06. Juni1985
29.
Ludwig-Hofacker-Konferenz
Bibelarbeit
über Matthäus 24, 3-8
Eine ganze Schafherde
stürzte in den Tod. Aufgeschreckt von wilden Hunden war die Herde blindlings
hinter dem Leithammel hergerast. Geradewegs auf einen Steinbruch zu – und
abgestürzt. Davor warnt Jesus seine Leute, vor solchem aufgeschreckten,
blindlings folgenden Sturz ins Verderben. Verführen heißt eigentlich wörtlich „in
die Irre vorausgehen“! Das versucht der Satan bei den Leuten Jesu. Er will sie
von Jesus Christus wegziehen und sie in die Irre führen. Deshalb warnt der
Herr. Die Gefahr der Verführung wird besonders in der „letzten Zeit“ zunehmen.
Denn nun setzt der Satan seine größten Kräfte ein. Er will die Heilsvollendung
verhindern. In unseren Versen redet der Herr ganz nüchtern von dieser drohenden
Verführung. Gerade darin wird aber seine Bewahrung deutlich. Wer sich dieses
sein Wort einprägt, ist vor der Verführung, vor den vielerlei Irrwegen gewarnt.
1. Verführung droht, denn der Feind – verharmlost
Die Jünger sind tief
beeindruckt. Aus Jesu Worten vom Untergang des Tempels hören sie die Verheißung
der messianischen Heilszeit heraus. Wenn der Messias in Herrlichkeit regiert,
wird er keinen Tempel mehr brauchen. Die Welt wird zu Ende sein. Die neue Welt
Gottes wird dann sein. Sie fragen begierig nach dem Wann? und den Zeichen der
Vollendung.
Jesus weist die Frage
nicht ab. Aber er warnt sie vor jeder Verharmlosung. Sie können nicht neutral
beobachten und abwarten. Die Heilsvollendung Gottes geschieht durch erbitterte
Verhinderungsangriffe des Satans hindurch. Der Böse will Gottes Heil
verhindern. Er will die Heiligen verführen. Da beobachteten sie – die Jünger
Jesu damals und heute – Entwicklungen der Welt, rechnen Daten der Wiederkunft
aus, legen Fahrpläne des Weltendes fest, machen eindeutige Zeichen aus und – merken
gar nicht, wie sie in die Irre abgeführt werden.
Sie kämpfen nicht mehr mit
ihrem Herrn, gehorsam seinem Befehl zur Mission. Sie stellen sich abseits,
überlassen die böse Welt ihrem Schicksal und notieren die Zeichen der Endzeit.
Sie streiten um den Zeitpunkt der Entrückung. Sind wir in der großen Trübsal
noch da? Wann ist das tausendjährige Reich? Gibt es eine Halb-Wiederkunft Jesu
in den Wolken? Achtung, sagt der Herr: Verführung droht. Wider die
Harmlosigkeit der Neutralität. Der Jünger geht so in die Irre. Er ist nicht
Beobachter sondern Kämpfer, Zeuge seines Herrn. Er tritt mit dem Zeugnis der
Gnade gegen den Bösen an, in der Vollmacht seines Herrn. Er ist nicht
Beobachter des Weltunterganges. Er ist Rettungsbote in einer der Vernichtung
verfallenden Welt. Nicht Rückzug, sondern der Angriff der Liebe. Nicht
neutraler Beobachter, sondern brennende Retterliebe. Dazu mahnt der Herr die
Seinen.
2. Verführung droht, denn der Feind – verstellt sich
Die Christusfrage wird
diese letzte verführte Zeit bestimmen. Der Christus ist ja der Heiland Gottes.
Sein Name ist der Heilsname. Und der Böse wird seine Heilande senden. „Ich bin
der Christus“, ich bringe und garantiere das Heil. Wie viele treten und traten
unter diesem Anspruch auf. So geschieht Verführung. Der Satan verstellt,
verkleidet sich in seinen Larven der Heilandsgestalten.
Wo ist Heil? Wer bringt
Heil? Die historisch-kritische Theologie zeichnet einen Christus sympathischer
Menschlichkeit, nur – dass er Gottes Sohn ist, das wird wegerklärt. Der
biblisch bezeugte Jesus Christus wird vielfach umgedeutet, verkürzt,
zurechtgebogen. Das ist unsere Not heute: Der Name Jesu Christi, sein Anspruch muss
für gefährliche theologische Verführung herhalten. So weit ist die Verstellung
und Verführung eingedrungen.
Ganz zu schweigen von den
vielen Heilsbringern, denen so viele verfallen: Die neue Prophetin vom
Bodensee, die Bhagwans und Gurus, die Friedensbewegten und Umweltheiler, die
politischen und sozialen Heilsideologen – sie alle erheben den Heilsanspruch.
Bis hin zu den „Geistbewegten“ und religiösen Erneuerern, den Khomeini-Radikalen
und den Religionsvereinigern – wer das schlichte
Zeugnis von Jesus von Nazareth, der der Christus Gottes ist, loslässt, der
verfällt der Verführung. Deshalb sagt der Herr das so klar.
3. Verführung droht, denn der Feind – treibt in Angst
Die letzte Zeit ist Zeit
des Großangriffes des Satans. Er will seine Macht behaupten und übt sie gewalttätig.
Kriege, Kriegsdrohungen – er treibt die Menschen gegeneinander. Er versetzt die
Leute weltweit in Angst und Schrecken. Seine Macht scheint ungefährdet. Angst
ist ein schlechter Ratgeber. Wer in Angst lebt ist leicht verführbar, fällt auf
Heilsangebote leichter herein.
Jesus redet mit seinen
Jüngern ganz offen. Darin wird sichtbar, wie er solcher Gefahr der Verführung
entgegentritt. Was zuvor gesagt ist, kann nicht mehr in letzten Schrecken
versetzen. Sein deutliches, prophetisch aufdeckendes Wort ist Schutzwall gegen
die Angstwelle. Nicht: Die Welt wird immer besser, sondern: Die Welt treibt auf
die Zerstörung zu. Damit sind die falschen Heilsrezepte entlarvt, der
Verführung gewehrt.
„Erschrecket nicht“, so
tröstet der Herr. Gerade angesichts der zunehmenden Kriegsgefahr, ja der vielen
Kriege heute: „Krieg der Sterne“, Atomkrieg bis zum völligen Aus, „Die Menschen
werden verschmachten vor Warten der Dinge, die da kommen sollen“, sagt Jesus.
Wir sind heute eine Angstgesellschaft geworden. Leicht manipulierbar deswegen.
Wie viele Ängste werden in der so genannten Friedensbewegung erzeugt und
ausgenützt. Statt nüchterner Überlegung schwappen die Emotionen auf. „Erschrecket
nicht“, Christen können nüchtern urteilen. Die Welt wird nicht im Atomknall
zerstäuben. Gott wird diese Erde vollenden. Wir sind die eigentlichen
Optimisten. Wir warten nicht auf den Untergang der Welt. Wir warten auf die
Wiederkunft unseres Herrn. Wir leben nicht in willenlos machender Angst.
Christen leben in dieser Welt in sich ständig steigernder Freude: Unser Herr
kommt.
4. Verführung droht denn der Feind – vernebelt
Gott sitzt im Regiment. Wo
der Böse zu triumphieren scheint, vollzieht sich doch das göttliche „muss“, der
Heilsplan Gottes zur Vollendung. Diesen Durchblick gibt Jesus den Seinen. Dort
geht ein Mensch in die Irre, wird verführt, wo er sich vom Vordergründigen in
den Furchtbann schlagen lässt. Hat der Satan allein die Macht? Er regiert doch,
treibt die Menschen und Völker gegeneinander. Er sät Hass und vergiftet die
Herzen. Millionenfaches Morden und Töten. Die Zeitungen sind voll von
Schreckensberichten: Bombenanschläge, Terrorakte, offene und schwelende Kriege,
Hassausbrüche. Er scheint der unumschränkte Herr.
Und solchen Eindruck
verstärkt der Böse. Er vernebelt. Die Gottesfrage wird zur Gottesanklage, ja
zur Gotteswiderlegung. Wie kann Gott das Böse zulassen? Welche Vernebelung
steht hinter dieser Frage? Wie böse ist der Mensch geworden in seiner
Gottesferne, in seiner Auflehnung gegen Gott? – so muss die Frage richtig
heißen. Wie machtlos ist doch Gott! Welche Vernebelung. Welchen Herrschaftsraum
räumen wir Menschen dem Bösen ein; wir tragen die Schuld. Es ist tückische
Vernebelung, Gott die Schuld zuzuschieben.
Jesus sagt: „Es muss so
geschehen.“ Gott lenkt auch mitten in der Aufgipfelung des Bösen. Es ist das „muss,
das den unverbrüchlichen Liebeswillen Gottes verdeutlicht. Er zwingt keinen, er
lässt dem Bösen Raum und Zeit zur Reife, aber sein Heilswille bleibt bestehen.
Die Schreckensmeldungen
sind wie Horrorbilder eines Filmes. Der Film der Geschichte. Das macht kopflos.
Doch Jesus schaltet zu diesem Film den Ton an. Sein prophetisches Wort ist der
Ton, der diesen Film des Schreckens deutet. Deutet von Gottes Herrschaft, von
Gottes Heil, von Gottes Liebe her. Hier wird die Nebelwand aufgerissen. Gott
schaut dem allem nicht hilflos oder unbeteiligt zu. Er vollzieht sein „muss“. Er
herrscht, regiert und führt die Geschichte zu seinem Ziel. Gott leidet unter
dem Bösen der gottvergessenden Menschen, aber – seine
Liebe, sein Angebot der Rettung, ohne jeden Zwang, bleibt unwandelbar.
5. Verführung droht, denn der Feind – rät zur Aufgabe
Das Ende ist
unvermeidlich. Viele denken so und resignieren. Der die Erde vernichtende Krieg
ist nur noch eine Frage der Zeit; eine immer tiefer werdende Kapitulation erfasst
die Völker. Die Umweltkatastrophe wird explodieren und uns alle in den
Untergang ziehen. Jahreszahlen geistern. Spätestens im Jahr 2050 wird – wenn es
dann noch Menschen gibt – die Erde unbewohnbar sein. 1988 ist das Datum für den
großen Atomschlag. Im 21. Jahrhundert wird die Bevölkerungsexplosion uns alle
gegeneinander treiben. So werden viele End und Schreckensvisionen verbreitet,
oft völlig widersprüchlich. Eine Generation ohne Zukunftshoffnung, ohne
Perspektive wächst unter uns heran. Wo keine Ziele mehr da sind, erstirbt jeder
Antrieb.
„Das ist noch nicht das
Ende“, sagt Jesus ganz nüchtern. Gott hat andere Ziele. Wer das biblische Wort
ernst- und annimmt kennt nicht nur Gottes Heilsplan, er weiß auch um Gottes Heilsziel.
Christen haben eine weit geöffnete Perspektive. Sie müssen nicht den
Einflüsterungen zur Kapitulation erliegen. Sie warten in hoffendem Vertrauen
auf das Ende, das Gott selbst setzen wird. Das Ende als 1000jähriges
Christusreich, das der Erde volle Zeit zur ungetrübten Entfaltung gibt: das
Ende – das mit der Wiederkunft Jesu Christi Gottes Gerechtigkeit offenbaren
wird; das Ende, das Neuschöpfung, neuer Himmel und neue Erde sein wird. Wie
sollten wir aufgeben? Wer solche Hoffnung hat, wessen Zielblick so klar ist,
der steht unter den Antrieben der Hoffnung. Der kann wagende, vertrauende
Schritte in das Neue tun. Schritte hinter Jesus her; Schritte der Ankündigung
des Gottesreiches. Wir erwarten in freudiger Ungeduld, in wirkendem Warten
Gottes Ende.
6. Verführung droht, denn der Feind – greift frontal an
Der Böse gibt sich nicht
leicht geschlagen. Er will auch zu seinem Ziel kommen. Wo die Verführung nicht
greift, da führt er alle Untergangsmächte heran. Jesus unterschätzt den Bösen
nicht. Und wir tun gut daran, die Macht des Bösen ernst zu nehmen. Er wird die
Völker in blindem Hass gegeneinander treiben. Königreiche – auch als
Machtideologien zu übersetzen – werden einander bekriegen. Teure Zeit wird sein
– die Schöpfung läuft aus. Nahrungs- und Lebensmittel werden knapp;
Energieträger gehen zur Neige; Wasser, Luft und Boden sind in ihrer
Verunreinigung bedrohlich. Die Schöpfung Gottes soll aufhören. Erdbeben
durchschütteln im wahrsten Sinne des Wortes alles Bestehende.
Der Satan hat Macht und er
wird sie immer unverhüllter einsetzen. Doch Jesus kündigt das den Seinen vorab
an und damit wird dies alles entlarvt als das, was es in Wirklichkeit ist: Die
vergeblichen Anläufe des Teufels. Seit Christi Auferstehung ist die Machtfrage
in dieser Welt ein für allemal gelöst. Er ist der Erstling der Neuschöpfung.
Jeder, der ihm nachfolgt, wird von ihm umschützt. Der königliche Herr: Mir ist
gegeben alle Gewalt, im Himmel und auf Erden. Hier steht nicht Macht gegen
Macht, sondern noch zulassende
Allmacht gegen wütende Ohnmacht.
Mitten im zerstörenden
Frontalangriff wird der Jünger Jesu umgestaltet, von einer Klarheit in die
andere; widerspiegelt er die Herrlichkeit des allmächtigen Herrn, vollzieht
sich an ihm die Neuschöpfung – durchs Sterben hindurch. Wo der Satan zu
triumphieren scheint – er wird die Jesusleute bis zur Vernichtung bedrängen – siegt
doch des Herrn neuschaffende Kraft. Das ist die
tragende Gewissheit des Jüngers auch und gerade im Erleiden. Er lässt sich auch
hier nicht in die Irre führen. Er darf in der Nachfolge seines Herrn gewiss
bleiben: Durch Leiden zur Herrlichkeit der Vollendung.
7. Verführung droht, denn der Feind – will vernichten
Der Satan hat die
Vernichtung der Welt und der Menschen als Ziel. Er will Gottes Schöpfung und
Geschöpfe zerstören. Letztlich geht damit sein Wüten gegen Gott selbst. Er will
seine Ehre in seinem Geschaffenen schänden. Und die Gotteslästerung nimmt
überhand. Die Geschöpfe Gottes sollen verführt werden – in die Irre, in die
Vernichtung getrieben werden.
Doch Jesus sagt ein
überwältigendes Trostwort: Das alles ist der Anfang der Wehen. Welch einen
Tiefblick gibt er damit den Seinen. Die Welt liegt nicht in den Todeszuckungen.
All das Schreckende, Schmerzende, Durchschüttelnde – es sind Wehen. Wehen sind
schlimm, bereiten große Schmerzen – aber Wehen künden an: Neues wird geboren.
Wo der Feind vernichten will, schafft Gott Neues. Wo der Feind abbrechen will,
schreitet Gott zur Vollendung. Wo der Feind Untergang will, setzt Gott
Auferstehung. Wo der Feind die Ehre Gottes antastet, singt die Gemeinde das
neue Lied, das Halleluja der Anbetung.
Die Schöpfung geht ins
Nichts. Sie geht auf Gottes Heilsziel zu. Die Zuckungen des Bösen werden zu
Wehen der Neuschöpfung. Jesus hat es zuvor gesagt. Wer seinem Wort vertraut, der
wird der Verführung entgehen, wird nicht in die Irre gehen, sondern zum Ziel
Gottes geführt.
„Lasset euch nicht
verführen.“ Die Nachfolge ist nicht vergeblich. Glaube, Vertrauen, Hoffnung
sind nicht vergeblich. Gott wird Erfüllung geben. „Verführen“ kann auch mit „ausbluten
lassen“ übersetzt werden. Der blutet aus, der nicht täglich neuen Zustrom aus
dem Wort Gottes hat. Wer sich von Gottes Wort füllen lässt, der kommt durch,
hat Kraft zu zielgerichtetem Gehen.