Ein Sermon von dem Gebet und Prozession in der Kreuzwoche

 

Martin Luther, Augustiner zu Wittenberg, 1519

 

 

Zum ersten. Damit ein Gebet richtig und gut sei und erhört werde, sind zwei Dinge vonnöten: Das erste, dass man von Gott eine Verheißung oder Zusage habe und diese zuvor bedenke, sie Gott vorhalte und sich dadurch bewege, zuversichtlich zu bitten. Denn wenn Gott nicht hätte geheißen zu bitten und Erhörung zugesagt, könnten alle Kreaturen mit allen Bitten nicht ein einziges Körnlein erlangen. Daraus folgt denn, dass niemand etwas von Gott erlangt wegen seiner oder seines Gebetes Würdigkeit, sondern allein aus dem Abgrund göttlicher Gütigkeit, der allem Bitten und Begehren zuvorgekommen ist. Durch sein gnädiges Zusagen und Heißen bewegt er uns, zu bitten und zu begehren, damit wir erlernen, wie gar viel mehr er für uns sorgt und mehr zu geben bereit ist, als wir zu nehmen und zu suchen bereit sind, und lernen, kühn zu werden, um zuversichtlich zu bitten, weil er alles und mehr darreicht, als wir bitten können.

Zum zweiten ist not, dass man ja nicht zweifle an der Zusage des wahrhaftigen und treuen Gottes. Denn eben darum hat er Erhörung zugesagt, zu bitten sogar befoh­len, dass man ja gewissen und festen Glauben habe, es werde erhört, wie er sagt Matthäus 21, 22 und Markus 11, 24: »Ich sage euch, alles, was ihr bittet, glaubt nur, dass ihr's empfangen werdet, so geschieht es gewiss!« Und Lukas 11, 9-13: »Bittet, so wird euch gegeben, sucht, so werdet ihr finden, klopfet an, so wird man euch auftun. Denn wo ist unter euch ein Sohn, der seinen Vater bittet ums Brot? Wann gibt er ihm dafür einen Stein? Oder, wenn er bittet um Fisch, wer gibt ihm eine Schlange? Oder, wenn er bittet um ein Ei, welcher gibt ihm einen Skorpion? So denn ihr, die ihr nicht gut seid, könnet doch gute Gaben geben euern Kindern, wie viel mehr wird euer himmlischer Vater einen guten Geist geben denen, die ihn bitten.« Auf diese und dergleichen Zusagen und Befehle hin muss man sich voll Zuversicht wagen und mit rech­tem Vertrauen beten.

Zum dritten. Wenn jemand so bittet, dass er zweifelt an der Erhörung Gottes und allein auf gut Glück betet, es geschehe oder geschehe nicht, worum er bittet, der tut zwei böse Stücke: das erste, dass er sein Gebet selbst zunichte macht und umsonst wartet. Denn so spricht St. Jakobus, der Apostel: »Wer von Gott bitten will, der bitte so, dass er nicht zweifle; er bitte im Glauben. Denn wenn er zweifelt, so ist er wie eine Welle des Meeres, die der Wind hin und her bewegt. Und dieser Mensch bilde sich nicht ein, dass er etwas von Gott erlange (Jakobus 1, 6-8) Das meint er so: Dieses Menschen Herz hält nicht still, darum kann ihm Gott nichts geben; der Glaube aber hält das Herz still und vertraut darauf, dass Gott gibt. Das andere böse Stück ist, dass er seinen über alle Maßen treuen und wahrhaftigen Gott für einen Lügner und einen losen, unzuverlässigen Mann achtet, für einen, der seine Zusa­gen nicht könne oder wolle erfüllen, und dass er so durch seinen Zweifel Gott die Ehre und den Namen der Treue und Wahrheit raubt. Darin wird so schwer gesündigt, dass durch diese Sünde ein Christ zu einem Heiden wird und seinen eigenen Gott verleugnet und verliert. Und wenn er in ihr bleibt, wird er ewig verdammt, ohne allen Trost sein. Wird ihm aber etwas gegeben, worum er bittet, so wird es ihm nicht zur Seligkeit, sondern zum Schaden gegeben, zeitlich und ewig, auch nicht um seines Gebetes willen, sondern aus dem Zorn Gottes, damit er vergelte diese guten Worte, die in Sünden, im Unglauben und zur Unehre Gottes gesprochen werden.

Zum vierten. Wenn etliche sprechen: Ja, ich wollte gewiss vertrauen, mein Gebet werde erhört, wenn ich würdig wäre und es recht machte, dann antworte ich: Wenn du nicht eher bitten willst, als du dich würdig und geeignet weißt oder empfindest, so darfst du nimmer­mehr bitten. Denn unser Gebet darf, wie vorher gesagt, sich nicht gründen oder halten an unsere oder seine Wür­digkeit, sondern an die nicht wankende Wahrheit der göttlichen Zusage. Wenn sich's auf sich selbst oder etwas anderes gründet, ist es falsch und betrügt dich, auch wenn es vor großer Andacht das Herz zerbricht und lauter Bluts­tropfen weint. Denn deshalb bitten wir, weil wir nicht würdig sind zu bitten. Und eben dadurch werden wir würdig, zu bitten und erhört zu werden, dass wir glauben, wir seien unwürdig, und allein auf die Treue Gottes uns voll Zuversicht wagen. Wie unwürdig du auch sein magst - schau darauf und nimm mit ganzem Ernst wahr, dass tau­sendmal mehr, ja alles allein daran gelegen ist, dass du Got­tes Wahrheit ehrst und nicht in deinem Zweifel seine treue Zusage zur Lüge machst. Denn deine Würdigkeit hilft dir nicht, und deine Unwürdigkeit hindert dich nicht; aber das Misstrauen verdammt dich, und die Zuversicht wür­digt und rettet dich. Darum hüte dich dein Leben lang, dich zum Bitten und Empfangen für würdig oder geeignet zu achten - es sei denn, dass du dich findest als einen freien Waghals auf das wahrhaftige und gewisse Zusagen deines gnädigen Gottes, der dir seine Barmherzigkeit so will of­fenbaren, dass er in der gleichen Weise, in der er dir Un­würdigem, der es nicht verdient hat, aus lauter Gnade, ohne dass er darum gebeten worden wäre, Erhörung zuge­sagt hat, dich unwürdigen Beter aus lauter Gnade zu Ehren seiner Wahrheit und Zusage auch erhören will: damit du nicht deiner Würdigkeit, sondern seiner Wahrheit, mit der er die Zusage erfüllt, und seiner Barmherzigkeit, mit der er die Zusage getan hat, Dank sagst, damit bestehen bleibe der Spruch Psalm 25, 10: »Alle Gotteswerke sind lauter Barmherzigkeit und Wahrheit«, Barmherzigkeit in der Zusage, Wahrheit in der Erfüllung und Erhörung der Zu­sage. Ebenso Psalm 85, 11: »Barmherzigkeit und Wahrheit ha­ben einander geküsst«, das heißt, sie kommen zusammen in einem jeden Werk und einer jeden Gabe, die wir erbitten. Zum fünften soll man sich in diesem Vertrauen so verhalten, dass man Gott nicht ein Ziel steckt, weder Tag noch Ort bestimmt noch die Weise oder das Maß setzt für

seine Erhörung, sondern das alles seinem Willen, seiner Weisheit und Allmacht anheim gibt, nur frisch und getrost der Erhörung gewärtig ist, ohne wissen zu wollen, wie und wo, wie bald, wie lang, durch welche Mittel. Denn seine göttliche Weisheit wird Weise und Maß, Zeit und Ort un­vergleichlich besser finden, als wir denken können. Dann würden auch Wunderzeichen geschehen wie im Alten Testament. Als die Kinder Israels Gott vertrauten, er werde sie erlösen, obwohl keine mögliche Weise vor Augen noch in all ihren Gedanken war, da tat sich das Rote Meer auf und gab ihnen einen Weg hindurch frei und ertränkte alle ihre Feinde auf einmal (2. Mose 14, 1-31). Ebenso tadelte Judith, die heilige Frau, die Bürger zu Bethulia, als sie hörte, sie wollten in fünf Tagen die Stadt übergeben, wenn ihnen Gott inzwischen nicht helfe, und sprach: »Wer seid ihr, dass ihr Gott versucht? Das sind keine Vorhaben, mit denen man Gnade erlangt, sondern vielmehr Ungnade erweckt. Wollt ihr Gott eine Zeit setzen, sich euer zu erbarmen, und bestimmen einen Tag nach eurem Ermessen (Judith 8, 10 f.) Darum half ihr Gott auch auf wunderbare Weise, so dass sie dem großen Holofernes sein Haupt abschlug und die Feinde auf diese Weise vertrieben worden sind. So spricht auch St. Paulus: »Gottes Kraft ist so, dass er überschwänglich höher und besser tut, als wir bitten oder verstehen (Epheser 3, 20) Darum soll man sich erkennen als zu gering, um nennen, abgrenzen oder vorgeben zu können Zeit, Ort, Weise, Maß und andere Umstände dessen, was wir bitten von Gott. Sondern wir sollen ihm alles ganz anheim stellen und unverrückt und fest glauben, er werde uns erhören. Zum sechsten sollen wir nun lernen, uns recht zu ver­halten in dieser Kreuzwoche, in allen Litaneien und Pro­zessionen, damit ein jeder sich so darauf einstelle, dass er sie ihrem Namen entsprechend Litanei und Bitte sein lasse und Gott bitte mit einem rechten, ernsten Glauben, in­dem er ihm sein göttliches, barmherziges Versprechen vorhält und sich darauf beruft. Wer das nicht tun will, der bleib' zu Hause und lass die Prozession in Ruhe, damit Gott durch sie nicht mehr erzürnt als durch andere versöhnt werde. Es ist nun leider ein solcher lästerlicher Missbrauch aus den Prozessionen geworden, dass man in der Prozession nur sehen und gesehen sein will und lauter unnützes Geschwätz und Lächerliches treibt. Ich will schweigen von größeren Übeltaten und Sünden, zu denen die Dorfprozessionen erst recht toll geworden sind, bei denen man sich mit Saufen und in den Tavernen so verhält, mit den Kreuzen und Fahnen so umgeht, dass es kein Wunder wäre, wenn uns Gott in einem einzigen Jahr verderben ließe. Es ist schließlich dahin gekommen, dass stärkere Gründe vorhanden sind, einen Teil aller Prozessionen und Feiertage -ganz abzuschaffen, als je gewesen sind, sie einzusetzen. Hier sollten die Bischöfe und auch weltliche Obrigkeit zusehen, dass solche Missbräuche abgeschafft oder die Prozessionen ganz aufgehoben werden. Es wäre viel besser, sich in der Kirche zu versammeln, zu beten und zu singen, als mit solchem frechen Wesen Gott und seine heiligen Zeichen zu verspotten. Es werden die geistlichen und weltlichen Oberherren gar schwere Rechenschaft geben müssen, die diese Missbräuche dulden oder, wenn sie den Missbrauch nicht können ändern, die Prozession nicht ganz abschaffen. Es ist nämlich viel besser keine Prozession als solche Prozession.

Zum siebenten. Um zweierlei sollen wir in der Prozession und Kreuzwoche bitten: zuerst darum, dass Gott die Frucht auf dem Felde wolle gnädiglich behüten und die Luft reinigen, nicht allein, dass Gott einen günstigen Regen und gutes Gewitter gebe, damit die Früchte wohl geraten, sondern auch und noch mehr, dass sie nicht vergiftet werden und wir nicht mit dem Vieh daran essen und trinken die Pestilenz, Franzosen, Fieber und andere Krankheiten. Denn so spricht St. Paulus: »Die Kreaturen werden gesegnet und geheiligt durch das Wort Gottes und durch das Gebet (1.Timotheus 4, 4-5) Denn woher kommen Pestilenz und andere Plagen, wenn nicht davon, dass die bösen Geister die Luft und danach die Frucht, Wein und Korn vergiften und wir so, indem Gott es über uns verhängt, den Tod und die Plagen essen und trinken an unseren eigenen Gütern? Deshalb liest man auch die Evangelien öffentlich auf dem Feld und in der Luft, damit durch die Kraft des heiligen Wortes Gottes die Teufel in der Luft kraftlos gemacht und die Luft rein erhalten werde und so die Frucht danach uns zur Gesundheit und zum Wohl gedeihen möge. Darum soll man mit Ernst, Andacht und allen Ehren mit der Prozession und besonders dem Wort Gottes umgehen und es mit dem festen Glauben hören, dass das Wort Gottes werde seine Kraft üben an den Früchten und der Luft wider alle Fürsten der Luft, das sind die Teufel, die in der Luft wohnen, wie St. Paulus sagt (Epheser 6, 12).

Zum achten. Um das Zweite soll man viel mehr bitten: dass Gott wolle die Kreaturen uns segnen, nicht allein zum Nutzen des Leibes, wie jetzt gesagt ist, sondern und mehr zum Nutzen der Seele, damit die arme Seele nicht auch die Pestilenz und alle Plage sich daran hole. Das meine ich so: Die Pestilenz und Plage der Seele ist die Sünde. Wenn nun Gott genug gibt auf dem Felde, so sehen wir, wie uns diese Gaben bekommen: Da säuft man sich täglich voll, da ist Müßiggang, da folgt Unkeuschheit, Ehebruch, Fluchen, Schwören, Morden, Krieg und alles Unglück, so dass die Frucht besser nicht zu sehr geraten wäre. Da findet man dann, dass das, worum wir in der Prozession gebeten haben, uns Gott zur Genüge gibt und lässt alles gesegnet sein dem Leibe. Aber der Seele ist es alles tödliches Gift und dient zur Mehrung grauenhafter, schrecklicher Sünde. Denn voll zu sein und müßig zu gehen, ist die größte Plage auf Erden, von der alle anderen Plagen herkommen. Aber auf diese Pestilenz achtet niemand; vor der leiblichen flieht man, bittet und müht sich mit allen Arzneien. In diese geistliche Pestilenz aber stürmen wir geradezu hinein und begehren, genug zu haben und von der leiblichen Pestilenz frei zu sein, nur darum, dass wir in dieser geistlichen Pestilenz und Plage uns weiden können. Und Gott, der das Herz sieht und erkennt eine solche Gleichgültigkeit gegenüber dieser Plage in uns, tut die Augen auch zu und lässt es immer weitergehen, gibt genug, verblendet und versenkt uns so tief in unsere Sünden, bis Sünden Gewohnheit und Sitte werden und nicht mehr für Sünden gehalten werden.

Wohl wäre es in unseren Zeiten not, alle Tage mit aller Kasteiung des Leibes eine Prozession zu veranstalten wider solche schrecklich einbrechende Sintflut der verschiedensten Sünden, besonders in unseren Ländern des Fressens, Saufens, Müßiggangs und dessen, was daraus folgt, damit Gott uns Gnade gebe, seine Gaben zu gebrauchen zur Seligkeit unserer Seele und zur Besserung unseres Lebens, und also die Früchte Ursache würden zur Erhaltung und Mehrung der Gesundheit des Leibes und der Seele. Aber Gott blendet und verführt uns, damit wir darauf nicht acht haben und die Gaben Gottes zu des Leibes Lust und der Seele ewigem Verderben gebrauchen. Und dazu, dass dies ja nicht besser, sondern mehr werde, gibt Gott uns einen verkehrten Sinn, so dass wir auch die Prozessionen und Bettage mit Sünden zunichte machen. So zürnet Gott, und es ist niemand, der seinem Zorn widersteht, weil auch das Gebet und die Prozession, die widerstehen sollten, den Zorn mehren.

Gott helfe uns allen, dass wir wieder zu uns selbst kommen und seinen Zorn mit rechtem Glauben abbitten. Amen.