durchaus an eine Weise gebunden wäre. Und als die Wunder wirklich geschehen, gab es doch kluge Leute genug, die da sprachen: Meister, wir sähen gern ein apartes Zeichen, das nicht bloß den Pöbel, sondern auch uns überzeugte. „Ihr sollt ein Zeichen haben,“ antwortete der Meister, „ich will wieder auferstehen, nachdem ihr mich werdet getötet haben.“ Es geschah. Sie wurden es auf eine Weise gewahr, die ihnen vollkommen unverdächtig sein mußte. Aber was half’s? Sie blieben ebenso ungläubig,; denn., kommt das Reich Gottes, so helfen die äußeren Gebärden nichts; bekommt jemand den Geist des Glaubens nicht, so glaubt er nicht, und stände jemand von den Toten auf. Dieweil wir aber denselben Geist des Glaubens haben, so glauben wir auch, darum so reden wir auch. Wer Gott kennt, der siehet ihn nicht nur im Donner und Sturm oder in handgreiflichen Wundern, welche allenfalls auch ägyptische Zauberer zwingen, seinen Finger anzuerkennen: sondern im Los und im Haupthaar, im Kleinen, und in unbedeutenden Ereignissen, womit man ihn am meisten ehrt. Gott gibt also in diesem Kampf mit Jakob einen Beweis seiner ungemeinen Herablassung.
Derselbe dient auch drittens andern zum Vorbilde der Wege, welche der Herr mit Ihnen auf eine ähnliche Weise, wie mit Jakob, einschlagen kann. In einen körperlichen Zweikampf wird sich der Herr freilich schwerlich einzulassen für dienlich finden, wiewohl er auch seine Kinder mittelbar durch zeitliche Ereignisse üben kann und wirklich übt. Man hat Fälle, daß es jemand von der zeit an, da er zu Gott bekehrt wird, eine Zeitland so nicht mehr gelingen will wie früher, daß ihn selbst oder die Seinen Krankheiten und Unfälle treffen; ja, es kann geschehen, daß er selbst der natürlichen Geschicklichkeit und Wahrnehmung seiner Geschäfte beraubt wird für eine Zeitlang und ihm seine Sachen nicht mehr so wie früher gelingen wollen, er mag sich anstrengen und überlegen, wie er will, so daß er auch im Natürlichen zuschanden werden muß. In seinem häuslichen und Familien-Kreise kann auch das Wort Christi an ihm in Erfüllung gehen: Des Menschen eigene Hausgenossen werden seine Feinde sein. Es kann über dem Christentum Zwietracht entstehen zwischen Eheleuten, Eltern und Kindern, da vorher Einigkeit war. Es kann geschehen, daß jemand wegen seines Christentums der Gegenstand eines fast allgemeinen Hasses, der übeln Nachrede und des Gespöttes, ja wirklich hin und wieder mißhandelt wird, wie es dem Allerheiligen selber widerfahren ist.
Überhaupt pflegt es denjenigen, denen der Herr sich wie dem Jakob näher offenbaren will, eine Zeitlang sehr mißlich und widerwärtig zu gehen und ihnen ein Esau in den Weg zu treten, der es ihnen zu sauer macht; ja nicht ein Esau allein, sondern der Herr selbst. Sie selbst werden vernichtigt, damit der Herr groß werde. Sie wollen heilig, stark, gerecht, weise, gläubig, gut werden. Sie beten und wirken nach aller Möglichkeit, und siehe, statt vorwärts zu kommen, geht es mit ihnen zurück. Sie strengen sich wie Jakob immer heftiger an und verrenken ihre Glieder nur noch immer mehr. Was sie angreifen wollen, flieht vor ihnen. Was sie halten wollen, verschwindet, was sie suchen, kriegen sie nicht. Ohne Barmherzigkeit macht Jesus Sünder aus ihnen, die überaus sündig sind durchs Gebot, wie ungemein sie auch darüber jammern und stöhnen. Endlich wird ihnen die Hüfte gar verrenkt. Ihre bisherige Art zu bestehen wird ihnen unmöglich gemacht und ihnen nichts übriggelassen, als was dem Jakob übrigblieb: sich dem Sohne Gottes auf Gnade und Ungnade zu ergeben, als Küchlein unter seine ausgebreiteten Flügel zu kriechen. O, herrlicher Ausgang, aber unangenehmer Weg für die Natur, der nichts übriggelassen werden soll und muß. Hier, hier erweist es sich, daß das Geheimnis der Gottseligkeit groß sei.
Welches war nun des Kampfes Ausgang? Derselbe wird in den unerhörten Worten beschrieben: du hast mit Gott gekämpft und bist obgelegen. Wie ungereimt für die Vernunft! Wie unmöglich, es Gott abzugewinnen! Was doch in der heiligen Schrift für ungereimte Sachen vorkommen! Freilich ungereimte Sachen; das kann keine vernünftige Seele leugnen. Wie ungereimt lautet es, wenn es z. B. heißt: wenn du mich kleinmachst, machst du mich groß; wer weise werden will, werde ein Narr; Gottlose spricht Gott gerecht; wenn ich schwach bin, bin ich stark; die nichts inne haben und doch alles haben; Sünder rufe ich, nicht Gerechte; - und was der ungereimten Sachen mehr sind, derentwegen Paulus auch das ganze Evangelium eine Torheit nennt, wofür alle Klugen es mit Recht halten. Uns aber, die wir diese Torheit glauben, ist es göttliche Weisheit und göttliche Kraft geworden, nachdem es uns gegeben ist, dieselbe zu glauben. Also Jakob gewann den Kampf gegen Gott, ja, er mußte ihn gewinnen. Und warum?
Gott konnte ja nicht mit ihm streiten als ein Allmächtiger, konnte nicht mit ihm streiten als ein Heiliger; denn er hatte sich selbst gegen ihn die Hände durch seine Wahrheit gebunden, durch seine Verheißung: Ich will dir wohl tun. Mit ihm auf eine Weise zu streiten, die Jakobs Verderben zur Folge gehabt hätte, hatte Gott sich selbst unmöglich gemacht. Das wäre seiner Wahrheit, das wäre den Gedanken des Friedens, die er über ihn hatte, das wäre dem ganzen Inhalt des Gnadenbundes, es wäre dem geistlichen Eheverlöbnis ganz zuwider gewesen, worin der Herr gegen seine Gemeinde steht. Nun konnte er also nur in Liebe gegen ihn kämpfen und ihn nicht weiter verderben, als insofern es die Ehre des Herrn und Jakobs Heil notwendig erforderten. Bei so bewandten Umständen mußte es also dem Jakob gelingen. Er macht ja Sünder selig und Gottlose gerecht. Da er das nun selbst gesagt hat, so kann er ja diejenigen, die Sünder und Gottlose sind, nicht anders behandeln als diesem gemäß.
Und bist obgelegen, oder: Du hast dich fürstlich gegen Gott benommen und gesiegt. Worin bestand denn sein vortreffliches Benehmen? Er war aufrichtig und wollte nicht besser vor Gott erscheinen, als er wirklich war. Er bekannte seine Sünden, indem er offenherzig gestand: Ich fürchte mich! Er glaubt: "Du hast gesagt." Und o, wie viel wird durch solch ein offenherziges Bekenntnis ausgerichtet! Denn den Aufrichtigen läßt er's gelingen.
Als David so weit kam, daß er sprach: Ich will dem Herrn meine Übertretung bekennen, da vergab ihm der Herr die Missetat seiner Sünde (Ps. 32). Als er's aber verschweigen wollte, da verschmachteten seine Gebeine durch sein tägliches Heulen. Er betete und legte all sein Anliegen dem Herrn dar, indem er alle seine Hilfe bei ihm, und nicht bei sich selbst suchte. Er glaubte, und zwar aus Glauben in Glauben, so daß er sich durch nichts irre machen ließ und dreist genug war, sich endlich seinem Gegner in die Arme zu werden, da ihm jedes andere Verhalten unmöglich gemacht war. Und dem, der glaubt, sind ja alle Dinge möglich, selbst Gott zu überwinden.
Ach, wer sich denn doch auf eine ähnliche Weise wie Jakob verhalten könnte! Nun wohl. Wir müssen aber noch bemerken, daß die hebräische Sprache ganz eigener Art ist, so daß es eigentlich nicht nur heißt: du bist obgelegen, sondern zugleich: du bist dazu tüchtig, bequem, geschickt gemacht worden und wirst dazu geschickt gemacht werden. Nun wird die ganze Sache klar. Nun wird's begreiflich, wie sich Jakob so hat benehmen können, da es sonst unbegreiflich sein würde, wie ein schwacher und sündiger Mensch sich so hätte verhalten können. Nun fiel aber auch die ganze Ehre wie billig auf den Herrn zurück. Ehre genug für Jakob, daß er sich so hatte benehmen können! Freude genug, daß sich der Herr so zu ihm herabgelassen!
Aber welch ein Freibrief auch für die Zukunft: "Du sollst tüchtig gemacht werden!" Was anders blieb ihm also übrig, als nur zu glauben, als nur an seinem Halse hängen zu bleiben, als nur sich von ihm tragen zu lassen!
Wie getrost konnte er alles abwarten! Hatte er
auch im voraus keine Tüchtigkeit dazu, das war auch nicht nötig. „Sorget nicht,
was ihr reden oder tun sollte; zu seiner Zeit soll es euch gegeben werden, was
ihr reden sollt. So ihr in mir bleibet, und meine Worte in euch bleiben, werdet
ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren.“
1. Mose 32,30
Und Jakob fragte ihn, und sprach: Sage mir, wie heißest du? Er aber sprach: Warum fragest du, wie ich heiße?
Der Herr hatte den Jakob um seinen Namen gefragt, nicht, als ob er denselben nicht gewußt hätte, sondern um ihm einen, seinem jetzigen Gnadenstande mehr angemessenen Namen zu geben. Jakob war indessen so vertraulich geworden, daß er seinen Gegner auch um seinen Namen fragte. Es kann sein, daß er gern wissen wollte, wie man den Herrn wohl eigentlich nennen sollte. Man nannte ihn gewöhnlich Elohim, den Hochwürdigen. Zu Abraham hatte Gott selbst gesagt: Ich bin der El Schadai, der allmächtige oder allgenugsame Gott. Auch wurde er schlechthin El, das ist der Starke, genannt. Aber alle diese Benennungen taten dem Gemüte des Erzvaters nach den Erfahrungen, die er nun gemacht hatte, kein Genüge mehr. Sie drückten alle etwas von der göttlichen Herrlichkeit aus, keiner aber alles. Es war wohl eine Inbrunst in seiner Seele, die sich gern in Lobeserhebungen ergossen hätte, wofür er aber keine Worte finden konnte. Wer will auch Gott nach Würden loben? So müßte man selbst Gott sein. Wenn der Sohn sagte: Ich preise dich, Vater, so ward er vollkommen gepriesen; aber alle Lobgesänge aller Geschaffenen werden ein Stillschweigen genannt, weil sie ihren unendlichen Gegenstand gar nicht erreichen. Es ist dem Lobe eines kleinen Kindes zu vergleichen, das jemand als weise oder reich rühmt, welches Lob niemand sonderlich achtet, weil ein kleines Kind noch wenig weiß, was reich oder weise sei. So steht's mit uns Gott gegenüber. Doch sind wir imstande, unserseits ein vollkommenes Lob Gottes aufzuweisen, was die Engeln nicht vermögen, indem der Gottmensch Jesus Christus uns zur Gerechtigkeit und Heiligung gemacht ist und wir in ihm Gerechtigkeit Gottes sind.
Es war aber dem Jakob ohne Zweifel nicht um einen bloßen Namen zu tun, wenn er fragte: wie heißest du? Ich denke, er hat damit sagen wollen: Herr, wie soll ich dich doch nennen? Ich weiß nicht, was ich denken, geschweige, was ich sagen soll. Eine solche Herablassung, wie du gegen mich armen Staub beweisest, ist mehr, als je mein Herz von fern geahnt hat. Ich weiß und bekenne es, daß du, Herr, wunderbar und gnädig bist! Ich weiß, wie du dich zu meinem Großvater Abraham herabgelassen und mit ihm geredet hast wie ein Freund mit dem andern. Ich weiß, daß du wunderbar bist, wie du damit zeigest, daß du meinen Vater Isaak zum Opfer verlangtest. Ich weiß aus eigner Erfahrung, wie gütig du bist. Mir selbst bist du einst im Traum erschienen. Du hast mir Verheißungen ins Herz gedrückt, daß ich nicht zweifeln konnte, sie rührten von dir her. Du hast mich im Äußeren gesegnet, daß ich ein reicher Mann geworden bin. Aber was hast du jetzt an mir getan! Du verkleidest dich in mein Fleisch und Blut und wirst wie unsereiner. Du stellst dich als mein Gegner, um mir wohlzutun! Du, du ringst mit mir! Du betrübst mich, um mich zu trösten! Du zerbrichst alle meine Kraft, um zu erklären, du seist in meiner Gewalt!
Du gibst mir einen neuen Namen, der mich als Sieger und dich als den Überwundenen, der also die Unmöglichkeit als wirklich darstellt. Du schämst dich nicht, zu erklären: Ich, ich Wurm habe mit Gott gekämpft und sei obgelegen, da doch aller Sieg in deinen Händen steht. Du bittest mich: Laß mich gehen, als ob ich dich zwingen könnte, zu bleiben und zu tun, was ich haben will. Du, du machst mich zu allem tüchtig und rühmst doch mich, als ob ich's aus mir selbst getan, ich armes, furchtsames Geschöpf. Du Heiliger, lässest dich von meinen unheiligen Armen umfassen, du Mächtiger, dich von mir Ohnmächtigen überwinden. Das ist zu viel, das ist mir zu wunderlich und zu hoch; ich kann es nicht begreifen. Sage doch, wie heißest du? Wie soll ich dich nennen? Was soll ich von dir sagen? Ich weiß es nicht. Ja freilich, wer sollte das auch wohl wissen, wie er den Herrn loben und erheben, rühmen und preisen soll, wenn er erfährt und inne wird, was er an seinen Kindern tut?
Wenn man jetzt dem von Gott erfüllten Jakob gesagt hätte: Dies, was der Herr dir jetzt getan, ist noch etwas ganz Gerings gegen dasjenige, was er noch für dich zu tun gesonnen ist. Hier hat er nur für eine kurze Zeit die Gestalt eines Menschen angenommen, aber in der Fülle der Zeit wird er wirklich von einem Weibe geboren werden und nicht nur etliche Stunden, sondern dreiunddreißig Jahre auf Erden zubringen, wird leiden, an Leib und Seele das Äußerste leiden, sterben wird er sogar für Israel, damit es leben möge. Und nicht wird das Volk ihm wie du weinend und betend begegnen, sondern mit großem Grimm und erbitterter Wut ihm alles erdenkliche Herzeleid antun, und er wird's aus Liebe dulden wie ein Lamm. Hätte man das dem Erzvater jetzt sagen können – es gehörte aber nicht für die damalige Zeit -, o, wie würde er durch Gottes Gnade ausgerufen haben: Ich kann es glauben, ich kann es glauben! Was sollte einem solchen zuviel sein? Hätte man ihm gesagt: Man wird ihn die Liebe nennen, ja, würde er ausgerufen haben: das ist sein wahrer Name. Und wer kann sagen, was für Einsichten Jakob während dieses Ereignissen bekommen hat, wovon er manches in seinem letzten Segen aussprach! Wenigstens sagte Jesus von Abraham: Er war froh, daß er meinen Tag sehen sollte, und er sah ihn und freute sich.
Gewiß ist's auch, daß der Herr die Seinen, wenn sie eine Zeitlang in tiefen Anfechtungen und inneren Leiden zugebracht haben, oft auf eine ganz vorzügliche Weise zu erquicken pflegt. Je dunkler und angstvoller die vorhergehende Nacht war, desto erquickender, desto entzückender ist das darauffolgende Licht. Je tiefer die Klage, desto höher das Lob. Nie wird der Herr inniger gepriesen als von tief gedemütigten Seelen. Er wendet sich zum Gebet der Verlassenen und verschmäht ihr Gebet nicht (Ps. 102). Sei nun wieder zufrieden, meine Seele, denn der Herr tut dir Gutes. – Denn du hast meine Seele vom Tode gerissen, mein Auge von den Tränen, meinen Fuß vom Gleiten. Wie soll ich dem Herrn vergelten alle seine Wohltat, die er an mir tut? Ich will den heilsamen Kelch nehmen und des Herrn Namen predigen. Du hast meine Bande zerrissen (Ps. 116). In den Demütigungswegen erblickt die Seele die besondere Treue und Güte des Herrn. Sie findet, daß sie zu lauter Segen führen, da sie lauter Unheil darin zu sehen glaubte, daß sie lauter Liebe sind, während sie wohl dachte, wenn der Herr sie einigermaßen lieb hätte, so würde er's ganz anders machen. Jetzt wird ihr's klar, und so denkt sie wohl, sie werde fortan nicht mehr zagen, und wenn's noch so wunderbar mit ihr ginge. Ob sie aber wird Wort halten können, ist eine andere Frage. gewiß ist es aber: Wenn Gott entzeucht das Seine, bleibt Sünd' und Schwachheit meine! Und dem zustimmen lernen, ist auch Weisheit und Gnade.
"Sage mir doch, wie du heißest?" Offenbare dich näher an meiner Seele! Ein solches Verlangen ist sehr gut. Christus erklärt: Das ist das ewige Leben, daß sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesum Christum, erkennen. Paulus fand in der Erkenntnis Jesu Christi so viel, daß er alles andere dagegen für Schaden und Kot hielt. Bei Mose äußerste sich auch einst ein so starkes Verlangen, daß er den Herrn bat: Habe ich Gnade gefunden vor deinen Augen, so laß mich deine Herrlichkeit sehen! Und der Herr gewährte ihm seine Bitte wirklich, so weit es möglich war. Unter dem alten Testament war überhaupt die Frage: Ist die Nacht schier hin? Die Propheten, welche von der ihnen noch zukünftigen Gnade weissagten, stellten viele Betrachtungen über ihre Vorherverkündigung an und sehnten sich nach der Zeit, wo die Erkenntnis der Ehre des Herrn groß werden würde. Erkenntnis all des Guten, das wir haben in Christus Jesus, macht den Glauben kräftig, wie Paulus dem Philemon schreibt, und es ist sehr wünschenswert, daß in dem dunkeln Orte unsers Herzens der helle Morgenstern aufgehe, ja der Tag anbreche, und so des Gerechten Pfad glänze wie ein Licht, das da fortgeht und leuchtet bis zum vollen Tag (Spr. 4,18).
Ich bin bekannt den Meinen, sagt Jesus. O, weine herrliche Bekanntschaft, in welcher alles anzutreffen ist, was uns stark, vergnügt, heiter und ruhig machen kann, eine Bekanntschaft, welche Jesus mit Recht für das ewige Leben erklärt; eine Bekanntschaft, gleich einer unerschöpflichen Fundgrube, aus welcher eine Gnade um die andere genommen wird; eine Bekanntschaft, außer welcher es keine Ruhe gibt für die Seele. Die alttestamentliche Kirche und mit ihr das Herz der Erweckten sehnt sich und schmachtet nach dem Licht, bis es zu den Städten Judas heißt: Sehr, da ist euer Gott! Wie könnte es auch anders möglich sein, als daß der eine innige Ruhe für seine Seele findet und aus der Mannigfaltigkeit in Eins gesammelt wird, der mit Jesus Christus recht vertraulich als demjenigen bekannt wird, welcher ihm von Gott gemacht ist zur Weisheit und Gerechtigkeit, zur Heiligung und Erlösung. Ein solcher kann ja nicht anders als selbst mitten in der Dürre und Armut ruhen, wohl zufrieden, daß er in Christus alles hat.
Wer sollte nicht nach einer solchen Bekanntschaft schmachten und bitten: sage doch, wie heißest du? laß leuchten dein Antlitz! Mach mich mit dir bekannt! – zumal da wir die Verheißung haben: Du wirst den Herrn erkennen. gewiß ist dies eine Perle, unsrer armseligen Habe wert, ein Schatz, um deswillen wir wohl alles verkaufen mögen, um ihn zu erlangen. Aber nur in deinem Licht sehen wir das Licht. Selig sind die Augen, die da sehen, daß ihr seht! Nicht Fleisch und Blut hat dir das geoffenbart, sondern der Vater im Himmel. So lange aber der Christ mit seinem Herrn und Haupte noch nicht recht bekannt geworden ist, geht's ihm auch wie Noahs Taube, die nicht fand, wo ihr Fuß ruhen konnte. Hat er einmal Ruhe, so wird sie bald wieder gestört. Meint er, etwas zu haben, es wird ihm bald wieder genommen, weil er's noch in sich selbst und nicht in Christus besitzen will. Kommt ein Gedränge, so findet sich die alte Verlegenheit auch wieder ein, denn man sieht noch auf sich selbst, weil Mose und Elia noch nicht verschwunden sind, daß Christus allein übrig bleibe.
Der Herr aber antwortete: Was fragst du, wie ich heiße?, und damit bricht er ab. Das ist ja verwunderlich. Als Manoah, Simsons Vater, ihn um seinen Namen ersuchte, machte er es beinahe ebenso, indem er antwortete: Warum fragst du nach meinem Namen, der doch wundersam ist (Richter 13,18)? Mose bat sich auch seinen Namen aus, um den Kindern Israel auf ihre etwaige Frage, wie der Name des Gottes sei, der ihn sende, antworten zu können; worauf der Herr wunderbarer Weise sagte: Ich werde sein, der ich sein werde. Also sollst du den Kindern Israel sagen: Ich werde es sein, der hat mich zu euch gesagt (2. Mose 3). Nachher hat sich Gott "Jehova" genannt, ein Name, der die Begriffe: er ist, er war, und er wird sein, in sich faßt, und von dem Gott hernach sagte: Ich bin erschienen dem Abraham, Isaak und Jakob, daß ich ihr El Schadai sein wolle, aber mein Name Jehova ist ihnen nicht offenbart. So wollte er aber jetzt anerkannt und verehrt sein. Zur Zeit Moses war die erste Silbe dieses Namens: "er wird sein" die wichtigste. Bisher hatte er sich nur einzelnen Personen näher geoffenbart, aber nun wollte er allen Ländern, besonders aber dem Volk Israel, durch eine Menge vieler und großer Wunder zeigen, was für ein Wesen er sei. Sie sollten stets in voller Erwartung der Dinge sein, die da kommen sollten, bis man endlich ausrufen konnte: Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben, bis die Zeit erfüllt ward, daß er seinen Sohn sandte. Aber auch unter dem Neuen Testament hört der Name Jehova, ich werde sein, nicht auf. Deswegen kommt er in der Offenbarung Johannes zwar nicht wirklich, aber oft in der Übersetzung vor: "der da ist und der da war und der da kommt", weil auch die neutestamentliche Kirche stets auf neue Offenbarungen der Herrlichkeit Gottes wartet: in den Herzen der Auserwählten, in Herbeiführung seines Reiches, bis es endlich nach vollendeter Ausführung aller göttlichen Ratschlüsse, und nachdem das neue Jerusalem von Gott aus dem Himmel herabgefahren ist, heißen wird: Es ist geschehen. Und was es dann noch alles geben wird, hat noch kein Auge gesehen, denn dieser Name Jehova fließt durch alle Ewigkeiten wie ein segnender Strom.
Er war ist die andre Silbe und zeigt, daß Mose den Kindern Israel nicht einen neuen, sondern den alten, unveränderlichen Gott verkündigte. Er ist stets derselbe in sich selbst, in seinem Bunde, in seinen Erweisungen, ein Gott von vollkommener Seligkeit. Außer ihm und seiner Gemeinschaft jedoch ist nichts als lauter Schein, Betrug und Unseligkeit. Aber warum beantwortet der Herr Jakobs Frage nicht, obschon er selbst sie in seinem Herzen erregte? Der Herr verfährt überhaupt manchmal seinem Namen "Wunderbar" gemäß. Was war die Ursache, warum er zu Maria Magdelena sagte, als die durch seine Erscheinung in das fröhlichste Erstaunen versetzt worden war und ohne Zweifel vor ihm auf die Erde fiel, um seine Füße zu umfassen: Rühre mich nicht an, denn ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater, da er doch gleich darauf den andern Weibern, denen er begegnete, zuließ, daß sie seine Füße berührten? Warum brach er bei ihr, wie bei Jakob, so unerwartet ab? Warum verschwand er in demselben Augenblick aus den Augen der Jünger in Emmaus, als er sich ihnen zu erkennen gab, als wolle er nicht, daß sie ihre Empfindungen gegen ihn äußerten? Der sonderbaren Antworten nicht zu gedenken, die er den Juden manchmal gab, z. B. da sie ihn fragen: aus was für Macht tust du das? Erwidert er: ich will euch auch etwas fragen; beantwortet mir das erst! Auf ihre Frage: Wer bist du denn? Gibt er ihnen zur Antwort: Der, der ich mit euch rede. Auf ihr dringendes Anhalten: Wie lange hältst du uns auf? Bis du Christus, so sage es, antwortet er: Ich habe es euch gesagt, aber ihr glaubt nicht, denn ihr seid nicht von Gott. Manchmal aber sagte er ihnen weit mehr, als sie wissen wollten, und ärgerten sich nur daran. Er heißt "Wunderbar". Jakob, Maria, die Jünger in Emmaus mögen nachgehends die Weisheit des Benehmens Jesu gegen sie wohl eingesehen haben, wenn es ihnen auch auf der Stelle seltsam vorkam.
Wollte der Herr das Verlangen seiner Kinder, das er selbst in sie gelegt hat, völlig befriedigen, so müßte er sie des ganzen Segens teilhaftig machen, den er ihnen am Kreuz erworben hat. Das will er auch tun nach seinem Namen: Ich werde sein. Aber nicht hienieden, sondern im Paradiese. Deswegen muß man sich schicken lernen und mit dem täglichen Brot zufrieden sein. Man darf es sich nicht befremden lassen, wenn man in einer besonderen Gnadenmitteilung steht und nun auf einmal etwas dazwischen kommt, während man glaubte, es würde noch mehr dazu kommen. Wir wohnen hier noch in Mesech und sind noch nicht daheim bei dem Herrn, warten aber sein in Geduld. Und dies Warten oder Harren ist ein nötiger und wesentlicher Teil des Christentums, worin der Herr seine Kirche von Anfang an bis auf den heutigen Tag geübt hat. Der Herr tut alles fein zur rechten Zeit, im allgemeinen wie im einzelnen. Er weiß auch allein, die rechte Weise, und wir müssen uns deswegen sagen lassen: Meine Stunde ist noch nicht gekommen. Jakobs Frage ist auch völlig beantwortet worden. Jedoch ist die ganze Ewigkeit noch ferner dazu bestimmt. Israel meinte, ob er nicht jetzt schon das ganze Geheimnis der Erlösung wissen könnte; aber es mußten erst noch ein paar Jahrhunderte verfließen, ehe es zur völligen Kundmachung reif war. Israel mußte warten lernen, die Verheißungen von fern sehen und sich daran begnügen lassen. Er ließ sich auch begnügen und schwieg. Dies Warten ging fort, bis es hieß: Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird – und sodann: Es ist vollbracht! Da ging das Warten wieder an, bis es hieß: Der Herr ist wahrhaftig auferstanden. Nun fing man wieder an zu warten und zu fragen: Herr, wirst du jetzt wieder aufrichten das Reich Israel? Die Antwort aber lautete: Euch gebührt nicht zu wissen die Zeit oder Stunde, welche der Vater seiner Macht aufbehalten hat. Es ging den Jüngern also ungefähr wie ihrem Stammvater Jakob. Jesus fuhr gen Himmel und gleich wird die Kirche wieder aufs Warten angewiesen, wenn der Herr ihr aus dem Himmel sagen läßt: Dieser Jesus wird wiederkommen, wie ihr ihn gesehen habt gen Himmel fahren. Seitdem betet sie nun schon bald zweitausend Jahre: Dein Reich komme. Oft schon fragte sie: Herr, wirst du auf diese Zeit das Reich Israel aufrichten? Und meinte, es werde geschehen, mußte aber immer wieder hören. Euch gebührt nicht zu wissen Zeit oder Stunde. So wartet sie nun still fort, dessen gewiß, daß er es zu seiner Zeit eilends ausführen wird. daß sie in ihrer Freude sich schon mehrmals verrechnet und sich genötigt gesehen hat, sich aufs neue zum Warten – was allerdings beschwerlich ist – anzuschicken, ist ihr nicht übelzunehmen, da die Sache auch gar nicht erwünscht ist, worauf sie hofft. Aber, ob er verzieht, so harre sein! Er wird gewißlich kommen und nicht verziehen. Ob man sich schon in Bestimmung der Zeit, nach dem Vorgang der Jünger schon tausendmal geirrt hätte, darum bleibt die Sache selbst doch Wahrheit, und wir fahren fort zu beten: Dein Reich komme, bis wir oder unsere Nachkommen sagen können: Dein ist das Reich!
So ist es auch mit dem einzelnen Christen. Er muß warten. Nicht bloß auf seine vollkommene Seligkeit und Herrlichkeit, sondern auch auf seine Tüchtigmachung zu derselben. Das ist oft sehr beschwerlich, wenn man zwar das Wollen des Guten hat, aber das Vollbringen fehlt, wenn man wohl erkennt, wie man es bei seinem Christentum weit seliger, lebendiger haben könnte, als man es hat, aber nicht dahin zu gelangen weiß, wohl einsieht, wie diejenigen es doch so vergnügt haben, die so vertraulich mit dem Herrn umgehen können, die so kindlich glauben, ohne Unterlaß beten, alle ihre Sorgen auf den Herrn werfen, sich allewege in ihm freuen und sich so unbekümmert seiner Leitung und Pflege anvertrauen können, wohl einsieht, daß dies nicht nur etwas sehr Seliges und sehr Heiliges, sondern auch möglich und durch Gottes Gnade erreichbar sei, aber dabei sagen muß: Ach, wer gibt mir Adlersflügel! Und bekennen muß, daß dies durch eigne Bemühung nicht zu erreichen sei und der Mensch nichts nehmen könne, es werde ihm denn gegeben vom Himmel. Aber wenn es jemand noch nicht gegeben ist, und ihm eine nähere Offenbarung des Herrn an seiner Seele noch verweigert wird, das ist ein schmerzhafterer Zustand, als diejenigen zu beurteilen vermögen, die schon satt geworden sind und herrschen ohne uns.
Nun, getreu ist ja, der euch ruft, der wird es
auch tun. Wird es euch einmal gegeben, das: "Er wird es tun" recht
aufzufassen, zu glauben und zu verstehen, so wird euer Friede werden, wie ein
Wasserstrom und eure Gerechtigkeit wie des Meeres Wellen. Ja, er wird es tun!
O, lobt den Herrn! Amen.
1. Mose 32,30
Und er segnete ihn daselbst.
Israel hatte sich den Segen ausgebeten, und zwar mit einer Inbrunst, mit einer Entschlossenheit, die sich nicht abweisen ließ: "Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!" Dies war des Herrn eigenes Werk in der Seele seines Dieners. Es war eine Bitte nach seinem Willen, und so wir etwas bitten nach seinem Willen, so erhört er uns. Diese Bitte floß aus einem tiefen und lebendigen Gefühl, aus einer großen Bedürftigkeit für eine höhere Mitteilung der Gnade. Es war ein Hungern und Dürsten nach der Gerechtigkeit, das Jesus wegen der darauffolgenden Sättigung selig preist, und dem diese Sättigung gewiß ist.
Was wollte Jakob wohl eigentlich, wenn er gesegnet zu werden verlangte? Irdischen Segen hatte er ja genug. Im Geistlichen hielt er sich doch wohl nicht für einen Menschen, der noch keinen Teil an dem Segen Gottes erlangt habe, der noch nicht ein Gegenstand seines Wohlgefallens und seiner Liebe sei? Nein, dafür hielt er sich nicht. Aber er begehrte eine Bestätigung des von seinem Vater erlangten Segens, kraft dessen er der Stammvater des verheißenen Weltheilandes sein sollte. Dies beweist seine große Hochachtung und Liebe gegen den Erlöser. Esau, sein Bruder, hätte wohl wegen seiner Erstgeburt die nächsten Ansprüche daran gehabt. Aber der machte sich so wenig aus dem Erlöser, daß er seine Erstgeburt mit allen ihren Vorrechten für ein Linsengericht verkaufte. Ein Bild aller derer, welche die zeitlichen Güter und die sinnlichen und sündlichen Ergötzlichkeiten höher achten als Gottes Gnade. Esau bekam auch, was er suchte, irdisches Glück, und tat es darin dem Jakob weit zuvor. Dieser hatte nur die notwendigsten Knechte, während sein Bruder Esau mit 400 Bewaffneten – welches damals sehr viel war – ins Feld ziehen konnte. Die Kinder Esaus heißen gleich (Kap. 36) Fürsten, und ihrer waren viele. Zwei derselben hießen Eliphas und Theman, und da diese Namen von Hiobs Freunden gebraucht werden, so erhellt daraus, daß dieselben Nachkommen Esaus waren. Da in den Reden, die sie bei Hiob führten, des Erlösers gar nicht erwähnt wird, von dem doch Hiob ein vortreffliches Zeugnis ablegt und dessen auch Elihu gedenkt, so schließen wir mit Recht daraus, daß Esau sich wenig darum bekümmert hat und daß eine Nachkommen in seine Fußstapfen getreten sind. Diese sahen auch bei Hiob nur irdische Güter für Zeichen der göttlichen Gunst an, ihre Beraubung aber als einen Beweis der göttlichen Ungnade und erklärten deswegen Hiob für einen Gottlosen Mann, womit sie zugleich ihre Eigengerechtigkeit bewiesen, nach welcher sie ihren zeitlichen Wohlstand als einen Lohn ihrer Tugend ansahen und aus Hiobs Trübsal schlossen: er besitze keine Tugend. Sie waren Lohndiener. Deswegen sagte auch der Herr zu Eliphas von Theman: Mein Zorn ist ergrimmt über dich und deine zwei Freunde, denn ihr habt nicht recht von mir geredet wie mein Knecht Hiob. laßt meinen Knecht Hiob für euch bitten, denn ihn will ich ansehen, daß ich euch nicht sehen lasse, wie ihr Torheit begangen habt. Wollten sie nur von ihrer eigenen Gerechtigkeit und nicht von einem Mittler wissen, so mußten sie sich bequemen, die Vermittlung Hiobs anzunehmen, und mußten hören, des Herrn Zorn sei, ungeachtet ihrer großen Tugend und Weisheit, worin sie weit über Hiob erhaben zu sein glaubten, über sie ergrimmt, und es fehle wenig daran, daß sie die empfindlichsten Proben davon erfahren sollten. Gott achtete alle ihre prachtvolle Weisheit für lauter Torheit, wie viel Wahres und Vortreffliches sie auch gesagt haben mochten. Aber von seinem gedemütigten Knecht Hiob, dessen ganze Weisheit zuletzt in dem einen verfaßt war: Ich weiß, daß mein Erlöser lebt – sagte er aller seiner Übereilungen ungeachtet: Ihr habt nicht recht von mir geredet wie mein Knecht Hiob. Hoffentlich ist auf diese Weise ihre eigene Weisheit und Gerechtigkeit in Gnaden zuschaden gemacht worden, und sie haben gelernt, mit Hiob sich eines Erlösers zu getrösten und mit Elihu auf den Einen aus Tausenden zu schauen, der da sagt: "Er soll erlöst werden, daß er nicht hinunterfahre ins Verderben." Esau und seine Nachkommen bekamen alsbald feste Wohnsitze im Lande Seir und hatten schon Könige, als Israels Nachkommen noch in bedrängten Umständen sich befanden, zum Beweise, daß Gottes Gnade und zeitliche Trübsale nicht nur sehr wohl nebeneinander bestehen können, sondern daß das Kreuz gewöhnlich die Gnade begleitet, und daß diejenigen die lieben Kinder Gottes eben nicht seien, denen alles nach Wunsch geht. Jakob nannte sein Leben eine Wallfahrt und bewies damit, daß er sein Vaterland außerhalb der Grenzen der sichtbaren Welt suche. Gern wählte er Christus auch mit dem Kreuz, eine Gesinnung, welche sich nachgehends in dem recht israelitischen Moses her herrlich erwies, da er viel lieber erwählte, mit dem Volke Gottes Ungemach zu leiden, denn die zeitliche Ergötzung der Sünde zu haben.
Was mußte aber Esau wohl für Gedanken vom Segen Gottes bekommen, wenn er sich mit Jakob verglich! Jakob nannte ihn seinen Herrn und sich – seinen Knecht. So verhielt es sich auch nach dem äußerlichen Ansehen. Ach, mag Esau gedacht haben, was für ein abergläubischer Tor bin ich gewesen, daß ich auf den Segen meines Vaters einen solchen Wert legte, daß ich darum weinte, daß mein Bruder mir darin zuvorgekommen war. Wie so gar keine Ursache habe ich dazu gehabt! Wie geht mir alles nach Wunsch! Und meinem Bruder – wie geht es dem samt seinem Segen? Das ist nur Aberglaube. Und nach der Vernunft hatte er recht. Dachte Jakob auch so? Dachte er: was bin ich's gebessert, daß ich dem Esau vorgezogen wurde? Worin besteht denn mein Vorzug? Im Leiden, in Verfolgung, in Unglück? Dachte er: Es ist doch nichts mit dem Segen, und es war sehr überflüssig, daß deine Mutter es sich so ernstlich angelegen sein ließ, ihn dir zuzuwenden? O nein. Sein Erlöser war sein Gold, das er nicht vertauschen wollte. Alles, was er besaß, betrachtete er als ein Gnadengeschenk Gottes in seinem Wohlgefallen, und das machte ihm das wenige köstlicher, als das viele Gut, das Esau besaß, von dem es die Frage war, ob er's im Zorn oder in Gnaden hatte. Dem David war ein Tag in den Vorhöfen des Hauses Gottes besser als sonst tausend. Er wollte lieber der Torhüter in seines Gottes Hause sein, denn lange wohnen in der Gottlosen Hütten. Israel begehrte die Bestätigung des verheißenen Segens, wodurch nach der seinem Großvater Abraham gegebenen Zusicherung alle Völker auf Erden durch seine Nachkommen sollten gesegnet werden. Dies zog er allem andern vor, und mit Recht. Ich habe genug – sagte Esau; Jakob aber: ich habe alles genug; denn, wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde; wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil. Diese Bestätigung war das erste Begehren Israels. Das andere, wonach er begierig gemacht worden, war eine tiefere Gründung in der Gnade, eine weitere Ausbreitung in derselben, eine größere Geschicklichkeit, sich ihr getrost zu überlassen und anzuvertrauen, wodurch eine Menge von ängstlichen Sorgen wegfallen würden. Er hatte den Segen von seinem Vater. Er hatte wiederholte Bestätigungen desselben vom Herrn, er hatte herrliche Verheißungen und die auffallendsten Proben seiner freundlichen Fürsorge und Güte von ihm empfangen. Aber das alles hatte die erwünschte Wirkung auf seine Gemütsverfassung noch nicht, die solchen Gnadenbezeugungen angemessen war. Er war noch so ängstlich und voller Furcht vor Esau. Man sollte sagen, wie es möglich gewesen sei, bei solchen Gnadenbezeugungen und nach solchen Erfahrungen noch besorgen zu können, Esau möchte ihn samt allen seinen Kindern erschlagen, wodurch ja Gottes Verheißung zugleich mit vereitelt worden wäre. Jakob fühlte selbst das Beschwerliche und Ungeziemende davon sehr wohl, ohne es ändern zu können, und fand sich genötigt, sich im Gebet zu Gott zu wenden, damit er ihm neben den Verheißungen auch noch das Vermögen schenken möchte, gehörig damit wirksam sein zu können. So geht's ja noch oft im Christentum. Mit freudigem Vertrauen hat man schon so oft die Verheißung des Evangeliums und Jesum Christum selbst annehmen können, schon so oft schwören können: Im Herrn habe ich Gerechtigkeit und Stärke. Hundertmal ist man aus der Dunkelheit ins Licht und aus dem Gedränge in Frieden versetzt, ist seiner Begnadigung aufs festeste versichert und oft ungemein mit Tröstungen überschüttet worden. Man hat's dem Herrn so oft zutrauen können, er werde es sicherlich tun. Nun schämt man sich gewissermaßen wohl, seine Begnadigung immer wieder in Zweifel zu ziehen, wie man anfänglich tat. Allein man hat doch keinen wahren Frieden und Ruhe für seine Seele. Man kann noch nicht so in kindlichem Vertrauen sich selbst und all sein Anliegen dem Herrn überlassen und hat bald die, bald jene Furcht und Bangigkeit. Da gibt's nun mache Seelen, welche dafür halten, es könne hienieden einmal nicht anders werden, und jeder müsse sich darin schicken, so gut er's wisse und vermöge. Es gibt aber auch andere, die eine höhere Vorstellung von der Gnade haben. Sie wissen unbezweifelt, daß die Gnade mächtiger sei als die Sünde, daß das Herz fest werden könne durch die Gnade, daß die Erkenntnis Jesu Christi überschwenglich werden könne, so daß man dagegen alles für Schaden und Dreck achtet, daß das Gesetz des Geistes, welcher lebendig macht in Christus Jesus, frei mache von dem Gesetz der Sünde und des Todes. Sie wissen, daß man los werden könne vom bösen Gewissen und Ruhe finden für die Seele, daß auch einem Kinde ein Mann und Vater in Christus werden und daß das Herz zusammengefaßt werden könne in der Liebe zu allem Reichtum des gewissen Verstandes, zu erkennen das Geheimnis Gottes des Vaters und Christi, in welchem verborgen liegen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis. Kurz, die Seele sieht sich genötigt, sich von einem wahrhaft evangelischen und neutestamentlichen Gnadenstande, inbetreff der Erleuchtung, des Friedens, der Heiligung und der Kraft keine geringe, sondern eine große Vorstellung zu machen, wie es auch recht und billig ist. Und das nicht nur, sondern sie spürt auch einen starken Hunger und Durst nach Gerechtigkeit, nach dieser völligen Freimütigkeit, nach völligem Glauben, nach völliger Liebe und sieht sich genötigt, mit Jakob zu erklären: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!
Es sind nicht nur einzelne, vorübergehende Erleichterungen und Erquickungen, die sie begehrt, sondern ein Wohnen und Bleiben Christi im Herzen, ein Wandeln vor und in ihm, ein Gewurzeltsein in ihm. Mag sein, daß die Seele sich des nicht deutlich bewußt ist. Genug, es ist ein Trieb des Geistes Gottes in ihr, der mit David begehrt, aus der Enge in weiten Raum versetzt zu werden.
So zeigte es sich auch an den Jüngern: Herr, stärke uns den Glauben, baten sie; Herr, lehre uns beten, weil sie sich mit ihrer bisherigen Art, zu glauben und zu beten, nicht mehr begnügen konnten. Herr, zeige uns den Vater, so genügt uns, sprachen sie, und Jesus verhieß ihnen auch den heiligen Geist, der all ihr Verlangen stillen werde. Paulus war mit den begnadigten Korinthern noch nicht zufrieden, sondern nennt sie junge Kinder und fleischlich, und mit den hebräischen Christen nicht, weil sie billig schon Meister sein sollten, aber noch junge Kinder und Unerfahrene waren im Worte der Gerechtigkeit. Den Galatern sagt er, er müsse sie abermal mit Schmerzen gebären, bis Christus eine Gestalt in ihnen gewinne. Christus schalt seine Jünger wohl: Wie, daß ihr so unverständig seid! Und Petrus sagt: Wachset in der Gnade und Erkenntnis unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi! Jedoch kann niemand seiner Länge eine Elle zusetzen, noch ein Haar schwarz oder weiß machen. Ohne Jesus können die Gläubigen nichts tun, nicht einmal etwas Gutes denken. Gott ist es, der in uns wirkt das Wollen und Vollbringen des Guten. Auch ist unserer Natur nie zu trauen, wenn sie sich noch so fromm stellt, ja dann am wenigsten.
Sie kann auch aus purer Eigenliebe und Selbstgefälligkeit nach Wachstum, nach etwas Vorzüglichem trachten, weswegen es auch heißt: Trachtet nicht nach hohen Dingen! Wir sollen nicht Gefallen haben an uns selbst. Unsere Eigenliebe ist verschmitzt genug, um gern mit Gaben, Gnade und hohen Ständen zu prangen, sie als einen Raub anzusehen und sich von andern dafür ansehen zu lassen. Sie will gern mit Simon, dem Zauberer, für etwas Besonderes gelten. Diese Begierde, etwas zu werden, kann die Quelle vieler Bemühung, Anstrengung und Befleißigung in Dingen sein, die an sich heilig und gut sind, und es vergeht wirklich oft lange Zeit, ohne daß der Mensch selbst es merkt. Man kann in seinen eigenen und anderer Augen ein vorzüglicher Christ sein oder zu werden suchen, und es ist doch alles nichts; denn was groß ist bei den Menschen, ist vor Gott ein Greuel.
Gottes Gnadenweg ist aber immer der: zunichte zu machen, was etwas ist, damit er alles in allem sei.
Wann wurde Jakob gesegnet? Wann bekam er den herrlichen, neuen Namen? Wann wurde er gelebt? Erst nach einem wunderbaren Zweikampf. Und das geschah in demselben? Wurde er immer stärker und stärker? So stellen wir es uns von Natur vor. Nach unserer Meinung ist dies der Gang. Erst liegt der Mensch da unter der Gewalt seiner Feinde. Nun fängt er an zu kämpfen. Überdem wird er immer stärker. Endlich richtet er sich auf und tritt seinen Feind unter die Füße. Das ist Vorstellung unserer Vernunft. Aber mit Israel war es der umgekehrte Fall. Mit seiner ganzen Kraft begann er den Zweikampf. Seine Kraft nahm immer mehr ab. Zuletzt verschwand sie mit Verrenkung der Hüfte ganz. Da hörte das Kämpfen zwar nicht auf, verwandelte sich aber in ein ganz anderes Verhalten, welches darin bestand, daß er sich an den Hals seines Gegners warf, der nun seine einzige Stütze war. Und in dem nämlichen Augenblick, da seine Kraft ihn verlassen hatte, sah der Wunderbare, daß er den Jakob nicht übermochte, und erklärte sich für überwunden. Das ist höchst seltsam, aber die Wege des Herrn sind richtig. So macht der Herr noch immer bei seinen lieben Kindern zunichte, was etwas ist, damit er alles in allem sei.
Überhaupt müssen wir bedenken, daß ein wahres, rechtschaffenes Christentum in sehr wesentlicher Erfahrung von Sünde und Gnade, von eigenem Elend und Gottes Herrlichkeit, von eigener Ohnmacht und Gottes Kraft, von eigener Blindheit und Gottes Weisheit besteht, und daß wir von demselben eigentlich nichts mehr verstehen, als wir davon erfahren. Wir müssen wissen, daß Gott das Kreuz in alle seine Führungen genau verwebt hat, und daß sich an und unter demselben der alle Mensch nach und nach verblutet. Die Schrift redet von einem heilsamen Getötetwerden und Sterben samt Christus, sowie von Auferstehen und Lebendigmachen mit ihm. Sowie dieses etwas sehr Heiliges und Herrliches, so ist dagegen jenes, wie jedes Getötetwerden, etwas, das ebensowenig ohne Not und Angst hergeht, als der Kampf Jakobs ohne Schmerz und tränen gerührt wurde. Bevor Israel aus Ägypten erlöst wurde, erstieg seine Not den höchsten Gipfel, und Paulus trug stets das Sterben Christi mit sich um, damit sich auch Christi Leben an ihm offenbarte. Als die Jünger Jesu zu einer höhern Stufe der Gnade, der Erleuchtung, des Glaubens und der Heiligung durchdringen sollten, gerieten ihre Seelen vorher bei dem Leiden und Sterben Jesu Christi in große, geistliche Geburtswehen, bei welchen sie weinten und Angst hatten. Vom Christentum und hohen Ständen reden ist das leichteste, und die Eigenliebe kann sich darin sehr gefallen. Wo aber wesentliche Gnade ist, da hört unfehlbar alle Prahlerei auf, weil aller Grund dazu benommen wird, und wenn man sich selbst rühmen wollte, so müßte man sich seiner Schwachheit rühmen. Ich danke dir, daß du mich treulich gedemütigt hast und hilfst mir. Das abhängige Leben im Glauben, wo man sich nur des Herrn rühmt, ist in Kraft und Wahrheit eine seltene Sache.
Hat nun der Herr in einer Seele einen innigen Hunger nach einem rechtschaffenen Gnadenstand gewirkt, so führt er sie auch auf dem ihm wohlgefälligen Wege und durch die Mittel, die seine mannigfaltige Weisheit dazu ersieht, dem Ziele zu, Mittel und Wege, welche der Vernunft meistens so wenig als zweckmäßig einleuchten, daß sie vielmehr das gerade Gegenteil zu sein scheinen, denn sie sind dem Spruch gemäß: Wenn du mich demütigst, so machst du mich groß. Die an den Wegen Gottes blinde Vernunft macht sich die Hoffnung, man werde immer reicher und stärker in sich selbst werden und je länger je weniger die Beihilfe des Herrn nötig haben. Aber gerade das Gegenteil! Christus wird je länger je mehr das Ein und Alles, das A und das O, der Erste und der Letzte, so daß man außer ihm weder glauben noch lieben, weder Gutes denken noch begehren, weder hoffen noch geduldig sein kann und doch dies alles und noch mehr kann durch den, der uns mächtig macht, Christus. So konnte auch Jakob am Ende ohne Ihn nicht gehen noch stehen und noch weniger von der Stelle kommen. Und hier, hier ist es, wo das Beten ohne Unterlaß recht in Gang kommt, wo also auch ohne Unterlaß gegeben wird, was zum Leben und göttlichen Wandel dient, wo der Christ nichts und doch alles hat, schwach und doch stark ist, nichts und deswegen alles vermag.
Der Herr segnete den Jakob. Dies war eine tatsächliche Beantwortung der Frage Israels: Sage doch, wie heißest du! Der Erzvater erfuhr es in seinem Innern. Seine bisherige Furcht wich aus seiner Seele, wie der anbrechenden Morgenräte die Dunkelheit der Nacht. Wie sich bei ihrem lieblichen Schein der Tau erquickend aufs Gras herabsenkt, so ließ sich ein himmlischer Friede in die geängstete Seele des müden Patriarchen labend hernieder. Die wilden Tiere begaben sich wieder in ihre Höhlen, und statt ihres grausenerregenden Gebrülls erhoben die Vögel des Himmels ihren Frühgesang, und die ängstliche Vorstellung Jakobs von Untergang und Verderben löste sich in zuversichtliche Hoffnung auf. Der Gedanke an den drohenden Esau und seine vierhundert Mann schreckte ihn nicht mehr. Er war überwunden, und Jakob, wehrloser als gestern, war heute, obschon hinkend, getrost wie ein junger Löwe. Er brauchte nicht mehr auf das bewaffnete Heer zu sehen. Er wußte, an was für Einen er glaubte, Esau mochte mit vierhundert oder viertausend ihm entgegenziehen. Sein Herz war jetzt ausgebreitet in friedsamem Vertrauen zu seinem Gott.
So segnete ihn der Herr nicht mit Worten, sondern durch wesentliche Mitteilung seiner innerlichen Gnade, welche höher ist als alle Vernunft.
O eine köstliche Sache, köstlicher, als wenn das Gemüt seine Erquickungen durch Worte, durch wörtliche Verheißungen empfängt, welche selten von Dauer zu sein pflegen. Ach, welche Barmherzigkeit, wenn nicht so sehr einzelne Erleichterungen geschenkt werden, worauf bald wieder neue Beklemmungen folgen, sondern wenn der Seele gegeben wird, aus der Wüste heraufzufahren wie ein gerader Rauch und sich zu lehnen an ihren Freund, wo es dann heißt: wie schön ist dein Gang in deinen Schuhen, du Fürstentochter! Welche Barmherzigkeit, wenn es der Seele geschenkt wird, sich fortwährend gegen ihren Seelenfreund und Gnadenstuhl gehörig zu benehmen, in tiefster Armut des Geistes, in ungefärbter Aufrichtigkeit und völligem Glauben still fort zu wandeln, wenn ihr Stand dem apostolischen gleicht, der in den Worten beschrieben wird: Ich bin mit Christus gekreuzigt. Ich lebe, aber doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir, denn, was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben des Sohnes Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dahingegeben! In diesem Segen ist alles begriffen, was zum Anfang und Fortgang, zur Erweckung und tieferen Gründung erforderlich ist. Mit einem Worte: die wesentliche Zueignung der durch Christus erworbenen Heilsgüter durch den heiligen Geist und der heilige Geist selber. Als Jesus zum Beschluß seines Aufenthaltes auf Erden, als eine Vorbedeutung seines Geschäfts im Himmel, seine Hände segnend aufhob und die Jünger segnete, da versteckten sie sich nicht mehr hinter verriegelten Türen aus Furcht vor den Juden. Da fingen sie an zu loben und zu danken. Da waren sie stets frei, öffentlich einmütig im Tempel beieinander mit Beten und Flehen. So hatte der Herr hier erst das Gemüt des Erzvaters zu einem dringenden Hunger nach dem Segen erweckt, daß er erklären konnte: "Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. Der Herr ließ ihn sodann eine Weile warten, damit er um so tiefer inne würde, daß es nicht liege an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes freiem Erbarmen; damit er um so völliger ausgeleert würde von allem eigenen Wirken, - und dann segnete er ihn daselbst, an dem nämlichen Orte, wo er hatte kämpfen müssen. Dadurch ward ihm diese Stätte höchst merkwürdig; und er nannte sie: Pniel (Gottes Angesicht).
Wohl war das der mühe wert, denn der Segen macht es eben aus. Er tut's im Irdischen, daß die Saaten gedeihen, daß die Frucht des Weinstocks nicht lüge, daß Geschäfte gelingen, daß Schaden verhütet werde; denn zum Laufen hilft nicht schnell sein, zum Streit hilft stark sein, zur Nahrung hilft nicht geschickt sein, zum Reichtum hilft nicht klugsein. Wenn der Herr nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen. Wo der Herr nicht die Stadt behütet, so wacht der Wächter umsonst. Es hilft nichts, ob jemand früh aufsteht und hernach lange sitzt und sein Brot mit Sorgen ißt, denn seinen Freunden gibt er es schlafend. Umsonst zerarbeitest du dich in der Menge deiner Wege, umsonst versuchst du, deiner Länge eine Elle zuzusetzen; des Herrn Segen aber macht reich ohne mühe, durch denselben macht sich alles von selbst. "Segne mich auch", schrie Esau und bekam den Segen doch nicht, zum Beweis, daß selbst das erste, wahrhaftige Sehnen nach dem Segen des Herrn Werk in der Seele ist! Ach, Esau, der Ältere, will noch immer gesegnet sein, will etwas Großes, etwas Starkes werden, will Gott nötigen, den Heilsweg nach seinem Dünken einzurichten, will gerecht und vollkommen sein in sich selbst. Aber das gibt nichts, mag er auch heulen und murren, er bekommt den Segen nicht. Der kleinere, der jüngere, der neue Mensch bekommt ihn, bekommt ihn auf keinem andern Wege, als daß ihm das Gelenk der Hüfte der Eigenheit zerbrochen wird, da es denn endlich heißt: Ich habe dich erlöst, und du bist mein!
Ihm sei das Reich und die Kraft und die
Herrlichkeit bis in Ewigkeit! Amen.
1. Mose 32,31.32
Und Jakob hieß die Stätte Pniel: Denn ich habe Gott von Angesicht gesehen, und meine Seele ist genesen. Und als er an Pniel vorüberkam, ging ihm die Sonne auf, und er hinkte an seiner Hüfte.
Der Herr hatte Jakob gesegnet, und so ließ er ihn denn jetzt gehen. Er spürte es an seinem Innern, daß, wenn der Herr auch sichtbarlich vor ihm verschwände, er doch innerlich bei und in ihm bleibe. So geschah es auch den Jüngern bei den Himmelfahrt Jesu. Leiblich schied er von ihnen, aber geistlich und wesentlich blieb und bleibt er bei uns alle Tage bis an der Welt Ende. Und das spüren wir an seinem Geiste, den er uns gegeben hat, an dem Frieden, der Freude und der Kraft, die in uns wirkt. Der ganze Vorgang mit Jakob verdiente ein Denkmal. Er stiftete dieses dadurch, daß er der Stätte, an der sich diese merkwürdige Geschichte zugetragen, einen neuen Namen gab. Er bekam davon ein Sinnbild in der Natur: die aufgehende Sonne, und eine Erinnerung an seinem eigenen Körper: er hinkte.
Der Sohn Gottes hatte Jakob einen neuen Namen gegeben. Der Erzvater konnte das nicht erwidern und auch Gott einen neuen Namen beilegen, wiewohl seine Güte alle Morgen neu, immer gleich frisch und lieblich ist. Er gab also der Stätte einen neuen und passenden Namen, indem er sie Pniel, d. i. das Angesicht Gottes, nannte. Er erklärte sich auch über diesen Namen, indem er hinzusetzte: „Denn ich habe Gott von Angesicht gesehen“ und die Wirkung davon war diese: „und meine Seele ist genesen“. Gott selbst aber hat dieser Begebenheit dadurch ein Denkmal gestiftet, das so lange dauern wird, als die Erde besteht, indem er sie durch seinen Knecht Mose hat aufzeichnen und durch den Propheten Hosea daran erinnern lassen. Doch – wie sage ich: so lange diese Erde steht? Bis in alle Ewigkeit wird Jakob selbst ein Denk mal dieser Begebenheit sein, und sowie er’s hier durch sein Hinken war, so dort durch seine Herrlichkeit.
Pniel! Diese Erde hat doch ungemein herrliche Stellen. Der sinnliche Mensch findet diejenigen am merkwürdigsten, wo die Natur sich in vorzüglicher Pracht und Majestät offenbart, wo hohe Berge entzückende Aussichten gewähren und lachende Gefilde den Segen des Himmels verkünden, wo majestätische Ströme sich hinwälzen, oder die weite See sich wie eine Ewigkeit vor den vergebens ein Ziel suchenden Blicken dehnt. Der künstlerische Mensch verweilt mit Lust bei den Denkmälern alter und neuer Kunst, er staunt die ungeheuren Dome an, die die Vorzeit himmelan türmte, oder ergötzt sich an der Kunst der Maler oder Bildhauer, welche gleichsam die tote Leinwand und den harten Marmor belebt. Er bewundert die Pracht und Schönheit fürstlicher Paläste und verweilt bewundernd bei den Werken der Kunst. Der geschichtliche Mensch verliert sich in Betrachtungen, wenn er die ehemaligen Schauplätze wichtiger Ereignisse betritt, wenn er des alten Rom mit seinen Erinnerungen ansichtig wird, oder auf einem Felde ist, wo merkwürdige Schlachten geschlagen wurden. Wem sind nicht in dieser Zeit Wittenberg und seine Schloßkirche, die Wartburg, Zürich und Genf, die Namen Luther, Zwingli und Calvin aufs neue merkwürdig geworden, weil sie an ihre folgenreichen Begebenheiten mahnen. Der christliche Mensch hat auch seine merkwürdigen Punkte auf dieser Erde: Bethlehem, Kapernaum, Jerusalem, Golgatha und Ölberg! Weiland besuchte sie der fromme, abergläubische Pilger leiblich, während doch vielleicht sein Herz fern von Gott war. Sein irdisches Auge sah die merkwürdigen Stellen, während sein Geistesauge verschlossen blieb, die Wunder zu erblicken, die daselbst geschahen zum Heil der Sünder. Sein Fuß wandelte in jenem sogenannten heiligen Lande, wo auch einst Abraham wandelte, das der Sohn Gottes mit seinen heiligen Füßen berührte, ja mit seinem Angesicht, das er mit seinen Tränen, mit seinem blutigen Schweiße, mit seinem versöhnenden Blute benetzte, in dessen Schoß sein entseelter Leichnam drei Tage schlummerte, und von wo aus er wieder in den Himmel ging, aus dem er herabgekommen war. Da wandelte auch mancher Pilgerfuß, während es ihm nicht gegeben ward, in den Fußstapfen des Glaubens Abrahams zu wandeln und den Weg des Friedens zu wissen, ja, während er den Sohn Gottes dadurch von sich stieß, daß er seine eigene Arbeit als eine Versöhnung für seine Sünden geltend zu machen gedachte. Jene Stellen sind dem Gläubigen lauter Pniels, Offenbarungen der Herrlichkeit Gottes, indem sein Glaube und seine Liebe in dem, was dort geschah, die Weide des ewigen Lebens findet. Und hat nicht jeder Christ seine besonderen Pniels, wo sich Gott besonders an ihm offenbarte, sein Betkämmerlein, eine Predigt, ein Buch, eine Gesellschaft, eine einsame Stunde und dergleichen, die ihm ewig unvergeßlich bleiben?
Jakob nannte diese merkwürdige Stätte Pniel, nicht um sich selbst, nicht um dem , was er daselbst getan und ausgerichtet hatte, ein Denkmal zu setzen, sondern dem, was er da von Gott erkannt und erfahren hatte, der ihm erwiesenen Gnadenwohltat. Seht hier den Charakter aller Kinder Gottes! Die Welt ist stolz und rühmt sich selbst. Sie hat das getan und jenes ausgerichtet. Sie will dafür angesehen, gelobt und für ihren Eifer, ihre Klugheit und Geschicklichkeit geehrt werden. Eigene Ehre ist ihr Ziel, und Verweigerung derselben ist ihre empfindlichste Kränkung. Mit jenem Pharisäer schreibt sie es sich selbst zu, daß sie dies und das nicht ist, und jenes doch tut und ist. Sie will ihren Ruhm keinem andern lassen und findet sich durch den sehr beleidigt, der ihn an sich reißen will. Selbst wenn der Sohn Gottes sagt: Ohne mich könnt ihr nichts tun, so darf er nichts als Widerspruch erwarten; und wenn Paulus spricht: Nicht aus euch, sondern Gottes Gabe ist es, so findet sie das beleidigend, die stolze Welt! Das weiß der Herr bei den Seinigen schon anders herauszubringen, und sollte er ihnen das Gelenk der Hüfte zerbrechen müssen. Er tut’s damit, wer sich rühmen will, sich seiner eigenen Schwachheit und des Herrn rühme, aller eigene Ruhm aber zu Grunde gehe und aufhöre.
Jakob gibt den Grund der Benennung dieser Stätte in den Worten an: denn ich habe Gott von Angesicht gesehen. Hier finden wir eine völlige Aufklärung darüber, was für einer es war, der mit Jakob gekämpft, der ihm seine Hüfte verrenkt, ihm einen neuen Namen gegeben und ihn gesegnet hatte. Er war kein Engel. Jakob konnte wohl Engel. Auf seiner Flucht vor seinem Bruder, da er einsam in einer Wüste auf der Erde schlief, einen Stein statt des Kissens unter dem Haupte, sah er in einem Traum die Engel Gottes an einer Leiter auf- und niedersteigen, und der Herr stand oben darauf. Auf seiner Rückreise begegneten ihm wieder zwei Heere Engel, und er nannte die Stätte, wo dies geschah: Mahanaim. Hier aber war kein geschaffener Engel, sondern Gott selbst, jedoch diejenige Person des göttlichen Wesens, die zugleich „der Gesandte“ genannt wird, der in der Fülle der zeit wirklich im Fleisch geoffenbart ist: Jesus Christus. Fragen wir, woran Jakob es mit einer solchen Gewißheit merkte, daß es eine göttliche Person war, mit der er’s zu tun hatte, so antworten wird: er wurde davon auf die selten geheimnisvolle Weise vergewissert, wie die am Grabe weinende Magdalena durch das eine Wort „Maria“ versichert wurde, es sei nicht der Gärtner, sondern Jesus selbst, der mit ihr redete, wie die Jünger am See Tiberias so innig überzeugt wurden, es sei der Herr, daß niemand fragen durfte: „wer bist du?“ Der Geist gibt Zeugnis, daß Geist – Wahrheit ist (1. Joh. 5,6). – Es ist um die christliche Überzeugung eine besondere Sache. Es ist ein Innewerden, daß es sich wirklich so verhalte, eine gewisse Zuversicht, die nicht zweifelt und nicht zweifeln kann, da hingegen ein bloß menschlicher Glaube denkt, es könnte sich so, aber auch anders verhalten.
Jakob nun sagte: Ich habe Gott von Angesicht gesehen. Paulus nannte Gott „den Unsichtbaren“ und sagt von ihm: er wohnt in einem Licht, dazu niemand kommen kann, den kein Mensch gesehen hat, noch sehen kann. Dennoch lesen wir 2. Mose 24: Aaron und seine Söhne und die siebenzig Ältesten des Volks Israel mußten auf den Berg Sinai steigen und von fern anbeten. Mose allein aber nahte sich dem Herrn. Und da sie hinaufgestiegen waren, sahen sie den Gott Israels: unter seinen Füßen war es wie Saphir (der himmelblau ist mit goldenen Punkten) und wie die Gestalt des Himmels, wenn’s klar ist. Auch Jesaja sah den Herrn sitzen auf einem hohen und erhabenen Stuhl, und sein Saum füllte den Tempel, und der, den er sah, war Jesus Christus (Joh. 12,41).
Das Volk Israel hatte sich bald nach der Gesetzgebung durch Abgötterei versündigt. Als Mose vom Berge herabkam und sah und hörte, mit welcher tobenden Freude das Volk dem goldenen Kalbe diente, zerwarf er im Zorn die zwei Gesetzestafeln, die er vom Berge Sinai mitbrachte, und in welche Gott selbst die zehn Gebote geschrieben. Besonders ergrimmte er über seinen Bruder Aaron, der das Kalb gegossen hatte. Zum Volk aber sagte er: Ihr habt eine große Sünde getan, aber ich will hinaufsteigen, ob ich vielleicht eure Sünde versöhnen möchte. Er stieg hinauf und sprach: Ach, Herr, das Volk hat eine große Sünde getan! Aber vergib ihnen ihre Sünde; wo nicht, so tilge mich aus dem Buche, das du geschrieben hast! Was? Antwortete der Herr, ich will den aus meinem Buche tilgen, der an mir sündigt. Führe das Volk ins Land! Ein Engel soll vor dir hergehen, ich will nicht mit dir hinaufziehen, denn du bist ein halsstarriges Volk, ich möchte dich unterwegs auffressen. daß gefiel dem Mose nicht, und er tat noch einmal eine demütige Fürbitte, und da Gott sie eine Zeit her nur „das Volk“ genannt hatte, so sagte Mose: Gedenke doch, daß dies Volk dein Volk ist, und der Herr erklärte nun: Mein Angesicht soll gehen, damit will ich dich leiten. Mose ergriff das begierig und sprach: Wo nicht dein Angesicht geht, so führe uns nicht von dannen hinauf; denn wobei soll erkannt werden, daß ich und dein Volk vor deinen Augen Gnade gefunden haben, ohne wenn du mit uns gehst? Was du gesagt hast, will ich tun, antwortete der Herr, denn du hast Gnade vor meinen Augen gefunden, und ich kenne dich mit Namen. Dies machte den Mose so kühn, daß er bat: So laß mich deine Herrlichkeit sehen! Der Herr antwortete: Ich will alle meine Güte vor dir her lassen gehen und will den Namen des Herrn predigen lassen vor dir. Wem ich aber gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wes ich mich erbarme, des erbarme ich mich. Mein Angesicht aber kannst du nicht sehen, denn kein Mensch wird leben, der mich sieht. Aber von hinten wirst du mir nachsehen. Und so sah Mose des Herrn Herrlichkeit von hinten, und Moses Angesicht glänzte davon, daß die Kinder Israel ihn ohne Decke nicht sehen konnten.
Jakob sagt auch: ich habe Gott von Angesicht gesehen. Er sah aber eigentlich nur die menschliche Gestalt, die der Herr für eine Zeitlang angenommen hatte. In der Fülle der Zeit hat er unsre Natur zu einer persönlichen Vereinigung mit seiner göttlichen angenommen. Der Unermeßliche hat sich dadurch mit Schranken umgeben, und der Unsichtbare ist sichtbar, Gott ein Mensch geworden. Kündlich großes Geheimnis! Mit welchem Entzücken werden ihn einst alle seine Auserwählten schauen, werden ihm gleich sein und ihn sehen, wie er ist! Selig sind, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen!
Es gibt aber auch hienieden ein übersinnliches, geistliches Sehen Gottes in der Gnade. Die Erde, der Himmel mit seiner majestätischen Gestirnenpracht, die jetzige, schöne Jahreszeit, die blühenden Bäume, die wallenden Saaten, das Rollen des Donners in den Wolken, der milde Tau, alles mahnt uns an die allwaltende Vorsehung.
Allein Hiob sagte endlich, nachdem der Her ihn aus dem Wetter belehrt hatte: Sonst hörte ich dich mit dem Gehör meiner Ohren, aber nun sieht dich mein Auge. Und die Frucht davon war diese: Darum schuldige ich mich und tue Buße in Staub und Asche. Die Erkenntnis also, welche Hiob nach dem Kreuz bekam, war ungemein viel tiefer und gründlicher als zuvor, wie man von einer Sache, die man mit Augen sieht, einen viel deutlicheren Begriff bekommt, als wenn man nur davon hört. Dem Jakob ging es auch so. Es war ihm ein nehmendes Licht über diesem Kämpfen aufgegangen, wie er es bisher noch nicht gehabt. Er war mit seinem Gott weit genauer bekannt geworden als bis dahin, wie wenn man jemand von Angesicht sieht, von dem man bisher nur reden hörte. Ist das nun das ewige Leben, daß man den wahrhaftigen Gott und den er gesandt hat, Jesus Christus, erkennt; besteht Leben in Gerechtigkeit, Friede und Freude, so hatte er in diesem allen auf eine merkliche Weise zugenommen. Christus hatte eine ausgebildetere Gestalt in ihm gewonnen, obschon empfindliche Angst vorhergegangen war.
In deinem Lichte sehen wir das Licht, sagt David und betet: Öffne mir die Augen, daß ich sehe die Wunder an deinem Gesetz! Er bekennt auch: Wenn dein Wort offenbar wird, so erfreut es und macht klug die Einfältigen. Petrus aber spricht: Wachset in der Gnade und Erkenntnis unsers Herrn und Heilandes Jesu Christi! Dies geschieht nun eben nicht durch Nachdenken, Studieren und Lesen. Dadurch kann man den Kopf wohl voll rechtgläubiger Begriffe und Gedanken bekommen: allein dies ist nur, wie Paulus sagt, die Form, was zu wissen und was recht ist. Es gleicht den nichtverdauten Speisen, die wohl aufblähen, aber nicht stärken und nähren. Deswegen sagt der nämliche Apostel: Das Wissen bläht auf, aber die Liebe bessert. Der Unterricht, den Jesus erteilt, wird durch den heiligen Geist auf dem Wege der Erfahrung geschenkt, durch das Mittel von allerhand Führungen, des Kreuzes und der Tröstungen, der Mitteilung und Beraubung, der Angst und des Friedens, der Stärke und der Ohnmacht. So leitet er die Sünder auf dem Wege, er leitet die Elenden recht und lehrt die Elenden seinen Weg. So unterweist er sie über Sünde und Gnade, bis sie mit Hiob dahin kommen, daß sie sich selbst ganz verwerfen und Gott alle Ehre geben. Da wird dann der Weg eben, der bisher höckerig war.
Sodann gibt auch Jakob die Wirkung dieses Sehens an und setzt hinzu: Meine Seele ist genesen. Ich bin errettet. Sein vorheriger Zustand war bedrängt; von außen Streit, von innen Furcht. Esau mit seinen vierhundert Mann schreckte ihn. Sein Glaube war schwach, sein Mut klein. Die Freude war auch aus seiner Seele gewichen, und ein Gewölk von Traurigkeit umdunkelte sein Gemüt und ergoß sich in Tränen. Diese Nacht war die angstvollste und peinlichste seines Lebens. Er sah nichts anders als den Tod vor sich, den Esau ihm geschworen, und er wußte, daß mit demselben nicht zu scherzen sei. Es schien, Gott selbst übergab ihn dem Tode, da er ihm gebot, aus Mesopotamien zurückzukehren. Er nahm seine Zuflucht im Gebet zu dem Gott, der ihn bisher gesegnet und beschützt hatte, um ihm seine Not und Furcht zu klagen, um sich Errettung auszubitten. Durch was für ein Mittel er ihm helfen könnte, wußte er nicht. Aber wie ging es ihm über dem Beten? Wir wissen es. Ein Mann rang dermaßen mit ihm, daß er sich seine Hüfte verrenkte.
So übt der Herr die Seinen durch manches Kreuz, unter welchem sie umkommen und verzagen zu müssen denken und wirklich umkommen und verzagen würden, erhielte der Herr sie nicht auf eine ihnen selbst zwar unmerkliche, dennoch aber treue und zuverlässige Weise. Ja, die Wahrheit zu sagen, kommen sie wirklich um und verzagen – nämlich an sich selbst, so daß sie ihrerseits ausrufen müssen: Wir verderben, daß ihnen Glauben, Lieben und Hoffen entrissen wird, wie es dem Jakob nicht nur benommen ward, sich zu wehren, sondern selbst auch nur fliehen zu können. Solche Stände sind in der Tat keine Kurzweil, wie es bei Jakob auch nicht war. Aber das Ende der Wege Gottes ist besser als ihr Anfang. Auf die Erniedrigung folgt die Erhöhung und das Leben auf den Tod.
So erwies es sich auch an Jakob. „Meine Seele ist errettet worden“, sagte er. Es war ihm jetzt ganz anders zu Mute. Er glich dem Adler, der wieder jung wird, dem seine Federn wieder wachsen, daß er sich auf seinen Schwingen wieder erheben und hoch in den Lüften sich in den Sonnenstrahlen wiegen kann. Sein Vertrauen zu Gott ward lebendig und beruhigte seine ganze Seele, so daß er getrost um sich her schauen konnte. Die Furcht war weg, daß er dem Esau getrost unter die Augen treten konnte, er hatte alles genug. Ein solcher lieblicher Wechsel ist in unzähligen Sprüchen verheißen: Ich will euch wieder sehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen. Ich will euch trösten, wie eine Mutter ihr Kind tröstet. Ich stärke dich, ich helfe dir auch, ich erhalte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit – und was der schönen Zusagen mehr sind. Sie werden auch treulich erfüllt an allen denen, die der Herr demütigt, und deswegen heißt es: So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, daß er euch erhöhe zu seiner Zeit. Mein Herz freut sich, daß du so gern hilfst. Ich will den Herrn rühmen, daß er so wohl an mir tut. Er hat meine Augen von den Tränen, meinen Fuß vom Gleiten, meine Seele aus dem Tode gerissen. Lobe den Herren, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen! Lobe den Herrn und vergiß nicht, was er dir Gutes getan hat. So rühmte der nämliche David, der auch so manche Klage erhob. So rühmt so manches Kind Gottes. Und was wird es für ein Rühmen, Jauchzen und Loben werden, wenn sie aus aller Trübsal in den Himmel kommen, nachdem sie ihre Kleider gewaschen und helle gemacht haben in dem Blute des Lammes.
Doch welch einen Ruhm der herrlichen Gnade erweckt es schon hienieden in den begnadigten Seelen, die mit David rühmen dürfen: Der Herr errettete ihn aus aller Furcht; die auf eine dauerhafte Weise in dem Herrn Friede, wenn auch in der Welt Angst haben, und die große Gnade erlangt haben, sich alle Wege in dem Herrn zu freuen und in kindlichem Geiste das: „Abba, lieber Vater! Zu rufen. O selige Seelen, welche erlöst von dem knechtischen Geist der Dienstbarkeit, erlöst von der Furcht des Todes, frei gemacht durch das Gesetz des Geistes, der da lebendig macht in Christus Jesus, von dem Gesetz der Sünde – Gott dienen, nicht nach den Buchstaben, sondern nach dem Geiste. Dies ist die herrliche Frucht des Anschauens der Herrlichkeit Gottes in dem Angesichte Jesus Christi durch den heiligen Geist.
Wollen wir den vollen Sinn Jakobs bemerken, so müssen wir bedenken, daß er sich in seiner Sprache eigentlich so ausdrückt: Ich bin gerettet worden und werde gerettet werden, so daß ihn auch eine stärkende Zuversicht für die Zukunft belebte. Der Herr hatte zu ihm gesagt: Du bist obgelegen – oder genauer ausgedrückt: Du bist tüchtig gemacht und wirst tüchtig gemacht werden, obzuliegen. Hier ist nun das Echo des Glaubens: Ich bin errettet worden und werde errettet werden. Mögen mich künftig nach dem Willen Gottes neue Drangsale treffen sollen, ich werde errettet werden, und endlich wird er mir aushelfen aus aller Trübsal zu seinem herrlichen Reich; des bin ich in guter Zuversicht, denn ich weiß, wer es ist, an den ich glaube. Gott hält, was er verspricht. Er hat dem Jakob durch alles treulich durchgeholfen, wiewohl er noch manche schwere Trübsal hat durchwandern müssen. Eine der härtesten derselben war der vermeintliche Tod seines Lieblings, Joseph, den ein wildes Tier unterwegs zerrissen haben sollte, da er ihn ausgesandt hatte, worüber er sich ohne Zweifel selbst sehr bittere Vorwürfe als über eine große Unbesonnenheit machte und deswegen sehr lange Leid trug, bis sich endlich auch dieses unerwartet herrlich aufklärte. Ob Jakob unter allen diesen Umständen mit eben der Ruhe hat sagen können: Ich werde errettet werden, weiß ich nicht. Aus seiner langwierigen Trauer über Joseph und aus seiner Erklärung: Wenn dem Benjamin auch ein Unfall begegnete, daß er stürbe, so würden meine grauen Haare mit Herzeleid in die Grube fahren, scheint das Gegenteil zu erhellen, wie auch aus den übertriebenen Reden gegen seine Söhne, die den Benjamin mit nach Ägypten haben wollten: Ihr beraubt mich aller meiner Kinder, sagte er, Joseph ist nicht mehr vorhanden, Simeon ist nicht mehr vorhanden, Benjamin wollt ihr auch hinnehmen; es geht alles über mich. Und als seine Söhne früher den schändlichen Mord an den Sichemiten begangen hatten, geriet er wieder in Furcht und sagte: Wir sind ein geringer Haufe. Die Kanaaniter werden sich versammeln und mich vertilgen samt meinem Hause. Wo ist denn nun dein glaube? Möchte man fragen. Aber auch dies gereicht sehr zur Verherrlichung Gottes und zum Beweise, daß er allein gut ist und wir ohne ihn nichts können. In der Freudigkeit seines Herzens und im Genuß der göttlichen Gaben mein der Mensch wohl: nun sei sein Berg so fest gesetzt, daß er nimmermehr darniederliegen werde. Und warum meint er das? Weil er heimlich für sich selbst etwas geworden zu sein glaubt und meint, er habe nun den Glauben usw. bekommen, um welchen er so lange gebetet. Aber da kann es noch immer wieder mit ihm dahin kommen, daß er wie Jakob sich selbst ansieht und besorgt, seine mächtigen Feinde möchten ihn noch einst vertilgen samt seinem Hause. O, was hat Gott mit uns zu tun, um uns in die wahre Armut des Geistes einzuführen und darin zu erhalten! Immer und immer wollen wir groß, etwas in uns selbst werden, wachsen, stark, geschickt in uns selbst sein! Immer und immer muß uns daher der Herr von unserer Armut und unserem Elend überzeugen. Aber diese alles würde auch nichts helfen, gäbe er es nicht endlich selbst einigen Seelen, ihm das Reich, die Kraft und die Herrlichkeit beizulegen und sich in der tat und Wahrheit für ein Nichts selbst dann zu achten, wenn sie das Gaben die Fülle haben; aber auch in der Tat und mit Beruhigung zu glauben und daran sich zu begnügen, daß in Christus alle Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt. Wohl ist es wahr, daß niemand etwas nehmen oder behalten kann, es sei ihm denn gegeben vom Himmel.
Jetzt ging die Sonne auf. Dies prachtvolle Schauspiel der Natur war auch ein Bild dessen, was in der Seele des Patriarchen vorgegangen war. Die Nacht verging. Ein lieblicher Tag brach an. Ihm ging sie auf. Einst sollte die Sonne der Gerechtigkeit und der Aufgang aus der Höhe erscheinen denen, die da saßen in Finsternis und Schatten des Todes und ihre Füße auf den Weg des Friedens richten. O, sie gehe auf, sie gehe uns auf, diese Sonne mit ihren genesenden Strahlen! Sie gehe auf der ganzen Christenheit, den Nachkommen Israels, der ganzen Welt!
Und Jakob hinkte. Jeder Tritt erinnerte ihn an
die große Barmherzigkeit des Herrn und zugleich an seine Nichtigkeit. Jeder
Tritt hob und demütigte ihn. Und wenn andere seinen Namen hörten und ihn hinken
sahen, so wurden auch sie daran erinnert, daß der Herr sich gnädiger gegen die
Seinen herabläßt, als man glauben sollte. Ihm sei die Ehre in Ewigkeit! Amen.
Die Inhalte dieses Ebooks sind der Glaubensstimme (http://www.glaubensstimme.de) entnommen.