Die Vollmacht der Eltern
Epheser 6,
1-4: Ihr
Kinder, seid gehorsam euren Eltern in dem Herrn; denn das ist billig. „Ehre
Vater und Mutter“, das ist das erste Gebot, das Verheißung hat: „auf dass dir´s
wohl gehe und du lange lebest auf Erden.“ Und ihr Väter,
reizet eure Kinder nicht zum Zorn, sondern zieht sie auf in der Zucht und
Vermahnung zu dem Herrn.
Unsere
Epistel greift in eine Frage hinein, die heute für die christliche Gemeinde
sehr brennend ist. Wir empfinden das in der heutigen Zeit besonders stark, was
man in allen Zeiten des Umbruchs und der Schicksalswende erlebt hat, den
Gegensatz zwischen zwei Generationen, zwischen den Alten und den Jungen. Die Jungen
sagen: „Wir haben den neuen Zustand erkämpft. Ihr
Alten seid viel zu rückständig, um überhaupt zu begreifen, was jetzt vor sich
geht. Gebt euch gar keine Mühe, ihr versteht es ja doch nicht.“ Sollen wir
klagen und jammern über diese Revolution der Jungend und über die starken
Worte, die wir heute von ihr zu hören bekommen? Sollen wir uns in düsteren
Prophezeiungen ergehen? Nein, das dürften wir nur, wenn wir nicht wüssten, dass
Gott im Regiment sitzt und die gärende Zeit, die wir jetzt durchleben, mit starken
Händen dem Ziel zuführt, das er mit unserm Volk und mit der ganzen Menschheit
hat. Er hat auf dieses junge Geschlecht eine einzigartige Verantwortung gelegt,
wie sie vielleicht seit Jahrhunderten keine Jungend mehr gehabt hat. Und wir
können nur Gott bitten, er möge ihr die Kraft und den Ernst geben, um ihre
Aufgabe zu erfüllen. Aber für uns als christliche Gemeinde ist es in einer
solchen bewegten Zeit nötiger als je, dass wir das tun, was der Schiffer tut,
wenn er in der Nacht auf bewegter See fährt. Er schaut empor zu den ewigen
Sternen, die ihm die Richtung zeigen. So wollen wir emporschauen zu den ewigen
Gottesworten, die uns zeigen, in welcher Richtung die Gemeinde in unserer
stürmischen Zeit steuern muss, um ihr Ziel nicht zu verfehlen. Stellen wir die
ganze Not, die uns der Gegensatz zwischen Eltern und Kindern heute bereitet, in
das Licht des Gotteswortes, so geht uns ein Doppeltes auf:
1.
Der Schmerz, den es besonders heute vielen Eltern
bereitet, wenn sich die Kinder von ihnen loslösen wollen, ist eine heilige
Notwendigkeit. Schon auf den ersten Blättern der Bibel wird von dem Schmerz
gesprochen, der entsteht, wenn das Kind sich vom Mutterleib loslöst, mit dem es
vorher eine Lebenseinheit gewesen ist. Es ist ein weiterer schmerzlicher
Verzicht der Mutter, wenn das Kind entwöhnt wird und seine eigene Nahrung
sucht. Aber noch tiefer ist der seelische Schmerz, wenn das Kind, das die
Mutter unter Schmerzen geboren und unter schweren Opfern aufgezogen hat, den
Eltern innerlich fremd wird und ins Leben hinausstürmt und sein Schicksal in
die eigene Hand nimmt, wenn die Mutter ihr eigenes Kind mit einemmal nicht mehr
versteht. Die Geschichte vom zwölfjährigen Jesus, die die Kirche nach der alten
Ordnung am heutigen Sonntag zu betrachten pflegt, erzählt von dem Schmerz der
Mutter Jesu, als ihr Sohn sich bei dem Fest in Jerusalem von ihr und Joseph
getrennt hat. „Mein Sohn“, ruft sie aus, als sie ihn endlich unter den
Schriftgelehrten wieder finden, „warum hast du uns das getan? Siehe, dein Vater
und ich haben dich mit Schmerzen gesucht.“ Jesus aber bittet seine Mutter nicht
um Verzeihung, er wendet sich einfach nach ihr um und sagt: „Was ist´s, dass
ich mich gesucht habt? Wisset ihr nicht, dass ich sein muss in dem, das meines
Vaters ist? – Und sie verstanden das Wort nicht, das er mit ihnen redete.“
Warum muss denn fast in jedem Menschenleben der
schmerzliche Augenblick kommen, da das Kind den Eltern fremd wird, da die
Eltern ihr eigenes Kind nicht mehr verstehen? Warum kann uns das nicht erspart
bleiben?
Unser Text deutet es damit an, dass er vom Gehorsam
der Kinder gegen die Eltern sagt: Es geschieht „in dem Herrn“. Darin liegt
nicht bloß eine tiefere Bindung, sondern zuerst und zunächst eine Grenze alles
menschlichen Gehorsams, die unerbittliche Grenze, die der Mensch fühlen muss,
wenn Gott in sein Recht tritt. Die
Not, die uns die Lösung der Kinder von den Eltern bereitet, hat ihren tiefsten
Grund darin, weil es bei der Entwicklung des Kindes um das höchste Ziel geht,
das es für uns Menschen gibt. Das Kind soll Gott finden. Zu Gott muss sich aber
jeder Mensch zuletzt allein durchkämpfen. In allen anderen Dingen können wir
Menschen für einander eintreten. Wir können einander bei der Hand nehmen und
zum Ziel führen. Der Meister zeigt dem Lehrling, wie er den Hobel in die Hand
nehmen soll. Der Schulungsleiter führt die jungen Menschen in die Grundbegriffe
politischen Denkens ein. In allen derartigen Dingen kann der Ältere dem
Jüngeren helfen und ihn zum Ziel führen. Aber an einer Stelle versagt alle menschliche Führung. Da müssen wir einander
zuletzt ganz allein lassen: Wenn es gilt, die Hingabe unseres ganzen Lebens an
Gott zu vollziehen. Wir können einander wohl bezeugen, wie unergründlich Gottes
Erbarmen ist, und wie herrlich Christus ist. Wir können einen jungen Menschen
zu Jesus einladen. Wir können ihn ist Gebet nehmen und ihn mahnen und warnen,
aber den Jakobskampf mit Gott muss jeder allein kämpfen, bei dem der Mensch
zuletzt mit gebrochner Hüfte aufsteht: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich
denn!“ Wir können einander den Weg zu Gott ein Stück weit begleiten. Aber den
letzten Sprung muss jeder allein wagen, den Sprung über den Abgrund, bei dem
wir uns dem unsichtbaren Gott auf Gnade und Ungnade in die Arme werfen müssen,
und bei dem wir entweder in den Abgrund stürzen und am Boden zerschellen oder aufgefangen
werden von den ewigen Armen. Diesen Sprung kann keiner für den andern tun.
Es muss darum bei jedem jungen Menschen einmal der
gefährliche Augenblick kommen, den wir in der Natur bei den jungen Vögeln
beobachten. Wenn dem jungen Adler im Felsennest die Flügel gewachsen sind, so
schnellt er sich zuerst eine Zeit lang im Nest in der Höhe unter der Anleitung
der Alten und fällt dabei immer wieder ins Nest zurück. Dann aber kommt der
lebensgefährliche Augenblick, da er aus dem Nest hinausgeworfen wird, um über
dem bodenlosen Abgrund ganz allein den Flug zu wagen. Es kommt alles darauf an,
dass er den Mut findet, sich mit weit ausgebreiteten Flügeln tragen zu lassen
von dem unsichtbaren Luftmeer. So muss für jeden jungen Menschen der große
gefährliche Augenblick kommen, da er sich entschlossen frei macht von allen
religiösen Einflüssen seiner Eltern und Lehrer. Er muss den Kampf mit dem Leben
und mit dem Weltgeheimnis allein aufnehmen. Er muss die Flügel des Glaubens ausbreiten
und selbst die Probe machen, ob die unsichtbare Gottesmacht, die uns wie die
Luft umgibt, wirklich trägt, oder ob alles, was ihm Eltern und Lehrer davon
gesagt haben, nur Aberglaube und graue Theorie ist. „Es müssen Jünglinge gewagt
werden, wenn Männer entstehen sollen.“ Ich erinnere mich noch an ein Gespräch
mit einem jungen Mann, das ich vor Jahrzehnten geführt habe. Ich hatte
wochenlang immer wieder über Gott und Christus mit ihm gesprochen und glaubte
ihn zu einer Entscheidung gebracht zu haben. Da wandte er sich auf einem Spaziergang
plötzlich zu mir um und sagte: „Ich muss jetzt einmal die Gegenprobe machen.
Ich muss einmal ganz ohne Gott und ohne Gebet leben und sehen, ob ich damit
nicht viel weiter komme als mit allem, was du mir empfohlen hast.“ Ich war über
die Worte erschrocken und dachte: „Das ist also die Frucht von allem was wir
miteinander geredet haben.“ Mein junger Freund hat mit größter Ehrlichkeit und
deutlicher Gründlichkeit das Experiment mit der Gottlosigkeit gemacht. Er ist
nicht sehr weit damit gekommen. Aber dieser ernste Versuch war die entscheidende
Wendung seines Lebens. Heute steht er als Zeuge Gottes irgendwo auf dem Missionsfelde.
Eltern brauchen also nicht zu verzweifeln, wenn ihnen ihre Kinder in einem
gewissen Stadium ihrer Entwicklung innerlich fremd werden. Diese schmerzliche
Scheidung braucht noch nicht Ungehorsam zu sein, sie kann eine heilige
Notwendigkeit sein, ein Gehorsam „in dem Herrn“. Wir Lehrer und Eltern sollen
unsere ganze menschliche Ohnmacht fühlen, wenn es um das Seelenheil unserer
Kinder geht. Gerade gläubige Eltern, die ihren Kindern aus Liebe das Beste
geben möchten, was ihnen selbst geschenkt ist, müssen es immer wieder schmerzlich
erfahren: Gott hat sich das Majestätsrecht über das Heil jeder Menschenseele
selbst vorbehalten. Er allein kann eine Seele vom Abgrund zurückreißen, in den
sie hineintaumelt. Nur er kann einen Menschen aus dem Rausch der Sünde aufwecken
und zu sich rufen. Wir Menschen, auch Eltern und Lehrer, können dabei im besten
Fall nur Handlanger Gottes sein. Vielleicht sind wir in vielen Fällen auch
Hindernisse für das, was Gott tun will. Die Not kann uns also nicht erspart
werden, dass uns die Kinder einmal fremd werden.
2.
Aber das führt uns nun zum Zweiten, was uns Gottes
Wort über diese schwere Frage sagt. Auch durch die schmerzliche Spannung, von
der wir gesprochen haben, darf das heilige Band nie zerrissen werden, durch das
nach Gottes Ordnung Eltern und Kinder aneinander gebunden sind. „Ihr Kinder,
seid gehorsam euren Eltern in dem Herrn.“ Es gibt noch heute christliche
Eltern, die einem mit trauriger Miene sagen: „Wir haben keine Autorität mehr
unseren Kindern gegenüber. Die ganze Erziehung ist uns aus der Hand genommen
durch Jungendverbände oder staatliche Organe. Wir haben unsere väterliche und
mütterliche Vollmacht verloren.“ So dürften wir sagen, wenn uns die Autorität
über unsere Kinder von Menschen anvertraut worden wäre. Eine Macht, die uns
Menschen gegeben haben, kann uns auch von Menschen wieder genommen werden. Eine
alte Regierungsform die Menschen früherer Zeiten eingeführt haben, kann durch
eine Staatsumwälzung weggefegt werden. Alle Verordnungen einer früheren Regierung
können mit einem Schlag ungültig gemacht werden, wenn eine neue ans Ruder
kommt. Wenn es so mit der Vollmacht der Eltern über die Kinder stehen würde,
dann könnte sie ein Staat oder irgendeine andere menschliche Organisation aufheben.
Aber mit der Autorität der Eltern hat es eine ganz andere Bewandtnis. Woher
kommt die Vollmacht der Eltern? Wir Menschen treten nicht als fertige und selbstständige
Wesen in die Welt. Wir verdanken unser Dasein unserer Mutter, die ihr Leben für
uns eingesetzt hat. Als kleine, hilflose Geschöpfe sind wir auf die Erde
gekommen, viel hilfloser als irgendein anderes Geschöpf, etwa ein Vogel, der
aus dem Ei kriecht und sofort zu picken anfängt. Wir wären alle verhungert und
erfroren, wenn uns nicht eine Mutter mit ihrem Herzblut ernährt hätte, wenn sie
uns nicht jahrelang gepflegt und oft an unserem Bett gewacht hätte. Weil wir
unseren Eltern unser ganzes Dasein verdanken, weil wir von ihnen alle unsere
Erbanlagen empfangen haben, die uns mit unserem Volkstum verbinden, darum kann
das Band, das uns mit ihnen verbindet, durch nichts aufgehoben werden, was wir
im späteren Leben tun. Jede andere Verbindung, in die wir Menschen treten, kann
durch eine menschliche Entscheidung wieder zerrissen werden. Ein Soldat kann
durch feige Flucht den Fahneneid, der ihn an den Heerführer bindet, brechen und
sein Verhältnis zu ihm zerstören. Ein Ehemann kann seiner Frau untreu werden
und die ganze Ehe dadurch aufheben. Aber Vater und Mutter bleiben die Eltern
des Kindes, auch wenn das Kind sich gegen sie empört und die Verbindung mit
ihnen abbricht, wenn etwa der undankbare Sohn über See gegangen ist und den
Eltern nicht mehr schreibet und ganz für sie verschollen ist. Wir unzerreißbar
das Band ist, das Eltern und Kinder aneinander bindet, das kommt gerade dann
schmerzlich zum Ausdruck, wenn ein Riss zwischen Eltern und Kindern entstanden
ist. Absolom hatte einen Aufruhr gegen seinen Vater David angezettelt, um diesen
vom Thron zu stürzen. Es trifft ihn die verdiente Strafe. Er hängt vom Speer
durchbohrt am Baum. Man könnte denken, nu sei alles aus zwischen dem Vater und
dem Sohn, der ihm das angetan und als Empörer gegen ihn geendet hat. Aber hier
zeigt sich gerade, dass die Liebe des Vaters zum Sohn durch nichts zerrissen
werden kann. Verzweifelt geht der Vater David auf dem Söller hin und her und
ruft immer wieder: „Mein Sohn Absolom! mein Sohn, mein Sohn Absolom! Wollte
Gott, ich wäre für dich gestorben!“ Woher kommt also dieses unzerreißbare Band,
das die Eltern mit ihren Kindern innerlich zusammenschließt? Es kommt nicht von
Menschen, sonst könnte es auch von Menschen zerstört werden. Dieses Band ist
vor allen Verbänden da, die von Menschen geschaffen worden sind. Es kommt von
Gott. „Ihr Kinder, seid gehorsam euren Eltern in dem Herrn.“ Wenn also das Kind
in der Wiege der Mutter entgegenlächelt, oder wenn der Vater die Hand auf den
Kopf seines Sohnes legt, so sind dabei diese beiden Menschen umschlossen von
dem heiligen Raum, in dem die Schöpfermacht Gottes waltet. Sie stehen
miteinander auf heiligem Boden. Es ist Gottes Schöpfungsordnung, die die Kinder
den Eltern als ein zartes, unendlich kostbares Gut in die Wiege gelegt hat.
Gott hat die Kinder den Eltern zur Erziehung anvertraut und sie ihnen darum
untergeordnet. Und wehe uns, wenn wir Menschen es wagen, uns gegen den Schöpfer
zu empören. Wehe uns, wenn wir versuchen, seine Ordnungen umzustürzen. Wir
ziehen dabei immer den Kürzeren. Denn er ist stärker als wir. Jeden Verstoß
gegen seine Schöpfungsordnung bekommen wir schon auf dieser Erde furchtbar am
eigenen Körper zu spüren. Wenn wir etwas versuchen, unserem Leib die Luft und
die Ernährung und den Schlaf zu entziehen, den er nach Gottes Ordnung braucht,
so können wir das vielleicht einige Tage aushalten, aber dann brechen wir zusammen;
denn der Schöpfer ist stärker als das Geschöpf. Genau so ist es aber bei der
Unterordnung, die der Apostel meint, wenn er sagt: „Ehre Vater und Mutter“, das
ist das erste Gebot, das Verheißung hat: „auf das dir´s wohl gehe und du lange
lebest auf Erden“. Jeder, der seine alten Eltern, wenn sie hinfällig geworden
sind, pflegt und versorgt, erfährt also schon auf dieser Erde einen
unermesslichen Segen. Aber auch die Geschichte der Völker zeigt, dass Gott zu
seiner Verheißung steht. Nur die Völker haben lange gelebt auf dieser Erde, in
denen durch die Ehrfurcht vor den Eltern die Familien fest zusammengehalten
wurden, die die Lebenszellen des Volkskörpers bilden. Daher kommt z. B. die
erstaunliche Lebenskraft des chinesischen Riesenvolkes, das ein Viertel der ganzen
Menschheit ausmacht. Es hat schon mehrere Jahrtausende durchlebt und ist immer
noch unüberwindlich. Ein Volk aber, in dem die Ehrfurcht vor den Eltern
erstirbt, gräbt sich selbst ein Grab. Es zersetzt die Lebenszellen, aus denen
der Volkskörper sich immer wider neu aufbaut. Das wird in wenigen Generationen
auch Russland erfahren.
Wenn es aber so mit der Vollmacht der
Eltern über die Kinder steht, wenn diese nicht von Menschen, sondern von Gott
stammt, der mit seiner ganzen Schöpfersmacht sich dazu bekennt, dann ist damit
allen christlichen Eltern eine wundervolle Möglichkeit gegeben, in einer Zeit,
in der so viel entgegen gesetzte Geistesmächte um die Seelen der jungen
Menschen werben. Es bleibt dabei, dass jeder junge Mensch die Entscheidung für
oder wider Gott zuletzt allein treffen muss. Es bleibt also die Not, unter der
heute so viele Eltern leiden; aber in dem großen Geisteskampf, der um die
heutige Jungend gekämpft wird, haben die Eltern der christlichen Gemeinde das
Höchste einzusetzen, was es gibt, viel mehr als die Lehrer oder die Offiziere
oder die Beamten, nämlich die Vollmacht, die ihnen der Schöpfer über das heranwachsende
Geschlecht gegeben hat. Die Einflüsse mögen noch so stark sein, denen die
Kinder ausgesetzt sind, sobald sei einmal in das öffentliche Leben der heutigen
Zeit hinaustreten und Reden und Versammlungen hören und Bücher lesen. Aber viel
tiefer und entscheidender als das alles sind die Eindrücke, die die Kinder in
den frühen Kinderjahren, in denen die Seele noch ganz weich und für das Ewige
empfänglich ist, im Elternhaus aufnehmen. Der stärkste Einfluss, der von den
Eltern ausgeht, entsteht ja nicht in erster Linie durch die Worte, die sie den
Kindern sagen, auch nicht durch die Hausandachten und Tischgebete, so wertvoll
diese alte Sitte christlicher Elternhäuser sein mag. Es ist bedeutsam, dass der
Apostel eine Warnung ausspricht, die er nicht an die Mütter, sondern an die
Väter richtet: „Ihr Väter, reizet eure Kinder nicht zum Zorn!“ Durch viel
Ermahnen und Schulmeistern, besonders durch ein gereiztes Poltern und Wettern,
wie es manchen Vätern nahe liegt, werden die Kinder gerade zur Opposition
gereizt, und es wird das Gegenteil von dem erreicht, was man erreichen will.
Veil stärker als alle Worte der Mahnung und Belehrung, die wir zu den Kindern
sagen, ist das, was ohne Worte von den Eltern ausgeht. Es ist das, was die
Kinder den Eltern abspüren, wenn sie sehen, wie sich die Eltern tagtäglich in
allen Lagen des Lebens benehmen, am fröhlichen Tag, wenn die Familie ein Fest
feiert, und am bösen Tag, wenn eine schlimme Nachricht eintrifft oder ein
unerwünschter Besuch kommt, oder wenn Krankheit und Tod im Hause einkehren. Die
Kinder spüren mit ihrem unbestechlichen Feingefühl, ob der Glaube ihres Vaters
echt ist, oder ob der Vater ein anderer ist, wenn er am Sonntag andächtig in
der Kirche sitzt, und ein anderer am Montag, wenn er im Geschäft einen Untergebenen
abkanzelt, der etwas falsch gemacht hat, und wenn er dabei seinen Zorn nicht
beherrschen kann. Die Kinder spüren die Gebetskraft ihrer Mutter, auch wenn
diese kein Wort sagt. sie merken, ob die Mutter ihr Gottvertrauen nicht
wegwirft, wenn sie schwere Haushaltungssorgen hat und nicht weiß, wovon die
Familie am nächsten Tag leben soll. Oder wenn ein Kind ums andere krank wird.
Weil die Kinder in der frühen Kindheit, in der die Seele für Gottes Eindrücke
ganz besonders offen ist, täglich mit der Mutter umgehen, darum haben auch im
späteren Leben die Gebete einer Mutter für die Kinder eine ganz besondere
Kraft. Augustinus Bekehrung war eine Frucht der Gebete seiner Mutter. „Ein Sohn
so vieler Gebete kann nicht verloren gehen!“ Der „ungefärbte Glaube“ des
Timotheus hatte, wie Paulus sagt, „zuvor gewohnt“ in seiner Großmutter Lois und
in seiner Mutter Eunike. Durch diesen mütterlichen Einfluss war er selbst zu
Gott geführt worden. Auch vom Sterben eines gläubigen Vaters oder einer frommen
Mutter kann eine Macht ausgehen, die größer ist als alle Einflüsse, denen das
Kind später ausgesetzt ist, wenn es das Elternhaus verlässt und unter den
Einfluss seiner Kameraden kommt. Aber das Wichtigste von allem, was Paulus über
die Vollmacht der Eltern sagt, liegt darin, dass er die Eltern in unserem
Textwort immer zusammennimmt. „Seid gehorsam euren Eltern“, sagt er, „ehre
Vater u n d Mutter.“ Die Vollmacht, die Gott den Eltern über die Kinder gegeben
hat, kann offenbar nur wirklich in Kraft treten, wenn beide Eltern eine Einheit
bilden, wenn sie im Glauben eins sind, wenn sie aus derselben Kraftquelle
schöpfen und zusammen beten können. Wenn diese Einheit da ist, ist eine
unsichtbare Gottesmacht im Hause. Es entsteht ein Geist des Elternhauses, den
die Kinder schon in früher Kindheit einatmen, und den sie ihr Leben lang nie
mehr vergessen können. Dieser Geist des Hauses, dem sich die Kinderseelen
öffnen wie Blumen dem Sonneschein, ist eine starke Macht, stärker als die
größten Einflüsse, denen die Kinder später ausgesetzt sind. Alle diese Dinge zeigen
uns, was für eine große Möglichkeit mitten in einer Zeit des
Weltanschauungskampfes Eltern haben, die im Glauben einig sind. Sie zeigen uns
aber, was für einen unermesslichen Schaden das Elternhaus anrichten kann, wenn
ihm die Glaubenskraft fehlt.
Wir haben gesehen, dass die Spannung
bleiben muss, unter der heute viele christliche Eltern leiden, wenn ihnen die
Kinder innerlich fremd werden. Das junge Geschlecht muss sich den weg zu Gott
selbst erkämpfen. Aber die Vollmacht ist dadurch nicht vermindert, die Gott den
Eltern durch die Schöpfungsordnung über die Kinder gegeben hat, indem er ihnen
die Kinder in den entscheidenden Jahren der frühen Kindheit anvertraut hat. Es
ist nur ein Handlangerdienst, den die Eltern den Kindern tun können. Aber wir
wollen diesen seligen Dienst in neuer Verantwortung auf uns nehmen.