5. Juni 1980
24. Ludwig-Hofacker-Konferenz
Eine Gruppe Bergsteiger
ist unterwegs zum Gipfel. Geführt von einem Bergführer, der den gangbaren Weg
kennt, streben sie ihrem Ziel zu. Es ist kein bequemer Weg. Am frühen Morgen
beim Aufbruch schien der Gipfel zum Greifen nahe. Aber der Aufstieg geht durch
einige Täler. Es ist mühsam, dieses hinauf und hinunter. Die Kräfte möchten erlahmen,
doch das gesteckte Ziel, der Gipfel, gibt Mut zum Durchhalten.
Ein Bild für den Weg des
Christen in der Nachfolge Christi, ein Bild für den Weg der Gemeinde Jesu durch
die Zeit: Es geht dem Gipfel zu, der Heilsvollendung. Doch ist der Weg beschwerlich und
erfordert ganzen Einsatz und volle Kraft.
„Hoffnung festhalten“ – das
ist der anspornende Ruf an die, die unterwegs sind. Das ist ein Grundton des
biblischen Zeugnisses durch das ganze Alte und Neue Testament „denn was zuvor
geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, auf das wir durch Geduld
und den Trost der Schrift die Hoffnung festhalten“ (Römer 15, 4).
„Hoffnung festhalten“ auch
und gerade im Leiden, wenn der
Weg schwerer und steiler wird, darin erweist und bewährt sich der Glaube des
Christen. So und nur so kann uns Gott zu Segensträgern machen.
„Hoffnung festhalten“ im
Leiden, das wird die Lektion sein, die die Gemeinde Jesu Christi in der letzten
Zeit der Bedrückung lernen soll und lernen darf. Wir sind gerufen zum Zeugnis durch Leiden. Allerdings ist nicht
jedes Leiden des Christen schon Zeugnisleiden, nicht jedes Leiden geschieht um
Jesu willen. Manches dunkle, schwierige Wegstück kommt von unseren Ab- und
Irrwegen – Leiden an den Folgen der Sünde. Beschwerliche Strecken und
bedrängende Abstiege mutet uns die erziehende Liebe Gottes zu – Leiden zur
Eingründung und Erziehung. Dann aber gibt es auch – und das ist großer Segen – zeugnishaftes Leiden – Leiden um Jesu willen. In allen
diesen Wegen dürfen wir die Hoffnung festhalten. Wer am Seil der Liebe Gottes
hängt, der kann nicht mehr abstürzen, „es muss ihm alles zum Besten dienen“.
1. „Hoffnung festhalten“ – das heißt: den Aufblick behalten.
Eine Gruppe Bergsteiger
ist unterwegs zum Gipfel. Geführt von einem Bergführer, der den gangbaren Weg
kennt, streben sie ihrem Ziel zu. Doch einer macht sich los vom Seil. Er will
einen eigenen Weg suchen, einen besseren, bequemeren Weg – und er verglückt.
Ein Bild für den
Nachfolger, der dem eigenen Willen folgt. Er macht sich los vom Führer und das
Unglück bleibt nicht aus. Die Sünde, zunächst so einleuchtend und bequem,
bringt ihn zu Fall.
Denken wir an das „was
zuvor geschrieben ist, uns zur Lehre“: David – das Heer steht im Krieg, doch er
pflegt der Ruhe. Er geht seinen Weg, verführt durch seine begehrlichen Augen
kommt es zu Mord und Ehebruch. Losgelöst vom Seil des Willens Gottes stürzt er
ab. Gibt Gott ihn auf? Geht der Bergführer ohne Rücksicht auf Verluste weiter?
Nein – Gott sucht auch den Gefallenen, er will ihn zurückholen an das Seil. Der
Prophet Nathan deckt David seine Sünde unerbittlich auf. Und David tut Buße.
Gott lässt ihn nicht fallen. Er vergibt ihm, aber die Folgen seiner Sünde
strafen ihn hart: Sein Kind stirbt. „So hat der Herr deine Sünde weggenommen … aber
weil du die Feinde des Herrn durch diese Sache zum Lästern gebracht hast, wird
der Sohn, der dir geboren ist, des Todes sterben“ (2. Samuel 12, 13. u. 14).
Gott gibt den Gefallenen
nicht auf, doch Vergebung heißt nicht automatisch auch Bewahrung vor den Folgen
der Sünde; deshalb ist das Wort in Psalm 99, 8 gültig: „Du, Gott, vergabst
ihnen und straftest ihr Tun.“
„Hoffnung festhalten“ – ist
das in solchen Folgen der Sünde nicht ein vermessenes Wort? Haben wir überhaupt
noch ein Recht dazu, Hoffnung zu haben? Wo uns die Folgen unserer Sünde in Not
und Unglück bringen? Ja – Gott gibt den Gefallenen nicht auf. Wo wäre das
besser sichtbar, als im Leiden und Sterben Jesu Christi? Hier geschieht doch
das – Gott beugt sich zu dem Gefallenen herunter und will ihm wieder zu Recht helfen.
Hier ist der Grund unserer Hoffnung – am Kreuz Jesu Christi und sonst nirgends.
Auch dort, wo wir uns vom
Seil losgemacht haben und abstürzen, in seinem Sohn fängt uns Gott auf. Der
Bergführer steigt zu den Gefallenen ab. Er will den Verunglückten retten. So
können wir die Hoffnung festhalten, die Hoffnung ans Ziel zu kommen. Denn „er
trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen“ – auch dort, wo wir im
Elend unserer Sünde verzweifeln müssten, gerade dort sucht uns Jesus Christus. „Die
Strafe liegt auf ihm“ – bekennt Jesaja im Lied vom Gottesknecht: Jesus Christus
hat die Strafe der Vernichtung auf sich gezogen, er ist vernichtet worden, am
Kreuz zugrunde gegangen, „auf dass wir Frieden hätten und durch seine Wunden
sind wir geheilt“.
Die Folgen unserer Sünden
bringen uns in Leid und schwere Wege. Aber sie dürfen uns nicht mehr
vernichten. Die Zwangskette des Verderbens ist gestoppt. Sünde will letztlich
vernichten. Da ist Jesus in diese Vernichtungskraft hinein getreten, als Schild
vor uns. Auch das Leid als Folge unserer Sünde ist gefasst in die
Barmherzigkeit unseres Gottes – es muss zu unserer Erziehung und Besserung
dienen. Strafe ist für den, der die Hoffnung in Buße und Vergebung festhält, nicht
mehr Vernichtungsstrafe, sondern Mahnung, Warnung und Heimsuchung.
Die „Hoffnung festhalten“
– wo wir versagen und unser Versagen zum Fallstrick werden will, das ist Leben
aus der Vergebung, Hoffnung als Gewissheit: Jesus ist gekommen, die Sünder zu
suchen und zu retten.
2. „Hoffnung festhalten“ – das heißt: den
Rundblick bekommen.
Eine Gruppe Bergsteiger
ist unterwegs zum Gipfel. Geführt vom Bergführer, der den gangbaren Weg kennt,
streben sie ihrem Ziel zu. Da werden sie untereinander uneinig und gereizt.
Streit entsteht, Vorwürfe vergiften das gegenseitige Vertrauen. Die Seilschaft
ist gesprengt, die Kräfte sind zersplittert und der Erfolg der Besteigung aufs
Höchste gefährdet.
Ein – leider oft zu wahres
– Bild für die christliche Gemeinde, die in ihrem Widerstreit ihre Kräfte
verbraucht und das Ziel aus den Augen verliert. Wie viel Not und Unglück
entstehen aus solch gegenseitigem Verurteilen und Streiten. Gibt der Bergführer
auf, überlässt die Gruppe ihrem Streit und geht allein weiter? – Nein – Gott
ruft seine Kinder hinein in die Gemeinde. Nachfolge bindet hinein in die
Gemeinschaft und er erhält und befestigt seine Gemeinde. Er führt die Gemeinde
und ihre einzelnen Glieder durch schwere Wege, damit sie solches Zusammenstehen
und Friedenhalten lernen, einüben und bewähren.
Denken wir an das „was
zuvor geschrieben ist, uns zur Lehre“: Josef – ein schwerer Weg kennzeichnet
seine Jugendjahre. Er wird als Sklave nach Ägypten verkauft von den eigenen
Brüdern. Eine liebeshungrige, zügellose Frau bringt ihn, den Unschuldigen ins
Gefängnis. Wollte Gott ihn vernichten? Nein, er wollte ihn erziehen,
zubereiten, zum Segen für seine ganze Familie, ja für die Völker machen. Das
war nicht selbstverständlich. Der junge Josef war stolz und selbstbewusst. Als
Gott ihm seine Aufgabe im Traum zeigte, prahlte er gegenüber seinen Brüdern. Er
prahlte mit seiner Berufung und seinen Gaben und benützte sie zur
Selbstdarstellung. Darum sein Leidensweg, der ihn schließlich zum demütigen,
vergebungs- und friedensbereiten Vizekönig Ägyptens werden ließ, der Gaben und
Berufung zum Segen für die anderen einsetzte.
„Wen der Herr lieb hat,
den züchtigt er“ – wen Gott zum Segen setzen will, den zieht und erzieht er auf
Wegen der Bewährung. Er bricht darin den natürlichen Stolz und das
Selbstvertrauen und führt hinein in die vertrauende Abhängigkeit und die Demut.
„Hoffnung festhalten“ – das
heißt solchen Rundblick bekommen, den Blick auf die Brüder, auf die Gemeinde
Jesu Christi, heißt abhängig von Gottes Kraft und demütig in aller Begabung zu
werden. Josef ist nicht bitter geworden. Er hat Gottes Erziehung stillgehalten
und konnte so zum Segen werden.
So wird die Gruppe der
Bergsteiger den Aufstieg bewältigen, dass sie sich gegenseitig annehmen lernen,
sich einordnen und unterordnen und auch den Schwächsten mitnehmen, am Seil
bleiben. Dazu wird sie der Bergführer anleiten und erziehen, wenn es sein muss
auch mit harten Maßnahmen.
Manches Leid und Unglück,
manche schweren Wege und Führungen spiegeln solche Erziehung Gottes zur Demut
und zum Segen, sind Ausdruck der zubereitenden Liebe Gottes an uns, der uns
brauchbar machen will zum Dienst.
„Hoffnung festhalten“, ja
Hoffnung vermehren, das ist Zweck solcher Führungen. Unsere Abhängigkeit von
Gott darf gefestigt werden, unser Stolz darf sich beugen, unsere Demut zur
Grundlage gesegneten Dienstes werden. Ohne solches Erziehen gibt es keinen
gesegneten Dienst im Reiche Gottes.
Erst dann, wenn wir in
diesen Führungen Gottes abhängig geworden sind, unsere eigene Kraft als nicht
durchtragend erkannt haben und alles von Gott erwarten lernten, kann er uns für
andere Zeugnis des Leidens gebrauchen, erst dann werden wir bereit Leiden um
Jesu willen.
3. „Hoffnung festhalten“ – das heißt: Durchblick
gewinnen.
Eine Gruppe Bergsteiger
ist unterwegs zum Gipfel. Geführt von einem Bergführer, der den gangbaren Weg
kennt, strebt sie ihrem Ziel zu. Viele andere sind unterwegs auf der Route zum
Gipfel. Doch sie kennen nicht den Weg haben sich hoffnungslos verstiegen.
Viele andere sind unterwegs
– doch sie haben sich weit überschätzt, liegen entkräftet oder resigniert am
Weg. Viele andere sind unterwegs doch sie gehen auf Wegen, die in den Abgrund
führen, wo sie rettungslos abstürzen werden.
Eine Gruppe Bergsteiger
ist unterwegs zum Gipfel. Ihr Weg ist beschwerlich und steil, aber sie sind
geführt vom Bergführer und gesichert an seinem Seil. So können sie anderen zum
Anreiz und Vorbild werden auf dem Irrweg und Abwegen, in deren Kraftlosigkeit
und Resignation. Ein Bild für die Gemeinde Jesu Christi und ihre Wirkung auf
die verwirrten, entkräfteten und suchenden Menschen. Denken wir an das, „was
zuvor geschrieben ist, uns zur Lehre“: Abraham! In seinem Leben gab es auch
schwere Wege durch seine selbstgewählten Abkürzungen.
Der Streit im eigenen Haus wegen der Nebenfrau Hagar
und ihrem Sohn Ismael war Folge seiner Sünde. Auch Strecken der Erziehung
durchlief dieser Mann, bis er bereitet war, Segensträger für alle Zeiten und
alle Völker zu werden. Dann aber heißt es in 1. Mose 22, 1: „Nach diesen
Geschichten versuchte Gott Abraham …“ Die Grundbedeutung dieses hebräischen
Wortes heißt eigentlich: „zum Feldzeichen machen“. Mit der Zumutung der
Opferung Isaaks, des Erbens der Verheißung, kam Abraham in Leiden, nicht als
Folge der Sünde, auch nicht zur Erziehung, sondern jetzt wollte ihn Gott zum „Vater
des Glaubens“ machen. Ihn zum Siegeszeichen für die nachfolgenden Generationen
erweisen, ein Zeichen aufrichten, wie völlig abhängiger Glaube und gehorsames
Vertrauen von Gott durchgeführt wird. Das Leiden des „Vaters“ Abraham war mutmachendes Zeugnisleiden für die glaubende Gemeinde aller
Zeiten, ja sogar Hinweisleiden auf die Leiden eines Vaters, der dann, „seinen
einzigen Sohn dahingab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen,
sondern das ewige Leben haben“.
In seiner Not – für
geistlich geschlossene Augen sinnlos und sogar grausam – wird Abraham zu einem
strahlenden Zeugnis für gegründetes Vertrauen auf Gott, das die letzten Grenzen
menschlicher Furcht durchschaut, so dass der Hebräerbrief schon in ihm die
Hoffnung der Auferstehung der Toten festhält. „Er dachte, Gott kann auch wohl
von den Toten erwecken; daher er Isaak auch als Zeichen des Zukünftigen wieder
bekam“ (Hebräer 11, 19).
Dieses Leiden, das Zeugnis
des festhaltenden Glaubens und Vertrauens Abrahams, ist ungezählten
Gotteskindern durch die Zeiten zur Lehre geworden, hat ihnen Mut, Geduld und
Zeugniskraft gegeben.
„Hoffnung festhalten“ – im
Leiden um Jesu willen und damit zum einladenden Zeugnis für die Verblendeten,
Verirrten, Kraftlosen – das ist das Vorrecht der Gemeinde Jesu Christi. Das
wird ihr Auftrag sein in der letzten, schweren Zeit. Wenn das öffentliche Zeugnis
unmöglich wird, wenn der Hass der Welt die Gemeinde verfolgen wird, es bleibt
ihr das Zeugnis des Leidens. Ungezählte Christen in den Lagern Sibiriens, in
Gefängnissen Afrikas, in Dörfern Asiens, in so wohl zivilisierten Europa dürfen
leiden um Jesu willen, zum Zeugnis über ihre Verfolger.
Wir können hier nur
fragen: Und wenn es an uns kommt? Wenn uns unser Herr zu solchem Zeugnis ruft?
Wir können hier nur bitten: „Herr, wir sind nicht wert und nicht fähig, aber
bereit für dich wollen wir sein.“
„Hoffnung festhalten“ – die
Hoffnung des Durchblickes auf das verheißene Ziel: Gott wird, mitten in der
vergehenden Welt, mit uns und durch uns sein Reich bauen und vollenden, sein
Reich, in dem alle Hoffnung zum Schauen wird und alles Leiden zur Anbetung.