Martin
Luther
(1519)
[WA
2, 81–130]
Zum
ersten: die Weise, wie wir beten sollen.
1.
Da die Jünger Christi baten, dass er sie lehren möchte zu beten, sagte er
(Matthäus 6, 7-13): "Wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel Worte machen,
wie die Heiden tun, die da meinen, sie werden erhört, wenn sie viel Worte
machen. Darum sollt ihr euch mit ihnen nicht vergleichen. Denn euer Vater, der
im Himmel ist, weiß wohl, was ihr bedürfet, ehe ihr ihn bittet. Darum sollt ihr
also beten: Vater Unser, der du bist im Himmel, geheiligt werde dein
Name".
2.
Aus diesen Worten Christi lernen wir beide, Worte und Weise, das ist, wie und
was wir beten sollen. Und diese zwei Dinge sind nötig es zu wissen.
3.
Die Weise ist, dass man wenig Worte mache, aber viel und tiefe Meinungen oder
Sinne. Je weniger Worte, je besser das Gebet, je mehr Worte, je ärgerlicher das
Gebet. Wenig Worte und viel Meinung ist christlich,
viel Worte und wenig Meinung ist heidnisch. Darum spricht Jesus in Matthäus 6, 7:
Ihr sollt nicht viel reden (plappern), wenn ihr betet, wie die Heiden. So auch
Johannes 4, 24 als er zu dem heidnischen Weibe sprach: "Wer Gott anbeten
will, der muss ihn in dem Geist und in der Wahrheit anbeten"; denn solche
Beter sucht der Vater.
4.
Nun, "im Geist beten" oder "geistlich beten" heißt so im
Gegensatz zum "leiblichen Gebet", und "in der Wahrheit
beten" heißt so im Gegensatz zum "Gebet nur dem Scheine
zuliebe". Denn das hat einen großen Schein vor den Leuten, und geschieht
mit dem leiblichen Munde, und nicht wahrhaftig; aber das geistliche und
wahrhaftige Gebet ist die innerliche Begierde, Seufzen und Verlangen aus
Herzens Grunde. Das erste macht Heuchler, und falsche, sichere Geister; das
andere macht Heilige und furchtsame Kinder Gottes.
5.
Doch ist hier ein Unterschied zu merken, denn das äußerliche Gebet geschieht in
dreierlei Weise: zum ersten, aus lauter Gehorsam, wie die Priester und
Geistlichen singen und lesen; auch die, die aufgesetzte Buße oder gelobte Gebete
sprechen. Bei diesem Gebet ist der Gehorsam fast das Beste, und fast gleich
einer anderen leiblichen Arbeit des Gehorsams (so solch ein Gebet aus
einfältiger gehorsamer Meinung geschieht, nicht um Geldes oder Ehre und Lobes
willen), ja so viel unaussprechliche Gnade ist in dem Wort Gottes, dass es,
auch mit dem Munde ohne Andacht gesprochen (in der Meinung eines Gehorsams),
ein fruchtbares Gebet ist und dem Teufel weh tut.
6.
Zum anderen, ohne Gehorsam, oder mit Unwillen und Unlust, oder um Geld, die Ehre
oder Lobes willen. Solches Gebet wäre besser unterlassen. Doch wird diesen
Betern hier ihr Lohn dafür gegeben in der Form von zeitlichem Gut oder
zeitlicher Ehre; denn so lohnt Gott die Knechte ab, aber nicht die Kinder.
7.
Zum dritten, mit Andacht des Herzens; da wird der Schein in die Wahrheit
gezogen, und das Äußerliche in das Innerliche; ja, die inwendige Wahrheit
bricht heraus und leuchtet mit dem äußerlichen Schein. Aber es ist nicht
möglich, dass der viel Worte macht, der geistlich und gründlich betet, denn die
Seele, wenn sie gewahr wird, was sie spricht, und dann mit Bedacht auf die
Worte und Sinne denkt, muss sie die Worte fahren lassen und den Sinne
nachdenken, oder wiederum, den Sinn muss sie fallen lassen den Worten
nachdenken. Darum sind solche mündliche Gebete nicht weiter anzunehmen, denn
als einer Anreizung und Bewegung der Seele, dass sie dem Sinne und den
Begierden nachdenken, wie die Worte anzeigen. So ist auch in vielen Psalmen die
Überschrift und der Titel, das ist, dass diese Gebete, ob sie gleich wenig
Worte haben, doch Anreizung und Bewegung sind dem Herzen, etwas Gutes zu denken
oder zu begehren. Auch finden wir in den Psalmen das Wort "Sela" (das
ist, "Ruhe"), und wird weder gelesen noch gesungen; uns zu ermahnen,
das, wo ein besonderes Stück sich findet im Gebet, dass man dort stillhält und
ruht, die Meinung (Sinn) wohl zu betrachten.
Die
Worte, und was wir beten sollen.
8.
Die Worte sind: "Vater Unser, der du bist". Denn weil dieses Gebet
von unserem Herrn einen Ursprung hat, wird es ohne Zweifel das höchste, edelste
und beste Gebet sein, denn hätte er ein besseres gewusst, der fromme, treue
Schulmeister, er würde es uns auch gelehrt haben. Das soll man so verstehen,
nicht, dass alle anderen Gebete böse sind, die diese Worte nicht haben. Denn es
haben vor Christi Geburt viele Heilige gebetet, die diese Worte nie gehört
haben, sondern, dass alle anderen Gebete verdächtig sein sollen, die nicht
dieses Gebetes Inhalt und Meinung haben oder besitzen. Denn die Psalmen sind
auch gute Gebete, aber sie drücken nicht so klar die Eigenschaften dieses
Gebetes aus, obwohl sie doch darin enthalten sind.
9.
Darum ist es ein Irrtum, dass man etliche andere Gebete diesem vergleichen oder
auch vorziehen will, besonders, die viel schöner geschrieben sind, aber auf die
Meinung allein, dass uns Gott hier Gesundheit und ein langes Leben, Güter und
Ehre geben möchte, oder auch aus der Not zu erlösen, und dergleichen, in
welchen mehr unser Wille und Ehre, denn Gottes Ehre und Wille gesucht wird. In
der Weise, wie die Katholiken den Rosenkranz beten, höher achten als das Vater
Unser, hier geschieht nicht Gottes Wille sondern Menschen Wille. Nicht, dass
ich Gebete verwerfe, sondern dass die Zuversicht auf diese mündlichen Gebete
zuviel ist, und dadurch das rechte, geistliche, innerliche, wahrhaftige Vater
Unser verachtet wird. Denn aller Ablass, aller Nutzen, der ganze Segen, und
alles, was der Mensch bedarf an Leib und Seele, das ist in diesem Gebet
überflüssig enthalten. Und es wäre besser, du betest ein Vater Unser mit
herzliche Begierde und Meinung der Worte, daraus eine Besserung deines Lebens
komme, denn das du aller Gebete Segen hättest.
10.
Nun wird dies Gebet geteilt in zwei Stücke. Zum ersten in eine Vorrede, Anfang
und Bereitung, zum anderen sind da sieben Bitten.
Der
Anfang.
Vater
Unser, der du bist in dem Himmel.
11.
Der beste Anfang und die beste Vorrede ist, dass man weiß, wie man den, welchen
man bitten will, nennen, ehren und begegnen und wie man ihm gegenüber sich
erzeigen soll, dass man ihn gnädig und geneigt mache zu erhören. Es ist kein
Name unter allen Namen, mit welchem wir Gott besser anreden können, denn
"Vater". Das ist eine freundliche, süße, tiefe und herzliche Rede. Es
ist nicht so lieb und tröstlich, wenn wir nur sprächen "Herr" oder "Gott"
oder "Richter". Denn der Name "Vater" ist von Natur
eingeboren und natürlich süß. Darum gefällt er Gott auch am allerbesten und
bewegt ihn am allermeisten uns zu erhören. In diesem bekennen wir uns auch als
Gottes Kinder, und dadurch wir Gott innerlich bewegen, denn es ist keine
schönere Stimme, als die Stimme des Kindes zum Vater.
12.
Dazu hilft, das wir sagen: "Der du bist in dem Himmel". Dieses sind
Worte, damit wir unsere tägliche Not und Elend zeigen und uns von Gott erbitten
sich zu erbarmen. Denn wer anfängt zu bitten, "Vater Unser, der du bist in
dem Himmel", und tut das aus tiefem Herzensgrund, der bekennt, dass er
einen Vater hat, und denselben im Himmel kennt, der Vater weiß (und auch der
Beter) das wir hier im Elend und verlassen auf Erden sind. Daraus nun folgen muss
ein herzliches Sehnen; gleichwie bei einem Kind, das aus dem Haus seines Vaters
Land unter fremden Leuten im Elend und im Jammer lebt. Als wenn es spräche: Ach
Vater, du bist im Himmel, ich dein elendes Kind bin auf Erden, im Elend, weit
von dir, in aller Gefahr, in Jammer und in Not, unter den Teufeln und größten
Feinden und dem mancher Gefahr.
13.
Wer so betet, der steht mit einem richtigen, aufgehobenen Herzen zu Gott, und
so ist es richtig Gott zu bitten und zur Gnade zu bewegen. Dies ist also ein so
hohes Wort, dass es nicht möglich ist aus des Menschen Natur zu reden, es sei
denn der Geist Christi ist im Herzen. Denn wenn man fest innerlich suchen will,
so ist kein Mensch so vollkommen, der mit Wahrheit sagen kann, er habe keinen
Vater hier, er habe nichts, er sei ganz fremd, und nur Gott für seinen Vater
ansieht. Denn die Natur ist so böse, dass sie immer etwas auf Erden sucht, und
mit Gott im Himmel nicht allein zufrieden sein will.
14.
Doch sagt uns das Wort, dass wir eine Zuversicht zu Gott haben sollen die
allein auf ihn hofft. Denn es kann uns niemand in den Himmel bringen, denn der
einige Vater, wie es geschrieben steht in Johannes 3, 13: "Niemand steigt
auf in den Himmel, denn allein der, der herab gestiegen ist, der Sohn des
Menschen". In dessen Haut und auf seinem Rücken müssen wir hinauf steigen.
15.
Also möchten nun dies Gebet beten alle arbeitenden Leute, und die auch nicht
wissen, was diese Worte bedeuten. Und das halte ich für das Beste Gebet, denn
da redet das Herz mehr als der Mund.
16.
Es sieht aber nun in unserer Kirche ganz anders aus, dass steht jemand und
wendet die Blätter um, ließt daraus viel Gebete, macht damit einen großen
Schein vor den Menschen, ist aber mit dem Herzen weit von dem, was der Mund
bekennt. Das heißt aber nicht gebetet. Denn zu denen spricht Gott durch den
Propheten Jesaja 19, 13: "Dies Volk betet mich an mit dem Munde, aber ihr
Herz ist weit von mir". So findet man viel Priester und geistliche, die in
ihrem Amt ohne alle inwendige Begierde die Gebete einfach dahin plappern, sagen
dazu noch ohne Scham: jetzt bin ich fröhlich, weil ich unserem Herrn nun
bezahlt habe, meinen, sie haben damit Gott genügend getan.
17.
Ich sage dir aber, und gebe es zu, dass du den Gebotem
der Kirche vielleicht genug getan hast; aber Gott wird zu dir sagen (Matthäus
15, 8) „Das Volk ehrt mich mit dem Munde, aber ihr Herz ist ferne von mir“. Und
ich habe Sorge, dass sie sich auf dieses Gebete verlassen, und so nie ein Gebet
zu Gott senden. Und so ist es, dass die am allerwenigsten beten, die scheinen
vor den Leuten am allermeisten zu beten, und wiederum die am allermeisten
beten, die scheinen vor den Leuten am wenigsten zu beten.
18.
Heute ist es so, dass wir unseren Trost und unsere Zuversicht in viel Geplärre,
Geschrei, Gesänge, dass doch Christus verboten hat, als er sagt (mehr Matthäus
6, 7): "niemand wird durch viel Worte machen erhört". Das machen die
ungeschickten Predigten, damit man das Volk nicht, wie vor Zeiten die lieben
Väter, mit Arbeit und Mühe zu dem rechten Grund und inwendigen Gebet führt,
sondern in den äußerlichen Schein, und allein ins mündliche Gebet, und am
allermeisten, da ihr eigener Nutzen gesucht wird.
19.
Nun möchte wohl einer sagen: steht doch geschrieben in Lukas 18, 1: „ihr sollte
ohne Unterlass beten“. Was aber beten ist, ist zuvor genug gesagt. Also sind
Ketzer gewesen, die hießen "Euchiten", das
ist, Beter, die wollten das Wort Christi halten, und beteten (das ist, sie
plapperten mit dem Munde) Tag und Nacht, und taten sonst nichts, und sehen aber
nicht ihre Torheit; denn sie, wenn sie aßen, tranken oder schliefen, dass Gebet
doch unterlassen mussten. Darum ist das Wort Christi vom geistlichen Gebet
gesagt, das mag ohne Unterlass sein, auch in leiblicher Arbeit; wiewohl es
niemand ganz vollkommen bringt, den wer kann immer
sein Herz zu jeder Zeit zu Gott erheben? Darum ist durch dasselbe Wort ein Ziel
gesetzt, danach wir uns richten sollen, und wenn wir sehen, dass wir es nicht
tun, dass wir uns erkennen als Schwache, gebrechliche Menschen, und dadurch
gedemütigt werden und um Gnade bitten über unsere Gebrechlichkeit.
20.
Und so lehren alle Lehrer der Schrift, dass das Wesen und die Natur des Gebetes
nichts anderes ist, denn eine Erhebung des Gemütes oder Herzens zu Gott. Ist
nun die Natur und Art des Gebetes des Herzens eine Erhebung zu Gott, so folgt, dass
alles andere, was nicht des Herzens Erhebung ist, nicht Gebet ist. Darum ist
Gesang, reden, greifen, wenn das herzliche aufsteigen nicht da ist, gleich ein
Gebet, wie Vogelscheuchen in dem Garten der Menschen sind. Das Wesen ist nicht
da, sondern der Schein und der Name allein. Das beschreibt auch eine Geschichte
von Hieronymus, der schreibt von einem heiligen Mann, dass er in der Wüste 30
Jahre einen Stein in seinem Munde trug, dass er wollte schweigen lernen. Womit
hat er aber gebetet? Ganz ohne Zweifel innerlich mit dem Herzen, an welchem
Gott auch am meisten liegt, und auch dasselbe allein ansieht und sucht. Des
hilft aber wohl dazu, so man die Worte hört, und also die Ursache bekommt zu
betrachten und recht zu beten. Denn, wie oben gesagt, sollen die mündlichen
Worte nicht anders gelten, denn als eine Trompete, Trommel, oder Orgel, oder
sonst ein Geschrei, damit das Herz bewegt und zu Gott erhoben wird.
21.
Ja, es soll sich niemand auf sein Herz verlassen, dass er ohne Worte wollte
beten, er sei denn wohl geübt im Geist und der auch Erfahrung habe, die fremden
Gedanken auszuschlagen; sonst würde ihn der Teufel ganz und gar verführen, und
sein Gebet im Herzen bald zerstören. Darum soll man sich an die Worte halten
und diesen nachsteigen, solange wie die Federn wachsen, dass man fliegen mag
ohne Worte. Denn das mündliche Gebet oder die Worte verwerfe ich nicht, soll
auch niemand verwerfen, ja, mit großen Dank annehmen als eine besonders große
Gabe Gottes. Aber das ist zu verwerfen, dass man der Worte nicht zu ihrem Amt
und zu ihrer Frucht gebraucht, nämlich, das Herz zu bewegen, sondern in
falscher Zuversicht verlässt man sich darauf, dass man sie mit dem Munde nur
gemurmelt oder geplappert hatte ohne alle Frucht und Besserung, ja, mit
Ärgerung des Herzens.
22.
Auch soll sich ein jeder davon hüten, wenn er nun neben den Worten oder sonst
einen Funken empfängt und Andacht fühlt, dass er nicht der alten Schlange Gift,
das ist der mörderischen Hoffahrt, folgt, die da spricht: Ach ich bete nun mit
dem Herzen und Munde und habe solche Andacht, dass ich glaube, des wird schwer
sein dass ein anderer, der Gott so recht tut als ich. Denn solche Gedanken hat
dir dann der Teufel eingegeben, und du wirst damit ärger, denn alle die, die
überhaupt nicht beten, ja, des ist nicht weit von einer Gotteslästerung und
Verdammung solcher Gedanken. Denn nicht dich, sondern Gott sollst du loben in
allem Guten, dass du fühlst und hast.
23.
Jetzt ist noch zu merken, wie ordentlich Christus dieses Gebet setzt. Denn er lässt
nicht zu, dass ein jeglicher für sich alleine bitten,
sondern für die ganze Versammlung aller Menschen. Denn er lehrt uns hier nicht
sagen: Mein Vater; sondern "Vater Unser". Das Gebet ist ein
geistlich, allgemeines Gut, darum soll man es niemanden rauben, auch nicht die
Feinde. Denn so er unser aller Vater ist, will er, dass wir unter einander
Brüder sein sollen, freundlich lieben und für einander bitten gleichwie für uns
selbst.
Einteilung
des Vater Unsers
in
diesem Gebet sind sieben Bitten.
Die
erste:
Geheiligt
werde dein Name.
Die
zweite:
dein
Reich komme
Die
dritte
dein
Wille geschehe im Himmel und auf der Erde
Die
vierte
Unser
täglich Brot gibt uns heute
Die
fünfte
und
vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigern.
Die
sechste
und
führe uns nicht in die Versuchung (oder Anfechtung)
Die
siebte
sondern
erlöse uns von dem Übel. Amen.
24.
Diese sieben Stücke mögen auch wohl die sieben guten Lehren und Ermahnungen
genannt werden. Denn auch der heilige Bischof von Märtyrer Ziprianus
gesagt davon, es sind sieben Zeichen unseres Elends und was wir bedürfen, durch
welche der Mensch, zu seiner eigenen Erkenntnis geführt, sehen kann, in was für
einem gefährlichen und jämmerlichen Leben er hier auf Erden lebt. Denn es ist
nichts anderes, denn eine Lästerung von Gottes Namen, ein Ungehorsam gegen
Gottes Willen, ein sich wehren gegen Gottes Reich, ein hungriges Land ohne
Brot, ein sündiges Wesen, ein gefährliches wandeln, und alles Übels voll. So
nennt es Christus selbst in diesem Gebet, wie wir nachher hören werden.
Die
erste Bitte.
Geheiligt
werde dein Name.
25.
O ein groß, überschwänglich, tiefes Gebet, so es mit dem Herzen gebetet wird,
obwohl von kurzen Worten, und ist unter den sieben Bitten keine größere, denn dass
wir bitten: „Dein Name werde geheiligt“.
26.
Merke aber, das Gottes Name in sich selbst heilig ist, und von uns nicht
geheiligt wird, ja, der alle Dinge und auch uns heiligt; dass er in uns geheiligt
werden soll. Denn darin wird Gott alles und der Mensch
ganz zunichte gemacht. Dazu dienen und ziehen sich auch die anderen sechs
Bitten, dass Gottes Name geheiligt werde. Wenn das geschehen ist, so sind alle
Dinge wohl geschehen, wie wir hören werden.
27.
Dass wir aber sehen, wie Gottes Name geheiligt werde in uns, wollen wir zuvor
sehen, wie er verunheiligt und verunehrt
wird in uns. Um klar und deutlich davon zu reden, wird er auf zweierlei Weise
in uns verunehrt. Zum ersten, wenn wir seinen Namen missbrauchen
zu Sünden. Zum anderen, wenn wir ihn stehlen und rauben. Gleich als ein
heiliges Gefäß der Kirche wird auf zweierlei Weise verunheiligt;
zum ersten, wenn man das Gefäß nicht gebraucht zu Gottes Diensten, sondern zu
seinem fleischlichen Willen; zum anderen, wenn man es stiehlt und raubt.
Also
zum ersten
28.
Wird der Name Gottes verunheiligt in uns durch den Missbrauch,
als wenn wie ihn anziehen oder brauchen, nicht zu nutzen, Besserung, fromm sein
unserer Seelen, sondern zu vollbringen der Sünde und Schaden unserer Seelen,
welches in vielen Stücken geschieht, mit Zauberei, Segen, Lügen, Schwören,
Fluchen, Betrügen, wie denn uns das andere Gebot Gottes sagt: "Du sollst
den Namen deines Gottes nicht unnützlich führen". Und ist kurz in der Summe
zusammengefaßt, wenn wir nicht leben als Gottes
Kinder.
Wie
Gottes Kinder von Natur sind.
29.
Ein frommes Kind nennt man, das von frommen, ehelichen Eltern geboren, diesen
in allen Maßen nach folgt und ihnen gleichförmig ist. Solch ein Kind besitzt
und erbt die Güter und alle Namen seiner Eltern mit Recht. Also sind wir
Christen durch die Taufe neu geboren und Gottes Kinder geworden, und so wir
unserem Vater und seiner Art nachfolgen, so sind alle seine Güter und Namen
auch unser Erbe ewiglich. Nun ist und heißt unser Vater barmherzig und gütig,
wie Christus sagt in (Lukas 6, 36): "Seid barmherzig, als euer himmlischer
Vater barmherzig ist". Also (Matthäus 11, 29): "Lernet von mir, denn
ich bin sanftmütig, und von Herzen demütig". Also ist Gott gerecht, rein,
wahrhaftig, stark, einfältig, gerecht, weise. Und dies sind alles Gottes Namen,
die aller eingeschlossen werden in dem Wort "dein Name". Denn aller
Tugenden Namen sind Gottes Namen. Weil wir denn in diesem Namen getauft sind,
durch sie geweiht und geheiligt, und die jetzt unsere Namen geworden sind,
folgt, dass alle Gottes Kinder heißen und sollen sein gütig, barmherzig,
keusch, gerecht, wahrhaftig, einfältig, freundlich, friedsam, eine süßen
Herzens zu einem jeglichen Menschen, auch zu seinen Feinden. Denn der Name
Gottes, darin sie getauft sind, wirkt solches alles in ihnen, oder sie sollen
es bitten, dass also der Name Gottes in ihnen sei, bewirke und geheiligt werde.
30.
Wer aber zornig, unfriedsam, neidisch, bitter, ungütig, unbarmherzig, unkeusch
ist, und flucht, lügt, schwört, betrügt, afterredet,
der tut Unehre, lästert, verunheiligt den göttlichen
Namen, in welchem er gesegnet und getauft oder berufen ist, und unter die
Christen gezählt, und unter Gottes Volk versammelt. Denn derselbe ehrt unter
dem Titel des göttlichen Namens des Teufels Namen. Denn so einer dies ein
Lügner, unrein, Afterreder, gehässig. Dem folgen
(sagt der weise Mann (Weisheit 2, 20), die ihm verwandt und seine Genossen
sind. Siehe nun, diese tun nichts anderes, denn als wenn ein Priester einer Sau
aus dem heiligen Kelch zu trinken gibt, oder faulen Mist damit schöpfte. Also
nehmen sie ihre Seele und Leib, in welchem der Name Gottes wohnt und sie
geheiligt hat, und dienen damit dem Teufel. Das ist alles zur Schmach des Heiligen,
göttlichen Namens, darin sie geweiht sind.
31.
Siehe, nun verstehst du, was „heiligen“ heißt, was „heilig“ ist. Denn es ist
nichts anderes, denn eine Absonderung von dem Missbrauch zu dem göttlichen
Brauch, wie eine Kirche geweiht wird und allein zum göttlichen Dienst verordnet
wird. So sollen wir in allem Leben geheiligt werden, dass in uns kein Brauch
ist, denn des göttlichen Namens, das ist, Gütigkeit, Wahrheit, Gerechtigkeit.
Darum wird der Name Gottes nicht allein mit dem Munde, sondern auch mit allen
Gliedern des Leibes und der Seele geheiligt oder verunheiligt.
Zum
andern.
32.
Wird Gottes Name verunheiligt durch Rauben und
Stehlen. Die Scharfsinnigen verstehen es unter dem ersten verstanden was geschreiben wurde, so ist es doch den einffachen
Menschen zu schwer, dieses zu merken. Denn dies trifft nun die Hoffärtigen, die
sich selbst fromm und heilig halten, und nicht meinen, dass sie Gottes Namen
für lästern, wie die ersten, und geben sich selbst den Namen, sie sind gerecht
und heilig und wahrhaftig, rauben und stehlen Gott seinen Namen darin, frei
ohne alle Furcht. Und von denen finden wir jetzt am meisten, besonders wo es
scheint, das es fromme, geistliche Leute sind. Denn diese denken von sich, dass
ihre Worte, Werke, Weisheit, gutes Vermögen wegen gerühmt und geehrt sein
wollen; aber wenn das nicht geschieht, werden sie wütend und tobend vor Zorn.
Und diese heißen in der Schrift provundi corde, eines tiefen das Herzens,
also, dass Gott allein sie richten und erkennen muss, und sehr viel mit ihnen
zu schaffen hat. Denn alle Dinge die sie so überaus gut schmücken, dass sie
selbst nichts anderes wissen, es sei alles nur grundgut mit ihnen. Und dasselbe
ist ihr eigenes Wohlgefallen und inwendiges rühmen, Loben und Preisen ist ihr
größter, gefährlichster Schaden; und dass man sie erkennen möge, und ein
jeglicher vor solchem Unfall sich bewahren soll, wollen wir weiter davon reden.
Welches
die schädlichsten und ärgsten Menschen in der Christenheit sind.
33.
Zum ersten führen sie das Wort allezeit in ihrem Munde, rühmen sich damit und
sprechen: Ach! Ich habe so eine gute Meinung, ich meine es so herzlich gut, der
und dieser will mir aber nicht folgen, ich wollte ihm das Herz im Leibe
mitteilen. O hüte dich, hüte dich vor den Wölfen, die in solchen Schafskleidern
wandern. Es sind Dornen von Rosen, aber keine Feigen wachsen da, sondern nur
Stacheln. Darum, als Christus sagt (Matthäus 7, 16): „An ihren Früchten kennet
sieht“ welches sind aber die Früchte? Stacheln, Spitzen, Kratzen, Beißen und
kein gutes Werk oder Wort. Wie geschieht das? Merke: Wenn diese nun bei sich
selbst beschlossen haben, dass sie fromm sind, gute Meinung haben, und ihr
Leben so führen, dass sie mehr beten, und andere gute Werke tun, und mehr
Verstand und Gnade von Gott haben, denn andere Leute; so machen sie nicht so
viel, dass sie sich gegen die messen, die höher und besser sind, sondern halten
sich gegen die, die ärger und geringer scheinen, denn sie. Vergessen auch bald,
dass es Gottes Güter sind, die sie haben. So muss dann auch folgen richten,
urteilen, versprechen, afterreden, verachten, und
sich selbst über jedermann erheben; und fahren also daher in der Hoffart, und
verhärten in sich selbst ohne alle Gottesfurcht, die nicht mehr tun, denn dass
sie sich im Herzen und dem Mund mit fremden Sünden tragen und bescheißen.
34.
Siehe, das sind die Früchte der Disteln und Dornen, das sind die Rachen der
Wölfe unter den Schafskleidern. Siehe, das heißt Gottes Namen und Ehre
gestohlen, und ihm selbst zugeschrieben. Denn Gott gebührt allein zu richten;
wie Christus sagt (Lukas 6, 37. Matthäus 7, 1): ihr sollt nicht richten, dass
ihr nicht gerichtet werdet". Auch ist es allein Gottes Name, dass er
heilig, fromm, gut ist; wir alle sind Sünder vor Gott, einer wieder andere,
ohne allen Unterschied. Und so jemand etwas vor dem anderen hat, so ist es doch
nicht sein, sondern allein Gottes. Er soll auch von
den Seinen allein den Namen haben, dass Wohlgefallen, dass rühmen, dass Richten,. Und darum, wer dieses gebraucht nicht zum Dienst, sondern
zur Verachtung seines Nächsten, dieser ist ein Dieb der Ehre Gottes, und will
das sein und heißen, das Gott und Gottes ist, und nicht sein ist.
35.
Siehe, von solchen schädlichen, freien, frevelhaften, ungottesfürchtigen
Geister ist jetzt die Welt voll, die durch ihr gutes Leben Gottes Namen lästern
und verunheiligen, mehr denn alle anderen mit ihrem
bösen Leben. Die heiße ich die hoffärtigen Heiligen und des Teufels Märtyrer,
die nicht sind wie andere Leute, wie der Gleisner (die einen frommen Schein
haben) im Evangelium (Lukas 18, 11). Diese, gerade als wären sie nicht Sünder
und Böse, wollen nicht leiden die Bösen und Ungerechten, oder mit ihnen zu
schaffen haben, dass man ja nicht sage: oh geht der mit solchen um, ich hätte
ihn für viel frömmer gehalten! Erkennen nicht, dass Gott ihnen vor anderen
darum hat mehr Gnade gegeben, dass sie mit den Gnadengaben dienen sollen, und
gleich wieder austeilen und wuchern mit derselben Gnade, das ist, sie sollten
bitten für sie, helfen, raten und eben ihnen tun, wie ihnen Gott getan hat, der
ihnen die Gnade umsonst gegeben, und sie nicht verachtet und gerichtet hat. So
fahren sie zu, und halten die Gnade nicht allein zurück, dass sie kein Frucht bringt, sondern verfolgen auch damit die, denen
sie damit helfen sollten. Das sind die, die die Schrift heißt, die Verkehrten
(Psalm 18, 27).
36.
Zum anderen, wenn sie nun dies alles hören sagen, dass Gott allein der Name und
die Ehre gebührt, so stellen sie sich aber fein, und betrügen noch mehr sich
selbst mit ihren Schein, und sagen: in allem, dass sie tun, wollen sie Gottes
Ehre allein suchen; und dürfen noch dabei schwören, sie suchen nicht ihre Ehre.
So geistlich, gründlich, tief ist ihre Bosheit. Aber merke auf die Frucht und
Werke, so wirst du finden, wenn ihr vornehmen nicht so geht wie sie denken, so fänt ein Klagen und merkwürdiges Benehmen an, dass niemand
mit ihnen auskommen kann. Da erfährt man dann, dass die nicht wohl tun, die sie
hindern, und können nicht vergessen das Leid das man ihnen tat, sie behaupten, dass
man Gottes Ehre verhindert habe und widerstrebe dem Guten, dass sie gesucht und
gemeint haben; und können ihr verflucht Richten und Afterreden nicht sein
lassen. So sieht man denn, wie sie es gemeint haben, dass sie nicht darum
zürnen, dass das Gute und Gottes Ehre verhindert ist, sondern das ihr Denken
und ihre Meinung nicht fort gegangen ist. Ebenfalls könnte ihr Denken nicht
Böse sein, und so gut ist, dass es auch Gott nicht verwerfen könnte. Denn wenn
sie von sich nicht selbst so eine hohe Meinung hätten, so würden sie es wohl
leiden können, dass man ihre Meinung verhindert hat. Aber diese tiefe Hoffart
will nicht Böse noch närrisch gehalten sein, darum müssen hier alle anderen
Narren Böse sein. Siehe, wie tief die Gotteslästerung in diesen Geistern verborgen
ist, die immer das sein und haben wollen, dass Gottes allein ist, das ist,
Weisheit, Gerechtigkeit, Namen und Ehre.
37.
Zum dritten, wenn es sich begibt, dass man sagt oder predigt, dass Gott die
Ehre darum gebühre und der Name, dass er alle Dinge schafft, und alle Dinge
sein sind, so sind sie gelehrter denn alle Prediger, auch denn der heilige
Geist selber, können auch jedermann belehren, und dürfen nicht mehr Schüler
sein, sprechen: o, wer weiß das nicht! Und halten es so, sie verstehen alles
sehr gut. Wenn es aber an ein ernst wird, dass man ihre Ehre antastet, hält sie
gering oder verachtet sie, nimmt ihnen etwas, oder sonst ihnen eine
Widerwärtigkeit begegnet, siehe, dann ist das Wissen bald vergessen, dann
bringt der Dornbusch seine Frucht, die Stacheln und Spitzen. Da guckt der Esel
mit seinen Ohren durch die Löwenhaut; dann fangen sie an: Ach Gott vom Himmel,
sieh herab, wie geschieht mir so ein großes Unrecht! Fallen in so große
Torheit, dass sie sagen dürfen, ihnen geschehe auch vor Gott Unrecht.
38.
Wo ist nun euer großer Verstand, denn ihr sagt doch, alle Dinge sind Gottes und
von Gott? O du armer Mensch! Ist es Gottes allein, warum sollte er es denn
nicht von dir auch nehmen, geben, hin und her werfen? Ist es sein, so solltest
du still stehen, und ihn schaffen lassen in allem, wie er wollte. Denn wenn er
das Seine nimmt, so geschieht dir nicht Unrecht; wie der heilige Hiob sprach,
da er alle Güter und Kinder verloren hatte (Hiob 1, 21): "Gott hat es
gegeben, Gott hat es genommen; wie es Gott gefallen hat, so ist es geschehen,
Gottes Name sei gepriesen". Siehe, das war ein rechter Mann, dem niemand
nichts nehmen konnte; denn er hatte nichts, dass sein war. Denn Gott spricht
hier Hiob 41, 2: "Alles, was unter dem Himmel ist, das ist mein", ich
habe es geschaffen. Was nun rühmst du dich denn des Deinen, und des, dass dir
Unrecht geschehe? Greift man an deine Ehre, und was du hast, so greift man doch
nicht in dein, sondern in Christi Gut. Und dass er dich dasselbe lehre, so fügt
er, dass dir genommen werde, was du meinst, es sei dein, sondern sein ist.
Siehe, also findet man alle Zeit, das Gottes Ehre und Name nicht nur lauter
gesucht wird, und besonders die hoffärtigen Heiligen ja auch etwas sein und
haben wollen, das Gott allein gehört.
39.
So sprichst du: Wenn das wahr ist, so folgt, dass niemand auf Erden Gottes
Namen genügend heiligt; auch wären die alle Unrecht, die vor Gericht mit
einander handeln um Gut oder Ehre, und andere Sachen.
40.
Da Antwort ich zum ersten. Darum habe ich oben gesagt, dass diese erste Bitte überschwänglich
ist und die allergrößte, die andern alle in sich fassend. Denn so jemand da
wäre, der Gottes Namen genügend heiligte, der dürfte nicht mehr beten das Vater
Unser, und wer so rein wäre, dass er sich keines Dinges, keiner Ehre eigen
annehme, der wäre ganz rein, und der Name Gottes ganz vollkommen geheiligt in
ihm. Das gehört aber nicht in dies Leben, sondern in den Himmel.
41.
Darum müssen wir beten, und ernstlich begehren, weil wir leben, dass Gott
seinen Namen in uns heilige. Denn ein jeglicher Mensch ist ein Lästerer des
göttlichen Namens, einer mehr als der andere, wenn es die hoffärtigen Heiligen
auch nicht glauben wollen.
42.
Darum habe ich auch gesagt, dass dies Gebet nicht allein eine Bitte, sondern
auch eine heilsame Lehre und Erkenntnis unseres elenden, verdammten Lebens auf
Erden, und wirft den Menschen nieder in seine eigene Erkenntnis. Denn so wir
bitten, dass sein Name in uns soll geheiligt werden, daraus folgt, dass er noch
nicht heilig ist in uns, denn wäre er heilig, so dürften wir nicht darum
bitten. Daraus folgt dann weiter, dass wir, weil wir leben, schänden, lästern verunheiligen, entweihen Gottes Namen, mit unserem eigenen
Gebet und Mund, bezeugen wir, dass wir Gotteslästerer sind (und in diesem Leben
nie vollkommen heiligen).
43.
Nun weiß ich in der ganzen Schrift keine Lehre, die mächtiger und mehr unser
Leben schmäht und vernichtet, als dies Gebet. Wer wollte doch nicht gerne bald
sterben, und diesem Leben feind sein (so er anders
Gottes Namen hold ist), so er herzlich bedenkt, dass sein Leben in solchem
Wesen steht, darin Gottes Name und Ehre gelästert wird? Auch wer nicht mehr,
denn das Vater Unser, gut verstehen würde, hätte Lehre genug gegen alle Laster,
besonders gegen die Hoffart. Denn, wie mag der fröhlich oder hoffärtig sein,
der im Vater Unser so große, schreckliche Gebrechen von sich selbst bekennt, dass
er Gottes Namen nicht ehrt und täglich gegen das andere Gebot Gottes handelt,
seinen Namen unnützlich gebraucht?
44.
Zum anderen antworte ich ihnen: dass solch ein Gericht ist, ist nicht das
Beste, es wäre besser, es wäre keines. Aber um größere Übel zu vermeiden, sind
sie gegeben um der Unvollkommen wegen, die noch nicht alle Dinge fahren lassen
können und Gott wieder geben können.
45.
Nichtsdestoweniger ist uns ein Ziel gesetzt, wo wir hinarbeiten sollen, das
ist, dass wir von Tag zu Tag lernen und uns üben, dass wir Gottes Namen
heiligen, ihm seine Ehre, Güter und alle Dinge, von uns entfremdet, wiedergeben
und wir so ganz geheiligt werden. Zu dieser Übung ist uns dieses Gebet gegeben,
dass wir ohne Unterlass im Herzen begehren sollen, dass Gottes Name geheiligt
werde. Und wenn schon einem Christenmenschen alles genommen würde,, ihre, Freunde, Gesundheit, Weisheit, dass wäre nicht verwunderlich;
ja, es muss doch dahin endlich kommen, dass alle seine Dinge zunichte werden,
und er von allen Dingen abgesondert wird, ehe er geheiligt wird und den Namen
Gottes heilige. Denn weil etwas da ist, darum ist auch ein Name da. Darum muss
nichts da bleiben, dass allein Gott, Gottes allen Dinge und Namen bleiben. Dann
wird das wahr, dass die Gerechten in der Schrift genannt werden Arme und Weise,
die ihrer Eltern beraubt und keinen Trost haben.
46.
Sprichst du aber: so wir alle nicht genügend Gottes Namen ehren, sind wir aber
darum in Todsünden und verdammt? Antworte ich: es wäre eine Todsünde und verdammlich, wenn Gott mit der Schärfe handeln wollte; denn
Gott mag keine Sünde leiden, wie gering sie sei. Aber es sind zweierlei Volk:
etliche, die erkennen und klagen das selbst, dass sie nicht Gottes Namen
genügend heiligen, und ernstlich darum bitten, und achten, dass sie so unselig
sind. Dies denn gibt er, was sie bitten; und darum, dass sie sich selbst
richten, absolviert und erlässt ihnen Gott, was sie nicht genug tun. Die
anderen freien und leichtfertigen Geister, die ihre Gebrechen gering achten, in
den Wind schlagen, oder auch gar nicht sehen, auch nicht bitten, werden am Ende
finden, wie groß ihre Sünde ist, dass sie gar nicht darauf geachtet haben, und
werden darum verdammt, darum sie aber meinten am allermeisten selig zu werden;
wie Christus zu den Gleisnern sagt: Matthäus 23, 14. Dass sie um ihre langen
Gebete desto größere Verdammnis haben würden.
47.
Siehe, so lehrt dich das Vater Unser zum ersten erkennen dein großes Elend und
Verderben, dass du ein Gotteslästerer bist, also, dass du musst vor deinem
eigenen Gebet erschrecken sollst, wenn du bedenkst, was du betest. Denn es muss
wahr sein, dass du Gottes Namen noch nicht geheiligt hast, so muss auch wahr
sein, wer Gottes Namen nicht heiligt, dass der ihn verunheilige.
Danach muss auch wahr sein, dass Gottes Namen verunehren
schwere Sünde ist, und des ewigen Feuers schuldig, so Gottes Gerechtigkeit
richten sollte. Wo willst du denn nun hin? Dein eigenes Gebet straft dich und
ist gegen dich, beweist dir, beklagst dich; da liegst
du, wer hilft dir?
48.
Sieh nun, wenn du so ernstlich in dich geschlagen, und in dein eigen Elend
Erkenntnis gedemütigt bist, dann, zum anderen, kommt die tröstliche Lehre, und
richtet dich wieder auf; das ist, dass Gebet lehrt dich, dass du nicht
verzweifeln sollst, sondern Gottes Gnade und Hilfe begehren. Damit du gewiss
bist und fest glauben sollst, dass er dich darum so hat lehren beten, dass er
dich erhören will. Und also macht das Gebet, dass dir Gott nicht zurechnet die
Sünde, und nicht in der Schärfe mit dir handelt. Und die allein hält Gott für
gut, die da ernstlich bekennen, dass sie Gottes Namen verunehren,
und immer begehren, dass er möge geheiligt werden.
49.
Die aber sich auf ihr Gewissen verlassen, nicht glauben wollen, dass sie Gottes
Namen verunehren, für die ist es nicht möglich, dass
sie erhalten werden sollen. Denn sie sind noch zu frei, sicher, hoffärtig und
nicht gottesfürchtig; sie sind auch noch nicht unter dem Haufen, zu denen
Christus spricht, Matthäus 11, 28: kommet her zu mir, alle, die dir mühselig
und beladen seid, ich will euch erquicken! Denn sie verstehen das Vater Unser
nicht, wissen nicht, was sie beten.
Beschluss.
50.
Das ist nun die Meinung und die Summe dieser Bitte: Ach! Lieber Vater, dein
Name werde geheiligt in uns; das ist, ich bekenne, dass ich, leider! Deinen
Namen oft verunehrt habe, und auch noch mit Hoffart
durch meine eigene Ehre und Namen deinen Namen lästere. Darum, durch deine
Gnade hilft mir, dass in mir mein Name abgehe, und ich zunichte werde, auf das
du allein und dein Name und Ehre in mir sei.
51.
Ich hoffe, dass du auch genügend verstanden hast, dass das Wort "dein
Name" so viel heißt als deine Ehre und Lob. Denn einen guten Namen heißt
die Schrift Ehre und Lob; einen bösen Namen eine Schande und böses Gerücht.
Also, dass dies Gebet nichts anderes will, denn das Gottes Ehre vor allen und
über allen und in allen Dingen gesucht wird, und unser ganzes Leben ewiglich
allein zu Gottes Ehre gelangen soll, nicht zu unserem Nutzen, auch nicht zu
unserer Seligkeit oder etwas Gutes, es sei zeitlich oder ewig, es sei denn zu
Gottes Ehre und Lob endlich verordnet.
52.
Darum ist dies das erste Gebet. Denn Gottes Ehre das Erste, Letzte, Höchste
ist, dass wir ihm geben können, und er auch nichts mehr sucht und fordert. Wir
können ihm auch sonst nichts geben; denn alle anderen Güter gibt er uns, die
Ehre aber behält er sich allein: dass wir erkennen, sagen, singen, Leben,
wirken und alles tun und Leiden bezeugen, dass Gottes alle Dinge sind; damit
der Spruch bestehe aus dem Psalm 111, 3. "Lob und Ehre ist sein Werk, und
seine Gerechtigkeit bleibt ewiglich". Das ist so viel gesagt: in diesen
Menschen wohnt Gott und lebt er, die Werke dieses Menschen tun nichts anderes,
denn dass sie Gott Lob und ihm seine Ehre geben, und ihm alles zuschreiben.
Darum so achtet solch ein Mensch nicht, dass man ihn verunehrt
und verachtet, denn er weiß, dass solches recht ist. Und so ihn niemand
verachten und verunehren will, so tut er es selber,
und mag nicht leiden sein eigen Lob und Ehre. Und darum ist er gerecht, gibt
Gott, was Gottes ist, und ihm selbst, was sein ist, Gott die Ehre und alle
Dinge, sich selbst die Schande und nichts. Das ist die Gerechtigkeit, die ewig
bleibt, denn sie gefällt nicht allein den zeitlichen Menschen, wie der
törichten Frauen Lampen und der scheinenden heiligen Frömmigkeit (Matthäus 25, 1
ff) sondern dem ewigen Gott, vor dem sie denn auch ewiglich bleibt.
53.
Nun merkst du, dass dies Gebet gegen die leidige Hoffart fechtet, die denn das
Haupt, Leben und ganzes Wesen aller Sünde ist. Denn weil keine Tugend lebt oder
gut ist bei einer Hoffart, so schadet keine Sünde, wenn die Hoffart tot ist.
Und wie eine Schlange ihr ganzes Leben im Kopf hat, wenn das tot ist, so tut
sie niemandem etwas, wenn die Hoffart tot wäre, so wären alle Sünden
unschädlich, ja, sogar förderlich. Darum, wie niemand ohne Hoffart ist und
eigenem Namen, Ehre und Geiz, also ist niemand dem dies Gebet dem es nicht hoch
und nützlich ist.
Die
zweite Bitte
Dein
Reich komme.
54.
Dies andere Gebet, wie die anderen, tut zwei Dinge, es erniedrigt und erhebt
uns. Erniedrigt uns damit, dass es uns zwingt zu bekennen mit eigenem Munde
unser großes und klägliches Elend. Erhebt aber damit, dass es und zeigt, wie
wir uns in solchen Erniedrigungen verhalten sollen. Also hat ein jegliches Wort
Gottes hat die Art, dass es schreckt und tröstet, schlägt und heilt, zerbricht
und baut, reißt aus und pflanzt wieder, demütigt und erhebt.
Zum
ersten
55.
Demütigt es uns, dass wir öffentlich bekennen, dass Gottes Reich noch nicht zu
uns gekommen ist. Welches, wenn es mit Ernst bedacht wird und gründlich
gebetet, schrecklich ist, und ein jegliches frommes Herz einfach betrüben und
kümmerlich bewegen sollte. Denn daraus folgt, dass wir noch verstoßen, im Elend
und unter grausamen Feinden sind, beraubt des allerliebsten Vaterlandes.
56.
Welches denn zwei schlimme, zu beklagende Schäden sind. Der erste, dass Gott
der Vater beraubt ist seines Reiches in uns, und der ein Herr in allen Dingen
ist und sein soll, allein durch uns solcher seiner Gewalt und Titel verhindert
ist; das geschieht ihm leider zur Unehre, wir tun als sei er ein Herr ohne
Land, und sein allmächtiger Titel durch uns zu Spott wird. Das muss ohne
Zweifel allen wehtun, die Gott lieben und Gutes gönnen. Das schlimme dabei ist,
dass wir die sind, die Gottes Reich klein machen und hindern, welche er, so er
streng richten würde, deshalb könnte als seines Reiches Feinde und Räuber
verdammen.
57.
Der andere Schaden ist unser, dass wir im Elend und fremden Land unter so
großen Feinden gefangen liegen. Denn wenn es schrecklich und zum beklagen wäre,
wenn eines Fürsten Kind oder ein ganzes Land unter den Türken gefangen viel
Schmach und Leiden, zuletzt auch den schändlichen Tod bekommen müsste: wie viel
mehr ist das schrecklich zu beklagen, dass wir unter den bösen Geistern in
diesem Elend sind, und allerlei Gefahr des Leibes und der Seele, zuletzt auch
den ewigen Tod aller Augenblicke erwarten müssen, dass einem möchte einfach vor
seinem eigenen Leben mehr denn vor hundert Toten grauen möchte, so er es recht
ansieht.
Zum
zweiten
58.
Wenn wir solches bedenken und uns erniedrigt, und wir unseren Jammer erkennen,
so folgt danach die Tröstung, und lehrt uns der freundliche Meister, unser Herr
Jesus Christus, dass wir bitten und begehren sollen, aus diesem Elend zu
kommen, und nicht verzweifeln. Denn diesen, die solches bekennen, dass sie
Gottes Reich hindern, und kläglich bitten, dass es doch kommen möchte, wird
Gott, weil es ihnen Leid tut, für gut ansehen, wo er sonst Grund hätte zu
strafen. Die freien Geister aber, denen nicht viel daran gelegen ist, wo Gottes
Reich denn bleibt, und nicht herzlich darum bitten, wird er gewiss mit dem Tyrannen
und Zerstörern seines Reiches nach der Schärfe richten.
Denn
weil ein jeglicher dies Gebet beten muss, so folgt, dass niemand unschuldig ist
am Reiche Gottes. Um das zu verstehen, muss man wissen, dass es zwei Reiche
gibt.
Das
erste Reich
59.
Ist ein Reich des Teufels, den nennt der Herr im Evangelium Johannes 16, 11.
einen Fürsten oder König dieser Welt, das Reich heißt, ein Reich der Sünde und
des Ungehorsams. Das soll aber den Frommen ein großes Elend und Gefängnis sein.
Wie denn Vorzeiten angedeutet worden ist durch die Kinder von Israels in
Ägypten, diese mussten das Land mit großer Arbeit und Jammer bauen, und hatten
doch nichts davon, sondern nur dass man sie durch viel Arbeit gedachte zu töten
(2. Mose 1, 10 ff). Also, wer dem Teufel untertan dient in Sünden, muss viel
leiden, besonders im Gewissen, und hatten doch zuletzt nicht mehr davon als den
ewigen Tod.
60.
Nun sind wir alle in diesem Reich solange, bis das Reich Gottes kommt; doch mit
einem Unterschied. Denn die Frommen sind so darin, dass sie täglich mit den
Sünden streiten, und des Fleischeslust, der Welt Reiz, des Teufels Eingeben,
stets und fest widerstreben. Denn, wie fromm wir sind, so will doch die böse
Lust in uns mit herrschen und den Sieg haben. Also streitet Gottes Reich mit
des Teufels Reich ohne Unterlass. Und dieselben werden darum darin erhalten und
selig, dass sie also streiten mit sich selbst wieder des Teufels Reich, um
Gottes Reich zu vermehren. Und das sind die, die dies Gebet mit Worten, Herzen
und Werken beten. Also sagt der heilige Apostel Paulus (Römer 6, 12), dass wir
es nicht gestatten sollen, dass die Sünde regiere in unserem Leibe, zu folgen
seinen Begierden. Als spräche er: Ihr werdet wohl fühlen und auch böse Lust
haben, Liebe und Neigung zum Zorn, zum Geiz, zur Unkeuschheit und dergleichen,
die euch ziehen wollen in des Teufels Reich, das ist, zu Sünden, wo sie
herkommen und selbst auch Sünde sind; aber wir sollen ihnen nicht folgen,
sondern streiten, und diese uns zugelassenen Verräter des alten Teufels Reiches
zwingen und dämpfen, wie die Kinder von Israel den Jebusitern
und Amoritern taten, und also Gottes Reich in euch (dass
das rechte gelobte Land ist) mehren.
61.
Die andern aber sind darin, dass sie Lust dazu haben und folgen allen Begierden
des Fleisches, der Welt, des Teufels, wollen auch, so sie könnten, immer darin
bleiben. Diese räumen dem Teufel ein, und verwüsten auch Gottes Reich. Darum
sammeln Sie Güter, bauen groß, suchen alles was die Welt nur geben kann, tun
als ob sie ewig hier bleiben könnten, bedenken nicht, dass wir hier keine
bleibenden Stätte haben, wie Paulus sagt (Hebräer 13, 14). Diese beten dies
Gebet mit dem Munde; aber mit dem Herzen widersprechen Sie diesem, und sind
gleich wie bleierne Orgelpfeifen, die lernen und schreien in der Kirche, und
haben doch weder Wort noch Verstand.
Das
andere Reich
62.
Ist Gottes Reich, das ist, ein Reich der Gerechtigkeit und Wahrheit, davon
Christus spricht in (Matthäus 6, 33): "Suchet vor allen Dingen das Reich
Gottes und seine Gerechtigkeit" Was ist Gottes und seines Reiches
Gerechtigkeit? Das ist es, wenn keine Sünde mehr in uns ist, sondern alle
unsere Glieder, Kraft und Macht Gott untertan und in seinem Dienst sind, dass
wir mit Paulus sagen können (Galater 2, 20): "Ich lebe jetzt, aber nicht
ich, sondern Christus in mir“; und 1. Korinther 6,19. ff "Ihr seid nicht
euer selbst eigen, ihr seid gekauft mit einem teuren Schatz, darum so sollt ihr
Gott würdigen und tragen in eurem Leichnam". Als spräche er: Christus hat
euch getauft durch sich selbst, darum sollt ihr sein sein
und ihn lassen in euch leben und regieren. Das geschieht aber, wenn keine Sünde
in uns regiert, sondern allein Christus mit seinen Gnaden. Also ist Gottes
Reich nichts anderes denn Friede, Zucht, Demütigkeit, Keuschheit, Liebe und
allerlei Tugenden; dort ist nicht Zorn, Hass Bitterkeit, Unkeuschheit und alles
dergleichen.
63.
Nun probiere es ein jeglicher selber, aber er hier oder dazu sich geneigt
findet, so wird er gewahr, in welchem Reiche er ist. Nun ist niemand, der nicht
etwas von dem Reich des Teufels in sich findet. Darum muss er bitten: dein
Reich komme. Denn Gottes Reich wird hier wohl angefangen und nimmt zu; es wird
aber in jenem Leben vollbracht.
64.
Also ist es kurz gesagt "dein Reich komme": Lieber Vater, lass uns
hier nicht lange leben, auf das dein Reich in uns vollkommen wird, und wir
erlöst werden ganz von des Teufels Reich; oder, so es dir besser gefällt, noch
länger in diesem Elend uns zu lassen, so gib uns deine Gnade, dass wir dein
Reich in uns mögen anfangen und ohne Unterlass vermehren, dem Teufel sein Reich
hindern und zerstören.
Nun
merke:
65.
Es sind zwei große Irrtümer in dieser Welt. Der erste: Die hin und her laufen, dass
sie fromm werden, zu Gottesreich zukommen um selig zu werden, einer nach Rom,
der andere zu den Heiligen, einer baut eine Kirche, der eine stiftet dies, der dass;
aber zu dem rechten Punkt wollen sie nicht greifen, das ist, dass sie inwendig
sich selbst Gott zu eigen geben und sein Reich würden; und viel solcher
äußerlichen Werke, und scheinen dabei schön; bleiben aber inwendig voll böser
Tücke, Zorn, Hass, Hoffart, ungeduldig, unkeusch. Wider diese spricht Christus,
da er gefragt wurde, wann das Reich Gottes käme (Lukas 17, 20-21): „das Reich
Gottes kommt nicht mit einem äußerlichen Gebärde oder Schein. Man wird auch
nicht sagen: Siehe da, oder da ist es. Nehmet war, das Reich Gottes ist in euch
inwendig“, wie er auch bei Matthäus 24, 23 folgende sagt: „Und so man euch wird
sagen: Siehe hier oder da ist es; so sollt ihr es nicht glauben. Denn es sind
viele falsche Propheten“. Als spräche er: wollt ihr das Reich Gottes wissen, so
dürft ihr es nicht weit suchen, noch über Land laufen. Es ist nahe bei dir, so
du willst. Denn Zucht, Demut, Wahrheit, Keuschheit und alle Tugend (das ist,
das wahre Reich Gottes) mag es niemand über Land oder über das Meer holen,
sondern es muss im Herzen aufgehen.
66.
Darum beten wir nicht so: Lieber Vater, lass uns kommen zu deinem Reich, als
sollten wir danach laufen, sondern: „Dein Reich komme zu uns“. Denn Gottes
Gnaden und sein Reich, mit allen Tugenden, muss zu uns kommen, sollen wir es
bekommen, wir mögen nie zu ihm kommen; gleichwie Christus zu uns vom Himmel auf
die Erde gekommen ist, und nicht wir von der Erde zu ihm in den Himmel
gestiegen sind.
67.
Der andere Irrtum, dass viele sind, die dies Gebet sprechen, allein Sorge
haben, dass sie nur selig werden, und verstehen durch das Reich Gottes nichts
anderes, denn Freude und Lust im Himmel, wie sie denn aus fleischlicher
Gesinnung denken mögen, und werden dadurch gedrungen, dass sie die Hölle
fürchten, und also nur das ihre und ihren eigenen Nutz im Himmel suchen.
68.
Diese wissen nicht, dass Gottes Reich nichts anderes ist, denn fromm, züchtig,
rein, milde, sanft, gütig und aller Tugend und Gnaden voll sein, also, dass
Gott das Seine in uns habe, und er allein in uns ist, lebe und regiere. Dieses
sollte man am höchsten und ersten begehren. Denn das heißt selig sein, wenn
Gott in uns regiert, und wir sein Reich sind. Die Freude aber und Lust und
alles andere, dass man begehren mag, bedürfte man nicht suchen noch bitten noch
begehren, sondern es wird sich alles von selbst finden und dem Reiche Gottes
folgen. Denn, wie ein guter Wein wenn er getrunken wird, bringt von sich selbst
mit, ungesucht, seine Lust und Freude, und kann nicht verhindert werden, also
noch viel mehr, wenn die Gnaden und Tugenden, (das Reich Gottes) vollkommen
werden, so muss, ohne unser Zutun, natürlich und unverhindert Freude folgen,
Friede und Seligkeit, und alle Lust. Darum, das falsche und eigennützige Auge
abzuwenden, heißt uns Christus nicht die Folge des Reiches, sondern das Reich
Gottes selber bitten und suchen. Jene aber suchen das Hinterste und das Letzte
zum ersten, und das Erste achten sie nicht, aber achten es allein um des
Letzten willen. Darum werden sie keines bekommen; sie wollen den Vorgang nicht
recht, so wird ihnen die Folge auch nicht.
Die
dritte Bitte
Dein
Wille geschehe wie im Himmel, so auf Erden.
69.
Durch diese Bitte sollen auch zwei Dinge geübt werden, wie in der vorigen Bitte
gesagt sind, nämlich, sie erniedrigt und erhebt, macht Sünder und fromm. Denn
diese zwei Stücke, Gericht und Gerechtigkeit, wie im Psalm 106, 3: „Selig sind,
die da üben das Gericht und Gerechtigkeit allezeit“. Das Gericht ist nichts
anderes, denn dass ein Mensch sich selbst erkennt, richte und verdamme. Und das
ist wahre Demütigkeit (Selbsterniedrigung). Die Gerechtigkeit ist nichts
anderes, wenn ein Mensch sich selbst so erkennt, und Gnade und Hilfe von Gott
bittet und sucht, durch welches er denn vor Gott erhoben wird.
Diese
zwei Stücke sollen wir bei dem Gebet beachten
Zum
ersten
70.
Richten wir uns selber, und verklagen uns mit unseren eigenen Worten, dass wir
Gott ungehorsam sind, und seinen Willen nicht tun. Denn wäre es anders und
besser mit uns, dass wir Gottes willen täten, so wäre dies Gebet umsonst. Darum
ist es erschreckend zu hören, wenn wir sagen: „Dein Wille geschehe“. Denn was
kann schrecklicher sein, denn dass Gottes Wille nicht geschieht, und man sein
Gebot verachtet, dass wir uns in diesem Gebet selbst erkennen? Denn es muss
wahr sein, dass wir Gottes Willen nicht tun oder getan haben, weil wir hier
darum bitten. Denn vor Gottes Augen hilft es nicht zu heucheln oder spiegelfechten, sondern, wie man
bittet, so muss es auch gründlich wahr sein.
71.
Weil wir denn bis an unser Ende dies Gebet beten müssen, so folgt, dass wir
auch bis an unser Ende schuldig erfunden werden, als die Gottes Willen
ungehorsam sind. Wer kann nun auch fertig sein oder bestehen vor seinem eigenen
Gebet, darin er findet, dass Gott, so er wollte nach der Gerechtigkeit mit ihm
handeln, wo wir doch mit unseren eigenen Mund bekennen und überzeugt werden,
als Ungehorsame, jeden Augenblick verdammen und verwerfen möchte? Also wirft
dies Gebet eine gründliche Demütigkeit und Furcht Gottes und seines Urteils, dass
der Mensch froh wird, dass er Gottes Gericht entfliehen, und aus lauter Gnaden
und Barmherzigkeit erhalten bleibt. Das heißt sich selbst gerichtet, und das
Gericht geübt vor Gottes Augen, sich gründlich erkennen und beklagen, wie denn
dieses Gebet beweist.
Zum
anderen.
72.
Die Gerechtigkeit ist, wenn wir uns so selbst gerichtet und erkannt haben, dass
wir dann nicht vor dem Gerichte Gottes verzagen, dessen wir uns schuldig finden
durch die Worte dieses Gebetes, sondern zu Gottes Gnade Zuflucht haben, und auf
ihn fest Vertrauen und bitten, er möchte uns von dem Ungehorsam erlösen und
dem, dass wir seinen Willen nicht tun.
73.
Denn der ist gerecht vor Gott, der seinen Ungehorsam und Sünde, auch das
verdiente Urteil, demütig bekennt und darüber von Herzen um Gnade bittet und
nicht daran zweifelt, dass sie ihm gegeben werde. So lehrt der Apostel (Römer 1,
17. Galater 3, 11), dass ein gerechter Mensch durch nichts anderes bestehen
kann als durch seinen Glauben und sein Vertrauen auf Gott, und nicht auf seine
Werke, sondern auf die bloße Barmherzigkeit Gottes sein Trost und seine
Zuversicht sind.
74.
Bedenke, was dieses Gebet von diesem vergänglichen, elenden Leben hält, dass es
nichts anderes ist, denn ein Ungehorsam gegen den göttlichen Willen, und somit
ein gewisser Zustand der ewigen Verdammnis, nur damit erhalten wird, dass wir
dies erkennen, beklagen und von Herzen darum bitten.
Was
es heißt: Gotteswille geschehe, und geschehe nicht
75.
Ohne Zweifel ist das Geschehen von Gotteswillen nichts anderes als das halten
seiner Gebote. Denn durch seine Gebote hat er uns seinen Willen gezeigt.
76.
Hier muss man nun wissen, was Gottes Gebote sind, und muss sie verstehen; das
zu sagen ist eine weitläufige Sache. Auf das kürzeste gesagt, handelt es sich
um nichts anderes, als das wir den alten Adam in uns töten, wie uns der heilige
Apostel an vielen Stellen lehrt. Der alte Adam ist nichts anderes als das was
wir in uns finden: böse Neigung zum Zorn, Hass, Unkeuschheit, Geiz, Ehrsucht,
Hoffart und dergleichen. Denn solche bösen Stücke und Unarten sind uns von Adam
her vererbt und von Mutterleibe angeboren. Aus ihnen folgen böse Werke aller
Art: Töten, Ehebrechen, Rauben und dergleichen Übertretungen von Gottesgebot
und so geschieht durch Ungehorsam Gottes Wille nicht.
Der
alte Adam wird durch zweierlei Weise getötet, damit Gottes Wille geschieht
Zum
ersten:
77.
Durch uns selber: wenn wir unsere böse Neigung unterdrücken und hemmen, mit
Fasten, Wachen, Beten, Arbeiten die Unkeuschheit niederzwingen, mit Almosen und
freundlichen Diensten unseren Feinden gegenüber den Hass und Unwillen zähmen
und kurz, in allen Stücken unseren eigenen Willen brechen. Denn wenn ein Mensch
keinen Meister und Lehrer hat, so muss er sich das als Lehre einprägen und
einüben, dass er sich selbst prüft, worauf sein Wille gerichtet ist, dass tut
er, und wozu er keine Lust hat, dass tut er nicht; aber er soll seinem eigenen
Willen entgegen handeln. Denn davon muss er ohne Einschränkung überzeugt sein, dass
sein eigener Wille niemals gut ist, mag er so schön aussehen wie er meint,
außer er wird dazu gezwungen. Besser ist aber es geschieht nicht durch Zwang.
Denn wie gesagt, wenn ein guter Wille in uns wäre, so hätten wir diese Bitte
nicht nötig.
78.
Und so soll ein Mensch sich selbst üben, dass er ein Überwinder seines eigenen
Willens wird, er soll dabei niemals unsicher sein, denn wenn er findet, dass
nur ein Wille, und nicht zwei Willen gegen einander in ihm sind, und sich dann
daran gewöhnen, dem Überwillen zu folgen gegen seinen Willen. Denn wer seinen
Willen hat und tut, der ist gewisslich wider Gottes Willen. Nun gibt es nichts,
was den Menschen so überaus lieb und schwer zu lassen ist als sein eigener
Wille. Viele tun große gute Werke, aber ihren Willen und allen ihren Neigungen
leisten sie ganz Folge; und dennoch meinen Sie, sie sind recht daran und tun
nichts Übles! Sie sind nämlich überzeugt, ihr eigener Wille sei gut und
richtig, und sie hätten diese Bitte überhaupt nicht nötig; sie sind auch ohne
alle Furcht vor Gott.
Zum
anderen:
79.
Durch andere Menschen, die gegen uns sind, anfechten, Unruhe machen, und uns in
allem unserem Willen widerstreben, auch in guten, geistlichen Werken, und nicht
allein in zeitlichen Gütern, als die, die unser Beten, Fasten, unsere guten
Werke verdächtigen, für Narrheit halten und kurz, uns in keiner Sache im
Frieden lassen. O, das ist ein unschätzbares, köstliches Ding; solche Anfechter sollte man mit allem Gut kaufen. Denn die sind
es, die diese Bitte bei uns in das Werk bringen, durch sie bricht Gott unseren
Willen, damit sein Wille geschehe. Darum sagt Christus Matthäus 5, 25:“Du
sollst deinem Widersacher auf dem Wege einig werden“, das heißt wir sollen
unseren eigenen Willen fahren lassen und des Widersachers Willen recht haben
lassen. So wird unser Wille gebrochen; im brechen unseres Willens aber
geschieht Gottes Wille. Denn ihm gefällt es wohl, wenn unser Wille verhindert
und zunichte wird. Wenn dich also jemand verdächtigt und dich zum Narren machen
will, sollst du nicht widerstreben, sondern Ja dazu sagen und sollst bei dir
selbst das für recht ansehen, denn es ist auch recht vor Gott. Will er dir
etwas nehmen und Schaden zufügen, so sollst du es fahren lassen, es geschehe
dir recht daran; denn ohne Zweifel ist es recht vor Gott. Auch wenn der
Betreffende Unrecht tut, so geschieht dir doch kein Unrecht. Denn es gehört alles Gott; der kann es durch einen Bösen oder durch einen
Guten nehmen. Da soll dein Willen nicht widerstreben, sondern sagen „Dein Wille
geschehe“. Genau so gilt das bei allen anderen Dingen, leiblichen und
geistlichen; „wer dir den Rock nimmt, dem gib den Mantel dazu" sagt
Christus in Matthäus 5, 40.
80.
Sprichst du aber nun: Heißt das Gottes Wille geschehe, wer kann dann selig
werden? Wer kann dieses hohe Gebot halten, dass er alle Dinge lässt, und in
keinem seinen Willen hat? Antworte ich: Darum lerne, wie groß und nötig, und
mit was für einen Ernst und mit einem Herzen dies Gebet gebetet sein will, und
wie groß es ist, dass unser Wille getötet werde, allein Gottes Wille geschehe.
So musst du dich hier als ein Sünder bekennen, der den Willen Gottes nicht
leisten kann, und um Hilfe und Gnade bitten, dass es dir Gott vergebe, was du
zu wenig tust, und dir helfe, dass du es tun möchtest. Denn es muss notwendig
sein, soll Gottes Wille geschehen, so muss unser untergehen; denn sie sind
wider einander. Das merke an Christus unseren Herrn, da er im Garten seinen
himmlischen Vater bat, dass er den Kelch von ihm nehmen möchte; dennoch sagte
er (Lukas 22, 42): „nicht mein, sondern dein Wille geschehe“. Musste Christi
Wille aufhören, der doch ohne Zweifel gut, ja, der Allerbeste immer gewesen
ist, auf das göttlicher Wille geschehe, was wollen denn wir armen Würmer mit
unserem Willen protzen, der doch nie frei von Bösem ist und es immer verdient,
verhindert zu werden?
81.
Um das so verstehen, merke, dass auf zweierlei Weise unser Wille böse ist.
Erstens offenkundig, ohne frommen Schein. So, dass wir einen Willen haben und
geneigt sind, etwas zu tun, was von jedermann als Böse angesehen wird, wie
zürnen, lügen, trügen, dem Nächsten schaden, unkeusch sein und dergleichen.
Welcher Wille und Neigung in einem jeglichen sich findet, besonders wenn er
gereizt wird. Gegen diesen Willen muss man bitten, dass Gottes Wille geschehe;
der will Frieden, Wahrheit, Reinheit, Gütigkeit haben. Zum anderen, heimlich
und unter einem guten Schein, wie bei Johannes und Jakobus (Lukas 9, 54
folgende). Sie sprachen gegen die Samariter die Christus nicht einlassen
wollten: „Herr, willst du, so wollen wir gebieten, dass das Feuer vom Himmel
falle und sie verbrenne“. Und er antwortete: „wisset ihr nicht, welches Geistes
Kinder ihr seid? Des Menschensohn ist nicht gekommen, die Seelen zu verderben,
sondern zu erlösen“.
82.
Von dieser Art sind alle, die Ehre (Ansehen) und Gerechtigkeit oder Torheit,
die ihnen selbst oder anderen widerfährt, mit dem Kopf durch die Wand wollen,
was sie sich vornehmen, soll gerade so zugehen. Sie fangen an und klagen: „ach,
ich meinte es doch so gut, ach, dass der ganzen Stadt geholfen werde, aber der
Teufel will es nicht leiden“. Sie meinen, sie sind verpflichtet und täten recht
daran, wenn sie zürnen und voll schlechter Laune werden, sich und andere Leute
dadurch in Unfrieden bringen und sofort Alarm schlagen, weil ihr guter Wille
verhindert worden ist. Würden sie es bei Licht betrachten, so würden sie
finden, dass es bloßer Schein gewesen ist, und dass sie in dem „guten Willen“
nichts anderes als ihren eigenen Nutzen oder Ehre oder wenigstens ihren eigenen
Willen und Gutdünken gesucht haben. Denn wenn ein „guter Wille“ wirklich gut
ist, kann er unmöglich zornig oder unverträglich werden, wenn man ihn
verhindert.
83.
Achte darauf: Es ist ein sicheres Zeichen für einen bösen Willen, wenn er es
nicht ertragen kann, dass man ihn verhindert. Gerade die Unfähigkeit, sich
etwas gefallen zulassen, ist die Frucht, an der du nur scheinbaren, falschen,
tückischen „guten Willen“ erkennen sollst. Denn wenn ein Wille, der von Grund
aus gut ist, verhindert wird, so spricht er: „Ach Gott, ich meinte, so sollte
es gut sein. Soll es aber nicht sein, so bin ich zufrieden; es geschehe dein
Wille“. Denn wo man keinen Frieden hält und sich nichts gefallen lassen kann,
da ist nichts Gutes, es scheine so gut als es will oder mag.
84.
Außer diesen zwei bösen Willen gibt es einen rechtschaffenen guten Willen, der
auch nicht geschehen darf. Von dieser Art war der Wille Davids, als er Gott
einen Tempel bauen wollte. Gott lobte ihn zwar dafür, wollte aber doch nicht, dass
es geschehe (2. Samuel 7, 2 folgende). Von gleicher Art war der Wille Christus
im Garten, als er den Kelch von sich wies (Lukas 22, 42), und doch musste
dieser gute Wille unterbleiben. Wenn du also die ganze Welt bekehren, Tote
auferwecken, dich und jedermann in den Himmel führen und alle Wunder verrichten
könntest, so dürftest du nichts von allem diesem wollen, ohne dass du nicht dem
Willen Gottes den Vorzug gegeben hättest. Du müsstest zuvor diesen deinen
Willen verwerfen und zunichte machen und sagen: „Mein lieber Gott, dies und das
denke ich ist gut; gefällt es dir, so geschehe es; gefällt es dir nicht, so
möge es unterbleiben“.
85.
Und diesen guten Willen bricht Gott sehr oft seinen Heiligen, damit nicht unter
dem Schein des Guten der falsche, tückische und böse „gute Wille“ einreißt;
auch dass man dazu lernt, dass unser Wille, mag er auch noch so gut sein, viel
geringer ist als Gottes Wille. Darum soll ein Geringer „guter Wille“ nachgeben
oder wenigstens sich unterwerfen gegenüber dem unermesslichen guten Willen
Gottes. Zum dritten soll der „gute Wille“ auch darum in uns verhindert werden,
damit er gebessert werde; denn gewiss hindert Gott einen guten Willen allein
dazu, dass er besser werde. Er wird aber dann besser, wenn er dem göttlichen Willen, durch den er verhindert wird,
untertänig nicht ungleichartig wird. Das nun solange geht, bis der Mensch ganz
gelassen, frei und willenlos wird und von nichts mehr weiß als auf Gottes Willen zu warten.
86.
Siehe, dass heißt wahrer Gehorsam, wie er leider zu unseren Zeiten ganz
unbekannt geworden ist. Nun kommen die unnützen Schwätzer daher, die die ganze
Christenheit mit ihrem Gerede erfüllt und mit ihren Lehren die armen Leute
verführt haben, und schreien laut von der Kanzel herunter, wie man einen guten
Willen, gute Absicht, guten Vorsatz haben und fassen soll; wenn dann dieser gefasst
ist, dann sei man sicher und alles, was man tue, sei dann recht. Mit dieser
Lehre schaffen sie nichts weiter als eigenwillige, eigensinnige Menschen,
freche und selbstsichere Geister, die immer gegen Gottes Willen kämpfen und
ihren eigenen Willen nicht brechen und unterwerfen. Glauben Sie doch, jede
Absicht ist gut und müsse sich durchsetzen, und was ihnen widerstrebt, das ist
vom Teufel und nicht von Gott. Sieh, so entstehen die Wölfe unter den
Schafskleidern (Matthäus 7, 15) und daher kommen sie, die hoffärtigen Heiligen,
die aller gefährlichsten Menschen auf Erden. Daher kommt es, dass ein Bischof
gegen den anderen, dass eine Kirche gegen die andere, das Geistliche, Mönche,
Nonnen gegeneinander kämpfen, streiten und das an allen Orten Unfriede ist; und
dabei sagt doch jeder Partei, sie habe einen guten Willen, rechte Absicht,
göttlichen Vorsatz. So treiben sie zum Lob und zur Ehre Gottes lauter
teuflische Werke.
87.
Man sollte sie aber recht lehren, dass sie einen gottesfürchtigen Willen haben,
und auf ihren eigenen Willen und Absicht kein Vertrauen setzen; ja, sie sollen
die verfluchte Vermessenheit weit von sich werfen, von der sie meinen, sie
könnten einen guten Willen oder Absicht haben oder fassen. Denn man soll ohne
Vorbehalt die Hoffnung fahren lassen, dass jemand einen guten Willen, eine gute
Absicht, einen guten Vorsatz haben oder fassen könne. Denn wie oben gesagt: Es
ist überhaupt erst dort ein guter Wille, wo kein Willen mehr ist; denn wo kein
Wille mehr ist, da ist allein Gottes Wille, der der allerbeste ist. Darum
wissen solche Schreier viel darüber zusagen, was ein böser oder ein guter Wille
ist; sie kommen frech daher und bringen es dahin, dass wir mit dem Mund
sprechen: „Dein Wille geschehe“, mit dem Herzen aber: „Mein Wille geschehe“,
womit wir Gott und uns selbst verspotten.
88.
So spricht man: Ei, hat uns doch Gott einen freien Willen gegeben. Antwort: Ja,
freilich hat er dir einen freien Willen gegeben; warum willst du ihn denn zu
deinem einem eigenen Willen machen, und lässt ihn nicht frei bleiben? Wenn du
damit tust, was du willst, so ist er nicht frei, sondern dein eigen. Gott aber
hat dir, noch niemand einen eigenen Willen gegeben; denn der eigene Wille kommt
vom Teufel und Adam, die haben ihren freien Willen, von Gott empfangen, sich
selbst zu eigen gemacht. Denn ein freier Wille ist, der nichts Eigenes will,
sondern allein auf Gottes Willen schaut, dadurch er denn auch frei bleibt, an
nichts hängt und klebt.
89.
Nun merkst du, dass Gott in diesem Gebet uns sagt das wir gegen uns selbst
bitten, dabei lehrt er uns, dass wir keinen größeren Feind haben, denn als uns
selbst. Denn unser Wille ist das Größte in uns, und wieder diesen müssen wir
bitten: O Vater, lass mich nicht dahin geraten, dass es nach meinem Willen
geht. Also ist es ja auch im Himmel: da gibt es keinen eigenen Willen; das soll
auch auf der Erde so sein. Solches Beten oder Geschehen tut der Natur sehr weh.
Denn der eigene Wille ist das allertiefste und größte Übel in uns, und dabei
ist uns doch nichts lieber als unser eigener Wille.
90.
Darum wird in diesem Gebet nichts anderes gesucht, denn das Kreuz, Marter,
Widerwärtigkeit und allerlei Leiden, dass dazu dient den eigenen Willen zu zerstören.
Wenn es nun die eigenwilligen Menschen recht bedenken, wie sie damit gegen
allen ihren eigenen Willen bitten, so würden sie dieser Bitte feind werden oder wenigstens davor erschrecken.
91.
Nun lasst uns diese drei ersten Bitten zusammenfassen! Das Erste ist, dass
Gottes Name geehrt werde und seine Lehre und sein Lob in uns sei. Dazu kann
aber niemand kommen, wenn er nicht rechtschaffen und im Reich Gottes ist; denn
die Toten und Sünder können Gott nicht loben, wie David sagt (Psalm 6, 6). Nun
kann niemand rechtschaffen sein, wenn er nicht von den Sünden los ist; von den
Sünden wird man los, wenn unser Wille entwurzelt wird und allein Gottes Wille i
100.
Zweitens kommt dass Wort durch sich selbst; z. B. wenn Gott einem leidenden
Menschen sein Wort eingießt, damit er stark wird, alles zu tragen; denn Gottes
Wort ist allmächtig (Römer 1, 16).
Was
ist nun aber das Wort, wenn es doch viele Worte Gottes gibt?
101.
Antwort: Das vermag niemand bestimmt festzulegen; denn wie die Gebrechen und
Leiden so vielfältig sind, so sind auch die Worte Gottes vielfältig. Denn den
Furchtsamen muss man ein anderes Wort sagen als den Hartnäckigen; diese muss
man schrecken, jene muss man stärken. Weil wir aber jetzt von denen reden in
welchen Gottes Willen geschieht, d. h. von denen, die in Leiden und Nöten sind,
so muss man die Worte nehmen, die stärken, wie Paulus es im Hebräer 12 tut.
Aber weil es nicht in der Macht des Menschen steht, das Wort Gottes
fruchtbringend zu reden oder zu treffen, sondern weil das allein in Gottes Hand
steht, darum ist es nötig, dass wir darum bitten, er möchte uns das heilige
Wort selbst geben durch sich oder durch einen Menschen.
102.
Nun ist es wahr: wer noch nie im Leiden versucht worden ist und die Kraft des
Wortes (wie mächtig es zu stärken vermag) nicht erfahren hat, der versteht auch
gar nichts von dem, was diese Bitte begehrt. Es kann ihm auch nicht schmecken;
denn er hat nur den Trost und die Hilfe kennen gelernt und geschmeckt, die von
Geschöpfen oder von ihm selbst kommen, und hat noch nie etwas durchlitten noch
ist je trostlos geworden.
Nun
wollen wir ein Wort nach dem anderen vornehmen um den gründlichen Verstand
dieser Bitte zu suchen; denn es ist eine tiefe Bitte.
Das
erste Wort heißt „Unser“.
103.
Das drückt aus, dass wir nicht in erster Linie um das gewöhnliche Brot bitten,
dass auch die Heiligen essen und das Gott allen
Menschen ungebeten gibt, sondern um „unser“ Brot. Denn wir sind Kinder des
himmlischen Vaters und bitten darum nicht wie von einem irdischen, sondern wie
von einem himmlischen, geistlichen Vater, nicht um ein irdisches, sondern um
ein himmlisches, geistliches Brot, dass „unser“ ist und uns als Himmels Kinder
zugehört und nötig ist. Anders wäre es nicht nötig gewesen, „unser täglich
Brot" sagen; denn das leibliche Brot wäre genug bezeichnet mit dem Wort: „Das
tägliche Brot gib uns heute“. Aber Gott will seine Kinder lehren, mehr für die
Speise der Seele zu sorgen; ja verbietet ihnen (Matthäus 6,25), um das zu
sorgen, was sie leiblich essen oder trinken.
Das
andere heißt: „Täglich“.
104.
Das Wort „täglich“ heißt in griechischer Sprache epuison.
Das hat man auf viele Art und Weise ausgelegt. Einige sagen es bedeutet ein „übernatürliches“
Brot, einige ein „auserwähltes“ und „besonderes“ Brot, einige (der hebräischen
Sprache nach) ein „Morgenbrot (nicht in dem Sinn, wie wir Deutschen von einem Morgen-und Abendbrot reden, sondern ein „Morgenbrot“, dass
für den anderen Tag bereitet ist. Diese Vielfalt soll niemand Irre machen, denn
es hat alles ein und dieselbe Bedeutung, wenn man nur die Art und Natur dieses
Brotes damit recht ausdrückt.
105.
Erstens bedeutet es ein „übernatürliches“ Brot. Denn das Wort Gottes speist den
Menschen nicht in Beziehung auf seinen Leib und seiner Natur in seinem
sterblichen Dasein, sondern es speist ihm zu einem Unsterblichen,
Übernatürlichen, und weit über dieses Dasein hinaus in ein ewiges Dasein
hinein, wie Christus sagt (Johannes 6, 51.58): „Wer dieses Brot ist, der wird
ewig Leben“. Darum heißt es so viel als: „Vater, gib uns das übernatürliche,
unsterbliche, ewige Brot“.
106.
Zweitens bedeutet es ein „auserwähltes“, feines, leckeres Brot, da es voller
Wonne und lieblichen Geschmacks ist, wie denn vom Himmelsbrot geschrieben steht
(Weisheit 16, 20), dass es jedem so schmeckt, wie er wollte. Somit ist unser
himmlisches Brot sehr viel edler und feiner, leckerer, kraftvoller und
gnadenvoller gegenüber dem natürlichen Brot. Man könnte unter „auserwähltem“
Brot auch das verstehen, dass es besonders, allein den Gotteskindern angemessen
und gegeben ist; das ist nämlich auch die Bedeutung aus den anderen Sprachen.
In diesem Sinne sagt der Apostel Hebräer 13, 10, dass wir einen
besonderen Alter haben, von dem niemand essen kann als wir allein, und
das wir somit ein besonderes, eigenes Brot haben.
107.Drittens
(auf Hebräisch) das „Morgenbrot“. Nun hat die hebräischer
Sprache die Eigenart, dass man eben das, was wir Deutschen „täglich“ heißen,
"morgig“ heißt. Im Deutschen bedeutet ja „täglich“ dass, was man täglich
zur Hand und in Bereitschaft hat, wenn man es auch nicht ständig gebraucht; so
sagt man: „Das oder das muss ich heute oder morgen und täglich haben, ich weiß
nicht, in welcher Stunde ich es brauche; dann muss es vorhanden sein“. Eben
diesen Sinn drückt die hebräischer Sprache durch das Wort aus; so sagt Jakob zu
Laban (1. Mose 30, 33): „heute oder morgen oder wann
es dazukommt, wird meine Gerechtigkeit für mich Antwort und Genugtuung geben“.
108.
So ist nun das gemeint, dass wir bitten. Gott wolle uns das übernatürliche,
unser besonderes, eigenes, tägliches Brot geben; „täglich“ in dem Sinn, dass
wir es zur Hand und im Vorrat haben und uns damit stärken können, wenn die Nöte
und Leiden hereinbrechen (worauf wir täglich gefasst sein müssen). Sonst werden
wir überrascht und, weil es uns fehlt, verzagen wir, verderben und sterben
ewig.
109.
Hierbei merke, wir Christen sollen reich sein und einen großen Vorrat von
diesem Brot haben; wir sollten so geübt und gelehrt sein, dass wir das Wort
Gottes täglich in allen Anfechtungen zur Hand und bereit haben, um uns selbst
und andere Leute damit zu stärken, wie wir es in den Episteln und den lieben
heiligen Vätern sehen, was sie getan haben. Aber es ist unsere Schuld, wir
bitten Gott nicht darum, und deshalb haben wir auch nichts. Darum müssen wir auch
unkundige Bischöfe, Priester und Mönche haben, die uns nichts geben können; wir
leben weiter und machen das Übel noch ärger und hassen, verdächtigen und
verachten sie. Sieh, dahin führt uns Gottes Zorn. Darum sollte man diese Bitte
recht bedenken; denn darin lehrt uns Gott, für alle geistlichen Vorgesetzten
bitten, besonders für die, die das Wort Gottes uns geben sollen. Wird es ihnen
doch nicht gegeben, wenn wir dessen nicht würdig sind und Gott darum bitten.
Wenn du darum unkundige und untaugliche Bischöfe, Priester und Mönche siehst,
so sollst du nicht fluchen, richten oder verdächtigen, sondern selbst in ihnen
nichts anderes sehen als eine grauenhafte Plage Gottes, womit er dich und uns
alle straft, weil wir das Vater Unser nicht gebetet und bei Gott nicht um unser
tägliches Brot gesucht haben. Denn wenn wir das Vater Unser und die Bitte um
unser täglich Brot recht beteten, so würde uns Gott wohl erhören und uns fein
taugliche, kundige geistliche Vorgesetzte geben. Die Schuld ist vielmehr auf
unserer, als auf ihrer Seite. Aber nun findet man Menschen, die Gott so sehr
plagt und verstockt, dass sie in der unkundigen Priesterschaft nicht bloß
allein eine Plage Gottes erkennen, sondern auch noch ein Vergnügen daran haben,
sie zu verachten, sie treiben mit dieser gewaltigen Gottesplage ihren Spott,
während sie doch blutige Tränen darüber weinen sollten (wenn sie es könnten), dass
Gott uns eine solche ernste schwere Plage zufügt.
110.Denn
das sollst du wissen, dass Gott die Welt noch nie schwerer gestraft hat als mit
blinden, unkundigen Leitern; durch sie muss das Wort Gottes, und damit unser
Brot, ausbleiben und müssen wir verderben. Lass Türken Türken
sein; diese Plage ist größer! Weh uns, dass wir Sie nicht erkennen und um
Änderung bitten! Umgekehrt ist Gott der Welt nie gnädiger gewesen, als wenn er
kundige und einsichtige geistliche Vorgesetzte gegeben hat, durch die sein Wort
in großem Vorrat und in täglichem Gebrauch gebracht worden ist. Denn die
Christenheit und jede einzelne Christenseele ist eben und durch das Wort Gottes
geboren! Darum muss sie auch eben durch dieses ernährt, erhalten und beschützt
werden. Sonst muss sie viel kläglicher verderben, als der Leib verderbt, wenn
er seinen Brot nicht bekommt.
Das
dritte Wort heißt Brot.
112.
Das heilige Wort Gottes hat viele Namen in der Schrift wegen seiner unzähligen
Eigenschaften und Wirkungen. Denn es ist fürwahr allumfassend und allmächtig.
Es heißt ein geistliches Schwert (Hebräer 4, 12), weil man mit ihm wider den
Teufel und alle geistlichen Feinde kämpft. Es heißt ein Licht (Psalm 119, 105),
ein Frühregen und Spätregen (Jakobus 5, 7), ein himmlischer Tau (Hosea 14,6),
Gold und Silber (Psalm 119, 72), Arznei (Sirach 38, 2),
Kleider (Jesaja 61, 10), Schmuck (Hesekiel 16, 14) und vieler anderer solcher
Worte. Ebenso heißt es auch ein Brot, weil die Seele davon gespeist, gestärkt,
groß und wohl genährt wird. Und zwar soll man hierunter nicht allein das bloße
Brot verstehen; denn in gleicher Weise, wie die Schrift mit dem leiblichen „Brot“
alle möglichen Speisen des Leibes bezeichnet, wie köstlich sie auch sind, so
bezeichnet sie auch mit dem geistlichen „Brot“ alle die Speisen der Seele, die
unzählig sind zu zählen. Denn es gibt mancherlei Seelen auf Erden, und jede hat
nicht immer ein und das gleiche Bedürfnis und ein und dieselbe Fähigkeit; und
doch macht das Wort Gottes alle und jede einzelne nach ihrem Bedürfnis überschwenglich satt. Denn wären die Speisen aller Könige,
die je gewesen sind und sein mögen, auf einem Haufen beisammen, so könnten sie doch
dem geringsten Worte Gottes nicht von ferne gleichgestellt werden. Darum nennt
es der Herr Christus im Evangelium (Matthäus 22, 2 folgende) eine königliche
Bewirtung, und durch Jesaja (Kapitel 25, 6) ein köstlich, erlesen und prächtig
Mahl.
Was
ist nun das Brot oder Wort Gottes?
113.
Das Brot, das Wort, und die Speise ist niemand, denn Jesus Christus, unser
Herr, selbst, wie er sagt (Johannes 6, 51): "
Ich
bin des lebendige Brot, das vom Himmel herabgestiegen ist, dass es die Welt
lebendig mache“. Darum lasse sich niemand durch Worte oder durch einen Schein
irre machen: alle Predigten und Lehren, die uns nicht Jesus Christus bringen
und vorbilden, die sind nicht das „tägliche Brot“ und die Nahrung für unsere
Seele; sie können auch bei keinem einzigen Bedürfnis oder Anfechtung helfen.
Das
vierte Wort heißt: Gib
114.
Das Brot, Jesum Christum, kann niemand haben als von ihm selbst, weder durch
Studieren noch durch Hören noch durch Fragen noch durch Suchen. Denn gilt es,
Christus zu erkennen, so sind alle Bücher zu wenig, alle Lehrer zu gering, alle
Vernunft zu stumpf; allein der Vater selbst muss es ihnen offenbaren und uns
geben. So sagt er Johannes 6, 44: „Niemand kommt zu mir, wenn ihn nicht der
Vater zieht, der mich gesandt hat“. Ferner Johannes 6, 65: „Es kann mich
niemand aufnehmen oder verstehen, wenn es ihm nicht vom Vater gegeben wird.
Ferner Johannes 6, 45: „Jeder, der vom Vater über mich hört, der kommt zu mir“.
Darum lehrt er uns, dass wir um dieses heilvolle Brot bitten sollen: Gib uns
heute“.
Nun
wird Christus, unser Brot, uns in zweierlei Weise gegeben.
115.
1. Äußerlich, durch Menschen, z. B. durch die Priester und Lehrer. Und das
geschieht auch wieder auf zweierlei Weise, einmal durch die Worte, zum andern
durch die Sakramente. Davon wäre viel zusagen; sagen wir es kurz: Es ist eine
große Gnade, wo Gott es gibt, dass man Christus predigt und lehrt. So sollte es
natürlich an allen Orten sein: nichts anderes als Predigt von Christus und
Austeilung nur dieses „täglichen Brotes“.
116.
Im Sakrament empfängst man Christus; aber das wäre ganz umsonst, wenn man ihm
nicht dazu mit dem Worte „austeilte“ und „anrichtete“. Denn das Wort bringt
Christus ins Volk und macht ihn in ihrem Herzen bekannt; aus dem Sakrament
würden sie das niemals verstehen. Darum ist es ein schweres Unwesen zu unseren
Zeiten, dass man viele Messen hält und es nur mit dem Stiften dieser Messen so
eilig hat, während leider das Wichtigste unterbleibt, nämlich die Predigt;
trotzdem sind zu diesem die Messen eingesetzt, wie Christus sagt und gebietet
(1. Korinther 11, 25): „So auf ihr das tut, sollt ihr es tun, um meiner zu
gedenken“. Und wenn man schon Predigt, so handelt zwar die Messen von Christus,
die Predigt aber von irgend einem erdichteten
Heiligen. So plagt uns Gott, weil wir nicht um das tägliche Brot bitten, und so
kommt es zuletzt mit dem hochwürdigen Sakrament dahin dass es nicht nur
vergeblich und fruchtlos gebraucht wird, sondern auch in Verachtung gerät. Denn
was hilft es, dass Christus da ist und uns ein Brot bereitet ist, wenn es uns
doch nicht gegeben wird und wir es nicht genießen können? Das geht gerade so,
wie wenn ein köstliches Mahl zu bereitet wäre niemand wäre da, der das Brot
austeilte, die Speise oder das Getränk einschenkte; dann können sie vom Geruch
oder vom Ansehen satt werden! Darum sollte man allein von Christus predigen,
alle Dinge auf ihn beziehen und in allen Schriften auf ihn hinweisen: wozu er
gekommen ist, was er uns gebracht hat, wie wir an ihn glauben und uns gegen ihn
verhalten sollen; auf das das Volk Christum so durch das Wort fassen und
erkennen möchte, und nicht so leer vom Gottesdienst oder Abendmahl kommen, dass
sie weder Christum noch sich selbst erkennen.
117.
Zweitens wird uns Christus als unser innerlich Brot
durch Gottes eigenes Lehren gegeben. Und zwar muss dass beim Äußerlichen dabei
sein, sonst ist auch das Äußerliche umsonst. Wenn aber das Äußerliche recht vor
sich geht, so bleibt auch das Innerliche nicht aus. Denn Gott lässt sein Wort
niemals ausgehen, ohne dass es Frucht schafft; er ist dabei und lehrt selber
innerlich, was er äußerlich durch den Priester gibt. So spricht er durch Jesaja
(55, 10 folgende): „Mein Wort, dass von meinem Munde ausgeht, wird nicht leer
zurückkommen, sondern wie der Regen die Erde durchfeuchtet und fruchtbar macht,
so wird mein Wort seinen Gang gehen und alles ausrichten, wozu ich es aussende“.
Daraus entstehen rechte Christen, die Christus erkennen und mit den Sinnen
schmecken.
Sprichst
du:
118.
Was ist denn Christum erkennen, oder was bringt es? Antwort: Christus erfassen
und erkennen besteht darin, dass du verstehst, was der Apostel 1. Korinther 1, 30
sagt: „Christus ist uns von Gott gegeben, dass er für uns Weisheit,
Gerechtigkeit, Heiligkeit und Erlösung sein soll“. Das verstehst du dann, wenn
du erkennst, dass alle deine ganze Weisheit eine verdammte Torheit, deine
Gerechtigkeit eine verdammte Ungerechtigkeit, deiner Heiligkeit eine verdammte
Unreinheit, deiner Erlösung eine elende Verdammung ist. So findest du, dass du
vor Gott und allen Geschöpfen mit Recht als ein Narr, ein Sünder, ein unreiner,
ein verdammter Mensch bist. Und das musst du nicht bloß mit Worten sondern von
ganzem Herzen, auch mit Werken, zeigen, dass dir kein Trost und kein Heil bleibt als dass Christus dir von Gott gegeben ist. An ihn
sollst du glauben und ihn so genießen; allein seine Gerechtigkeit soll dich
erretten, weil du sie anrufst und dich darauf verlässt. Dieser Glaube ist
nichts anderes als das Essen dieses Brotes; in diesem Sinne sagt er Johannes 6,
32. „Mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel“.
So
sagst du:
119.
Wer weiß das nicht, dass wir Sünder und nichts sind, allein durch Christum
errettet werden? Antwort: Es ist eine große Gnade, wenn man das weiß und es mit
äußerlichen Worten sagen und hören kann. Aber es sind nur wenige, die es
verstehen und mit dem Herzen sagen. Das beweist die Erfahrung. Denn wenn man
sie als Narren oder Sünder verachtet, so können sie es nicht ertragen und
finden schnell eine Weisheit und Rechtschaffenheit außerhalb von Christus, die
ihnen eigen ist. Besonders aber, das Gewissen straft, oder im Sterben, so
wissen sie nicht mehr dass Christus ihre Gerechtigkeit ist, und suchen hier und
da, wie sie ihr Gewissen trösten oder stärken mit
ihren guten Werken. Wenn aber das nicht hilft (und es kann nicht helfen!), so
verzweifeln sie.
120.
Siehe, davon wäre viel zu sagen, und alle Predigten sollten von diesen Dingen
handeln. Denn wenn man Christus so predigt und das liebe Brot so austeilt, dann
fassen es die Seelen auf und erproben sich damit in ihren Leiden, wenn Gottes
Wille ihnen solche auflegt. Darum werden sie dadurch stark und voll Glaubens,
so dass sie von da an nichts mehr fürchten: weder ihre Sünde und ihr Gewissen,
noch Teufel und Tod. Nun siehst du, wie es sich mit diesem „täglichen Brot“
verhält: dass Christus wahrhaftig dieses Brot ist. Aber es ist dir nicht nütze,
du kannst ihn auch nicht genießen, wenn Gott ihn nicht zu Worten macht, dass du
ihn hören und so erkennen kannst. Denn dass er im Himmel sitzt oder unter der
Gestalt des Brotes da ist, was hilft dir das? Er muss durch das Innerliche und
Äußerliche Wort „ausgeteilt“, „angerichtet“ und zu Worten werden; sieh das ist
dann wahrhaftig Gottes Wort. Christus ist das Brot, Gottes Wort ist das Brot,
und es ist doch ein und dasselbe Ding, ein und dasselbe Brot. Denn er ist in
dem Wort und das Wort ist in ihm; und an dieses Wort glauben, d. h. das Brot
essen. Wem Gott das gibt, der lebt ewiglich.
Das
fünfte Wort heißt: Uns.
121.
Hier wird jeder Mensch ermahnt, dass denken seines Herzens auf die ganze
Christenheit auszubreiten und für sich und die Gesamtheit aller Menschen zu
beten, besonders für die Pastoren, die das Wort Gottes in Schwung halten
sollen. Denn wie wir in den ersten drei Bitten den Dingen nachgehen, die Gott gehören,
dass er das Seine in uns bekomme, so bitten wir nun hier für die Christenheit.
Unter allen Dingen aber ist für die Christenheit nichts nötiger und nützlicher
als dass „tägliche Brot“, d. h. das Gott kluge Pastoren schafft und so sein
Wort in aller Welt predigen und hören lassen will. Denn wie es beim
priesterlichen Stand und beim Wort Gottes so steht, wie es sein soll, so grünt
und blüht die Christenheit. Darum zu bitten, hat er uns auch befohlen, als er
sprach (Matthäus 9, 38): „Bittet den Hausvater, dass er Arbeiter in seine Ernte
sende usw.“.
122.
Darum, nach der rechten Ordnung der Liebe, sollen wir am meisten für die
Christenheit bitten, daran wir mehr tun, denn für uns selbst bitten. Denn, wie
der Bischof von Konstantinopel „Chrysostomus“ sagt, wer für die ganze
Christenheit betet, für den betet auch wieder die Christenheit, ja in eben
diesem Gebet bittet er mit der Christenheit zusammen für sich selbst. Und es
ist kein gutes Beten, wenn einer für sich allein bittet; und (gebe Gott, dass
ich mich nicht irre!) ich kein rechtes Gefallen finden an den vielen
Bruderschaften, besonders an denjenigen, die so völlig sich selber zuwenden,
als wollten sie allein in den Himmel fahren und uns zurück lassen,. Du aber
bedenke und beachte: Christus hat nicht umsonst gelehrt, man solle nicht beten „Mein
Vater“, sondern „unser“, nicht „Mein täglich Brot gib mir heute“, sondern „Unser
täglich Brot gibt uns heute“, und ebenso weiter „Unsere Schuld“, „uns“, „uns“
usw. Er will den Haufen hören, nicht mich oder dich oder einen der abseits
geht, wie die Pharisäer die sich abgesondert haben. Darum singe mit den anderen
Leuten zusammen dann singst du recht. Und wenn du schon schlecht singst so geht
es doch im großen Haufen hin, singst du allein, so wirst du nicht ungerichtet
bleiben.
Das
sechste Wort: Heute.
123.
Dieses Wort lehrt, wie zuvor gesagt, dass Gottes Wort nicht in unserer Gewalt
ist. Darum muss alles falsche Vertrauen auf Verstand, Vernunft, Können und
Weisheit zunichte werden. Denn in der Zeit der Anfechtung muss Gott selbst zu
uns sprechen mit seinem Wort und uns trösten und aufrechterhalten. Es ist zwar
ein großer Vorrat davon in der Heiligen Schrift vorhanden, so dass einer sogar
die ganze Welt damit lehren könnte, - solange er im Frieden ist; wenn aber nicht
Gott selbst kommt, wenn die Stürme anfangen, und uns das Wort von sich aus
innerlich allein oder durch einen Menschen sagt, so ist schnell alles
vergessen. Dann geht das Schiff doch unter, wie im Psalm 107, 27 geschrieben
steht: „Sie sind erschrocken und wanken wie die Trunkenen“, sie wissen nicht,
wohin; alle ihre Weisheit ist verschwunden, sie wissen ganz und gar nichts
mehr.
124.
Also leben wir hier in einer ständigen Gefahr, müssen auf Leiden aller Art gefasst
sein, auch auf des Todes Not und der Hölle Pein. Darum müssen wir in solch
einer Furcht verharren und bitten, Gott möchte sein Wort nicht lange von uns
lassen, sondern heute, jetzt und täglich dabei und da sein, um unserer „Brot“
zu geben und (wie Paulus Epheser 3, 16 folgende sagt) machen, dass Christus in
uns erscheine und in unserem inwendigen Menschen wohne. Darum heißt es nicht „morgen“
oder „übermorgen“, gerade als wollten wir heute sicher sein und ohne Furcht
bestehen, sondern „heute“. Auch so lernt es sich besser, dass man „heute“ und
nicht „morgen“ sagt, wenn das anfängt, dass Gottes Wille in uns geschehen will
und unser Wille mit Ängsten untergeht; ja dann wollte er wohl, dass das Brot
nicht bloß „heute“, sondern „in dieser Stunde“ gegeben würde. Das Wort heute
bedeutet in der ganzen Heiligen Schrift auch dieses ganze Leben auf Erden;
davon ich aber jetzt nicht mehr sagen will.
Zusammenfassung
dieser Bitte
125.
Der Sinn dieser Bitte ist: „oh himmlischer Vater, weil deinen Willen niemand
leiden und ertragen will, und wir zu schwach sind, dass wir unseren Willen und
den unseres Adams (alten Menschen) ungern töten, so bitten wir, du möchtest uns
mit deinem heiligen Wort speisen, stärken und trösten, und deine Gnade geben, dass
wir Jesus Christus als das himmlische Brot durch die ganze Welt in der Predigt
hören und ihn von Herzen erkennen, damit doch die gefährlichen, ketzerischen,
irreführenden und überhaupt alle menschlichen Lehren aufhören und nur dein
Wort, dass wahrhaft unser lebendiges Brot ist, ausgeteilt werde.
126.
Bitten wir denn nicht auch um das leibliche Brot? Antwort: Ja, es kann sehr
wohl auch das leibliche Brot darunter verstanden werden; in erster Linie ist
aber Christus, das geistliche Brot der Seele gemeint. Damit wir nicht um Speise
und Kleider für den Leib und Sorgen machen sollen, lehrt er uns darum allein
auf das heute Nötige bedacht zu sein; so sagt Christus in Matthäus 6, 34: “Lasst
die Sorge eines Tages genug sein und sorget nicht heute schon für das Morgen:
denn das Morgen wird seine eigene Sorge mitbringen“. Und es wäre wohl eine gute
Übung im Glauben, wenn wir lernen, Gott nur um Brot für heute zu bitten; dann
könnte man Gott auch in einer größeren Sache Vertrauen. Nicht dass man um
zeitliches Gut oder Nahrung nicht arbeiten soll; sondern dass man sich der
Sorgen entschlage, als könnten wir nicht gespeist
werden, ohne dass wir uns sorgen und Angst haben. Die Arbeit soll also mehr
dazu geschehen, Gott darin zu dienen und Müßiggang zu meiden und dem Gebot
folgen dass er zu Adam sagt (1. Mose 3, 19): „Im Schweiße deines Angesichtes
sollst du dein Brot essen“, - denn dass wir sorgen und Angst haben, wie wir
ernährt werden. Denn Gott wird das bestimmt schaffen, wo wir im kindlichen
Glauben arbeiten nach seinem Gebot.
Die
fünfte Bitte
Und
vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigern
127.
Wer glaubt, dass diese Bitte und Gebet soviel Leute trifft und angeklagt? Zum
ersten, was wollen die großen Heiligen bitten in unseren Zeiten, die sich ganz
für fromm halten, besonders, wenn sie gebeichtet, absolviert und meinen genug
getan haben, und nun so leben, dass sie nicht für ihre Sünde bitten, wie es die
alten und rechten Heiligen, von denen David sagt (Psalm 32, 6): „Ein jeglicher
Heiliger wird Gnade bitten für seine Sünde", sondern nur ihre großen
Verdienste sammeln, und sich einen köstlichen Palast im Himmel bauen, bauen mit
viel guten Werken? Doch helfe uns Gott, wir wollen es versuchen, ob wir es
nicht fertig bringen, sie zu Sündern zumachen und sie unter unserer arme,
sündige Sippe zu zählen! Sie sollen mit uns lernen, diese Bitte nicht allein
vor der Beichte und Buße, sondern auch nach der großen Absolution von Strafe
und Schuld zu beten und nach der Vergebung aller Schuld mit uns sagen: „Herr,
vergib uns unsere Schuld“.
128.
Denn weil man vor Gott nicht lügen und nicht scherzen kann, so muss wahrlich,
wahrlich noch eine ernste, ja sogar viel ernste Schulden da sein, die keine
Absolution beseitigt hat oder beseitigen kann. Deshalb wird Absolution und
dieses Gebet sich wohl nicht vereinen: Ist alle Schuld durch die Absolution
dahin, so tilgt das Gebet aus und bitte du vor Gottes Augen nicht für eine
Schuld, die keine ist, damit du seiner nicht spottest und dir so alles Unglück
zuziehst. Ist aber das Gebet wahr, so helfe Gott der armen Absolution, wenn sie
noch solch große Schuld uns läßt, dass Gott den
Menschen mit Recht darum verdammt, wenn er nicht um Gnade gebeten wird. Doch
will ich nicht zuviel sagen; denn ich kenne die spitzfindigen Auslegungen gut,
mit deren Hilfe man der Heiligen Schrift eine Nase aus Wachs zu drehen pflegt.
Diese
Bitte kann auf zweierlei Weise verstanden werden:
129.
Erstens, dass uns Gott die Schuld im geheimen vergibt und wir es nicht
empfinden, gerade so, wie er vielen Menschen Schuld zurechnet und behält, die
sie gar nicht empfinden oder beachten. Zweitens offenkundig und so, dass wir es
empfinden, gerade so wie er einigen Schuld so zurechnet, dass sie es empfinden,
z. B. durch Vorwurf und Schrecken des Gewissens. Die erste Vergebung ist
beständig nötig; die andere ist manchmal nötig, damit der Mensch nicht verzage.
Was
ist das?
130.
Ich meine das so: Gott ist vielen Menschen freundlich gesinnt und vergibt ihnen
von Herzen alle Schuld, und doch sagt er ihnen nichts davon, sondern handelt
äußerlich und innerlich mit ihnen so, dass es ihnen vorkommt, sie hätten einen
ganz ungnädigen Gott, der sie zeitlich und ewig verdammen will; äußerlich plagt
er sie, innerlich schreckt er sie. Einer von diesen war David, als er im Psalm
6, 2 sprach: „Herr, schilt mich nicht in deinem Zorn“. Genau so umgekehrt:
einigen behält Gott im Geheimen ihre Schuld und ist ihnen feindlich gesinnt; er
sagt ihnen aber nichts davon, sondern behandelt sie so, dass sie meinen, sie
seien die lieben Kinder; äußerlich geht es ihnen wohl, innerlich sind sie
fröhlich und des Himmels gewiss. Diese sind im Psalm 10, 6 geschrieben: „Ich
weiß, dass mich niemand umstürzen wird in Ewigkeit, ich werde ohne alles
Unglück sein“. Ebenso lässt Gott häufig dem Gewissen einen Trost widerfahren
und lässt es eine fröhliche Zuversicht zu seiner Gnade fühlen, damit der Mensch
dadurch gestärkt werde, auch in der Zeit seiner Gewissensangst auf Gott zu
hoffen. Umgekehrt lässt er häufig ein Gewissen erschrecken und betrüben, damit
der Mensch auch in der fröhlichen Zeit die Furcht Gottes nicht vergesse.
131.
Die erste Art von Vergebung ist uns bitter und schwer. Aber sie ist die edelste
und allerliebste. Die andere ist leichter, aber um so
geringer. Alle beide zeigt der Herr Christus an Maria Magdalena (Lukas 7, 47
folgende). Die erste, als er ihr den Rücken kehrt und doch zu Simon sprach: „ihr
sind viele Sünden vergeben“, da hatte sie noch keinen Frieden. Die andere, als
er sich zu ihr wandte und sprach: „Dir sind deine Sünden erlassen, gehe hin im
Frieden" Da ward ihr der Friede zuteil. Die erste Art macht also rein, die
andere schafft Frieden. Die erste wirkt und bringt hervor, die andere ruht und
empfängt. Und zwar ist ein ganz großer Unterschied zwischen den beiden: Die
erste ist bloß im Glauben da und erwirbt sich einen großen Anspruch, die andere
ist im fühlen da und nimmt den Lohn ein. Die erste wird bei den hohen Menschen
(die schon im Glauben geübt) gebraucht, die andere mit den Schwachen und
Anfängern.
132.
Nun wollen wir den allerkräftigsten Ablassbrief
betrachten, der je auf die Erde gekommen ist und nicht um Geld verkauft wird,
sondern jedermann umsonst gegeben wird. Andere Lehrer geben der Genugtuung (d.
h. mit guten Werken oder Geld bezahlen) ihren Platz im Beutel und Kasten;
Christus dagegen setzt sie ins Herz, dass sie uns nicht näher gebracht werden
kann. Du brauchst also weder nach Rom noch nach Jerusalem, noch nach irgend
einem Heiligen, weder hierhin noch dahin um Ablass zu kaufen; auch kann ihn
sich der Arme genau so gut nehmen wie der Reiche, der Kranke wie der Gesunde,
der Laie wie der Priester, der Knecht wie der Herr. Und zwar lautet dieser Ablassbrief
auf deutsch So (Matthäus 6, 14 folgende): “Wenn ihr
euren Schuldnern vergebt, so wird euch mein Vater auch vergeben. Werdet ihr
aber nicht vergeben, so wird euch mein Vater auch nicht vergeben“.
133.
Dieser Brief, der mit Christi eigenen Wunden versiegelt und durch seinen Tod
bestätigt wurde, ist heute durch viel neue Sekten und durch den römischen Ablassbrief
fast vermodert.
134.
Nun kann sich niemand entschuldigen, wenn ihm seine Sünden nicht vergeben
werden oder wenn er ein böses Gewissen behält. Denn Christus spricht nicht: „Du
sollst für deine Sünden so und so viel fasten, so und so viel beten, dies oder
das tun“, sondern: „willst du für deine Schuld genug bezahlen, deine Sünde
auslöschen, so höre meinen Rat, ja mein Gebot: tu nichts weiter als lass das
alles nach und ändere dein Herz (woran dich niemand hindern kann) und sei dem
freundlich gesinnt, der dich beleidigt hat. Vergib nur du, so ist alles in
Ordnung“.
135.
Warum predigt man nicht auch diesen Ablass? Gilt Christi Wort, Rat und
Verheißung nicht so viel als dass eines Traumpredigers
(Traumprediger sind, die ihre erdachte eigene Meinung ihres Herzens
verkündigen)? Ja, ein solcher Ablass würde nicht die Kirche in Rom (die der
Teufel gut leiden kann!), sondern Christi Kirche (die der Teufel nicht leiden
kann!) aufbauen. (Holz und Stein ficht ihn ja nicht sehr an; aber
rechtschaffene einträchtige Herzen, die machen ihm das Herz schwer.) Wem man
also nichts von diesen Ablass, den man umsonst bekommt, so wird man jedoch von
jenem nicht satt, auch wenn man es sich alles kosten lässt. Nicht dass ich den
römischen Ablass verwerfen wollte. Sondern ich wollte dass jedes Ding seinem
Wert nach eingeschätzt würde, und dass man nicht, wo mein gutes Geld umsonst
haben kann, das Kupfer für kostbarer hält als das Gold wert ist. Hüte dich nur
vor der Farbe und vor dem äußeren Glänzen!
136.
Es gibt zwei Arten von Menschen, die dieses Gebet nicht beten und nicht mögen,
und diesen großen Ablass nicht erwerben können. Die ersten treiben es ganz
grob: Ihre eigene Schuld vergessen Sie und machen dafür ihres Nächsten Schuld
so groß, dass sie in ihrer Unverschämtheit sogar zu sagen wagen: „Ich will und
kann ihm das niemals vergeben; ich kann ihm niemals mehr freundlich gesinnt
werden“. Diese tragen einen Balken, ja viele Balken in ihren Augen und sehen
sie nicht, aber den kleinen Stecken oder Zweig in ihres
Nächsten Auge können sie nicht vergessen (Matthäus 7, 3. Das heißt ihre
eigene Sünde, die sie wider Gott getan haben, der Achten sie nicht; aber die
Schuld ihres Nächsten sehen sie so hoch an. Und doch wollen sie, dass ihnen
Gott die große Schuld vergebe, wo sie selber nicht einmal die geringen
ungerächt lassen wollen. Und wenn sie auch sonst keine Sünde oder Schuld
hätten, so wäre doch der Balken in ihren Augen groß genug; denn sie werden
gegen Gottes Gebot eben darin ungehorsam, dass sie nicht vergeben wollen und
sich selbst rächen (was doch allein Gott zusteht). Es ist wahr, Gott ist wunderbar
in seinem Recht und Gericht, dass der größere Schuld hat, der nicht vergibt,
als der, der den Schaden und das Leid angerichtet hat.
137.
Darum wird für solche Leute dieses Gebet zu einer Sünde, wie Psalm 109,7 sagt: „Sein
Gebet wird vor Gott eine Sünde sein“; denn dadurch verflucht sich der Mensch
selber und verkehrt das Gebet in sein Gegenteil: womit er Gnade erlangen
sollte, erwirbt er sich Ungnade. „Ich will nicht vergeben“, und doch stehst du
vor Gott mit deinem kostbaren Vater Unser und plapperst mit deinem Munde: „vergib
uns unsere Schuld, wie wir unseren Schuldigern vergeben“. Das heißt doch nichts
anderes als so viel: „oh Gott, ich bin dein Schuldner; genau so habe ich auch
einen Schuldner. Nun will ich ihm nicht vergeben, so vergib du mir auch nicht.
Ich will dir nicht gehorsam sein, wenn du mir auch sagst ich soll vergeben; ich
will lieber dich, deinen Himmel und alles fahren lassen und ewig zum Teufel
fahren“?
138.
Sieh zu, du armer Mensch, ob du einen solchen Feind hast oder dulden könntest,
der dich vor den Menschen so verflucht, wie du dich selbst vor Gott und allen
Heiligen verfluchst mit deinem eigenen Gebet? Und was hat dein Schuldner dir
getan? Einen zeitlichen Schaden? Ei, warum willst du dich denn um des kleinen
zeitlichen Schadens willen selbst in einen ewigen Schaden bringen? Sieh dich
vor, oh Mensch: nicht der, der dich betrübt, sondern du selbst, der du nicht
vergibst, tust dir den eigentlichen Schaden an, wie die ganze Welt dir keinen
antun könnte.
139.
Die anderen sind frecher. Sie fühlen sich geistlich beleidigt von ihren
Nächsten. Das heißt man tut ihnen nichts, als dass man
ihr herzliches Missfallen erregt bei der großen Liebe zur Gerechtigkeit und
Weisheit, die sie träumen zu haben; denn Sünde und Torheit können die zartfühlenden
und feinen Heiligen nicht leiden. Und das sind die, die in der Heiligen Schrift
(Matthäus 23, 33) Schlangen und vergiftete Würmer genannt werden. Sie sind ganz
tief verblendet: sie merken niemals (und man kann sie auch nicht davon
überzeugen, wie es bei den Ersterwählten, den Groben, möglich ist), dass sie es
sind, die ihren Nächsten nicht vergeben, ja dass als Verdienst und gutes Werk
ansehen, dass sie ihrem Nächsten feind sind. Man
kennt sie daran, dass sie alles, was ein anderer tut, bereden, richten und
verurteilen; sie schweigen nicht still, solange sie etwas von ihren Nächsten
wissen. Sie heißt man auf deutsch „Afterreder“,
auf griechisch Teufel, auf lateinisch Schmäher", auf hebräisch Satanas, kurz, es ist die verfluchte Rotte, die jedermann
verleumdet, verachtet, verflucht, und das alles doch unter dem Schein des
Guten. Diese teuflische, höllische, verdammte Plage regiert gegenwärtig leider
schrecklicher in der Christenheit als jemals eine solche es tat; sie vergiftet
beinahe alle Zungen, und, Gott sei es geklagt, man ist von diesem Jammer weder
auf der Hut noch hat man acht darauf. Bei ihnen ist es so: Wenn jemand etwas
Übles tut, so findet er bei ihnen nicht nur keine Gnade: sie beten nicht für
ihn (wie es sich für Christen gehört), sie belehren ihn nicht gütlich und
weisen ihn nicht brüderlich zurecht; sondern während ein Übeltäter nach
göttlichem und menschlichen Recht nur einen Richter, ein Gericht, eine Anklage
sich gefallen zu lassen hat, muss man von diesen giftigen, höllischen Zungen so
viele Richter, Gericht und Anklage sich gefallen lassen, als ihnen Ohren
begegnen, und wenn ihnen an einem Tage tausend begegneten. Sie, das sind die
erbärmlichen Heiligen, die ihres Nächsten Schuld nicht vergeben und nicht
vergessen können, und es ist ihre Art, dass sie niemals einem Menschen von
Herzen freundlich gesinnt sind. So wollen sie erfahren, dass Gott ihnen
gleichfalls nicht allein die Schuld nicht vergibt, sondern auch die Ungnade
erzeigt, sie nie zur Erkenntnis ihrer Schuld gelangen lässt.
140.
Danach schmücken sie sich mit Reden und sprechen: „Ja, ich rede das nicht, um
ihm zu schaden, und nicht in böser Absicht; ich gerne ihm alles Gute“. Sieh da,
wie weiche Haare das Kätzlein hat! Wer könnte denken,
dass so scharfe Klauen und Zungen in der glatten Haut stecken? O du
Scheinheiliger und falscher Mensch, wenn du wirklich sein Freund wärest,
würdest du schweigen und nicht mit solcher Lust und Wohlgefallen deines
Nächsten Unglück bekannt machen. Vielmehr würdest du dein verdammtes Missfallen
in Mitleid und Barmherzigkeit verwandeln, um ihm zu entschuldigen, in Schutz
zunehmen und andere zum Schweigen bringen; du würdest Gott für ihn bitten, ihn
brüderlich warnen und ihm helfen dass er wieder zurecht kommt. Schließlich
würdest du es auch als eine Erinnerung und Mahnung annehmen, deine eigene
Gebrechlichkeit mit Furcht bedenken, wie es Paulus sagt (1.Korinther 10, 12): „Wer
da steht, der sehe zu, dass er nicht falle“, und mit dem Heiligen Vätern sagen:
„Dieser war es gestern; heute ist es an mir“.
141.
Bedenke auch: wie würde es dir gefallen, wenn dir Gott entsprechend diesem
Gebet seinerseits täte, was du deinem Nächsten tust, und machte von deiner
Sünde viel Aufhebens und breitete sie vor aller Welt aus? Oder wie wolltest du
es ertragen, wenn ein anderer auch so ausriefe, was du Böses getan hast? Du
wolltest ohne Zweifel, dass jedermann darüber schweigen würde, dich
entschuldigte, dich in Schutz nehme und für dich betete. Nun handelst du der
Natur und ihrem Gesetz entgegen, dass sagt (Matthäus 7, 12): „Was du willst, dass
man dir tue, dass tu du auch dem andern“.
142.
Und denke nur nicht, dass einem Nachreder, Verleumder
und Frevelrichter seine Sünde - die kleinste so wenig wie die größte - vergeben
wird, ja dass er ein einziges gutes Werk tun kann, wenn er nicht seine böse
Zungen ruhen lässt und umwandelt. So sagt nämlich Jakobus 1, 26: „Wer sich lässt
dünken, er sei ein rechtschaffener Christenmensch, und hält seine Zunge nicht
im Zaum, dessen Rechtschaffenheit ist nichts“. Willst du aber bei der Sünde
deines Nächsten doch etwas tun, so halte die edle, köstliche, goldene Regel
Christi, wo er sagt (Matthäus 18, 15): „Wenn dein Bruder eine Sünde begeht, die
sich gegen dich richtet, so gehe hin und weise ihn zurecht in der Zwiesprache
zwischen dir und ihm allein“. Oh merke, (er sagt) nicht: „sag es anderen
Menschen“; sondern: „du und er allein“, als wollte er sagen: „Willst du es ihm
nicht allein sagen, so halte deinen Mund und lass es im Herzen begraben sein“,
es wird dir dann bestimmt der Bauch davon nicht brechen.
144.
Oh, wer sich diesen edlen Werkes befleißigt, wie leicht könnte der seine Sünde
büßen, wenn er sonst auch schon nicht viel tut! Denn wenn er wieder sündigt, so
wird Gott sagen: „Ei, dieser hat seinem Nächsten seine Schuld zugedeckt und
vergeben; tretet herzu, alle Geschöpfe, und deckt ihn eurerseits zu, und seine
Sünde soll ihm auch nicht mehr behalten werden“! Aber jetzt dagegen sucht man
auf allen möglichen Wegen und Weisen Genugtuung und Buße für die Sünde; sie
sehen und hören nicht auf das, was wir täglich beten, wonach Buße für die
Sünde, Genugtuung und Erwerb der Absolution am allerbesten dadurch geschieht, dass
wir unseren Schuldigern vergeben. So solchem Vergessen und Nichtbeachten verführt uns das große Schauspiel mit dem Ablass und die
Angst welche den Menschen in der Beichte auferlegt wird.
145.
Nun kommen sie dann abermals und malen sich den Teufel über die Tür, brennen
sich weiß und sagen: „Ei, es ist doch wahr! Warum sollte ich es nicht sagen,
wenn es doch so ist, ich habe es gesehen und weiß es wahrhaftig“.
146.Antwort: Es ist doch aber auch wahr, dass du selbst
gesündigt hast. Warum redest du dann nicht auch von deinem eigenen Bösen, wenn
dir befohlen ist, alle Wahrheit immer zu sagen? Willst du aber von deinem Bösen
schweigen, so tu auch einem anderen gegenüber dasselbe Gesetz nach der Natur
(Matthäus 7, 12).
147.
Ferner: wenn es schon wahr ist, so tust du doch nichts Besseres als die
Verräter und Blutverkäufer; die sagen der auch für manchen armen Menschen nur allzuoft, was wahr ist.
148.Ferner: Du handelst dazu noch der Regel Christi zuwider
(Matthäus 18, 15 folgende), die dir verbietet, es jemand anderen zu sagen als
allein dem Betreffenden. Nur wenn er dich nicht hören will, so sollst du zwei
zu dir nehmen und es ihm noch einmal sagen. Und wenn er dich dann immer noch
nicht hört, so sollst du mit diesen Zeugen zusammen ihn vor der ganzen Gemeinde
anklagen. Aber die Regel ist nun ganz verlassen. Darum geht es auch, wie es
denen gehen soll, die Gottes Wort verachten.
149.
Also, dass weit verbreitete Laster der Afterrede und Achtung fremder Sünde ist
fast die schlimmste Sünde auf Erden. Denn aller anderen Sünden beflecken und
verderben allein den, der sie tut, außer dem elenden verdammten Kläffer, der muss
sich mit fremden Sünden beschmutzt und verderben lasse, daraus merke, je größer
und stärker die Lust und das Gefallen an der Sünde ist, desto größer ist die
Sünde. Da gibt oft selbst der, der schuldig geworden ist wegen dieser Sünde,
die er getan hat, sich selbst unrecht, er schämt sich und macht sich Vorwürfe
und will, dass niemand es wüsste (und hat dadurch die Sünde viel kleiner
gemacht!). Aber nun kommt der Kläffer und tappt in diesen Kot wie eine Sau, frisst
ihm noch dazu, wälzt sich darin und wollte nicht, dass die Sünde nicht
geschehen wäre; denn er hat seine Lust, darüber zu reden, zu richten und
darüber zu lachen. Darum habe ich gesagt: wer gerne kläfft und verleumdet, ist
keinem Menschen freundlich gesinnt, ja er ist ein allgemeiner Feind der
menschlichen Natur so gut wie der Teufel. Hat er doch nichts lieber, als wenn
er von den Sünden und Schanden der Menschen hören, sagen und verhandeln kann,
er freut sich über ihr Unglück und Übel. Wer aber das gerne hat und liebt, der
kann wirklich den Menschen nichts Gutes gönnen, sondern nur alles Unglück; das
wird ihm dann auch zuletzt als Lohn wiederum zuteil werden.
150.
Uns zur Warnung sollen wir lernen, dass jeder Mensch vor Gott ein Sünder ist,
und er wiederum einen Sünder oder Schuldner gegenüber hat.
151.
Zum ersten sind wir Sünder in groben, bösen Stücken. Denn wenig sind da, die
nicht gefallen sind in große, schwere Sünden. Doch wenn nun ein Mensch auch so
rechtschaffen wäre, dass er noch nie in große Sünden gefallen wäre, so tut er
doch dem göttlichen Gebot gegenüber immer zu wenig. Denn er hat viel Gnade vor
anderen Menschen empfangen, und doch hat er nie zuviel getan, dass er auch nur
für die geringste Gabe sich voll bedankt oder Zahlung geleistet hätte; ja er
kann Gott nicht einmal für den täglichen Rock oder Mantel genug loben,
geschweige denn für das Leben, für Gesundheit, Ehre, Gut, Freunde, Vernunft und
unzählige andere Wohltaten Gottes. Wenn nun Gott mit ihm abrechnen wollte, würde
es ihm so gehen, wie Hiob 9, 3 sagt: dass er auf tausend nicht eins antworten
könnte, und dass er froh wäre, wenn er durch bitten einen gnädigen Richter
bekommen könnte. So sagt auch David (Psalm 143, 2): „Herr, gehe nicht ins
Gericht mit deinen Diener; denn vor dir wird kein lebender Mensch gerecht
erfunden“ - auch deshalb, weil kein Mensch so rechtschaffen ist, dass er nicht
noch des alten Adams Geruch und Hefe in sich hätte, um derentwillen Gott ihn
mit Recht verwerfen könnte. Darum erhält allein die Demut auch die, die in
Gnade leben, und ihre Schuld wird ihnen deshalb nicht angerechnet, weil sie
selber sie sich anrechnen, um Gnade bitten und ihren Schuldigern vergeben.
152.
Zum anderen haben wir auch Schuldige. Denn Gott ordnet es immer so, dass uns
jemand an Gut, Ehre oder was es sonst ist, ein Leid an tut; will er uns doch
damit einen Anlass geben, unsere Sünde zu büßen und unseren Schuldnern zu
vergeben. Und wenn nun schon jemand keine großen Stücken von einem anderen
leiden muss (was doch kein gutes Zeichen ist), so findet er doch in sich einen
Widerwillen einigen Leuten gegenüber, auf die er argwöhnisch ist und einen
Verdruss hat. So ist es, kurz gesagt, (wie Augustinus sagt): Jeder Mensch ist
Gott gegenüber schuldig und hat wiederum einen Schuldner. Hat er aber keinen,
so ist er gewiss blind und beobachtet sich nicht richtig.
153.
Nun siehe, was dieses elende Leben für ein Zustand ist, wo es keine Speise,
Tröstung und Stärkung für die Seele gibt (wie die vorhergehende Bitte es
zeigt). Dazu ist es ein sündhafter Stand, in welchem wir verdientermaßen
verdammt würden, wenn uns nicht dieses Gebet erhielte durch die lautere Gnade
und Barmherzigkeit Gottes. So macht uns das Vater Unser dieses Leben ganz zur
Sünde und zur Schande, damit wir seiner müde und überdrüssig werden. Nun sieh,
du Kläffer, richte dich selber, rede von dir, sieh an, wer du bist, greife in
deinen eigenen Busen; dann wirst du das Übel deines Nächsten wohl vergessen;
denn du hast von deinen eigenen beide Hände voll, ja über und über voll.
Die
sechste Bitte
Und
führe uns nicht in die Versuchung
154.
wenn das Wort „Versuchung“ oder „Prüfung“ nicht so allgemein üblich wäre, so
stünde es viel besser und wäre klarer, wenn man es so ausdrückte: „Und führe
uns nicht in Anfechtungen“. In diesem Gebet lernen wir aber, wie elend das
Leben auf Erden ist. Denn es ist lauter Anfechtung, und wer hiernach Frieden
und Sicherheit für sich sucht, handelt nicht weise; er kann es auch niemals
dazu bringen. Und wenn wir alle es begehrten, so ist es doch unmöglich. Es ist
ein Leben der Anfechtung und bleibt es.
155.
Darum sagen wir nicht: „Nimm die Anfechtung weg von uns“, sondern: „Führe uns
nicht hinein“, als wollte man sagen: „Wir sind hinten und vorne von
Anfechtungen umgeben und können uns nicht davon freimachen. Aber, o unser
Vater, hilf uns, dass wir nicht hineingeraten, d. h. dass wir nicht dazu
einwilligen und so überwunden und unterdrückt werden". Denn wer in die
Sünde einwilligt, der sündigt und wird ein Gefangener der Sünde", wie
Paulus (Römer 7, 23) sagt.
156.
Also ist dies Leben, wie es Hiob sagt (Kapitel 7, 1), nichts anderes als ein
Kampf und steter Streit gegen die Sünde, und der Drache, der Teufel, ficht uns
ständig an und gibt sich Mühe, uns in seinen Rachen zu verschlingen. So sagt
Petrus (1. Petrus 5, 8): „o ihr lieben Brüder, seid nüchtern und wachet; denn
euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe, und sucht, ob
er jemand verschlingen könne“. Sehet, unser lieber Vater und getreuer Bischof
Petrus spricht: Unser Feind sucht uns; und zwar nicht bloß an einem Ort,
sondern an allen Enden ringsum. Das heißt alle unsere Glieder und Sinnen reizt,
bewegt und hindert er von innen her mit bösen Einflüsterungen, von außen her
mit bösen Bildern, Worten und Werken durch Menschen und alle Geschöpfe zu
Unkeuschheit, Zorn, Hoffart, Geiz und dergleichen; er gebraucht alle List und
Bosheit, um den Menschen dazu zu führen, dass er einwilligt. Wenn man das
fühlt, soll man schnell die Augen zu Gott aufheben: „O Gott Vater, sieh, wie
werde ich zu dem und dem Laster getrieben und gereizt und an dem und dem guten
Werk verhindert. Wehre dem, lieber Vater, und hilf mir, laß
mich nicht unterliegen und hineingeraten“. O, wer diese Bitte recht gebraucht
und übt, wie glücklich wäre der! Es gibt sehr viele, die nicht wissen, ob sie
angefochten werden oder was sie in der Anfechtung tun sollen.
Was
ist Anfechtung?
157.
Zweierlei Anfechtung gibt es. Die einer auf der linken Seite, d. h. diejenige,
welche zu Zorn, Hass, Bitterkeit, Unlust, Ungeduld reizt, wie Krankheit, Armut,
Unehre und alles, was einem wehe tut, besonders wenn einem sein Wille,
Vorhaben, Gutdünken, Ratschlag, Wort und Werk verworfen und verachtet wird.
Diese Dinge sind ja etwas Geläufiges in diesem Leben, und Gott verhängt solches
durch böse Menschen oder Teufel.
158.
Wenn man dann fühlt, dass es sich regen will, so soll man Weise sein und sich
nicht wundern lassen (denn das ist so die Art dieses Lebens!) - vielmehr soll
man dieses Gebet hervor holen und das richtige Korn daraus abzählen und
sprechen: „O Vater, das ist gewiss eine Anfechtung, die über mich verhängt ist;
hilf, dass sie mich nicht verführe und versuche“.
159.
In dieser Anfechtung wird man auf doppelte Weise zum Narren. Einmal, wenn man
spricht: „Ja, ich wollte wohl rechtschaffen sein und nicht zürnen, wenn ich
Frieden hätte“. Manche lassen so unseren Herrgott und seinen Heiligen keine
Ruhe, bis er die Anfechtung von ihnen nimmt: diesen muss er das Bein gesund
machen, den reich machen, dem soll er sein Recht werden lassen; und dabei tun
sie auch selber so viel als sie können, um sich in eigener Kraft und mit Hilfe
anderer herauszuwinden. so bleiben sie faule, ja fahnenflüchtige arme Ritter,
die nicht angefochten sein noch streiten wollen. Darum werden sie auch nicht
gekrönt (2. Timotheus 2, 5), ja sie fallen in die andere Anfechtung zur rechten
Seite, wie wir noch hören werden. Wenn es jedoch recht geht, so soll es sein, dass
man nicht daran vorbei komme: die Anfechtung darf nicht aufgehoben werden,
sondern man muss sie ritterlich überwinden. Von solchen Leuten spricht Hiob 7, 1:
„Des Menschen Leben ist ein Streit (oder Anfechtung)“.
160.
Die andern, die nicht die Anfechtung überwinden, von denen sie aber auch nicht
genommen wird, - die geratenen hinein in Zorn, Hass und Ungeduld, übergeben
sich geradezu dem Teufel, verüben Worte und Werke, werden Mörder, Räuber,
Verleumder und richten alles Unglück an; denn die Anfechtung hat sie überwunden
und sie folgen allen bösen Willen. Der Teufel hat sie völlig in seiner Gewalt
und sie sind seine Gefangenen; Sie rufen weder Gott noch seiner Heiligen an.
Wenn aber unser Leben von Gott selber eine Anfechtung genannt wird und es so
sein muss, dass wir an Leib, Gut und Ehre angegriffen werden und uns
Gerechtigkeit widerfahren muss, sollen wir ohne sträuben darauf gefasst sein
und es mit Weisheit annehmen, in dem wir sprechen: „Ei, dass gehört nun einmal
zum Leben; was soll ich daraus machen? Es ist eine Anfechtung und bleibt eine
Anfechtung. Es will nicht anders sein, Gott helfe, dass es mich nicht aufrege
und umwerfe“.
161.
Siehe, also kann sich niemand über die Anfechtung erheben. Man kann sich aber
wohl wehren und dem allem mit Gebet und Anrufung der Hilfe Gottes abhelfen. So
liest man in den Büchern der alten Väter, dass ein junger Bruder den Wunsch
aussprach, seine Gedanken los zu sein; da sprach der Altvater: „Lieber Bruder, dass
die Vögel in der Luft dir über dem Haupte fliegen, kannst du nicht verhindern;
du kannst es aber hindern, dass sie dir in den Haaren ein Nest machen“. Genau
so können wir uns wie Augustinus sagt, zwar der Anstöße und Anfechtung nicht
erwehren; dass sie uns aber nicht überwinden, dem kann man mit Beten und
Anrufen göttlicher Hilfe wohl wehren.
162.
Die andere Anfechtung ist die auf der rechten Seite. Sie reizt zu Unkeuschheit,
Wollust, Hoffart, Geiz und eitler Ehre, und zu allem, was wohl tut, besonders,
wenn man einen seinen Willen läßt, Wort, Rat und Tat
von ihm lobt, ihn ehrt und viel von ihm hält.
163.
Dies ist die aller gefährlichster Anfechtung, die der Zeit des Antichristen
zugeschrieben wird. In diesem Sinne sagt David (Psalm 91, 7): „Wann tausend
fallen auf deiner linken Seite, so fallen ihrer wohl Zehntausend auf deiner
rechten Seite" und jetzt hat sie überhand genommen; denn die Welt strebt
nur nach Gut, Ehre und Wollust. Insbesondere lernt es die Jugend zur Zeit überhaupt nicht mehr, gegen die fleischliche Lust
und Anfechtung zu streiten; sie fallen ihr zu, so dass es fernerhin keine
Schande mehr ist, sondern das alle Welt voll ist mit Geschichten und Liedern
von Buhlerei und Hurerei, als sei das wohlgetan. Das ist alles der grauenhafte
Zorn Gottes, der die Welt so in Versuchung fallen läßt,
weil ihn niemand anruft.
164.
Es ist bestimmt eine schwere Anfechtung für einen jungen Menschen, wenn ihm der
Teufel in sein Fleisch bläst, Mark und Bein und alle Glieder entzündet, und ihm
dazu von außen her reizt mit Gesichtern, Gebärden, Tanzen, Kleidern, Worten und
hübschen Weibs- oder Mannsbildern. So sagt es Hiob 41, 12: „Sein Atem macht die
Kohlen glühend“. So ist zur Zeit die Welt ganz toll,
um mit Kleidern und Schmuck Reize zu bieten. Trotzdem aber ist es nicht
unmöglich, dass zu überwinden, wenn man sich daran gewöhnt, Gott anzurufen und
dies Gebet zu sprechen: „Vater, führe uns nicht in die Anfechtung“. Genau so
hat man es nun auch zu machen in Anfechtungen durch die Hoffart, wenn jemand
gelobt oder geehrt wird und wenn ihm großes Gut oder andere weltliche Lust
zuteil wird usw.
165.
Warum lässt Gott denn dass zu, dass der Mensch so zum Sündigen angefochten
wird? Antwort: Damit der Mensch sich und Gott erkennen lernt. Er soll sich
selbst erkennen, dass er nichts kann als Sündigen und Übles zu tun; und er soll
Gott erkennen, dass Gottes Gnade stärker ist als alle Geschöpfe. So soll er
lernen, sich selber zu verachten und Gottes Gnade zu loben und zu preisen. Hat
es doch Leute gegeben, die der Unkeuschheit mit ihren eigenen Kräften, mit
Fasten und Arbeiten widerstehen wollten; sie haben ihren Leib darüber
zerbrochen und dennoch nichts ausgerichtet. Denn die böse Lust löscht niemand
als der himmlische Tau und Segen der göttlichen Gnade; Fasten aber, Arbeiten
und Wachen muss zwar dabei sein, sind aber nicht genug.
Beschluss
166.
Wenn Gott uns nun die Schuld vergeben hat, so ist auf nichts mehr zu achten als
darauf, dass man nicht wieder falle. Gibt es doch, wie David sagt (Psalm 104, 25),
in dem großen Meer dieser Welt viel Gewürm (Gewimmel) das heißt viel Anfechtung
und Anstoß, die uns aufs neue schuldig machen wollen; Darum haben wir es nötig,
dass wir ohne aufhören mit dem Herzen sprechen: „Vater, führe uns nicht in die
Anfechtung, nicht begehre ich, von aller Anfechtung los zu sein (denn das wäre
schrecklich und viel schlimmer als zehn Anfechtungen von der Art, wie die
Anfechtung zur rechten Hand ist); sondern ich möchte nicht fallen und wider
meinen Nächsten oder dich sündigen“. In diesem Sinne sagt Jakobus 1, 2: „O
Brüder, wenn euch viele Anfechtungen zustoßen, so sollt ihr das für große
Freude achten“. Warum? Weil es für den Menschen eine Übung ist, sie macht ihn
in der Demut und Geduld vollkommen und Gott wohlgefällig wie die allerliebsten
Kinder. Selig, wem solches zu Herzen geht! Leider sucht ja gegenwärtig
jedermann Ruhe, Frieden, Lust und Behagen in seinem Leben. Darum naht sich die
Herrschaft des Antichristen, sofern sie nicht bereits da ist.
Die
siebte und letzte Bitte
Sondern
erlöse uns von dem Übel. Amen
167.
Merke genau, dass man erst an aller letzter Stelle um Abwendung des Übels
bittet und bitten soll, das heißt um Abwendung von Unfrieden, Teuerung,
Kriegen, Seuche, Plagen und auch von Hölle und allen Übel an Leib und Seele.
168.
Man soll ja um diese Dinge bitten, doch in der rechten Reihenfolge, und zwar zu
allerletzt. Warum? Man findet manche, und zwar nicht
wenige, die Gott und seine Heiligen ehren und bitten, aber nur, um das Übel
loszuwerden. Sie suchen nichts anderes; sie denken nicht einmal an die ersten
Bitten, dass sie Gottes Ehre, Namen und Willen zuerst stellen würden. Sie
suchen nur ihren eigenen Willen und kehren so dieses Gebet ganz um: sie fangen
beim Letzten an und kommen nicht zu den ersten Bitten; sie wollen ihr Übel los
sein, ob es zur Ehre Gottes geschieht oder nicht, ob es sein Wille ist oder
nicht.
169.
Aber ein rechtschaffener Mensch der spricht so: „Lieber Vater, das Übel und die
Strafe drückt mich; ich leide viel Unglück und habe Beschwerden, fürchte mich
vor der Hölle. Erlöse mich davon, doch nur, wenn es dir zur Ehre und zum Lobe
geschieht und dein göttlicher Wille ist; sonst geschehe nicht mein, sondern
dein Wille. Denn deine göttliche Ehre und Wille ist mir lieber als meine eigene
Ruhe und Bequemlichkeit in Zeit und in Ewigkeit. „Sieh, das ist ein
wohlgefälliges, gutes Gebet und wird gewiss im Himmel erhört“; und wenn es
anders gebetet und gemeint wird, so ist es nicht angenehm und wird auch nicht
erhört. Weil denn dieses Leben nichts anderes ist als ein unseliges Übel, aus
dem zweifellos auch Anfechtungen erwachsen, so sollen wir das Übel deshalb
begehren loszuwerden, damit die Anfechtungen und Sünden aufhören und so Gottes
Wille geschehe und sein Reich komme zu Lob und Ehre seines heiligen Namens
Von
dem Wort Amen.
170.
Das Wort „Amen“ stammt aus der hebräischen (oder jüdischen) Sprache und heißt
auf deutsch „für wahr“ oder "wahrlich“. Dass es
dem Glauben Ausdruck gibt; denn ihn soll man bei allen Bitten haben. Hat doch
Christus gesagt (Matthäus 21, 22): „Wenn ihr betet, so glaubet fest, dass ihr
es erlangen werdet; so geschieht es gewiss“. Ferner, an einer anderen Stelle
(Markus 11, 24): „Alles, was ihr bittet, glaubet, so werdet ihr es empfangen“.
So empfing ja das heidnische Weiblein, was es bat, da es nicht abließ und fest
glaubte, so dass der Herr ihr sogar sagte (Matthäus 15, 28): „O Weib, wie groß
ist dein Glaube! Dir geschehe, wie du willst und du gebeten hast“. So spricht
auch Jakobus 1, 6 folgende: „Wer von Gott etwas bittet, der soll ja nicht
zweifeln im Glauben, dass es ihm zuteil werden. Denn wer im Glauben zweifelt,
der bilde sich nicht ein, dass er etwas von Gott empfange“. Darum ist, wie der
weise Mann sagt (Prediger 7, 8), das Ende des Gebetes besser als der Anfang.
Denn wenn du am Ende in herzlichem Vertrauen und Glauben „Amen“ sagst, so ist gewiss
das Gebet bekräftigt und erhört; und wo dieses Ende fehlt, da ist weder Anfang
noch Mitte des Gebetes etwas nütze.
171.
Also sollte ein Mensch, der da beten will, sich prüfen
und erforschen, ob er es auch glaubt, oder zweifelt, dass erhört werde. Findet
er bei sich, dass er daran zweifelt oder es nur auf einen ungewissen Wahn setzt
und auf gut Glück wagt, so ist das Gebet nichts. Denn er hält sein Herz nicht
still, sondern schwankt und schlottert hin und her. Darum kann Gott ihm nichts
Gewisses geben, gerade so wenig als du einem Menschen etwas geben kannst, wenn
er die Hand nicht still hält. Bedenke doch: wie würde es dir gefallen, wenn dir
jemand fleißig Bitten vorgetragen hätte und er spräche am Ende zu dir: „Ich
glaube aber nicht, dass du es mir gibt's", und du hättest es ihm doch gewiss
versprochen! Du würdest die Bitte als einen Spott auffassen und alles
widerrufen, was du versprochen hättest, und ihn vielleicht noch dazu strafen.
Wie soll so etwas dann Gott gefallen? Er sagt uns fest zu, dass wir es
empfangen sollen, wenn wir etwas bitten, und wir strafen ihn durch unsere
Zweifel Lügen und handeln im Gebet gerade zu dem Gebet zuwider; wir beleidigen
seine Wahrhaftigkeit, die wir mit dem Gebet anrufen.
172.
Darum heißt das Wörtlein „Amen“: „wahrlich“, „für wahr“, „gewiss“, und es ist
ein Wort des festen, herzlichen Glaubens, als sagst du: „O Gott Vater, diese
Dinge, um die ich dich gebeten habe, sind - ich zweifle nicht daran - gewiss
aufrichtig gemeint und werden geschehen; nicht deshalb, weil ich um sie gebeten
habe, sondern weil du befohlen hast, um sie zu bitten, und sie gewiss zugesagt
hast. Ebenso bin ich gewiss, dass du, Gott, wahrhaftig bist; du kannst nicht
lügen. Also nicht die Würdigkeit meines Gebetes, sondern die Gewissheit, dass
du wahr bist, bringt mich dazu, es fest zu glauben, und es ist mir kein
Zweifel, es werde ein Amen daraus werden und ein Amen sein.
173.
Hier irren manche über die Maßen, die ihr Gebet an diesem Punkte zunichte
machen, und zwar viel mit dem Munde, aber nie mit dem Herzen beten. Sie wollen
nämlich nicht eher glauben, sie seien erhört, als bis sie wissen oder meinen,
sie hätten würdig und recht gebetet. So bauen sie auf sich selbst, auf den
Sand. Diese werden alle verdammt; denn ein solches Gebet ist nicht möglich, dass
in sich selbst schon genügte und vor Gott der Erhörung würdig wäre, ein Gebet muss
sich vielmehr auf die Wahrhaftigkeit und die Verheißung Gottes verlassen. Denn
hätte Gott nicht zu beten befohlen und Erhöhung versprochen, so könnten alle
Geschöpfe mit ihren sämtlichen Gebeten nicht ein Körnlein
sich ausbitten. Darum sieh darauf: nicht dasjenige Gebet ist gut und recht,
welches viel Worte, andächtig, süß und lang ist, und um zeitliches oder um
ewiges Gut geht, sondern ein solches, dass fest darauf baut und traut, dass es
erhört werde (so gering und unwürdig es an und für sich sein mag, ( und das um
die wahrhaftigen Gelübde und Versprechungen Gottes geht. Gottes Wort und
Verheißung macht dein Gebet gut, nicht deine Andacht. Denn eben dieser Glaube,
der sich auf seine Worte gründet, ist zugleich auch die rechte Andacht, ohne
die aller anderer Andacht lauter Trug und Irrtum ist.
Zusammenfassung
über Inhalt und Ordnung aller aufgeführten Bitten.
Das
Vater unser alles Zwiegespräch mit Gott.
1.
Die Seele spricht: „O unser Vater, der du bist im Himmel, wir deine Kinder sind
auf Erden, von dir getrennt, in der Fremde: Wie groß ist der Abstand zwischen
dir und uns! Wie sollen wir jemals zu dir kommen in unser Vaterland?“
Gott
antwortet: „Ein Kind lehrt seinen Vater und ein Knecht seinen Herrn. Bin ich
denn euer Vater, wo lehrt man mich? Bin ich euer Herr, wo erweist man mir
Furcht und Ehrerbietung (Maleachi 1, 6)? Mein heiliger Name wird ja bei und
durch euch gelästert und verunehrt (Jesaja 52, 5)“!
Die
erste Bitte
Die
Seele: „O Vater, das ist leider wahr. Wir erkennen unsere Schuld. Sei du ein
gnädiger Vater und rechne nicht mit uns ab, sondern gib deine Gnade, damit wir
so leben, dass dein heiliger Name in uns geheiligt werde. Lass uns nie etwas
denken, reden, tun, haben oder Vornehmen, wenn dein Lob und deine Ehre nicht
darin ist, damit so in uns vor allen Dingen dein Ruhm und Name, nicht unser
eigener eitler Ruhm und Name gesucht werde. Gib uns, dass wir dich wie die
Kinder als einen Vater lieben, fürchten und ehren.
Gott:
„wie kann meine Ehre und Name bei euch geheiligt werden (Jesaja 52,5), wenn all
euer Herz und Denken zum Bösen geneigt ist und in Sünden gefangen liegt (1.
Mose 8, 21), dadurch niemand mein Lob den Fremden landen singen kann (Psalm
137, 4)“?
Die
zweite Bitte
Die
Seele: „O Vater, das ist wahr, wir empfinden, dass unsere Glieder zu Sünden
geneigt sind; Welt, Fleisch und Teufel wollen in uns regieren und so deine Ehre
und Namen austreiben. Darum bitten wir: hilf uns aus der Fremde, lass dein
Reich kommen, damit die Sünde vertrieben und wir rechtschaffen, dir
wohlgefällig gemacht werden, dass du allein in uns regierst und wir dein Reich
werden mögen, in dem alle unsere Kräfte innerlich und äußerlich dir gehorchen“.
Gott:
„wem ich helfen soll, den verderbe ich, und wen ich lebendig, selig, reich und
rechtschaffen machen will, den töte ich; ich verwerfe ihn, mache ihn arm und
zunichte (5. Mose 32, 39). Aber Rat und Tat solcher Art wollt ihr von mir nicht
ertragen (Psalm 78, 10 folgende). Wie soll ich euch dann helfen und was soll
ich mehr tun (Jesaja 5, 4)“?
Die
dritte Bitte
Die
Seele: „Das ist uns Leid, dass wir deine heilende schaffende Hand nicht
verstehen und nicht ertragen.
O
Vater, gib Gnade und Hilfe, dass wir deinen göttlichen Willen in uns geschehen
lassen. Ja, auch wenn es uns wehe tut, so fahre du fort, strafe, stich, haue
und brenne, mach alles, was du willst; nur das dein Wille und ja nicht der
unsere geschehe. Wehre uns, lieber Vater, und lass uns nichts nach unserem
eigenen Gutdünken, Willen und Meinung vornehmen und vollbringen. Denn unser
Wille und dein Wille sind gegeneinander; deiner allein ist gut, obwohl er nicht
so scheint; unser ist böse, obwohl er gut aussieht“.
Gott:
„Es ist wohl schon mehr geschehen, dass man mich mit dem Munde geliebt hat;
aber das Herz ist dabei weit weg von mir gewesen (Jesaja 29, 13). Und wenn ich
Ihnen zugesetzt habe, um sie zu bessern, sind sie zurückgewichen und mitten, während
ich am Werk war, mir entglitten, wie du im Psalm 78, 9 liest: „Sie haben zwar
einen guten Anfang gemacht und mich dazu bewogen, an ihnen zu handeln; aber sie
haben sich von mir abgekehrt und sind wieder gefallen: sie sündigen und ehren
mich nicht mehr“.
Die
vierte Bitte
Die
Seele: „Ach Vater, es ist wahr; niemand kann mit seinen eigenen Kräften stark
sein (1. Samuel 2, 9), und wer kann vor deiner Hand bestehen, wenn du nicht
selbst uns stärkst und tröstet? Darum, lieber Vater, setze und zu, vollbringe
deinen Willen, damit wir dein Reich werden, dir zum Lob und zur Ehre. Aber,
lieber Vater, stärker uns, wenn du so an uns handelst, mit deinem heiligen
Wort: Gib uns unser täglich Brot. präge unserem Herzen das Bild deines lieben
Sohnes Jesus Christus ein, der das wahre Himmelsbrot ist, damit wir, durch ihn
gestärkt, es fröhlich ertragen und leiden können, wenn unser Wille zerbrochen
und getötet und dein Wille vollbracht wird. Ja, gib auch der ganzen
Christenheit Gnade: sende uns kundige Priester und Prediger, die uns nicht
Treber und Spreu unnütze Fabeln, sondern dein heiliges Evangelium und Jesus
Christus lehren“.
Gott:
„Es ist nicht gut, dass man den Hunden das Heiligtum (Matthäus 7, 6) und das
Brot der Kinder (Matthäus 15,26) vorwirft. Ihr sündigt täglich und wenn ich bei
euch noch so viel bei Tag und Nacht predigen lassen, so folgt und hört ihr doch
nicht (Jesaja 42, 20), und mein Wort wird verachtet (Jeremia 5, 11)“.
Die
fünfte Bitte
Die
Seele: „Ach Vater, lass dich dessen erbarmen und versage uns darum nicht das
liebe Brot. Vielmehr ist es uns leid, dass wir deinen heiligen Worten nicht
genügend tun, und wir bitten, du möchtest Geduld mit uns armen Kindern haben
und uns diese unsere Schuld erlassen und ja nicht mit uns ins Gericht gehen;
denn vor dir ist niemand gerechtfertigt (Psalm 143, 2). Sieh deine Verheißungen
an: wenn wir unseren Schuldigern von Herzen vergeben, dann hast du uns
Vergebung versprochen (Matthäus 6, 14). Nicht das wir durch solches vergeben
deiner Vergebung würdig würden; sondern dass du wahrhaftig bist und gnädig
allen Vergebung versprochen hast, die ihren Nächsten vergeben. Auf dein
Versprechen verlassen wir uns"
Gott:
„Sehr oft vergebe ich und erlöse ich euch, und ihr bleibt und besteht doch
nicht (Psalm 78). Einen geringen Glauben habt ihr (Matthäus 8, 26). Nicht ein
wenig könnt ihr mit mir wachen und aushalten; ihr fallt schnell wieder in die
Anfechtung (Matthäus 26, 40 folgende)“.
Die
sechste Bitte
Die
Seele: „Schwach und krank sind wir, o Vater, und die Anfechtung ist groß und
vielfältig im Fleisch und in der Welt. Oh lieber Vater, halte uns und lass uns
nicht in Anfechtung fallen und wieder sündigen, sondern gib uns Gnade, dass wir
beständig bleiben und ritterlich fechten bis an unser Ende; denn ohne deine
Gnade und Hilfe vermögen wir nichts“.
Gott:
„Ich bin gerecht und mein Gericht ist richtig (Psalm 11, 7). Darum darf die
Sünde nicht ungestraft bleiben. Also müsst ihr das Übel tragen. Dass ihr davon
Anfechtung habt, ist die Schuld eurer Sünde, die mich dazu zwingt, sie zu
strafen und ihr zu wehren“.
Die
siebte Bitte
Die
Seele: „Weil denn das Übel uns Anfechtung bereitet und uns mit Sünden anficht,
so erlöse uns daraus, lieber Vater, damit wir, von allen Sünden und Übel nach
deinem göttlichen Willen erlöst, dir ein Reich sein können, dich in Ewigkeit zu
loben, zu Preisen und zu heiligen. Amen. Und weil du uns so zu beten gelehrt
und geboten hast und Erhörung verheißen, hoffen wir und sind gewiss, oh
allerliebster Vater, du wirst deiner Wahrhaftigkeit zu Ehren uns dies alles
gnädig und barmherzig geben“.
Schlusswort:
Zuletzt
möchte nun jemand sagen: „Was nun, wenn ich nicht glauben kann, dass ich erhört
bin?“ Antwort: so mache es wie der Vater des besessenen Menschen (Markus 9, 24).
Als Christus zu ihm sagte: „Kannst du glauben? Alle Dinge sind möglich dem, der
da glaubt“, da schrie dieser Vater mit weinenden Augen: „Oh Herr, ich glaube,
hilf meinem Glauben, wenn er zu schwach ist“.
Gott
allein gebührt die Ehre und der Ruhm.