Jürgen Spieß
Samstag, 09.11.2002, 20.00 Uhr
Vielleicht hat jemand, als er diesen Titel gelesen hat, sich gedacht, es müsste eigentlich heißen: Toleranz oder Wahrheit. Weil man sagt, entweder ist jemand tolerant, oder aber, er behauptet, die Wahrheit zu kennen oder zu haben und ist deshalb intolerant. Sind das nicht 2 Dinge, die sich ausschließen? Entweder tolerant oder Wahrheit. Es wird heute Abend um die Frage gehen, inwieweit hängen diese beiden Begriffe zusammen. Ist es gerechtfertigt, von einem "und" zu sprechen, oder muss man doch lieber eher besser von einem "oder" sprechen?
Pluralistische Gesellschaft, darüber wurde schon etwas gesagt zu Eingang, heißt, dass verschiedene Plurale, viele Möglichkeiten des Lebens, der Lebensformen, der Lebenswirklichkeit gelebt werden können. Und deshalb ist eine pluralistische Gesellschaft auch kritisch, man könnte auch sagen allergisch gegen Wahrheitsansprüche aller Art. Es geht in einer pluralistischen Gesellschaft offensichtlich darum, dass jeder nach seiner Fasson selig werden kann.
Und diese Aussage einer pluralistischen Gesellschaft ist natürlich für den christlichen Glauben in einer ganz besonderen Weise bedrohlich. Denn der christliche Glaube beruht ganz wesentlich auf Wahrheitsaussagen, und zwar auf 2 ganz verschiedenen Gruppen von Wahrheitsaussagen. Mit der einen Gruppe hatten wir uns heute Nachmittag etwas beschäftigt. Das ist sozusagen die Gruppe der Tatsachenwahrheit, dass man sagt, das Grab war am 3. Tage leer und Jesus Christus ist von den Toten auferstanden. Gott hat ihn auferweckt, des sind wir Zeugen. So sagen es die Apostel. Das ist eine historische Wahrheit.
Und etwa das leere Grab, wer damals dagewesen ist, der hätte das sehen können, hätte das bestätigen können, oder hätte sagen können, nein es ist nicht leer. Es ist eine Tatsachenwahrheit. Davon lebt der Christliche Glaube. Wenn Christus nicht auferstanden ist, dann ist euer Glaube eine Illusion, dann seid ihr noch in euren Sünden. So Paulus in 1.Korinther 15 Vers 17.
Der christliche Glaube lebt aber von mehr, als von historischen Tatsachenaussagen, er lebt auch von personaler Wahrheit. Und zwar gehört ganz wesentlich zum christlichen Glauben die Aussage von Jesus Christus: Ich bin die Wahrheit. Eine geradezu unglaubliche Selbstbehauptung. Nicht zu sagen, ich kenne die Wahrheit oder ich zeige euch den Weg zur Wahrheit, sondern: Ich bin die Wahrheit. Deshalb ist der Anspruch des Pluralismus, dass jeder nach seiner Fasson leben soll, in ganz besonderer Weise eine Herausforderung für Christen, denn Christen gründen ihren Glauben auf Wahrheitsansprüchen. Wahrheitsanspruch historisch, sozusagen das Objektive, aber auch Wahrheitsanspruch personal, von der Person, die der Mittelpunkt ist des christlichen Glaubens von Jesus Christus. Ich bin die Wahrheit. Deshalb müssen sich Christen auch mit der Frage der Wahrheit in einer ganz besonderen Weise beschäftigen und natürlich mit der Frage der Toleranz. Ich möchte das Thema heute Abend in 3 Punkten darlegen und zwar zunächst
1. Wahrheit und Verlässlichkeit
2. Wahrheit und Toleranz und
3. Wahrheit und Gewissheit
In diesen 3 Punkten möchte ich das Thema behandeln. Also
1. Wahrheit und Verlässlichkeit
Was meinen wir, wenn wir von Wahrheit sprechen? Der Gießener Philosoph Odo Marquardt hat gesagt, man soll eigentlich nur Referate zu Themen zusagen, mit deren Begriffen sich das historische Wörterbuch der Philosophie schon beschäftigt hat. Das historische Wörterbuch der Philosophie ist seit 30 Jahren zugange und sie sind immerhin schon beim Buchstaben V gelandet. Man kann über Glaube, Liebe, Hoffnung sprechen, leider noch nicht über Wahrheit, weil Wahrheit kommt ja bekanntlich nach V, und da gibt es noch keinen Artikel. Was macht man jetzt als Referent, man hat also ein echtes Problem, man braucht ja zunächst mal eine gute Definition. Ich habe das bei einem Philosophiekongress gefunden, da hat ein Philosoph Wahrheit folgendermaßen definiert, das war sogar der Ausgangspunkt einer Diskussion von Philosophen zur Frage: Wahrheitsansprüche in den Religionen heute. Und diese Definition lautet:
Die Frage nach der Wahrheit entspringt einem ursprünglichen Interesse an verlässlicher Lebensorientierung. Sie ist eine Grundfrage des menschlichen Lebens. Da sie alle Lebensbezüge durchdringt, sind in ihr Erkennen und Handel, Theorie und Praxis noch unbeschieden. Aus diesem Grunde ist die Frage nach der Wahrheit auch nicht identisch mit der Pilatusfrage: Was ist Wahrheit? Denn diese setzt vielmehr bereits eine reflektierte und skeptische Haltung voraus. Was ich hieran interessant finde ist die Formulierung: Die Frage nach der Wahrheit ist die Frage nach verlässlicher Lebensorientierung. Und das ist etwas, was jeder Mensch braucht. Jeder Mensch braucht etwas, worauf er sich verlassen kann, Lebensorientierung.
Wir haben übrigens im Deutschen einen sehr schönen Begriff: Ich verlasse mich, also ich verlasse mich, ich muss mich auf jemand anderen, auf etwas anderes verlassen. Und wir brauchen Verlässliches. Etwas Festes braucht der Mensch. Wahr ist das, was gilt, was verlässlich ist, deshalb kann man ebenso korrekt von einem wahren Freund wie von einer wahren Aussage wie von einer wahren Begebenheit sprechen. Also verlässlich, wir können sprechen, wir sprechen auch davon. Es gibt einen wahren Freund. Das ist jemand, auf den man sich verlassen kann. Eine wahre Aussage, sozusagen die Aussage, die sich mit der Wirklichkeit deckt, und auch eine wahre Begebenheit, dass uns einer etwas erzählt, eine Geschichte, und diese Geschichte hat wirklich stattgefunden. Diese Definition halte ich für grundlegend und möchte sie deshalb zum Punkt 1 ernennen. Wahrheit ist Verlässlichkeit. Wer nach Wahrheit fragt, fragt nach der Verlässlichkeit, fragt also nach seiner Lebensorientierung.
Der kritische Punkt in der Frage nach der Wahrheit ist die Frage nach der Skepsis. Und ich möchte deshalb einen ganz kurzen Exkurs hier an dieser Stelle einfügen über dieses Verhältnis von Vertrauen auf die Verlässlichkeit, auf Lebensorientierung, was für uns nötig ist, und Skepsis demgegenüber. Ich beginne mit dem Begriff der Skepsis. Zunächst mal ist es so, dass landläufig die meisten Menschen denken, Skeptiker das ist also das Gegenteil von einem Glaubenden. Genau wie man sagt, Toleranz und Wahrheit, müsste eigentlich heißen, Toleranz oder Wahrheit. So sagen viele Glauben und Skepsis müsste eigentlich heißen, Glauben oder Skepsis. Auf der einen Seite gibt es sozusagen die Glaubenden, vielleicht die Religiösen, mehr subjektiv veranlagten, und auf der anderen Seite gibt es so mehr die objektiven, die Skeptiker, die vielleicht mehr wissenschaftlich veranlagt sind. Wenn wir uns aber mit diesen beiden Begriffen näher beschäftigen, dann stellen wir fest, dass wir beides in uns haben, und dass wir auch beides brauchen. Skepsis fand ich mal in einem griechischen Wörterbuch, heißt, etwas prüfend aus der Distanz betrachten. Also ein Skeptiker ist jemand, der etwas prüfend aus der Distanz betrachtet. Und das ist auch nötig. Wenn alles wahr wäre, was wir hören, sehen oder lesen, dann müssten wir nicht skeptisch sein. Es ist aber nicht alles wahr, was wir hören, sehen oder lesen. Deshalb ist Skepsis angebracht.
Der Kabarettist Dieter Hildebrand sagte einmal: Wer sagt, ich glaube nur, was ich sehe, der glaubt inzwischen alles, weil man inzwischen alles sehen kann. Man kann alles darstellen. Also wer Forest Gump etwa gesehen hat, diesen Film, der weiß, der Satz, ein Bild sagt mehr als 1000 Worte, der stimmt nicht, denn die Bilder, die man da gesehen hat, die waren täuschend echt, aber sie waren eben nur täuschend echt. Sie stimmten nicht. Es gibt Täuschung, es gibt Irrtum und es gibt Lüge. Deshalb muss man skeptisch sein. Man kann aber nicht nur von Skepsis leben.
Es gibt Familiensprüche, ich nehme an, das kennen sie auch, Es gibt Sätze, die in ihrer Familie ab und zu mal gesprochen worden sind und die haben sich in ihnen festgesetzt und haben ihr Lebensbild mitgeprägt. Als ich darüber mal nachgedacht habe, bei uns zu Hause, da ist mir mein Vater eingefallen, der immer, wenn ein Politiker im Fernsehen sprach, sagte, das ist alles gelogen. Und wenn meine Mutter etwas erzählt hat, was die Nachbarin gesagt hat, hat er ähnliches gesagt. Alles gelogen. Wenn man das oft genug hört, ist das eine sehr gute Erziehung zur Skepsis. Ich hoffe, sie haben positive Familiensprüche zu Hause, du schaffst das schon. Es gibt auch negative, aus dir wird nie etwas oder, was sollen die Leute von uns denken. Also es gibt eine ganze Reihe Familiensprüche, die uns geprägt haben. Nur, alles gelogen, ist rein logisch ein gewisses Problem, weil dann fragt man sich immer, ist der Satz auch gelogen. Es gibt echte grüblerische Anwandlungen, wenn man sich mit diesem Satz, dass alles gelogen sei, auseinandersetzt.
Der Gießener Philosoph Odo Marquardt, den ich schon einmal mit einem Spruch zitiert habe, möchte ich nochmal zitieren.
Der hat gesagt, so wie es in der Physik den Satz von der Erhaltung der Energie gibt, gibt es beim Menschen den Satz von der Erhaltung der Naivität. Er wollte damit ausdrücken: Keiner kann nur skeptisch sein, sondern wir haben alle einen Naivitätspegel oder positiver gesprochen einen Glaubenspegel. Wir vertrauen alle. Wir können nicht nur sagen, wir sind Skeptiker. Wer sagt, ich bin ein Skeptiker, der ist auf einer anderen Seite ausgesprochen naiv, weil er anderen Autoritäten, sei es der Wissenschaft oder wem auch immer, glaubt. Wir müssen sozusagen unseren Naivitätspegel nach Odo Marquardt immer in einer Balance halten. Denn von Skepsis allein und mit Skepsis kann niemand leben. Das Andere ist für unser Leben viel wichtiger nämlich die Frage des Glaubens und Vertrauens. Ich möchte jetzt noch eine Geschichte erzählen, die sie vielleicht kennen, aber die verdeutlicht ein Missverständnis. Ich las einmal, dass in einer Bibelstunde jemand ein Stück aus dem Alten Testament vorlas: Eva war die Mutter des Menschengeschlechtes, dann hat er seinen Text umgedreht, sie war 300 Ellen lang, 150 Ellen hoch und 100 Ellen breit, innen und außen war sie mit Pech verpicht. Er hatte das Problem, dass er die Stelle auslegen sollte und nicht gemerkt, dass er beim Umblättern in die Geschichte von der Arche Noah geraten war. Und hat gesagt, dass Eva 300 Ellen lang, 150 Ellen hoch und 100 Ellen breit ist. Das können wir verstehen, sie war ja die Mutter des Menschengeschlechts. Dass sie aber innen und außen mit Pech verpicht war, das können wir nicht verstehen, das müssen wir einfach glauben.
Es gibt nun viele Menschen, die meinen, das sei der christliche Glaubensbegriff. Da kann ich beruhigen, das ist er nicht. Glauben, kann man z.B. den Deutschen klarmachen, hängt mit geloben zusammen, angeloben ist eine sehr enge personale Beziehung. Glauben hat also immer etwas zu tun mit einer Person. Im Deutschen sprechen wir davon, dass wir jemandem etwas glauben. Zum Glauben gehört nicht nur ein Inhalt, was wir glauben, sondern auch, wem wir glauben. Und natürlich auch, wie gut der Glaube begründet ist.
Wir sind z.B. heute Abend hier alle eine Gemeinschaft von Glaubenden. Wir haben alle geglaubt, dass dieser Abend um 20 Uhr stattfinden würde. Es gab dafür vorher keinen Beweis, es gibt auch anschließend keinen Beweis, es sei denn, man würde sich auf eine Frage des Beweises einigen, was man als Beweis anerkennen will. Aber wir haben geglaubt und vertraut, dass jemand uns sagt, es findet statt. Oder wir haben einen Zettel gelesen, ein grauer Zettel, da stand drin 20 Uhr. Und was auf grauen Zetteln steht, glauben wir grundsätzlich. Also wir haben immer eine bestimmtes Maß an Glauben nötig, um überhaupt leben zu können. Es ist also nicht nur so, dass wir Skepsis brauchen, sondern wir brauchen viel mehr Glauben, und das ist etwas, was unser Leben ausmacht.
Im Lateinischen, das Wort für Glauben heißt übrigens credere, da hängt das Wort Kredit mit zusammen. Credere ist zusammengesetzt aus cor und dare und heißt, das Herz geben. Das meint also Glauben eigentlich. Glauben und Vertrauen ist also eine Weise des Lebens, was grundsätzlich ist für uns, und zwar nicht nur als Kind. Viele werden sagen, das ist klar, ein Kleinkind muss natürlich vertrauen, seinen Eltern, später vielleicht Freunden, Lehrern, sondern wir bleiben unser ganzes Leben lang Vertrauende. Es ist sogar so, wir werden später Vertrauende, Glaubende von Institutionen. Wir glauben der Institution des Arztes. Wir glauben der Institution des Piloten, des Mechanikers, des Kochs. Wir können nicht immer alle Mahlzeiten überprüfen, chemisch überprüfen, bevor wir sie zu uns nehmen. Wir sind Glaubende. Dieses Wort im Deutschen: Ich verlasse mich, das ist etwas ganz Wesentliches, was unser Leben auszeichnet. Wir müssen uns beständig verlassen. Wir müssen vertrauen. Das heißt also, in unserem Leben hängt beides zusammen, Glaube und Skepsis, und es kommt auf die Mischung an von beidem. Nur Skepsis kann man nicht leben, und nur Glauben in diesem Sinne des Vertrauens hat ebenfalls Probleme, weil es eben Irrtum, Lüge und Täuschung gibt.
Wahrheit, also wir wollen ja dem vertrauen, was wirklich verlässlich ist, was Orientierung gibt. Wahrheit ist die Frage nach der Verlässlichkeit. Wenn es etwa im Alten Testament von Gott heißt: Gott ist wahr, so ist das oft übersetzt. Da steht dann im Hebräischen das Wort emet. Und emet heißt eigentlich: Er ist zuverlässig (.........) gleich nahe, wenn wir von bewährt sprechen. Wahr und bewährt. Ein Mensch hat sich bewährt. Man kann sich auf ihn verlassen. Wir brauchen also Verlässlichkeit. Wie ist es nun mit der Wahrheit? Die Postmoderne, das ist ja nun die gängige Philosophie, die zum Pluralismus passt, die also sagt: Es gibt gar keine Wahrheit, sondern jeder hat seine eigene, behauptet ja eben, es gibt nicht nur die eine Wahrheit, sondern es gibt viele Wahrheiten. Und ich möchte an 4 Beispielen ganz kurz zeigen, dass dieser Satz nicht stimmt.
In allen wichtigen Fragen unseres Lebens gehen wir davon aus, dass es Wahrheit gibt. Ich nenne ihnen 4 Beispiele: Beispiel 1 in der Wissenschaft. Die Wissenschaft geht davon aus, dass es Wahrheit gibt. In der Medizin, dass es Medizin gibt, die heilt und hilft und andere, die es eben nicht tut. Bei den Ingenieuren, dass man eben nach bestimmten Mitteln Brücken bauen kann oder Häuser bauen kann, die halten, andere halten nicht. Oder auch, ein Kriminalkommissar geht auch nach bestimmten Regeln davon aus, dass es eine Wahrheit gibt, wie der Täter gefunden werden kann.
Vor einigen Jahren hat ein amerikanischer Physiker Alan Sokal die Welt in Amerika, aber dann auch in Europa dadurch in Atem gehalten, dass er zunächst einen Aufsatz geschrieben hat, der veröffentlicht wurde, wo er dargestellt hat: Alles, was in der Physik als Naturgesetze dargestellt wird, die physikalischen Gesetze sind gar keine physikalischen Gesetze, die was mit der Wirklichkeit zu tun haben, sondern das sind einfach interessegeleitete Aussagen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen. Das wurde abgedruckt, wurde diskutiert. Dann hat Sokal einen neuen Artikel geschrieben und gesagt, April, April, das stimmt natürlich nicht, sondern die Gesetze sind deshalb Gesetze, weil sie mit der Wirklichkeit übereinstimmen. Eine Diskussion, die auch in Deutschland und Europa geführt worden ist. In Frankreich war sein Buch später wochenlang auf Platz 1 der Bestsellerliste. Und neuerdings seit wenigen Tagen gibt es eine neue Diskussion von Physikern, da haben 2 Brüder einen Aufsatz geschrieben, durch den sie einen Doktortitel bekommen haben. Es hat sich herausgestellt, es war eigentlich alles ziemlich unsinnig, was sie geschrieben haben. Gibt es Wahrheit oder gibt es keine. Die Wissenschaft geht davon aus und muss davon ausgehen, dass es Wahrheit gibt. Wahrheit eben bei Ingenieuren und bei anderen.
2. Bereich: Die Sprache.
Unsere Sprache geht davon aus, dass es Wahrheit gibt. Unsere Worte haben in der Regel einen Wahrheitswert. Wir sprechen miteinander, weil wir glauben, dass wir bei dem Gegenstand, über den wir sprechen, der Wahrheit näher kommen, egal wie wichtig oder unwichtig dieser Gegenstand ist. Wenn wir z.B. sagen, ein Beispiel das Robert Spähmann, ein Münchner Philosoph in dem Zusammenhang nimmt, der Satz: Cäsar wurde am 15.März 44 von Brutus ermordet, der ist entweder wahr oder falsch. Das weiß eigentlich jeder, der den Satz liest. Er wurde nicht ein bisschen ermordet, wurde nicht am 15. oder 16. , wurde nicht von Brutus oder einem anderen, also das ist ein Satz, der ist entweder wahr oder falsch. Und in dem Zusammenhang schreibt er, dass wir, wenn wir falsche Aussagen machen, also wenn wir Sätze für wahr erklären, die eigentlich falsch sind, dann können wir das nur machen, indem wir immer den Zusammenhang in Erinnerung behalten, bei dem wir den Satz zum letzten Mal für wahr aufgestellt haben. Wenn wir aber einen wahren Satz brauchen, einen wahren Satz formulieren, dann brauchen wir weder ein gutes Gedächtnis, wann haben wir den Satz zum letzten Mal für wahr verkauft und brauchen auch keine Geistesgegenwart, weil alle wahren Sätze, die wir sprechen, sind mit allen anderen wahren Sätzen kompatibel. Nur die falschen Sätze, die wir sagen, sind nicht mit allen anderen Sätzen kompatibel. Deshalb muss man immer aufpassen, wann hat man diesen Satz zum letzten Mal behauptet für wahr. Eine interessante Welt, sagt Spähmann, in der wir leben. Alle wahren Sätze, die wir sagen, sind mit allen anderen wahren Sätzen kompatibel. Wahrheit und Sprache. Er war absolut überzeugt, dass alles relativ ist.
3. Wahrheit und Geschichte
Es ist kein Zufall, dass Spähmann ein Beispiel aus der Geschichte genommen hat mit Brutus und Cäsar, weil, wie ich eben schon mal sagte, wenn wir eine Geschichte hören, sehen oder lesen, stellen wir uns immer wieder die Frage: Ist das wahr oder ist es nicht wahr ? Das hören wir automatisch mit und das ist eigentlich sehr interessant, dass das Evangelium eben eine Erzählung von Geschichten ist. Oder Wahrheit und Alltag. Keiner von uns geht davon aus, dass wir irregeführt werden, bewusst irregeführt werden. Wenn wir Fragen stellen, wo ist der Bahnhof, natürlich kann’s mal sein, wir werden in die falsche Richtung geschickt, oder wenn wir jemand fragen nach dem Wetter draußen, nach seinem Geburtstag. Wir gehen immer davon aus, es gibt eine Antwort, die ist auch deckungsgleich mit der Wirklichkeit. Wir sagen nicht, dass es gar keine Wahrheitsmöglichkeit gibt, doch die gibt es. Oder stellen sie sich vor, sie bekommen von der Bank einen Bankauszug geschickt. Da steht drauf für ihr Konto, sie haben 2000 Euro Minus. Jetzt sind sie der Meinung sie haben 2000 Euro Plus. Das sagen sie doch auch nicht postmodern: Die Bank hat ihre Wahrheit, ich habe meine Wahrheit, und jeder muss damit leben mit seiner Wahrheit. Sondern dann im Gegenteil. Dann gehen sie zur Bank und hätten das gerne geklärt, wer nun Recht hat. Oder auch bei Prüfungen, wenn sie den Eindruck haben, sie sind ungerechtfertigt, ungerecht behandelt worden. Bei Dingen, die für uns von Bedeutung sind, vor allen Dingen, wenn sie für uns nachteilig wären wie diese Bankauszüge, wollen wir schon ganz gerne wissen, wie die Wahrheit ist, vor allen Dingen weil wir wissen: Es gibt eine. Es gibt eine Wahrheit. Also man kann so sagen: Wir gehen eigentlich in allen wichtigen Fragen des Lebens davon aus, dass es Wahrheit gibt. Jeder von uns tut das.
Dass viele in der Gottesfrage nicht davon ausgehen, dass es eine Wahrheit gibt, oder in vielen ethischen Fragen, das hängt damit zusammen, dass viele Menschen glauben, die Gottesfrage sei völlig unerheblich, irrelevant. Dann natürlich kann man sagen, jeder nach seiner Fasson. Aber wir gehen in den Dingen, die für uns von Bedeutung sind, davon aus, dass es eine Wahrheit gibt, sei es in der Wissenschaft, in der Sprache, in der Geschichte oder auch in unserem Alltag. Sogar in der Ethik sagen wir nicht, es ist alles gleichgültig, was ja in Deutschland ein schönes Wortspiel ist: gleich gültig, hier mal (prima) auseinandergeschrieben ist nicht ganz so schön, als wenn man es zusammenschreibt. Es ist alles gleichgültig. Aber wir sagen nicht es ist alles gleichgültig: Kinderliebe oder Kindermord. Das wird wohl keiner sagen. Es ist völlig gleichgültig, ob man dieser Welt als Mutter Theresa oder Adolf Hitler entgegentritt. Das wird keiner sagen. Selbst da sagen wir, es ist nicht alles gleichgültig in dieser Welt. Was bedeutet das, und damit komme ich zum Punkt
2. Die Frage der Toleranz
Also Punkt 1: Wahrheit und Verlässlichkeit: Wahrheit heißt Lebensorientierung und Verlässlichkeit. Die brauchen wir auch, und die haben wir auch. Vielleicht haben wir nicht darüber nachgedacht, was ist eigentlich das, worauf wir uns gründen. Was sind die Orientierungen, nach denen wir leben? Aber wir haben sie, weil wir ohne gar nicht leben können. Wie ist es mit der Toleranz?
2. Was ist Toleranz? Das historische Wörterbuch der Philosophie ist schon beim Buchstaben V, d.h. sie haben schon eine Definition für Toleranz. Ich möchte sie jetzt trotzdem nicht vorlesen. Die Toleranzdefinition geht ungefähr so: Toleranz heißt das Erdulden von anderen Meinungen. Dulden, Hinnehmen, Respektieren. Toleranz kommt aus dem Lateinischen "tolerare" und heißt eben erdulden. Das heißt, es hat jemand eine Meinung und erduldet eine andere. Man könnte auch sage: Wer keine Meinung hat, der kann gar nicht tolerant sein, weil das (fällt ja dann) aus. Tolerant kann nur der sein, der eine Meinung hat und eine andere erdulden muss. Wer keine hat, muss auch keine erdulden. Man kann sich jetzt fragen: warum braucht man überhaupt Toleranz? Ja man braucht Toleranz, weil wir leider oder glücklicherweise nicht alle immer einer Meinung sind. Wenn wir alle immer einer Meinung wären, müsste man überhaupt nichts erdulden, denn dann wären ja alle immer einer Meinung. Da es aber Unterschiede gibt, muss man jetzt überlegen, wie man mit anderen Meinungen und anderen Lebensweisen umgehen will. Ich hatte eben gesagt, dass Familiensprüche unser Leben prägen. Also viele sagen, was wir zu Hause hören, hat unser ganzes Leben geprägt. Also die Mutter sagt, das tut man nicht, der Opa sagt´s auch, da weiß man, dass tut man nicht. Nach diesen Sprüchen hat man sein Leben geprägt. Und dann kommt man in die Schule oder an die Universität und stellt fest, da trifft man auf Leute, die haben zu Hause offensichtlich ganz andere Familiensprüche gehört, die reagieren ganz anders als ich auf die gleiche Situation. Und dann steht man vor der Frage, wie man damit umgehen will sozusagen mit dem anderen. Diktaturen sind intolerant, weil die auch nur eine Meinung gelten lassen wollen. Also Toleranz ist nur dann, wenn man mit verschiedenen Meinungen leben will. Wenn man das nicht will oder nicht muss, braucht man auch nicht tolerant zu sein.
Sagen wir mal bei Friedrich dem Großen wird immer gesagt, der war ein sehr toleranter Mann, weil der diesen berühmten Satz sagte: In meinem Land kann jeder nach seiner Fasson selig werden. Das Problem bei ihm ist. Er hatte überhaupt keine Meinung in der religiösen Frage. Von daher musste er auch keine andere tolerieren. Also eigentlich nach der Definition fällt er als toleranter Mensch aus. Tolerant ist nämlich nur der, der eine andere Meinung erduldet, d.h. da steckt auch das Motto des Leidens mit darunter. Man leidet darunter, dass man verschiedener Meinung ist. Aber man duldet die andere. Nun gibt es Grenzen der Toleranz? Selbstverständlich, z.B. alle Wissensfragen haben eine Toleranzgrenze. Also wenn jemand sagt, ich möchte gerne in die Vereinigten Staaten fliegen und kauft sich ein Ticket nach New York, kann ich ihn natürlich dahinfliegen lassen, weil, wenn er ankommt, wird er schon merken, dass er nicht in der Hauptstadt der Vereinigten Staaten gelandet ist. Ich bin da tolerant und lasse ihn also dahinfliegen. Oder aber ich könnte ihm sage, also wenn du wirklich in die Hauptstadt der Vereinigten Staaten willst, würde ich dir empfehlen, ein Ticket nach Washington zu kaufen, denn dann wärst du genau da, wo du hinwillst.
Was heißt Toleranz? In dem Zusammenhang hat Goethe gesagt, Toleranz ist Menschenverachtung. Weil einen in seinem Irrtum belassen ist Verachtung. Alle Wahrheitsaussagen sind insofern also intolerant. Also wer sagt 2 + 3 = 7 und will auf dieser Basis Häuser und Brücken bauen, was heißt jetzt Toleranz? Also was kann der Staat da überhaupt sozusagen zulassen. Er kann manches gar nicht zulassen.
Oder denken sie an eine ganz große Demonstration vor etwa 2 Jahren. Da gab es eine Demonstration, da wurde aufgerufen zum Aufstand der Anständigen. Gab es eine riesige Demonstration: Aufstand der Anständigen. Nun ist der Titel natürlich sehr kritisch, weil wenn man an einer Demonstration, die unter dem Titel "Aufstand der Anständigen" teilnimmt, kann es leicht dazu führen, dass man sich schon für anständig hält, nur weil man an der Demonstration teilgenommen hat. Das ist natürlich etwas kritisch. Es gab auch Leute, die sagten (es ging um Ausländerfeindlichkeit) vielleicht wäre ein Aufstand der Zuständigen noch besser, also die, die jetzt auch zuständig sind, dass sie die Verhältnisse irgendwie bessern, dass die vielleicht einen Aufstand machen und einige Dinge klären helfen. Damals bei diesem riesigen Aufstand der Anständigen hat die Zeit, ein liberales Wochenblatt, auf ihrer Titelseite geschrieben, das war nicht nur, wie es überall auf den Transparenten hieß, ein Marsch für Toleranz, es war auch einer für Intoleranz, nämlich: Wir dulden keine Ausländerfeindlichkeit, weder in Worten noch in Taten. Und das muss man immer beachten, wenn man über Toleranz spricht.
Weil, die meisten verwechseln Toleranz mit Indifferenz, also halten Friedrich den Großen für tolerant. Er war einfach indifferent. Es war ihm alles egal. Von daher brauchte er keine Toleranz. Toleranz heißt aber auch immer, hat immer eine Grenze und eine Kehrseite der Intoleranz. Und wenn das damals auch eine große Demonstration war für Toleranz, war es gleichzeitig auch eine Demonstration für Intoleranz, dass man sagte, das (Ausländerfeindlichkeit) dulden wir nicht. Also Toleranz heißt auch immer Intoleranz. Man kann nicht nach allen Seiten offen sein. Früher gab es diesen Satz, wer nach allen Seiten offen ist, kann nicht ganz dicht sein. Man kann nicht nach allen Seiten offen sein.
Also es geht nicht nur um Wissensfragen, sondern es geht auch um inhaltliche Bewertungsfragen. Von daher steht jeder Mensch und auch jeder Staat immer wieder neu vor der Frage: Wo ist die Grenze der Toleranz? Denn Toleranz hat eine Grenze, denn sonst wäre es einfach Beliebigkeit, die nicht lebbar ist. Keiner kann Beliebigkeit leben, weil wie gesagt Kindermord von Kinderliebe sollte man schon noch unterscheiden und nicht sagen, es ist alles gleichgültig. Wir kommen also um Urteile und Bewertungen nicht umhin. Auch ein Staat muss z.B. sich immer die Frage stellen, wo sind die Grenzen der Toleranz, und man hat jetzt ja wieder neu der Terroristen des Jahres 77 gedacht und festgestellt, das Gewaltmonopol muss grundsätzlich beim Staat sein. Kein Staat kann dulden, dass ein Bürger einen anderen umbringt. Kein Staat kann Kindesmisshandlung, Folter oder kriegerische Attacken einfach hinnehmen. Da ist eine Grenze der Toleranz. Das heißt, Toleranz hat auch Grenzen, heißt dulden, also man erduldet andere Meinungen bis zu einem bestimmten Grad. Aber es gibt auch Grenzen. Wo die Grenzen liegen muss immer wieder neu diskutiert werden. den Punkt 2 möchte ich abschließen, indem ich einen Blick werfe auf 2 Beispiele, die immer in besonderer Weise für tolerant gehalten werden.
Das eine ist Nathan der Weise. Es gibt wohl nichts, was auch im religiösen Bereich das Toleranzdenken des Westens so stark beeinflusst hat wie Nathan der Weise. Sie erinnern sich, haben sie sicher in der Schule auch gehabt, sozusagen Pflichtlektüre, es geht dabei darum, dass ein Ring vererbt wird, von einer Generation an die nächste, und dann gibt es die Situation, dass ein Vater 3 Söhne hat, die er alle gleich liebt. Und er will nicht nur dem einen den echten Ring geben, sondern lässt 2 Falsifikate herstellen. Alle 3 sehen täuschend echt aus, aber nur einer ist eben der Echte und er vererbt alle 3. Und dann stellen die 3 Söhne fest, dass man gar nicht mehr feststellen kann, welches der echte Ring war. Und dann merken sie im Laufe der Zeit, es ist auch ganz uninteressant, das festzustellen, welches der echte Ring war.
Und zwar hat das Lessing ja Ende des 18. Jahrhunderts als ein Beispiel genommen über den Unterschied der 3 Religionen, der damals halt im wesentlichen bekannten Religionen, Judentum, Christentum, Islam. Das ist ja sein Beispiel in dieser Geschichte. Und er wollte zeigen, dass es eigentlich uninteressant ist, herauszufinden zu versuchen, welches der 3 Religionen die wahre ist, sondern man kann eigentlich, wenn man in seiner Religion richtig lebt, schon alle Gebote erfüllen. Warum er so dachte, hängt damit zusammen, dass er der Meinung war, der Kern aller Religionen ist die tätige Liebe. Das war seine Meinung. Und er war der Meinung, in der Liebe tätig sein, kann man, egal, was man für einen Ring trägt. Und das hat allen immer eingeleuchtet. Das Ganze hat natürlich mindestens 2 Probleme.
Das eine Problem besteht darin, ob die Definition stimmt, dass der Kern der Religionen die tätige Liebe ist. Fragen sie einen überzeugten Moslem, ob er sagt, das Wichtigste deiner Religion ist die Ethik. Er wird sagen, das Wichtigste ist, es gibt keinen Gott außer Allah. Fragen sie einen Juden, was das Wichtigste an seiner Religion sei, das Wichtigste ist die Ethik. Er wird sagen, das Wichtigste meiner Religion ist nur Gott allein. Fragen sie einen Christen, was das Wichtigste seiner Religion ist. Ich glaube, das Ganze ist ein Missverständnis von Lessing, dass er die Religionen vereinnahmt hat, indem er festgelegt hat, was das Wichtigste ist. Wenn die Religionen nach Selbstaussage alle was ganz anderes sagen, als das, was Lessing sagt. Und damit konnte er das Problem lösen. Suggestiv war auch sein Bild mit dem Ring, weil jedem einleuchtete, letztlich ist es egal, ob der Ring nun echt ist oder nicht, vor allem, wenn sie alle gleich aussehen. Hätte er ein anderes Bild genommen, hätte er wahrscheinlich mehr Schwierigkeiten bekommen.
Nehmen wir einmal an, es hätte ein Vater ein Kletterseil vererbt. Und es wären 2 Falsifikate hergestellt worden. Beim Kletterseil weiß man, es hängt alles davon ab, ob sie strapazierfähig sind, und dass sie nicht fadenscheinig sind. Von daher hätte wahrscheinlich jeder gesagt, also ich möchte, bevor ich mich damit auf den Berg wage, und mein Leben davon abhängt, dass ich am richtigen Seil hänge, möchte ich erst geklärt haben, welches von den 3 Seilen das Richtige ist.
Was heißt, das was Lessing gemacht hat, ging auch nur, weil er der Meinung war, die Gottesfrage ist irrelevant. Wenn man aber der Meinung ist, wie es etwa die Religionen sind, dass die Gottesfrage nicht irrelevant ist, dann hängt schon alles davon ab, was ist der echte Ring, weil der Andere wird gar nicht retten können. Also es hängt bei dem Kletterseil alles davon ab, hängt man an dem Seil, was wirklich hält oder hängt man an einem Seil, was nicht hält. Und dieses Kletterseilbeispiel ist sogar, wenn man jetzt das Alte Testament nimmt, dem Alten Testament jedenfalls viel angemessener. Vielleicht erinnern sie sich an die Stelle in Jesaja 7 Vers 9, da heißt es mal, da sagt Gott, wenn ihr euch nicht an mir fest macht, werdet ihr keinen Halt, keinen Bestand haben. Bestand ist das Wichtigste, was wir Menschen brauchen. Wir suchen etwas oder jemand, an den wir uns hängen können, um Bestand zu haben, denn wir haben das Leben nicht aus uns selbst. Und Gott bietet uns an, dass wir uns an ihn festmachen, dann werden wir Bestand haben. Die Kurzfassung der Übersetzung, die die meisten bei sich haben heißt, glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht. Aber die Langfassung heißt, wenn ihr euch nicht an mir fest macht, werdet ihr keinen Bestand haben. Und das ist durchaus das gleiche Bild genommen von dem Kletterseil. Das Bild, wie ein Kletterer, der sich festmacht und dadurch Bestand hat. Dieses Bild ist sicherlich angemessener als das Bild von Lessing. Letztlich ist das Beispiel von Lessing kein Beispiel für Toleranz, denn er hatte die Meinung, dass es egal ist. Und wie gesagt, wenn einer sagt, dass etwa egal ist, muss er nichts tolerieren. Er muss an nichts leiden. Nur wer sagt, das ist die Wahrheit, der kann darunter leiden, dass andere diese Wahrheit nicht haben oder nicht einmal suchen.
Ein 2. Beispiel, was für viele auch ein ganz wichtiger Punkt ist in der religiösen Frage, ist das Beispiel des Hinduismus. In unserer Zeit glauben viele, dass der Hinduismus eigentlich das Vorbild ist für eine tolerante Religion. Es gibt ein Zitat, etwa von Ghandi, was in diesem Zusammenhang schon mal zitiert wird, der gesagt hat, ich kann über eine andere Religion nicht richten. Es gibt keine Religion, die vollkommen wäre, alle sind sie unvollkommen oder mehr oder minder unvollkommen. Und für viele ist das ein Beispiel für Toleranz. Also Ghandi erhebt sich nicht über die Religionen und sagt, das ist richtig, das ist falsch, er sagt, man weiß es nicht, und ich möchte auch nicht und kann auch nicht über die anderen Religionen richten, die sind genauso vollkommen oder unvollkommen wie meine eigene. Also jeder muss halt sehen, wie er leben will. Das halten viele für ein Beispiel für Toleranz und sagen, ist das nicht hier eine undogmatische tolerante Religion gegenüber einer dogmatischen Religion wie etwa der christliche Glaube, der sagt von Jesus, ich bin die Wahrheit. Nur durch mich, keinen anderen Weg zu Gott. Ist das nicht intolerant?
Nun muss man, wenn man sich das näher ansieht auch feststellen, dass natürlich auch der Hinduismus ein Dogma hat. Es ist nicht so, dass es ein Kampf ist sozusagen zwischen dogmatischer Religion, Christentum und undogmatischer, Hinduismus, sondern es treffen 2 Dogmen aufeinander. Das Dogma des Hinduismus heißt, Gott ist prinzipiell unerkennbar. Und wenn eine Religion kommt oder eine Aussage kommt wie von Jesus, der sagt, ich bin die Wahrheit, dann sagt der Hinduismus, das kann nicht stimmen, weil oder nur in dem Sinne, wie wir alle die Wahrheit sind. Also wie jeder von uns Gott ist. Es gibt glaube ich 333 Millionen Götter im Hinduismus, so ist Jesus auch Gott. Das heißt, der Hinduismus ist nur tolerant gegenüber hinduistischen Konzepten, wie interessanterweise auch der Pluralismus nur tolerant ist gegenüber pluralistischen Lebenskonzepten. In dem Moment, wo ein Lebenskonzept sagt, das ist ausschließlich wahr und zwar es begründet mit Offenbarung Gottes, dann sagt er, das kann nicht stimmen. Also hier endet die Toleranz. Die Toleranz des Hinduismus, der halt in einer pluralistischen Gesellschaft sehr beliebt ist, weil er eben, genau wie pluralistische Gesellschaften alles toleriert außer Offenbarungsreligionen, ist eine eingeschränkte Toleranz. Es duldet nur die eigene Denkweise. Der Hinduismus ist nur tolerant gegenüber hinduistischen Systemen wie der Pluralismus auch nur tolerant ist gegenüber hinduistischen, pluralistischen Systemen. Und die beiden sind durchaus eng verwandt. Also Toleranz und Wahrheit gehören zusammen, wer aber keinen Wahrheitsanspruch aufstellt, kann auch gar nicht tolerant sein. Ich komme zum
3. und letzten, die Frage von Wahrheit und Gewissheit.
Ohne Wahrheit gibt es also keine Toleranz. Nur wer wahr ist kann etwas tolerieren, weil er darunter leidet, dass andere eben nicht die Wahrheit kennen oder nicht einmal nach der Wahrheit suchen. Man kann Wahrheit nicht mit Gewalt vermitteln. Das ist ein Missverständnis. Man kann auch nicht mal, wenn einer sagt 3 mal 3 sind eben 15, nicht mal das, was es heißt das mit Gewalt vermitteln, ich schlage so lange auf ihn ein, bis er 9 ruft. Was heißt das? Das ist gar nicht möglich. Also wer bei seiner Meinung bleiben will, kann, also wer z.B. sagt, alles ist determiniert in dieser Welt, der ist argumentativ, selbst wenn es Gründe gibt, nicht vom Gegenteil zu überzeugen.
Wahrheit und Gewissheit. Ich komme zu 2 anfänglichen Definitionen zurück, einmal zu dieser Definition von diesem Bonner Philosophen Baumgartner, der gesagt hat, man kann genauso gut von einem wahren Freund wie von einer wahren Aussage, wie von einer wahren Begebenheit sprechen. Wenn wir uns das anhören und sagen, das stimmt, es gibt einen wahren Freund, also einen auf den man sich verlassen kann, es gibt eine wahre Aussage, also eine Aussage, da ist der Bahnhof und tatsächlich, da ist er, und eine wahre Begebenheit, dass man sagt, es hat etwas in der Geschichte stattgefunden, und das stimmt wirklich, da muss man doch sagen, dass diese 3 Wahrheitsbegriffe letztlich unter 2 verschiedenen Kategorien zu sehen sind. Und wir kommen wieder zurück, und damit möchte ich also den 3. und letzten Punkt schließen, bei Wahrheit und Gewissheit, zur Frage der Tatsachenwahrheit und der personalen Wahrheit. Wir haben es in unserem Leben immer mit diesen beiden Dingen zu tun, mit den Tatsachen und mit den Personen.
Wir haben es mit Tatsachen zu tun, das wäre jetzt etwa im christlichen Bereich die Frage des leeren Grabes. Und wir haben es mit Personen zu tun. Bei dem gleichen Philosophiekongress, aus dem ich dieses Zitat habe über die Wahrheit, da hat Robert Spähmann, Philosophieprofessor in München, diesen Unterschied gemacht und interessanterweise hat er das auch mit dem Neuen Testament belegt. Er hat gesagt, es ist offenkundig, dass es ein Unterschied ist, ob man sagt, am 3. Tage war das Grab leer, oder ob man den Satz von Jesus nimmt, ich bin die Wahrheit. Bei dem 1. wird man sagen, die Wahrheit besteht darin, ob das Grab nun wirklich leer war oder nicht. Und wer damals da war und hingegangen ist, der hätte sagen können, ja es war leer, oder er hätte sagen können, nein es ist nicht leer. Aber man konnte Feststellungen treffen. Oder Historiker heute können auf Grund von Texten, die sie analysieren, also als Historiker zu Ergebnissen kommen, sagen, das spricht dafür, dass die Auferstehung Jesu wirklich stattgefunden hat und das Grab wirklich leer war.
Davon aber ist zu unterscheiden die 2. Frage der Wahrheit, die personelle Wahrheit. Und das ist etwas, mit dem wir es auch zu tun haben. Wir sind Personen und wir sind eben beständig darauf angewiesen, festzustellen, ob Zeugen vertrauenswürdig sind, ob sie glaubwürdig sind. Ich hatte das heute Morgen schon zitiert, dass ein Physiker gefragt wurde, ob er die Wunder im Neuen Testament für wahr hält. Und da hat er gesagt, da kann ich als Physiker keine Aussagen zu machen. Der Mann kann ja das nicht wiederholen. Und Physiker versuchen ja und leben ja auch davon, dass sie Versuche wiederholen können. Das geht in der Geschichte nicht, und bei Wundern noch viel weniger, sondern die entscheidende Frage ist, sind die Zeugen, die das Wunder überliefern, glaubwürdig. Auch das, was vor Gericht entscheidend ist und für uns selbst. Wir stehen in unserem Leben ständig vor der Frage, ob jemand glaubwürdig ist. Also wenn uns einer etwas erzählt oder wenn wir etwas lesen, überlegen wir uns immer, könnte das stimmen. Vor allen Dingen, wenn von dieser Nachricht für uns etwas abhängt. Meistens hängen von den Nachrichten, die wir hören, für uns nichts ab. Aber es fängt schon an bei so einfachen Vorschlägen, dass uns jemand etwas sagt, wo man etwas billig einkaufen kann. Und wenn wir an der Sache interessiert sind, überlegen wir kurz, ob der glaubwürdig ist, der uns das sagt oder nicht. Und glauben würde dann bedeuten, dass wir hingehen, um das zu kaufen, von dem wir gehört haben, dass es hier oder da billig zu haben ist. Also glauben hat immer auch etwas zu tun damit, dass wir etwas tun. Jemandem etwas glauben und daraufhin bestimmte Schritte gehen oder konsequent sein.
Wir haben es also bei der Frage nach der Gewissheit, bei der Frage mit 2 unterschiedlichen Wahrheitsverständnissen zu tun. Bei der Tatsachenwahrheit geht es darum, dass man versucht, objektiv zu prüfen aus der Distanz, durchaus mit Skepsis. Das haben wir heute Nachmittag ja auch gemacht, indem wir uns überlegt haben, wie ist die Quellenlage für die ersten Christen, welche Indizien gibt es für die Auferstehung. Das sind Beobachtungen aus der Distanz, die sind auch wichtig. Und man kann auch Argumente hören, dass jemand glaubt, das Grab war nicht leer, und man muss sich mit diesen Argumenten auseinandersetzen. Das ist also die eine Welt, die Welt der Tatsachen. Das andere aber ist die für uns viel wichtigere Welt, die wichtige Welt der Personen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, wie wir Personen einschätzen. Ich habe eben schon gesagt, es ist für uns nichts Bedeutsameres, als über eine andere Person herauszufinden, ob sie zuverlässig ist, ob man sich auf sie verlassen kann. Und jetzt kommen wir noch einmal zu dem Begriff der Skepsis. Skepsis heißt, etwas prüfend aus der Distanz betrachten. Und das ist wichtig und nötig, weil nicht alles wahr ist. Man muss skeptisch sein. Gleichzeitig wissen wir aber alle, es gibt kein Leben aus der Distanz. Es gibt keine Liebe aus der Distanz, es gibt keine Freundschaft aus der Distanz und es gibt auch keine Gottesbegegnung aus der Distanz. Wer also wissen will, ob das Wort von Jesus, was er über sich sagt, wirklich wahr ist, der muss nicht nur Dinge überprüfen, sondern er steht auch vor der Frage: Ist dieser Jesus glaubwürdig. Es geht nicht nur darum, jetzt sich aus einer Distanz mit der Frage zu beschäftigen, denn es gibt kein Leben aus der Distanz. Das wissen wir in allen für uns wichtigen Bereichen.
Der englische Schriftsteller C.S. Lewis hat einmal gesagt, wenn man wissen will, ob die Katze im Wäscheschrank ist, genügt es nicht, sich mit allen Argumenten zu beschäftigen, pro und kontra, sondern man muss auch hingehen, die Tür aufmachen und gucken, ist sie da oder nicht. Ich habe das mal bei einer Tagung gesagt und fand dann tatsächlich eine Katze in meinem Wäscheschrank. Das wird mir heute Abend in Breitscheid wahrscheinlich nicht passieren, weil ich hier nicht übernachte. Er wollte damit sagen, Argumente sind wichtig, pro und kontra, die Tatsachenwahrheit. Aber man muss es versuchen, selber rauszukriegen, d.h. man muss auch sich selber einsetzen, die eigene Person. Wenn man die Verlässlichkeit, die Zuverlässigkeit eines anderen Menschen erfahren will, dann muss man einen Weg mitgehen. Wenn man die Zuverlässigkeit des Wortes Gottes erfahren will, dann muss man da auch einen Weg mitgehen. Es gibt kein Leben aus der Distanz. Zu unserem Leben gehört beides, sozusagen Glaube und Skepsis. Genau wie Wahrheit und Toleranz zusammengehören, das sind keine Gegensätze, sondern die gehören zusammen. Ohne Wahrheit könnte man gar nicht tolerant sein. Und auch Glaube und Skepsis ist etwas, was zu unserem Leben dazugehört. Es kommt in beiden Fällen auf die richtige Mischung an. Ich hatte heute Morgen erzählt, wie ich selber Christ geworden bin. Das möchte ich zum Abschluss noch einmal ganz kurz sagen.
1. Die Begegnung mit einem Freund in der Schule, der Christ war und davon sprach, dass Jesus von den Toten auferstanden ist. Das ist etwas, dafür kann ich nichts, kann nur sagen, dass es zu meiner Biografie gehört. Ich bin ihm begegnet. Und er hat mich angesprochen und es war mir bewusst, es gibt nur die Frage, ist es wahr oder ist es nicht wahr. Es gibt gar keine andere Möglichkeit mit der Frage der Auferstehung. Das ist etwas, was in der Geschichte stattgefunden hat. Das
2. Die Beschäftigung aus der Distanz heraus mit den Texten des Neuen Testaments wie ein Historiker sich mit Texten beschäftigt, ist auch etwas Wichtiges. Ich hatte damals gedacht, wenn ich das tue, werde ich gleich feststellen, es kann gar nicht stimmen. Aber als ich es getan habe, habe ich gemerkt, es könnte stimmen. Und das
3. Es geht um einen persönlichen Weg. Für mich war es damals Johannes 7 Vers 17, wo Jesus sagt, wenn du wissen willst, ob das, was ich sage von Gott ist, dann wirst du es herausfinden, wenn du den Willen Gottes tun willst. Es geht nicht anders als dieser persönliche Weg. Wenn ich an Universitäten, das ist ja da, wo ich meistens Vorträge halte in Deutschland oder auch im Ausland bis hin nach Russland. Wenn ich da Vorträge halte auch über die Auferstehung, dann schließe ich meistens mit 3 Punkten. Dann sage ich:
1. Es ist ganz wichtig für jeden Wissenschaftler, dass er seine Information aus erster Hand hat, First Hand Information. Das heißt, es ist für jeden wichtig, der wissen will, wer war Jesus Christus, dass er das Neue Testament selbst liest, und sich die Frage stellt, ist das glaubwürdig und vertrauenswürdig, was hier steht, und ist er glaubwürdig und vertrauenswürdig. Das ist eigentlich das Wichtigste. Das
2. ist, dass man, wenn man welche kennt, die Christen sind, sie fragt über ihr Leben. Das ist genauso wie wenn man etwa über Musik mehr wissen will, dann geht man zu jemanden hin, der musikbegeistert ist, der möglicherweise auch ein Instrument spielt um sich von ihm einführen zu lassen in die Musik von Bach oder Beethoven oder Bruckner oder Mozart. Man geht ja nicht zu jemanden hin, der sagt, ich bin total unmusikalisch oder sogar sagt, ich hasse Musik. Da wird man wahrscheinlich nicht so viel lernen. Das ist ähnlich, da wird bei rauskommen, wenn man mit jemanden spricht, der sagt, ich glaube nicht einmal, dass es überhaupt einen Gott gibt. Da wird man wahrscheinlich nicht viel weiter kommen mit der Gottesfrage. und das
3. das ist aber auch ganz wichtig, dass es die Möglichkeit gibt, dass man selbst ganz unmittelbar sich an Gott wenden kann. Er ist sozusagen ein Gebet entfernt. "Er ist nicht ferne von einem Jedem von uns".
Das sind die Punkte, mit denen ich meine Vorträge an Universitäten über die Auferstehung etwa oder über Glaube und Skepsis oder andere Themen, beende. Weil bei der Frage der Wahrheit und der Gewissheit gibt es eben diese beiden Bereiche, das mehr Objektive, was man aus der Distanz prüfen kann und das, was mit dazugehört, was mit meinem eigenen Leben zusammenhängt, weil es eben kein Leben aus der Distanz gibt. Und so wie Wahrheit und Toleranz zusammenhängen, ohne Wahrheit keine Toleranz, so sind auch Glaube und Skepsis nötig. Es geht nicht um Glaube oder Skepsis, sondern wir haben beides in uns und wir brauchen auch beides in unserem Leben, weil eben nicht alles wahr ist. Und deshalb möchte ich meinen Beitrag heute Abend damit schließen, dass ich ihnen und auch mir wünsche, dass wir in unserem Leben immer das richtige Verhältnis, die richtige Mischung finden von Glaube und Skepsis. Dankeschön.