Alles neu in Christus (2. Korinther 5, 16-21)

 

1. Eine neue Schöpfung in Christus (2. Korinther 5, 17)

2. Eine neue Sicht der Mitchristen (2. Korinther 5, 16)

3. Einen neuen Auftrag der Versöhnung (2. Korinther 5, 18-21)

 

Einführung

Wie wir uns selbst beurteilen, hat große Auswirkungen darauf, wie wir unsere Mitmenschen bzw. Mitchristen beurteilen. Und bewusst oder unbewusst prägt das unsere Haltung und unseren Umgang miteinander. Wir sind heute eingeladen zu lernen, vermehrt uns selbst, unsere Mitchristen und unseren Auftrag vom Kreuz Christi her zu betrachten.

 

1. Eine neue Schöpfung in Christus (2. Korinther 5, 17)

„Das Alte ist vergangen …“ Was ist damit gemeint? Wörtlich könnte man etwa mit „das Ursprüngliche/Frühere“ übersetzen. Gemeint ist damit nicht die ursprüngliche Schöpfung Gottes. Denn Gott hat den Menschen am Anfang sehr gut gemacht. Der Mensch ist nach der Bibel als „Ebenbild/Abbild Gottes“ geschaffen worden (vgl. 1. Mose 1, 26f.). Das schließt mit ein, dass Gott den Menschen für die Gemeinschaft mit ihm geschaffen hat. Und das schließt mit ein, dass jeder Mensch für sich Gottes Abbild darstellt, und zwar so, wie Gott ihn geschaffen hat. Und Gott hat uns unterschiedlich geschaffen, weil wir uns gegenseitig ergänzen sollen.

Paulus meint an unserer Stelle mit dem „Alten/Früheren“ den unter die Sünde gefallenen Menschen. In der Johannesoffenbarung wird Satan, der die Menschen zum Ungehorsam gegen Gott verführte (vgl. 1. Mose 3, 1ff.) und immer wieder verführt, zweimal als „die alte Schlange“ bezeichnet (Offenbarung 12, 9; 20, 2). Seitdem die ersten Menschen Satan mehr gehorchten als Gott, lebt der „alte Mensch“ (vgl. Römer 6, 6; Epheser 4, 22; Kolosser 3, 9) unter seiner Herrschaft und damit in der Gottesferne. Demensprechend fällt auch sein Lebenswandel aus. Seine eigenen Begierden usw. stehen im Vordergrund. Ein solches Leben führt jedoch in die Irre und kann nicht Lebenssinn vermitteln. Paulus schreibt von solchen Menschen, dass sie „in der Nichtigkeit ihres Verstandes“ wandeln und dass sie in Bezug auf das Denken verfinstert sind,

„fremd dem Leben Gottes wegen der Unwissenheit/Unkenntnis, die in ihnen ist, wegen der Verstockung ihres Herzens; und da sie abgestumpft sind, haben sie sich selbst der Ausschweifung hingegeben, im Ausüben jeder Unreinheit mit Habsucht“ (Epheser 4, 17-19).

Zu dieser Gruppe gehören grundsätzlich alle Menschen von Natur aus – mit der Ausnahme von Jesus Christus, dem Sohn Gottes, der Mensch geworden ist. Als sündloser Mensch und Sohn Gottes hat er sein Leben am Kreuz von Golgatha hingegeben, damit alle Menschen durch ihn mit Gott versöhnt werden können. Das geschieht, indem Menschen erkennen, dass sie ohne Jesus in der Gottesferne leben und dass sie die Vergebung durch Jesus Christus nötig haben. Indem Menschen die Vergebung durch Jesus Christus im Glauben annehmen und Jesus Christus in ihr Leben aufnehmen, werden sie „Kinder Gottes“ (vgl. Johannes 1, 12) und haben somit Frieden mit Gott, ihrem Schöpfer (vgl. Römer 5, 1). Das ist die Grundlage für die neue Schöpfung, von der Paulus in 2. Korinther 5, 17 spricht. Dadurch wird der „alte Mensch ausgezogen“ und „der neue Mensch angezogen“ (vgl. Epheser 4, 22-24; Kolosser 3, 9f.). Der „alte Mensch“ stellt den sündhaften Menschen dar. Der Christ ist mit Christus grundsätzlich der Sünde gegenüber „gestorben“ und kann sich nun im Glauben ganz Jesus Christus zuwenden (vgl. Römer 6, 1ff.). Er hat Christus „angezogen“ (Galater 3, 27), und soll nun ihn immer mehr als Herrn „anziehen“ (Römer 13, 14).

Nur durch diese innere Erneuerung in der Beziehung zu Gott durch den Glauben an Jesus Christus kann der Mensch zu seiner Bestimmung gelangen. Durch den Glauben an Jesus Christus empfängt er den Geist Gottes und wird durch ihn befähigt, nach Gottes Willen zu leben. Je mehr Jesus Christus die Herrschaft über unser Leben übernimmt, desto mehr sind wir dazu befähigt. So schreibt Paulus in Epheser 2, 6-10:

„Er [Gott] hat uns mitauferweckt und miteingesetzt in der Himmelswelt in Christus Jesus, damit er in den kommenden Zeitaltern den überschwenglichen Reichtum seiner Gnade in Güte/Freundlichkeit an uns erwiese in Christus Jesus. Denn aus Gnade seid ihr errettet durch Glauben, und das nicht aus euch, Gottes Gabe ist es; nicht aus Werken, damit niemand sich rühme. Denn wir sind seine Schöpfung, in Christus Jesus geschaffen zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, damit wir in ihnen wandeln.“

Diese Gewissheit, dass jeder von uns durch Jesus ein wertvolles Kind Gottes geworden ist, wodurch wir befähigt werden, das zu tun, wofür er uns geschaffen hat, wird uns in die Lage versetzen, und selbst in unserer irdischen Unvollkommenheit annehmen zu können. Wir sind wertvoll, gerade weil wir anders sind als andere Menschen/Mitchristen. Jeder von uns ist eine spezielle (Neu-)Schöpfung Gottes. Nach Kolosser 3, 10 werden wir nun als Gläubige in das Bild unseres Schöpfers umgewandelt. Dieser Schöpfer ist Jesus Christus, der das eigentliche „Bild Gottes“ ist, und zwar in dem Sinn, dass er durch seine Menschwerdung Gottes Wesen offenbart hat (vgl. Kolosser 1, 15f.). In dem „wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig; und ihr seid in ihm zur Fülle gebracht. Er ist das Haupt jeder Gewalt und jeder Macht“ (Kolosser 2, 9f.).

 

2. Eine neue Sicht der Mitchristen (2. Korinther 5, 16)

Niemanden mehr dem Fleisch nach kennen/erkennen. Was bedeutet das? Um das zu verstehen, ist es wohl hilfreich, zuerst zu überlegen, was Paulus damit meint, dass er Christus nicht mehr dem Fleisch nach erkennt. Rudolf Bultmann verstand 2. Korinther 5, 16 in dem Sinn, dass für Paulus der „irdische Jesus“ im Grunde genommen keine Rolle spielte.[1] Gemäß Bultmann würde jede „Würdigung“ der historischen Person Jesus nach menschlichen Kategorien heißen, ihn „nach dem Fleisch zu (er)kennen“, und zwar in dem doppelten Sinn, dass man Christus nur als „Christus dem Fleisch nach“ und damit als „vorfindliches Weltphänomen“ sehen würde und es ebenso ein „fleischliches Verstehen“ und somit „ein bloßes Rechnen mit Weltlich-Vorfindlichen wäre“.[2]Das Gericht über alles Menschliche ist im Kreuz vollzogen, und zwar als in einem geschichtlichen Geschehen.“[3]

Wenn Paulus in 2. Korinther 5, 16 betont, dass „wir jetzt niemanden mehr dem Fleisch nach kennen“, da „wir, auch wenn wir Christus dem Fleisch nach gekannt/erkannt haben/hätten“, ihn „jetzt nicht mehr [dem Fleisch nach] (er)kennen“, so liegt der Schwerpunkt dem Kontext nach darauf, dass die Menschen „in Christus“ eine „neue Schöpfung“ sind und deshalb nicht mehr „dem Fleisch nach“ eingeordnet werden sollen.[4] Das „Alte“ und damit das Sündhafte ist nämlich „vergangen“, und sie sind nun als „historische“ bzw. „irdische“ Menschen von Christus her als neue Schöpfung einzuordnen (vgl. 2. Korinther 5, 17) – sie sind durch die Erneuerung durch Jesus Christus also keine ahistorischen Wesen geworden.

Was es für Paulus bedeutet, Christus „dem Fleisch nach“ zu erkennen, zeigt 1. Korinther 2, 8. Demnach haben die „Herrscher dieses Zeitalters“ die Weisheit Gottes in der Durchführung seines Heilsplans durch Jesus Christus nicht erkannt, da sie sonst „den Herrn der Herrlichkeit“ nicht gekreuzigt hätten. Christus „dem Fleisch nach (er)kennen“ bedeutet also, ihn lediglich als Mensch zu betrachten. Die „Herrscher dieses Zeitalters“ haben in Jesus nur einen Menschen gesehen, der von sich behauptete, Gott gleich zu sein (vgl. auch z. B. Johannes 8, 56-59). Aber das wahre Wesen Jesu haben sie gemäß Paulus nicht erkannt.

Nach 2. Korinther 4, 4 hat „der Gott dieser Welt“ bei den Ungläubigen „den Sinn verblendet, damit sie den Lichtglanz des Evangeliums von der Herrlichkeit Christi, der Gottes Ebenbild ist, nicht sehen“ (vgl. 2. Korinther 3, 14f.). Aber in der Herzen der Gläubigen ist „Gott, der gesagt hat: ‚Aus Finsternis soll Licht leuchten!‘, zum Lichtglanz der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesu Christi aufgeleuchtet“ (2. Korinther 4, 6), und so schauen sie „mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn an und werden [so] verwandelt in dasselbe Bild von Herrlichkeit zu Herrlichkeit“ (2. Korinther 3, 18). Nach Johannes 8, 15 hatte Jesus seinerseits den Juden, die ihm vorwarfen, er sei zwar nur ein Mensch, stelle sich aber Gott gleich (vgl. Johannes 5, 18; 10, 33), gesagt, dass sie „nach dem Fleisch“ richteten, womit sich die einzige Stelle, an welcher der Ausdruck „dem Fleisch nach“ im Neuen Testament außerhalb der Paulusbriefe erscheint, offenbar auf etwa den gleichen Inhalt bezieht, wie in 2. Korinther 5, 16.

Die Mitchristen nicht mehr dem Fleisch nach erkennen, bedeutet somit, sie vom Kreuz Christi her und somit als Geliebte Gottes, für die Jesus Christus sein Leben gegeben hat, betrachten und beurteilen. Das bedeutet auch, dass alles, was durch Jesus Christus vergeben ist, nicht mehr existiert (vgl. Jesaja 43, 19.25) und somit in unserer aktuellen Beurteilung der Mitchristen keine Rolle mehr spielt. In Jesus Christus spricht auch die Herkunft eines Menschen keine Rolle. Wer Jesus Christus in sein Leben aufgenommen hat, hat somit die Herrlichkeit Gottes aufgenommen, wie Paulus in 1. Korinther 2, 9 schreibt: „Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben.“ Diese Tatsache gibt uns die Grundlage, um nicht nur uns ganz neu im Licht des Kreuzesgeschehen Jesu zu beurteilen, sondern auch unsere Mitchristen. Dann müssen also falschen Bilder vom Mitmenschen schwinden.

Wie oft prägen uns falsche Bilder vom Mitmenschen und auch von den Mitgläubigen! Die Bibel sagt, dass wir uns von Gott kein „Bild“ machen sollen (vgl. 2. Mose 20, 4). Das gilt m. E. auch in Bezug auf die Menschen, die im Bild Gottes geschaffen sind und noch viel mehr für alle, die in Jesus Christus eine neue Schöpfung sind. Das Kreuz Christi steht für die Liebe Gottes zum Sünder – nicht zur Sünde! Diese Liebe Gottes prägt Paulus in seinem Dienst, wie er in 2. Korinther 5, 14 und damit gerade vor unserem Predigttext betont.

„Denn die Liebe Christi drängt uns [nicht das ‚schlechte Gewissen‘], da wir zu diesem Urteil gekommen sind, dass einer für alle gestorben ist [und] somit alle gestorben sind. Und für alle ist er gestorben, damit die, welche leben, nicht mehr sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferweckt worden ist“ (2. Korinther 5, 14f.).

Damit weiß Paulus auch, dass der Einzelne Jesus Christus gegenüber verantwortlich ist, nicht ihm, Paulus, gegenüber. Dieser Gewissheit, dass jeder von uns in Jesus Christus eine von Gott geliebte Person ist, die Gott gegenüber verantwortlich ist, wird mir helfen, lockerer mit seinen Fehlern umzugehen. Gott wird mit ihm fertig werden. Ich habe sonst keine Verantwortung ihm gegenüber, als ihn zu lieben – im biblischen Sinn (vgl. Römer 13, 8-10). „Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses“ (Römer 13, 10). Und sie redet die Wahrheit (vgl. 1. Korinther 13, 6; Epheser 4, 15).

Vielleicht müssen wir in dieser Hinsicht noch einiges lernen. Ich bin auf jeden Fall ständig in der Ausbildung Gottes. Das setzt auch voraus, dass wir zu unseren Fehlern bzw. Verfehlungen im Umgang mit den Mitmenschen stehen und um Vergebung bitten. Diese Vergebung haben wir alle immer wieder nötig. Nur wer erkennt, welchen Stellenwert er in Jesus Christus hat, kann echte biblische Demut leben, und eine solche Demut achtet den Nächsten höher als sich selbst (vgl. Römer 12, 16; Philipper 2, 1ff.). Das ist die Voraussetzung dafür, dass wir Versöhnung leben können.

 

3. Einen neuen Auftrag der Versöhnung (2. Korinther 5, 18-21)

Gott war in Christus und hat die Welt mit sich selbst versöhnt, indem er ihnen ihre Übertretungen nicht zurechnete und in uns das Wort von der Versöhnung gelegt hat“ (2. Korinther 5, 19). Mit anderen Worten: Jesus ist Gott in Person bzw. in ihm wohnt die ganze Fülle Gottes „leibhaftig“ (vgl. Kolosser 1, 19; 2, 9). Nur so konnte es eine echte Grundlage für unsere Versöhnung mit Gott geben.

Wenn Paulus nun schreibt, dass Gott durch Jesus „die Welt mit sich selbst versöhnt hat“ (vgl. Kolosser 1, 20f.), so bedeutet das keine „Allversöhnung“ in dem Sinn, dass alle Menschen am Schluss auch ohne den Glauben an Jesus Christus gerettet werden. Eine solche Lehre hat keine biblische Grundlage. In Vers 18 spricht Paulus deshalb von „uns“, die wir durch den Glauben an Jesus Christus versöhnt sind. Jesus hat zwar alles erfüllt, damit Menschen durch die Vergebung ihrer Sünden mit Gott versöhnt werden können, aber konkret geschieht diese Versöhnung dadurch, dass Menschen die Vergebung und die Neugeburt im Glauben annehmen. Darum betont Paulus in 2. Korinther 5, 20: „So sind wir nun Gesandte an Christi Statt, indem Gott gleichsam durch uns ermahnt; wir bitten für Christus: Lasst euch versöhnen mit Gott!“ Mit anderen Worten: „Nehmt die Versöhnung, die Gott durch Jesus Christus bewirkt hat, im Glauben an ihn an.“ Das ringt auch Kolosser 1, 20ff. zum Ausdruck. Paulus schreibt:

„Es gefiel der ganzen Fülle [Gottes], in ihm [Jesus] zu wohnen und durch ihn alles/das All mit sich zu versöhnen, indem er Frieden gemacht hat durch das Blut seines Kreuzes – durch ihn, sei es, was auf der Erde oder was in den Himmeln ist. Und euch, die ihr einst entfremdet und Feinde wart nach der Gesinnung in den bösen Werken, hat er nun versöhnt in dem Leib seines Fleisches durch den Tod, um euch heilig und tadellos und unsträflich vor sich hinzustellen, sofern ihr im Glauben gegründet und fest bleibt und euch nicht abbringen lasst von der Hoffnung des Evangeliums …“ (Kolosser 1, 19-23).

Nach 2. Korinther 5, 18 hat Gott „uns den Dienst (die Diakonie) der Versöhnung gegeben“. Mit „uns“ sind die Menschen angesprochen, die durch den Glauben an Jesus mit Gott versöhnt worden sind. Nur wer selbst Vergebung und Versöhnung erfahren hat, kann diese Versöhnung im tiefen Sinn leben und weitergeben. Wenn wir durch Jesus Christus mit Gott versöhnt sind, haben wir den schönen Auftrag der Versöhnung. Das bedeutet dem Text nach einerseits, die Botschaft von der Versöhnung durch Jesus Christus an Menschen, die noch in der Sünde leben, weiterzugehen. Das ist unser Auftrag als Gemeinde und als einzelne Gläubige. Das bedeutet aber auch, die Versöhnung zu leben und Menschen zu helfen, sich miteinander zu versöhnen.

Zu viele Christen leben nach dem Motto: „Mein Gott und ich.“ Alles andere ist nicht so wichtig. Versöhnung mit den Mitmenschen/Mitchristen spielt für sie keine zentrale Rolle. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass unsere Beziehung zu den Mitmenschen immer ein Spiegel unserer Beziehung zu Gott ist. Wer also mit den Mitmenschen im ständigen Streit lebt, kann demnach kaum Friede mit Gott haben. Paulus schreibt in Römer 12, 18: „Wenn möglich, so viel an euch ist, lebt mit allen Menschen in Frieden.“ Frieden im Sinn der Bibel leben wir nicht dadurch, dass wir uns einfach gegenseitig „stehen lassen“. Echten Frieden gibt es nur durch echte Versöhnung. Dazu gehört, dass wir immer wieder lernen, „schnell zum Hören“, aber „langsam zum Reden“ und „langsam zum Zorn“ zu sein (vgl. Jakobus 1, 19).

Jesus sagt: „Glückselig sind die Friedensstifter, denn sie werden Söhne Gottes heißen“ (Matthäus 5, 9). Gott selbst ist somit unser Vorbild als Friedensstifter, da er durch Jesus Christus und sein Kreuz den Frieden hergestellt hat (vgl. Epheser 2, 14ff.; Kolosser 1, 20f.). So schreibt Paulus in Kolosser 3, 13-15:

„Ertragt einander und vergebt euch gegenseitig, wenn einer Klage gegen den anderen hat; wie auch der Christus euch vergeben hat, so auch ihr. Zu diesem allen aber [zieht] die Liebe [an], die das Band der Vollkommenheit ist. Und der Friede des Christus sei ein Schiedsrichter in euren Herzen, zu dem ihr auch berufen worden seid in einem Leib; und seid dankbar.“

Die Betonung liegt in diesen Texten stark auf der Gemeinde Jesu Christi als seinem Leib. Wie wir durch den Tod Jesu mit Gott versöhnt sind, so sind wir auch im Leib Jesu, der Gemeinde, miteinander versöhnt. Jesus ist unser Friede und „hat aus beiden [Juden und Heiden] ein gemacht und die Zwischenwand der Umzäunung abgebrochen“ (Epheser 2, 14), und er hat „die zwei in sich selbst zu einem neuen Menschen geschaffen, indem er Frieden stiftete, und hat die beiden durch das Kreuz, durch das er die Feindschaft getötet hat, in einem Leib mit Gott versöhnt“ (Epheser 2, 15f.). Dadurch hat er (im Einklang mit Jesaja 57, 19) den „Fernen“ und den „Nahen“ Frieden verkündigt (Epheser 2, 17).

Wer sich für Frieden und Versöhnung zwischen Mitmenschen und auch zwischen Mitchristen einsetzt, muss in Kauf nehmen, dass seine Haltung als „einseitig“ eingestuft werden kann, und zwar von beiden Seiten. Ich habe das wiederholt schon erlebt, auch unter Christen. Jeder meint, man stünde zu sehr auf der Seite des anderen. Aber es ist immer wieder schön, am Schluss zu sehen, wie Menschen miteinander versöhnt werden. Und dazu muss jeder auch mal „über den eigenen Schatten springen“, d. h. bereit sein, in Demut auf den anderen zuzugehen, auf ihn zu hören und versuchen, ihn zu verstehen, statt auf das eigene Recht zu pochen. Das ist eine herausfordernde, aber auch schöne Aufgabe. Denn echter Friede, dessen Grundlage der Friede mit Gott ist, kann zur inneren Erfüllung führen.



[1] Vgl. u. a. R. Bultmann, Die Bedeutung des geschichtlichen Jesus für die Theologie des Paulus (1929), in: Ders., Glauben und Verstehen, Tübingen: Mohr Siebeck, 9. Aufl. 1993, S. 188–213.

[2] Ebd., S. 206f.

[3] Ebd., S. 207.

[4] Vgl. dazu und zum Folgenden J. Thiessen, Paulus als Lehrer der christlichen Gemeinden. Eine Theologie der neutestamentlichen Paulusbriefe, Nürnberg: VTR, 2019, S. 92ff.