Zum ersten: die Weise, wie wir beten sollen.
Die Worte, und was wir beten sollen.
Vater Unser, der du bist in dem Himmel.
2. Einteilung des Vater Unsers
in diesem Gebet sind sieben Bitten.
Wie Gottes Kinder von Natur sind.
Welches die schädlichsten und ärgsten Menschen in der
Christenheit sind.
Dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf Erden.
Diese zwei Stücke sollen wir bei dem Gebet beachten
Was es heißt: Gotteswille geschehe, und geschehe nicht
Der alte Adam wird durch zweierlei Weise getötet, damit
Gottes Wille geschieht
Unser täglich Brot gib uns heute
In dieser Anfechtung scheiden sich nun die Bösen und die
Guten.
Wann und durch wen kommt das Wort zu uns?
Was ist nun aber das Wort, wenn es doch viele Worte Gottes
gibt?
Das erste Wort heißt " Unser“.
Was ist nun das Brot oder Wort Gottes?
Nun wird Christus, unser Brot, uns in zweierlei Weise
gegeben.
Und vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren
Schuldigern
Diese Bitte kann auf zweierlei Weise verstanden werden:
Und führe uns nicht in die Versuchung
9. Die siebte und letzte Bitte
Sondern erlöse uns von dem Bösen. Amen
10. Zusammenfassung über Inhalt und Ordnung aller
aufgeführten Bitten.
Das Vater unser als Zwiegespräch mit Gott.
Lied „Vater unser im Himmelreich“
1. Da die Jünger
Christi baten, dass er sie lehren möchte zu beten, sagte er (Matthäus 6,7
folgende): „Wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel Worte machen, wie die Heiden
tun, die da meinen, sie werden erhört, wenn sie viel Worte machen. Darum sollt
ihr euch mit ihnen nicht vergleichen. Denn euer Vater, der im Himmel ist, weiß
wohl, was ihr bedürfet, ehe ihr ihn bittet. Darum sollt ihr also beten: Vater
Unser, der du bist im Himmel, geheiligt werde dein Name“.
2. Aus diesen Worten
Christi lernen wir beide, Worte und Weise, das ist, wie und was wir beten
sollen. Und diese zwei Dinge sind nötig es zu wissen.
3. Die Weise ist,
dass man wenig Worte mache, aber viel und tiefe Meinungen oder Sinne. Je
weniger Worte, je besser das Gebet, je mehr Worte, je ärgerlicher das Gebet.
Wenig Worte und viel Meinung ist christlich, viel Worte und wenig Meinung ist
heidnisch. Darum spricht Jesus in Matthäus 6,7: Ihr sollt nicht viel reden
(plappern), wenn ihr betet, wie die Heiden. So auch Johannes 4,24 als er zu dem
heidnischen Weibe sprach: „Wer Gott anbeten will, der muss ihn in dem Geist und
in der Wahrheit anbeten“; denn solche Beter sucht der Vater.
4. Nun, " im
Geist beten " oder " geistlich beten " heißt so im Gegensatz zum
" leiblichen Gebet“, und " in der Wahrheit beten " heißt so im
Gegensatz zum " Gebet nur dem Scheine zuliebe“.. Denn das hat einen großen
Schein vor den Leuten, und geschieht mit dem leiblichen Munde, und nicht
wahrhaftig; aber das geistliche und wahrhaftige Gebet ist die innerliche
Begierde, Seufzen und Verlangen aus Herzens Grunde. Das erste macht Heuchler,
und falsche, sichere Geister; das andere macht Heilige und furchtsame Kinder
Gottes.
5. Doch ist hier
ein Unterschied zu merken, denn das äußerliche Gebet geschieht in dreierlei
Weise: zum ersten, aus lauter Gehorsam, wie die Priester und Geistlichen singen
und lesen; auch die, die aufgesetzte Buße oder gelobte Gebete sprechen. Bei
diesem Gebet ist der Gehorsam fast das Beste, und fast gleich einer anderen
leiblichen Arbeit des Gehorsams (so solch ein Gebet aus einfältiger gehorsamer
Meinung geschieht, nicht um Geldes oder Ehre und Lobes willen), ja so viel
unaussprechliche Gnade ist in dem Wort Gottes, dass es, auch mit dem Munde ohne
Andacht gesprochen (in der Meinung eines Gehorsams), ein fruchtbares Gebet ist
und dem Teufel weh tut.
6. Zum anderen,
ohne Gehorsam, oder mit Unwillen und Unlust, oder um Geld, die Ehre oder Lobes
willen. Solches Gebet wäre besser unterlassen. Doch wird diesen Betern hier ihr
Lohn dafür gegeben in der Form von zeitlichem Gut oder zeitlicher Ehre; denn so
lohnt Gott die Knechte ab, aber nicht die Kinder.
7. Zum dritten,
mit Andacht des Herzens; da wird der Schein in die Wahrheit gezogen, und das
Äußerliche in das Innerliche; ja, die inwendige Wahrheit bricht heraus und
leuchtet mit dem äußerlichen Schein. Aber es ist nicht möglich, dass der viel
Worte macht, der geistlich und gründlich betet, denn die Seele, wenn sie gewahr
wird, was sie spricht, und dann mit Bedacht auf die Worte und Sinne denkt, muss
sie die Worte fahren lassen und den Sinne nachdenken, oder wiederum, den Sinn
muss sie fallen lassen den Worten nachdenken. Darum sind solche mündliche
Gebete nicht weiter anzunehmen, denn als einer Anreizung und Bewegung der
Seele, dass sie dem Sinne und den Begierden nachdenken, wie die Worte anzeigen.
So ist auch in vielen Psalmen die Überschrift und der Titel, das ist, dass
diese Gebete, ob sie gleich wenig Worte haben, doch Anreizung und Bewegung sind
dem Herzen, etwas Gutes zu denken oder zu begehren. Auch finden wir in den
Psalmen das Wort " Sela " (das ist, " Ruhe "), und wird
weder gelesen noch gesungen; uns zu ermahnen, das, wo ein besonderes Stück sich
findet im Gebet, dass man dort stillhält und ruht, die Meinung (Sinn) wohl zu betrachten.
8. Die Worte
sind: „Vater Unser, der du bist“. Denn weil dieses Gebet von unserem Herrn
einen Ursprung hat, wird es ohne Zweifel das höchste, edelste und beste Gebet
sein, denn hätte er ein besseres gewusst, der fromme, treue Schulmeister, er
würde es uns auch gelehrt haben. Das soll man so verstehen, nicht, dass alle
anderen Gebete böse sind, die diese Worte nicht haben. Denn es haben vor
Christi Geburt viele Heilige gebetet, die diese Worte nie gehört haben,
sondern, dass alle anderen Gebete verdächtig sein sollen, die nicht dieses
Gebetes Inhalt und Meinung haben oder besitzen. Denn die Psalmen sind auch gute
Gebete, aber sie drücken nicht so klar die Eigenschaften dieses Gebetes aus,
obwohl sie doch darin enthalten sind.
9. Darum ist es
ein Irrtum, dass man etliche andere Gebete diesem vergleichen oder auch
vorziehen will, besonders, die viel schöner geschrieben sind, aber auf die
Meinung allein, dass uns Gott hier Gesundheit und ein langes Leben, Güter und
Ehre geben möchte, oder auch aus der Not zu erlösen, und dergleichen, in
welchen mehr unser Wille und Ehre, denn Gottes Ehre und Wille gesucht wird. In
der Weise, wie die Katholiken den Rosenkranz beten, höher achten als das Vater
Unser, hier geschieht nicht Gottes Wille sondern Menschen Wille. Nicht, dass
ich Gebete verwerfe, sondern dass die Zuversicht auf diese mündlichen Gebete
zuviel ist, und dadurch das rechte, geistliche, innerliche, wahrhaftige Vater
Unser verachtet wird. Denn aller Ablass, aller Nutzen, der ganze Segen, und
alles, was der Mensch bedarf an Leib und Seele, das ist in diesem Gebet
überflüssig enthalten. Und es wäre besser, du betest ein Vater Unser mit
herzliche Begierde und Meinung der Worte, daraus eine Besserung deines Lebens komme,
denn das du aller Gebete Segen hättest.
10. Nun wird dies
Gebet geteilt in zwei Stücke. Zum ersten in eine Vorrede, Anfang und Bereitung,
zum anderen sind da sieben Bitten.
11. Der beste
Anfang und die beste Vorrede ist, dass man weiß, wie man den, welchen man
bitten will, nennen, ehren und begegnen und wie man ihm gegenüber sich erzeigen
soll, dass man ihn gnädig und geneigt mache zu erhören. Es ist kein Name unter
allen Namen, mit welchem wir Gott besser anreden können, denn " Vater“.
Das ist eine freundliche, süße, tiefe und herzliche Rede. Es ist nicht so lieb
und tröstlich, wenn wir nur sprächen " Herr " oder " Gott "
oder " Richter“. Denn der Name " Vater " ist von Natur
eingeboren und natürlich süß. Darum gefällt er Gott auch am allerbesten und
bewegt ihn am allermeisten uns zu erhören. In diesem bekennen wir uns auch als
Gottes Kinder, und dadurch wir Gott innerlich bewegen, denn es ist keine
schönere Stimme, als die Stimme des Kindes zum Vater.
12. Dazu hilft,
das wir sagen: „Der du bist in dem Himmel“. Dieses sind Worte, damit wir unsere
tägliche Not und Elend zeigen und uns von Gott erbitten sich zu erbarmen. Denn
wer anfängt zu bitten, " Vater Unser, der du bist in dem Himmel“, und tut das
aus tiefem Herzensgrund, der bekennt, dass er einen Vater hat, und denselben im
Himmel kennt, der Vater weiß (und auch der Beter) das wir hier im Elend und
verlassen auf Erden sind. Daraus nun folgen muss ein herzliches Sehnen;
gleichwie bei einem Kind, das aus dem Haus seines Vaters Land unter fremden
Leuten im Elend und im Jammer lebt. Als wenn es spräche: Ach Vater, du bist im
Himmel, ich dein elendes Kind bin auf Erden, im Elend, weit von dir, in aller
Gefahr, in Jammer und in Not, unter den Teufeln und größten Feinden und dem
mancher Gefahr.
13. Wer so betet,
der steht mit einem richtigen, aufgehobenen Herzen zu Gott, und so ist es
richtig Gott zu bitten und zur Gnade zu bewegen. Dies ist also ein so hohes
Wort, dass es nicht möglich ist aus des Menschen Natur zu reden, es sei denn
der Geist Christi ist im Herzen. Denn wenn man fest innerlich suchen will, so
ist kein Mensch so vollkommen, der mit Wahrheit sagen kann, er habe keinen
Vater hier, er habe nichts, er sei ganz fremd, und nur Gott für seinen Vater
ansieht. Denn die Natur ist so böse, dass sie immer etwas auf Erden sucht, und
mit Gott im Himmel nicht allein zufrieden sein will.
14. Doch sagt uns
das Wort, dass wir eine Zuversicht zu Gott haben sollen die allein auf ihn
hofft. Denn es kann uns niemand in den Himmel bringen, denn der einige Vater,
wie es geschrieben steht in Johannes 3,13: „Niemand steigt auf in den Himmel,
denn allein der, der herab gestiegen ist, der Sohn des Menschen“. In dessen
Haut und auf seinem Rücken müssen wir hinauf steigen.
15. Also möchten
nun dies Gebet beten alle arbeitenden Leute, und die auch nicht wissen, was
diese Worte bedeuten. Und das halte ich für das Beste Gebet, denn da redet das
Herz mehr als der Mund.
16. Es sieht aber
nun in unserer Kirche ganz anders aus, dass steht jemand und wendet die Blätter
um, ließt daraus viel Gebete, macht damit einen großen Schein vor den Menschen,
ist aber mit dem Herzen weit von dem, was der Mund bekennt. Das heißt aber
nicht gebetet. Denn zu denen spricht Gott durch den Propheten Jesaja Kapitel
19,13.: „Dies Volk betet mich an mit dem Munde, aber ihr Herz ist weit von
mir“. So findet man viel Priester und geistliche, die in ihrem Amt ohne alle
inwendige Begierde die Gebete einfach dahin plappern, sagen dazu noch ohne Scham:
jetzt bin ich fröhlich, weil ich unserem Herrn nun bezahlt habe, meinen, sie
haben damit Gott genügend getan.
17. Ich sage dir
aber, und gebe es zu, dass du den Geboten der Kirche vielleicht genug getan
hast; aber Gott wird zu dir sagen (Matthäus 15,8) " Das Volk ehrt mich mit
dem Munde, aber ihr Herz ist ferne von mir“. Und ich habe Sorge, dass sie sich
auf dieses Gebete verlassen, und so nie ein Gebet zu Gott senden. Und so ist
es, dass die am allerwenigsten beten, die scheinen vor den Leuten am allermeisten
zu beten, und wiederum die am allermeisten beten, die scheinen vor den Leuten
am wenigsten zu beten.
18. Heute ist es
so, dass wir unseren Trost und unsere Zuversicht in viel Geplärre, Geschrei,
Gesänge, dass doch Christus verboten hat, als er sagt (mehr Matthäus 6,7.):
„niemand wird durch viel Worte machen erhört“. Das machen die ungeschickten
Predigten, damit man das Volk nicht, wie vor Zeiten die lieben Väter, mit
Arbeit und Mühe zu dem rechten Grund und inwendigen Gebet führt, sondern in den
äußerlichen Schein, und allein ins mündliche Gebet, und am allermeisten, da ihr
eigener Nutzen gesucht wird.
19. Nun möchte
wohl einer sagen: steht doch geschrieben in Lukas 18,1.: „ihr sollte ohne
Unterlass beten“. Was aber beten ist, ist zuvor genug gesagt. Also sind Ketzer
gewesen, die hießen "Euchiten", das ist, Beter, die wollten das Wort
Christi halten, und beteten (das ist, sie plapperten mit dem Munde) Tag und
Nacht, und taten sonst nichts, und sehen aber nicht ihre Torheit; denn sie, wenn
sie aßen, tranken oder schliefen, dass Gebet doch unterlassen mussten. Darum
ist das Wort Christi vom geistlichen Gebet gesagt, das mag ohne Unterlass sein,
auch in leiblicher Arbeit; wiewohl es niemand ganz vollkommen bringt, den wer
kann immer sein Herz zu jeder Zeit zu Gott erheben? Darum ist durch dasselbe
Wort ein Ziel gesetzt, danach wir uns richten sollen, und wenn wir sehen, dass
wir es nicht tun, dass wir uns erkennen als Schwache, gebrechliche Menschen,
und dadurch gedemütigt werden und um Gnade bitten über unsere Gebrechlichkeit.
20. Und so lehren
alle Lehrer der Schrift, dass das Wesen und die Natur des Gebetes nichts
anderes ist, denn eine Erhebung des Gemütes oder Herzens zu Gott. Ist nun die
Natur und Art des Gebetes des Herzens eine Erhebung zu Gott, so folgt, dass
alles andere, was nicht des Herzens Erhebung ist, nicht Gebet ist. Darum ist
Gesang, reden, greifen, wenn das herzliche aufsteigen nicht da ist, gleich ein
Gebet, wie Vogelscheuchen in dem Garten der Menschen sind. Das Wesen ist nicht
da, sondern der Schein und der Name allein. Das beschreibt auch eine Geschichte
von Hieronymus, der schreibt von einem heiligen Mann, dass er in der Wüste 30
Jahre einen Stein in seinem Munde trug, dass er wollte schweigen lernen. Womit
hat er aber gebetet? Ganz ohne Zweifel innerlich mit dem Herzen, an welchem
Gott auch am meisten liegt, und auch dasselbe allein ansieht und sucht. Des
hilft aber wohl dazu, so man die Worte hört, und also die Ursache bekommt zu
betrachten und recht zu beten. Denn, wie oben gesagt, sollen die mündlichen
Worte nicht anders gelten, denn als eine Trompete, Trommel, oder Orgel, oder
sonst ein Geschrei, damit das Herz bewegt und zu Gott erhoben wird.
21. Ja, es soll
sich niemand auf sein Herz verlassen, dass er ohne Worte wollte beten, er sei
denn wohl geübt im Geist und der auch Erfahrung habe, die fremden Gedanken
auszuschlagen; sonst würde ihn der Teufel ganz und gar verführen, und sein
Gebet im Herzen bald zerstören. Darum soll man sich an die Worte halten und
diesen nachsteigen, solange wie die Federn wachsen, dass man fliegen mag ohne
Worte. Denn das mündliche Gebet oder die Worte verwerfe ich nicht, soll auch
niemand verwerfen, ja, mit großen Dank annehmen als eine besonders große Gabe
Gottes. Aber das ist zu verwerfen, dass man der Worte nicht zu ihrem Amt und zu
ihrer Frucht gebraucht, nämlich, das Herz zu bewegen, sondern in falscher
Zuversicht verlässt man sich darauf, dass man sie mit dem Munde nur gemurmelt
oder geplappert hatte ohne alle Frucht und Besserung, ja, mit Ärgerung des
Herzens.
22. Auch soll
sich ein jeder davon hüten, wenn er nun neben den Worten oder sonst einen
Funken empfängt und Andacht fühlt, dass er nicht der alten Schlange Gift, das
ist der mörderischen Hoffahrt, folgt, die da spricht: Ach ich bete nun mit dem
Herzen und Munde und habe solche Andacht, dass ich glaube, des wird schwer sein
dass ein anderer, der Gott so recht tut als ich. Denn solche Gedanken hat dir
dann der Teufel eingegeben, und du wirst damit ärger, denn alle die, die
überhaupt nicht beten, ja, des ist nicht weit von einer Gotteslästerung und
Verdammung solcher Gedanken. Denn nicht dich, sondern Gott sollst du loben in
allem Guten, dass du fühlst und hast.
23. Jetzt ist
noch zu merken, wie ordentlich Christus dieses Gebet setzt. Denn er läßt nicht
zu, dass ein jeglicher für sich alleine bitten, sondern für die ganze
Versammlung aller Menschen. Denn er lehrt uns hier nicht sagen: Mein Vater;
sondern " Vater Unser“. Das Gebet ist ein geistlich, allgemeines Gut,
darum soll man es niemanden rauben, auch nicht die Feinde. Denn so er unser
aller Vater ist, will er, dass wir unter einander Brüder sein sollen,
freundlich lieben und für einander bitten gleichwie für uns selbst.
Die erste:
Geheiligt werde
dein Name.
Die zweite:
dein Reich komme
Die dritte
dein Wille
geschehe im Himmel und auf der Erde
Die vierte
Unser täglich
Brot gibt uns heute
Die fünfte
und vergib uns
unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigern.
Die sechste
und führe uns
nicht in die Versuchung (oder Anfechtung)
Die siebte
sondern erlöse
uns von dem Übel. Amen.
24.Diese sieben
Stücke mögen auch wohl die sieben guten Lehren und Ermahnungen genannt werden.
Denn auch der heilige Bischof von Märtyrer Ziprianus gesagt davon, es sind
sieben Zeichen unseres Elends und was wir bedürfen, durch welche der Mensch, zu
seiner eigenen Erkenntnis geführt, sehen kann, in was für einem gefährlichen
und jämmerlichen Leben er hier auf Erden lebt. Denn es ist nichts anderes, denn
eine Lästerung von Gottes Namen, ein Ungehorsam gegen Gottes Willen, ein sich
wehren gegen Gottes Reich, ein hungriges Land ohne Brot, ein sündiges Wesen,
ein gefährliches wandeln, und alles Übels voll. So nennt es Christus selbst in
diesem Gebet, wie wir nachher hören werden.
25. O ein groß,
überschwänglich, tiefes Gebet, so es mit dem Herzen gebetet wird, obwohl von
kurzen Worten, und ist unter den sieben Bitten keine größere, denn dass wir
bitten: „Dein Name werde geheiligt“.
26. Merke aber,
das Gottes Name in sich selbst heilig ist, und von uns nicht geheiligt wird,
ja, der alle Dinge und auch uns heiligt; dass er in uns geheiligt werden soll.
Denn darin wird Gott alles und der Mensch ganz zunichte gemacht. Dazu dienen
und ziehen sich auch die anderen sechs Bitten, dass Gottes Name geheiligt
werde. Wenn das geschehen ist, so sind alle Dinge wohl geschehen, wie wir hören
werden.
27. Dass wir aber
sehen, wie Gottes Name geheiligt werde in uns, wollen wir zuvor sehen, wie er
entheiligt und verunehrt wird in uns. Um klar und deutlich davon zu reden, wird
er auf zweierlei Weise in uns verunehrt. Zum ersten, wenn wir seinen Namen
missbrauchen zu Sünden. Zum anderen, wenn wir ihn stehlen und rauben. Gleich
als ein heiliges Gefäß der Kirche wird auf zweierlei Weise entheiligt; zum
ersten, wenn man das Gefäß nicht gebraucht zu Gottes Diensten, sondern zu
seinem fleischlichen Willen; zum anderen, wenn man es stiehlt und raubt.
28. Wird der Name
Gottes entheiligt in uns durch den Missbrauch, als wenn wie ihn anziehen oder
brauchen, nicht zu nutzen, Besserung, fromm sein unserer Seelen, sondern zu
vollbringen der Sünde und Schaden unserer Seelen, welches in vielen Stücken
geschieht, mit Zauberei, Segen, Lügen, Schwören, Fluchen, Betrügen, wie denn
uns das andere Gebot Gottes sagt: „Du sollst den Namen deines Gottes nicht
unnützlich führen“. Und ist kurz in der Summe zusammengefasst, wenn wir nicht
leben als Gottes Kinder.
29. Ein frommes
Kind nennt man, das von frommen, ehelichen Eltern geboren, diesen in allen
Maßen nach folgt und ihnen gleichförmig ist. Solch ein Kind besitzt und erbt
die Güter und alle Namen seiner Eltern mit Recht. Also sind wir Christen durch
die Taufe neu geboren und Gottes Kinder geworden, und so wir unserem Vater und
seiner Art nachfolgen, so sind alle seine Güter und Namen auch unser Erbe
ewiglich. Nun ist und heißt unser Vater barmherzig und gütig, wie Christus sagt
in (Lukas 6,36): „Seid barmherzig, als euer himmlischer Vater barmherzig ist“.
Also (Matthäus 11,29): „Lernet von mir, denn ich bin sanftmütig, und von Herzen
demütig“. Also ist Gott gerecht, rein, wahrhaftig, stark, einfältig, gerecht,
weise. Und dies sind alles Gottes Namen, die aller eingeschlossen werden in dem
Wort " dein Name“. Denn aller Tugenden Namen sind Gottes Namen. Weil wir
denn in diesem Namen getauft sind, durch sie geweiht und geheiligt, und die
jetzt unsere Namen geworden sind, folgt, dass alle Gottes Kinder heißen und
sollen sein gütig, barmherzig, keusch, gerecht, wahrhaftig, einfältig,
freundlich, friedsam, eine süßen Herzens zu einem jeglichen Menschen, auch zu
seinen Feinden. Denn der Name Gottes, darin sie getauft sind, wirkt solches
alles in ihnen, oder sie sollen es bitten, dass also der Name Gottes in ihnen
sei, bewirke und geheiligt werde.
30. Wer aber
zornig, unfriedsam, neidisch, bitter, ungütig, unbarmherzig, unkeusch ist, und
flucht, lügt, schwört, betrügt, widerredet, der tut Unehre, lästert, entheiligt
den göttlichen Namen, in welchem er gesegnet und getauft oder berufen ist, und
unter die Christen gezählt, und unter Gottes Volk versammelt. Denn derselbe
ehrt unter dem Titel des göttlichen Namens des Teufels Namen. Denn so einer
dies ein Lügner, unrein, Widerspruchgeist, gehässig. Dem folgen (sagt der weise
Mann (Weisheit 2, 20), die ihm verwandt und seine Genossen sind. Siehe nun,
diese tun nichts anderes, denn als wenn ein Priester einer Sau aus dem heiligen
Kelch zu trinken gibt, oder faulen Mist damit schöpfte. Also nehmen sie ihre
Seele und Leib, in welchem der Name Gottes wohnt und sie geheiligt hat, und
dienen damit dem Teufel. Das ist alles zur Schmach des Heiligen, göttlichen
Namens, darin sie geweiht sind.
31. Siehe, nun
verstehst du, was " heiligen " heißt, was " heilig " ist.
Denn es ist nichts anderes, denn eine Absonderung von dem Missbrauch zu dem
göttlichen Brauch, wie eine Kirche geweiht wird und allein zum göttlichen
Dienst verordnet wird. So sollen wir in allem Leben geheiligt werden, dass in
uns kein Brauch ist, denn des göttlichen Namens, das ist, Gütigkeit, Wahrheit,
Gerechtigkeit. Darum wird der Name Gottes nicht allein mit dem Munde, sondern
auch mit allen Gliedern des Leibes und der Seele geheiligt oder entheiligt.
32. Wird Gottes
Name entheiligt durch Rauben und Stehlen. Die Scharfsinnigen verstehen es unter
dem ersten verstanden was geschrieben wurde, so ist es doch den einfachen
Menschen zu schwer, dieses zu merken. Denn dies trifft nun die Hoffärtigen, die
sich selbst fromm und heilig halten, und nicht meinen, dass sie Gottes Namen
für lästern, wie die ersten, und geben sich selbst den Namen, sie sind gerecht
und heilig und wahrhaftig, rauben und stehlen Gott seinen Namen darin, frei
ohne alle Furcht. Und von denen finden wir jetzt am meisten, besonders wo es
scheint, das es fromme, geistliche Leute sind. Denn diese denken von sich, dass
ihre Worte, Werke, Weisheit, gutes Vermögen wegen gerühmt und geehrt sein
wollen; aber wenn das nicht geschieht, werden sie wütend und tobend vor Zorn.
Und diese heißen in der Schrift provundi corde, eines tiefen das Herzens, also,
dass Gott allein sie richten und erkennen muss, und sehr viel mit ihnen zu
schaffen hat. Denn alle Dinge die sie so überaus gut schmücken, dass sie selbst
nichts anderes wissen, es sei alles nur grundgut mit ihnen. Und dasselbe ist
ihr eigenes Wohlgefallen und inwendiges rühmen, Loben und Preisen ist ihr
größter, gefährlichster Schaden; und dass man sie erkennen möge, und ein
jeglicher vor solchem Unfall sich bewahren soll, wollen wir weiter davon reden.
33. Zum ersten
führen sie das Wort allezeit in ihrem Munde, rühmen sich damit und sprechen:
Ach! Ich habe so eine gute Meinung, ich meine es so herzlich gut, der und
dieser will mir aber nicht folgen, ich wollte ihm das Herz im Leibe mitteilen.
O hüte dich, hüte dich vor den Wölfen, die in solchen Schafskleidern wandern.
Es sind Dornen von Rosen, aber keine Feigen wachsen da, sondern nur Stacheln.
Darum, als Christus sagt (Matthäus 7,16): „An ihren Früchten kennet sieht
" welches sind aber die Früchte? Stacheln, Spitzen, Kratzen, Beißen und
kein gutes Werk oder Wort. Wie geschieht das? Merke: Wenn diese nun bei sich
selbst beschlossen haben, dass sie fromm sind, gute Meinung haben, und ihr
Leben so führen, dass sie mehr beten, und andere gute Werke tun, und mehr
Verstand und Gnade von Gott haben, denn andere Leute; so machen sie nicht so
viel, dass sie sich gegen die messen, die höher und besser sind, sondern halten
sich gegen die, die ärger und geringer scheinen, denn sie. Vergessen auch bald,
dass es Gottes Güter sind, die sie haben. So muss dann auch folgen richten,
urteilen, versprechen, widersprechen, verachten, und sich selbst über jedermann
erheben; und fahren also daher in der Hoffart, und verhärten in sich selbst
ohne alle Gottesfurcht, die nicht mehr tun, denn dass sie sich im Herzen und
dem Mund mit fremden Sünden tragen und bescheißen.
34. Siehe, das
sind die Früchte der Disteln und Dornen, das sind die Rachen der Wölfe unter
den Schafskleidern. Siehe, das heißt Gottes Namen und Ehre gestohlen, und ihm
selbst zugeschrieben. Denn Gott gebührt allein zu richten; wie Christus sagt
(Lukas 6,37. Matthäus 7,1.): ihr sollt nicht richten, dass ihr nicht gerichtet
werdet“. Auch ist es allein Gottes Name , dass er heilig, fromm, gut ist; wir
alle sind Sünder vor Gott, einer wieder andere, ohne allen Unterschied. Und so
jemand etwas vor dem anderen hat, so ist es doch nicht sein, sondern allein
Gottes. Er soll auch von den Seinen allein den Namen haben, dass Wohlgefallen,
dass rühmen, dass Richten,. Und darum, wer dieses gebraucht nicht zum Dienst,
sondern zur Verachtung seines Nächsten, dieser ist ein Dieb der Ehre Gottes,
und will das sein und heißen, das Gott und Gottes ist, und nicht sein ist.
35. Siehe, von
solchen schädlichen, freien, frevelhaften, ungottesfürchtigen Geister ist jetzt
die Welt voll, die durch ihr gutes Leben Gottes Namen lästern und entheiligen,
mehr denn alle anderen mit ihrem bösen Leben. Die heiße ich die hoffärtigen
Heiligen und des Teufels Märtyrer, die nicht sind wie andere Leute, wie der
Gleisner (die einen frommen Schein haben) im Evangelium (Lukas 18,11). Diese,
gerade als wären sie nicht Sünder und Böse, wollen nicht leiden die Bösen und
Ungerechten, oder mit ihnen zu schaffen haben, dass man ja nicht sage: oh geht
der mit solchen um, ich hätte ihn für viel frömmer gehalten! Erkennen nicht,
dass Gott ihnen vor anderen darum hat mehr Gnade gegeben, dass sie mit den
Gnadengaben dienen sollen, und gleich wieder austeilen und wuchern mit
derselben Gnade, das ist, sie sollten bitten für sie, helfen, raten und eben
ihnen tun, wie ihnen Gott getan hat, der ihnen die Gnade umsonst gegeben, und
sie nicht verachtet und gerichtet hat. So fahren sie zu, und halten die Gnade
nicht allein zurück, dass sie kein Frucht bringt, sondern verfolgen auch damit
die, denen sie damit helfen sollten. Das sind die, die die Schrift heißt, die
Verkehrten (Psalm 18,27).
36. Zum anderen,
wenn sie nun dies alles hören sagen, dass Gott allein der Name und die Ehre
gebührt, so stellen sie sich aber fein, und betrügen noch mehr sich selbst mit
ihren Schein, und sagen: in allem, dass sie tun, wollen sie Gottes Ehre allein
suchen; und dürfen noch dabei schwören, sie suchen nicht ihre Ehre. So
geistlich, gründlich, tief ist ihre Bosheit. Aber merke auf die Frucht und
Werke, so wirst du finden, wenn ihr vornehmen nicht so geht wie sie denken, so
fängt ein Klagen und merkwürdiges Benehmen an, dass niemand mit ihnen auskommen
kann. Da erfährt man dann, dass die nicht wohl tun, die sie hindern, und können
nicht vergessen das Leid das man ihnen tat, sie behaupten, dass man Gottes Ehre
verhindert habe und widerstrebe dem Guten, dass sie gesucht und gemeint haben;
und können ihr verflucht Richten und Widersprechen nicht sein lassen. So sieht
man denn, wie sie es gemeint haben, dass sie nicht darum zürnen, dass das Gute
und Gottes Ehre verhindert ist, sondern das ihr Denken und ihre Meinung nicht
fortgegangen ist. Ebenfalls könnte ihr Denken nicht Böse sein, und so gut ist,
dass es auch Gott nicht verwerfen könnte. Denn wenn sie von sich nicht selbst
so eine hohe Meinung hätten, so würden sie es wohl leiden können, dass man ihre
Meinung verhindert hat. Aber diese tiefe Hoffart will nicht Böse noch närrisch
gehalten sein, darum müssen hier alle anderen Narren Böse sein. Siehe, wie tief
die Gotteslästerung in diesen Geistern verborgen ist, die immer das sein und
haben wollen, dass Gottes allein ist, das ist, Weisheit, Gerechtigkeit, Namen
und Ehre.
37. Zum dritten,
wenn es sich begibt, dass man sagt oder predigt, dass Gott die Ehre darum
gebühre und der Name, dass er alle Dinge schafft, und alle Dinge sein sind, so
sind sie gelehrter denn alle Prediger, auch denn der heilige Geist selber,
können auch jedermann belehren, und dürfen nicht mehr Schüler sein, sprechen:
o, wer weiß das nicht! Und halten es so, sie verstehen alles sehr gut. Wenn es
aber an ein ernst wird, dass man ihre Ehre antastet, hält sie gering oder
verachtet sie, nimmt ihnen etwas, oder sonst ihnen eine Widerwärtigkeit
begegnet, siehe, dann ist das Wissen bald vergessen, dann bringt der Dornbusch
seine Frucht, die Stacheln und Spitzen. Da guckt der Esel mit seinen Ohren
durch die Löwenhaut; dann fangen sie an: Ach Gott vom Himmel, sieh herab, wie
geschieht mir so ein großes Unrecht! Fallen in so große Torheit, dass sie sagen
dürfen, ihnen geschehe auch vor Gott Unrecht.
38.Wo ist nun
euer großer Verstand, denn ihr sagt doch, alle Dinge sind Gottes und von Gott?
O du armer Mensch! Ist es Gottes allein, warum sollte er es denn nicht von dir
auch nehmen, geben, hin und herwerfen? Ist es sein, so solltest du still
stehen, und ihn schaffen lassen in allem, wie er wollte. Denn wenn er das Seine
nimmt, so geschieht dir nicht Unrecht; wie der heilige Hiob sprach, da er alle
Güter und Kinder verloren hatte (Kapitel 1,21.): „Gott hat es gegeben, Gott hat
es genommen; wie es Gott gefallen hat, so ist es geschehen, Gottes Name sei
gepriesen“. Siehe, das war ein rechter Mann, dem niemand nichts nehmen konnte;
denn er hatte nichts, dass sein war. Denn Gott spricht hier 41,2.: „Alles, was
unter dem Himmel ist, das ist mein“, ich habe es geschaffen. Was nun rühmst du
dich denn des Deinen, und des, dass dir Unrecht geschehe?. Greift man an deine
Ehre, und was du hast, so greift man doch nicht in dein, sondern in Christi
Gut. Und dass er dich dasselbe lehre, so fügt er, dass dir genommen werde, was
du meinst, es sei dein, sondern sein ist. Siehe, also findet man alle Zeit, das
Gottes Ehre und Name nicht nur lauter gesucht wird, und besonders die
hoffärtigen Heiligen ja auch etwas sein und haben wollen, das Gott allein
gehört.
39. So sprichst
du: Wenn das wahr ist, so folgt, dass niemand auf Erden Gottes Namen genügend
heiligt; auch wären die alle Unrecht, die vor Gericht mit einander handeln um
Gut oder Ehre, und andere Sachen.
40. Da Antwort
ich zum ersten. Darum habe ich oben gesagt, dass diese erste Bitte
überschwänglich ist und die allergrößte, die andern alle in sich fassend. Denn
so jemand da wäre, der Gottes Namen genügend heiligte, der dürfte nicht mehr
beten das Vater Unser, und wer so rein wäre, dass er sich keines Dinges, keiner
Ehre eigen annehme, der wäre ganz rein, und der Name Gottes ganz vollkommen
geheiligt in ihm. Das gehört aber nicht in dies Leben, sondern in den Himmel.
41. Darum müssen
wir beten, und ernstlich begehren, weil wir leben, dass Gott seinen Namen in
uns heilige. Denn ein jeglicher Mensch ist ein Lästerer des göttlichen Namens,
einer mehr als der andere, wenn es die hoffärtigen Heiligen auch nicht glauben
wollen.
42.Darum habe ich
auch gesagt, dass dies Gebet nicht allein eine Bitte, sondern auch eine
heilsame Lehre und Erkenntnis unseres elenden, verdammten Lebens auf Erden, und
wirft den Menschen nieder in seine eigene Erkenntnis. Denn so wir bitten, dass
sein Name in uns soll geheiligt werden, daraus folgt, dass er noch nicht heilig
ist in uns, denn wäre er heilig, so dürften wir nicht darum bitten. Daraus
folgt dann weiter, dass wir, weil wir leben, schänden, lästern entheiligen,
entweihen Gottes Namen, mit unserem eigenen Gebet und Mund, bezeugen wir, dass
wir Gotteslästerer sind (und in diesem Leben nie vollkommen heiligen).
43. Nun weiß ich
in der ganzen Schrift keine Lehre, die mächtiger und mehr unser Leben schmäht
und vernichtet, als dies Gebet. Wer wollte doch nicht gerne bald sterben, und
diesem Leben feind sein (so er anders Gottes Namen hold ist), so er herzlich
bedenkt, dass sein Leben in solchem Wesen steht, darin Gottes Name und Ehre
gelästert wird? Auch wer nicht mehr, denn das Vater Unser, gut verstehen würde,
hätte Lehre genug gegen alle Laster, besonders gegen die Hoffart. Denn, wie mag
der fröhlich oder hoffärtig sein, der im Vater Unser so große, schreckliche Gebrechen
von sich selbst bekennt, dass er Gottes Namen nicht ehrt und täglich gegen das
andere Gebot Gottes handelt, seinen Namen unnützlich gebraucht?
44.Zum anderen
antworte ich ihnen: dass solch ein Gericht ist, ist nicht das Beste, es wäre
besser, es wäre keines. Aber um größere Übel zu vermeiden, sind sie gegeben um
der Unvollkommen wegen, die noch nicht alle Dinge fahren lassen können und Gott
wieder geben können.
45.
Nichtsdestoweniger ist uns ein Ziel gesetzt, wo wir hinarbeiten sollen, das
ist, dass wir von Tag zu Tag lernen und uns üben, dass wir Gottes Namen
heiligen, ihm seine Ehre, Güter und alle Dinge, von uns entfremdet, wiedergeben
und wir so ganz geheiligt werden. Zu dieser Übung ist uns dieses Gebet gegeben,
dass wir ohne Unterlass im Herzen begehren sollen, dass Gottes Name geheiligt
werde. Und wenn schon einem Christenmenschen alles genommen würde,, ihre,
Freunde, Gesundheit, Weisheit, dass wäre nicht verwunderlich; ja, es muss doch
dahin endlich kommen, dass alle seine Dinge zunichte werden, und er von allen
Dingen abgesondert wird, ehe er geheiligt wird und den Namen Gottes heilige.
Denn weil etwas da ist, darum ist auch ein Name da. Darum muss nichts da
bleiben, dass allein Gott, Gottes allen Dinge und Namen bleiben. Dann wird das
wahr, dass die Gerechten in der Schrift genannt werden Arme und Weise, die
ihrer Eltern beraubt und keinen Trost haben.
46.Sprichst du
aber: so wir alle nicht genügend Gottes Namen ehren, sind wir aber darum in
Todsünden und verdammt? Antworte ich: es wäre eine Todsünde und verdammlich,
wenn Gott mit der Schärfe handeln wollte; denn Gott mag keine Sünde leiden, wie
gering sie sei. Aber es sind zweierlei Volk: etliche, die erkennen und klagen
das selbst, dass sie nicht Gottes Namen genügend heiligen, und ernstlich darum
bitten, und achten, dass sie so unselig sind. Dies denn gibt er, was sie
bitten; und darum, dass sie sich selbst richten, absolviert und erlässt ihnen
Gott, was sie nicht genug tun. Die anderen freien und leichtfertigen Geister,
die ihre Gebrechen gering achten, in den Wind schlagen, oder auch gar nicht
sehen, auch nicht bitten, werden am Ende finden, wie groß ihre Sünde ist, dass
sie gar nicht darauf geachtet haben, und werden darum verdammt, darum sie aber
meinten am allermeisten selig zu werden; wie Christus zu den Gleisnern sagt:
Matthäus 23,14. Dass sie um ihre langen Gebete desto größere Verdammnis haben
würden.
47. Siehe, so
lehrt dich das Vater Unser zum ersten erkennen dein großes Elend und Verderben,
dass du ein Gotteslästerer bist, also, dass du musst vor deinem eigenen Gebet
erschrecken sollst, wenn du bedenkst, was du betest. Denn es muss wahr sein,
dass du Gottes Namen noch nicht geheiligt hast, so muss auch wahr sein, wer
Gottes Namen nicht heiligt, dass der ihn entheilige. Danach muss auch wahr
sein, dass Gottes Namen verunehren schwere Sünde ist, und des ewigen Feuers
schuldig, so Gottes Gerechtigkeit richten sollte. Wo willst du denn nun hin?
Dein eigenes Gebet straft dich und ist gegen dich, beweist dir, beklagst dich;
da liegst du, wer hilft dir?
48. Sieh nun,
wenn du so ernstlich in dich geschlagen, und in dein eigen Elend Erkenntnis
gedemütigt bist, dann, zum anderen, kommt die tröstliche Lehre, und richtet
dich wieder auf; das ist, dass Gebet lehrt dich, dass du nicht verzweifeln
sollst, sondern Gottes Gnade und Hilfe begehren. Damit du gewiss bist und fest
glauben sollst, dass er dich darum so hat lehren beten, dass er dich erhören
will. Und also macht das Gebet, dass dir Gott nicht zurechnet die Sünde, und
nicht in der Schärfe mit dir handelt. Und die allein hält Gott für gut, die da
ernstlich bekennen, dass sie Gottes Namen verunehren, und immer begehren, dass
er möge geheiligt werden.
49. Die aber sich
auf ihr Gewissen verlassen, nicht glauben wollen, dass sie Gottes Namen verunehren,
für die ist es nicht möglich, dass sie erhalten werden sollen. Denn sie sind
noch zu frei, sicher, hoffärtig und nicht gottesfürchtig; sie sind auch noch
nicht unter dem Haufen, zu denen Christus spricht, Matthäus 11,28: kommet her
zu mir, alle, die dir mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken! Denn
sie verstehen das Vater Unser nicht, wissen nicht, was sie beten.
50. Das ist nun
die Meinung und die Summe dieser Bitte: Ach! Lieber Vater, dein Name werde
geheiligt in uns; das ist, ich bekenne, dass ich, leider! Deinen Namen oft
verunehrt habe, und auch noch mit Hoffart durch meine eigene Ehre und Namen
deinen Namen lästere. Darum, durch deine Gnade hilft mir, dass in mir mein Name
abgehe, und ich zunichte werde, auf das du allein und dein Name und Ehre in mir
sei.
51. Ich hoffe,
das du auch genügend verstanden hast, dass das Wort " dein Name " so
viel heißt als deine Ehre und Lob. Denn einen guten Namen heißt die Schrift
Ehre und Lob; einen bösen Namen eine Schande und böses Gerücht. Also, dass dies
Gebet nichts anderes will, denn das Gottes Ehre vor allen und über allen und in
allen Dingen gesucht wird, und unser ganzes Leben ewiglich allein zu Gottes
Ehre gelangen soll, nicht zu unserem Nutzen, auch nicht zu unserer Seligkeit
oder etwas Gutes, es sei zeitlich oder ewig, es sei denn zu Gottes Ehre und Lob
endlich verordnet.
52. Darum ist
dies das erste Gebet. Denn Gottes Ehre das Erste, Letzte, Höchste ist, dass wir
ihm geben können, und er auch nichts mehr sucht und fordert. Wir können ihm
auch sonst nichts geben; denn alle anderen Güter gibt er uns, die Ehre aber
behält er sich allein: dass wir erkennen, sagen, singen, Leben, wirken und
alles tun und Leiden bezeugen, dass Gottes alle Dinge sind; damit der Spruch
bestehe aus dem Psalm 111,3. " Lob und Ehre ist sein Werk, und seine
Gerechtigkeit bleibt ewiglich“. Das ist so viel gesagt: in diesen Menschen
wohnt Gott und lebt er, die Werke dieses Menschen tun nichts anderes, denn dass
sie Gott Lob und ihm seine Ehre geben, und ihm alles zuschreiben. Darum so
achtet solch ein Mensch nicht, dass man ihn verunehrt und verachtet, denn er
weiß, dass solches recht ist. Und so ihn niemand verachten und verunehren will,
so tut er es selber, und mag nicht leiden sein eigen Lob und Ehre. Und darum
ist er gerecht, gibt Gott, was Gottes ist, und ihm selbst, was sein ist, Gott
die Ehre und alle Dinge, sich selbst die Schande und nichts. Das ist die
Gerechtigkeit, die ewig bleibt, denn sie gefällt nicht allein den zeitlichen
Menschen, wie der törichten Frauen Lampen und der scheinenden heiligen
Frömmigkeit (Matthäus 25,1 ff) sondern dem ewigen Gott, vor dem sie denn auch
ewiglich bleibt.
53. Nun merkst
du, dass dies Gebet gegen die leidige Hoffart fechtet, die denn das Haupt,
Leben und ganzes Wesen aller Sünde ist. Denn weil keine Tugend lebt oder gut
ist bei einer Hoffart, so schadet keine Sünde, wenn die Hoffart tot ist. Und
wie eine Schlange ihr ganzes Leben im Kopf hat, wenn das tot ist, so tut sie
niemandem etwas, wenn die Hoffart tot wäre, so wären alle Sünden unschädlich,
ja, sogar förderlich. Darum, wie niemand ohne Hoffart ist und eigenem Namen,
Ehre und Geiz, also ist niemand dem dies Gebet dem es nicht hoch und nützlich
ist.
54. Dies andere
Gebet, wie die anderen, tut zwei Dinge, es erniedrigt und erhebt uns.
Erniedrigt uns damit, dass es uns zwingt zu bekennen mit eigenem Munde unser
großes und klägliches Elend. Erhebt aber damit, dass es und zeigt, wie wir uns
in solchen Erniedrigungen verhalten sollen. Also hat ein jegliches Wort Gottes
hat die Art, dass es schreckt und tröstet, schlägt und heilt, zerbricht und
baut, reißt aus und pflanzt wieder, demütigt und erhebt.
55. Demütigt es
uns, dass wir öffentlich bekennen, dass Gottes Reich noch nicht zu uns gekommen
ist. Welches, wenn es mit Ernst bedacht wird und gründlich gebetet, schrecklich
ist, und ein jegliches frommes Herz einfach betrüben und kümmerlich bewegen
sollte. Denn daraus folgt, dass wir noch verstoßen, im Elend und unter
grausamen Feinden sind, beraubt des allerliebsten Vaterlandes.
56. Welches denn
zwei schlimme, zu beklagende Schäden sind. Der erste, dass Gott der Vater
beraubt ist seines Reiches in uns, und der ein Herr in allen Dingen ist und
sein soll, allein durch uns solcher seiner Gewalt und Titel verhindert ist; das
geschieht ihm leider zur Unehre, wir tun als sei er ein Herr ohne Land, und
sein allmächtiger Titel durch uns zu Spott wird. Das muss ohne Zweifel allen
wehtun, die Gott lieben und Gutes gönnen. Das schlimme dabei ist, dass wir die
sind, die Gottes Reich klein machen und hindern, welche er, so er streng
richten würde, deshalb könnte als seines Reiches Feinde und Räuber verdammen.
57. Der andere
Schaden ist unser, dass wir im Elend und fremden Land unter so großen Feinden
gefangen liegen. Denn wenn es schrecklich und zum beklagen wäre, wenn eines
Fürsten Kind oder ein ganzes Land unter den Türken gefangen viel Schmach und
Leiden, zuletzt auch den schändlichen Tod bekommen müsste: wie viel mehr ist das
schrecklich zu beklagen, dass wir unter den bösen Geistern in diesem Elend
sind, und allerlei Gefahr des Leibes und der Seele, zuletzt auch den ewigen Tod
aller Augenblicke erwarten müssen, dass einem möchte einfach vor seinem eigenen
Leben mehr denn vor hundert Toten grauen möchte, so er es recht ansieht.
58. Wenn wir
solches bedenken und uns erniedrigt, und wir unseren Jammer erkennen, so folgt
danach die Tröstung, und lehrt uns der freundliche Meister, unser Herr Jesus
Christus, dass wir bitten und begehren sollen, aus diesem Elend zu kommen, und
nicht verzweifeln. Denn diesen, die solches bekennen, dass sie Gottes Reich
hindern, und kläglich bitten, dass es doch kommen möchte, wird Gott, weil es
ihnen Leid tut, für gut ansehen, wo er sonst Grund hätte zu strafen. Die freien
Geister aber, denen nicht viel daran gelegen ist, wo Gottes Reich denn bleibt,
und nicht herzlich darum bitten, wird er gewiss mit dem Tyrannen und Zerstörern
seines Reiches nach der Schärfe richten.
Denn weil ein
jeglicher dies Gebet beten muss, so folgt, dass niemand unschuldig ist am
Reiche Gottes. Um das zu verstehen, muss man wissen, dass es zwei Reiche gibt.
59. Ist ein Reich
des Teufels, den nennt der Herr im Evangelium Johannes 16,11. einen Fürsten
oder König dieser Welt, das Reich heißt, ein Reich der Sünde und des
Ungehorsams. Das soll aber den Frommen ein großes Elend und Gefängnis sein. Wie
denn Vorzeiten angedeutet worden ist durch die Kinder von Israels in Ägypten,
diese mussten das Land mit großer Arbeit und Jammer bauen, und hatten doch
nichts davon, sondern nur dass man sie durch viel Arbeit gedachte zu töten (2.
Mose 1,10 ff). Also, wer dem Teufel untertan dient in Sünden, muss viel leiden,
besonders im Gewissen, und hatten doch zuletzt nicht mehr davon als den ewigen
Tod.
60. Nun sind wir
alle in diesem Reich solange, bis das Reich Gottes kommt; doch mit einem
Unterschied. Denn die Frommen sind so darin, dass sie täglich mit den Sünden
streiten, und des Fleischeslust, der Welt Reiz, des Teufels Eingeben, stets und
fest widerstreben. Denn, wie fromm wir sind, so will doch die böse Lust in uns
mit herrschen und den Sieg haben. Also streitet Gottes Reich mit des Teufels
Reich ohne Unterlass. Und dieselben werden darum darin erhalten und selig, dass
sie also streiten mit sich selbst wieder des Teufels Reich, um Gottes Reich zu
vermehren. Und das sind die, die dies Gebet mit Worten, Herzen und Werken
beten. Also sagt der heilige Apostel Paulus (Römer 6,12.), dass wir es nicht
gestatten sollen, dass die Sünde regiere in unserem Leibe, zu folgen seinen
Begierden. Als spräche er: Ihr werdet wohl fühlen und auch böse Lust haben,
Liebe und Neigung zum Zorn, zum Geiz, zur Unkeuschheit und dergleichen, die
euch ziehen wollen in des Teufels Reich, das ist, zu Sünden, wo sie herkommen
und selbst auch Sünde sind; aber wir sollen ihnen nicht folgen, sondern
streiten, und diese uns zugelassenen Verräter des alten Teufels Reiches zwingen
und dämpfen, wie die Kinder von Israel den Jebusitern und Amoritern taten, und
also Gottes Reich in euch (dass das rechte gelobte Land ist) mehren.
61. Die andern
aber sind darin, dass sie Lust dazu haben und folgen allen Begierden des
Fleisches, der Welt, des Teufels, wollen auch, so sie könnten, immer darin
bleiben. Diese räumen dem Teufel ein, und verwüsten auch Gottes Reich. Darum
sammeln Sie Güter, bauen groß, suchen alles was die Welt nur geben kann, tun
als ob sie ewig hier bleiben könnten, bedenken nicht, dass wir hier keine
bleibenden Stätte haben, wie Paulus sagt (Hebräer 13,14.). Diese beten dies
Gebet mit dem Munde; aber mit dem Herzen widersprechen Sie diesem, und sind
gleich wie bleierne Orgelpfeifen, die lernen und schreien in der Kirche, und
haben doch weder Wort noch Verstand.
62. Ist Gottes
Reich, das ist, ein Reich der Gerechtigkeit und Wahrheit, davon Christus
spricht in (Matthäus 6,33.): „Suchet vor allen Dingen das Reich Gottes und
seine Gerechtigkeit" Was ist Gottes und seines Reiches Gerechtigkeit? Das
ist es, wenn keine Sünde mehr in uns ist, sondern alle unsere Glieder, Kraft
und Macht Gott untertan und in seinem Dienst sind, dass wir mit Paulus sagen
können (Galater 2,20.): „Ich lebe jetzt, aber nicht ich, sondern Christus in
mir“; und 1. Korinther 6,19. ff " Ihr seid nicht euer selbst eigen, ihr
seid gekauft mit einem teuren Schatz, darum so sollt ihr Gott würdigen und
tragen in eurem Leichnam“. Als spräche er: Christus hat euch getauft durch sich
selbst, darum sollt ihr sein sein und ihn lassen in euch leben und regieren.
Das geschieht aber, wenn keine Sünde in uns regiert, sondern allein Christus
mit seinen Gnaden. Also ist Gottes Reich nichts anderes denn Friede, Zucht,
Demütigkeit, Keuschheit, Liebe und allerlei Tugenden; dort ist nicht Zorn, Hass
Bitterkeit, Unkeuschheit und alles dergleichen.
63. Nun probiere
es ein jeglicher selber, aber er hier oder dazu sich geneigt findet, so wird er
gewahr, in welchem Reiche er ist. Nun ist niemand, der nicht etwas von dem
Reich des Teufels in sich findet. Darum muss er bitten: dein Reich komme. Denn
Gottes Reich wird hier wohl angefangen und nimmt zu; es wird aber in jenem
Leben vollbracht.
64. Also ist es
kurz gesagt " dein Reich komme ": Lieber Vater, lass uns hier nicht
lange leben, auf das dein Reich in uns vollkommen wird, und wir erlöst werden
ganz von des Teufels Reich; oder, so es dir besser gefällt, noch länger in
diesem Elend uns zu lassen, so gib uns deine Gnade, dass wir dein Reich in uns
mögen anfangen und ohne Unterlass vermehren, dem Teufel sein Reich hindern und
zerstören.
65. Es sind zwei
große Irrtümer in dieser Welt. Der erste: Die hin und her laufen, dass sie
fromm werden, zu Gottesreich zukommen um selig zu werden, einer nach Rom, der
andere zu den Heiligen, einer baut eine Kirche, der eine stiftet dies, der
dass; aber zu dem rechten Punkt wollen sie nicht greifen, das ist, dass sie
inwendig sich selbst Gott zu eigen geben und sein Reich würden; und viel
solcher äußerlichen Werke, und scheinen dabei schön; bleiben aber inwendig voll
böser Tücke, Zorn, Haß, Hoffart, ungeduldig, unkeusch. Wider diese spricht
Christus, da er gefragt wurde, wann das Reich Gottes käme (Lukas 17,20.21.):
„das Reich Gottes kommt nicht mit einem äußerlichen Gebärde oder Schein. Man
wird auch nicht sagen: Siehe da, oder da ist es. Nehmet war, das Reich Gottes
ist in euch inwendig“, wie er auch bei Matthäus 24,23 folgende sagt: „Und so
man euch wird sagen: Siehe hier oder da ist es; so sollt ihr es nicht glauben.
Denn es sind viele falsche Propheten“. Als spräche er: wollt ihr das Reich Gottes
wissen, so dürft ihr es nicht weit suchen, noch über Land laufen. Es ist nahe
bei dir, so du willst. Denn Zucht, Demut, Wahrheit, Keuschheit und alle Tugend
(das ist, das wahre Reich Gottes) mag es niemand über Land oder über das Meer
holen, sondern es muss im Herzen aufgehen.
66. Darum beten
wir nicht so: Lieber Vater, lass uns kommen zu deinem Reich, als sollten wir
danach laufen, sondern: „Dein Reich komme zu uns“. Denn Gottes Gnaden und sein
Reich, mit allen Tugenden, muss zu uns kommen, sollen wir es bekommen, wir
mögen nie zu ihm kommen; gleichwie Christus zu uns vom Himmel auf die Erde
gekommen ist, und nicht wir von der Erde zu ihm in den Himmel gestiegen sind.
67. Der andere
Irrtum, dass viele sind, die dies Gebet sprechen, allein Sorge haben, dass sie
nur selig werden, und verstehen durch das Reich Gottes nichts anderes, denn
Freude und Lust im Himmel, wie sie denn aus fleischlicher Gesinnung denken
mögen, und werden dadurch gedrungen, dass sie die Hölle fürchten, und also nur
das ihre und ihren eigenen Nutz im Himmel suchen.
68. Diese wissen
nicht, dass Gottes Reich nichts anderes ist, denn fromm, züchtig, rein, milde,
sanft, gütig und aller Tugend und Gnaden voll sein, also, dass Gott das Seine
in uns habe, und er allein in uns ist, lebe und regiere. Dieses sollte man am
höchsten und ersten begehren. Denn das heißt selig sein, wenn Gott in uns
regiert, und wir sein Reich sind. Die Freude aber und Lust und alles andere,
dass man begehren mag, bedürfte man nicht suchen noch bitten noch begehren,
sondern es wird sich alles von selbst finden und dem Reiche Gottes folgen.
Denn, wie ein guter Wein wenn er getrunken wird, bringt von sich selbst mit,
ungesucht, seine Lust und Freude, und kann nicht verhindert werden, also noch
viel mehr, wenn die Gnaden und Tugenden, (das Reich Gottes) vollkommen werden,
so muss, ohne unser Zutun, natürlich und unverhindert Freude folgen, Friede und
Seligkeit, und alle Lust. Darum, das falsche und eigennützige Auge abzuwenden,
heißt uns Christus nicht die Folge des Reiches, sondern das Reich Gottes selber
bitten und suchen. Jene aber suchen das Hinterste und das Letzte zum ersten,
und das Erste achten sie nicht, aber achten es allein um des Letzten willen.
Darum werden sie keines bekommen; sie wollen den Vorgang nicht recht, so wird
ihnen die Folge auch nicht.
69. Durch diese
Bitte sollen auch zwei Dinge geübt werden, wie in der vorigen Bitte gesagt
sind, nämlich, sie erniedrigt und erhebt, macht Sünder und fromm. Denn diese
zwei Stücke, Gericht und Gerechtigkeit, wie im Psalm 106,3.: „Selig sind, die
da üben das Gericht und Gerechtigkeit allezeit“. Das Gericht ist nichts
anderes, denn dass ein Mensch sich selbst erkennt, richte und verdamme. Und das
ist wahre Demütigkeit (Selbsterniedrigung). Die Gerechtigkeit ist nichts
anderes, wenn ein Mensch sich selbst so erkennt, und Gnade und Hilfe von Gott
bittet und sucht, durch welches er denn vor Gott erhoben wird.
70. Richten wir
uns selber, und verklagen uns mit unseren eigenen Worten, dass wir Gott
ungehorsam sind, und seinen Willen nicht tun. Denn wäre es anders und besser
mit uns, dass wir Gottes willen täten, so wäre dies Gebet umsonst. Darum ist es
erschreckend zu hören, wenn wir sagen: „Dein Wille geschehe“. Denn was kann
schrecklicher sein, denn dass Gottes Wille nicht geschieht, und man sein Gebot
verachtet, dass wir uns in diesem Gebet selbst erkennen? Denn es muss wahr
sein, dass wir Gottes Willen nicht tun oder getan haben, weil wir hier darum
bitten. Denn vor Gottes Augen hilft es nicht zu heucheln oder spiegelfechten,
sondern, wie man bittet, so muss es auch gründlich wahr sein.
71. Weil wir denn
bis an unser Ende dies Gebet beten müssen, so folgt, dass wir auch bis an unser
Ende schuldig erfunden werden, als die Gottes Willen ungehorsam sind. Wer kann
nun auch fertig sein oder bestehen vor seinem eigenen Gebet, darin er findet,
dass Gott, so er wollte nach der Gerechtigkeit mit ihm handeln, wo wir doch mit
unseren eigenen Mund bekennen und überzeugt werden, als Ungehorsame, jeden
Augenblick verdammen und verwerfen möchte? Also wirft dies Gebet eine
gründliche Demütigkeit und Furcht Gottes und seines Urteils, dass der Mensch froh
wird, dass er Gottes Gericht entfliehen, und aus lauter Gnaden und
Barmherzigkeit erhalten bleibt. Das heißt sich selbst gerichtet, und das
Gericht geübt vor Gottes Augen, sich gründlich erkennen und beklagen, wie denn
dieses Gebet beweist.
72. Die
Gerechtigkeit ist, wenn wir uns so selbst gerichtet und erkannt haben, dass wir
dann nicht vor dem Gerichte Gottes verzagen, dessen wir uns schuldig finden
durch die Worte dieses Gebetes, sondern zu Gottes Gnade Zuflucht haben, und auf
ihn fest Vertrauen und bitten, er möchte uns von dem Ungehorsam erlösen und
dem, dass wir seinen Willen nicht tun.
73. Denn der ist
gerecht vor Gott, der seinen Ungehorsam und Sünde, auch das verdiente Urteil,
demütig bekennt und darüber von Herzen um Gnade bittet und nicht daran
zweifelt, dass sie ihm gegeben werde. So lehrt der Apostel (Römer. Einst, 17.
Galater 3,11.), dass ein gerechter Mensch durch nichts anderes bestehen kann
als durch seinen Glauben und sein Vertrauen auf Gott, und nicht auf seine
Werke, sondern auf die bloße Barmherzigkeit Gottes sein Trost und seine
Zuversicht sind.
74. Bedenke, was
dieses Gebet von diesem vergänglichen, elenden Leben hält, dass es nichts
anderes ist, denn ein Ungehorsam gegen den göttlichen Willen, und somit ein
gewisser Zustand der ewigen Verdammnis, nur damit erhalten wird, dass wir dies
erkennen, beklagen und von Herzen darum bitten.
75. Ohne Zweifel
ist das Geschehen von Gotteswillen nichts anderes als das halten seiner Gebote.
Denn durch seine Gebote hat er uns seinen Willen gezeigt.
76. Hier muss man
nun wissen, was Gottes Gebote sind, und muss sie verstehen; das zu sagen ist
eine weitläufige Sache. Auf das kürzeste gesagt, handelt es sich um nichts
anderes, als das wir den alten Adam in uns töten, wie uns der heilige Apostel
an vielen Stellen lehrt. Der alte Adam ist nichts anderes als das was wir in
uns finden: böse Neigung zum Zorn, Hass, Unkeuschheit, Geiz, Ehrsucht, Hoffart
und dergleichen. Denn solche bösen Stücke und Unarten sind uns von Adam her
vererbt und von Mutterleibe angeboren. Aus ihnen folgen böse Werke aller Art:
Töten, Ehebrechen, Rauben und dergleichen Übertretungen von Gottesgebot und so
geschieht durch Ungehorsam Gottes Wille nicht.
77. Durch uns
selber: wenn wir unsere böse Neigung unterdrücken und hemmen, mit Fasten,
Wachen, Beten, Arbeiten die Unkeuschheit niederzwingen, mit Almosen und
freundlichen Diensten unseren Feinden gegenüber den Haß und Unwillen zähmen und
kurz, in allen Stücken unseren eigenen Willen brechen. Denn wenn ein Mensch
keinen Meister und Lehrer hat, so muss er sich das als Lehre einprägen und
einüben, dass er sich selbst prüft, worauf sein Wille gerichtet ist, dass tut
er, und wozu er keine Lust hat, dass tut er nicht; aber er soll seinem eigenen
Willen entgegen handeln. Denn davon muss er ohne Einschränkung überzeugt sein,
dass sein eigener Wille niemals gut ist, mag er so schön aussehen wie er meint,
außer er wird dazu gezwungen. Besser ist aber es geschieht nicht durch Zwang.
Denn wie gesagt, wenn ein guter Wille in uns wäre, so hätten wir diese Bitte
nicht nötig.
78. Und so soll
ein Mensch sich selbst üben, dass er ein Überwinder seines eigenen Willens
wird, er soll dabei niemals unsicher sein, denn wenn er findet, dass nur ein
Wille, und nicht zwei Willen gegen einander in ihm sind, und sich dann daran
gewöhnen, dem Überwillen zu folgen gegen seinen Willen. Denn wer seinen Willen
hat und tut, der ist gewisslich wider Gottes Willen. Nun gibt es nichts, was
den Menschen so überaus lieb und schwer zu lassen ist als sein eigener Wille.
Viele tun große gute Werke, aber ihren Willen und allen ihren Neigungen leisten
sie ganz Folge; und dennoch meinen Sie, sie sind recht daran und tun nichts
Übles! Sie sind nämlich überzeugt, ihr eigener Wille sei gut und richtig, und
sie hätten diese Bitte überhaupt nicht nötig; sie sind auch ohne alle Furcht
vor Gott.
79. Durch andere
Menschen, die gegen uns sind, anfechten, Unruhe machen, und uns in allem
unserem Willen widerstreben, auch in guten, geistlichen Werken, und nicht
allein in zeitlichen Gütern, als die, die unser Beten, Fasten, unsere guten
Werke verdächtigen, für Narrheit halten und kurz, uns in keiner Sache im
Frieden lassen. O, das ist ein unschätzbares, köstliches Ding; solche Anfechter
sollte man mit allem Gut kaufen. Denn die sind es, die diese Bitte bei uns in
das Werk bringen, durch sie bricht Gott unseren Willen, damit sein Wille
geschehe. Darum sagt Christus Matthäus 5,25:" Du sollst deinem Widersacher
auf dem Wege einig werden“, das heißt wir sollen unseren eigenen Willen fahren
lassen und des Widersachers Willen rechthaben lassen. So wird unser Wille
gebrochen; im brechen unseres Willens aber geschieht Gottes Wille. Denn ihm
gefällt es wohl, wenn unser Wille verhindert und zunichte wird. Wenn dich also
jemand verdächtigt und dich zum Narren machen will, sollst du nicht
widerstreben, sondern Ja dazu sagen und sollst bei dir selbst das für recht
ansehen, denn es ist auch recht vor Gott. Will er dir etwas nehmen und Schaden
zufügen, so sollst du es fahren lassen, es geschehe dir recht daran; denn ohne
Zweifel ist es recht vor Gott. Auch wenn der Betreffende Unrecht tut, so
geschieht dir doch kein Unrecht. Denn es gehört alles Gott; der kann es durch
einen Bösen oder durch einen Guten nehmen. Da soll dein Willen nicht
widerstreben, sondern sagen " Dein Wille geschehe“. Genau so gilt das bei
allen anderen Dingen, leiblichen und geistlichen; " wer dir den Rock
nimmt, dem gib den Mantel dazu" sagt Christus in Matthäus 5,40.
80. Sprichst du
aber nun: Heißt das Gottes Wille geschehe, wer kann dann selig werden? Wer kann
dieses hohe Gebot halten, dass er alle Dinge läßt, und in keinem seinen Willen
hat? Antworte ich: Darum lerne, wie groß und nötig, und mit was für einen Ernst
und mit einem Herzen dies Gebet gebetet sein will, und wie groß es ist, dass
unser Wille getötet werde, allein Gottes Wille geschehe. So musst du dich hier
als ein Sünder bekennen, der den Willen Gottes nicht leisten kann, und um Hilfe
und Gnade bitten, dass es dir Gott vergebe, was du zu wenig tust, und dir
helfe, dass du es tun möchtest. Denn es muss notwendig sein, soll Gottes Wille
geschehen, so muss unser untergehen; denn sie sind wider einander. Das merke an
Christus unseren Herrn, da er im Garten seinen himmlischen Vater bat, dass er
den Kelch von ihm nehmen möchte; dennoch sagte er (Lukas 22,42.): „nicht mein,
sondern dein Wille geschehe“. Musste Christi Wille aufhören, der doch ohne
Zweifel gut, ja, der Allerbeste immer gewesen ist, auf das göttlicher Wille
geschehe, was wollen denn wir armen Würmer mit unserem Willen protzen, der doch
nie frei von Bösem ist und es immer verdient, verhindert zu werden?
81. Um das so
verstehen, merke, dass auf zweierlei Weise unser Wille böse ist. Erstens
offenkundig, ohne frommen Schein. So, dass wir einen Willen haben und geneigt
sind, etwas zu tun, was von jedermann als Böse angesehen wird, wie zürnen,
lügen, trügen, dem Nächsten schaden, unkeusch sein und dergleichen. Welcher
Wille und Neigung in einem jeglichen sich findet, besonders wenn er gereizt
wird. Gegen diesen Willen muss man bitten, dass Gottes Wille geschehe; der will
Frieden, Wahrheit, Reinheit, Gütigkeit haben. Zum anderen, heimlich und unter
einem guten Schein, wie bei Johannes und Jakobus (Lukas 9,54 folgende). Sie
sprachen gegen die Samariter die Christus nicht einlassen wollten: „Herr,
willst du, so wollen wir gebieten, dass das Feuer vom Himmel falle und sie
verbrenne“. Und er antwortete: „wisset ihr nicht, welches Geistes Kinder ihr
seid? Des Menschensohn ist nicht gekommen, die Seelen zu verderben, sondern zu
erlösen“.
82. Von dieser
Art sind alle, die Ehre (Ansehen) und Gerechtigkeit oder Torheit, die ihnen
selbst oder anderen widerfährt, mit dem Kopf durch die Wand wollen, was sie
sich vornehmen, soll gerade so zugehen. Sie fangen an und klagen: „ach, ich
meinte es doch so gut, ach, dass der ganzen Stadt geholfen werde, aber der
Teufel will es nicht leiden“. Sie meinen, sie sind verpflichtet und täten recht
daran, wenn sie zürnen und voll schlechter Laune werden, sich und andere Leute
dadurch in Unfrieden bringen und sofort Alarm schlagen, weil ihr guter Wille
verhindert worden ist. Würden sie es bei Licht betrachten, so würden sie
finden, dass es bloßer Schein gewesen ist, und dass sie in dem " guten
Willen " nichts anderes als ihren eigenen Nutzen oder Ehre oder wenigstens
ihren eigenen Willen und Gutdünken gesucht haben. Denn wenn ein " guter Wille
" wirklich gut ist, kann er unmöglich zornig oder unverträglich werden,
wenn man ihn verhindert.
83. Achte darauf:
Es ist ein sicheres Zeichen für einen bösen Willen, wenn er es nicht ertragen
kann, dass man ihn verhindert. Gerade die Unfähigkeit, sich etwas gefallen
zulassen, ist die Frucht, an der du nur scheinbaren, falschen, tückischen
" guten Willen " erkennen sollst. Denn wenn ein Wille, der von Grund
aus gut ist, verhindert wird, so spricht er: „Ach Gott, ich meinte, so sollte
es gut sein. Soll es aber nicht sein, so bin ich zufrieden; es geschehe dein
Wille“. Denn wo man keinen Frieden hält und sich nichts gefallen lassen kann,
da ist nichts Gutes, es scheine so gut als es will oder mag.
84. Außer diesen
zwei bösen Willen gibt es einen rechtschaffenen guten Willen, der auch nicht
geschehen darf. Von dieser Art war der Wille Davids, als er Gott einen Tempel
bauen wollte. Gott lobte ihn zwar dafür, wollte aber doch nicht, dass es
geschehe (2.Samuel 7,2 folgende). Von gleicher Art war der Wille Christus im
Garten, als er den Kelch von sich wies (Lukas 22,42), und doch musste dieser
gute Wille unterbleiben. Wenn du also die ganze Welt bekehren, Tote
auferwecken, dich und jedermann in den Himmel führen und alle Wunder verrichten
könntest, so dürftest du nichts von allem diesem wollen, ohne dass du nicht dem
Willen Gottes den Vorzug gegeben hättest. Du müsstest zuvor diesen deinen
Willen verwerfen und zunichte machen und sagen: „Mein lieber Gott, dies und das
denke ich ist gut; gefällt es dir, so geschehe es; gefällt es dir nicht, so
möge es unterbleiben“.
85. Und diesen
guten Willen bricht Gott sehr oft seinen Heiligen, damit nicht unter dem Schein
des Guten der falsche, tückische und böse " gute Wille " einreißt;
auch dass man dazu lernt, dass unser Wille, mag er auch noch so gut sein, viel
geringer ist als Gottes Wille. Darum soll ein Geringer " guter Wille
" nachgeben oder wenigstens sich unterwerfen gegenüber dem unermesslichen
guten Willen Gottes. Zum dritten soll der " gute Wille " auch darum
in uns verhindert werden, damit er gebessert werde; denn gewiss hindert Gott
einen guten Willen allein dazu, dass er besser werde. Er wird aber dann besser,
wenn er dem göttlichen Willen, durch den er verhindert wird, untertänig nicht
ungleichartig wird. Das nun solange geht, bis der Mensch ganz gelassen, frei
und willenlos wird und von nichts mehr weiß als auf Gottes Willen zu warten.
86. Siehe, dass
heißt wahrer Gehorsam, wie er leider zu unseren Zeiten ganz unbekannt geworden
ist. Nun kommen die unnützen Schwätzer daher, die die ganze Christenheit mit
ihrem Gerede erfüllt und mit ihren Lehren die armen Leute verführt haben, und
schreien laut von der Kanzel herunter, wie man einen guten Willen, gute
Absicht, guten Vorsatz haben und fassen soll; wenn dann dieser gefasst ist,
dann sei man sicher und alles, was man tue, sei dann recht. Mit dieser Lehre
schaffen sie nichts weiter als eigenwillige, eigensinnige Menschen, freche und
selbstsichere Geister, die immer gegen Gottes Willen kämpfen und ihren eigenen
Willen nicht brechen und unterwerfen. Glauben Sie doch, jede Absicht ist gut
und müsse sich durchsetzen, und was ihnen widerstrebt, das ist vom Teufel und
nicht von Gott. Sieh, so entstehen die Wölfe unter den Schafskleidern (Matthäus
7,15) und daher kommen sie, die hoffärtigen Heiligen, die aller gefährlichsten
Menschen auf Erden. Daher kommt es, dass ein Bischof gegen den anderen, dass
eine Kirche gegen die andere, das Geistliche, Mönche, Nonnen gegeneinander
kämpfen, streiten und das an allen Orten Unfriede ist; und dabei sagt doch
jeder Partei, sie habe einen guten Willen, rechte Absicht, göttlichen Vorsatz.
So treiben sie zum Lob und zur Ehre Gottes lauter teuflische Werke.
87. Man sollte
sie aber recht lehren, dass sie einen gottesfürchtigen Willen haben, und auf
ihren eigenen Willen und Absicht kein Vertrauen setzen; ja, sie sollen die
verfluchte Vermessenheit weit von sich werfen, von der sie meinen, sie könnten
einen guten Willen oder Absicht haben oder fassen. Denn man soll ohne Vorbehalt
die Hoffnung fahren lassen, dass jemand einen guten Willen, eine gute Absicht,
einen guten Vorsatz haben oder fassen könne. Denn wie oben gesagt: Es ist
überhaupt erst dort ein guter Wille, wo kein Willen mehr ist; denn wo kein
Wille mehr ist, da ist allein Gottes Wille, der der allerbeste ist. Darum
wissen solche Schreier viel darüber zusagen, was ein böser oder ein guter Wille
ist; sie kommen frech daher und bringen es dahin, dass wir mit dem Mund
sprechen: „Dein Wille geschehe“, mit dem Herzen aber: „Mein Wille geschehe“,
womit wir Gott und uns selbst verspotten.
88. So spricht
man: Ei, hat uns doch Gott einen freien Willen gegeben. Antwort: Ja, freilich
hat er dir einen freien Willen gegeben; warum willst du ihn denn zu deinem
einem eigenen Willen machen, und lässt ihn nicht frei bleiben? Wenn du damit
tust, was du willst, so ist er nicht frei, sondern dein eigen. Gott aber hat
dir, noch niemand einen eigenen Willen gegeben; denn der eigene Wille kommt vom
Teufel und Adam, die haben ihren freien Willen, von Gott empfangen, sich selbst
zu eigen gemacht. Denn ein freier Wille ist, der nichts Eigenes will, sondern
allein auf Gottes Willen schaut, dadurch er denn auch frei bleibt, an nichts
hängt und klebt.
89. Nun merkst
du, dass Gott in diesem Gebet uns sagt das wir gegen uns selbst bitten, dabei
lehrt er uns, dass wir keinen größeren Feind haben, denn als uns selbst. Denn
unser Wille ist das Größte in uns, und wieder diesen müssen wir bitten: O
Vater, lass mich nicht dahin geraten, dass es nach meinem Willen geht. Also ist
es ja auch im Himmel: da gibt es keinen eigenen Willen; das soll auch auf der
Erde so sein. Solches Beten oder Geschehen tut der Natur sehr weh. Denn der
eigene Wille ist das allertiefste und größte Übel in uns, und dabei ist uns
doch nichts lieber als unser eigener Wille.
90. Darum wird in
diesem Gebet nichts anderes gesucht, denn das Kreuz, Marter, Widerwärtigkeit
und allerlei Leiden, dass dazu dient den eigenen Willen zu zerstören. Wenn es
nun die eigenwilligen Menschen recht bedenken, wie sie damit gegen allen ihren
eigenen Willen bitten, so würden sie dieser Bitte feind werden oder wenigstens
davor erschrecken.
91. Nun lasst uns
diese drei ersten Bitten zusammenfassen! Das Erste ist, dass Gottes Name geehrt
werde und seine Lehre und sein Lob in uns sei. Dazu kann aber niemand kommen,
wenn er nicht rechtschaffen und im Reich Gottes ist; denn die Toten und Sünder
können Gott nicht loben, wie David sagt (Psalm 6,6). Nun kann niemand
rechtschaffen sein, wenn er nicht von den Sünden los ist; von den Sünden wird
man los, wenn unser Wille entwurzelt wird und allein Gottes Wille in uns ist.
Denn wenn der Wille, das Haupt und das oberste aller Glieder ist, nicht mehr
unser eigen und damit nicht mehr böse ist, so sind auch alle Glieder nicht
unser eigen und böse. Darum greift dies Gebet die Bosheit bei dem Kopf, dass
heißt nicht bei der Hand oder am Fuß, sondern bei unserem Willen, der das Haupt
der Bosheit ist.
92. Bisher haben
wir das Wort " dein, dein " gebraucht. Von jetzt an sagen wir"
unser, unser“, " uns " usw. Dafür wollen wir einen Grund finden. Wenn
uns Gott in den ersten drei Bitten erhört und seinen Namen in uns heiligt, so
versetzte er uns in sein Reich und gießt seine Gnade in uns, die fängt dann an
uns fromm zu machen. Diese Gnade fängt dann bald an, Gottes Willen zu tun;
dabei findet sie einen Adam, der widerspenstig ist; in diesem Sinne klagt auch
Paulus Römer 7,19, er tue nicht gern, was er gern wollte. Denn der Eigenwille,
der uns von Adam her angeboren ist, leistet mit allen Gliedern zusammen der
guten Neigung Widerstand, da schreit dann die Gnade zu Gott gegen diesen Adam,
und spricht: „Dein Wille geschehe“. Denn der Mensch findet sich mit sich selbst
schwer belastet.
93. Wenn dann Gott
das Geschrei hört, so will er seiner lieben Gnade zu Hilfe kommen und sein
angefangenes Reich mehren; und so tritt er dem Hauptbösewicht, dem alten Adam,
mit Ernst und Gewalt entgegen, fügt ihm alles Unglück zu, zerbricht ihm all
sein Vorhaben und blendet und schändet ihnen ringsum. Das geschieht, in dem er
uns Leiden und Widerwärtigkeit aller Art zusendet, und dazu müssen böse Zungen
und böse, untreue Menschen dienen, und wenn die Menschen nicht genügen, auch
noch die Teufel. Das geschieht, damit ja unser Wille samt allen seinen bösen
Neigungen erwürgt werde und der Wille Gottes so geschehe, dass die Gnade das
Reich besitzt und nicht zurückbleibt als Gottes Lob und Ehre.
94. Wenn nun
dieses in solcher Weise geschieht, so ist der Mensch in großen Ängsten. Er
denkt an nichts so wenig wie daran, dass dieser Zustand einen " Geschehen
von Gotteswillen " heißt; er meint vielmehr, er ist verlassen und den
Teufeln und bösen Menschen übergeben, als wäre kein Gott mehr im Himmel, der
ihn kennen und hören will. Da ist dann der rechte Hunger und Durst der Seele
vorhanden, da sehnt sie sich nach Trost und Hilfe; und zwar ist dieser Hunger
sehr viel schwerer als der leibliche. Und da beginnt nun das " Unser“,
dass wir nach dem Begehren, was uns Not tut und sprechen: „Unser täglich Brot
gib uns heute“.
95. Gott hat uns
auf Erden viel Unglück zuteil werden lassen und dabei keinen anderen Trost als
sein heiliges Wort gegeben. So hat es uns hier Christus in Aussicht gestellt
(Joh 16,33): „in der Welt werdet ihr Angst haben, in mir aber den Frieden“. Wer
sich deshalb dahin begeben will, dass Gottes Reich zu ihm kommt, und Gottes
Wille geschehe, der soll nicht viel Vorbehalte machen und keine Ausflüchte
suchen; denn es wird nichts anderes werden als dass Gottes Wille dann
geschieht, wenn dein Wille nicht geschieht. Das heißt je mehr du
Widerwärtigkeiten erfährst, desto mehr geschieht Gottes Wille, vor allem im
Sterben. Es ist schon beschlossene Sache und niemand wird es ändern, dass in
der Welt Unfriede, in Christus unser Friede ist.
96. Die Bösen,
die weit abfallen von der Gnade und dem Reich Gottes was bei ihnen angefangen,
verstehen Gottes willen nicht, sie wissen auch nicht, wozu solche Anfechtungen
sind, und wissen auch nicht, wie sie sich darin verhalten sollen. Darum kehren
sie wieder zu ihrem eigenem Willen zurück und werfen die Gnade wieder weg,
genau wie ein schlechter Magen, welcher die Speise nicht vertragen kann. Die
einen verfallen in Ungeduld, Schimpfen, Fluchen, Lästern und werden ganz
wütend, die anderen laufen hin und her und suchen bei den Menschen Trost und
Rat, um nur ihr Unglück los zu werden und ihre Widersacher zu überwinden und zu
unterdrücken; Kurz, sie wollen ihrer eigenen Helfer und Erlöser sein nicht
warten, bis Gott sie vom Kreuz erlöst. Diese alle fügen sich selbst unsagbaren
Schaden zu: Gott hatte sie angepackt, ihren Willen zu töten und das Reich
seiner Gnade in ihnen zu bauen, um seines Namens Ruhm und Ehre in ihnen zur
Geltung zu bringen und seinen Willen dazu haben, sie aber wollen seine
göttliche heilende Hand nicht ertragen, fallen zurück, und halten ihren eigenen
Willen, den alten Bösewicht, fest, ja, den Juden gleich, lassen sie den
Übeltäter Barrabas und töten die Gnade Gottes, den unschuldigen Sohn Gottes,
der in ihnen zu wachsen anfing. In diesem Sinne sagt Psalm 106,13 von ihnen:
„Sie wollten nicht leiden, was Gott mit ihnen zu tun gedachte“.
97. Die Frommen
dagegen sind weise; sie verstehen wohl, wozu der göttliche Wille dass heißt das
Unglück aller Art gut ist, und wissen auch wohl, wie sie ihm begegnen und sich
darin verhalten sollen. Wissen Sie doch: noch nie ist ein Feind von einem
Flüchtigen verjagt worden; darum kann auch kein Leiden oder Anfechtung oder Tod
dadurch überwunden werden, dass man es nicht ertragen will, davor flieht und
Trost sucht, sondern allein dadurch, dass man fest stillsteht und ausharrt, ja
dem Unglück und Tod frisch entgegen geht. Denn das Sprichwort ist wahr: „Wer
sich vor der Hölle fürchtet, der fährt hinein“; genau so gilt: Wer sich vor dem
Tode fürchtet, den verschlingt der Tod ewiglich. Wer sich vor dem Leiden
fürchtet, der wird davon überwunden. Furcht schafft nichts Gutes; darum muss
man in diesen Sachen immer kühn und keck sein und fest stehen.
98. Das lehrt
dies Gebet, wo du Trost suchen sollst, um bei solchem Unfrieden Frieden zu
schaffen. Du sollst sprechen: „O Vater, gib uns unser täglich Brot! " Dass
heißt: „O Vater, tröste und stärke mich leidenden armen Menschen mit deinem
göttlichen Wort. Ich vermag deine Hand nicht zu ertragen, und doch wird es mir
zur Verdammnis, wenn ich sie nicht ertrage. Darum stärke mich, mein Vater, dass
ich nicht verzage“. So will es Gott: wir sollen unter seinem Willen d. h. in
unserem Leiden nirgends anders hinlaufen oder hinsehen als zu ihm. Dabei sollen
wir nicht begehren, dass wir davon loswerden (denn das wäre ein Schaden und ein
Hindernis für den Willen Gottes und unseren eigenen Nutzen), sondern dass wir
dazu gestärkt werden, diesen Willen bis zum Ende zu ertragen. Denn es ist wahr:
niemand bringt es fertig ohne Furcht zu Leiden oder (je nachdem Gott es haben
will) zu sterben, wenn er nicht dazu gestärkt wird; dazu zu stärken vermag aber
nichts Geschaffenes, vielmehr macht alles Geschaffene und vor allem der Mensch
eher matt, haltlos und weich, wenn man dort Trost und Stärkung sucht. Darum
muss allein das Wort Gottes, " unser täglich Brot“, uns stärken. In diesem
Sinne heißt es bei Jesaja (50,4): „Gott hat mir eine weise Zunge gegeben, dass
ich alle stärken kann, die müde sind“, und bei Matthäus (11,28): „Kommet alle
zu mehr her, die ihr geängstet und beschwert seid; ich will euch erquicken“;
und bei David Psalm 119,28: „Herr, stärke mich mit deinem Wort " und Psalm
130,5:" Meine Seele hat sich an seine Worte gehalten“. Und von dieser
Lehre ist die ganze Schrift voll, voll, voll.
99.Es kommt auf
zweierlei Weise. Erstens durch einen Menschen, wenn Gott durch einen Prediger
in der Kirche oder sonst durch ein tröstliches Wort sich hören lässt, dass ihn
stärkt, so dass er im Herzen fühlt (2. Timotheus 2,1.) " Ermanne dich und
sei keck“. Denn wenn das Wort Gottes recht kommt, so erschallt es im Herzen
gewiss in solch einer Weise. Deshalb sollte man die Weiber das weibliche
Geschwätz von den Kranken und sterbenden Menschen weit weg treiben, wenn sie
sagen: „Lieber Mann es hat noch keine Not; ihr werdet wohl wieder gesund,
glücklich und reich“. Mit solchen Worten macht man die Herzen furchtsam, weich
und haltlos, dagegen steht vom Wort Gottes geschrieben (Psalm 104,15): „das
Brot stärke des Menschen Herz“. Darum würde ich erwidern: „Liebe Frau, fresst
euren faulen Brei selbst. Ich warte auf das tägliche Brot, dass es mich stärke“.
In diesem Sinne sollte man die Kranken nur frisch zum Tode stärken die
leidenden nur zu mehr - Leiden ermuntern; und würden sie sagen, sie könnten es
nicht, so halte man ihnen dieses Gebet vor, damit sie Gott darum bitten, denn
er will darum gebeten sein.
100. Zweitens
kommt dass Wort durch sich selbst; z. B. wenn Gott einem leidenden Menschen
sein Wort eingießt, damit er stark wird, alles zu tragen; denn Gottes Wort ist
allmächtig (Römer 1,16.).
101. Antwort: Das
vermag niemand bestimmt festzulegen; denn wie die Gebrechen und Leiden so
vielfältig sind, so sind auch die Worte Gottes vielfältig. Denn den Furchtsamen
muss man ein anderes Wort sagen als den Hartnäckigen; diese muss man schrecken,
jene muss man stärken. Weil wir aber jetzt von denen reden in welchen Gottes
Willen geschieht, d. h. von denen, die in Leiden und Nöten sind, so muss man
die Worte nehmen, die stärken, wie Paulus es im Hebräer 12 tut. Aber weil es
nicht in der Macht des Menschen steht, das Wort Gottes fruchtbringend zu reden
oder zu treffen, sondern weil das allein in Gottes Hand steht, darum ist es
nötig, dass wir darum bitten, er möchte uns das heilige Wort selbst geben durch
sich oder durch einen Menschen.
102. Nun ist es
wahr: wer noch nie im Leiden versucht worden ist und die Kraft des Wortes (wie
mächtig es zu stärken vermag) nicht erfahren hat, der versteht auch gar nichts
von dem, was diese Bitte begehrt. Es kann ihm auch nicht schmecken; denn er hat
nur den Trost und die Hilfe kennen gelernt und geschmeckt, die von Geschöpfen
oder von ihm selbst kommen, und hat noch nie etwas durchlitten noch ist je
trostlos geworden.
Nun wollen wir
ein Wort nach dem anderen vornehmen um den gründlichen Verstand dieser Bitte zu
suchen; denn es ist eine tiefe Bitte.
103. Das drückt
aus, dass wir nicht in erster Linie um das gewöhnliche Brot bitten, dass auch
die Heiligen essen und das Gott allen Menschen ungebeten gibt, sondern um
" unser " Brot. Denn wir sind Kinder des himmlischen Vaters und
bitten darum nicht wie von einem irdischen, sondern wie von einem himmlischen,
geistlichen Vater, nicht um ein irdisches, sondern um ein himmlisches,
geistliches Brot, dass " unser " ist und uns als Himmels Kinder
zugehört und nötig ist. Anders wäre es nicht nötig gewesen, " unser
täglich Brot" sagen; denn das leibliche Brot wäre genug bezeichnet mit dem
Wort: „Das tägliche Brot gib uns heute“. Aber Gott will seine Kinder lehren,
mehr für die Speise der Seele zu sorgen; ja verbietet ihnen (Matthäus 6,25), um
das zu sorgen, was sie leiblich essen oder trinken.
104. Das Wort
" täglich " heißt in griechischer Sprache epuison. Das hat man auf
viele Art und Weise ausgelegt. Einige sagen es bedeutet ein "
übernatürliches " Brot, einige ein " auserwähltes " und "
besonderes " Brot, einige (der hebräischen Sprache nach) ein "
Morgenbrot (nicht in dem Sinn, wie wir Deutschen von einem Morgen- und Abendbrot
reden, sondern ein " Morgenbrot“, dass für den anderen Tag bereitet ist.
Diese Vielfalt soll niemand Irre machen, denn es hat alles ein und dieselbe
Bedeutung, wenn man nur die Art und Natur dieses Brotes damit recht ausdrückt.
105. Erstens
bedeutet es ein " übernatürliches " Brot. Denn das Wort Gottes speist
den Menschen nicht in Beziehung auf seinen Leib und seiner Natur in seinem
sterblichen Dasein, sondern es speist ihm zu einem Unsterblichen,
Übernatürlichen, und weit über dieses Dasein hinaus in ein ewiges Dasein
hinein, wie Christus sagt (Johannes 6,51.58): „Wer dieses Brot ist, der wird
ewig Leben“. Darum heißt es so viel als: „Vater, gib uns das übernatürliche,
unsterbliche, ewige Brot“.
106. Zweitens
bedeutet es ein " auserwähltes“, feines, leckeres Brot, da es voller Wonne
und lieblichen Geschmacks ist, wie denn vom Himmelsbrot geschrieben steht
(Weisheit 16,20), dass es jedem so schmeckt, wie er wollte. Somit ist unser
himmlisches Brot sehr viel edler und feiner, leckerer, kraftvoller und
gnadenvoller gegenüber dem natürlichen Brot. Man könnte unter "
auserwähltem " Brot auch das verstehen, dass es besonders, allein den
Gotteskindern angemessen und gegeben ist; das ist nämlich auch die Bedeutung
aus den anderen Sprachen. In diesem Sinne sagt der Apostel Hebräer 13,10, dass
wir einen besonderen Alter haben, von dem niemand essen kann als wir allein,
und das wir somit ein besonderes, eigenes Brot haben.
107.Drittens (auf
Hebräisch) das " Morgenbrot“. Nun hat die hebräischer Sprache die
Eigenart, dass man eben das, was wir Deutschen " täglich " heißen,
"morgig " heißt. Im Deutschen bedeutet ja " täglich " dass,
was man täglich zur Hand und in Bereitschaft hat, wenn man es auch nicht
ständig gebraucht; so sagt man: „Das oder das muss ich heute oder morgen und
täglich haben, ich weiß nicht, in welcher Stunde ich es brauche; dann muss es
vorhanden sein“. Eben diesen Sinn drückt die hebräischer Sprache durch das Wort
aus; so sagt Jakob zu Laban (1.Mose 30,33): „heute oder morgen oder wann es
dazukommt, wird meine Gerechtigkeit für mich Antwort und Genugtuung geben“.
108. So ist nun
das gemeint, dass wir bitten. Gott wolle uns das übernatürliche, unser
besonderes, eigenes, tägliches Brot geben; " täglich " in dem Sinn,
dass wir es zur Hand und im Vorrat haben und uns damit stärken können, wenn die
Nöte und Leiden hereinbrechen (worauf wir täglich gefasst sein müssen). Sonst
werden wir überrascht und, weil es uns fehlt, verzagen wir, verderben und
sterben ewig.
109. Hierbei
merke, wir Christen sollen reich sein und einen großen Vorrat von diesem Brot
haben; wir sollten so geübt und gelehrt sein, dass wir das Wort Gottes täglich
in allen Anfechtungen zur Hand und bereit haben, um uns selbst und andere Leute
damit zu stärken, wie wir es in den Episteln und den lieben heiligen Vätern
sehen, was sie getan haben. Aber es ist unsere Schuld, wir bitten Gott nicht
darum, und deshalb haben wir auch nichts. Darum müssen wir auch unkundige
Bischöfe, Priester und Mönche haben, die uns nichts geben können; wir leben
weiter und machen das Übel noch ärger und hassen, verdächtigen und verachten
sie. Sieh, dahin führt uns Gottes Zorn. Darum sollte man diese Bitte recht
bedenken; denn darin lehrt uns Gott, für alle geistlichen Vorgesetzten bitten,
besonders für die, die das Wort Gottes uns geben sollen. Wird es ihnen doch
nicht gegeben, wenn wir dessen nicht würdig sind und Gott darum bitten. Wenn du
darum unkundige und untaugliche Bischöfe, Priester und Mönche siehst, so sollst
du nicht fluchen, richten oder verdächtigen, sondern selbst in ihnen nichts
anderes sehen als eine grauenhafte Plage Gottes, womit er dich und uns alle
straft, weil wir das Vater Unser nicht gebetet und bei Gott nicht um unser
tägliches Brot gesucht haben. Denn wenn wir das Vater Unser und die Bitte um
unser täglich Brot recht beteten, so würde uns Gott wohl erhören und uns fein
taugliche, kundige geistliche Vorgesetzte geben. Die Schuld ist vielmehr auf
unserer, als auf ihrer Seite. Aber nun findet man Menschen, die Gott so sehr
plagt und verstockt, dass sie in der unkundigen Priesterschaft nicht bloß
allein eine Plage Gottes erkennen, sondern auch noch ein Vergnügen daran haben,
sie zu verachten, sie treiben mit dieser gewaltigen Gottesplage ihren Spott,
während sie doch blutige Tränen darüber weinen sollten (wenn sie es könnten),
dass Gott uns eine solche ernste schwere Plage zufügt.
110.Denn das
sollst du wissen, dass Gott die Welt noch nie schwerer gestraft hat als mit
blinden, unkundigen Leitern; durch sie muss das Wort Gottes, und damit unser
Brot, ausbleiben und müssen wir verderben. Lass Türken Türken sein; diese Plage
ist größer! Weh uns, dass wir Sie nicht erkennen und um Änderung bitten!
Umgekehrt ist Gott der Welt nie gnädiger gewesen, als wenn er kundige und
einsichtige geistliche Vorgesetzte gegeben hat, durch die sein Wort in großem
Vorrat und in täglichem Gebrauch gebracht worden ist. Denn die Christenheit und
jede einzelne Christenseele ist eben und durch das Wort Gottes geboren! Darum
muss sie auch eben durch dieses ernährt, erhalten und beschützt werden. Sonst
muss sie viel kläglicher verderben, als der Leib verderbt, wenn er seinen Brot
nicht bekommt.
112. Das heilige
Wort Gottes hat viele Namen in der Schrift wegen seiner unzähligen
Eigenschaften und Wirkungen. Denn es ist fürwahr allumfassend und allmächtig.
Es heißt ein geistliches Schwert (Hebräer 4,12), weil man mit ihm wider den
Teufel und alle geistlichen Feinde kämpft. Es heißt ein Licht (Psalm 119, 105),
ein Frühregen und Spätregen (Jakobus 5,7), ein himmlischer Tau (Hos 14,6), Gold
und Silber (Psalm 119,72), Arznei (Sir 38,2), Kleider (Jesaja 61,10), Schmuck
(Hesekiel 16,14) und vieler anderer solcher Worte. Ebenso heißt es auch ein
Brot, weil die Seele davon gespeist, gestärkt, groß und wohl genährt wird. Und
zwar soll man hierunter nicht allein das bloße Brot verstehen; denn in gleicher
Weise, wie die Schrift mit dem leiblichen " Brot " alle möglichen
Speisen des Leibes bezeichnet, wie köstlich sie auch sind, so bezeichnet sie
auch mit dem geistlichen " Brot " alle die Speisen der Seele, die
unzählig sind zu zählen. Denn es gibt mancherlei Seelen auf Erden, und jede hat
nicht immer ein und das gleiche Bedürfnis und ein und dieselbe Fähigkeit; und
doch macht das Wort Gottes alle und jede einzelne nach ihrem Bedürfnis
überschwänglich satt. Denn wären die Speisen aller Könige, die je gewesen sind
und sein mögen, auf einem Haufen beisammen, so könnten sie doch dem geringsten
Worte Gottes nicht von ferne gleichgestellt werden. Darum nennt es der Herr
Christus im Evangelium (Matthäus 22,2 folgende) eine königliche Bewirtung, und
durch Jesaja (Kapitel 25,6.) ein köstlich, erlesen und prächtig Mahl.
113. Das Brot,
das Wort, und die Speise ist niemand, denn Jesus Christus, unser Herr, selbst,
wie er sagt (Johannes 6,51): "
Ich bin des
lebendige Brot, dass vom Himmel herabgestiegen ist, dass es die Welt lebendig
mache“. Darum lasse sich niemand durch Worte oder durch einen Schein irre
machen: alle Predigten und Lehren, die uns nicht Jesus Christus bringen und
vorbilden, die sind nicht das " tägliche Brot " und die Nahrung für
unsere Seele; sie können auch bei keinem einzigen Bedürfnis oder Anfechtung
helfen.
114. Das Brot,
Jesum Christum, kann niemand haben als von ihm selbst, weder durch Studieren
noch durch Hören noch durch Fragen noch durch Suchen. Denn gilt es, Christus zu
erkennen, so sind alle Bücher zu wenig, alle Lehrer zu gering, alle Vernunft zu
stumpf; allein der Vater selbst muss es ihnen offenbaren und uns geben. So sagt
er Johannes 6,44: „Niemand kommt zu mir, wenn ihn nicht der Vater zieht, der
mich gesandt hat“. Ferner Johannes 6,65: „Es kann mich niemand aufnehmen oder
verstehen, wenn es ihm nicht vom Vater gegeben wird. Ferner Johannes 6,45:
„Jeder, der vom Vater über mich hört, der kommt zu mir“. Darum lehrt er uns,
dass wir um dieses heilvolle Brot bitten sollen: Gib uns heute“.
115. 1.
Äußerlich, durch Menschen, z. B. durch die Priester und Lehrer. Und das
geschieht auch wieder auf zweierlei Weise, einmal durch die Worte, zum andern
durch die Sakramente. Davon wäre viel zusagen; sagen wir es kurz: Es ist eine
große Gnade, wo Gott es gibt, dass man Christus predigt und lehrt. So sollte es
natürlich an allen Orten sein: nichts anderes als Predigt von Christus und
Austeilung nur dieses " täglichen Brotes“.
116. Im Sakrament
empfängst man Christus; aber das wäre ganz umsonst, wenn man ihm nicht dazu mit
dem Worte " austeilte " und " anrichtete“. Denn das Wort bringt
Christus ins Volk und macht ihn in ihrem Herzen bekannt; aus dem Sakrament
würden sie das niemals verstehen. Darum ist es ein schweres Unwesen zu unseren
Zeiten, dass man viele Messen hält und es nur mit dem Stiften dieser Messen so
eilig hat, während leider das Wichtigste unterbleibt, nämlich die Predigt;
trotzdem sind zu diesem die Messen eingesetzt, wie Christus sagt und gebietet
(1 Korinther 11,25): „So auf ihr das tut, sollt ihr es tun, um meiner zu
gedenken“. Und wenn man schon Predigt, so handelt zwar die Messen von Christus,
die Predigt aber von irgend einem erdichteten Heiligen. So plagt uns Gott, weil
wir nicht um das tägliche Brot bitten, und so kommt es zuletzt mit dem
hochwürdigen Sakrament dahin dass es nicht nur vergeblich und fruchtlos
gebraucht wird, sondern auch in Verachtung gerät. Denn was hilft es, dass
Christus da ist und uns ein Brot bereitet ist, wenn es uns doch nicht gegeben
wird und wir es nicht genießen können? Das geht gerade so, wie wenn ein
köstliches Mahl zu bereitet wäre niemand wäre da, der das Brot austeilte, die
Speise oder das Getränk einschenkte; dann können sie vom Geruch oder vom
Ansehen satt werden! Darum sollte man allein von Christus predigen, alle Dinge
auf ihn beziehen und in allen Schriften auf ihn hinweisen: wozu er gekommen
ist, was er uns gebracht hat, wie wir an ihn glauben und uns gegen ihn
verhalten sollen; auf das das Volk Christum so durch das Wort fassen und
erkennen möchte, und nicht so leer vom Gottesdienst oder Abendmahl kommen, dass
sie weder Christum noch sich selbst erkennen.
117. Zweitens
wird uns Christus als unser innerlich Brot durch Gottes eigenes Lehren gegeben.
Und zwar muss dass beim Äußerlichen dabei sein, sonst ist auch das Äußerliche
umsonst. Wenn aber das Äußerliche recht vor sich geht, so bleibt auch das
Innerliche nicht aus. Denn Gott läßt sein Wort niemals ausgehen, ohne dass es
Frucht schafft; er ist dabei und lehrt selber innerlich, was er äußerlich durch
den Priester gibt. So spricht er durch Jesaja (55,10 folgende): „Mein Wort,
dass von meinem Munde ausgeht, wird nicht leer zurückkommen, sondern wie der
Regen die Erde durchfeuchtet und fruchtbar macht, so wird mein Wort seinen Gang
gehen und alles ausrichten, wozu ich es aussende“. Daraus entstehen rechte
Christen, die Christus erkennen und mit den Sinnen schmecken.
118. Was ist denn
Christum erkennen, oder was bringt es? Antwort: Christus erfassen und erkennen
besteht darin, dass du verstehst, was der Apostel 1.Korinther 1,30 sagt:
„Christus ist uns von Gott gegeben, dass er für uns Weisheit, Gerechtigkeit,
Heiligkeit und Erlösung sein soll“. Das verstehst du dann, wenn du erkennst,
dass alle deine ganze Weisheit eine verdammte Torheit, deine Gerechtigkeit eine
verdammte Ungerechtigkeit, deiner Heiligkeit eine verdammte Unreinheit, deiner
Erlösung eine elende Verdammung ist. So findest du, dass du vor Gott und allen
Geschöpfen mit Recht als ein Narr, ein Sünder, ein unreiner, ein verdammter
Mensch bist. Und das musst du nicht bloß mit Worten sondern von ganzem Herzen,
auch mit Werken, zeigen, dass dir kein Trost und kein Heil bleibt als dass
Christus dir von Gott gegeben ist. An ihn sollst du glauben und ihn so
genießen; allein seine Gerechtigkeit soll dich erretten, weil du sie anrufst
und dich darauf verlässt. Dieser Glaube ist nichts anderes als das Essen dieses
Brotes; in diesem Sinne sagt er Joh 6,32. " Mein Vater gibt euch das wahre
Brot vom Himmel“.
119. Wer weiß das
nicht, dass wir Sünder und nichts sind, allein durch Christum errettet werden?
Antwort: Es ist eine große Gnade, wenn man das weiß und es mit äußerlichen
Worten sagen und hören kann. Aber es sind nur wenige, die es verstehen und mit
dem Herzen sagen. Das beweist die Erfahrung. Denn wenn man sie als Narren oder
Sünder verachtet, so können sie es nicht ertragen und finden schnell eine
Weisheit und Rechtschaffenheit außerhalb von Christus, die ihnen eigen ist.
Besonders aber, das Gewissen straft, oder im Sterben, so wissen sie nicht mehr
dass Christus ihre Gerechtigkeit ist, und suchen hier und da, wie sie ihr
Gewissen trösten oder stärken mit ihren guten Werken. Wenn aber das nicht hilft
(und es kann nicht helfen!), so verzweifeln sie.
120. Siehe, davon
wäre viel zu sagen, und alle Predigten sollten von diesen Dingen handeln. Denn
wenn man Christus so predigt und das liebe Brot so austeilt, dann fassen es die
Seelen auf und erproben sich damit in ihren Leiden, wenn Gottes Wille ihnen
solche auflegt. Darum werden sie dadurch stark und voll Glaubens, so dass sie
von da an nichts mehr fürchten: weder ihre Sünde und ihr Gewissen, noch Teufel
und Tod. Nun siehst du, wie es sich mit diesem " täglichen Brot "
verhält: dass Christus wahrhaftig dieses Brot ist. Aber es ist dir nicht nütze,
du kannst ihn auch nicht genießen, wenn Gott ihn nicht zu Worten macht, dass du
ihn hören und so erkennen kannst. Denn dass er im Himmel sitzt oder unter der
Gestalt des Brotes da ist, was hilft dir das? Er muss durch das Innerliche und
Äußerliche Wort " ausgeteilt“, " angerichtet " und zu Worten
werden; sieh das ist dann wahrhaftig Gottes Wort. Christus ist das Brot, Gottes
Wort ist das Brot, und es ist doch ein und dasselbe Ding, ein und dasselbe
Brot. Denn er ist in dem Wort und das Wort ist in ihm; und an dieses Wort
glauben, d. h. das Brot essen. Wem Gott das gibt, der lebt ewiglich.
121. Hier wird
jeder Mensch ermahnt, dass denken seines Herzens auf die ganze Christenheit
auszubreiten und für sich und die Gesamtheit aller Menschen zu beten, besonders
für die Pastoren, die das Wort Gottes in Schwung halten sollen. Denn wie wir in
den ersten drei Bitten den Dingen nachgehen, die Gott gehören, dass er das
Seine in uns bekomme, so bitten wir nun hier für die Christenheit. Unter allen
Dingen aber ist für die Christenheit nichts nötiger und nützlicher als dass
" tägliche Brot“, d. h. das Gott kluge Pastoren schafft und so sein Wort
in aller Welt predigen und hören lassen will. Denn wie es beim priesterlichen
Stand und beim Wort Gottes so steht, wie es sein soll, so grünt und blüht die
Christenheit. Darum zu bitten, hat er uns auch befohlen, als er sprach
(Matthäus 9,38): „Bittet den Hausvater, dass er Arbeiter in seine Ernte sende
usw.“.
122. Darum, nach
der rechten Ordnung der Liebe, sollen wir am meisten für die Christenheit bitten,
daran wir mehr tun, denn für uns selbst bitten. Denn, wie der Bischof von
Konstantinopel " Chrysostomus " sagt, wer für die ganze Christenheit
betet, für den betet auch wieder die Christenheit, ja in eben diesem Gebet
bittet er mit der Christenheit zusammen für sich selbst. Und es ist kein gutes
Beten, wenn einer für sich allein bittet; und (gebe Gott, dass ich mich nicht
irre!) ich kein rechtes Gefallen finden an den vielen Bruderschaften, besonders
an denjenigen, die so völlig sich selber zuwenden, als wollten sie allein in
den Himmel fahren und uns zurück lassen,. Du aber bedenke und beachte: Christus
hat nicht umsonst gelehrt, man solle nicht beten " Mein Vater“, sondern
" unser“, nicht " Mein täglich Brot gib mir heute“, sondern "
Unser täglich Brot gibt uns heute“, und ebenso weiter " Unsere Schuld“,
" uns“, " uns " usw. Er will den Haufen hören, nicht mich oder
dich oder einen der abseits geht, wie die Pharisäer die sich abgesondert haben.
Darum singe mit den anderen Leuten zusammen dann singst du recht. Und wenn du
schon schlecht singst so geht es doch im großen Haufen hin, singst du allein,
so wirst du nicht ungerichtet bleiben.
123. Dieses Wort
lehrt, wie zuvor gesagt, dass Gottes Wort nicht in unserer Gewalt ist. Darum
muss alles falsche Vertrauen auf Verstand, Vernunft, Können und Weisheit
zunichte werden. Denn in der Zeit der Anfechtung muss Gott selbst zu uns
sprechen mit seinem Wort und uns trösten und aufrechterhalten. Es ist zwar ein
großer Vorrat davon in der Heiligen Schrift vorhanden, so dass einer sogar die
ganze Welt damit lehren könnte, - solange er im Frieden ist; wenn aber nicht
Gott selbst kommt, wenn die Stürme anfangen, und uns das Wort von sich aus
innerlich allein oder durch einen Menschen sagt, so ist schnell alles
vergessen. Dann geht das Schiff doch unter, wie im Psalm 107,27 geschrieben
steht: „Sie sind erschrocken und wanken wie die Trunkenen“, sie wissen nicht,
wohin; alle ihre Weisheit ist verschwunden, sie wissen ganz und gar nichts
mehr.
124. Also leben
wir hier in einer ständigen Gefahr, müssen auf Leiden aller Art gefasst sein,
auch auf des Todes Not und der Hölle Pein. Darum müssen wir in solch einer
Furcht verharren und bitten, Gott möchte sein Wort nicht lange von uns lassen,
sondern heute, jetzt und täglich dabei und da sein, um unserer " Brot
" zu geben und (wie Paulus Epheser 3,16 folgende sagt) machen, dass
Christus in uns erscheine und in unserem inwendigen Menschen wohne. Darum heißt
es nicht " morgen " oder " übermorgen“, gerade als wollten wir
heute sicher sein und ohne Furcht bestehen, sondern " heute“. Auch so
lernt es sich besser, dass man " heute " und nicht " morgen
" sagt, wenn das anfängt, dass Gottes Wille in uns geschehen will und
unser Wille mit Ängsten untergeht; ja dann wollte er wohl, dass das Brot nicht
bloß " heute“, sondern " in dieser Stunde " gegeben würde. Das
Wort heute bedeutet in der ganzen Heiligen Schrift auch dieses ganze Leben auf
Erden; davon ich aber jetzt nicht mehr sagen will.
125. Der Sinn
dieser Bitte ist: „oh himmlischer Vater, weil deinen Willen niemand leiden und
ertragen will, und wir zu schwach sind, dass wir unseren Willen und den unseres
Adams (alten Menschen) ungern töten, so bitten wir, du möchtest uns mit deinem
heiligen Wort speisen, stärken und trösten, und deine Gnade geben, dass wir
Jesus Christus als das himmlische Brot durch die ganze Welt in der Predigt
hören und ihn von Herzen erkennen, damit doch die gefährlichen, ketzerischen,
irreführenden und überhaupt alle menschlichen Lehren aufhören und nur dein
Wort, dass wahrhaft unser lebendiges Brot ist, ausgeteilt werde.
126. Bitten wir
denn nicht auch um das leibliche Brot? Antwort: Ja, es kann sehr wohl auch das
leibliche Brot darunter verstanden werden; in erster Linie ist aber Christus,
das geistliche Brot der Seele gemeint. Damit wir nicht um Speise und Kleider
für den Leib und Sorgen machen sollen, lehrt er uns darum allein auf das heute
Nötige bedacht zu sein; so sagt Christus in Matthäus 6,34. " Lasst die
Sorge eines Tages genug sein und sorget nicht heute schon für das Morgen: denn
das Morgen wird seine eigene Sorge mitbringen“. Und es wäre wohl eine gute
Übung im Glauben, wenn wir lernen, Gott nur um Brot für heute zu bitten; dann
könnte man Gott auch in einer größeren Sache Vertrauen. Nicht dass man um
zeitliches Gut oder Nahrung nicht arbeiten soll; sondern dass man sich der
Sorgen entschlage, als könnten wir nicht gespeist werden, ohne dass wir uns
sorgen und Angst haben. Die Arbeit soll also mehr dazu geschehen, Gott darin zu
dienen und Müßiggang zu meiden und dem Gebot folgen dass er zu Adam sagt (1.
Mose 3,19): „Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen“, - denn
dass wir sorgen und Angst haben, wie wir ernährt werden. Denn Gott wird das
bestimmt schaffen, wo wir im kindlichen Glauben arbeiten nach seinem Gebot.
127. Wer glaubt,
dass diese Bitte und Gebet soviel Leute trifft und angeklagt? Zum ersten, was
wollen die großen Heiligen bitten in unseren Zeiten, die sich ganz für fromm
halten, besonders, wenn sie gebeichtet, absolviert und meinen genug getan
haben, und nun so leben, dass sie nicht für ihre Sünde bitten, wie es die alten
und rechten Heiligen, von denen David sagt (Psalm 32,6): „Ein jeglicher
Heiliger wird Gnade bitten für seine Sünde", sondern nur ihre großen
Verdienste sammeln, und sich einen köstlichen Palast im Himmel bauen, bauen mit
viel guten Werken? Doch helfe uns Gott, wir wollen es versuchen, ob wir es
nicht fertig bringen, sie zu Sündern zumachen und sie unter unserer arme,
sündige Sippe zu zählen! Sie sollen mit uns lernen, diese Bitte nicht allein
vor der Beichte und Buße, sondern auch nach der großen Absolution von Strafe und
Schuld zu beten und nach der Vergebung aller Schuld mit uns sagen: „Herr,
vergib uns unsere Schuld“.
128. Denn weil
man vor Gott nicht lügen und nicht scherzen kann, so muss wahrlich, wahrlich
noch eine ernste, ja sogar viel ernste Schulden da sein, die keine Absolution
beseitigt hat oder beseitigen kann. Deshalb wird Absolution und dieses Gebet
sich wohl nicht vereinen: Ist alle Schuld durch die Absolution dahin, so tilgt
das Gebet aus und bitte du vor Gottes Augen nicht für eine Schuld, die keine
ist, damit du seiner nicht spottest und dir so alles Unglück zuziehst. Ist aber
das Gebet wahr, so helfe Gott der armen Absolution, wenn sie noch solch große
Schuld uns lässt, dass Gott den Menschen mit Recht darum verdammt, wenn er
nicht um Gnade gebeten wird. Doch will ich nicht zuviel sagen; denn ich kenne
die spitzfindigen Auslegungen gut, mit deren Hilfe man der Heiligen Schrift
eine Nase aus Wachs zu drehen pflegt.
129. Erstens,
dass uns Gott die Schuld im geheimen vergibt und wir es nicht empfinden, gerade
so, wie er vielen Menschen Schuld zurechnet und behält, die sie gar nicht
empfinden oder beachten. Zweitens offenkundig und so, dass wir es empfinden,
gerade so wie er einigen Schuld so zurechnet, dass sie es empfinden, z. B.
durch Vorwurf und Schrecken des Gewissens. Die erste Vergebung ist beständig
nötig; die andere ist manchmal nötig, damit der Mensch nicht verzage.
130. Ich meine
das so: Gott ist vielen Menschen freundlich gesinnt und vergibt ihnen von
Herzen alle Schuld, und doch sagt er ihnen nichts davon, sondern handelt
äußerlich und innerlich mit ihnen so, dass es ihnen vorkommt, sie hätten einen
ganz ungnädigen Gott, der sie zeitlich und ewig verdammen will; äußerlich plagt
er sie, innerlich schreckt er sie. Einer von diesen war David, als er im Psalm
6,2 sprach: „Herr, schilt mich nicht in deinem Zorn“. Genau so umgekehrt:
einigen behält Gott im Geheimen ihre Schuld und ist ihnen feindlich gesinnt; er
sagt ihnen aber nichts davon, sondern behandelt sie so, dass sie meinen, sie
seien die lieben Kinder; äußerlich geht es ihnen wohl, innerlich sind sie
fröhlich und des Himmels gewiss. Diese sind im Psalm 10,6 geschrieben: „Ich
weiß, dass mich niemand umstürzen wird in Ewigkeit, ich werde ohne alles
Unglück sein“. Ebenso lässt Gott häufig dem Gewissen einen Trost widerfahren
und lässt es eine fröhliche Zuversicht zu seiner Gnade fühlen, damit der Mensch
dadurch gestärkt werde, auch in der Zeit seiner Gewissensangst auf Gott zu hoffen.
Umgekehrt lässt er häufig ein Gewissen erschrecken und betrüben, damit der
Mensch auch in der fröhlichen Zeit die Furcht Gottes nicht vergesse.
131. Die erste
Art von Vergebung ist uns bitter und schwer. Aber sie ist die edelste und
allerliebste. Die andere ist leichter, aber um so geringer. Alle beide zeigt
der Herr Christus an Maria Magdalena (Lukas 7,47 folgende). Die erste, als er
ihr den Rücken kehrt und doch zu Simon sprach: „ihr sind viele Sünden
vergeben“, da hatte sie noch keinen Frieden. Die andere, als er sich zu ihr
wandte und sprach: „Dir sind deine Sünden erlassen, gehe hin im Frieden"
Da ward ihr der Friede zuteil. Die erste Art macht also rein, die andere
schafft Frieden. Die erste wirkt und bringt hervor, die andere ruht und empfängt.
Und zwar ist ein ganz großer Unterschied zwischen den beiden: Die erste ist
bloß im Glauben da und erwirbt sich einen großen Anspruch, die andere ist im
fühlen da und nimmt den Lohn ein. Die erste wird bei den hohen Menschen (die
schon im Glauben geübt) gebraucht, die andere mit den Schwachen und Anfängern.
132. Nun wollen
wir den allerkräftigsten Ablassbrief betrachten, der je auf die Erde gekommen
ist und nicht um Geld verkauft wird, sondern jedermann umsonst gegeben wird.
Andere Lehrer geben der Genugtuung (d. h. mit guten Werken oder Geld bezahlen)
ihren Platz im Beutel und Kasten; Christus dagegen setzt sie ins Herz, dass sie
uns nicht näher gebracht werden kann. Du brauchst also weder nach Rom noch nach
Jerusalem, noch nach irgend einem Heiligen, weder hierhin noch dahin um Ablass
zu kaufen; auch kann ihn sich der Arme genau so gut nehmen wie der Reiche, der
Kranke wie der Gesunde, der Laie wie der Priester, der Knecht wie der Herr. Und
zwar lautet dieser Ablassbrief auf deutsch So (Matthäus 6,14 folgende): „Wenn
ihr euren Schuldnern vergebt, so wird euch mein Vater auch vergeben. Werdet ihr
aber nicht vergeben, so wird euch mein Vater auch nicht vergeben".
133. Dieser
Brief, der mit Christi eigenen Wunden versiegelt und durch seinen Tod bestätigt
wurde, ist heute durch viel neue Sekten und durch den römischen Ablassbrief
fast vermodert.
134. Nun kann
sich niemand entschuldigen, wenn ihm seine Sünden nicht vergeben werden oder
wenn er ein böses Gewissen behält. Denn Christus spricht nicht: "Du sollst
für deine Sünden so und so viel fasten, so und so viel beten, dies oder das
tun", sondern: "willst du für deine Schuld genug bezahlen, deine
Sünde auslöschen, so höre meinen Rat, ja mein Gebot: tu nichts weiter als lass
das alles nach und ändere dein Herz (woran dich niemand hindern kann) und sei
dem freundlich gesinnt, der dich beleidigt hat. Vergib nur du, so ist alles in
Ordnung".
135. Warum
predigt man nicht auch diesen Ablass? Gilt Christi Wort, Rat und Verheißung
nicht so viel als dass eines Traumpredigers (Traumprediger sind, die ihre
erdachte eigene Meinung ihres Herzens verkündigen)? Ja, ein solcher Ablass
würde nicht die Kirche in Rom (die der Teufel gut leiden kann!), sondern
Christi Kirche (die der Teufel nicht leiden kann!) aufbauen. (Holz und Stein
ficht ihn ja nicht sehr an; aber rechtschaffene einträchtige Herzen, die machen
ihm das Herz schwer.) Wem man also nichts von diesen Ablass, den man umsonst
bekommt, so wird man jedoch von jenem nicht satt, auch wenn man es sich alles
kosten lässt. Nicht dass ich den römischen Ablass verwerfen wollte. Sondern ich
wollte dass jedes Ding seinem Wert nach eingeschätzt würde, und dass man nicht,
wo mein gutes Geld umsonst haben kann, das Kupfer für kostbarer hält als das
Gold wert ist. Hüte dich nur vor der Farbe und vor dem äußeren Glänzen!
136. Es gibt zwei
Arten von Menschen, die dieses Gebet nicht beten und nicht mögen, und diesen
großen Ablass nicht erwerben können. Die ersten treiben es ganz grob: Ihre
eigene Schuld vergessen Sie und machen dafür ihres Nächsten Schuld so groß,
dass sie in ihrer Unverschämtheit sogar zu sagen wagen: "Ich will und kann
ihm das niemals vergeben; ich kann ihm niemals mehr freundlich gesinnt
werden". Diese tragen einen Balken, ja viele Balken in ihren Augen und
sehen sie nicht, aber den kleinen Stecken oder Zweig in ihres Nächsten Auge
können sie nicht vergessen (Matthäus 7,3. Das heißt ihre eigene Sünde, die sie
wider Gott getan haben, der Achten sie nicht; aber die Schuld ihres Nächsten
sehen sie so hoch an. Und doch wollen sie, dass ihnen Gott die große Schuld
vergebe, wo sie selber nicht einmal die geringen ungerächt lassen wollen. Und
wenn sie auch sonst keine Sünde oder Schuld hätten, so wäre doch der Balken in
ihren Augen groß genug; denn sie werden gegen Gottes Gebot eben darin
ungehorsam, dass sie nicht vergeben wollen und sich selbst rächen (was doch
allein Gott zusteht). Es ist wahr, Gott ist wunderbar in seinem Recht und
Gericht, dass der größere Schuld hat, der nicht vergibt, als der, der den
Schaden und das Leid angerichtet hat.
137. Darum wird
für solche Leute dieses Gebet zu einer Sünde, wie Psalm 109,7 sagt: „Sein Gebet
wird vor Gott eine Sünde sein“; denn dadurch verflucht sich der Mensch selber
und verkehrt das Gebet in sein Gegenteil: womit er Gnade erlangen sollte,
erwirbt er sich Ungnade. " Ich will nicht vergeben“, und doch stehst du
vor Gott mit deinem kostbaren Vater Unser und plapperst mit deinem Munde:
„vergib uns unsere Schuld, wie wir unseren Schuldigern vergeben“. Das heißt
doch nichts anderes als so viel: „oh Gott, ich bin dein Schuldner; genau so
habe ich auch einen Schuldner. Nun will ich ihm nicht vergeben, so vergib du
mir auch nicht. Ich will dir nicht gehorsam sein, wenn du mir auch sagst ich
soll vergeben; ich will lieber dich, deinen Himmel und alles fahren lassen und
ewig zum Teufel fahren“?
138. Sieh zu, du
armer Mensch, ob du einen solchen Feind hast oder dulden könntest, der dich vor
den Menschen so verflucht, wie du dich selbst vor Gott und allen Heiligen
verfluchst mit deinem eigenen Gebet? Und was hat dein Schuldner dir getan?
Einen zeitlichen Schaden? Ei, warum willst du dich denn um des kleinen
zeitlichen Schadens willen selbst in einen ewigen Schaden bringen? Sieh dich
vor, oh Mensch: nicht der, der dich betrübt, sondern du selbst, der du nicht
vergibst, tust dir den eigentlichen Schaden an, wie die ganze Welt dir keinen
antun könnte.
139. Die anderen
sind frecher. Sie fühlen sich geistlich beleidigt von ihren Nächsten. Das heißt
man tut ihnen nichts, als dass man ihr herzliches Missfallen erregt bei der
großen Liebe zur Gerechtigkeit und Weisheit, die sie träumen zu haben; denn
Sünde und Torheit können die zartfühlenden und feinen Heiligen nicht leiden.
Und das sind die, die in der Heiligen Schrift (Matthäus 23,33) Schlangen und
vergiftete Würmer genannt werden. Sie sind ganz tief verblendet: sie merken
niemals (und man kann sie auch nicht davon überzeugen, wie es bei den
Ersterwählten, den Groben, möglich ist), dass sie es sind, die ihren Nächsten
nicht vergeben, ja dass als Verdienst und gutes Werk ansehen, dass sie ihrem
Nächsten feind sind. Man kennt sie daran, dass sie alles, was ein anderer tut,
bereden, richten und verurteilen; sie schweigen nicht still, solange sie etwas
von ihren Nächsten wissen. Sie heißt man auf deutsch
"Widerspruchsgeister", auf griechisch Teufel, auf lateinisch
„Schmäher", auf hebräisch Satanas, kurz, es ist die verfluchte Rotte, die
jedermann verleumdet, verachtet, verflucht, und das alles doch unter dem Schein
des Guten. Diese teuflische, höllische, verdammte Plage regiert gegenwärtig
leider schrecklicher in der Christenheit als jemals eine solche es tat; sie
vergiftet beinahe alle Zungen, und, Gott sei es geklagt, man ist von diesem
Jammer weder auf der Hut noch hat man acht darauf. Bei ihnen ist es so: Wenn
jemand etwas Übles tut, so findet er bei ihnen nicht nur keine Gnade: sie beten
nicht für ihn (wie es sich für Christen gehört), sie belehren ihn nicht gütlich
und weisen ihn nicht brüderlich zurecht; sondern während ein Übeltäter nach
göttlichem und menschlichen Recht nur einen Richter, ein Gericht, eine Anklage
sich gefallen zu lassen hat, muss man von diesen giftigen, höllischen Zungen so
viele Richter, Gericht und Anklage sich gefallen lassen, als ihnen Ohren
begegnen, und wenn ihnen an einem Tage tausend begegneten. Sie, das sind die
erbärmlichen Heiligen, die ihres Nächsten Schuld nicht vergeben und nicht
vergessen können, und es ist ihre Art, dass sie niemals einem Menschen von
Herzen freundlich gesinnt sind. So wollen sie erfahren, dass Gott ihnen
gleichfalls nicht allein die Schuld nicht vergibt, sondern auch die Ungnade
erzeigt, sie nie zur Erkenntnis ihrer Schuld gelangen lässt.
140. Danach
schmücken sie sich mit Reden und sprechen: „Ja, ich rede das nicht, um ihm zu
schaden, und nicht in böser Absicht; ich gerne ihm alles Gute“. Sieh da, wie
weiche Haare das Kätzlein hat! Wer könnte denken, dass so scharfe Klauen und
Zungen in der glatten Haut stecken? O du Scheinheiliger und falscher Mensch,
wenn du wirklich sein Freund wärest, würdest du schweigen und nicht mit solcher
Lust und Wohlgefallen deines Nächsten Unglück bekannt machen. Vielmehr würdest
du dein verdammtes Missfallen in Mitleid und Barmherzigkeit verwandeln, um ihm
zu entschuldigen, in Schutz zunehmen und andere zum Schweigen bringen; du
würdest Gott für ihn bitten, ihn brüderlich warnen und ihm helfen dass er
wieder zurecht kommt. Schließlich würdest du es auch als eine Erinnerung und
Mahnung annehmen, deine eigene Gebrechlichkeit mit Furcht bedenken, wie es
Paulus sagt (1 Kor 10,12): „Wer da steht, der sehe zu, dass er nicht falle“,
und mit dem Heiligen Vätern sagen: „Dieser war es gestern; heute ist es an
mir“.
141. Bedenke
auch: wie würde es dir gefallen, wenn dir Gott entsprechend diesem Gebet
seinerseits täte, was du deinem Nächsten tust, und machte von deiner Sünde viel
Aufhebens und breitete sie vor aller Welt aus? Oder wie wolltest du es
ertragen, wenn ein anderer auch so ausriefe, was du Böses getan hast? Du
wolltest ohne Zweifel, dass jedermann darüber schweigen würde, dich
entschuldigte, dich in Schutz nehme und für dich betete. Nun handelst du der
Natur und ihrem Gesetz entgegen, dass sagt (Matthäus 7,12): „Was du willst,
dass man dir tue, dass tu du auch dem andern“.
142. Und denke
nur nicht, dass einem Nachreder, Verleumder und Frevelrichter seine Sünde - die
kleinste so wenig wie die größte - vergeben wird, ja dass er ein einziges gutes
Werk tun kann, wenn er nicht seine böse Zungen ruhen lässt und umwandelt. So
sagt nämlich Jakobus (1,26): „Wer sich lässt dünken, er sei ein rechtschaffener
Christenmensch, und hält seine Zunge nicht im Zaum, dessen Rechtschaffenheit
ist nichts“. Willst du aber bei der Sünde deines Nächsten doch etwas tun, so
halte die edle, köstliche, goldene Regel Christi, wo er sagt (Matthäus 18,15):
„Wenn dein Bruder eine Sünde begeht, die sich gegen dich richtet, so gehe hin
und weise ihn zurecht in der Zwiesprache zwischen dir und ihm allein“. Oh
merke, (er sagt) nicht: „sag es anderen Menschen“; sondern: „du und er allein“,
als wollte er sagen: „Willst du es ihm nicht allein sagen, so halte deinen Mund
und lass es im Herzen begraben sein“, es wird dir dann bestimmt der Bauch davon
nicht brechen.
144. Oh, wer sich
diesen edlen Werkes befleißigt, wie leicht könnte der seine Sünde büßen, wenn
er sonst auch schon nicht viel tut! Denn wenn er wieder sündigt, so wird Gott
sagen: „Ei, dieser hat seinem Nächsten seine Schuld zugedeckt und vergeben;
tretet herzu, alle Geschöpfe, und deckt ihn eurerseits zu, und seine Sünde soll
ihm auch nicht mehr behalten werden“! Aber jetzt dagegen sucht man auf allen
möglichen Wegen und Weisen Genugtuung und Buße für die Sünde; sie sehen und
hören nicht auf das, was wir täglich beten, wonach Buße für die Sünde,
Genugtuung und Erwerb der Absolution am allerbesten dadurch geschieht, dass wir
unseren Schuldigern vergeben. So solchem Vergessen und Nichtbeachten verführt
uns das große Schauspiel mit dem Ablass und die Angst welche den Menschen in
der Beichte auferlegt wird.
145. Nun kommen
sie dann abermals und malen sich den Teufel über die Tür, brennen sich weiß und
sagen: „Ei, es ist doch wahr! Warum sollte ich es nicht sagen, wenn es doch so
ist, ich habe es gesehen und weiß es wahrhaftig“.
146.Antwort: Es
ist doch aber auch wahr, dass du selbst gesündigt hast. Warum redest du dann
nicht auch von deinem eigenen Bösen, wenn dir befohlen ist, alle Wahrheit immer
zu sagen? Willst du aber von deinem Bösen schweigen, so tu auch einem anderen
gegenüber dasselbe Gesetz nach der Natur (Mt 7,12).
147. Ferner: wenn
es schon wahr ist, so tust du doch nichts Besseres als die Verräter und
Blutverkäufer; die sagen der auch für manchen armen Menschen nur allzu oft, was
wahr ist.
148.Ferner: Du
handelst dazu noch der Regel Christi zuwider (Matthäus 18,15 folgende), die dir
verbietet, es jemand anderen zu sagen als allein dem Betreffenden. Nur wenn er
dich nicht hören will, so sollst du zwei zu dir nehmen und es ihm noch einmal
sagen. Und wenn er dich dann immer noch nicht hört, so sollst du mit diesen
Zeugen zusammen ihn vor der ganzen Gemeinde anklagen. Aber die Regel ist nun
ganz verlassen. Darum geht es auch, wie es denen gehen soll, die Gottes Wort
verachten.
149. Also, dass
weit verbreitete Laster der Widerrede und Achtung fremder Sünde ist fast die
schlimmste Sünde auf Erden. Denn aller anderen Sünden beflecken und verderben
allein den, der sie tut, außer dem elenden verdammten Kläffer, der muss sich
mit fremden Sünden beschmutzt und verderben lasse, daraus merke, je größer und
stärker die Lust und das Gefallen an der Sünde ist, desto größer ist die Sünde.
Da gibt oft selbst der, der schuldig geworden ist wegen dieser Sünde, die er
getan hat, sich selbst unrecht, er schämt sich und macht sich Vorwürfe und
will, dass niemand es wüsste (und hat dadurch die Sünde viel kleiner gemacht!).
Aber nun kommt der Kläffer und tappt in diesen Kot wie eine Sau, frisst ihm
noch dazu, wälzt sich darin und wollte nicht, dass die Sünde nicht geschehen
wäre; denn er hat seine Lust, darüber zu reden, zu richten und darüber zu
lachen. Darum habe ich gesagt: wer gerne kläfft und verleumdet, ist keinem
Menschen freundlich gesinnt, ja er ist ein allgemeiner Feind der menschlichen
Natur so gut wie der Teufel. Hat er doch nichts lieber, als wenn er von den
Sünden und Schanden der Menschen hören, sagen und verhandeln kann, er freut
sich über ihr Unglück und Übel. Wer aber das gerne hat und liebt, der kann
wirklich den Menschen nichts Gutes gönnen, sondern nur alles Unglück; das wird
ihm dann auch zuletzt als Lohn wiederum zuteil werden.
150. Uns zur
Warnung sollen wir lernen, dass jeder Mensch vor Gott ein Sünder ist, und er
wiederum einen Sünder oder Schuldner gegenüber hat.
151. Zum ersten
sind wir Sünder in groben, bösen Stücken. Denn wenig sind da, die nicht
gefallen sind in große, schwere Sünden. Doch wenn nun ein Mensch auch so
rechtschaffen wäre, dass er noch nie in große Sünden gefallen wäre, so tut er
doch dem göttlichen Gebot gegenüber immer zu wenig. Denn er hat viel Gnade vor
anderen Menschen empfangen, und doch hat er nie zuviel getan, dass er auch nur
für die geringste Gabe sich voll bedankt oder Zahlung geleistet hätte; ja er
kann Gott nicht einmal für den täglichen Rock oder Mantel genug loben,
geschweige denn für das Leben, für Gesundheit, Ehre, Gut, Freunde, Vernunft und
unzählige andere Wohltaten Gottes. Wenn nun Gott mit ihm abrechnen wollte,
würde es ihm so gehen, wie Hiob (9,3) sagt: dass er auf tausend nicht eins
antworten könnte, und dass er froh wäre, wenn er durch bitten einen gnädigen
Richter bekommen könnte. So sagt auch David (Psalm 143,2): „Herr, gehe nicht
ins Gericht mit deinen Diener; denn vor dir wird kein lebender Mensch gerecht
erfunden " - auch deshalb, weil kein Mensch so rechtschaffen ist, dass er
nicht noch des alten Adams Geruch und Hefe in sich hätte, um derentwillen Gott
ihn mit Recht verwerfen könnte. Darum erhält allein die Demut auch die, die in
Gnade leben, und ihre Schuld wird ihnen deshalb nicht angerechnet, weil sie
selber sie sich anrechnen, um Gnade bitten und ihren Schuldigern vergeben.
152. Zum anderen
haben wir auch Schuldige. Denn Gott ordnet es immer so, dass uns jemand an Gut,
Ehre oder was es sonst ist, ein Leid an tut; will er uns doch damit einen
Anlass geben, unsere Sünde zu büßen und unseren Schuldnern zu vergeben. Und
wenn nun schon jemand keine großen Stücken von einem anderen leiden muss (was
doch kein gutes Zeichen ist), so findet er doch in sich einen Widerwillen
einigen Leuten gegenüber, auf die er argwöhnisch ist und einen Verdruss hat. So
ist es, kurz gesagt, (wie Augustinus sagt): Jeder Mensch ist Gott gegenüber
schuldig und hat wiederum einen Schuldner. Hat er aber keinen, so ist er gewiß
blind und beobachtet sich nicht richtig.
153. Nun siehe,
was dieses elende Leben für ein Zustand ist, wo es keine Speise, Tröstung und
Stärkung für die Seele gibt (wie die vorhergehende Bitte es zeigt). Dazu ist es
ein sündhafter Stand, in welchem wir verdientermaßen verdammt würden, wenn uns
nicht dieses Gebet erhielte durch die lautere Gnade und Barmherzigkeit Gottes.
So macht uns das Vater Unser dieses Leben ganz zur Sünde und zur Schande, damit
wir seiner müde und überdrüssig werden. Nun sieh, du Kläffer, richte dich
selber, rede von dir, sieh an, wer du bist, greife in deinen eigenen Busen;
dann wirst du das Übel deines Nächsten wohl vergessen; denn du hast von deinen
eigenen beide Hände voll, ja über und über voll.
154. wenn das
Wort " Versuchung " oder " Prüfung " nicht so allgemein
üblich wäre, so stünde es viel besser und wäre klarer, wenn man es so
ausdrückte: „Und führe uns nicht in Anfechtungen“. In diesem Gebet lernen wir
aber, wie elend das Leben auf Erden ist. Denn es ist lauter Anfechtung, und wer
hiernach Frieden und Sicherheit für sich sucht, handelt nicht weise; er kann es
auch niemals dazu bringen. Und wenn wir alle es begehrten, so ist es doch
unmöglich. Es ist ein Leben der Anfechtung und bleibt es.
155. Darum sagen
wir nicht: „Nimm die Anfechtung weg von uns“, sondern: „Führe uns nicht
hinein“, als wollte man sagen: „Wir sind hinten und vorne von Anfechtungen
umgeben und können uns nicht davon freimachen. Aber, o unser Vater, hilf uns,
dass wir nicht hineingeraten, d. h. dass wir nicht dazu einwilligen und so
überwunden und unterdrückt werden“. Denn wer in die Sünde einwilligt, der
sündigt und wird ein Gefangener der Sünde", wie Paulus (Römer 7,23) sagt.
156. Also ist
dies Leben, wie es Hiob sagt (Kapitel 7,1), nichts anderes als ein Kampf und
steter Streit gegen die Sünde, und der Drache, der Teufel, ficht uns ständig an
und gibt sich Mühe, uns in seinen Rachen zu verschlingen. So sagt Petrus (1.
Petrus 5,8): „o ihr lieben Brüder, seid nüchtern und wachet; denn euer
Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe, und sucht, ob er
jemand verschlingen könne“. Sehet, unser lieber Vater und getreuer Bischof
Petrus spricht: Unser Feind sucht uns; und zwar nicht bloß an einem Ort,
sondern an allen Enden ringsum. Das heißt alle unsere Glieder und Sinnen reizt,
bewegt und hindert er von innen her mit bösen Einflüsterungen, von außen her
mit bösen Bildern, Worten und Werken durch Menschen und alle Geschöpfe zu
Unkeuschheit, Zorn, Hoffart, Geiz und dergleichen; er gebraucht alle List und
Bosheit, um den Menschen dazu zu führen, dass er einwilligt. Wenn man das
fühlt, soll man schnell die Augen zu Gott aufheben: „O Gott Vater, sieh, wie
werde ich zu dem und dem Laster getrieben und gereizt und an dem und dem guten
Werk verhindert. Wehre dem, lieber Vater, und hilf mir, lass mich nicht
unterliegen und hineingeraten“. O, wer diese Bitte recht gebraucht und übt, wie
glücklich wäre der! Es gibt sehr viele, die nicht wissen, ob sie angefochten
werden oder was sie in der Anfechtung tun sollen.
157. Zweierlei
Anfechtung gibt es. Die einer auf der linken Seite, d. h. diejenige, welche zu
Zorn, Hass, Bitterkeit, Unlust, Ungeduld reizt, wie Krankheit, Armut, Unehre
und alles, was einem wehe tut, besonders wenn einem sein Wille, Vorhaben,
Gutdünken, Ratschlag, Wort und Werk verworfen und verachtet wird. Diese Dinge
sind ja etwas Geläufiges in diesem Leben, und Gott verhängt solches durch böse
Menschen oder Teufel.
158.Wenn man dann
fühlt, dass es sich regen will, so soll man Weise sein und sich nicht wundern
lassen (denn das ist so die Art dieses Lebens!) - vielmehr soll man dieses
Gebet hervor holen und das richtige Korn daraus abzählen und sprechen: „O
Vater, das ist gewiss eine Anfechtung, die über mich verhängt ist; hilf, dass
sie mich nicht verführe und versuche“.
159. In dieser
Anfechtung wird man auf doppelte Weise zum Narren. Einmal, wenn man spricht:
„Ja, ich wollte wohl rechtschaffen sein und nicht zürnen, wenn ich Frieden
hätte“. Manche lassen so unseren Herrgott und seinen Heiligen keine Ruhe, bis
er die Anfechtung von ihnen nimmt: diesen muss er das Bein gesund machen, den
reich machen, dem soll er sein Recht werden lassen; und dabei tun sie auch
selber so viel als sie können, um sich in eigener Kraft und mit Hilfe anderer
herauszuwinden. so bleiben sie faule, ja fahnenflüchtige arme Ritter, die nicht
angefochten sein noch streiten wollen. Darum werden sie auch nicht gekrönt (2.
Timotheus 2,5), ja sie fallen in die andere Anfechtung zur rechten Seite, wie
wir noch hören werden. Wenn es jedoch recht geht, so soll es sein, dass man
nicht daran vorbei komme: die Anfechtung darf nicht aufgehoben werden, sondern
man muss sie ritterlich überwinden. Von solchen Leuten spricht Hiob (7,1): „Des
Menschen Leben ist ein Streit (oder Anfechtung)“.
160. Die andern,
die nicht die Anfechtung überwinden, von denen sie aber auch nicht genommen
wird, - die geratenen hinein in Zorn, Hass und Ungeduld, übergeben sich
geradezu dem Teufel, verüben Worte und Werke, werden Mörder, Räuber, Verleumder
und richten alles Unglück an; denn die Anfechtung hat sie überwunden und sie
folgen allen bösen Willen. Der Teufel hat sie völlig in seiner Gewalt und sie
sind seine Gefangenen; Sie rufen weder Gott noch seiner Heiligen an. Wenn aber
unser Leben von Gott selber eine Anfechtung genannt wird und es so sein muss,
dass wir an Leib, Gut und Ehre angegriffen werden und uns Gerechtigkeit
widerfahren muss, sollen wir ohne sträuben darauf gefasst sein und es mit
Weisheit annehmen, in dem wir sprechen: „Ei, dass gehört nun einmal zum Leben;
was soll ich daraus machen? Es ist eine Anfechtung und bleibt eine Anfechtung.
Es will nicht anders sein, Gott helfe, dass es mich nicht aufrege und umwerfe“.
161. Siehe, also
kann sich niemand über die Anfechtung erheben. Man kann sich aber wohl wehren
und dem allem mit Gebet und Anrufung der Hilfe Gottes abhelfen. So liest man in
den Büchern der alten Väter, dass ein junger Bruder den Wunsch aussprach, seine
Gedanken los zu sein; da sprach der Altvater: „Lieber Bruder, dass die Vögel in
der Luft dir über dem Haupte fliegen, kannst du nicht verhindern; du kannst es aber
hindern, dass sie dir in den Haaren ein Nest machen“. Genau so können wir uns
wie Augustinus sagt, zwar der Anstöße und Anfechtung nicht erwehren; dass sie
uns aber nicht überwinden, dem kann man mit Beten und Anrufen göttlicher Hilfe
wohl wehren.
162. Die andere
Anfechtung ist die auf der rechten Seite. Sie reizt zu Unkeuschheit, Wollust,
Hoffart, Geiz und eitler Ehre, und zu allem, was wohl tut, besonders, wenn man
einen seinen Willen lässt, Wort, Rat und Tat von ihm lobt, ihn ehrt und viel
von ihm hält.
163. Dies ist die
aller gefährlichster Anfechtung, die der Zeit des Antichrists zugeschrieben
wird. In diesem Sinne sagt David (Psalm 91,7): „Wann tausend fallen auf deiner
linken Seite, so fallen ihrer wohl Zehntausend auf deiner rechten Seite"
und jetzt hat sie überhand genommen; denn die Welt strebt nur nach Gut, Ehre
und Wollust. Insbesondere lernt es die Jugend zur Zeit überhaupt nicht mehr,
gegen die fleischliche Lust und Anfechtung zu streiten; sie fallen ihr zu, so
dass es fernerhin keine Schande mehr ist, sondern das alle Welt voll ist mit
Geschichten und Liedern von Buhlerei und Hurerei, als sei das wohlgetan. Das
ist alles der grauenhafte Zorn Gottes, der die Welt so in Versuchung fallen
lässt, weil ihn niemand anruft.
164. Es ist
bestimmt eine schwere Anfechtung für einen jungen Menschen, wenn ihm der Teufel
in sein Fleisch bläst, Mark und Bein und alle Glieder entzündet, und ihm dazu
von außen her reizt mit Gesichtern, Gebärden, Tanzen, Kleidern, Worten und
hübschen Frauen oder Männern. So sagt es Hiob (41,12): „Sein Atem macht die
Kohlen glühend“. So ist zur Zeit die Welt ganz toll, um mit Kleidern und
Schmuck Reize zu bieten. Trotzdem aber ist es nicht unmöglich, dass zu
überwinden, wenn man sich daran gewöhnt, Gott anzurufen und dies Gebet zu
sprechen: „Vater, führe uns nicht in die Anfechtung“. Genau so hat man es nun
auch zu machen in Anfechtungen durch die Hoffart, wenn jemand gelobt oder
geehrt wird und wenn ihm großes Gut oder andere weltliche Lust zuteil wird usw.
165. Warum lässt
Gott denn dass zu, dass der Mensch so zum Sündigen angefochten wird? Antwort:
Damit der Mensch sich und Gott erkennen lernt. Er soll sich selbst erkennen,
dass er nichts kann als Sündigen und Übles zu tun; und er soll Gott erkennen,
dass Gottes Gnade stärker ist als alle Geschöpfe. So soll er lernen, sich
selber zu verachten und Gottes Gnade zu loben und zu preisen. Hat es doch Leute
gegeben, die der Unkeuschheit mit ihren eigenen Kräften, mit Fasten und
Arbeiten widerstehen wollten; sie haben ihren Leib darüber zerbrochen und
dennoch nichts ausgerichtet. Denn die böse Lust löscht niemand als der
himmlische Tau und Segen der göttlichen Gnade; Fasten aber, Arbeiten und Wachen
muss zwar dabei sein, sind aber nicht genug.
166. Wenn Gott
uns nun die Schuld vergeben hat, so ist auf nichts mehr zu achten als darauf,
dass man nicht wieder falle. Gibt es doch, wie David sagt (Psalm 104,25), in
dem großen Meer dieser Welt viel Gewürm (Gewimmel) das heißt viel Anfechtung
und Anstoß, die uns aufs neue schuldig machen wollen; Darum haben wir es nötig,
dass wir ohne aufhören mit dem Herzen sprechen: „Vater, führe uns nicht in die
Anfechtung, nicht begehre ich, von aller Anfechtung los zu sein (denn das wäre
schrecklich und viel schlimmer als zehn Anfechtungen von der Art, wie die
Anfechtung zur rechten Hand ist); sondern ich möchte nicht fallen und wider
meinen Nächsten oder dich sündigen“. In diesem Sinne sagt Jakobus (1,2): „O
Brüder, wenn euch viele Anfechtungen zustoßen, so sollt ihr das für große
Freude achten“. Warum? Weil es für den Menschen eine Übung ist, sie macht ihn
in der Demut und Geduld vollkommen und Gott wohlgefällig wie die allerliebsten
Kinder. Selig, wem solches zu Herzen geht! Leider sucht ja gegenwärtig
jedermann Ruhe, Frieden, Lust und Behagen in seinem Leben. Darum naht sich die
Herrschaft des Antichrists, sofern sie nicht bereits da ist.
167. Merke genau,
dass man erst an aller letzter Stelle um Abwendung des Übels bittet und bitten
soll, das heißt um Abwendung von Unfrieden, Teuerung, Kriegen, Seuche, Plagen
und auch von Hölle und allen Übel an Leib und Seele.
168. Man soll ja
um diese Dinge bitten, doch in der rechten Reihenfolge, und zwar zu aller
letzt. Warum? Man findet manche, und zwar nicht wenige, die Gott und seine
Heiligen ehren und bitten, aber nur, um das Übel loszuwerden. Sie suchen nichts
anderes; sie denken nicht einmal an die ersten Bitten, dass sie Gottes Ehre,
Namen und Willen zuerst stellen würden. Sie suchen nur ihren eigenen Willen und
kehren so dieses Gebet ganz um: sie fangen beim Letzten an und kommen nicht zu
den ersten Bitten; sie wollen ihr Übel los sein, ob es zur Ehre Gottes
geschieht oder nicht, ob es sein Wille ist oder nicht.
169. Aber ein
rechtschaffener Mensch der spricht so: „Lieber Vater, das Übel und die Strafe
drückt mich; ich leide viel Unglück und habe Beschwerden, fürchte mich vor der
Hölle. Erlöse mich davon, doch nur, wenn es dir zur Ehre und zum Lobe geschieht
und dein göttlicher Wille ist; sonst geschehe nicht mein, sondern dein Wille.
Denn deine göttliche Ehre und Wille ist mir lieber als meine eigene Ruhe und
Bequemlichkeit in Zeit und in Ewigkeit. " Sieh, das ist ein
wohlgefälliges, gutes Gebet und wird gewiss im Himmel erhört“; und wenn es
anders gebetet und gemeint wird, so ist es nicht angenehm und wird auch nicht
erhört. Weil denn dieses Leben nichts anderes ist als ein unseliges Übel, aus
dem zweifellos auch Anfechtungen erwachsen, so sollen wir das Übel deshalb
begehren loszuwerden, damit die Anfechtungen und Sünden aufhören und so Gottes
Wille geschehe und sein Reich komme zu Lob und Ehre seines heiligen Namens
170. Das Wort
" Amen " stammt aus der hebräischen (oder jüdischen) Sprache und
heißt auf deutsch " für wahr " oder" wahrlich“. Dass es dem
Glauben Ausdruck gibt; denn ihn soll man bei allen Bitten haben. Hat doch
Christus gesagt (Matthäus 21,22): „Wenn ihr betet, so glaubet fest, dass ihr es
erlangen werdet; so geschieht es gewiss“. Ferner, an einer anderen Stelle
(Markus 11,24): „Alles, was ihr bittet, glaubet, so werdet ihr es empfangen“.
So empfing ja das heidnische Weiblein, was es bat, da es nicht abließ und fest
glaubte, so dass der Herr ihr sogar sagte (Matthäus 15,28): „O Weib, wie groß
ist dein Glaube! Dir geschehe, wie du willst und du gebeten hast“. So spricht
auch Jakobus (1,6 folgende): „Wer von Gott etwas bittet, der soll ja nicht
zweifeln im Glauben, dass es ihm zuteil werden. Denn wer im Glauben zweifelt,
der bilde sich nicht ein, dass er etwas von Gott empfange“. Darum ist, wie der
weise Mann sagt (Prediger 7,8), das Ende des Gebetes besser als der Anfang.
Denn wenn du am Ende in herzlichem Vertrauen und Glauben " Amen "
sagst, so ist gewiss das Gebet bekräftigt und erhört; und wo dieses Ende fehlt,
da ist weder Anfang noch Mitte des Gebetes etwas nütze.
171. Also sollte
ein Mensch, der da beten will, sich prüfen und erforschen, ob er es auch
glaubt, oder zweifelt, dass erhört werde. Findet er bei sich, dass er daran
zweifelt oder es nur auf einen ungewissen Wahn setzt und auf gut Glück wagt, so
ist das Gebet nichts. Denn er hält sein Herz nicht still, sondern schwankt und
schlottert hin und her. Darum kann Gott ihm nichts Gewisses geben, gerade so
wenig als du einem Menschen etwas geben kannst, wenn er die Hand nicht still
hält. Bedenke doch: wie würde es dir gefallen, wenn dir jemand fleißig Bitten
vorgetragen hätte und er spräche am Ende zu dir: „Ich glaube aber nicht, dass
du es mir gibt's", und du hättest es ihm doch gewiss versprochen! Du
würdest die Bitte als einen Spott auffassen und alles widerrufen, was du
versprochen hättest, und ihn vielleicht noch dazu strafen. Wie soll so etwas
dann Gott gefallen? Er sagt uns fest zu, dass wir es empfangen sollen, wenn wir
etwas bitten, und wir strafen ihn durch unsere Zweifel Lügen und handeln im
Gebet gerade zu dem Gebet zuwider; wir beleidigen seine Wahrhaftigkeit, die wir
mit dem Gebet anrufen.
172. Darum heißt
das Wörtlein " Amen ": „wahrlich“, " für wahr“, " gewiss“,
und es ist ein Wort des festen, herzlichen Glaubens, als sagst du: „O Gott
Vater, diese Dinge, um die ich dich gebeten habe, sind - ich zweifle nicht
daran - gewiss aufrichtig gemeint und werden geschehen; nicht deshalb, weil ich
um sie gebeten habe, sondern weil du befohlen hast, um sie zu bitten, und sie
gewiss zugesagt hast. Ebenso bin ich gewiss, dass du, Gott, wahrhaftig bist; du
kannst nicht lügen. Also nicht die Würdigkeit meines Gebetes, sondern die
Gewissheit, dass du wahr bist, bringt mich dazu, es fest zu glauben, und es ist
mir kein Zweifel, es werde ein Amen daraus werden und ein Amen sein.
173. Hier irren
manche über die Maßen, die ihr Gebet an diesem Punkte zunichte machen, und zwar
viel mit dem Munde, aber nie mit dem Herzen beten. Sie wollen nämlich nicht
eher glauben, sie seien erhört, als bis sie wissen oder meinen, sie hätten
würdig und recht gebetet. So bauen sie auf sich selbst, auf den Sand. Diese
werden alle verdammt; denn ein solches Gebet ist nicht möglich, dass in sich
selbst schon genügte und vor Gott der Erhörung würdig wäre, ein Gebet muss sich
vielmehr auf die Wahrhaftigkeit und die Verheißung Gottes verlassen. Denn hätte
Gott nicht zu beten befohlen und Erhöhung versprochen, so könnten alle
Geschöpfe mit ihren sämtlichen Gebeten nicht ein Körnlein sich ausbitten. Darum
sieh darauf: nicht dasjenige Gebet ist gut und recht, welches viel Worte,
andächtig, süß und lang ist, und um zeitliches oder um ewiges Gut geht, sondern
ein solches, dass fest darauf baut und traut, dass es erhört werde (so gering
und unwürdig es an und für sich sein mag, ( und das um die wahrhaftigen Gelübde
und Versprechungen Gottes geht. Gottes Wort und Verheißung macht dein Gebet
gut, nicht deine Andacht. Denn eben dieser Glaube, der sich auf seine Worte
gründet, ist zugleich auch die rechte Andacht, ohne die aller anderer Andacht
lauter Trug und Irrtum ist.
Die Seele
spricht: „O unser Vater, der du bist im Himmel, wir deine Kinder sind auf
Erden, von dir getrennt, in der Fremde: Wie groß ist der Abstand zwischen dir
und uns! Wie sollen wir jemals zu dir kommen in unser Vaterland? "
Gott antwortet:
„Ein Kind lehrt seinen Vater und ein Knecht seinen Herrn. Bin ich denn euer
Vater, wo lehrt man mich? Bin ich euer Herr, wo erweist man mir Furcht und
Ehrerbietung (Mal 1,6)? Mein heiliger Name wird ja bei und durch euch gelästert
und verunehrt (Jesaja 52,5)“! Die erste Bitte
Die Seele: „O
Vater, das ist leider wahr. Wir erkennen unsere Schuld. Sei du ein gnädiger
Vater und rechne nicht mit uns ab, sondern gib deine Gnade, damit wir so leben,
dass dein heiliger Name in uns geheiligt werde. Lass uns nie etwas denken,
reden, tun, haben oder Vornehmen, wenn dein Lob und deine Ehre nicht darin ist,
damit so in uns vor allen Dingen dein Ruhm und Name, nicht unser eigener eitler
Ruhm und Name gesucht werde. Gib uns, dass wir dich wie die Kinder als einen
Vater lieben, fürchten und ehren.
Gott: „wie kann
meine Ehre und Name bei euch geheiligt werden (Jesaja 52,5), wenn all euer Herz
und Denken zum Bösen geneigt ist und in Sünden gefangen liegt (1. Mose 8,21),
dadurch niemand mein Lob den Fremden landen singen kann (Psalm 137,4)“?
Die Seele: „O
Vater, das ist wahr, wir empfinden, dass unsere Glieder zu Sünden geneigt sind;
Welt, Fleisch und Teufel wollen in uns regieren und so deine Ehre und Namen
austreiben. Darum bitten wir: hilf uns aus der Fremde, lass dein Reich kommen,
damit die Sünde vertrieben und wir rechtschaffen, dir wohlgefällig gemacht
werden, dass du allein in uns regierst und wir dein Reich werden mögen, in dem
alle unsere Kräfte innerlich und äußerlich dir gehorchen“.
Gott: „wem ich
helfen soll, den verderbe ich, und wen ich lebendig, selig, reich und
rechtschaffen machen will, den töte ich; ich verwerfe ihn, mache ihn arm und
zunichte (5.Mose 32,39). Aber Rat und Tat solcher Art wollt ihr von mir nicht
ertragen (Psalm 78, 10 folgende). Wie soll ich euch dann helfen und was soll
ich mehr tun (Jesaja 5,4)“?
Die Seele: „Das
ist uns Leid, dass wir deine heilende schaffende Hand nicht verstehen und nicht
ertragen.
O Vater, gib
Gnade und Hilfe, dass wir deinen göttlichen Willen in uns geschehen lassen. Ja,
auch wenn es uns wehe tut, so fahre du fort, strafe, stich, haue und brenne,
mach alles, was du willst; nur das dein Wille und ja nicht der unsere geschehe.
Wehre uns, lieber Vater, und lass uns nichts nach unserem eigenen Gutdünken,
Willen und Meinung vornehmen und vollbringen. Denn unser Wille und dein Wille
sind gegeneinander; deiner allein ist gut, obwohl er nicht so scheint; unser
ist böse, obwohl er gut aussieht“.
Gott: „Es ist
wohl schon mehr geschehen, dass man mich mit dem Munde geliebt hat; aber das
Herz ist dabei weit weg von mir gewesen (Jesaja 29,13). Und wenn ich Ihnen
zugesetzt habe, um sie zu bessern, sind sie zurückgewichen und mitten, während
ich am Werk war, mir entglitten, wie du im Psalm 78,9 liest: „Sie haben zwar
einen guten Anfang gemacht und mich dazu bewogen, an ihnen zu handeln; aber sie
haben sich von mir abgekehrt und sind wieder gefallen: sie sündigen und ehren
mich nicht mehr“.
Die Seele: „Ach
Vater, es ist wahr; niemand kann mit seinen eigenen Kräften stark sein (1.
Samuel 2,9), und wer kann vor deiner Hand bestehen, wenn du nicht selbst uns
stärkst und tröstet? Darum, lieber Vater, setze und zu, vollbringe deinen
Willen, damit wir dein Reich werden, dir zum Lob und zur Ehre. Aber, lieber
Vater, stärker uns, wenn du so an uns handelst, mit deinem heiligen Wort: Gib
uns unser täglich Brot. präge unserem Herzen das Bild deines lieben Sohnes
Jesus Christus ein, der das wahre Himmelsbrot ist, damit wir, durch ihn
gestärkt, es fröhlich ertragen und leiden können, wenn unser Wille zerbrochen
und getötet und dein Wille vollbracht wird. Ja, gib auch der ganzen
Christenheit Gnade: sende uns kundige Priester und Prediger, die uns nicht
Treber und Spreu unnütze Fabeln, sondern dein heiliges Evangelium und Jesus
Christus lehren“.
Gott: „Es ist
nicht gut, dass man den Hunden das Heiligtum (Matthäus 7,6) und das Brot der
Kinder (Matthäus 15,26) vorwirft. Ihr sündigt täglich und wenn ich bei euch
noch so viel bei Tag und Nacht predigen lassen, so folgt und hört ihr doch
nicht (Jesaja 42,20), und mein Wort wird verachtet (Jeremia 5,11)“.
Die Seele: „Ach
Vater, lass dich dessen erbarmen und versage uns darum nicht das liebe Brot.
Vielmehr ist es uns leid, dass wir deinen heiligen Worten nicht genügend tun,
und wir bitten, du möchtest Geduld mit uns armen Kindern haben und uns diese
unsere Schuld erlassen und ja nicht mit uns ins Gericht gehen; denn vor dir ist
niemand gerechtfertigt (Psalm 143,2). Sieh deine Verheißungen an: wenn wir
unseren Schuldigern von Herzen vergeben, dann hast du uns Vergebung versprochen
(Matthäus 6,14). Nicht das wir durch solches vergeben deiner Vergebung würdig
würden; sondern dass du wahrhaftig bist und gnädig allen Vergebung versprochen
hast, die ihren Nächsten vergeben. Auf dein Versprechen verlassen wir uns"
Gott: „Sehr oft
vergebe ich und erlöse ich euch, und ihr bleibt und besteht doch nicht (Psalm
78). Einen geringen Glauben habt ihr (Matthäus 8,26). Nicht ein wenig könnt ihr
mit mir wachen und aushalten; ihr fallt schnell wieder in die Anfechtung (Matthäus
26,40 folgende)“.
Die Seele:
„Schwach und krank sind wir, o Vater, und die Anfechtung ist groß und
vielfältig im Fleisch und in der Welt. Oh lieber Vater, halte uns und lass uns
nicht in Anfechtung fallen und wieder sündigen, sondern gib uns Gnade, dass wir
beständig bleiben und ritterlich fechten bis an unser Ende; denn ohne deine
Gnade und Hilfe vermögen wir nichts“.
Gott: „Ich bin
gerecht und mein Gericht ist richtig (Psalm 11,7). Darum darf die Sünde nicht
ungestraft bleiben. Also müßt ihr das Übel tragen. Dass ihr davon Anfechtung
habt, ist die Schuld eurer Sünde, die mich dazu zwingt, sie zu strafen und ihr
zu wehren“.
Die Seele: „Weil
denn das Übel uns Anfechtung bereitet und uns mit Sünden anficht, so erlöse uns
daraus, lieber Vater, damit wir, von allen Sünden und Übel nach deinem
göttlichen Willen erlöst, dir ein Reich sein können, dich in Ewigkeit zu loben,
zu Preisen und zu heiligen. Amen. Und weil du uns so zu beten gelehrt und
geboten hast und Erhörung verheißen, hoffen wir und sind gewiß, oh
allerliebster Vater, du wirst deiner Wahrhaftigkeit zu Ehren uns dies alles
gnädig und barmherzig geben“.
Zuletzt möchte
nun jemand sagen: „Was nun, wenn ich nicht glauben kann, dass ich erhört bin?
" Antwort: so mache es wie der Vater des besessenen Menschen (Markus
9,24). Als Christus zu ihm sagte: „Kannst du glauben? Alle Dinge sind möglich
dem, der da glaubt“, da schrie dieser Vater mit weinenden Augen: „Oh Herr, ich
glaube, hilf meinem Glauben, wenn er zu schwach ist“.
Gott allein
gebührt die Ehre und der Ruhm.
1. Vater unser im Himmelreich,
Der du uns alle heißest gleich
Brüder sein und dich rufen an
Und willst das Beten von uns hab'n,
Gib, dass nicht bet' allein der Mund,
Hilf, dass es geh' von Herzensgrund!
2. Geheiligt werd' der Name dein,
Dein Wort bei uns hilf halten rein,
Dass auch wir leben heiliglich,
Nach deinem Namen würdiglich.
Behüt uns, Herr, vor falscher Lehr',
Das arm' verführte Volk bekehr!
3. Es komm' dein Reich zu dieser Zeit
Und dort hernach in Ewigkeit;
Der Heil'ge Geist uns wohne bei
Mit seinen Gaben mancherlei;
Des Satans Zorn und groß' Gewalt
Zerbrich, vor ihm dein' Kirch' erhalt!
4. Dein Will' gescheh, Herr Gott,
zugleich
Auf Erden wie im Himmelreich;
Gib uns Geduld in Leidenszeit,
Gehorsam sein in Lieb' und Leid;
Wehr und steur allem Fleisch und Blut,
Das wider deinen Willen tut!
5. Gib uns heut' unser täglich Brot,
Und was man braucht zur Leibesnot;
B'hüt uns, Herr, vor Unfried' und
Streit,
Vor Seuchen und vor teurer Zeit,
Dass wir in gutem Frieden stehn,
Der Sorg' und Geizes müßig gehn!
6. All unsre Schuld vergib uns, Herr,
Dass sie uns nicht betrübe mehr,
Wie wir auch unsern Schuldigern
Ihr' Schuld und Fehl' vergeben gern;
Zu dienen mach uns all' bereit
In rechter Lieb' und Einigkeit!
7. Führ uns, Herr, in Versuchung
nicht;
Wenn uns der böse Geist anficht
Zur linken und zur rechten Hand,
Hilf uns tun starken Widerstand,
Im Glauben fest und wohlgerüst’t
Und durch des Heil'gen Geistes Trost.
8. Von allem Übel uns erlös,
Es sind die Zeit und Tage boes;
Erlös uns von dem ew'gen Tod
Und tröst uns in der letzten Not;
Bescher uns auch ein selig End',
Nimm unsre Seel' in deine Händ'!
9. Amen, das ist, es werde wahr!
Stärk unsern Glauben immerdar,
Auf dass wir ja nicht zweifeln dran,
Was wir hiermit gebeten hab'n
Auf dein Wort in dem Namen dein;
So sprechen wir das Amen fein.
(Aus:
Geistliche Lieder, Leipzig, 1539)