Dr. Jürgen-Burkhard Klautke

 

 

 

 

Homosexualität

in biblischer, moralischer und medizinischer Sicht

 

 

 

 

Lichtzeichen-Verlag


 

Inhalt

Vorwort

 

1.  Was ist Homosexualität?

 

2.  Zur Beurteilung der homosexuellen Lebensweise in Vergangenheit und Gegenwart

2.1.     Urteile im Altertum

2.2.     Beurteilung im Lauf der abendländisch-christlichen Geschichte

2.3.     Der Umbruch in der Beurteilung in den USA

2.4.     Der Umbruch in der Beurteilung in Europa (außerhalb Deutschlands)

2.5.     Der Umbruch in der Beurteilung in Deutschland

2.6.     Ergebnis

 

3.  Zum Verständnis einiger für die Homosexualitäts-Debatte zentraler Bibelstellen

3.1. Sodom (1. Mose 19, 1-12)

3.2. Gibea (Richter 19)

3.3. 3. Mose 18, 22 und 20, 13

3.4. Römer 1, 18-32

3.5.     1.Korinther 6, 9-10 und 1.Timotheus 1, 8-10

3.6.     Weitere Bibelstellen

3.7.     Ergebnis

 

4.  Zur Auseinandersetzung mit humanwissenschaftlichen Theorien über Wesen, Herkunft und Therapierbarkeit homosexueller Neigungen

4.1.     Zur Behauptung, die Heilige Schrift wisse nichts von homosexueller Orientierung

4.2.     Zur Behauptung, die homosexuelle Orientierung sei angeboren

4.3.     Zur Behauptung, die homosexuelle Orientierung sei durch die Umwelt entstanden

4.4.     Die ethische Konsequenz aus der These, man sei für die eigene homosexuelle Orientierung nicht verantwortlich

4.5.     Homosexuelle Orientierung aufgrund freier Entscheidung

4.6.     Zu Herkunft und Wesen homosexueller Orientierung im Licht der Heiligen Schrift

4.7.     Zur Heilbarkeit von homosexueller Orientierung

4.8.     Ergebnis

 

5.  Resümee

5.1.     Die gegenwärtige Homosexualitäts-Debatte im Licht der Heiligen Schrift beurteilt

5.2.     Was ist zu tun?


 

Vorwort

Homosexualität ist eines der sensibelsten und am meisten diskutierten Themen in Politik, Gesellschaft, Medien und Kirchen am Beginn des 3. Jahrtausends. Die Emotionen gehen hoch. Eine Versachlichung des Gesprächs ist daher dringend notwendig.

 

Dr. Jürgen-Burkhard Klautke ist Ethiker und hat sich gründlich aus biblisch-theologischer, medizinischer und humanwissenschaftlicher Sicht mit diesem schwierigen Thema beschäftigt. Seine Ergebnisse wurden zuerst im Jahre 1996 in der Idea-Dokumentation Nr. 17/96 unter dem Titel

„Alarm um die Sexualethik“ veröffentlicht. 1998 legte er dann eine erweiterte Fassung als Buch vor: Gegen die Schöpfung. Homosexualität im Licht der Heiligen Schrift, Neuhofen: Evangelisch- Reformierte Medien 1998.

 

Nachfolgend drucken wir mit freundlicher Genehmigung des Verfassers die wesentlichen Teile daraus erneut ab, da seine Darlegungen aufgrund der besonderen Brisanz der Thematik eine weite Verbreitung verdienen. Aus Platzgründen musste die detaillierte Darstellung der Homosexualitäts- Debatte in den deutschen Kirchen sowie der gesamte umfangreiche Fußnoten-Apparat leider weggelassen werden. Wer Informationen darüber und wissenschaftliche Belege für die Aussagen Klautkes sucht, greife zum obengenannten Buch.

 

Die Herausgeber


 

1. Was ist Homosexualität?

Der Begriff Homosexualität ist seit dem Jahr 1870 nachweisbar. Er geht vermutlich auf eine Wortschöpfung des österreichisch-ungarischen Arztes K.M. Kertbeny (alias: Benkert) zurück. Dieser Begriff ist zusammengesetzt aus der Vorsilbe: homos (griech.): gleich, identisch und dem Begriff: sexus (lat.): Geschlecht. Bis dahin wurde das, was wir heute als Homosexualität bezeichnen, sodomia genannt oder einfach Sünde wider die Natur oder widernatürliches oder namenloses Laster, oder sie wurde - namentlich im 17. und 18. Jahrhundert - in Anlehnung an 1. Mose 18, 20-21 als „Sünde, die zum Himmel schreit“ umschrieben.

 

Andere heutzutage gebräuchliche Ausdrücke wie schwul oder gay entstammen dem Gassenjargon und werden häufig von Pro-Homosexuellenverbänden als demonstrative Selbstbezichtigung verwendet. Unter homosexuell orientierten Menschen sind sie keineswegs unumstritten.

 

Die weibliche Form der Gleichgeschlechtlichkeit wird als Lesbismus oder als sapphische Liebe

bezeichnet. Diese Ausdrücke wurden in Anlehnung an die ägäische Insel Lesbos geprägt, auf der im

6. vorchristlichen Jahrhundert die Dichterin Sappho Leiterin einer Frauen-Kommunität war. Innerhalb dieser Kommune soll es zu gleichgeschlechtlichen Kontakten gekommen sein.

 

Austauschbar mit dem Begriff Homosexualität wird häufig der Begriff Homoerotik (eros [griech.]: Liebe) verwendet oder der Terminus Homophilie (phile [griech.]: Liebe). Nicht selten unterscheidet man aber auch zwischen Homosexualität und Homophilie. Dann versteht man unter Homosexualität die körperliche Handlung an sich, während Homophilie die innere erotische Orientierung auf das gleiche Geschlecht meint. Gemäß dieser Auffassung kann es homophile Menschen geben, die nicht homosexuell sind. Das sind diejenigen, die zwar die innere Neigung zu Menschen des eigenen Geschlechts haben, aber ihrer Disponiertheit nicht nachgeben. Andererseits, so diese Ansicht, kann es auch homosexuellen Verkehr zwischen Menschen geben, ohne dass bei ihnen eine Veranlagung dazu vorliegt. Diese Menschen üben zwar homosexuelle Handlungen aus, sind aber nicht homophil. Um Homosexualität und Homophilie unter einem Begriff zusammenzufassen, führte der Sexualwissenschaftler Herman van de Spijker den Begriff Homotropie (tropos [griech.]: Richtung) ein.

 

Homosexualität im Sinn des Ausübens sexueller Handlungen mit jemandem des gleichen Geschlechts oder im Sinn eines erotisch-affektionellen Hingezogenseins zu einem Geschlechtsgenossen („homosexuelle Orientierung“, „Homophilie“) ist wohl in allen Kulturen und zu allen Zeiten vorgekommen.

 

Noch vor wenigen Jahren war die Lebenswirklichkeit homosexuell lebender Menschen in unserer Gesellschaft wie auch in anderen Zivilisationen ein Randthema. Mittlerweile hat sich darin eine dramatische Veränderung vollzogen. Auf nahezu allen Ebenen des privaten, des politischen und des kirchlichen Lebens wird über das Thema Homosexualität oder Schwulsein debattiert. In zahlreichen Artikeln, Kommentaren, Beiträgen, Büchern, TV-Filmen und Talk-Shows wird die Meinung propagiert, homosexuelle Neigungen seien normale, natürliche Varianten menschlicher Sexualität. Mit dieser Botschaft hat man sich weitgehend den Forderungen der Pro-Homophilen-Verbände angeschlossen.


Die Ziele dieser Gruppen wurden auf einem in Chicago im Jahr 1972 veranstalteten Kongress National Coalition of Gay Organisations (Nationale Koalition der Schwulen-Organisationen) folgendermaßen programmatisch formuliert:

1.  Die staatlichen Gesetze müssen so geändert werden, dass homosexuell lebende Menschen weder in Beruf oder im Wohnungswesen noch im Dienstleistungsbereich in irgend einer Weise

„diskriminiert“ werden.

2.  Homosexuell lebenden Männern ist der freie Zugang zum Militär zu gewähren.

3.     Alle Gesetze, die einvernehmliche homosexuelle Handlungen verbieten, sind ersatzlos zu streichen. Ausdrücklich müssen auch die diesbezüglichen Gesetze zum Schutz Minderjähriger beseitigt werden.

4.     Sämtliche gesetzliche Einschränkungen gegen Prostitution und gegen das Zuhältergewerbe müssen aufgehoben werden.

5.   Homosexuell lebenden Menschen ist das Recht auf Adoption sowie auf Pflegeelternschaft zu gewähren.

6.   Das, was Ehe ist, ist neu zu definieren. Namentlich sämtliche Einschränkungen und Regelungen bezüglich Anzahl und Geschlecht der Partner, die eine „Ehe“ eingehen, sind aufzuheben.

7.  Sexualerziehungskurse, die von homosexuell lebenden Männern und Frauen gegeben werden und die die Homosexualität nicht nur als vollwertig und gesund darstellen, sondern die Schüler und Studenten zum Ausprobieren „alternativer Lebensstile“ ermutigen, sind staatlich zu finanzieren.

8.   Schwulen-Gruppen und Unterstützungs-Programme für homosexuell Orientierte sind von Seiten des Staates finanziell zu unterstützen.

9.   Dagegen sind sämtliche staatliche Förderungen, die an „diskriminierende“ Gruppen gehen, wie zum Beispiel religiös gebundene Schulen, zu streichen.

10.   Homosexuell orientierte Menschen sind durch Quotenregelungen „positiv zu diskriminieren“, damit sie in der Öffentlichkeit angemessen repräsentiert werden.

 

Es ist offensichtlich, dass die emanzipatorischen Schwulen-Gruppierungen mit diesem Programm die uneingeschränkte gesellschaftliche Akzeptanz homosexueller Verhaltensweisen als einer unter anderen sexuellen Spielarten anstreben. Betrachtet man aus dem Blickwinkel dieser vor 25 Jahren aufgestellten Forderungen die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen in der westlichen Welt, kommt man unweigerlich zu dem Ergebnis, dass sich dieses Programm mit Riesenschritten der Verwirklichung zu nähern scheint.


 

2.     Zur Beurteilung der homosexuellen Lebensweise in Vergangenheit und Gegenwart

2.1.  Urteile im Altertum

 

Noch immer kann man die Behauptung antreffen, Homosexualität sei erst durch das Judentum und dann vor allem durch Paulus verurteilt worden, sonst aber im Altertum als eine normale Ausdrucksform der Sexualität toleriert bzw. gewürdigt worden. Diese Darstellung ist historisch falsch. Es wird hier zwar nicht die gegenteilige generelle Behauptung verteidigt, also dass Homosexualität von sämtlichen Völkern des Altertums, sagen wir von den Ägyptern, Assyrern, Babyloniern, Griechen und Römern zu allen Zeiten verurteilt worden sei, aber einige Aussagen zeigen, dass man im Altertum Homosexualität keineswegs als etwas Normales betrachtete.

 

Aus Ägypten ist bekannt, dass man zwar private, gewaltfreie Homosexualität nicht unbedingt in jedem Fall für verwerflich hielt, jedoch berichtet das Ägyptische Totenbuch, wie ein Mann nach seinem Tod vor dem ägyptischen Gott seine Unschuld beteuert. Dabei versichert er unter anderem:

„Ich habe keinen sexuellen Verkehr mit einem Jungen gehabt.“ Neben anderen in diesem Zusammenhang genannten Vergehen werden also pädophile Praktiken als unsittlich und als strafwürdig verurteilt. Homosexuelle Prostitution kam, so die Quellenlage, in Ägypten bis zu dem relativ späten Eindringen mesopotamischer Einflüsse nicht vor. Als ein unabänderliches Lebensgeschick wird die Homosexualität nirgendwo angesehen.

 

In Mesopotamien gab es seit dem dritten Jahrtausend homosexuelle Tempelprostitution. Diese war in der Regel dem Ischtarkult zugeordnet. Einige homosexuelle Praktiken wurden unter Strafe gestellt, andere nicht. Auch im Zweistromland beurteilte niemand homosexuelle Neigungen als unausweichliches Verhängnis.

 

Gern verweist man im Kontext der Homosexualitäts-Debatte auf Griechenland. Dort seien homosexuelle Praktiken üblich gewesen. Herodot habe sogar berichtet, dass die Griechen die Homosexualität den Persern beigebracht hätten. Auch Platon habe positiv über die Homosexualität gesprochen.

 

Konfrontieren wir uns zunächst mit dem letzteren: In dieser Pauschalität ist die Aussage, dass Platon homosexuelle Handlungen als positiv ansah, nicht richtig. In einigen Dialogen verurteilte Platon nachdrücklich homosexuelle Praktiken wie Päderastie. In seinem Spätwerk, den Gesetzen (Nomoi), forderte der Philosoph den generellen Ausschluss homosexueller Handlungen aus dem vernünftig geordneten Gemeinwesen: In der Homosexualität drücke sich die „Zügellosigkeit der Lust“ aus.

 

Lediglich in einem einzigen Dialog, im Gastmahl (Symposion), macht der Philosoph zur Pädophilie positive Aussagen. Aber auch dort ist sein positives Urteil keineswegs vorbehaltlos. Platon kritisiert an homosexuellen Neigungen die Maßlosigkeit im Begehren des eigenen Geschlechts. Homosexuelle Handlungen widersprächen dem Begriff des Eros, da die Liebe nur „im Unterschied“ fruchtbar sein und zeugen könne. Im Gegensatz zu homosexuellen Kontakten sei das Verhältnis von Mann und Frau als Verhältnis von Ungleichen etwas Heiliges, denn es sei offen auf einen Dritten, auf ein Kind.


Aber selbst wenn man Platons Ausführungen zur Homosexualität auf das Gastmahl eingrenzen wollte und die Vorbehalte gegen die Homosexualität in diesem Dialog außer acht lassen würde, um sich in der Ansicht, der griechische Philosoph habe eine unzweideutig positive Einstellung zu homosexuellen Praktiken gehabt, nicht verunsichern zu lassen, darf nicht übersehen werden, dass Platon, der selbst aus der athenischen Adelsschicht stammte, im Symposion keineswegs die Sitten des durchschnittlichen Griechen im Auge hatte, sondern diejenigen einer relativ kleinen Oberschicht von höchstens 10 %. Homosexuelle Kontakte kamen vornehmlich in den philosophischen Schulen zwischen Lehrern und Schülern vor („edukative Päderastie“) und im Heer während der oft jahrelangen Kriegsdienstzeit („militärische Päderastie“).

 

In Athen wie auch in Sparta gab es Gesetze, die homosexuelle Handlungen unter Strafe stellten. Die Behauptung, in der Antike hätten ganz Griechenland oder zumindest große Teile der Halbinsel eine prinzipiell positive Einstellung zur Homosexualität eingenommen, ist also entweder ein Zeichen von Unkenntnis oder von bewusster (durch bestimmte Interessen geleiteter ?) Geschichtsfälschung.

 

Auch in der römischen Welt gab es große Vorbehalte gegenüber homosexuellen Handlungen. Andererseits ist nicht nur aus Römer 1, 24 ff bekannt, dass in der Kaiserzeit homosexuelle Praktiken vielfach übliche Lebensweisen waren. Das wohl bekannteste, aber wahrlich nicht einzige Beispiel ist der römische Kaiser Hadrian. Er übte mit dem jungen Antionos homosexuelle Praktiken aus. Als jener im Nil ertrunken war, ließ der Kaiser zu seinen Ehren einen Tempel und zahlreiche Statuen errichten.

 

Im Judentum wurde jede Form homosexuellen Verhaltens strikt abgelehnt. Auf die Frage, was geschehen musste, bis Gott die Sintflut sandte, antworteten die Rabbinen: Die Menschen ließen Eheverträge zwischen Männern und Tieren zu. Homosexuelle Handlungen beurteilte man nicht als Bagatellvergehen, sondern derartige Praktiken wurden als Ausdruck chaotischer kosmischer Unordnung angesehen.

 

 

2.2.  Urteile im Lauf der abendländisch-christlichen Geschichte

 

In der Alten Kirche verurteilten ausnahmslos alle Theologen, die zum Thema Homosexualität Stellung nahmen, jede Form homosexuellen Verhaltens: angefangen von der Didache (Apostellehre) und dem Barnabasbrief, über den Brief des Märtyrers Polykarp von Smyrna bis hin zu den Apologeten Justin, Athenagoras und Tatian. Tertullian bezeichnete homosexuelle Handlungen als widernatürlich (etwas, das „gegen die Natur“ ist). Dabei setzte er „Natur“ mit den aus der Bibel abgeleiteten Schöpfungsordnungen gleich. Ähnlich unmissverständlich äußerte sich Clemens von Alexandrien. Die Kirchenväter untermauerten ihr Urteil vor allem mit 1. Mose 19, 1ff und Römer 1, 26-27.

 

In den ersten nachweisbaren Bußordnungen (Konzil von Elvira [305 n. Chr. Geb.]) wurden Knabenschänder (stupatores puerum) mit Ausschluss aus der Kirchengemeinschaft bedroht (Kanon 71, 14 Vives). Das Konzil von Ancyra (314 n. Chr. Geb.) war für die Einstellung zur Homosexualität in den folgenden Jahrhunderten maßgeblich. Hier wurden diejenigen verurteilt, die

„unvernünftige“, „verführerische“ Dinge treiben. Wenn sich spätere kirchliche Versammlungen auf diesen Ausspruch der Synode von Ancyra berufen, denken sie dabei an Schamlosigkeit, wie sexueller Umgang mit Tieren (Bestialität; Zoophilie) und auch an homosexuelle Handlungen.


Als es aufgrund verschiedener theologischer Fragen im weiteren Verlauf der Kirchengeschichte zu (Ab)spaltungen kam, waren sich ausnahmslos sämtliche Kirchen in ihrem Urteil über homosexuelle Praktiken einig. Dieses belegen Aussagen des für die armenische Kirche einflussreichen Theologen Johannes Mandakuni, des für die griechisch-orthodoxe Kirche namentlich in ethischen Fragen maßgeblichen Johannes Chrysostomos und des für die westliche Kirche wegweisenden Theologen Aurelius Augustinus.

 

In den Jahren 538 und 544 fertigte Kaiser Justinianus die Novellae an, ein Gesetzeskodex, in dem unter anderem homosexuelle Handlungen gesetzlich verboten wurden. Auch die Westgoten stellten gleichgeschlechtliche Lebensformen unter Strafe.

 

Im Mittelalter schrieb Petrus Damianus ein Buch gegen die Homosexualität. Darin wandte er sich scharf gegen homosexuelle Handlungen und forderte schärfste kirchliche Strafen. Andere Kirchenführer, wie zum Beispiel Papst Leo IX. befürworteten mildere Sanktionen: Man müsse

„menschlicher“ handeln; man solle jemanden erst dann aus seinem Amt entfernen, wenn er lange Zeit mit allen möglichen Männern Umgang gehabt habe. Trotz dieser Differenzen war das Nein zu gleichgeschlechtlichen Handlungen unmissverständlich. Als das Konzil von London (1102) harte Urteile über homosexuelle Handlungen fällte, versuchte Anselm von Canterbury die verhängten Strafen zu mäßigen. Ein anderes Konzil (Paris 1202) plädierte dafür, dass es besser sei, homosexuellen Verhaltensweisen präventiv zu begegnen als hinterher scharfe Sanktionen zu verhängen: Man solle Nonnen nicht bei Nonnen und Mönche nicht bei Mönchen in einem Bett schlafen lassen. Die Lampe solle nachts anbleiben. Man solle es sich selbst nicht schwer machen.

 

Thomas von Aquin nahm als erster Theologe bei sexuellen Handlungen Einteilungen vor. Er unterschied zwischen sexuellen Vergehen, die gegennatürlich (contra naturam) sind und denjenigen, die nicht gegennatürlich (para naturam) sind. Hurerei, Prostitution, Ehebruch, Vergewaltigung, Blutschande, sakrilegische Unzucht (Schändung einer gottgeweihten Jungfrau) sind zwar verboten, aber diese sexuellen Sünden sind nicht gegen die Natur. Von diesen sind Handlungen abzugrenzen, die er als gegennatürliche Vergehen bewertete. Dazu gehören unter anderem Geschlechtsverkehr mit Tieren und männliche und weibliche Homosexualität. Als gegennatürlich galten ihm diejenigen sexuellen Handlungen, bei denen die Geschlechtsorgane ohne die Möglichkeit bzw. ohne den Willen zur Fortpflanzung verwendet werden. Die gegennatürlichen Sünden beurteilte Thomas für schuldhafter als diejenigen Sexualdelikte, die nicht gegen die natürliche Ordnung des Sexualaktes gerichtet sind.

 

Dieses Paradigma sexueller Vergehen ist bis heute im Kern für die römisch-katholische Moraltheologie maßgeblich. So fragt sie nicht nur nach der Intention einer geschlechtlichen Handlung, also ob diese aus Liebe oder aus Hass getan worden ist, sondern sie kennt auch unbesehen von der (vermeintlichen ) Motivation in sich gute und in sich schlechte Handlungen.

 

Im Jahr 1555 verfasste Petrus Canisius einen Katechismus, aus dem in den folgenden Jahrhunderten viele Generationen lernen werden, dass neben Mord, (er dachte an Kains Brudermord, 1. Mose 4, 10), der Unterdrückung von Armen und dem Vorenthalten des verdienten Lohnes (siehe: Jakobus 5, 4) auch homosexuelle Handlungen zu den Sünden zu rechnen sind, die „zum Himmel schreien“ (peccata in coelum clamantia) und die göttliche Rache über die Menschen herabrufen.

 

Die Reformatoren gingen auf das Thema der Homosexualität nur am Rand ein. Aber dort, wo sie es taten, verurteilten sie homosexuelle Handlungen unmissverständlich. Für Luther waren Schamlosigkeit und Ehebruch verwerflich. Aber sie erschienen ihm immer noch als „menschliche


Sünden“, während er homosexuelle Beziehungen als „satanisch“ bewertete. Die lutherischen Bekenntnisschriften gehen auf diese Thematik nicht explizit ein. Jedoch sprechen sie von „der unordentlichen Brunst, die da sundlich ist“ und stellen sie der natürlichen, angeborenen Neigung zwischen Mann und Frau entgegen. Der Heidelberger Katechismus verweist in der Antwort auf Frage 108 (Sonntag 41) auf 3. Mose 18, 27ff, das sich unter anderem auch auf homosexuelle Handlungen bezieht.

 

Die altprotestantische Orthodoxie war in ihrem Urteil genauso eindeutig wie Luther. In ihren ethischen Kategorien argumentierte sie ähnlich wie Canisius. Im Gegensatz zur neuprotestantischen Ethik orientierte sich die nachreformatorische Ethik für mehr als 2 Jahrhunderte also keineswegs einseitig an der Gesinnung, sondern sie fragte auch nach den Schöpfungsordnungen. Das heißt: Auch wenn eine Tat vermeintlich durch „Liebe“ motiviert sei, kann sie aufgrund des „Objekts“ verwerflich sein. Handlungen, die eine entscheidende physiologische Seite haben wie Homosexualität, müssen sich an der Geschöpflichkeit des Leibes orientieren.

 

Im Unterschied zu Aristoteles, Thomas und auch der reformatorischen Theologie des 16. und 17. Jahrhunderts wollten die Philosophen der frühen Neuzeit zwar nichts mehr von in sich wertvollen oder in sich verabscheuenswürdigen Handlungszielen wissen, sie lehnten aber gleichwohl homosexuelle Praktiken ab. Für I. Kant war eine derartige Lebensweise deswegen nicht akzeptabel, weil sie mit seiner ethischen Maxime des kategorischen Imperativs nicht übereinstimmt: Würde man gleichgeschlechtliche Praktiken universalisieren, wäre dieses das Ende der Menschheit. Außerdem werde bei solchen Handlungen in der eigenen Person die Humanität missachtet, und die andere Person werde zum bloßen Objekt fremder Interessen degradiert, wodurch in ihr die Menschheit verachtet werde.

 

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts fing man an, die Homosexualität insofern anders zu beurteilen, als von nun an dieses Thema immer weniger dem moralisch-juristischen Bereich zugeordnet wurde und immer mehr in ein medizinisch-psychologisches Paradigma gestellt wurde. Damit brach in der Beurteilung der Homosexualität ein bemerkenswerter Zwiespalt auf. Auf der einen Seite erschien Literatur, in der mit viel Pathos die Gleichgeschlechtlichkeit idealisiert wurde: Homosexualität stelle eine deutlich höhere Stufe personaler Begegnung dar als die Heterosexualität. Auf der anderen Seite beurteilte man homosexuelle Neigungen als pathologisch. Allerdings waren die Grenzen zwischen Pathos und Pathologie fließend. Dafür ein illustratives Beispiel: Der Berliner Nervenarzt Hans Blüher pries den mann-männlichen Eros, weil dieser sich zu allen Zeiten in den sogenannten Männerbünden ausgewirkt habe: Ihm komme für die Bildung des Staatswesens entscheidende Bedeutung zu: Das Weib mag sich als Frau und Mutter wohl ausgefüllt wissen. Aus dem Mann aber holt die Ehe zu wenig heraus, und darum sei dem Mann die dauernde Gesellschaft der Frau unerträglich.

 

 

2.3.  Der Umbruch in der Beurteilung in den USA

 

Der entscheidende Umbruch in der Beurteilung homosexueller Neigungen vollzog sich in den USA. Schrittmachend waren die unter Leitung des Zoologen A. Kinsey veröffentlichten Kinsey-Reports (1948 und 1953): Es sei empirisch nachgewiesen, dass zwischen 4 und 10 % der Bevölkerung ausschließlich oder primär als homosexuell orientiert einzustufen sei. Seit Veröffentlichung dieser Studien werden homosexuelle Handlungen mehr oder weniger beharrlich als eine andere, moralisch der heterosexuellen Form der Sexualität gleichwertige eingestuft. Wenn zwei Menschen homosexuelle Praktiken ausüben wollen, sei dieses ein Bürgerrecht, das man zu respektieren habe.


Im Jahr 1967 wurde diese Forderung zum Gesetz. Wenige Jahre später (1973) strich das Leitungsgremium der Vereinigung der amerikanischen Psychiater (Board of Trustees of the American Psychiatric Association [APA], meeting in Washington, D.C.) Homosexualität aus dem offiziellen diagnostischen und statistischen Krankenbuch.

 

Bereits im Jahr 1968 hatte Troy Perry in Los Angeles die erste Kirche für homosexuell lebende Menschen gegründet. Aus ihr entstand die Universal Fellowship of Metropolitan Community Churches. Bald wurden auch offen homosexuell lebende Pfarrer ordiniert, zum ersten Mal in der United Church of Christ.

 

Für den gegenwärtigen Trend in den USA können folgende Ereignisse als symptomatisch gelten. Erstens: Unmittelbar nachdem Bill Clinton Präsident geworden war, ließ er verlautbaren, die Kasernen sollten für homosexuelle Menschen geöffnet werden. Konservative Kreise widersetzten sich diesem Ansinnen. Sie argumentierten, es gehe hier nicht um die Frage, ob auch homosexuell Orientierte ihrem Vaterland militärisch dienen dürften, sondern es handele sich darum, ob man es einem Soldaten zumuten könne, mit einem anderen zusammen unter der Dusche zu stehen oder im gleichen Zimmer zu übernachten, von dem er wisse, dass jener ihn erotisch begehre. Außerdem sei zu befürchten, dass es der „Schwulenlobby“ auf dem Weg über das Militär gelinge, die homosexuelle Lebensweise als gesellschaftlich akzeptabel hinzustellen.

Zweitens: Die zu dem größten protestantischen Kirchenverband in den USA (15 Millionen Mitglieder) gehörende Pullen Memorial Baptist Kirche in Raleigh (North Carolina) entschied sich, eine homosexuelle Partnerschaft zu segnen. Damit setzte sie sich über die Warnung ihrer eigenen Kirchenleitung hinweg. Diese hatte erklärt, dass Gemeinden, die homosexuelle Partnerschaften akzeptierten, von der Mitgliedschaft im Bund der Südlichen Baptisten (Southern Baptists) ausgeschlossen würden.

Drittens: Der Sprecher der Schwulen und Lesben-Initiative innerhalb der 8, 9 Millionen Mitglieder zählenden methodistischen Kirche der USA, Jay McCarty (Washington), erklärte, man strebe langfristig die Gründung einer eigenen Kirche an: Die gegenwärtige Kirche sei eine „sterbende Institution“, „in der heterosexuelle Normen abgöttisch verehrt“ würden. Man müsse zurückkehren zu den Wurzeln des Methodismus. So wie die Methodisten einst für die Abschaffung der Sklaverei gekämpft hätten, müssten sie sich nun für die gesellschaftliche Emanzipation Homosexueller einsetzen.

 

Am 25. April 1993 marschierten 300.000 homosexuelle Männer und lesbische Frauen nach Washington, um „gleiche Rechte und mehr AIDS-Gelder“ zu fordern. (Die Organisatoren hatten eine Million Teilnehmer erwartet.) Nach Augenzeugenberichten führten die Demonstranten hemmungslos in aller Öffentlichkeit sexuelle Handlungen durch. Auf Bühnen traten sie nackt auf, simulierten sexuelle Handlungen und schrien Obszönitäten ins Mikrofon. Lesbische Frauen forderten in Sprechchören vor dem Weißen Haus, ihnen Chelsea Clinton, die Tochter des Präsidenten, herauszugeben, und die lesbische Zeremonienmeisterin drückte in ihrer Rede den Wunsch aus, es mit der Präsidentengattin Hilary Clinton zu treiben.

 

Von diesem Marsch berichteten die Medien als einer „der größten Demonstrationen für Bürgerrechte, die die Hauptstadt unserer Nation je gesehen hat“, und in welcher „die Organisatoren Schutz der Bürgerrechte, die Aufhebung des Militärverbots für homosexuelle Männer und mehr Gelder für die AIDS-Forschung“ forderten. Das schamlose Verhalten der Demonstranten wurden von den Medien weitgehend ignoriert. Von den USA drangen schnell starke Impulse nach Westeuropa.


2.4.  Der Umbruch in der Beurteilung der Homosexualität in Europa (außerhalb Deutschlands)

 

In Europa setzte der Umbruch in der Beurteilung der Homosexualität in England ein. Eine Kommission, die im Jahr 1954 mit der Revision des Strafrechts betraut worden war, stellte gegenüber dem Jahr 1934 eine Zunahme homosexueller Handlungen um 850 % fest. Demgegenüber seien im gleichen Zeitraum alle anderen Straftaten lediglich um durchschnittlich 223 % gestiegen. Angesichts dieses Missverhältnisses setzte man eine Kommission ein, die dieses Phänomen untersuchen sollte. In ihrem abschließenden Bericht (Wolfenden Report, 1957) empfahl sie, homosexuelle Handlungen nicht mehr länger unter Strafe zu stellen.

 

Bemerkenswert ist, dass sich diese Kommission neben eigenen Untersuchungen auch auf kirchliche Verlautbarungen stützte. Die wichtigste davon war diejenige der anglikanischen Kirche, in der man zwischen „propensity“ (Triebneigung, Veranlagung, innere Disposition, Orientierung) und

behavior“ (Verhalten, Betätigung [der Homosexualität]) unterschied. Mit dieser Unterscheidung wollte die anglikanische Kirche die Veranlagung zur Homosexualität als ethisch neutral bewertet wissen. Erst wenn die Veranlagung zu homosexuellen Handlungen führe, müsse über die Handlungen geurteilt werden.

 

Trotz der Empfehlung der Kommission dauerte es noch mehrere Jahre, bis es zu einer Änderung in der Rechtsprechung kam. Erst im Jahr 1967 wurden homosexuelle Kontakte zwischen Menschen, die über 21 Jahre als sind, freigegeben.

 

Die Änderung in der Beurteilung der Strafbarkeit homosexueller Handlungen gründete in einem im Lauf des 19. Jahrhundert sich anbahnenden Bruch mit dem traditionellen Rechtsverständnis. Während bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die Rechtsordnung im großen und ganzen in den 10 Geboten verankert war und von daher die Schuldhaftigkeit und Strafwürdigkeit einer Tat bewertet wurde, orientierte man sich im Lauf des 19. Jahrhunderts immer mehr an der Frage, ob durch das jeweilige Verhalten die Rechte und Interessen anderer verletzt würden oder nicht. Man lehrte, dass die Freiheit des Individuums einzig und allein durch die Freiheit des anderen begrenzt werde. Dieser Paradigmenwechsel bedeutete, dass es so etwas wie ein „Verbrechen ohne Opfer“ nicht geben könne. Die Konsequenz dieser Überlegung: Homosexuelle Handlungen dürfe man dann nicht untersagen, wenn beide Partner zu derartigen Handlungen freiwillig bereit sind.

 

Im Jahr 1977 ordinierte die anglikanische Kirche erstmals einen homosexuell lebenden Pfarrer. Fünfzehn Jahre später (1992) beabsichtigte man, ein Gebetbuch für Schwule herauszugeben. Darin sollten unter anderem Liturgien für Homosexuelle und Lobpreisungen gleichgeschlechtlicher Liebe zu finden sein. Als George Carey, der Erzbischof von Canterbury, dieses Vorhaben untersagte, warf die Bewegung lesbischer und schwuler Christen dem Erzbischof vor, er sei ein „intoleranter Ayatollah“.

 

Die methodistische Kirche Englands nahm im Jahr 1993 eine Resolution an, in der Mitgliedschaft und Dienst homosexuell lebender Menschen in der Kirche für miteinander vereinbar gehalten wurden.

 

In den Niederlanden strich das Parlament den Homosexualitätsparagraphen mit der Begründung, er sei diskriminierend (1971). Seitdem sind homosexuelle Praktiken nur noch im Rahmen des


Jugendschutzes strafbar, also wenn das Kind, mit dem (homo)sexuelle Praktiken ausgeübt wird, unter 16 Jahre alt ist.

 

Im gleichen Jahr gaben zwei Pfarrer anonym ein Buch heraus, in dem sie sich zu ihrer Homosexualität bekannten. Bald danach machten einige Kirchen Zugeständnisse an ihre homosexuell lebenden Mitarbeiter. So zum Beispiel die Remonstrantische Bruderschaft. In dieser kleinen Gruppierung (ungefähr 10.000 Mitglieder) wurde es bald möglich, dass gleichgeschlechtliche Verbindungen wie auch Paare, die vorher nicht standesamtlich getraut waren, ihre Verbindung segnen ließen. Nach eigener Aussage wollte die Kirche auf diese Weise denjenigen dienen, die sich durch andere Kirchen im Stich gelassen fühlten. Die Frage, ob die Bibel die Homosexualität als Sünde bewerte, sei nicht so wichtig wie die Anerkennung der Gleichwertigkeit aller menschlichen Beziehungen. Die Frage der Homosexualität sei im Rahmen der gesellschaftlichen Emanzipation von Minderheiten zu sehen. Inzwischen forderte diese Kirche den Ökumenischen Weltrat offiziell auf, die Frage der Homosexualität in ihrem Sinn zu überdenken.

 

Bald vollzog sich eine Änderung in der Beurteilung homosexueller Handlungen auch in den beiden großen reformierten Kirchen, der hervormden und der synodal-gereformeerden Kirche. Inzwischen wird in diesen Kirchen die „Segnung“ homosexueller Paare praktiziert. Im Mai 1988 wies die Gereformeerde Oecumenische Synode in Harare (Simbabwe) die Aussage, alle homosexuellen Handlungen seien Sünde, zurück. Wenig später untersagte die Synode der Hervormden Kirche jede Form von Kirchenzucht an offen zusammenlebenden homosexuellen und lesbischen Kirchenmitgliedern. Begründung: Dieses sei Machtmissbrauch. Es sei der Gemeinde Christi unwürdig, Gemeindezucht an denjenigen zu üben, deren tiefste Überzeugungen und Erfahrungen betroffen seien. Inzwischen ist es in den Niederlanden bereits gesetzlich verboten, etwas Negatives über Homosexualität zu äußern.

 

In Dänemark dürfen seit dem 1. Oktober 1989 homosexuelle Paare standesamtlich heiraten. Diese Verbindungen sind im Prinzip traditionellen Ehen rechtlich gleichgestellt. Allerdings verflog die anfängliche Euphorie über dieses Gesetz schnell. Nicht nur ließ der Heiratswunsch nach - die Zahl gleichgeschlechtlicher Eheschließungen sank von 428 im Jahr 1990 auf 262 im folgenden Jahr, - sondern im Jahr 1991 lösten bereits 21 homosexuelle Paare ihre „Ehen“ wieder auf.

 

Inzwischen (1997) leben knapp 3.000 Personen in solchen „registrierten Partnerschaften“. Parallel zu der standesamtlichen Trauung homosexueller Paare wurde die Forderung an die dänische Staatskirche gestellt, gleichgeschlechtliche Paare auch kirchlich zu segnen. Da konservative Kräfte erklärten, falls derartiges geschehe, werde ein Auszug aus der Kirche erwogen, reagierte man darauf zunächst zurückhaltend. Aber im Sommer 1997 gab die dänische Volkskirche für das Segnen homosexueller Paare grünes Licht. Eine Kommission der lutherischen Staatskirche erklärte:

„Registrierte Partnerschaften widersprechen nicht kirchlicher Lehre und Moral“. Gegen die kirchliche Segnung homosexueller Partnerschaften gebe es keine ernsthaften theologischen Bedenken.

 

Als vor einigen Jahren (1988) der Nationalrat der lutherischen Staatskirche in Norwegen sich weigerte, einen praktizierenden homosexuellen Pastor einzustellen - praktizierte Homosexualität sei mit der Qualifikation für das kirchliche Amt nicht in Übereinstimmung zu bringen - wurde er von dem Norwegischen Gewerkschaftsbund verklagt: Die Kirche habe mit dieser Weigerung gegen das Arbeitsrecht verstoßen, weil für eine Einstellung nur ein einziges Kriterium gelte, die berufliche Qualifikation. Inzwischen ist wie in Dänemark auch in Norwegen die „rosa Ehe“ staatlich anerkannt. Die Bischöfe der lutherischen Kirche protestierten wiederholt dagegen. Zum Beispiel


erklärte der Bischof von Stavanger, Björn Bue, ein derartiges „Partnerschaftsgesetz“ bedeute einen Bruch mit der Tradition von Ehe und Familie.

 

In Schweden trat die staatliche Anerkennung homosexueller Ehen im Jahr 1995 in Kraft.

 

 

2.5.  Der Umbruch in der Beurteilung der Homosexualität in Deutschland

 

Obwohl Homosexuelle im Dritten Reich grausam verfolgt und in Konzentrationslagern gequält worden waren („rosa Bändchen“), kam in den Nachkriegsjahren weder in der Gesellschaft noch in der Theologie der Gedanke auf, dass das traditionell ablehnende Urteil zu homosexuellen Praktiken revidiert werden müsse. Zum Beispiel lehnten Theologen wie Karl Heim, Emil Brunner oder Karl Barth homosexuelle Handlungen nachdrücklich ab.

 

Als die Große Reform des Strafgesetzbuches in Gang kam (1955-1958), wurde eine Kommission von Juristen beauftragt, sich mit dem Fragenkomplex der Strafwürdigkeit homosexueller Handlungen zu beschäftigen. Etwa zur gleichen Zeit begann eine literarische Diskussion, in der man die Abschaffung des § 175 StGB forderte. Zwar erfolgte in jenen Jahren noch nicht die Abschaffung des Homosexuellenparagraphen, aber von nun an vollzog sich in der Öffentlichkeit sukzessiv eine Änderung in der Bewertung der Homosexualität.

 

In der evangelischen Kirche und Theologie kam es ebenfalls zu einem Umschwung. Für die Gemeinden war der Schweizer Eheberater Theodor Bovet wegbereitend. Er forderte Rehabilitierung und Anerkennung homosexuell lebender Menschen: Homosexualität sei weder Unzucht noch Perversion, Haltlosigkeit oder Krankheit, sondern „nachweislich eine ererbte Anlage“, eine

„Schöpfungsvariante“, wie Linkshändigkeit oder rote Haare, gegen die der Betroffene nichts ausrichten könne. Homosexuelle Lebensgemeinschaften müssten den heterosexuellen Beziehungen gleichgestellt werden.

 

Im Bereich der Theologie war es Helmut Thielicke, der das bis dahin strikt ablehnende Urteil über die Homosexualität in Frage stellte. Mehr noch: Nachdem er diejenigen angegriffen hatte, deren Ansichten der medizinischen und psychologischen Forschung nicht entsprechen; die eine doktrinär gehandhabte Ordnungstheologie vertreten; die sich kaum in der seelsorgerlichen Begegnung mit den Betroffenen in Frage stellen lassen; die kein Mitleid kennen; die mit Bibelzitaten und dogmatischen Axiomen nur zu negativen Bewertungen gelangen; die auch keinen seelsorgerlichen Rat für einen Homosexuellen wissen, stellte er die Frage: „Wie steht es mit den konstitutionellen prädisponierten Homosexuellen, den schicksalhaft so Veranlagten“? Die Bibelstellen, die die Homosexualität kritisieren, suchte er auf den „kerygmatischen Sinn“ zu reduzieren, so dass von ihnen nichts anderes übrigblieb als Appelle wie: Homosexualität müsse als unheilbare Krankheit (vom Sündenfall her) bejaht werden, sie müsse begriffen werden als Schicksal, ja als Pfund, mit dem gewuchert werden könne. Da Thielicke jedoch nicht (völlig) auf die Kategorie der Schöpfungsordnungen verzichten wollte und deswegen Homosexualität als Depravierung derselben bewertete, empfahl er dem

„konstitutionellen Homosexuellen“ die „Sublimierung seines Triebes“. „Wenn einer aber nicht Askese üben kann, solle er wenigstens seine Verbundenheit ethisch gestalten, etwa in einer eheähnlichen Dauerbeziehung zu einem Gleichveranlagten.“

 

Schon bald nach diesen Ausführungen brach ein Sturm von Literatur los, in dem zu einem kategorialen Umdenken in der Beurteilung der Homosexualität aufgefordert wurde. Die Orientierung an Schöpfungsordnungen wurde in der evangelischen Kirche immer heftiger bestritten.


Stattdessen betonte man immer nachdrücklicher, dass in der sexuellen Begegnung nur eines zähle: die Liebe.

 

Demgegenüber blieb die römisch-katholische Kirche, zumindest was ihre offiziellen Lehraussagen anbelangt, bei der traditionellen Auffassung. Noch Mitte der siebziger Jahre erklärte die Kongregation der Glaubenslehre, homosexuelle Praktiken seien schwere Verirrungen. Sie seien Handlungen, die in sich nicht in Ordnung seien und in keiner Weise gutgeheißen werden könnten. Mit Hinweis auf das Naturrecht wurde die Meinung, man könne zwischen erworbener und angeborener Homosexualität ethisch unterscheiden, um bei letzterer von Schuldunfähigkeit zu sprechen, zurückgewiesen. Johannes Paul II. beurteilte alle Versuche einer juristischen Gleichstellung homosexueller Paare mit Eheleuten als moralisch unannehmbar: „... Nun bezeugt die Vernunft, dass es Objekte menschlicher Handlungen gibt, die sich ´nicht auf Gott hinordnen´ lassen, weil sie in radikalem Widerspruch zum Gut der nach seinem Bild geschaffenen Person stehen. Es sind dies die Handlungen, die in der moralischen Tradition der Kirche ´in sich schlecht´ genannt wurden: Sie sind immer und an und für sich schon schlecht, d.h. allein schon aufgrund ihres Objektes, unabhängig von den weiteren Absichten des Handelnden und den Umständen... Wenn die Kirche das Bestehen ´in sich schlechter´ Handlungen lehrt, greift sie die Lehre der Heiligen Schrift auf. Der Apostel stellt kategorisch fest: Täuscht euch nicht! Weder Unzüchtige noch Götzendiener, weder Ehebrecher noch Lustknaben, noch Diebe, noch Habgierige, keine Trinker, keine Lästerer, keine Räuber werden das Reich Gottes erben! (1. Korinther 6, 9-10). Wenn die Akte in sich schlecht sind, können eine gute Absicht oder besondere Umstände ihre Schlechtigkeit zwar abschwächen, aber nicht aufheben. Sie sind ´irreparabel´ schlechte Handlungen, die an und für sich nicht auf Gott und auf das Gut der menschlichen Person hinzuordnen sind... Darum könnten die Umstände und Absichten niemals einen bereits in sich durch sein Objekt sittlosen Akt in einen ´subjektiv´ sittlichen oder als Wahl vertretbaren Akt verwandeln.“

 

Auch die griechisch-orthodoxe Kirche blieb bei ihrer strikten Zurückweisung homosexueller Lebensweise, und zwar keineswegs nur in ihren Stammländern. In den USA - dort zählt diese Denomination ungefähr zwei Millionen Mitglieder - suspendierte sie im Jahr 1991 ihre Mitgliedschaft im Nationalen Kirchenrat der USA, des größten ökumenischen Zusammenschlusses Nordamerikas, mit der Begründung, die Haltung dieses Verbandes zur Homosexualität sei zu

„liberal“. In Deutschland nahm inzwischen der Direktor des Instituts für Orthodoxe Theologie der Universität München, Th. Nikalaou zur Frage der Homosexualität öffentlich in ablehnendem Sinn Stellung.

 

Die Evangelische Kirche in Deutschland meinte einen anderen Weg einschlagen zu müssen. In einer EKD-Denkschrift zur Frage der Sexualethik aus dem Jahr 1971 wurde es ausdrücklich zurückgewiesen, Homosexualität als widernatürliches Verhalten zu bezeichnen. Zwar wurde Homosexualität in dieser Schrift noch als krankhafte Perversion bewertet, aber so wurde sie nur deswegen beurteilt, weil bei gleichgeschlechtlichen Handlungen die Person des Partners missachtet werde: Das Fehlverhalten homosexueller Menschen bestehe nicht in dem homosexuellen Verkehr an sich, sondern in dem häufigen Partnerwechsel. In offensichtlicher Anlehnung an die Forderung Thielickes wurde die Personalisierung der Sexualität verlangt. Die Kirchen müssten pervers veranlagten Menschen Hilfestellung leisten.

 

In einer nur wenige Jahre später veröffentlichten Erklärung der Kirchenkanzlei der EKD (Februar 1976) sowie in einer Orientierungshilfe der VELKD mit dem Titel Gedanken und Maßstäbe zum Dienst von Homosexuellen in der Kirche (1980) wurde bereits die Bibel als Beurteilungsmaßstab


ausdrücklich abgelehnt: Paulus habe noch nichts von angeborener Homosexualität gewusst. Von Sünde könne man erst bei häufigem Partnerwechsel sprechen.

 

Das erste „Homofestival“ in der BRD fand 1978 statt. Tausende von Homosexuellen beiderlei Geschlechts kamen zusammen, schmusten, umarmten sich und zogen grölend durch die Innenstadt Frankfurts. Transparente informierten, dass Homosexuelle in Deutschland unterdrückt und gesellschaftlich diskriminiert würden.

 

Im gleichen Jahr riefen Homo-Verbände zur Freigabe homosexueller Handlungen auf. Zum Beispiel wurde vor der Kaiser-Wilhelm Gedächtniskirche in Berlin ein Flugblatt mit der Überschrift verteilt, „Evangelium und Schwulsein schließen sich gegenseitig nicht aus“. Darin forderte man, homosexuelle Christen sollten als voll anerkannte Mitarbeiter und Gemeindeglieder am Leben der Kirche teilnehmen. Homosexualität sei theologisch so „aufzuarbeiten“, dass Homosexuelle in der Kirche nicht mehr als Kranke behandelt würden, denn Homosexualität sei weder eine Krankheit, noch schuldhaft erworben, sondern ein Teil der einen Sexualität, die allen Menschen in der guten Schöpfung Gottes zuteil geworden sei.

 

Ab Ende der siebziger Jahre wurde die Frage öffentlich aufgeworfen, ob man Pfarrer in der Kirche anstellen dürfe, die in homosexuellen Verbindungen lebten. Nachdem in der Hannoverschen Landeskirche ein Hilfspfarrer entlassen worden war, der homosexuelle Handlungen hatte praktizieren wollen und der verlangt hatte, die Kirche solle sein Verhalten akzeptieren, machten Interessenverbände (gezielt?) bekannt, dass in anderen Landeskirchen, wie zum Beispiel in der Berliner Kirche, homosexuell praktizierende Pfarrer arbeiten dürften. Wenig später wurde sublimer oder auch offener Druck auf die Landeskirchenämter ausgeübt, damit jene „aufgrund medizinischer und psychologischer Ergebnisse das Thema homosexueller Partnerschaften im Pfarrhaus neu bewerten“. Ja, die Frage, die eigentlich erörtert werden müsse, sei nicht, wie homosexuelles Verhalten zu bewerten sei, sondern: Werden die Menschen in den Kirchengemeinden durch offen ausgelebte Homosexualität noch immer so sehr geängstigt, dass ein Pastor, der gleichgeschlechtliche Handlungen offen ausübt, deswegen seinen seelsorgerlichen Auftrag gegenüber den Gemeindegliedern nicht wahrnehmen könne? Damit sah man nicht mehr das Problem darin, dass Pfarrer in Pfarrhäusern homosexuelle Kontakte ausleben, sondern man meinte es darin erblicken zu müssen, dass es noch immer Gemeindeglieder gibt, die es „emotional“ nicht verkraften können, wenn Pfarrer solches tun. An „Vorurteilen“ wie „Homophobie“ müsse man

„seelsorgerlich“ arbeiten.

 

Ab 1984 kam es zu sogenannten Trauungen homophiler und lesbischer Lebensgemeinschaften. Bereits im folgenden Jahr erschien eine Handreichung des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche von Westfalen mit dem Titel Diakonie und Homosexualität, die sich für die Einstellung homosexueller Menschen in den Bereichen der Diakonie einsetzte. Das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche von Westfalen wünschte für alle homosexuellen Mitarbeiter eine „angstfreie“ Mitarbeit. Paulus habe zwar die Homosexualität verurteilt, dieses entspreche jedoch „nicht den heutigen Erkenntnissen über Homosexualität als einem tief verwurzelten Persönlichkeitsmerkmal“. Deshalb „darf die paulinische Einstellung zur Homosexualität in der von ihm selbst verkündeten Freiheit weiterentwickelt werden“. Von daher können Homosexuelle „grundsätzlich in allen Bereichen der Diakonie beschäftigt werden, auch in der Jugendarbeit“. Da „Homosexuelle genauso verantwortlich mit ihrer Sexualität umgehen wie Heterosexuelle“, bestehe auch nicht die Befürchtung des sexuellen Missbrauchs von Abhängigen."


Ab Ende der 80er Jahre kamen die Themen der offen ausgelebten Homosexualität in einem Pfarrhaus und die kirchliche Segnung homosexueller „Partnerschaften“ auf die Tagesordnung landeskirchlicher Synoden.

 

 

2.6.  Ergebnis

 

Halten wir fest: Es gab noch nie vor der unsrigen Zeit eine Epoche oder eine Kultur, die auf breiter Front die Forderung propagiert hat, gleichgeschlechtliche Kontakte müssten der Ehe rechtlich vorbehaltlos gleichstellt werden. Die Kirche verurteilte ohne Ausnahme nahezu 2000 Jahre lang homosexuelle Handlungen. Erst seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts meinten einige, sie müssten diese Überzeugung revidieren. Ein zentrales Argument für die Neubewertung der Homosexualität war die Interpretation der betreffenden Bibelstellen.


3.    Zum Verständnis einiger für die Homosexualitäts-Debatte wichtiger Bibelstellen

Häufig wird in den letzten 40 Jahren in kirchlichen und theologischen Verlautbarungen behauptet, die Aussagen der Bibel zum Thema Homosexualität seien bisher falsch interpretiert worden. Wenn man sie richtig auslegen würde, würde man erkennen, dass die Bibel keineswegs jede Form homosexuellen Umgangs untersage.

 

Aus einem Sonderdruck der HuK kann man erfahren: „Ein biblisches Verbot homosexueller Liebe existiere gar nicht“. In der Bibel gehe es, so wird behauptet, lediglich um das Verbot derjenigen homosexuellen Handlungen, die im Kontext von Götzendienst, also von einheimischen Fremdreligionen stünden („kultische Homosexualität“) sowie um Praktiken, bei denen einer gedemütigt werde, wie gleichgeschlechtliche Prostitution oder Vergewaltigung. Nirgendwo würde die Bibel über durch Liebe geprägte homosexuelle Kontakte sprechen, geschweige denn diese verurteilen. Oder man lehrt, Homosexualität komme im Neuen Testament als eigenständiges Thema gar nicht vor. Andere räumen zwar ein, dass Paulus Homosexualität ablehne, da er aber aus dem Judentum stamme, reichten die Aussagen dieses ehemaligen Pharisäers nicht aus, Homosexualität in einer christlichen Ethik zu verurteilen.

 

Viele Überlegungen zur „exegetischen Neubewertung der biblischen Stellen“ gehen auf das Buch von D.S. Bailey Homosexuality and the Western Christian Tradition zurück.

 

 

3.1. Sodom (1. Mose 19, 1-12)

 

Traditionell verstand man das in 1. Mose 19, 1-12 geschilderte Ereignis folgendermaßen: Gott hatte dem Abraham zugesagt, Sodom zu verschonen, wenn mindestens 10 Gerechte in der Stadt angetroffen werden (1. Mose 18, 22-23). Der Besuch der Engel zeigt, dass selbst diese geringe Anzahl nicht erreicht wird. Ja, die Stadt war so gottlos, dass man noch nicht einmal die beiden Boten gastfrei aufnahm. Schließlich lud sie Lot - selbst ein Fremdling - zu sich in sein Haus ein (19, 1-3). Als es Zeit war schlafen zu gehen, umzingelten die jungen und alten Sodomiten das Haus Lots (19, 4) und verlangten die Auslieferung der beiden Fremden, um sie homosexuell zu missbrauchen (19, 5-6). Lot versuchte, diesem Gräuel dadurch zu begegnen, dass er ihnen seine beiden Töchter anbot (19, 7-9). Offensichtlich hielt er dieses für eine geringere Schandtat. Dank des Eingreifens der Engel wurden die Töchter Lots vor dieser Abscheulichkeit bewahrt (19, 10-11). Nachdem am folgenden Tag Lot mit seiner Familie aus Sodom geflohen war, wurden Sodom und die umliegenden Orte durch einen göttlichen Feuer und Schwefelregen vernichtet (19, 12ff).

 

Diese Auslegung wird durch zwei unterschiedliche Interpretationsweisen in Frage gestellt. Zum einen behauptet man, die Männer Sodoms hätten gar keine gleichgeschlechtlichen Handlungen beabsichtigt. Die Sodomiten wollten lediglich wissen, wer die Fremden waren. Man argumentiert folgendermaßen: Nirgendwo komme in diesem Abschnitt das hebräische Wort für Homosexualität vor. Vielmehr begegne ein Begriff, der mit „erkennen“ (hebr.: jada) zu übersetzen ist (19, 5). Dieses Wort könne zwar in übertragenem Sinn, also im Sinn von „Geschlechtsgemeinschaft haben“, verwendet werden, aber gewöhnlich meine es nichts anderes als „kennenlernen“, „überprüfen der Identität“. Von den 943 Vorkommen dieses Wortes im Alten Testament habe es nur an 12 Stellen den übertragenen Sinn. In 1. Mose 19, 5 meine „erkennen“ soviel wie „überprüfen der Identität“. Die Sodomiten würden also in diesem Vers Lot auffordern, die Fremden aus dem Haus zu bringen, damit ihre Identität überprüft werden könne. Offensichtlich sei Lot unter der Bevölkerung Sodoms


nicht sonderlich beliebt gewesen. Vielleicht sei es ihm als einem Fremden gar nicht gestattet gewesen, andere Fremde aufzunehmen, da jene ja feindliche Spione hätten sein können. Auf jeden Fall aber habe man die Fremden erst überprüfen wollen, um ganz sicher zu gehen, dass es keine Kundschafter seien. Genau dieses sei in 1. Mose 19, 5 zum Ausdruck gebracht worden.

 

Die Bitte Lots in 1. Mose 19, 7 („tut den Fremden nichts Böses“) dürfe man nicht so verstehen, dass der Mob auf die beabsichtigte homosexuelle Vergewaltigung verzichten möge, sondern bei dem

„Bösen“ sei an die Schändung des Gastrechts zu denken. Für Lot sei durch die Überprüfung der Identität der Fremden das Gastrecht verletzt worden.

 

Zu dieser Deutung ist folgendes zu sagen: Einmal abgesehen davon, dass von den 12 Stellen, in denen jada im Alten Testament im Sinn von „Geschlechtsgemeinschaft haben“ vorkommt, 10 Stellen im 1. Mose buch zu finden sind (z.B. 1. Mose 4, 1.17.25), ist stets der jeweilige Zusammenhang zu beachten. Ob das hebräische Wort jada mit „kennenlernen“ zu übersetzen ist oder in übertragenem Sinn verstanden werden muss, also im Sinn von „sexuelle Gemeinschaft haben“, kann man nicht aus abstrakten Wortstatistiken ableiten. In 1. Mose 19, 8 kommt das gleiche Wort noch einmal vor. An dieser Stelle ist es unstrittig in übertragenem Sinn zu verstehen. Da es unwahrscheinlich ist, dass derselbe Begriff innerhalb weniger Sätze in zwei unterschiedlichen Bedeutungen verwendet wird, ohne dass sich dafür aus dem Kontext ein zwingender Grund ergibt, ist es zumindest wahrscheinlicher, dass das hebräische Wort jada in Vers 5 genauso zu verstehen ist wie in Vers 8, also als „sexuelle Gemeinschaft haben“.

 

Abgesehen von dieser sprachlichen Erwägung ist nicht einzusehen, warum Lot, falls die Sodomiten lediglich wissen wollten, ob die Fremden feindliche Spione seien, eine Überprüfung ihrer Identität unter allen Umständen verhindern wollte. Falls die Sodomiten lediglich den Wunsch gehabt hätten, die Identität zweier Fremder zu überprüfen, mutet es geradezu grotesk an, anstatt dieses Ersuchen zu erfüllen, die eigenen Töchter zur Vergewaltigung anzubieten. Jedenfalls galt es im Orient keineswegs als Verletzung des Gastrechts, die Identität von Fremden zu überprüfen.

 

Die Behauptung, die Sodomiten hätten das Gastrecht geschändet, trifft zu (siehe: Matthäus 10, 14-15; Lukas 10, 10-12). In der in 1. Mose 19 geschilderten Situation verletzten die Einwohner Sodoms das Gastrecht dadurch, dass sie den Fremden keine Unterkunft anboten. Dass sie danach die Gäste in scheußlichster Weise sexuell missbrauchen wollten, ist zwar in gewisser Weise auch Schändung des Gastrechts, aber dieser Gesichtspunkt steht nicht im Vordergrund. Die Antwort Lots („siehe doch, ich habe zwei Töchter, die noch keinen Mann erkannt haben“, 19, 8) zeigt, dass sich Lot darüber im Klaren war, dass das Ansinnen der Sodomiten nicht allgemein die Verletzung des Gastrechts betraf, sondern dass es im Ausleben sexueller Lüsternheit bestand.

 

Kurzum: Als Lot auf die Aufforderung der Männer, die Fremden zu „erkennen“, antwortet, „tut nicht Böses, Brüder“(19, 7), legen es weder sprachliche Gründe noch der Zusammenhang und nicht zuletzt der innere Aufbau des Berichtes nahe, diese Aussage auf die Schändung des Gastrechts zu beziehen. Wesentlich plausibler ist das traditionelle Verständnis dieser Antwort, nach der an homosexuelle Vergewaltigung zu denken ist. Auch der Ausruf, „wir wollen dir ärger tun als jenen...“ (1. Mose 19, 9) macht keinen Sinn, wenn es den Einwohnern Sodoms lediglich um das Kennenlernen der Fremden gegangen wäre.

 

Noch auf eine zweite Weise sucht man das traditionelle Verständnis von 1. Mose 19, 1-12 in Zweifel zu ziehen. Dabei räumt man zwar ein, dass die Einwohner Sodoms auf homosexuelle Handlungen mit den Fremden aus waren, aber man lehnt eine unmittelbare Verbindung zwischen den homosexuellen Taten und dem Gericht Gottes über Sodom und Gomorra ab. Die Argumentation verläuft folgendermaßen: Wenn es in 1. Mose 19 einen Zusammenhang zwischen homosexuellen Verirrungen und dem Gericht Gottes gegeben hätte, hätte Gott viel mehr kanaanitische Städte zerstören müssen. Denn in den anderen Orten hätten ebenfalls homosexuelle Handlungen stattgefunden. In 1. Mose 19 dürfe der gleichgeschlechtliche Aspekt auch deswegen nicht akzentuiert werden, weil in vielen Abschnitten der Heiligen Schrift, die über Sodom sprechen, von Homosexualität mit keiner Silbe die Rede sei (siehe z.B.: Jesaja 3, 9; Jeremia 23, 14; Hesekiel 16, 49-50). Die Gleichgeschlechtlichkeit sei lediglich ein untergeordneter Aspekt im Rahmen der Missachtung jeglicher sozialer Verantwortung gewesen. Folglich dürfe man die homosexuellen Handlungen nicht kausal mit dem Gericht Gottes verknüpfen.

 

Zu dieser Interpretation ist folgendes zu sagen: Es ist unbestritten, dass Gott die Sodomiten nicht ausschließlich wegen homosexueller Praktiken richtete. Aber dass gleichgeschlechtliche Handlungen der einzige Grund für das Vernichtungsurteil Gottes waren, ist noch niemals von einem Ausleger der Heiligen Schrift behauptet worden. Unzweifelhaft kamen noch weitere Vergehen hinzu. Zum Beispiel war die Rechtsprechung durch Verlogenheit und Korruption, durch Hochmut und Egozentrik gekennzeichnet (Hesekiel 16, 49ff; vergleiche ferner: Jesaja 1, 9; 3, 9ff; Jeremia 23, 14; Klagelieder 4, 56).

 

Jedoch ist es falsch, in 1. Mose 19 die Homosexualität als etwas Untergeordnetes zu bewerten. Vielmehr macht der Aufbau des Berichts über den Untergang Sodoms deutlich, dass die homosexuelle Gier der letzte und damit ausschlaggebende Grund für das Gericht Gottes an dieser Stadt war: Bereits in 1. Mose 13, 13 wurde Sodom wegen seiner Verdorbenheit angeklagt („die Leute von Sodom waren böse und große Sünder vor dem Herrn“). Der eigentliche „Prozess“ setzte dann mit der Einkehr Gottes bei Abraham ein (1. Mose 18, 20). Danach begaben sich die Boten Gottes nach Sodom, um gleichsam zu untersuchen, ob der Vorwurf rechtmäßig war. Die Verhaltensweise der Sodomiter bewies die Berechtigung der Anklage. Von daher ist die homosexuelle Geilheit zwar nicht der einzige, wohl aber der ausschlaggebende Grund für das Vernichtungsurteil Gottes über Sodom.

 

Die enge Verknüpfung zwischen sexuellen Verwilderungen der Sodomiter und dem Gericht Gottes untermauern Aussagen aus dem Neuen Testament (2. Petrus 2, 6-10; Judas 7). Sowohl der Ausdruck

„ausschweifend“  (2. Petrus  2, 7)  weist  auf  promiskuitives  Verhalten  als  auch  der Ausdruck

„Befleckung des Fleisches“ (2, 10). Auch Judas 7 spricht im Blick auf Sodom von sexueller Unzucht. Dass in 2. Petrus 2, 8 das Verhalten der Sodomiter als "gesetzlos" bezeichnet wird, zeigt, dass diese zeitlich vor der Sinaigesetzgebung lebenden Menschen nicht einfach im Sinn J.J. Rousseaus „unschuldige Heiden“ sind, sondern dem Willen Gesetz unterstehen und moralisch verantwortlich sind. Ähnliches lehrt auch Römer 1, 18-32.

 

Homosexualität kam nicht nur in Sodom und Gomorra vor, sondern in vielen kanaanitischen Orten. Aus diesem Grund werden die restlichen kanaanitischen Städte ein paar Jahrhunderte später ebenfalls gerichtet, als das Maß ihrer Schuld voll war (1. Mose 15, 16ff; vergleiche: 3. Mose 18, 15). Sodom unterschied sich von den anderen Orten darin, dass in dieser Stadt homosexuelle Praktiken in besonders schamloser Weise vollzogen wurden: Das ganze (!) Volk (1. Mose 19, 4) machte sich schuldig, vom jungen Mann bis zum Greis. Die Sodomiter hatten auch keineswegs ausschließlich gleichgeschlechtliche Lüste, denn sonst hätte es keinen Sinn gemacht, ihnen die Töchter Lots anzubieten. Nach heutigem Verständnis waren sie also nicht ausschließlich homosexuell orientiert, sondern bisexuell.


Kurzum: Das Wort Gottes lässt keinen Zweifel daran, dass die homosexuellen Irrwege der Sodomiten ein wesentlicher, wenn nicht der zentrale Grund für das Gericht Gottes über Sodom und Gomorra war. Indem Gott mit diesem Gerichtsurteil sehr häufig warnt, und zwar sowohl sein alt- und neutestamentliches Volk (siehe: 5. Mose 29, 22-23; 32, 30-32; Jesaja 1, 8-10; 3, 9; Jeremia 23, 14; Klagelieder 4, 6; Lukas 17, 28-29; Judas 7; Offenbarung 11, 8) als auch andere Völker (Jesaja 13, 19-22; Jeremia 49, 17-18; 50, 40; Zephania 2, 9), macht er eines deutlich: Eine Gesellschaft, in der Menschen ihre Mitmenschen nur noch als Objekte ihrer durch ein sexualisiertes Bewusstsein aufgestachelten Begierden wahrzunehmen vermögen, ist gerichtsreif.

 

 

3.2. Gibea (Richter 19)

 

In dem Ereignis, das in Richter 19 berichtet wird, geschah nach traditioneller Auslegung folgendes: Ein im Gebirge Ephraim wohnender Levit hatte sich eine Nebenfrau aus Bethlehem in Juda genommen. Diese Frau wurde ihm untreu und kehrte in das Haus ihres Vaters zurück. Nach einigen Monaten reiste der Levit seiner Frau nach, um sie wieder heimzuholen. Trotz mancher Verzögerungsversuche von seiten seines Schwiegervaters gelang es ihm, mit ihr aufzubrechen. Da aber die beiden erst so spät am Tag losgezogen waren, dass sie ihren Bestimmungsort nicht mehr erreichten und eigentlich in Jebus, einer von Heiden bewohnten Stadt, hätten übernachten müssen, unternahmen sie allergrößte Anstrengungen, um in einer von eigenen Volksgenossen (Benjaminiten) bewohnten Stadt zu nächtigen. Nachdem sie dort nach längerer vergeblicher Herbergssuche endlich bei einem Fremdling Unterkunft gefunden hatten, spielte sich folgendes ab: Die Männer Gibeas („Nichtswürdige“ V. 22) umzingelten das Haus, um den Leviten homosexuell zu missbrauchen. Der Gastgeber ging daraufhin vor die Haustür und versuchte, die Männer zu beschwichtigen. Zur Ablenkung bot er ihnen sogar seine Tochter sowie die Nebenfrau seines Gastes zum sexuellen Missbrauch an. Doch die Männer hörten nicht auf ihn. Schließlich gab der Levit den Männern seine Nebenfrau. Diese wurde so brutal vergewaltigt, dass sie im Lauf der Nacht starb. Am folgenden Morgen schleppte er sie in sein Haus, zerschnitt sie in 12 Stücke und sandte sie in alle Gebiete des Landes Israel, um die Stämme Israels zu einem Rachefeldzug gegen die Benjaminiten aufzurufen.

 

Auch diese Auslegung wird in Frage gestellt. Es wird auch hier mit dem Begriff „erkennen“ (jada; hier im Futur) argumentiert (19, 22). Aber auch an dieser Stelle kann „erkennen“ nicht

„kennenlernen“ im Sinn des Überprüfens der Identität meinen. Genau wie in Richter 19, 25 hat es auch hier einen sexuellen Sinn. Das Verlangen der Männer zielte auf homosexuellen Lustgewinn (siehe: Richter 19, 23-24). Indem der Gastgeber den Jebusitern nicht nur seine eigene Tochter, sondern auch die Nebenfrau seines Gastes anbot, kann das Verhalten der Männer nicht als Vergehen gegen das Gastrecht erklärt werden.

 

 

3.3. 3. Mose 18, 22 und 20, 13

 

Es wird behauptet: Da die kultischen Gesetze des Alten Testamentes im Neuen Bund abgeschafft („erfüllt“) seien, sei es nicht statthaft, dass man sich heute bei der Beurteilung der Homosexualität auf diese beiden Verse berufe. Vielmehr seien diese Stellen für die Beurteilung homosexuellen Verhaltens in der christlichen Ethik genauso irrelevant wie es die alttestamentlichen Opfer- und Priestervorschriften für die gegenwärtige Gottesdienstordnung seien (siehe: 3. Mose 1ff) oder wie es die Speisegebote für die Frage seien, was man auf den täglichen Speiseplan setzen solle (3. Mose 11). Wer mit 3. Mose 18, 22 und 20, 13 die Homosexualität verbieten wolle, müsste konsequenterweise den Opferdienst einführen, er müsste denjenigen von der Kanzel werfen, der lahm oder sonstwie behindert sei (3. Mose 21, 18ff), er dürfte kein Hasen- und Schweinefleisch verzehren (3. Mose 11, 6- 7), und er dürfte keine Kleider aus unterschiedlichem Stoff tragen (5. Mose 22, 11). Da derartige Konsequenzen zu Recht niemand ziehe, habe man endlich aufzuhören, für die Beantwortung der Frage nach Recht und Unrecht homosexueller Lebensformen auf die alttestamentlichen Homosexualitätsverbote zu weisen.

 

Zu dieser Argumentation ist folgendes zu sagen: Zunächst ist es in der alttestamentlichen Forschung keineswegs unumstritten, ob es überhaupt so etwas wie kultische Homosexualität bei den Kanaanitern gab. Manche weisen auf die Widersinnigkeit, dass ausgerechnet im Rahmen einer Fruchtbarkeitsreligion, also im Rahmen eines Kults, in dem Zeugen und Gebären zentrale Größen waren, homosexuelle Praktiken ausgeübt wurden. Das Wort, das im Alten Testament mit „Buhler“ oder mit „Tempelhurer“ übersetzt wird (vergleiche: 1. Könige 14, 24; 15, 12; 22, 47; 2. Könige 23, 7; Hosea 4, 14), sei auch in der Umwelt Israels vorgekommen. Dort, etwa im Ugaritischen, habe es keinerlei sexuelle Assoziation. Es meine dort lediglich Priester oder Tempeldiener. In der babylonischen Religion seien die männlichen Geweihten Eunuchen gewesen: Sie hätten als geschlechtslose, mythische Wesen verkleidet an Prozessionen teilgenommen.

 

Andere wollen dagegen nicht kategorisch ausschließen, dass es auch homosexuelle Tempelprostitution bei den Kanaanitern gab. Bei primitiven Völkern seien homosexuelle Einweihungsriten für Jugendliche in der Pubertät vorgekommen und hätten einen religiösen Sinn gehabt.

 

Falls es im Orient gar keine homosexuelle Tempelprostitution gab, stürzt die Behauptung, in 3. Mose 18 und 3. Mose 20 sei ausschließlich kultische Homosexualität verboten worden, in sich zusammen. Denn es ist offensichtlich, das etwas, das überhaupt nicht vorkam, nicht verboten zu werden braucht.

 

Aber selbst wenn derartiges im Vorderen Orient vorkam, ist es nicht möglich, die Verbote im 3. Mosebuch auf kultische Homosexualität zu beschränken. Um die Aussage in 3. Mose 18, 22 richtig zu verstehen, wird man den Zusammenhang, in dem dieser Vers steht, beachten müssen, das heißt sowohl 3. Mose 18, 1-5 als auch Vers 24. Aus diesen Aussagen wird deutlich, worum es Gott in den dazwischen stehenden Versen (18, 6-23) geht: Die Israeliten sollen sich in ihrem Verhalten nicht den umliegenden Völkern anpassen, sondern sich in jedem Bereich bis hinein in die Dimension ihrer Geschlechtlichkeit anders als die Heiden verhalten, und zwar sowohl anders als die Ägypter, von denen sie weggezogen sind als auch anders als die Kanaaniter, in deren Land sie einziehen. Dieses Kapitel grenzt also keineswegs nur von den Kanaanitern ab und schon gar nicht nur von deren Tempeldienst.

 

Vielmehr geht es in den Versen 18, 6ff um Verhaltensnormen in einer Großfamilie: Obwohl häufig mehrere Generationen auf sehr engem Raum zusammenlebten (während der Wüstenwanderung oft in einem einzigen Zeltraum), musste man dennoch Grenzen im Blick auf Eltern, Schwiegerfamilie und Kinder in achtnehmen. Auch mit den sich oft außerdem noch im Zelt herumtreibenden Tieren durfte man sich nicht sexuell abgeben. Der Kontext, in dem 3. Mose 18, 22 steht, legt also gerade nicht nahe, hier an Fragen rund um den Kult zu denken. Vielmehr geht es um das Einhalten sexueller Schranken in einer (Groß)familie.

 

Im übrigen weiß man über den in 3. Mose 18, 21 erwähnten Molochdienst noch zu wenig, um definitiv die Frage beantworten zu können, warum er in diesem Rahmen erwähnt wird. Immerhin


erscheint soviel klar: Dieser Götzendienst zerstörte die Familie (siehe: Jeremia 32, 35). Insofern hat er in diesem Zusammenhang unzweifelhaft sein gutes Recht. In 3. Mose 20, 5 wird von einem „Dem- Moloch-Nachhuren“ gesprochen. Es besteht kein Grund, dieses „Nachhuren“ nur in übertragenem Sinn zu begreifen. Möglicherweise hatte der Molochgötzendienst mehr mit sexueller Unzucht zu tun als wir heute wissen.

 

Wenn es in 18, 22 tatsächlich ausschließlich um kultische Homosexualität ginge, stellt sich die Frage, warum das dafür übliche Wort „Buhler“ an dieser Stelle nicht vorkommt. Und warum verbietet 3. Mose 18, 22 nicht auch gleich die heterosexuelle Tempelprostitution, die sicherlich nicht seltener vorkam? Außerdem: Wenn in diesen Versen ausschließlich kultische sexuelle Handlungen verboten würden, nichtkultische aber (stillschweigend) erlaubt wären, müsste konsequenterweise außerhalb kultischer Praktiken auch Inzest (18, 6ff) und sexueller Umgang mit Tieren (18, 23) für akzeptabel gehalten werden.

 

Auch die Bezeichnung „Gräuel“ (hebr.: toeba) in 18, 22 beweist keineswegs, dass hier allein an kultische Homosexualität gedacht ist. Der Begriff „Gräuel“ kommt zwar vor, um abscheuliche Dinge innerhalb des heidnischen Kultus anzudeuten (siehe: 5. Mose 7, 25ff; 12, 31), aber das Wort kommt eben auch in nicht-kultischem Zusammenhang vor (siehe: 5. Mose 24, 4; 25, 13-16). Generell will „Gräuel“ nichts anderes als eine kategorische Tabuisierung ausdrücken. Bei diesem Begriff geht es um etwas, das mit dem Wesen Gottes, des Schöpfers, nicht vereinbar ist. Es gibt keinen Grund, den Ausdruck „Gräuel“ in 3. Mose 18, 27 nur auf die Verse 18, 22 oder 18, 21-23 zu beziehen. Viel näher liegt es, dass sich der Begriff auf alle Verbote ab 18, 6 bezieht. In 18, 6-20 geht es unbestritten nicht um kultische Handlungen.

 

Aber selbst wenn man nicht davon abzubringen ist, dass 3. Mose 18, 22 ausschließlich kultische Homosexualität verbietet, in 3. Mose 20, 13 lässt sich das Verbot homosexueller Handlungen nun wirklich weder aufgrund des Kontextes (da steht das Verbot zwischen zwei „ethischen“ Verboten) noch sonst aufgrund irgendwelcher exegetischer Argumente auf homosexuelle Tempelprostitution einschränken.

 

Machen wir uns nichts vor: Weder in 3. Mose 18, 22 und 20, 13 geht es ausschließlich oder auch nur vorrangig um kultische Tempelprostitution (falls es homosexuelle Kultpraktiken überhaupt gegeben hat). Vielmehr geht es in diesen Stellen um den Schutz der mit und in der Schöpfung gegebenen Ordnungen für das Geschlechtsleben und damit um Bewahrung vor dem Chaos und dem Verderben der Ehe und der (Groß)familie.

 

Im Unterschied zu 1. Mose 19 und Richter 19, in denen homosexuelle Handlungen verurteilt werden, die im Zusammenhang mit Gier und brutaler Vergewaltigung stehen, liegt der Fall bei den beiden Gesetzesstellen anders. Hier geht es um diejenige Form gleichgeschlechtlicher Handlungen, in denen ein Mann bei einem Mann liegt „wie man bei einer Frau liegt“. Diese Formulierung erlaubt nicht, an homosexuelle Handlungen zu denken, die im Kontext von Gewaltanwendung stehen. In heutigem Sprachgebrauch würde man möglicherweise von einer „partnerschaftlichen Beziehung mit analem Koitus“ sprechen. Aber obwohl beide Partner einwilligen, verurteilt die Heilige Schrift auch diese Form gleichgeschlechtlicher Beziehung als Gräuel. Offensichtlich nimmt Gott bei der Beurteilung gleichgeschlechtlicher Praktiken keine Rücksicht auf Voraussetzungen, Motive oder Umstände.

 

Die Behauptung, dass das Alte Testament für die Christliche Ethik ohne Bedeutung sei, weil wir im Neuen Bund leben, ist in dieser Pauschalität nicht richtig. Zwar sind zum Beispiel der aaronitische


Priesterdienst und die Speisegebote in Christus erfüllt (siehe: Apostelgeschichte 10, 9ff; Kolosser 2, 16ff; Hebräer 7, 28; 9-10), aber damit ist keineswegs alles, was das Alte Testament gebietet, für Christen irrelevant. Bleiben wir nur einmal bei den Kapiteln, in denen die beiden Verbote zur Homosexualität stehen, also die Kapitel 18-20 des 3. Mosebuches. Diese enthalten sehr viele Gebote, die im Neuen Testament direkt zitiert werden: 3. Mose 19, 2 (1. Petrus 1, 16); 19, 18 (Matthäus 5, 43; 19, 19; 22, 39; Markus

12, 31.33; Lukas 10, 27; Römer 13, 9; Galater 5, 14; Jakobus 2, 8); 20, 9 (Matthäus 15, 4; Markus 7, 10). Beachte ferner:

3. Mose 18, 8 (1. Korinther 5, 1); 18, 16 (Matthäus 14, 4; Markus 6, 17-18); 19, 13 (Jakobus 5, 4); 19, 15 (Jakobus 2, 9); 19, 17

(Matthäus 18, 15; 20, 21); 20, 26 (1. Petrus 1, 16).

 

Abgesehen von diesen im Neuen Testament anzutreffenden Zitaten aus dem Kontext des Homosexualitätsverbotes bezeugt das Neue Testament ausdrücklich, dass zwar der aaronitische Priesterdienst und die Speisegebote in Christus erfüllt und insofern abgeschafft sind, dass aber andererseits das alttestamentliche Verbot homosexueller Beziehungen nach wie vor in Kraft ist (siehe: 1. Timotheus 1, 10). Das kategorische Verachten des alttestamentlichen Gesetzes, wie es in der Frühen Kirche Marcion tun zu dürfen meinte oder in der jüngsten Vergangenheit die Deutschen Christen, ist irrig.

 

Dass homosexuelle Handlungen mit dem Tod bestraft werden sollen (3. Mose 20, 13), übrigens genauso wie Ehebruch, Inzest und sexueller Verkehr mit Tieren (siehe: 3. Mose 20, 10-21), begründet Gott damit, dass ein Gemeinwesen, das sich über die Normen Gottes im geschlechtlichen Bereich hinwegsetzt, zugrunde gehen wird (siehe: 20, 22). Auch bei diesem Gebot geht es Gott zutiefst um den Erhalt der Menschen.

 

Dass die neutestamentliche Kirche in einer heilsgeschichtlich anderen Situation lebt und das Schwert nicht führen darf, ist so selbstverständlich, dass es nicht weiter betont zu werden braucht.

 

 

3.4. Römer 1, 18-32

 

Nach traditionellem Verständnis legt der Apostel Paulus in Römer 1, 18ff dar, wie sich der Zorn Gottes vom Himmel her über alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen offenbart. Gott gibt die Menschen, die ihn nicht ehren und sich von ihm abwenden, dahin (1, 24.26.28). Die Menschen wenden sich dem Geschaffenen zu. (Beachte das dreimalige: sie haben „verwandelt“: 1, 23.25.26). Die Folgen dieser Abirrung sind Unreinheit (1, 24), gegenseitiges Schänden der Leiber (1, 24), schändliche Leidenschaften (1, 26), Verdrehen der Sexualität (1, 26), Wollust (1, 27), das Miteinander-Schande-Treiben durch gleichgeschlechtliche Handlungen (1, 27) sowie alle in 1, 29-32 aufgezählten Sünden. Gleichgültig, ob der Apostel bei den in 1, 26-32 genannten Sünden die Menschheit als Kollektivum vor Augen hat oder eher an einzelne Menschen denkt, er spricht nicht davon, dass die Menschen in die genannten Sünden hineingeraten (passiv), sondern dass sie

„vertauscht“ haben und dass sie den „natürlichen Umgang verlassen haben“ (aktiv).

 

Auch die hier gemachten Aussagen zur Homosexualität versucht man abzuschwächen, einzuschränken oder zu relativieren. Dabei lassen sich im wesentlichen fünf Argumentationsstränge unterscheiden.

 

Erstens behauptet man, Paulus denke hier (vor allem) an kultische Unzucht. Dieses zeige sich daran, dass die sexuellen Verirrungen unmittelbar an den Götzendienst gekoppelt seien. Außerdem seien kultische homosexuelle Handlungen während des 1. Jahrhunderts sowohl im östlichen Mittelmeerraum als auch in Rom sehr verbreitet gewesen.

Dazu ist folgendes zu sagen: Es trifft zu, dass der Apostel einen engen Zusammenhang zwischen Götzendienst und sittlichen Verirrungen sieht (siehe: 1, 23-24). Aber es ist ein Missverständnis, daraus die Folgerung zu ziehen, in Römer 1, 24-27 sei ausschließlich an kultische Homosexualität gedacht. Dieses ist schon deswegen unwahrscheinlich, weil die ab 1, 28 aufgezählten Sünden zweifellos keinen kultischen Charakter tragen. Vielmehr geht es in diesem Abschnitt um das Aufzeigen, dass der Mensch, der nicht mehr auf Gott ausgerichtet ist, seine Orientierung verliert, zunächst in seinem Denken - er begeht Götzendienst - und dann in seinem Handeln - er verirrt sich im geschlechtlichen Bereich sowie in Mord, Ungehorsam gegenüber Eltern usw.: Religiöse Aversion mündet in moralische Perversion. Wer den Schöpfer durch das Geschöpf ersetzt (1, 23), braucht sich nicht zu wundern, wenn der natürliche Umgang der Geschlechter in den widernatürlichen verdreht wird.

 

Die Behauptung, in der Umwelt des Apostels Paulus seien homosexuelle Kontakte überwiegend im Bereich des Götzenkultes vorgekommen, ist historisch falsch.

 

Zweitens wird behauptet, Paulus verstehe die Homosexualität nicht als moralisch zu verurteilende Verfehlung, sondern als Strafe bzw. als Gericht Gottes: Das zweifache „Darum“ in Römer 1, 24 und 26 zeige, dass Homosexualität nicht der Grund des Zornes Gottes sei, sondern die Folge. Nirgendwo in diesem Abschnitt würden homosexuelle Handlungen moralisch verurteilt werden.

 

Dazu ist zu sagen: Es trifft zu, dass Paulus in Römer 1 die Homosexualität als Gericht über die Sünde der von Gott abgefallenen Menschen sieht. Aber es ist falsch zu meinen, er verstehe sie nur so. Einmal abgesehen von den anderen beiden Stellen, in denen der Apostel die Schuldhaftigkeit homosexuellen Verhaltens unmissverständlich zum Ausdruck bringt (1. Korinther 6, 9 und 1. Timotheus 1, 10), zeigen Formulierungen in Römer 1, dass der Apostel auch hier Homosexualität als Ausdruck des Aufbegehrens des Menschen gegen Gott versteht und damit als Schuld. Paulus spricht im Blick auf Homosexualität von „Unreinheit“ (1, 24), „Schändung (!) der Leiber“ (1, 24); „schändlichen (!) Leidenschaften“ (1, 26), „unnatürlichem (!) Umgang“ (1, 27); „Wollust“ (1, 27), „Schande treiben“ (1, 27), „Empfangen  des  gebührenden  Lohn  ihrer Verirrung (!) an  sich selbst“ (1, 27), dem

„Bekommen eines verworfenen (!) Sinnes“ (1, 28) und schließlich davon, dass die Menschen tun,

„was sich nicht geziemt“ (1, 28). Gott straft Menschen nicht selten dadurch, dass er sie (noch tiefer) in ihre eigenen Verirrungen stürzen lässt (vergleiche dazu: Psalm 9, 16; 7, 15-16; 107, 17; Sprüche 1, 31-32; 5, 22; 11, 27; Jeremia 4, 18; 2, 19; Hesekiel 11, 21; 2. Petrus 2, 12-13).

 

Wenn man schließlich zugesteht, dass Paulus die Homosexualität in diesem Abschnitt moralisch verurteilt, bringt man drittens folgenden Einwand vor: Indem der Apostel von „Wollust“ (1, 27) spreche, weise er lüsterne Geilheit und apersonale Promiskuität zurück. Aber mit keinem Wort werde in diesem Kapitel gleichgeschlechtliche Partnerschaft verworfen.

 

Dazu ist zu sagen: Es ist zweifellos richtig, dass nicht jede homosexuelle Handlung derjenigen entspricht, die die Bibel in 1. Mose 19 oder in Richter 19 schildert. Aber dieser Einwand setzt voraus, dass in der Heiligen Schrift unterschieden wird zwischen schlechten und guten homosexuellen Handlungen. In der Antike unterschied man gelegentlich zwischen einerseits homosexuellen Handlungen als dem höchsten Ausdruck der Liebe und andererseits homosexueller Tempelprostitution, die in der Regel moralisch disqualifiziert wurde. Obgleich derartige Distinktionen dem Apostel gewiss nicht unbekannt waren, unterscheidet Paulus nicht, sondern er verurteilt jede Art von homosexueller Betätigung, gleichgültig, ob sie durch Wollust motiviert ist oder durch „Partnerschaftlichkeit“. Bei anderen Tätigkeiten unterscheidet die Schrift durchaus, zum Beispiel beim Alkoholkonsum: Der Apostel ordnet nirgendwo völlige Abstinenz an, sondern er ermahnt lediglich zum Maßhalten (siehe: Galater 5, 21; 1. Timotheus 5, 23). Im Gegensatz dazu macht die Heilige Schrift derartige Unterscheidungen weder bei der Homosexualität noch bei den anderen in Römer 1, 29-31 aufgezählten Sünden. Nirgendwo lehrt sie, unter bestimmten Umständen seien Gotteshasser oder Mörder oder eben auch homosexuelle Handlungen nicht zu verurteilen. Vielmehr kommt deutlich zum Ausdruck: Jeder homosexuelle Verkehr ist ein „Irregehen“, ist Empörung gegen Gott und seine Schöpfung.

 

Der vierte und fünfte Einwand, mit denen man das Nein zur Homosexualität in Römer 1 einschränken oder relativieren möchte, bezieht sich auf den Begriff „Natur“ bzw. auf das

„Natürliche“ (Römer 1, 26-27). So behauptet man, Paulus denke bei den Ausdrücken „Natur“ oder

„natürlich“ nicht an die Schöpfung(sordnungen), sondern er spreche hier im Horizont spätjüdischer Auffassungen über Sitte und Anstand. Bei Römer 1, 18ff habe Paulus auf das apokryphe Buch der Weisheit Salomos zurückgegriffen, in dem die Homosexualität als „Gräuel der Heiden“ und als

„widernatürliche Unzucht“ bezeichnet werde (14, 23-24). Daraus zieht man folgenden Schluss: Weil Paulus den Römerbrief an eine Gemeinde geschrieben habe, in der der Judaismus und der Pharisäismus dominierten und die Homosexualität dem Ethos des Judentums entgegenstand, sei das von Paulus ausgesprochene Verbot nur in diesem kulturellen Kontext zu verstehen. „Natur“ sei hier zu übersetzen mit „(jüdische) Sitte“. Weil in der hellenistischen Welt Homosexualität akzeptiert worden sei, sei in jenem kulturellen Kontext das, was Paulus in Römer 1 dargelegt habe, ohne Bedeutung. Denn das, was „Sitte“ sei, sei nun einmal von der Umwelt abhängig. Wenn sich der Apostel an aus dem Hellenismus stammende Gemeinden gewandt hätte, hätte er sicher nicht ein derart negatives Urteil über die Homosexualität ausgesprochen. Da für die Christen der Gegenwart ebenfalls jüdische Sitten und Gebräuche keinerlei Relevanz mehr hätten - sie lebten ja in einem anderen kulturellen Kontext -, sei für sie das negative Urteil des Juden Paulus über die Homosexualität bedeutungslos.

 

Auf diesen Einwand ist folgendes zu entgegnen: Es ist richtig, dass die jüdische Kultur gegen homosexuelle Praktiken in jeder Form war. Es ist auch anzunehmen, dass Paulus das Buch der Weisheit gekannt hat. Gleichwohl trifft es nicht zu, dass der Apostel bei der Verwendung des Begriffs „Natur“ spätjüdische Sitten und Gebräuche vor Augen hatte. Der Zusammenhang von Römer 1 legt es nahe, bei dem Begriff „Natur“ an die Schöpfung(sordnungen) zu denken, so wie diese aus den ersten Kapiteln der Heiligen Schrift hervorgehen.

 

Wenn es in diesem Abschnitt heißt, dass die Gottlosen die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes in das Gleichnis (!) des Schöpfers (!) pervertiert haben (Römer 1, 23), ist dieser Sachverhalt die genaue Verdrehung dessen, was in 1. Mose 1, 26. geschrieben steht: Es war Gott, der den Menschen in seinem Bild und Gleichnis schuf. Auch der Hinweis auf das „Verwandeln der Herrlichkeit des unverweslichen Gottes“ in „Vögel und kriechende Tiere“ lässt unweigerlich an die Vögel des Himmels und an das Gewürm denken, von denen in 1. Mose 1, 26 gesagt ist, dass der Mensch über sie herrschen soll. Diese Aussagen lassen es wesentlich naheliegender erscheinen, dass Paulus bei

„Natur“ nicht an einen spätjüdischen Sittenkodex denkt, sondern an die Schöpfung(sordnungen). Mit anderen Worten: Der Apostel argumentiert hier nicht kulturell, er will das Verbot homosexueller Handlungen nicht durch Kontextualisierung relativieren („im jüdischen Kulturraum habe das Homosexualitätsverbot gegolten, im hellenistischen nicht“), sondern indem er an die Schöpfung erinnert, argumentiert er transkulturell und damit universal: Der in einer schuldhaften Umkehrung des schöpfungsgemäßen Umgangs mit der Geschlechtlichkeit begründete Zorn Gottes ergießt sich ausnahmslos über alle (!) Menschen (Römer 1, 18).

 

Schließlich (fünftens) wird gegen die traditionelle Auslegung von Römer 1 zur Homosexualität vorgebracht, dass Paulus hier nicht von Menschen spreche, die homosexuell orientiert („homophil“) seien, sondern dass er hier lediglich diejenigen verurteile, die „von Natur aus“ heterosexuell orientiert seien und homosexuelle Handlungen ausüben. Paulus habe bei seinen Aussagen Menschen vor Augen, die den natürlichen Umgang in den gegennatürlichen „verwandelt“ hätten (1, 26). Dass derartiges nicht akzeptabel sei, ist man (eventuell) bereit, zuzugestehen. Doch, so argumentiert man, es gebe viele Menschen, die „von Natur aus“ homosexuell orientiert seien. Wenn Menschen „von Natur aus“ homosexuell gepolt seien, dann sei für sie dasjenige „natürlich“, was für heterosexuell Orientierte „widernatürlich“ sei. Folglich dürfe man die Aussagen in Römer 1 nicht auf homosexuell Orientierte beziehen. Ja, aus dieser Perspektive stelle Römer 1, 26-27 eine Rechtfertigung für homosexuelle Handlungen dar. Denn Paulus gebiete ja, man solle gemäß seiner Natur leben, und dieses heiße für gleichgeschlechtlich Veranlagte, sie sollten sich homosexuell betätigen.

 

Zu dieser Argumentation ist folgendes zu sagen: Selbst wenn man einmal annimmt, Römer 1 habe nur bei fakultativen Homosexuellen Geltung und nicht bei homosexuell Veranlagten, ist klar, dass ein homosexuell Orientierter allenfalls entsprechend seiner psychischen Natur handelt, wenn er sich homosexuell betätigt, jedoch nicht entsprechend seiner physischen Natur. Der Einwand wäre also nur dann überzeugend, wenn man zwei gegeneinanderstehende „Naturen“ im Menschen unterscheiden würde, eine psychische und eine physische Natur. Außerdem müsste man die psychische Natur stärker berücksichtigen als die physische.

 

Aber von derartigen sophistisch anmutenden Distinktionen steht nicht nur nichts in Römer 1, sondern die gesamte Gedankenführung dieses Abschnittes spricht gegen eine derartige Unterscheidung. Es geht dem Apostel in Römer 1, 18-32 nicht um die Frage, ob Menschen, die homosexuelle Praktiken betreiben, homosexuell veranlagt („homophil“) sind oder nicht, sondern es geht ihm um das Dahingegeben-worden-Sein der Menschen, die von dem allmächtigen Schöpfer nichts wissen wollen und deswegen geistig in die Irre gehen und sich in Schöpfungsperversionen verstricken, bis sie daran zugrundegehen. Indem der Apostel Paulus undifferenziert jeden homosexuellen Umgang verurteilt, lässt er völlig unberücksichtigt, was der eine oder der andere in seinem Innern erfährt. Wenn Paulus von „natürlichem Umgang“ spricht (Römer 1, 27), dann meint er mit „natürlich“ nicht das, was heutige Humanwissenschaftler gemeinhin als „anlagebedingt“ oder als „konstitutionell“ bezeichnen, sondern er denkt an die schöpfungsgemäße Ordnung, so wie sie in 1. Mose 1-2 in der Zuordnung von Mann und Frau geschildert werden. Was „naturgemäß“ ist, leitet der Apostel Paulus also nicht aus einer wie auch immer gearteten Beobachtung ab, sondern er findet dieses durch das Hören auf 1. Mose 1-2. Aufgrund dieser Kapitel ist jede Form der Homosexualität widernatürlich, das heißt gegen die Schöpfung.

 

 

3.5.    1.Korinther 6, 9-10 und 1.Timotheus 1, 8-10

 

Die folgenden beiden Aussagen im Neuen Testament zum Thema der Homosexualität fassen wir zusammen. In 1. Korinther 6, 9-10 und 1. Timotheus 1, 10 stehen zwei griechische Worte: malakós und arsenokoítes. Luther übersetzt malakós mit „Lustknabe“, „Weichling“ und arsenokoítes mit

„Knabenschänder“.

 

In neuerer Zeit sind gegen diese Übersetzungen Einwände vorgebracht worden. Zunächst zum Begriff malakós (Lustknabe, Weichling). Hier begegnet die Auffassung, dieses Wort habe überhaupt nichts mit dem Thema der Homosexualität zu tun. Es meine nichts anderes als „schwach“ oder „weich“, und zwar „weich“ mit der Assoziation von „moralisch lax“, „weichlich“: Paulus denke hier einfach an moralisch schwächliche Menschen, heute würde man vielleicht von „Softis“ sprechen. Andere räumen zwar ein, malakós habe etwas mit Homosexualität zu tun, aber es sei allein an Männer zu denken, die missbraucht werden. Wiederum andere denken ausschließlich an Päderasten oder an männliche Prostituierte.

 

Dazu ist zu sagen: Tatsächlich meint malakós zunächst nichts anderes als „weich“, „sanft“, und zwar sowohl im Blick auf Dinge (z.B.: „weiche“ Kleider) als auch auf Menschen („weichlich“,

„verweichlicht“). Darüber hinaus aber wurde es häufig auch in übertragenem Sinn verwendet, für Männer mit weibischem Gehabe. Schließlich gebrauchte man es für Männer, die bei homosexuellen Kontakten mehr die passive Seite übernahmen. Außerdem konnte es für missbrauchte Männer, Päderasten, und männliche Prostituierte („callboys“) verwendet werden. Bei diesem Begriff stand nicht die Frage im Vordergrund, ob bei der homosexuellen Handlung Gewalt angewendet wurde, ob sie von kommerziellen Interessen begleitet war oder ob sie freiwillig ausgeübt wurde. Vielmehr lag die Betonung auf der Passivität bei dem homosexuellen Kontakt.

 

Dass bei dem Wort der Akzent auf dem passiven Teil der homosexuellen Begegnung liegt, ist um so wahrscheinlicher, als in 1. Korinther 6, 9 (siehe auch: 1. Timotheus 1, 10) ein weiteres Wort vorkommt: arsenokoítes (Luther: Knabenschänder). Dieses Wort ist aus zwei Worten zusammengesetzt: arsen, das meint soviel wie: „männlich“ (mit starker Betonung des Geschlechts) und koites: Bett. „Bett“ kann übertragen, als Metapher für „sexuelle Gemeinschaft“ verwendet werden (ähnlich wie in der deutschen Sprache gesagt werden kann: „die beiden gehen zusammen ins Bett“). Das Wort arsenokoítes meint also soviel wie: „der, der bei Männern im Bett liegt“ oder: „der, der mit Männern ins Bett geht“ oder: „der, der mit einem anderen Mann sexuellen Verkehr hat“. Bei diesem Wort darf ebenfalls nicht nur an Unzucht mit Minderjährigen gedacht werden (wie Luthers Übersetzung „Knabenschänder“ suggeriert), sondern bei diesem Begriff ist an den mehr aktiven Teil bei homosexuellen Kontakten zu denken.

 

In 1. Korinther 6, 9 leitet der Apostel Paulus die Aufzählung der Sünden mit dem Satz ein: „Irret euch nicht...“. Es ist also möglich zu meinen, Gott werde es schon nicht so genau nehmen..., die Suppe werde schon nicht so heiß gegessen, wie sie gekocht werde.... Aber diese Idee ist ein gefährlicher Irrtum. Der gleich darauf folgende Imperativ, „lasst euch nicht verführen“, warnt davor, in den Sog der Sünden der Heiden zu geraten: Die genannten Sünden, unter anderem homosexuelle Praktiken, schließen von dem Eingang in das Reich Gottes aus. Gleichzeitig aber geben diese Verse die größte Hoffnung, denn Paulus fährt fort: „Solche seid ihr gewesen“ (6, 11): Es ist Vergangenheit! Man kann von diesem Gräuel frei werden!.

 

In 1. Timotheus 1, 10 steht die Homosexualität innerhalb einer Aufzählung, die sich bis hinein in die Reihenfolge an den 10 Geboten orientiert. Demnach fasst der Apostel Homosexualität zusammen mit Ehebruch in den Rahmen des Verbotes „Du sollst nicht ehebrechen“.

 

 

3.6.  Weitere Bibelstellen

 

Die bisher erörterten Bibelstellen waren diejenigen, die in der gegenwärtigen Diskussion umstritten sind. Aber es sind keineswegs die einzigen. Vermutlich sprechen auch Hiob 36, 14 und Habakuk 2, 15 von homosexuellen Handlungen.

Möglicherweise kann man das, was in Epheser 5, 12 gesagt ist, mit Homosexualität in Verbindung bringen. Paulus schreibt hier, dass es sogar schändlich ist, das zu nennen, was heimlich durch die Heiden verrichtet wird. Aber es gibt keinen Grund, diese Stelle auf homosexuelle Handlungen einzugrenzen.

 

Vielleicht wird auch in Offenbarung 22, 15 an Homosexuelle gedacht. Hier ist neben Zauberern, Hurern und anderen, die außerhalb des himmlischen Jerusalems bleiben müssen, auch von

„Hunden“ die Rede. Diejenigen, die dieses Wort mit Homosexuellen in Verbindung bringen, weisen darauf hin, dass an einer Stelle in der Bibel im Zusammenhang mit homosexueller Tempelprostitution von „Hundegeld“ gesprochen wird (5. Mose 23, 18). Aber diese Auslegung ist zweifelhaft. Vielleicht ist bei dem Wort „Hund“ in Offenbarung 22 lediglich an eine verächtliche Qualifikation für den Menschen gedacht, der dem Willen Gottes widerstrebt und sich in Dämonien und Lügen verstrickt.

 

Nicht selten trifft man auf die Behauptung, das Verhältnis zwischen David und Jonathan sei homosexuell gewesen. Zur Begründung dieser Vorstellung weist man auf 1. Samuel 18, 14; 19, 1; 20, 16-17; 20, 30; 23, 18 und besonders auf 2.Samuel 1, 26: Dass David seiner Trauer um Jonathan mit den Worten Ausdruck verleiht, „deine Liebe war mir wunderbarer als Frauenliebe“, zeige, dass die Beziehung zwischen David und Jonathan homosexuell gewesen sei.

 

Aber dazu ist zu sagen: In dieser Aussage eine (homo)sexuelle Komponente suchen zu wollen, ist ein Missverständnis. Es ging David hier nicht darum, eine wie auch immer geartete sexuelle Affinität zum Ausdruck zu bringen, sondern er wollte mit diesem Vergleich die Selbstlosigkeit der Zuneigung Jonathans illustrieren: Eigentlich hätte Jonathan in David, der ihm den Königsthron streitig machen wird, seinen schärfsten Rivalen sehen und entsprechend reagieren müssen. Aber anstatt in einem Konkurrenzdenken zu verharren, verleugnete er sich selbst und blieb David gewogen. Obwohl Jonathan wusste, dass nicht er, sondern David den Thron besteigen wird, ließ er sich nicht davon abhalten, seinem Vater Gutes über David zu berichten (1. Samuel 19, 45). Während der in 1. Samuel 20 berichteten Ereignisse war Jonathans Zuneigung zu David noch genauso fest wie bei den Geschehnissen, die in 1. Samuel 18 berichtet wurden. Auch in Kapitel 23 war seine Freundschaft noch immer nicht erkaltet. Der Sohn Sauls nahm den Ratschluss Gottes über sein Leben bereitwillig an und bekennt gegenüber David ohne Neid oder Eifersucht: „Du wirst König werden über Israel“ (23, 17). Diese Zuneigung Jonathans zu David war nicht impulsiv, sie entsprang nicht verstecktem Eigeninteresse, sondern sie war beharrlich, sie war eine Liebe, die gibt, eine Liebe, in der Jonathan sich David „ausliefert“. Das meint David, wenn er die Liebe Jonathans für

„wunderbarer als Frauenliebe“ bewertete. David hatte also nicht im entferntesten im Sinn, etwas

Erotisches in seiner Beziehung zum Sohn Sauls anzudeuten - derartiges ist typisch neuzeitlich sexualistisch gedacht - sondern der Vergleichspunkt ist die Selbstlosigkeit, eine Selbstlosigkeit, die jede gewöhnliche Sympathie überstieg.

 

Ein weiterer Hinweis dafür, dass weder Jonathan noch David homosexuell orientiert waren ist, dass beide Männer geschlechtlichen Umgang mit Frauen hatten (siehe: 2. Samuel 3, 2; Jonathan hatte Kinder: 4, 4; 9, 3). Außerdem rühmte David außerordentlich häufig in den Psalmen das Gesetz Gottes, das - wie gesehen - unter anderem jede Form homosexueller Handlung untersagt.

 

„Die von Mutterleibe an verschnitten sind“ (Eunuchen, Matthäus 19, 12; siehe ferner: 5. Mose 23, 1; Jesaja 56, 28; Matthäus 19, 12; Apostelgeschichte 8, 26-39), wollte man ebenfalls als homosexuell Veranlagte verstehen. Aber faktisch gibt es keinen einzigen Hinweis, dass Homosexuelle jemals als Verschnittene (Eunuchen) bezeichnet worden sind.


 

Der heutzutage so häufig verwendete Vers, um das Außerkraftsetzen der Schöpfungsordnungen biblisch zu legitimieren, Galater 3, 28 („in Christus ist weder Mann noch Frau“), muss gelegentlich ebenfalls dazu herhalten, homosexuelle Handlungen zu legitimieren: Es sei in Christus gleichgültig, ob man mit einer Frau oder mit einem Mann sexuellen Umgang habe. Zu dieser Auslegung sei noch einmal betont: Die Schrift sagt unmissverständlich, dass Menschen, die homosexuellen Umgang haben, das Reich Gottes nicht ererben können (1. Korinther 6, 9).

 

 

3.7.  Ergebnis

 

Auf die Frage, ob die Kirche jahrhundertelang die Heilige Schrift falsch gelesen habe, als man sie so verstand, dass sie jede Art homosexueller Praktiken verurteilt, kann die Antwort nur lauten: Nein, die Bibel wurde nicht falsch verstanden. Tatsächlich verbietet sie homosexuelle Praktiken in jeder Form. In 1. Mose 19, 1-11 und Richter 19, 22-30 zeigt sie, wohin Menschen gelangen können, wenn sie mit sexualisiertem Bewusstsein ihren Mitmenschen begegnen. Das Gesetz (3. Mose 18, 22 und 20, 13) lehrt, dass in den Augen Gottes jede Art von homosexueller Handlung ein Gräuel, ein Frevel ist. Im Neuen Testament wird die Homosexualität mit Hinweis auf den Schöpfer abgelehnt, der nicht will, dass seine Schöpfung pervertiert wird. Homosexuelle Handlungen werden als

„Vertauschung“ (Verdrehung) und als „Irresein“ (Römer 1, 26-27) bewertet. In 1. Korinther 6, 11 wird das Nein zur Homosexualität eschatologisch begründet: In das Reich Gottes kann niemand eingehen, der gleichgeschlechtliche Handlungen begeht. Beachtet man, dass in 1. Timotheus 1, 8-11 die Homosexualität sowohl unter Berufung auf das Gesetz als auch auf das Evangelium untersagt wird, kann man ohne Übertreibung sagen, dass von der Schöpfung bis zur Vollendung, vom Gesetz bis zum Evangelium, die gesamte biblische Lehre das Nein zu gleichgeschlechtlichen Handlungen bezeugt. Gleichzeitig weist die Schrift darauf hin, dass Homosexualität kein unabänderliches Schicksal ist. (1. Korinther 6, 9-11).

 

Die Argumentation, Homosexualität sei deswegen nicht moralisch ernst zu nehmen, weil Jesus selbst dazu keinerlei Stellung genommen habe, überzeugt nicht. Zum einen gehört Homosexualität zu den Dingen, bei denen das ablehnende Urteil im Judentum eindeutig war. Der Herr brauchte also deswegen zu diesem Thema nichts zu sagen, weil es zwischen den Juden und ihm in diesem Punkt keinen Dissens gab. Außerdem trat dort, wo der Herr sexuelle Fragen ansprach, nirgends auch nur die Möglichkeit in das Blickfeld, dass sich die geschlechtliche Begegnung alternativ auch in einer gleichgeschlechtlichen Relation verwirklichen lässt. Stets setzt der Herr heterosexuelle Gegebenheiten voraus, sei es nun, dass er von der Lust und dem falschen Begehren spricht (Matthäus 5, 27-28), von Ehebruch (Matthäus 19, 46) oder dass er sich zu ehelicher Untreue äußert (Johannes 4, 17-18). Dieses überrascht deswegen nicht, weil Jesus die sexuelle Begegnung, das „ein Fleisch sein“, an die Norm bindet, wie es „zu Anfang“ war, so dass nur ein Mann und eine Frau ein Fleisch werden. („Habt ihr nicht gelesen, dass der im Anfang den Menschen geschaffen hat, schuf sie als Mann und Frau?“; Matthäus 19, 4; siehe auch: V. 5-6). In diesem Zusammenhang spricht Jesus lediglich die Möglichkeit an, dass Menschen, die zur Ehe unfähig sind, ehelos bleiben. Bezeichnenderweise werden homosexuelle Verbindungen selbst in diesem Kontext überhaupt nicht erwogen. Wo immer der Herr von sexueller Gemeinschaft spricht, denkt er an eine heterosexuelle Beziehung innerhalb der Ehe.


 

4.       Zur Auseinandersetzung mit humanwissenschaftlichen Theorien über Wesen, Herkunft und Heilbarkeit homosexueller Neigungen

In der neueren Diskussion werden nicht nur die Aussagen der Heiligen Schrift durch außerordentlich fragwürdige, ja falsche Auslegungen eingeschränkt, historisiert, relativiert, kurzum: entmächtigt, sondern es wird auch behauptet, dasjenige, was die Bibel zur Homosexualität sage, sei angesichts der Forschungsergebnisse in den Humanwissenschaften überholt. Im folgenden konfrontieren wir uns mit den in der Gegenwart herrschenden Auffassungen über Wesen, Herkunft und Heilbarkeit gleichgeschlechtlicher Neigungen.

 

 

4.1.     Zur Behauptung, die Heilige Schrift wisse nichts von homosexueller Orientierung

 

Indem man an die in der Neuzeit in der anglikanischen Kirche aufgekommene Unterscheidung zwischen homosexueller Handlung und homosexueller Veranlagung (propensity, Homophilie, Homotropie, erotische Orientierung auf das eigene Geschlecht) anknüpfte, begann man folgendermaßen zu argumentieren: Weil die Bibel zwischen Handlung und innerer Disposition nicht unterscheide, bzw. ausschließlich über gleichgeschlechtliche Handlungen spreche und über entsprechende Neigungen schweige - vermutlich wisse sie gar nichts davon -, sei sie für die gegenwärtige Reflexion, in der diese Unterscheidung durch medizinische, psychologische und soziologische Beobachtungen gesichert sei, überholt, also bedeutungslos. Allenfalls könne man die biblischen Verbote auf diejenigen beziehen, die als heterosexuell Orientierte homosexuelle Handlungen praktizierten.

 

Richtig ist an dieser Gedankenführung, dass die Abschnitte der Bibel, die über Homosexualität handeln, nicht in einer neuzeitlich „wissenschaftlichen“ Terminologie abgefaßt sind. Falsch daran ist jedoch die Idee, erst in der Neuzeit habe man angefangen, über die Frage einer homosexuellen Veranlagung nachzudenken. Versuche, Homosexualität auf eine - wie auch immer geartete - Veranlagung zurückzuführen, stammen bereits aus der Antike.

 

Nach einem Bericht des numidischen Arztes Coelius Aurelianus fragte bereits Parmenides (6./5. Jahrhundert v. Chr.) nach dem Entstehungszusammenhang der homosexuellen Neigung. In seinen (nicht erhalten gebliebenen) Büchern Über die Natur habe er die Vermutung geäußert, zuweilen würden bei der Befruchtung („Empfängnis“) zufällig Menschen entstehen, die sich „weiblich unterwerfen“. Coelius Aurelianus berichtet ferner, dass viele Leiter medizinischer Schulen meinten, Homosexualität sei angeboren und ginge mit dem Samen auf das Nachgeschlecht über.

 

Auch Aristoteles hielt eine „anlagebedingte“ Homosexualität für möglich. Allerdings folgerte der Philosoph aus dieser Annahme nicht, dass homosexuelles Verhalten moralisch akzeptabel sei. Im Gegenteil: Aristoteles bezeichnete (wohl als erster) homosexuelle Neigungen als Perversion (griech.: diastrophe). Für ihn ist der Mensch dadurch gekennzeichnet, dass er nicht bloßer Vollstrecker seiner Impulse und Triebe ist, sondern ein bewußt handelndes Wesen, also ein Wesen, das in der Lage ist, zwischen Moralischem und Unmoralischem zu unterscheiden und sich entsprechend zu verhalten.


Der Begründer der Neuplatonismus, Plotin (2./3. Jahrhundert), vertrat die Meinung, Menschen, die ihre homosexuellen Neigungen zu befriedigen suchen, hätten zwar insofern eine nach dem Natürlichen neigende Leidenschaft, als das Befriedigen einer Leidenschaft „natürlich“ sei. Weil aber homosexuelle Leidenschaften den menschlichen Gesetzen und der Natur entgegenstehen, seien sie

„gegennatürlich“. Sie seien Frucht des „Mangels der Seele“. Homosexuelle Handlungen seien deswegen zu verurteilen, weil sie bei den Menschen, die dieses „gemäß den Gewohnheiten“ und

„verkehrten Neigungen“ tun, nichts Wesentliches erzeugen, sondern Leidenschaften entfesseln und die Menschen so vom rechten Weg abbringen.

 

Über den wissenschaftlichen Wert der Äußerungen eines Parmenides, eines Aristoteles und eines Plotin kann man geteilter Meinung sein. Eine Auseinandersetzung mit ihnen soll hier nicht erfolgen. Aber soviel ist deutlich: Diese Aussagen zeigen, dass man nicht erst in unserem Jahrhundert anfing, darüber zu reflektieren, wie homosexuelle Neigungen zu erklären und dementsprechend zu bewerten sind. Folglich ist es auch leichter behauptet als bewiesen, dass Paulus von der These einer homosexuellen Orientierung nichts gewusst habe. Da der Apostel bekanntlich heidnische Dichter und Denker zitieren konnte, war ihm zweifellos bekannt, dass manche Griechen gewisse homosexuelle Praktiken als hohe Ausdrucksform der Liebe bewerteten. Im Gegensatz zu diesen zweifellos auch in seiner Zeit starken geistigen Strömungen weist der Apostel jede Art von homosexuellen Handlungen zurück. Ausnahmslos jede homosexuelle Handlung beurteilt er als Schuld gegenüber Gott.

 

Mehr noch: Die Behauptung, Paulus habe nur über homosexuelle Praktiken gesprochen, nicht aber über „innere Neigungen“, ist falsch. Der Apostel spricht im Zusammenhang mit Homosexualität auch von „Leidenschaften“ und von „Wollust“ (Römer 1, 26-27), also keineswegs nur von Handlungen.

 

Aber selbst wenn die Annahme zuträfe, dass das Wort Gottes nicht von homosexuellen Neigungen spricht und dass es zwischen homosexuellen Handlungen und innerer Veranlagung nicht unterscheidet, kann man daraus unterschiedliche Konsequenzen ziehen: Entweder läßt sich daraus folgern, die Aussagen der Heiligen Schrift zu dieser Thematik seien veraltet, oder aber man leitet daraus ab: Gott, der den Menschen besser kennt, als er sich selbst kennt, unterscheidet deswegen nicht in seinem Wort, weil diese Unterscheidung ethisch irrelevant ist. Aber lassen wir dieses hypothetische Reden und halten noch einmal fest: Die Schrift spricht sowohl von homosexuellen Handlungen als auch von entsprechenden Neigungen.

 

Was versteht man heutzutage in den Humanwissenschaften eigentlich unter „homosexueller Disposition“, „homosexueller Neigung“ oder „homosexueller Orientierung“, und was meint man über die Herkunft dieser Ausrichtung entdeckt zu haben?

 

 

4.2.  Zur Behauptung, die homosexuelle Orientierung sei angeboren

 

Bei der Suche nach einer Antwort auf die Frage nach der Herkunft der gleichgeschlechtlichen Orientierung lassen sich grob zwei Theorierichtungen unterscheiden. Zum einen: Die homosexuelle Neigung ist (wie auch immer) angeboren. Zum anderen: Sie ist - wie auch immer - durch die Umwelt entstanden. Zunächst zum ersten Standpunkt, also zu der Auffassung, homosexuelle Neigungen seien angeboren. Diese Position fächert sich in drei Theorien auf.


Erstens gibt es die Theorie, dass die homosexuelle Orientierung durch konstitutionelle (Erb)Faktoren wie Blutbefund, Hodenbeschaffenheit oder Körperbeschaffenheit entstanden sei. Diese Auffassung wurde namentlich von den (evangelischen) Schrittmachern für eine

„Neubesinnung in der Homosexualität“ in den fünfziger und sechziger Jahre vertreten, wie unter anderem von H. Thielicke und Th. Bovet.

 

Zur Unterstützung dieser These berief man sich auf die Zwillingsforschung von M. Hirschfeld, einem Protagonisten der sexuellen Revolution aus den vierziger und fünfziger Jahren und von F. Kallmann. Diese Männer berichteten, sie hätten eineiige sowie zweieiige Zwillingspaare untersucht, bei denen der eine Paarling homosexuell veranlagt gewesen sei. Dabei hätten sie festgestellt, dass bei eineiigen Zwillingen in sämtlichen 44 untersuchten Fällen der jeweils andere Paarling ebenfalls homosexuell orientiert sei. Demgegenüber sei bei zweieiigen Zwillingen der andere Paarling nur in 13 von 51 Fällen gleichgeschlechtlich disponiert. Dieses zeige, dass das Erbgut der entscheidende Faktor zur Erklärung der homosexuellen Orientierung sei.

 

Dazu ist folgendes zu sagen: Dieser auf den ersten Blick eindrucksvolle Befund stieß schon bald auf begründete Zweifel. Untersuchungen, die die „Ergebnisse“ Kallmanns und Hirschfelds wiederholten und überprüften, zeigten, dass die Behauptung, in allen Fällen, in denen einer der eineiigen Zwillinge homosexuell orientiert ist, sei es auch der andere, nicht richtig ist. Wenn aber dieses nicht der Fall ist, ist die Idee, homosexuelle Orientierung sei auf wie auch immer geartete konstitutionelle Faktoren zurückzuführen, mehr als fragwürdig. Häufig wurde auch auf die psychischen Besonderheiten („Krankhaftigkeit“) der von Kallmann und Hirschfeld untersuchten Zwillinge gewiesen. Der weitaus größte Teil von ihnen hatte nicht nur homosexuelle Neigungen, sondern war auch psychisch erkrankt bzw. gestört. Viele waren schizophren. Die von den beiden Forschern untersuchten ein- und zweieiigen Zwillinge unterschieden sich voneinander vor allem darin, dass der endogene Krankheitszustand dieser beiden Gruppen verschieden stark ausgeprägt war, so dass dadurch die Neigung zur Homosexualität begünstigt wurde. Aber die gleichgeschlechtliche Neigung war sekundär.

 

Andere stellten die Frage, warum Kallmann nicht den Versuch unternommen habe, seine Zwillingspaare zu therapieren. Erst bei erwiesener Erfolglosigkeit hätte die These des Angeborenseins von Homosexualität eine gewisse Überzeugungskraft. In den Fällen, in denen beide Paarlinge homosexuelle Neigungen hätten, könne dieses auch daran liegen, dass in den Kinderjahren beide das gleiche soziale Umfeld gehabt hätten. Dann aber wäre die gleichgeschlechtliche Orientierung nicht auf Erbfaktoren, sondern auf die Umwelt, auf das Milieu zurückzuführen. Wenn also bei beiden Paarlingen eine homosexuelle Orientierung auftritt und bei eineiigen häufiger als bei zweieiigen, kann das daran liegen, dass sich eineiige Zwillinge psychisch stärker miteinander identifizieren als zweieiige.

 

Auch die häufig zur Unterstützung der Erbfaktoren-These anzutreffende Behauptung, eine homosexuelle Orientierung lasse sich im Säugetierreich nachweisen, ist (so) nicht haltbar. Nun ist es im Licht der Heiligen Schrift ohnehin höchst anfechtbar, wenn der Mensch sein Tun und Lassen aus dem Tierreich abzuleiten oder von dorther gar zu rechtfertigen sucht. Damit bringt er eine geistige Haltung zum Ausdruck, gemäß der er sich nicht mehr an Gott orientiert („Gottebenbildlichkeit“), sondern an der Fauna. Aber gehen wir einmal auf diese These ein, dann ist auf folgendes zu insistieren: In natürlichem Umfeld ist noch nie ein andauerndes, gleichgeschlechtliches Verhalten bei Säugetieren beobachtet worden. Früher interpretierte man manche Verhaltensweisen als homosexuell, aber heute weiß man, dass dieses anthropomorphe Fehldeutungen sind. In der Regel geht es bei diesen Verhaltensweisen um die Herstellung der


Rangordnung heterosexuell orientierter Tiere und damit um die Festlegung, welches Tier bei der Begattung den Vorrang hat. Oder aber es handelt sich um Fälle, die als Ergebnis menschlicher Manipulationen erklärbar sind, wie zum Beispiel das Fehlen eines geeigneten Partners (z.B. in der Gefangenschaft). Außerdem dürfte sich unter dem Aspekt der Gewährleistung der Fortpflanzung eine auf Vererbung rückführbare homosexuelle Verhaltensweise in kürzester Zeit selbst beseitigt haben. Kurzum: Wenn man schon meint, sich für das menschliche sexuelle Verhalten am Säugetierreich orientieren zu sollen, so unterstützt gerade die biologische Betrachtungsweise die These, dass Homosexualität eine Abweichung von der biologischen Norm ist. Homosexuelle Handlungen kommen allenfalls vor als Folge eines unnatürlichen, depravierten Lebenszusammenhanges. Insofern belegt die Biologie das genaue Gegenteil dessen, was man gerne aus ihr ableiten möchte.

 

Selbst wenn man einmal annimmt, konstitutionelle Faktoren seien für die homosexuelle Orientierung ausschlaggebend, bleibt diese Aussage außerordentlich unscharf: Was ist dasjenige, das für die homosexuelle Neigung bestimmend ist? Auf jeden Fall sind gleichgeschlechtlich orientierte Männer weder durch irgendeine besondere Körperbeschaffenheit noch durch eine spezifische Hodenbeschaffenheit gekennzeichnet.

 

Zweitens meinte man, die Herkunft homosexueller Neigungen auf Störungen im Hormonhaushalt zurückführen zu können. Das homosexuelle Verhalten hänge mit einem Ungleichgewicht in der Hormonausschüttung zwischen dem Androgen, dem männlichen Sexualhormon, und dem Östrogen, dem weiblichen Sexualhormon, zusammen. Zur Untermauerung dieser These wies man darauf hin, dass bei einigen (nicht bei allen) männlichen homosexuell Orientierten ein zu niedriger Spiegel des männlichen Hormons im Blut festgestellt worden sei. Daraus sei zu folgern, bei gleichgeschlechtlich Veranlagten liege eine Funktionsstörung der männlichen Geschlechtsorgane vor. Einen weiteren Hinweis für die These, Homosexualität hänge mit Unregelmäßigkeiten in der Hormonausschüttung zusammen, meinte man durch Tierversuche gefunden zu haben: Wenn man einem Tier das jeweils „andersgeschlechtliche“ Hormon injiziert, trete (vorübergehend) eine gleichgeschlechtliche Verhaltensweise auf.

 

Dazu ist zu sagen: Wenn Störungen im Hormonhaushalt die Ursache für homosexuelle Neigungen wären, sollte man erwarten können, dass derartige Unregelmäßigkeiten bei ausnahmslos allen gleichgeschlechtlich veranlagten Menschen zu beobachten sind. Tatsache aber ist: Bei nicht wenigen erwachsenen Homophilen sind keinerlei Verschiebungen im Hormonhaushalt festgestellt worden. Im Gegensatz zu den Tieren haben die Geschlechts-Hormone beim Menschen keinen Einfluss auf die Triebrichtung, sondern nur auf die Triebintensität. Aus diesem Grund bleibt auch eine Hormontherapie bei Menschen erfolglos. Außerdem wird die Hormonausschüttung vom Gehirn geregelt. Es besteht also eine sehr enge Beziehung zwischen psychischer Aktivität und Hormon- Produktion. Von daher wird man eine zu geringe Ausschüttung von Hormonen eher als Folge homosexueller Neigungen ansehen müssen, denn als deren Ursache.

 

Drittens meinte man, die homosexuellen Neigungen auf Veränderungen der Chromosomen oder der Gene zurückführen zu können. Normalerweise befinden sich im Zellkern 46 Chromosomen, die zu 23 Paaren zusammengefasst sind. Eines dieser Paare, das für das Geschlecht zuständig ist, besteht bei der Frau aus zwei gleichen Chromosomen (xx), beim Mann aus zwei ungleichen (xy). Bestimmte Kombinationen der Chromosomen, so meinte man, würden zu einer homosexuellen Orientierung führen.


In jüngster Zeit kam aus der angelsächsischen Welt eine Variante dieser Auffassung: Homosexuelle Disponiertheit werde durch ein Gen verursacht. Die Medien berichteten, der Molekularbiologe Dean Hamer habe entdeckt, dass bei Brüdern, die beide homosexuell orientiert seien, bestimmte Moleküle im Zellkern in der gleichen Reihenfolge vorkämen. Dieses statistisch gesehen unwahrscheinliche Phänomen habe bei der Suche nach der Herkunft der Homosexualität die Aufmerksamkeit auf das X-Chromosom gelenkt, das ein Mann von seiner Mutter geerbt habe.

 

Bei Überprüfung der Untersuchungen hat sich aber weder die ChromosomenThese noch die Gentheorie als haltbar erwiesen. Zu der Meinung, homosexuelle Triebneigungen seien auf Chromosomen(veränderungen) zurückzuführen, ist zunächst zu betonen, dass derart vielfältige und merkwürdige Chromosomen-Kombinationen zu finden sind, dass es bis heute kaum möglich ist, allein aus den Chromosomen abzuleiten, ob der betreffende Mensch männlichen oder weiblichen Geschlechts ist. Es auch durch nichts bewiesen, dass homosexuelle Orientierung irgend etwas mit bestimmten Chromosomen-Kombinationen zu tun hat. Tatsächlich wird diese Theorie heute kaum noch vertreten.

 

Zu der Gentheorie ist zu sagen, dass der „Entdecker“ des „Schwulen-Gens“, Dean Hamer, seine Beobachtungen in der Zeitschrift Science wesentlich zurückhaltender bewertete als es die Medien meinten tun zu sollen: „Unsere Forschung deutet an, dass Schwulsein bis zu einem gewissen Grad auf einer genetischen Veranlagung beruht. Wir können nur spekulieren, was das Gen macht.“ Abgesehen von dieser Zurückhaltung wurde gegenüber der Theorie Hamers folgendes kritisch angemerkt: Höchstens bei jedem Zehnten, der homosexuell orientiert ist, ist es der Bruder auch. Von diesen läßt sich die genetische Ähnlichkeit allenfalls bei 64 % der Brüderpaare nachweisen. Damit aber schmilzt die angeblich wissenschaftliche Sensation auf 6, 4 % der in Frage kommenden Männer zusammen. Wenn man weiter berücksichtigt, dass die untersuchten Brüderpaare über Aufrufe in Zeitungen gefunden worden waren, die man vor allem in homosexuellen Kreisen zu lesen pflegt, dürfte die Quote bezogen auf die homosexuelle Gesamtbevölkerung noch wesentlich niedriger liegen.

 

Ferner kritisiert man an den Untersuchungen Hamers, dass er die These einer genetischen Ableitung der homosexuellen Orientierung nicht durch eine andere ausgewählte Gruppe von Brüdern überprüft habe. Auch sei er nicht der Frage nachgegangen, ob nicht auch bei heterosexuellen Menschen der entsprechende Gen-Code anzutreffen sei. Vor allem aber: Bislang seien lediglich Ähnlichkeiten in der Reihenfolge der Erbinformationen ausgemacht worden, so dass trotz lautstarker gegenteiliger Erklärungen in den Massenmedien kein einziges Gen gefunden worden ist, das für eine gleichgeschlechtliche Disposition in Frage kommt. Kurzum: Die Behauptung einer genetischen Determination zur Homosexualität („Schwulen-Gen“) konnte bis zum heutigen Tag durch nichts belegt werden. Vergleicht man die als Sensationsmeldungen aufgemachten Artikel in den Massenmedien mit dem, was tatsächlich bisher empirisch festgestellt worden ist, drängt sich der Verdacht auf, der Vater des „Schwulen-Gens“ war einzig und allein der Wunsch der Journalisten, die sich von dieser Thematik eine Erhöhung ihrer Zeitschriftenauflagen im „Sommerloch 1993“ erhofften. Auf jeden Fall mutet es merkwürdig an, dass die Massenmedien über die zahlreichen Stimmen in der Fachwelt, die die Theorie in ihrer Gesamtheit in Frage stellen, kaum oder gar nichts berichteten.

 

Fassen wir zusammen: Trotz des Anscheins, den manche kirchliche Veröffentlichung zu erwecken suchte, haben sich sämtliche Theorien, mit denen man homosexuelle Triebneigungen auf wie auch immer geartete konstitutionell-physiologische, hormonelle oder genetische Ursachen zurückführen


wollte, als nicht überzeugend erwiesen. Manches spricht eindeutig gegen derartige Ableitungen. Abgesehen von den bereits genannten Einwänden sei auf folgendes grundsätzlich hingewiesen:

 

Erstens: Falls homosexuelle Orientierung durch Vererbung entsteht, müsste sich die erbliche Homosexualität wegen der geringen Nachkommenschaft längst von selbst „herausgemendelt“ haben, ähnlich wie sich hochgradiger Schwachsinn spätestens nach Verlauf weniger Erbgänge von selbst eliminiert.

 

Zweitens gibt es ein gewichtiges Indiz dafür, dass die homosexuelle Triebneigung nicht durch Vererbung entsteht. Menschen, die früher homosexuell orientiert waren, sind durch seelsorgerliche oder psychotherapeutische Hilfe heterosexuell geworden. Nicht zuletzt diese Menschen lehnen aus eigenem Erleben eine wie auch immer vererbte Veranlagung als Ursache für gleichgeschlechtliche Neigungen ab, denn konstitutionelle Faktoren, Hormone oder Gene können durch Seelsorge oder Therapie nicht verändert werden.

 

Tatsächlich formulieren andere kirchliche Verlautbarungen wesentlich vorsichtiger. Zum Beispiel erklärte der Ausschuss der Hannoverschen Landessynode für Fragen der Lebensführung kirchlicher Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen betr. Behandlung der Thematik „Ehe, Partnerschaft, Homosexualität bei kirchlichen Mitarbeitern“, dass homosexuelle Veranlagung allenfalls bei einer

„kleinen Anzahl von Menschen“ sicher als „genetisch fixiert“ angesehen werden könne. Der jüngste

Kinsey-Report räumt im Gegensatz zu früheren Publikationen ausdrücklich ein, es sei bislang

„wissenschaftlich noch nicht geklärt, welche Faktoren die sexuelle Orientierung bestimmen“.

 

Obwohl in den fünfziger Jahren mit genau diesen damals als „wissenschaftlich gesichert“ deklarierten Behauptungen die Änderung in der moralischen Beurteilung der Homosexualität einsetzte, bedeutete das Scheitern dieser Theorien jedoch nicht eine kategoriale Rückbesinnung. Vielmehr sprach man weiter von homosexueller Disposition, suchte aber deren Ursache in einer anderen Richtung.

 

 

4.3.    Zur Behauptung, die homosexuelle Orientierung sei durch die Umwelt entstanden

 

Nicht zuletzt weil physiologische oder (molekular)biologische Ursachen für die Herkunft homosexueller Orientierung nicht zu überzeugen vermochten, suchte man die Entstehung homosexueller Orientierung in Umwelt-Faktoren. Hier dachte man vornehmlich an frühkindliche psychische Störungen, an enttäuschende Erlebnisse und/oder an Verführung während der Pubertätszeit. Da außerordentlich viele Milieutheorien anzutreffen sind, seien nur die verbreitetsten aufgeführt.

 

Sigmund Freud stellte die These auf, für die homosexuelle Orientierung sei der „Ödipuskomplex“ verantwortlich: Ein Sohn bindet sich sehr eng an seine Mutter (bzw. eine Tochter an ihren Vater [„Elektrakomplex“]) oder an eine die Mutter ersetzende Figur (Schwester o.ä.). Da jedoch, so Freud, wegen der „instinktiven Inzestphobie“ das mit diesem Zusammengehörigkeitsgefühl verbundene sexuelle Verlangen nicht gestillt werden könne - ein Sohn darf mit seiner Mutter keine sexuelle Gemeinschaft haben (eine Tochter nicht mit ihrem Vater) - führe dieses bei dem Sohn (Tochter) zu einem Ausweichen vor dem Muttertyp (Vatertyp) insgesamt und damit zu einer Fluchthaltung gegenüber dem gesamten weiblichen (männlichen) Geschlecht. Die Folge: Er (sie) entwickele homosexuelle (lesbische) Neigungen. Diese Theorie wird nicht selten mit der These von


der „Kastrationsangst“ verknüpft: Wenn der Junge irgendwann entdeckt, dass Mädchen keinen Penis haben, werde er von Angst erfüllt, sein Vater könne ihm irgendwann seinen Penis abschneiden. Diese Angst könne zu einer derartigen Fixierung auf das männliche Glied führen, dass man es auf keinen Fall bei seinem sexuellen Partner missen möchte, so dass sich daraus, so Freud, homosexuelle Neigungen entwickeln würden.

 

Auch in Minderwertigkeitsgefühlen haben Psychologen und Psychoanalytiker die Ursache für homosexuelle Neigungen gesucht: Der gleichgeschlechtlich Orientierte steigere sich in die Befürchtung hinein, er sei seinen heterosexuellen „Pflichten“ nicht gewachsen. Deswegen fliehe er vor ihnen in eine gleichgeschlechtliche Beziehung. Oft stehe dieses Minderwertigkeitsgefühl in Verbindung mit einem heimlichen „Phalluskult“: Manche Homosexuelle suchten in ihren Beziehungen mehr oder weniger unbewusst das größere Glied.

 

Selbstmitleid könne ebenfalls zu homosexueller Orientierung führen: Ein klagendes und sich selbst bedauerndes Kind erfahre sich in dieser Haltung als Mittelpunkt der Welt. Es beginne sich in diesem Wohlgefühl einzurichten. Dadurch aber kreise es nur noch mehr um sich selbst. Schließlich würde dieses als entspannendes, schönes und warmes Gefühl Erlebte in homosexuelle Neigungen einmünden.

 

Auch übersteigerte Selbstverliebtheit (Narzismus) könne homosexuelle Neigungen erzeugen.

 

Eine andere Theorie besagt, eine weichliche, überängstliche, überbesorgte oder den Sohn verwöhnende Mutter führe zu einer derart starken Mutterbindung, dass der Sohn sich entweder gegenüber allen anderen Frauen völlig unselbständig verhält oder gar eine Abneigung gegenüber allen anderen weiblichen Wesen entwickelt. Aus dieser Einstellung entstehe eine homosexuelle Triebfixierung.

 

Andere Humanwissenschaftler argumentieren umgekehrt: Eine harte, gefühllose Mutter könne den Sohn zu einer generellen Ablehnung von Frauen veranlassen. Indem der Sohn keinen Zugang zu seiner Mutter findet oder sich gar von ihr abgestoßen fühlt, weil sie so kalt und so lieblos sei (bzw. eine Tochter von ihrem groben Vater), neige er (sie) zur Gleichgeschlechtlichkeit.

 

Auch eine mangelhafte oder eine (in der Erziehung) fehlende Vaterbeziehung führe in die Homosexualität. Wenn ein Vater seinen Sohn abweist oder ablehnt oder wenn er ängstlich, schwach oder psychologisch-abwesend ist, so dass sein Sohn sich nicht mit ihm identifizieren kann, versuche er diesen Mangel zu kompensieren, so dass in ihm gleichgeschlechtliche Neigungen entstehen.

 

Eine andere Theorie besagt, Eltern oder Geschwister, die das Geschlecht ihres Kindes ablehnen - sie hätten lieber einen Jungen (ein Mädchen) gehabt - erziehen ihren Sohn (Tochter) bewusst oder unbewusst feminin (maskulin). Eine derartige geschlechtsentgegengesetzte Erziehungsweise würden den Sohn (die Tochter) dahin führen, dass er (sie) sich unter den eigenen Geschlechtsgenossen fremd fühlt oder gar von ihnen abgelehnt wird. Da er aber gerade wegen dieser Erziehung bei seinen (ihren) Altersgenossen nach Anerkennung strebe, führe diese zu gleichgeschlechtlicher Orientierung.

 

Eine weitere Milieutheorie besagt: Wenn Jugendliche durch homosexuelle Praktiken verführt werden, führe dieses bei ihnen zu einer homosexuellen Triebfixierung. Verführt würden vor allem sozial entwurzelte oder von Gleichaltrigen isolierte Jugendliche wie Einzelgänger oder Außenseiter.


 

Bei Mädchen führe nicht selten sexueller Missbrauch zu einer Abneigung vor der als brutal und übermächtig empfundenen männlichen Sexualität und dadurch zu lesbischen Neigungen. Auch sexuelle Enttäuschungen oder frühe Schockerlebnisse (Miterleben eines elterlichen Koitus oder einer Vergewaltigung) könnten bei Mädchen und Frauen lesbische Neigungen hervorrufen.

 

Wenn eine Tochter durch eine frustrierte und frigide Mutter in einer Weise „aufgeklärt“ wird, dass man sie nur noch vor den „bösen“, die Frauen erniedrigenden Männern warnt, könne dieses dazu führen, dass die Tochter lesbisch werde. Derartige gleichgeschlechtliche Gefühle seien häufig Ausdruck von Schutz- und Geborgenheitssuche.

 

Andere vertreten die Meinung, eine abnorm starke Stimulierung jugendlicher Sexualität treibe zu gleichgeschlechtlichen Neigungen.

 

Auch das Abgeschlossensein vom anderen Geschlecht während langer Zeit (im Internat, in Strafvollzugsanstalten, während des Militär- und Kriegsdienstes) oder auch übersteigerte Freundschaft in Männerbünden fixiere erotisch auf das eigene Geschlecht.

 

Als Ursache von homosexueller Orientierung weist man nicht selten auch auf die „ekklesiogene Neurose“: Dadurch, dass der Weg zum anderen Geschlecht durch religiös motivierte Verbote versperrt worden sei, wende man sich dem eigenen Geschlecht zu.

 

Es ist nicht notwendig, jede einzelne der genannten Milieutheorien zu erörtern. Faktisch wurde an all diesen Theorien Kritik geübt. Tatsächlich mahnt schon der Umstand, dass hier verwirrend viele und zum Teil diametral entgegengesetzte Auffassungen anzutreffen sind, zur Vorsicht im Blick auf die Behauptung, hier irgend etwas als „gesichertes wissenschaftliches Forschungsergebnis“ zu deklamieren. Andererseits wird man keineswegs alles - wir kommen darauf zurück - in Bausch und Bogen verwerfen dürfen.

 

Außerdem wendet man ein, mit diesen Milieutheorien werde eigentlich nichts erklärt. Beispielsweise sei an Freuds Ödipus-Theorie die Frage zu stellen, warum eigentlich die Angst vor dem Inzest stärker sein soll als die Angst vor der Homosexualität. Mit anderen Worten: Diese Theorie erklärt keineswegs, warum sich jemand, der vor heterosexueller Gemeinschaft Angst hat, in homosexuelle Handlungen flüchtet.

 

Es entspreche auch nicht der Wahrheit, dass nur durch Minderwertigkeitskomplexe und Lebensangst erfüllte Menschen gleichgeschlechtliche Neigungen haben oder dass nur Söhne von lieblosen, kalten Müttern, bzw. dass nur Töchter, die grobe Väter haben, sich erotisch auf Menschen des gleichen Geschlechts fixieren. Keineswegs sei die Jugend von homosexuell Orientierten stets unglücklich. Ebenfalls treffe es nicht zu, dass immer ein Mangel an Liebe oder Anerkennung in die Gleichgeschlechtlichkeit führt. Zwar stammten homosexuell orientierte Menschen nicht selten aus ungesunden Familienverhältnissen, aber auch hier wird man mit generellen Behauptungen und monokausalen Erklärungsversuchen wie „Homosexualität beginnt stets zuhause“, sehr vorsichtig sein müssen. Außerdem ist zu prüfen, ob das ungünstige Klima im Elternhaus nicht eher die Folge der homosexuellen Orientierung ist als deren Ursache: Eltern sind nur deswegen so hart zu ihrem homosexuell empfindenden Sohn (ihrer lesbischen Tochter), weil sie für seine (ihre) Empfindungen kein Verständnis aufbringen können.


Kurzum: Weder die These, dass homosexuelle Neigungen angeboren seien, noch die These, die soziale Umwelt sei Ursache für die homosexuelle Veranlagung, ist rundum stichhaltig. Tatsächlich wird heute vielfach wesentlich vorsichtiger formuliert als noch vor zwei Jahrzehnten. Eine Übersicht im British Journal of Hospital Medicine stelle als Ergebnis fest, im Augenblick sei die Ursache der Homosexualität ein Geheimnis.

 

Nicht zuletzt wegen dieser Unsicherheit suchte man gelegentlich beide Theorien miteinander zu kombinieren: Homosexuelle Orientierung entstehe einerseits durch eine (wie auch immer näher zu bestimmende) angeborene Disposition, die unter (wie auch immer gearteten) sozialen Bedingungen zum Durchbruch komme. Dass stets beide Faktoren mitspielen würden, also sowohl die angeborene Veranlagung als auch dasjenige, was sich im Laufe des Lebens daraus entwickele, lasse sich, so wird gesagt, am menschlichen Gesicht illustrieren: Die Ähnlichkeit im Gesicht zwischen Familienmitgliedern sei ein Beleg für den Erbfaktor. Da sich aber im Laufe des Lebens die Gesichtszüge ändern - Spuren von Elend, Leid und Krankheit furchen sich hinein - sei im Blick auf das Aussehen auch die psychosoziale Umwelt von Bedeutung. Von daher, so erklärt man, sei die Fragestellung irreführend, ob so etwas Kompliziertes wie das Gesicht angeboren („vererbt“) oder im Laufe des Lebens erworben sei. Entsprechendes gelte auch für die homosexuelle Orientierung. Stets würden beide Faktoren eine Rolle spielen, sowohl die Veranlagung als auch das, was im Lauf des Lebens aus ihnen gemacht wird.

 

Zu dieser Kombinationstheorie ist zumindest folgendes zu sagen: Dadurch dass eine Theorie unsichere Faktoren miteinander kombiniert, wirkt sie nicht unbedingt überzeugend.

 

Bevor wir selbst zur Herkunft der Homosexualität Stellung nehmen, gehen wir zunächst auf die Frage ein, welche Konsequenz(en) sich für die Ethik daraus ergeben würden, wenn die Auffassung zuträfe, dass Homosexualität angeboren oder durch Umweltfaktoren entstanden ist.

 

 

4.4.  Die ethische Konsequenz aus der These, man sei für die eigene homosexuelle Orientierung nicht verantwortlich

 

Nehmen wir einmal an, es sei erwiesen, dass homosexuelle Neigungen ererbt oder milieubedingt sind. Selbst in diesem Fall würde dieses nicht heißen, dass homosexuelle Handlungen statthaft sind, also moralisch akzeptabel.

 

Man könnte natürlich argumentieren, niemand könne für die eigene biologische Veranlagung oder für das Milieu, aus dem er kommt, moralisch verantwortlich gemacht werden. Homosexuelle Handlungen auszuüben, sei für einen gleichgeschlechtlich Disponierten ebenso natürlich, wie heterosexuelle Akte für einen heterosexuell orientierten Menschen. Folglich dürfe dieser Trieb nicht verdrängt oder unterdrückt werden.

 

Aber zu dieser Gedankenführung ist zu sagen, dass hier das Sollen aus dem Sein abgeleitet wird. Wenn man meint, vom Faktischen auf die Norm schließen zu können und das Vorfindliche mit dem Schöpfungswillen Gottes gleichzusetzen, erliegt man einem naturalistischen Fehlschluß. In diesem Fall würde man annehmen, dass das menschliche Verhalten durch den physischen Zustand des Gehirns determiniert ist. Eine Veränderung des Verhaltens würde dann immer mit Veränderungen in Struktur und Vorgängen des Gehirns erklärt werden. Wenn aber das menschliche Verhalten rein biologisch verursacht wäre, ist es unmöglich, zwischen zwei Verhaltensweisen moralisch zu unterscheiden.


 

Einem ähnlichen naturalistischen Fehlschluss erlag bereits am Ende des 19. Jahrhunderts der Sozialdarwinismus, der das konstitutionell bedingte Verhalten, den Kampf ums Dasein, zur Norm für das ethisch Akzeptable machen wollte. Auch der Zoologe A. Kinsey vergaloppierte sich hier. Er wollte unterscheiden zwischen einerseits einer auf Erzeugung von Nachwuchs ausgerichteten Anatomie und Physiologie des Menschen und andererseits der psychischen Richtung menschlichen sexuellen Verhaltens, die als einzige Norm das maximale Erleben der Lust habe, den Orgasmus. Für das sexuelle Verhalten gäbe es dann keine andere Maxime als die Orgasmusfähigkeit bzw. - häufigkeit, so dass jenes als umso gelungener anzusehen sei, je stärker die sexuelle Lust befriedigt werden könne.

 

Es war bereits der heidnische Philosoph Aristoteles, der darauf hinwies, dass es zum Menschsein des Menschen gehöre, dass er ein Wesen ist, das in der Lage ist, sich zu sich selbst und damit auch zu seinen Wünschen und Trieben zu verhalten. Diese Würde des Menschseins wird dann preisgegeben, wenn das Faktische zur Norm erhoben wird.

 

Tatsächlich kann man mit einer naturalistischen Argumentation jedes Unrecht rechtfertigen. Aus dem Vorkommen von Fressen und Gefressenwerden im Tierreich könnte man eine Rechtfertigung dafür herleiten, dass auch Menschen sich gegenseitig umbringen dürfen. Auch könnte man bisexuelle Betätigungen, Transsexualismus, Sadomasochismus, Inzest oder Bestialität (Zoophilie) für moralisch akzeptabel deklamieren, weil es Menschen gibt, die sich so „veranlagt“ oder so

„disponiert“ fühlen. Es wäre geradezu grotesk, wenn man all das, was man in dieser Welt antrifft, alle Übel, alle Behinderungen, alle Krankheiten als natürlich im Sinn von moralisch gut bewerten würde oder wenn man all dieses sogar auf den Schöpfer als unmittelbaren Verursacher zurückführen würde.

 

Die Heilige Schrift lehrt, dass die heute vorfindliche Natur keineswegs als human, als gut zu bewerten ist. Nach der Schöpfung gab es den Sündenfall (1.Mos 3): Die Bibel kennt die gefallene Schöpfung.

 

Also abgesehen von der Frage, ob die Bibel etwas von einer wie auch immer genauer zu bestimmenden Veranlagung zur Homosexualität weiß oder nichts weiß und auch abgesehen von der Frage, ob die homosexuelle Orientierung unverantwortlich über einen Menschen kommt oder nicht: Homosexuelle Praktiken können genauso wenig als ethisch neutral bezeichnet werden, wie man Diebstahl auch in den Fällen nicht für legitim erachten kann, wenn man Kleptomanie für erb- bzw. milieubedingt hält.

 

 

4.5.  Homosexuelle Orientierung aufgrund freier Entscheidung

 

Es fällt auf, dass in jüngster Zeit Sexualwissenschaftler, Prohomosexuellen-Verbände und feministische Gruppierungen die Frage nach Herkunft und Wesen homosexueller Orientierung stark in einer Weise zu beantworten suchen, die in einem neuartigen Menschenbild verankert ist. Man lehrt, bei homosexueller Orientierung handele es sich nicht um ein unwiderrufliches Schicksal. Gleichgeschlechtlichkeit sei nicht eine „Anlage“, der der Mensch „knechtisch unterworfen“ sei, sondern es handele sich um eine „freie Entscheidung“.

 

Auch für diese These knüpft man bei Psychoanalytikern an, unter anderem an S. Freud. Für Freud ist jeder Mensch bisexuell veranlagt. Insofern ist für ihn die Frage nach der Herkunft der


Homophilie genauso falsch gestellt, wie die Frage nach der Herkunft der Heterophilie. Jeder Mensch habe die Fähigkeit, sich entweder heterosexuell oder homosexuell zu entwickeln. Ob gleichgeschlechtliche Verhaltensweisen erlernt würden, hänge allein von den jeweils herrschenden kulturellen Bindungen und Wertsystemen ab sowie von den individualpsychologischen Besonderheiten im Prozess der sexuellen Sozialisation. Die sexuelle Orientierung sei nichts anderes als das Produkt des Menschen, seiner Erziehung, seiner Kultur. Für die These einer freigewählten Homosexualität beruft man sich häufig auf statistisches Zahlenmaterial, namentlich auf dasjenige von Magnus Hirschfeld und Alfred Kinsey.

 

Für Magnus Hirschfeld sind ungefähr 5 % der Menschheit homosexuell Pädophile. Diese Menschen hätten ausschließlich oder überwiegend an vorpubertären Kindern des eigenen Geschlechts ein erotisches Interesse. 45 % seien Ephebophile, das heißt, ihre Erotik und Sexualität richte sich vorwiegend oder ausschließlich auf Jugendliche. Noch einmal 45 % seien Androphile. Das seien Menschen, die sich besonders erwachsene Menschen als sexuelle Partner wünschten. 5 % seien Gerontophile, also Menschen, deren sexuelles Interesse ausschließlich auf ältere Menschen gerichtet sei.

 

Häufiger beruft man sich auf die Kinsey-Reports aus den Jahren 1948 und 1953. In jenen Jahren war unter Leitung des Zoologen A. Kinsey eine breit angelegte Untersuchung erfolgt (5300 Männer wurden befragt), in der man laut dieser Reports festgestellt habe, mindestens 4 % der amerikanischen Männer seien ausschließlich homosexuell orientiert. Weitere 10 % hätten wenigstens über einen Zeitraum von drei Jahren Homosexualität praktiziert, und weitere 27 % hätten bereits gleichgeschlechtliche Kontakte gehabt. Nach dieser Aufstellung hatten also knapp 50

% aller Männer homosexuelle Erfahrungen. Von diesen hatten 37 % auch nach der Pubertät gleichgeschlechtliche Kontakte.

 

Bewaffnet mit diesem Zahlenmaterial behauptete man nun, der Umstand, dass rund 50 % der Menschen homosexuelle Handlungen ausgeführt hätten, beweise, dass der Mensch prinzipiell ambisexuell sei. Dass viele nicht homosexuell geblieben seien, liege an dem gesellschaftlichen Erziehungsdruck, der als Norm die Heterosexualität propagiere. Neben heterosexuellen Männern und Frauen gebe es ein „drittes Geschlecht“, die homosexuell Orientierten.

 

Zu dieser Gedankenführung ist folgendes zu sagen: Es gibt faktisch für die These einer am Anfang der Lebensentwicklung bestehenden Ambisexualität des Menschen keinen einzigen Beleg. Gegen die These, Homosexualität sei eine normale, selbstgewählte Triebrichtung spricht, dass viele homosexuell empfindenden Menschen nach eigener Aussage anders leben möchten, und zwar selbst dann, wenn sie sich Mühe geben, sich ihre Normalität einzureden und wenn ihre Umwelt ihren Gefühlszustand für akzeptabel erklärt. Die Behauptung, homosexuelle Menschen würden an ihrer Orientierung und ihren daraus unmittelbar sich ergebenden psychischen Folgen (überhöhter Druck, ständig körperlich attraktiv zu sein; Leiden am häufigen Zerbrechen von Beziehungen, an der Kinderlosigkeit u.a.) nicht leiden, sondern nur an der gesellschaftlichen Bewertung der Homosexualität („Diskriminierung“), ist objektiv falsch.

 

Gegen die Normalität homosexueller Praktiken spricht ferner die durch zahlreiche empirische Untersuchungen nachgewiesene Promiskuität bei Homosexuellen. Die Häufigkeit ist um ein Vielfaches größer als bei Heterosexuellen. Etwa 75 % der männlichen Homosexuellen haben im Lauf des Lebens 100 bis weit über 500 Partner. Stabile eheähnliche Dauerpartnerschaften sind - insbesondere bei Männern - sehr selten. Wenn es zu Partnerschaften kommt, schließen diese sexuelle Nebenkontakte zu anderen Partner nicht aus.


H. Kentler deutet dieses Phänomen folgendermaßen: „Der Homosexuelle kann eine Luststeigerung erreichen, indem er sich sexuellen Akten und damit das Fusionserlebnis nicht nur mit einem, sondern mit vielen Partnern verschafft, der Heterosexuelle hingegen empfindet um so größere Befriedigung, je polarer die Gegensätze zwischen ihm und dem Partner sind. Daraus folgt, dass der Homosexuelle eine Neigung zur Promiskuität hat.“

 

Der homosexuell orientierte Sexuologe M. Dannecker meint, dass das Reden von Dauerpartnerschaften eine Sache der Anfangsphase des Ringens um Emanzipation sei. Zur Natur des homosexuellen Menschen gehöre die Promiskuität. Von daher ist es nachvollziehbar, dass Vertreter der HuK die Aufteilung „zwischen braven, gesellschaftlich angepassten, unauffälligen, monogamen Homosexuellen einerseits und... unangepassten und promiskuitiven Homosexuellen andererseits“ für diskriminierend halten und die volle Akzeptanz eines promiskuitiven und bisexuellen Lebensstils auch in der Kirche einfordern.

 

Schließlich werden heute auch die hohen Zahlenangaben Hirschfelds und Kinseys massiv in Frage gestellt: Zweifellos ist es außerordentlich schwierig, etwas Zuverlässliches über die Verbreitung homosexueller Neigungen zu sagen. Zum einen gibt es nicht den typischen Homosexuellen. Es gibt noch nicht einmal so etwas wie ein einheitliches Selbstverständnis homosexueller Menschen. Keineswegs lebt jeder gleichgeschlechtlich Orientierte seine Neigungen aus. Viele sind in der Lage, ihre homosexuelle Orientierung zu kompensieren oder zu sublimieren.

 

Aber auch bei Berücksichtigung mancher Unwägbarkeiten gelten die von Hirschfeld und Kinsey angegebenen Zahlen heute als viel zu hoch angesetzt. Bei Hirschfelds Angaben werden vor allem (aber nicht nur) die viel zu hoch gegriffenen Prozentangaben bei der Androphilie und der Gerontophilie bezweifelt. An den statistischen Erhebungen der Kinsey-Reports wird vor allem kritisiert, dass hier ein Personenkreis untersucht worden sei, der u.a. einen hohen Prozentsatz von Sexualverbrechern einschloss, also unrepräsentativ ist. Außerdem seien die homosexuellen Gefühle und Handlungen sehr weit gezogen worden.

 

Zum Beispiel kam Rudolf Osieka, der 1969 die Frage der Verbreitung der Homosexualität untersuchte, zu wesentlich niedrigeren Ergebnissen. Er sandte einen Fragebogen mit 280 Fragen an 4626 männliche Studenten aus 11 Universitäten. Davon sandten 2835 (61 %) verwertbare Bögen zurück. Von diesen hatten 80 % nach dem 12. Lebensjahr keinen homosexuellen Kontakt mehr. Sie sind also heterosexuell. 15 % hatten zwischen dem 12. und dem 18. Lebensjahr noch gleichgeschlechtliche Kontakte, danach aber nicht mehr. Lediglich 3, 5 % hatten in den letzten 12 Monaten vor der Befragung homosexuelle Kontakte. Doch auch diese letzteren können nicht als ausschließlich homosexuell geprägt bezeichnet werden, da von dieser Gruppe 59 % erklärten, dass sie bereits heterosexuelle Koituserfahrungen gehabt hatten. Und 75 % von ihnen gaben an, gelegentlich bis häufig bei der Masturbation auch heterosexuelle Phantasien gehabt zu haben. Nur 19 % wünschten keinerlei heterosexuelle Koituserfahrungen. Nach dieser Untersuchung kann man also weniger als 1 % der Befragten als ausschließlich homosexuell Orientierte bezeichnen.

 

Zwar bleibt auch diese Studie in mancherlei Hinsicht relativ: Es wurden nur Studenten befragt; nicht alle Befragten beteiligten sich; es handelte sich um eine eingeschränkte Altersgruppe; die sogenannte latente Homosexualität wurde nicht berücksichtigt. Immerhin aber entsprechen diese Prozentangaben dem, was neuere Kinsey-Reports ebenfalls kundtun. Während in den fünfziger Jahren noch die Rede war von bis zu 10 % bleibend homosexuell Orientierten, spricht man heute von lediglich 1 % der Bevölkerung.


Daneben will man von Zwischenstufen und ambivalenten Prägungen (sogenannter Bisexualität) sprechen: So wie jeder Mensch auch körperliche Merkmale des anderen Geschlechtes aufweise (bis zur Zwitterbildung), könne es (zum Beispiel im Pubertätsalter) zu intensiveren Ausprägungen bisexueller Art kommen.

 

Aber wie fragwürdig die hohen Zahlenspielereien auch sind: Nicht zuletzt, weil sie sich vortrefflich zur Untermauerung der These einer Ambisexualität des Menschen eignen, die mit der Forderung verknüpft wird, bei dem im Kern bisexuellen Menschen müsse die Entscheidung zur Homosexualität genauso respektiert werden wie der voluntative Akt zur Heterosexualität, werden sie gerne vorgetragen.

 

Obgleich also einige Epigonen S. Freuds und A. Kinseys die These einer Ambisexualität nach wie vor vertreten, wird sie zunehmend von Humanwissenschaftlern bezweifelt. In Wahrheit wird die These einer ursprünglichen Ambisexualität des Menschen einzig und allein aus dem abgeleitet, was man vorher vorausgesetzt hat, also was man gerne glauben möchte, nämlich dass das Verhalten des Menschen rein biologisch erklärbar sei und dass man die Heterosexualität nicht zur anthropologischen Norm erheben dürfe.

 

Übrigens vertrat Karl Heinrich Ulrichs, der Erfinder der Idee vom „dritten Geschlecht“ gegen Ende seines Lebens die Überzeugung, es gäbe mehr als zwölf unterscheidbare menschliche Geschlechter. Andere „menschliche Geschlechter“ seien unter anderem Bisexuelle, Transsexuelle, Pädophile. Mit derartigen Ideen wird faktisch die zueinander hingeordneten Polarität von Mann und Frau aufgelöst. Es entsteht ein radikal anderes, einzig und allein durch Hass gegen die biblischen Schöpfungsordnungen konstruiertes Menschenbild.

 

 

4.6.  Zu Herkunft und Wesen homosexueller Orientierung im Licht der Heiligen Schrift

 

Bei der Beantwortung der Frage, wie Herkunft und Wesen homosexueller Orientierung im Licht der Bibel zu beurteilen ist, gehen wir Schritt für Schritt vor.

 

Nach Aussage der Heiligen Schrift ist seit dem Ungehorsam Adams jeder Mensch unfähig zu irgendeinem Guten (Römer 3, 10-18; 8, 7; Kolosser 1, 21; Epheser 4, 17-19) und steht unter der Tyrannei des Teufels und der Sünde (Johannes 8, 44; Römer 5, 18-21). Somit kann man, wenn man möchte, seit dem Sündenfall von einer „Veranlagung“ oder von einer „inneren Disposition“ zum Bösen sprechen. Diese „innere Veranlagung“, aus der die menschlichen Handlungen stammen und die den Menschen zu allem Bösen verleitet, nennt die Heilige Schrift „Herz“ (Sprüche 4, 23; Matthäus 15, 18-20; Epheser 4, 18), im Neuen Testament auch „Fleisch“ (zum Beispiel: Römer 7, 5; 8, 7; Galater 5, 17).

 

Dieser allgemeine Sog zur Sünde kann sich als Neigung zu ganz bestimmten Sünden auswirken. Diese Neigung kann so stark sein, dass sie gleichsam zu einer „zweiten Natur“ werden kann. Bei einem Dieb, der durch kein Geschäft gehen kann, ohne dass er etwas mitgehen läßt, kann man von einem Kleptomanen sprechen. Aber damit ist Habsucht nicht ethisch neutral geworden (Kolosser 3, 5; Römer 1, 29; 1. Korinther 6, 9-10). Bei einem Trinker, der ohne Alkohol nicht leben zu können meint, kann man von einem Alkoholiker sprechen. Alkoholismus ist der gebührende Lohn für denjenigen, der zu viel Alkohol trinkt. Auch Trinken ist dadurch nicht ethisch neutral geworden (siehe: Galater 5, 21; 5. Mose 21, 20; Sprüche 23, 20-21. 29ff).

Ähnlich verhält es sich mit einem homosexuell Orientierten. Indem die Heilige Schrift die homosexuelle Neigung als den „angemessenen Lohn“ für den Menschen bezeichnet, der homosexuelle Handlungen ausübt (Römer 1, 27), sagt sie implizit, dass Menschen nicht als Homophile auf die Welt gekommen sind, sondern sie werden dadurch auf Menschen des gleichen Geschlechts sexuell fixiert, dass sie gleichgeschlechtliche Handlungen ausüben. Homosexuelle Neigungen sind das Ergebnis von entsprechenden Handlungen. Wenn jemand auf Menschen des gleichen Geschlechts sexuell fixiert ist, kann man ihn, wenn man will, als „homosexuell disponiert“ oder als „homophil“ bezeichnen. Die Unterscheidung zwischen denjenigen, die ihre Homosexualität sehr, sehr tief in ihrem Leben erfahren (den sogenannten homosexuell Disponierten, Homophilen) und denjenigen, die „heterophil“ sind, aber homosexuelle Handlungen ausüben, ist nicht prinzipiell, sondern lediglich graduell.

 

Dieses bedeutet keineswegs, dass die Bibel homosexuelle Orientierung eindimensional als ein falsch angelerntes Verhaltensmuster verstanden wissen will. Dem Apostel Paulus geht es zum Beispiel in Römer 1 darum, die geistige Dimension menschlichen Handelns herauszustellen: Womit ist das Bewusstsein von Menschen gefüllt, die von Gott abgeirrt ist? Welche (Götzen)bilder beherrschen das Bewusstsein, das Denken, die Phantasie... die Medien? Die Menschen, so lehrt Römer 1, geraten durch ihr Abirren von Gott in ihrem Denken unter Mächte, die sie nicht in der Lage sind, zu steuern. Im Licht der Heiligen Schrift ist Homosexualität am besten zu beschreiben als Ausdruck der Verirrung (so wörtlich: Römer 1, 27) einer Gesellschaft, die den Schöpfer nicht anerkennt und verehrt. Homosexualität ist kreatürliche Entartung.

 

Manches Erklärungsmuster der Humanwissenschaften, die Homosexualität als „homosexuelle Orientierung“ oder als „Disposition zur Homosexualität“ bewerten oder als „Krankheit“, „Defekt“,

„Neurose“, „Qualifikationsstörung“ oder „psychische Störung“ qualifizieren, ist nicht völlig falsch. Es ist unbestritten, dass humanwissenschaftliche Analysen gewisse Zusammenhänge oder charakteristische Entwicklungsstufen in der inneren Gefühlsstruktur hin zur homosexuellen Neigung beschreiben können. Durch sie können Teileinsichten für die Erklärung der Entstehung homosexueller Orientierung vermittelt werden, wie soziale Konflikte mit den Eltern oder mit sonstigen Bezugspersonen, Verführung oder fehlgeleitete Selbstfindung des heranwachsenden Menschen, Enttäuschungen während der Pubertätszeit, die den Menschen in die Regression treiben u.ä. Aber das alles darf uns nicht den Blick davor verstellen, dass im Licht der Heiligen Schrift die Homosexualität im Horizont des Abfalls der Menschen von Gott steht: Es kann einen Zeitpunkt geben, an dem eine Gesellschaft nicht mehr zu erfassen vermag, was Schöpfung ist, weil man den Schöpfer nicht (aner)kennen will. Symptom dieses Abfalls von Gott, dem Schöpfer, ist Homosexualität.

 

Die psychologischen, soziologischen und pädagogischen Erklärungsmuster werden durch die Aussagen der Heiligen Schrift einerseits relativiert - zum Beispiel darf man die humanwissenschaftlichen Überlegungen niemals zur Idee verwenden, homosexuelle Menschen seien für ihr Tun unverantwortlich - andererseits werden diese Gedanken durch die Aussagen des Wortes Gottes überboten, wenn man will, transzendiert.

 

 

4.7.  Zur Heilbarkeit von homosexueller Orientierung

 

Sobald man erfasst hat, dass Homosexualität nicht eine Variante der einen umfassenden Sexualität ist, sondern eine Abweichung von der schöpfungsgemäßen und damit auch von der psychischen Norm, drängt sich von selbst die Frage nach der Umorientierung homosexuell geprägter Menschen auf. Ist es homosexuell orientierten Menschen möglich, zu einer normalen, heterosexuellen Beziehung zu finden?

 

Bekanntlich behauptet ein Teil der Psychologen und Mediziner und nicht zuletzt auch der Theologen, homosexuelle Neigungen seien irreversibel. Im äußersten Fall lasse sich eine kurzfristige Umorientierung des Verhaltens erzielen, aber im Kern sei Gleichgeschlechtlichkeit genausowenig änderbar, wie die menschliche Hautfarbe: Wer einem homosexuell Orientierten dennoch Hoffnung auf Änderung mache, stürze ihn in einer geradezu unmenschlichen Weise in die Verzweiflung.

 

Andere äußern sich zum Thema der Nichtänderbarkeit homosexueller Neigungen vorsichtiger, zurückhaltender. Sie möchten unterscheiden zwischen einerseits einer auf Vererbung zurückgehenden gleichgeschlechtlichen Trieborientierung und andererseits einer neurotischen Form. Heilung von der ersten Form sei unmöglich, Heilung von der zweiten Form sei denkbar, wenn sie sich auch relativ langsam und in Etappen vollziehe.

Aber nicht wenige Psychotherapeuten, und zwar aus divergierenden psychologischen Schulen und nicht zuletzt Seelsorger halten Heilung homosexuell empfindender Menschen generell für möglich. Dabei wird allerdings beharrlich darauf hingewiesen, dass die Heilung eines homosexuell Orientierten entscheidend davon abhängt, dass der Patient sie selbst will.

 

Ausdrücklich versteht man dabei unter Heilung nicht, wenn ein Patient zu homosexueller Enthaltsamkeit gebracht worden ist. Auch Aphilie (der Patient ist nach der Behandlung weder auf das eigene noch auf das andere Geschlecht orientiert) oder Biphilie (der Patient ist auf Menschen beiderlei Geschlechts sexuell orientiert) wird nicht als Heilung bezeichnet. Sondern als Heilung wird nur verstanden, wenn der Betreffende bis hinein in seine Phantasie bleibend heterosexuell orientiert ist.

 

Da diejenigen, die eine Änderbarkeit homosexueller Neigungen für möglich halten, kaum in den Medien Widerhall finden, seien hier einige Stimmen aufgeführt. In den Anmerkungen findet der Leser die entsprechenden Literaturangaben.

 

Auf einem von der Offensive Junger Christen veranstalteten internationalen Symposion (Herbst 1994) in Reichelsheim bei Darmstadt zum Thema Die andere Seite - Homosexualität und christliche Seelsorge kamen etliche Referenten zu Wort, die nicht nur die von einem Großteil der Humanwissenschaftler übernommene Behauptung, es gebe Menschen, die von Natur aus homosexuell veranlagt seien, dezidiert in Frage stellten, sondern auch die homosexuelle Lebensführung als keineswegs unumkehrbar bezeichneten. Sie erklärten, von Natur aus gäbe es keinen homosexuell Orientierten, sondern nur Heterosexuelle, die homosexuelle Probleme hätten.

 

Unter anderem berichtete der frühere Aktivist der Koalition für die Rechte der Homosexuellen und Mitbegründer der ersten „Schwulen-Kirche“ Neuseelands, Noel Mosen (Auckland), wie er durch den Glauben an Christus seine gleichgeschlechtliche Neigung überwunden habe: Er habe Selbstmord begehen wollen, weil er als 32jähriger „Mann mit Bauch“ für andere Homosexuelle immer wieder attraktiv gewesen sei und sich doch sehr einsam gefühlt habe. In dieser Situation habe er einen jungen christlichen Missionar kennengelernt, der ihn auf die Möglichkeit hingewiesen habe, durch den Glauben an Christus sein Leben zu ändern: „Ich hatte nichts mehr zu verlieren, deshalb wurde ich Christ.“ Nach fünf Jahren disziplinierten ledigen Christseins habe er sich in seine


spätere Frau verliebt. Heute begleitet er zusammen mit ihr seelsorgerlich homosexuell empfindende Menschen.

 

Ähnliches berichtete Frank Worthen (San Francisco und Manila), der Mitbegründer von Exodus International, einer weltweit tätigen Dachorganisation aller Gruppen, die unter „Ex-Schwulen“ arbeiten. Als er 14 Jahre alt war, sei sein Vater gestorben. Daraufhin habe ihn ein Pfarrer in die Lebenswelt homosexueller Menschen eingeführt. Dadurch sei er bis zu seinem 44. Lebensjahr homosexuell orientiert gewesen. Auch er habe in dieser Zeit Selbstmordgedanken gehabt. Aufgrund der Hilfe durch einen anderen Pfarrer habe er jedoch seine Gleichgeschlechtlichkeit aufgeben können: „Gott kann jeden Menschen verändern, der sich entscheidet, konsequent den langwierigen Weg der Veränderung zu gehen.“

 

Der früher selbst homosexuell geprägte Theologe Roland Werner (Marburg) ließ mehrere Männer zu Wort kommen, die durch Seelsorge und Therapie ihre homosexuellen Probleme überwunden hatten.

 

Derartige Berichte sind auch aus anderen Ländern zu vernehmen. Nur ein Beispiel: In den USA wurde bereits im Jahr 1979 eine über 15 Jahre währende Studie (Homosexuality in Perspective) veröffentlicht. In einem Programm wurden 67 homosexuell orientierte Menschen, die gemäß der klassischen Kinsey-Skala vorherrschend bis ausschließlich homophil waren, behandelt. Von ihnen wurden 65 % geheilt. Wichtig für den Erfolg, so die Studie, waren vier Aspekte: Erstens, der entschiedene Wille, eine Veränderung zu wollen, zweitens, der Glaube, dass Veränderung möglich ist, drittens, das Lebensalter und die bisherige Dauer der homosexuellen Orientierung (je länger man die homosexuelle Neigung hatte, desto schwieriger erschien die Veränderung), viertens, die Überzeugung, der homosexuell Orientierte werde von anderen Menschen angenommen.

 

Der reformierte Theologe J. Adams - er leitete ein bekanntes und stark frequentiertes Lebenshilfezentrum in den USA - verweist ebenfalls auf zahlreiche Erfolge. In einem persönlichen Gespräch äußerte er einmal, dass er bis jetzt nur von drei Misserfolgen bei der Behandlung von zig homosexuell orientierten Menschen wisse. Diese seien ausnahmslos auf mangelnde Bereitschaft der Ratsuchenden zur Mitarbeit zurückzuführen. Adams lehnt es ab, die Ursache der Homosexualität in einer wie auch immer vererbten Veranlagung zu suchen. Er findet sie darin, dass jemand homosexuelle Praktiken ausübt, die dann zur Lebensgewohnheit werden.

 

Adams schlägt folgende Therapie vor: Wie andere sündhafte Verhaltensmuster müsse auch die Homosexualität abgelegt werden und durch neue, biblische ersetzt werden. Diese Veränderung vollzieht sich, so Adams, in mehreren Schritten: Als erstes muss der Homosexuelle alle Beziehungen und Freundschaften mit anderen Homosexuellen abbrechen. Sofern irgend möglich, hat er umgehend seine diesbezüglichen Bekannten darüber telefonisch zu informieren, dass er keinerlei Umgang mehr mit ihnen wünsche. Dass die Trennung sofort und kompromisslos geschieht, hält Adams für entscheidend. Von da an hat der homosexuell Orientierte sein Leben so zu gestalten, dass er keinen Kontakt mehr mit früheren Freunden bekommt (entsprechende Orte meiden usw.). Um dieses zu erreichen, hat er sich einen detaillierten Tages- und Wochenplan zu erstellen. Parallel dazu wird dem Klienten in Gesprächen gezeigt, dass bis zu dem jetzigen Zeitpunkt die Homosexualität jeden Bereich seines Lebens dominiert hat. Von nun an muss es darum gehen, die Auswirkungen der Homosexualität auf sämtliche Lebensbereiche, wie Freunde, Ehe, Arbeit, Gesundheit, Geld abzubrechen und die gesamte Lebensweise nach biblischen Normen neu zu gestalten. Wenn nicht konsequent jeder Bereich vor Gott geklärt werde, so Adams, werde man trotz aller guten Vorsätze wieder in die alte Sünde zurückgleiten. Auch zur Sexualität müsse der Betreffende eine völlig neue Einstellung finden: Es dürfe ihm nicht mehr darum gehen, seine eigene Befriedigung zu suchen, sondern diejenige seines Ehepartners: Ein Leben des Begehrens muss ersetzt werden durch ein Leben der Liebe.

 

Der niederländische Psychologe und Psychotherapeut Gerard J.M. van den Aardweg kann ebenfalls auf zahlreiche Heilungen homosexuell orientierter Menschen verweisen. Auch für ihn ist die Neigung zur Gleichgeschlechtlichkeit nicht eine normale Variante menschlicher Sexualität, sie ist keine Veranlagung der Natur, keine Degeneration, keine Krankheit, sondern eine funktionale Störung in einem grundsätzlich gesunden Individuum: eine sexuelle Neurose. Seiner Erfahrung nach ist sie nahezu immer durch Erziehungsfehler und einer daraus resultierenden Fixierung auf eine zwanghafte Klagesucht verursacht. Einen derartig krankhaften Mechanismus zu zwanghafter Selbstbemitleidung hätten homosexuell Orientierte mit Angst-, Zwangs- u.a. Neurotikern gemein. Von daher könne Gleichgeschlechtlichkeit als eine Variante aus dem großen Bereich der Neurosen angesehen werden. Die homosexuell Orientierten, so van den Aardweg, würden teilweise fühlen, denken, handeln wie ein Kind, das sich selbst bemitleidet: Auf der einen Seite stehe ihr

„Erwachsenen-Ich“ mit seinem normalen Denken und Handeln, auf der anderen das Kind im Erwachsenen, mit dem Zwang zu einer infantilen Selbstdramatisierung im Sinn von: mein armes, gequältes, einsames, unschuldiges, liebebedürftiges Ich! Minderwertigkeitskomplexe im Blick auf die eigene geschlechtsspezifische Rolle würden zu einem psychosexuellen Infantilismus führen, der in pubertärem Schwärmen für Idealgestalten des eigenen Geschlechts stecken geblieben sei.

 

Van den Aardwegs Behandlungsmethode kann am ehesten als Anti-Selbstmitleids-Therapie beschrieben werden: Der Betreffende muss es lernen, sein „inneres Kind“ zu erkennen und dessen Klagesucht mit humorigen, hyperdramatisierenden Selbstgesprächen entgegenzutreten. Diese Selbstbehandlung ist relativ langwierig. Gleichwohl kann van den Aardweg auch bei schweren Fällen von völliger Befreiung berichten.

 

In der Literatur begegnen noch weitere Therapieformen. Zu ihnen gehören: das ärztlich beratende Gespräch, das Vermitteln hilfreicher Literatur, Gesprächstherapie (nach Tausch), Gruppentherapie (die auch Rattner mit Erfolg anwendete), Pharmakopsychiatrische Behandlung der Begleitdepressionen, Einzel-Psychoanalyse (nach Freud) sowie christliche Seelsorge. Die Länge der Therapiedauer wird unterschiedlich angegeben.

 

Es soll hier nicht eine Auseinandersetzung mit den genannten Auffassungen und Therapien erfolgen. Aber das sei noch einmal betont: Wenn Therapeut und Patient davon überzeugt sind, Homosexualität sei unveränderlich, werden sie ihre Meinung immer bestätigt finden. Wer dagegen bereit ist, Untersuchungen und Erfahrungsberichte zur Kenntnis zu nehmen, die der Meinung, homosexuelle Neigungen seien irreversibel, entgegentreten, wobei von einer Umkehrbarkeit der homosexuellen Orientierung ausdrücklich auch diejenigen nicht ausgenommen werden, die gemäß der Kinsey-Skala als vollkommen homosexuell disponiert gelten, der wird die Möglichkeit zur Befreiung nicht verschweigen können.

 

Unabdingbare Voraussetzung für das Gelingen einer Therapie ist, dass der homosexuell Orientierte seine Eigenverantwortlichkeit nicht zurückweist und seinen gleichgeschlechtlichen Begierden nicht nachgibt, sondern eine Veränderung hin auf eine heterosexuelle Empfindungsfähigkeit will. Dazu muss der Betreffende zu der Einsicht gelangt sein, dass sein bisheriger Weg nicht wirklich zur Lebenserfüllung geführt hat. Wenn er angesichts seines Wunsches durch Versagensängste, Minderwertigkeitskomplexe oder sonstige seelische Störungen in seinem Denken, Fühlen und Verhalten nicht genügend Eigenmotivation aufbringt, so dass er in der


Gefahr steht, sein Problem zu verdrängen oder zu verleugnen, wird der Seelsorger ihn bei der Überwindung seines Kampfes unterstützen. Auf dem Weg hin zu einer Neuorientierung des gesamten Lebens wird er darauf dringen, dass der homosexuell Orientierte die eigene Situation so sieht, wie sie im Licht Gottes ist, also wie sie wirklich ist. Er wird ihm Vertrauen auf den dreieinigen Gott nahebringen und ihn auf die Möglichkeit hinweisen, das eigene Leben nach den Normen Gottes zu gestalten. Im Kern ist die Begleitung eines homosexuell Orientierten nicht wesentlich anders als bei Menschen, die durch andere sexuelle Abweichungen von der Norm des Schöpfers, also „wie es von Anfang war“, gedrückt gehen. Man denke an Sexsucht, Hypersexualität, Asexualität, die Meinung, man sei nicht monogam veranlagt, Sucht nach pornographischer Lektüre, Fetischismus, Exhibitionismus, Voyeurismus...

 

Bei der seelsorgerlichen Begleitung wird man auf die Notwendigkeit hinweisen, dass das Herz umkehren muss. Könnte es sein, dass hier der Brennpunkt des Streites in der Kirche ist, zumal man offensichtlich von allem anderen, nur nichts mehr von Bekehrung hören will?

 

Vielleicht waren, als in Korinth der Brief des Apostels Paulus vorgelesen wurde, Menschen aus der Hafenstadt „zufällig“ in den Gottesdienst geraten, die angesichts ihrer persönlichen homosexuellen Situation durch besonders eine Aussage des Briefes getroffen waren. Durch die Aussage, dass es in dieser Gemeinde Menschen gibt, die früher homosexuell waren, es nun aber nicht mehr sind, sondern abgewaschen, geheiligt, gerechtfertigt sind in dem Namen des Herrn Jesus und durch den Geist unsres Gottes (1. Korinther 6, 11). Die Leute, die dieses hörten, schalteten vielleicht nicht gleich innerlich ab, sondern hörten weiter zu. Und dann ging ihnen vielleicht staunend Herz und Verstand auf für diesen Christus. Die geistigen Bilder, die bis dahin ihr Bewusstsein bis hinein in die tiefsten Schichten ihres Unbewusstseins gelähmt und verfinstert hatten, begannen wie Nebel vor der Sonne zu schwinden, und durch das Hören auf das Wort Gottes wurden sie offen für die Erkenntnis Gottes, des Schöpfers und für die Wohltaten seiner guten Ordnungen.

 

Sie hörten weiter, dass sie so mit Jesus Christus verbunden sein können, dass diese Verbindung enger ist als jede sexuelle Abirrung, in die sie geraten waren (vergleiche: 1. Korinther 6, 16-17). Sie vernahmen, um was für einen Preis auch sie erkauft worden sind (6, 20) und dass sie von ihrem früheren, verlorenen Leben durch den Glauben an den Kreuzestod Jesu getrennt werden können. Dieses werde ihnen in der Taufe bezeugt und besiegelt. Von daher hätten sie eine ganz neue Grundlage für ihr weiteres Leben. Dieses, so würden sie vielleicht in einem Gespräch nach dem Gottesdienst von anderen Christen erfahren, würde nicht bedeuten, dass sie damit alle Probleme los seien und nicht mehr gegen Versuchungen zu kämpfen hätten. Eher träfe das Gegenteil zu. Aber jeder einzelne würde erkennen, dass das eine felsenfest bleibt: Als ein in und durch Jesus Christus

„Abgewaschener“, „Geheiligter“ und „Gerechtfertigter“ braucht er nicht mehr in eigener Kraft zu leben, sondern darf in Christus ein neues Leben vor Gott führen und zu seinem Lob leben. Als jemand, der durch den Kreuzestod Christi von seinem eigenen früheren Leben getrennt ist, darf er damit rechnen, dass er bis hinein in sein Unterbewusstes ein neues Leben erhalten darf. Dieses neue Leben hat er nicht, wenn er auf sich selbst blickt, sondern ausschließlich dann, wenn er im Glauben auf Christus blickt. Denn jeder, der auf sich selbst schaut, wird nur seinen alten Menschen erblicken, so wie er von Adam her war. Das neue Leben hat er nicht dort, sondern in Christus (vergleiche dazu: Römer 6, 1-14).


 

4.8.  Ergebnis

 

Als Ergebnis dieses Kapitels kann festgehalten werden, dass keineswegs humanwissenschaftliche Ergebnisse dazu nötigen, homosexuelle Orientierung als unumkehrbar zu bezeichnen. Die Idee, dass der Mensch eigentlich ambisexuell sei, wird heutzutage noch stärker in Frage gestellt als es noch vor einer Generation der Fall war. Selbst wenn man berücksichtigt, dass die Gruppe homosexuell empfindender Menschen keine einheitliche Größe ist und die Vielgestaltigkeit der jeweiligen Gefühlsstrukturen allzu rasche Pauschalisierungen als kurzschlüssig erscheinen lassen, belegen breit angelegte Studien, Berichte erfahrener Psychologen und nicht zuletzt von Seelsorgern sowie zahlreiche Zeugnisse von früher homosexuell empfindenden und praktizierenden Menschen, die nun frei geworden sind, dass Änderung der homosexuellen Orientierung möglich ist. Von Befreiung von homosexuellen Bindungen spricht auch 1. Korinther 6, 11.


5.    Resümee

5.1.   Die gegenwärtige Homosexualitäts-Debatte im Licht der Heiligen Schrift beurteilt

 

Aus den bisherigen Ausführungen ergibt sich - und wir sind uns bewusst, damit im Widerspruch zum gegenwärtigen Trend in der Homosexualitäts-Debatte zu stehen - dass aufgrund der Heiligen Schrift homosexuelle Handlungen nicht nur dann verboten sind, wenn sie im kultischen Rahmen heidnischer Religionen stattfinden oder im Kontext der Prostitution oder wenn einer der beiden Partner verheiratet ist oder wenn Kinder involviert sind (Pädophilie), sondern dass jede gleichgeschlechtliche Handlung unsittlich ist. Weil alle derartigen Praktiken gegen das Gebot Gottes verstoßen, gibt es keine einzige christlich akzeptable Form homosexuellen Umgangs.

 

Gemäß der Lehre der Bibel gibt es in sich schlechte Handlungen. Dieses sind Handlungen, die aufgrund ihres Objektes schlecht sind, unabhängig von der Frage, mit welcher Absicht oder aus welcher Motivation sie erfolgen, also ob sie aus „Liebe“ geschehen oder aus gieriger Lustbefriedigung. Zu diesen Handlungen gehören diejenigen, die gegen den Schöpfer und seine mit der Schöpfung gegebenen Ordnungen verstoßen, also auch Homosexualität. Die Homosexualität ist ihrem Wesen nach gegen die Schöpfung Gottes gerichtet und damit pervers. Sie ist eine Verirrung und damit unter keinen Umständen mit der Ehe als gleichrangig zu bewerten.

 

Homosexuelles Handeln ist auch keineswegs eine Privatangelegenheit, die den Gesetzgeber oder die Gesellschaft deswegen nichts angehen dürfe, weil sie keine Konsequenzen für Dritte habe. Einmal abgesehen von der Frage, ob man von christlichem Standpunkt das hier zugrundeliegende Verständnis von Recht („meine Freiheit wird nur durch die Freiheit meines Nächsten eingeschränkt“) akzeptieren kann oder ob es nicht Aufgabe christlicher Ethik ist, die 10 Gebote als Grundlage für die politische Ordnung in einem Gemeinwesen zu fordern, zumal das Wort Gottes einen universalen Anspruch hat, hat die Akzeptanz homosexueller Verbindungen durchaus Konsequenzen für Dritte. Wenn der Staat die homosexuelle Beziehung für im Prinzip gleichwertig mit der Ehe erklärt, würde damit die Ehe als das im Grundgesetz festgeschriebene Leitbild für das Gemeinwesen unterlaufen werden.

 

Mehr noch: Eine Gesellschaft, die den Pluralismus zum Programm erhebt („multikulturelle Gesellschaft“), die eine Pluralität von Wertvorstellungen und Zielen als ihre Grundlage anstrebt, und damit darauf verzichtet, vor Kindern und Jugendlichen Orientierungspunkte und Schutzmauern aufzurichten, damit sie nicht der Gefahr der Verführung ausgesetzt werden, zerstört faktisch die Integrität der Familie und macht es denjenigen noch schwerer, die bisher noch nicht vor der Aufgabe der Erziehung resigniert haben. Die heute immer wieder beklagte Orientierungslosigkeit Jugendlicher würde durch eine derartige Regelung in katastrophaler Weise zunehmen.

 

Ein Nein zur Homosexualität ist durch die Tatsache belastet, dass homosexuelle Menschen in der Vergangenheit, nicht zuletzt während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft diskriminiert und verfolgt wurden. Tatsächlich gibt es eine Verurteilung von Homosexualität, die nicht nur nichtchristlich motiviert ist, sondern die Christen entschieden zurückweisen müssen: Andersartiges lehnt man einzig und allein deswegen ab, weil es anders ist. Homosexuelle sind zweifellos häufig deswegen diskriminiert und verfolgt worden, weil man meinte, eine Außenseitergruppe nötig zu haben, zu deren Verfolgung sich die sonst unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppierungen


zusammenfinden. So kann man sich gegen Homosexualität wenden, um von eigenen irrigen Verhaltensmustern abzulenken.

 

Aber es gibt eben auch eine im Wort Gottes rückgebundene Überzeugung, homosexuelle Handlungen abzulehnen. Hier geht es um die Heiligkeit des Gottes, der jeden Menschen als Mann und als Frau mit seiner spezifischen Geschlechtlichkeit geschaffen hat. Bereits im Alten Testament gibt Gott zu verstehen, dass eine Gesellschaft, die meint, sich über die Normen Gottes im sexuellen Bereich hinwegsetzen zu dürfen, die vielleicht die Meinung vertritt, sie sei befugt, die Gebote Gottes als altväterliche Prüderie lächerlich machen zu können und Ehebruch, Inzest, Verkehr mit Tieren oder Homosexualität akzeptieren zu dürfen, gerichtsreif ist und zugrunde gehen wird (vergleiche: 3. Mose 20, 10-22; 1. Mose 19, 13; vergleiche: 18, 21). Sowohl die alttestamentlichen Propheten als auch Christus während seines Erdenlebens und nicht zuletzt die Apostel anerkennen keine Form sexueller Gemeinschaft außerhalb der Ehe.

 

Angesichts der gegenwärtigen Situation kann es nicht nur darum gehen, die gesellschaftlichen oder kirchlichen Prohomosexualitäts-Verlautbarungen zu bestreiten. Der Hinweis, dass es noch nie in der Geschichte ein Gemeinwesen gegeben hat, in dem auf breiter Front gleichgeschlechtliche Praktiken als gleichwertig mit der Ehe propagiert wurden, ist zwar richtig, angesichts der gegenwärtigen Herausforderung reicht er aber ebensowenig aus wie die Erinnerung daran, dass bis hinein in die Gegenwart alle christlichen Kirchen ausnahmslos jede Art von homosexuellem Verkehr abgelehnt haben und dass noch kaum 50 Jahre verstrichen sind, seitdem einige wenige kirchliche Vertreter mit einer Revision der bis dahin 2000 Jahre lang im kirchlichen Raum akzeptierten Überzeugung über Homosexualität begannen. Auch wird man sich in der gegenwärtigen Auseinandersetzung nicht damit zufriedengeben dürfen, darauf hinzuweisen, dass die Bibel ausnahmslos jede Form einer homosexueller Handlung für nicht akzeptabel erklärt.

 

Vielmehr wird einmal in umgekehrter Richtung gefragt werden dürfen: Was ist die Ursache dafür, dass die zutiefst fragwürdigen, ja unsinnigen exegetischen Umwertungsversuche zu den Abschnitten der Bibel, in denen homosexuelle Handlungen verurteilt werden, auf so verblüffend breite Akzeptanz gestoßen sind? Was ist eigentlich geschehen, dass es Prohomophilenverbänden in relativ kurzer Zeit gelungen ist, mit einem derartigen Schwung ihre Ansichten im Raum der evangelischen Landeskirchen weitgehend durchzusetzen, so wie es in jüngsten Verlautbarungen zum Ausdruck kommt? In diesen Veröffentlichungen wird die Ehe nicht nur als gottgewollte, lebenslange, liebevolle und ausschließliche geschlechtliche Verbindung zurückgewiesen (siehe dazu: 1. Mose 1, 26-27; 2, 18-25; Markus 10, 29; 1. Korinther 11, 11; Epheser 5, 25-33; Hebräer 13, 4), sondern diese göttliche Stiftung wird als „dunkles Ehetal“ beschimpft, die einzig und allein in der starken Neigung des Heterosexuellen begründet sei, „seine Liebe einer Besitzideologie zu unterstellen“. Das eigentlich

„Krankhafte“ sei nicht das in seiner Fülle gelebte sexuelle Leben, sondern das monogame Leben heterosexueller Menschen.

 

Woher kommt es, dass auf kirchlichen Synoden gefordert werden kann, das „Monopol“ der Ehe auf gottgewollte geschlechtliche Betätigung müsse zerschlagen werden und dass mit Hinweis auf statistisch erhobenes Zahlenmaterial Monogamie und eheliche Treue nur noch als realitätsferne Ideale und als Ausdruck bigotter Doppelmoral wahrgenommen werden kann? Lesbische und schwule Sexualität wird im Vergleich zu der auf Dauer angelegten Partnerschaft, in der Sexualität nur mit einem einzigen Partner gelebt werde als wesentlich vielgestaltiger bewertet. Was geht hier vor?


Antwort: Im Licht der Heiligen Schrift sind derartige Äußerungen über Ehe und Homosexualität nichts anderes als schamloser Ausdruck einer von Gott und seinen Normen abgeirrten Gesellschaft und Kirche. Derartige Aussagen stehen im Rahmen des Gesamtbildes, das man heute

„Postmoderne“ nennt und als deren Charakteristikum die geradezu grenzenlose Beliebigkeit gilt. Sie sind Ausdruck des Hasses gegen den Schöpfer und Zeichen des Widerwillens gegen die von ihm gesetzten Ordnungen. Sie sind Symptom einer hedonistisch-nihilistischen Vergleichgültigung aller Lebensformen.

 

 

5.2.  Was ist zu tun?

 

Der Kerninhalt christlicher Verkündigung ist die gewaltige Botschaft von der Rechtfertigung des Sünders durch den Glauben an Jesus Christus. Die Ethik, die die christliche Kirche zu verkündigen hat, ist eine Ethik der Liebe. Ohne Liebe darf nichts geschehen (1. Korinther 13, 13). Weil aber die Liebe, von der die Bibel spricht, das Gesetz nicht ersetzt, sondern dieses erfüllt (vergleiche: Römer 13, 10), ist es im Licht der Wahrheit Gottes keineswegs Ausdruck mangelnder oder fehlender Liebe, zu untersuchen, was Gott in seinen Geboten fordert. Im Gegenteil: Es wäre ein katastrophaler Irrweg zu meinen, man könne „um der Liebe willen“ die Gebote Gottes ignorieren (siehe dazu: Johannes 14, 15.21.23; 15, 9-10; 1. Johannes 5.23; 2. Johannes 6). Eine solche „Liebe“ ist in Wahrheit keine Liebe, sondern es ist die bornierte Weigerung, zwischen gut und böse unterscheiden zu wollen.

 

Dieselbe Heilige Schrift, die unzweideutig parteiisches und pharisäerhaftes Richten untersagt (siehe: Matthäus 7, 15; 1. Timotheus 5, 21), gebietet, Handlungen zu beurteilen (Matthäus 7, 15-23; vgl. Johannes 7, 24) und die fruchtlosen Werke der Finsternis zurückzuweisen (Epheser 5, 11; 1. Timotheus 5, 20; 2. Timotheus 4, 2; Titus 1, 13; 2, 15). Folglich kann eine christliche Kirche, wenn sie christliche Kirche sein will - nicht von den Geboten Gottes absehen und das christliche Ethos auf Begriffe wie „Liebe“, „Solidarität“,

„Toleranz“ oder „Mitmenschlichkeit“ reduzieren und dieses als „evangelische Lösung“ anpreisen. Wenn man dieses tut, dann, so lehrt die Erfahrung, werden diese Begriffe nur allzu schnell mit allen möglichen im Augenblick gängigen Ideologien inhaltlich gefüllt, und die kirchliche Verkündigung fängt - wie schon mehrfach in den letzten beiden Jahrhunderten an - eine Art Sprachrohr des augenblicklich herrschenden Zeitgeistes zu werden.

 

Wenn Christen die Wahrheit nicht unterdrücken wollen, werden sie bezeugen, dass der dreieinige, heilige Gott homosexuelle Beziehungen nicht will und dass Menschen, die homosexuelle Praktiken ausüben, den Zorn Gottes hervorrufen. Solche Menschen können nicht in das Reich Gottes eingehen (1. Korinther 6, 9-10). Da diejenigen, die homosexuelle Handlungen ausüben, nicht in das Reich Gottes eingehen können, können sie auch nicht in der Kirche bleiben.

 

Wenn die Kirche Jesu Christi ihre 2000 Jahre lang vertretene Überzeugung über Moral und Sexualität und damit auch über Homosexualität preisgibt, vielleicht in der Hoffnung, auf diese Weise die „Welt“ wenn schon nicht zu gewinnen dann doch ihr wenigstens zu imponieren, wird sie ihre eigene „Seele“ verlieren. Sie mag sich eine Zeitlang etwas besser fühlen, aber sie hat aufgehört, ihrem Herrn Jesus Christus zu folgen. Allenfalls kann sie dann noch billige Scheingnade anbieten, die in Wahrheit keine Gnade ist, sondern deren Karikatur. Denn die Kernbotschaft des Evangeliums lautet nicht, dass Gott Sünde rechtfertigt, sondern dass Gott um Christi willen Sünder rechtfertigt, die glauben.


Auf die Frage, ob ein Pfarrer in seinem Pfarrhaus, also in der Öffentlichkeit - denn das Pfarrhaus ist nun einmal keine reine Privatdomäne - homosexuelle Kontakte haben darf, ist mit dem, was generell zu homosexuellen Handlungen gesagt ist, im Kern schon beantwortet.

 

Bei dieser Konstellation kommt noch hinzu, dass die Gemeinde Gottes nicht nur einen Anspruch darauf hat, dass ihr Hirte ihr ohne Abstriche das Wort Gottes verkündet, sondern auch, dass er durch seine Lebensführung zu erkennen gibt, dass ihm selbst die Gebote Gottes verbindlich sind. Es wäre widersprüchlich, absurd, ja paradox, wenn jemand, zu dessen Verkündigungsdienst unbestreitbar die ethische Unterweisung gehört, sich über die Gebote Gottes dermaßen provokativ hinwegsetzt und selbst homosexuelle Praktiken ausübt.

 

Eine Kirchenleitung, die es zulässt, dass Amtsträger offen in einem Pfarrhaus in einer eheähnlichen Verbindung leben und somit absichtlich und dauerhaft im Gegensatz zu einem Teilinhalt der biblischen Verkündigung ihr Leben gestalten, macht sich mitschuldig daran, dass diese Verkündigung als Ganze unglaubwürdig wird. Wenn sie es akzeptiert, dass widersprüchliche Botschaften verbreitet werden, eine nonverbale und eine verbale, gibt sie die christliche Verkündigung der Lächerlichkeit preis.

 

Zu der debattierten Frage, ob ein homosexuelles Paar kirchlich gesegnet werden darf, wird man für das ablehnende Urteil keineswegs allein auf eine fehlende kirchenrechtliche Grundlage verweisen können. Wenn Pfarrer homosexuelle Paare segnen und damit den Eindruck erwecken, derartige Verbindungen stünden im Prinzip mit Ehen auf gleicher Ebene, begehen sie Frevel. Dabei ist es im Kern vollkommen gleichgültig, ob sie diese Segenshandlung als öffentliche Handlung oder als private vornehmen. Wenn die Kirche es zulässt, dass jemand in einer gottesdienstlichen Handlung gesegnet wird, über den die Heilige Schrift sagt, dass er aufgrund seines Verhaltens außerhalb des Reiches Gottes steht, tastet sie die Lehre der Apostel dermaßen unverfroren an, dass sie sich selbst gleichsam den Ast absägt, auf dem sitzt.

 

Der Prophet Maleachi muss einmal im Auftrag Gottes den Priestern seiner Zeit verkünden: „Wenn ihr nicht höret und wenn ihr es nicht zu Herzen nehmet, meinem Namen Ehre zu geben, spricht der Herr Zebaoth, dann werde ich den Fluch unter euch schicken und verfluchen, womit ihr gesegnet seid; ja verfluchen werde ich euren Segen, weil ihr´s nicht zu Herzen nehmen wollt“ (Maleachi 2, 2). Haben wir diese Warnung recht gehört? Der Herr sagt nicht, dass er den fälschlich ausgeteilten Segen seiner Diener für nichtig erklären wird. Er wird ihn nicht einfach annullieren, sondern er wird den so ausgeteilten Segen verfluchen. Eine Kirche, die meint, Sünde segnen zu dürfen, wird sich nicht darüber wundern dürfen, wenn sie von den Menschen Verachtung empfängt (vgl. Maleachi 2, 9). Der Herr sagt in der Bergpredigt in einem anderen Zusammenhang einmal, dass die Schweine, denen man Perlen vorgeworfen hat, sich umwenden und ihre Gönner zerreißen werden.

 

Christliche Verkündigung wird aber keineswegs nur deswegen homosexuelle Kontakte ablehnen, weil derartige Handlungen Ungehorsam gegen die Gebote Gottes sind, Aufstand gegen den Schöpfer und weil Menschen, die homosexuelle Handlungen begehen, nicht in das Reich Gottes eingehen können, sondern sie wird zu diesen auch deswegen Nein sagen, weil ein Akzeptieren homosexueller Praktiken für die Betroffenen keine Hilfe bedeutet und darum ihnen gegenüber auch keine Liebe darstellt. Es ist nicht wahr, dass homosexuell lebende Menschen glücklich („gay“) sind. Sie sind zutiefst unglücklich und unbefriedigt. In Wahrheit entspricht es nicht den Interessen homosexuell fühlender Menschen, ihre Verbindungen als mit der Ehe gleichrangig zu bewerten. Weil die christliche Ethik eine Ethik der Liebe ist, kann sie den homosexuell Gebundenen gar nicht verachten oder gar diskriminieren. Christliche Seelsorge wird sich bemühen, den Menschen auf den


Weg der Befreiung in und durch Christus zu führen, nicht zuletzt, um ihm so die Chance eines emotional stabilen Lebens nicht vorzuenthalten. Die christliche Gemeinde ist schuldig, den homosexuell orientierten Menschen durch die Botschaft des Evangeliums zur Befreiung aus seiner Empfindungswelt behilflich zu sein. Wie allen anderen Menschen auch, so darf auch ihm gesagt werden, dass im Namen des Herrn Jesus und durch den Geist Gottes Befreiung von seiner Bindung möglich ist (1. Korinther 6, 11).

 

In den Fällen, in denen der Herr keine Heilung schenkt, wird dem homosexuell Orientierten der Rat gegeben werden, enthaltsam zu leben. Genau wie ein Mann, der Jahre mit einer kranken Frau zusammenlebt und demzufolge auch seine sexuellen Anfechtungen kennt, nicht Befriedigung außerhalb der Ehe suchen darf, wird auch hier der Trieb sublimiert werden (müssen). Bei all diesem wird das Thema der Bekehrung des Herzens nicht ausgeklammert werden. Vielmehr wird auf den Kampf gegen die unerlaubten Neigungen hingewiesen werden.

 

Es ist keineswegs nur Aufgabe christlicher Verkündigung und Seelsorge, zu homosexuellen Praktiken Nein zu sagen und auf die Befreiung durch Christus hinzuweisen. Darüber hinaus gehört es zu ihrer Aufgabe, präventiv zu wirken, also diejenigen davon abzuhalten, homosexuell zu leben, die (noch) nicht in diesen Sog geraten sind. Namentlich Menschen während der Pubertät, in der erfahrungsgemäß nicht selten das Denken und die Gefühle wirr durcheinanderschwirren, können in die Gefahr geraten, sich homosexuell orientierte Menschen zum Vorbild zu nehmen und dann in homosexuelle Bindungen zu geraten. Gerade darum gilt es, dem Jugendlichen eine angemessene Geschlechtserziehung zu gewährleisten, so dass die psychologische Identifizierung mit dem eigenen Geschlecht ermöglicht wird. Bei dieser Aufgabe sind die Eltern nach Kräften durch eine christliche Verkündigung und Seelsorge zu unterstützen.

 

Abschließend sei noch einmal betont: Die Kirche Jesu Christi ist eine Gemeinschaft von Sündern, von denen jeder einzelne auf Vergebung angewiesen ist und darum niemand Anlass hat, sich über den anderen zu erheben. Es war das Thema dieser Abhandlung, zur gegenwärtigen Homosexualitäts-Debatte Stellung zu nehmen. Aber das Ausüben homosexueller Handlungen ist natürlich nicht die einzige Sünde. Erinnert sei an die Aufzählung in Römer 1, 29-32.

 

Noch etwas darf nicht vergessen werden: Als der Herr einmal auf Sodom und Gomorra zu sprechen kommt, hebt er nicht hervor, dass dort gleichgeschlechtliche Perversionen begangen wurden, sondern er sagt: Es gibt Schlimmeres als was dort geschehen ist, nämlich dass man sich dem Umkehrruf Jesu und seiner Gnadenzusage verschließt (vergleiche: Lukas 17, 28-30; Matthäus 11, 20-24).