Martin Luther, 1539
Über das Studium der
Theologie
(vgl.
M. Luthers Vorrede zum ersten Band der Wittenberger Ausgabe der deutschen
Schriften, 1539, WA 50; 658, 29-661,8)
"Darüber
hinaus will ich dir anzeigen eine rechte Weise, in der Theologie zu studieren -
denn ich habe mich geübt. Wenn du dieselbe hältst, sollst du so gelehrt werden,
daß du selbst geradeso gute Bücher machen könntest (wenn es not wäre) wie die
Väter und Concilia. Wie ich mich (in Gott) auch zu vermessen und ohne Hochmut
und Lüge zu rühmen wage, daß ich etlichen der Väter wollte nicht viel
nachstehen, wenn es sollte Büchermachen gelten. Des Lebens kann ich mich bei
weitem nicht ebenso rühmen. Und zwar ist es die Weise, die der heilige König
David im 119.
Psalm lehrt (und ohne Zweifel auch alle Patriarchen und Propheten gehalten
haben). Darin wirst du drei Regeln finden, durch den ganzen Psalm reichlich
vorgestellt. Und heißen also: Oratio, Meditatio, Tentatio.
Erstlich
sollst du wissen, daß die heilige Schrift ein solches Buch ist, das aller
andern Bücher Weisheit zur Narrheit macht, weil keines vom ewigen Leben lehrt
als dies allein. Darum sollst du an deinem Sinn und Verstand stracks verzagen.
Denn damit wirst du es nicht erlangen, sondern mit solcher Vermessenheit dich
selbst und andere mit dir stürzen vom Himmel (wie es Lucifer geschah) in den
Abgrund der Hölle. Sondern kniee nieder in deinem Kämmerlein und bitte mit
rechter Demut und Ernst zu Gott, daß er dir durch seinen lieben Sohn wolle
seinen heiligen Geist geben, der dich erleuchte, leite und Verstand gebe.
Wie
du siehst, daß David im oben genannten Psalm immer bittet: 'Lehre mich, Herr,
unterweise mich, führe mich, zeige mir' und solcher Worte viel mehr. Obwohl er
doch den Text des Mose und anderer Bücher mehr wohl kannte, auch täglich hörte
und las, will er noch den rechten Meister der Schrift selbst dazu haben, auf
daß er ja nicht mit der Vernunft drein falle und sein eigener Meister werde.
Denn daraus werden Rottengeister, die sich lassen dünken, die Schrift sei ihnen
unterworfen und leicht mit ihrer Vernunft zu erreichen, als wäre es Marcolfus
oder Aesops Fabeln, wozu sie keines heiligen Geistes noch Betens bedürfen.
Zum
anderen sollst du meditieren, das ist: nicht allein im Herzen, sondern auch
äußerlich die mündliche Rede und geschriebenen Worte im Buch immer treiben und
reiben, lesen und wiederlesen, mit fleißigem Aufmerken und Nachdenken, was der
heilige Geist damit meint. Und hüte dich, daß du nicht überdrüssig werdest oder
denkst, du habest es ein Mal oder zwei genug gelesen, gehört und gesagt und
verstehst es alles bis auf den Grund. Denn daraus wird nimmermehr ein
sonderlicher Theologe. Und sind wie das unzeitige Obst, das abfällt, ehe es
halb reif wird.
Darum
siehst du in demselben Psalm, wie David immerdar rühmt, er wolle reden,
dichten, sagen, singen, hören, lesen Tag und Nacht und immerdar, doch nichts
denn allein von Gottes Wort und Geboten. Denn Gott will dir seinen Geist nicht
geben ohne das äußerliche Wort. Danach richte dich. Denn er hat es nicht
vergeblich befohlen, äußerlich zu schreiben, predigen, lesen, hören, singen,
sagen etc.
Zum
dritten ist da Tentatio, Anfechtung. Die ist der Prüfstein, die lehrt dich
nicht allein wissen und verstehen, sondern auch erfahren, wie recht, wie
wahrhaftig, wie süß, wie lieblich, wie mächtig, wie tröstlich Gottes Wort sei,
Weisheit über alle Weisheit.
Darum
sieht du, wie David in dem genannten Psalm so oft klagt über allerlei Feinde,
frevle Fürsten oder Tyrannen, über falsche Geister und Rotten, die er leiden
muß, weil er meditiert, das ist: mit Gottes Wort umgeht (wie gesagt) auf
allerlei Weise. Denn sobald Gottes Wort ausgeht durch dich, so wird dich der
Teufel heimsuchen, dich zum rechten Doktor machen und durch seine Anfechtung
lehren, Gottes Wort zu suchen und zu lieben. Denn ich selber (daß ich
Mäusedreck auch mich unter den Pfeffer menge) habe sehr viel meinen Papisten zu
danken, daß sie mich durch des Teufels Toben so zerschlagen, bedrängt und
geängstet, das ist, einen rechten, guten Theologen gemacht haben, wohin ich
sonst nicht gekommen wäre. Und was sie dagegen an mir gewonnen haben, da gönne
ich ihnen die Ehre, Sieg und Triumph herzlich wohl. Denn so wollten sie es
haben.
Siehe,
da hast du Davids Regel: Studierst du nun wohl diesem Exempel nach, so wirst du
mit ihm auch singen und rühmen in demselben Psalm: 'Das Gesetz deines Mundes
ist mir lieber denn viel tausend Stück Goldes und Silbers.' Item: 'Du machst
mich mit deinem Gebot weiser denn meine Feinde sind; denn es ist ewiglich mein
Schatz. Ich bin gelehrter denn alle meine Lehrer; denn deine Zeugnisse sind
meine Rede. Ich bin klüger denn die Alten; denn ich halte deine Befehle' etc.
Und wirst erfahren, wie schal und faul dir der Väter Bücher schmecken werden.
Wirst auch nicht allein der Widersacher Bücher verachten, sondern dir selbst in
beidem, im Schreiben und Lehren, je länger je weniger gefallen. Wenn du hierher
gekommen bis, so hoffe getrost, du habest angefangen, ein rechter Theologe zu
werden, der du nicht allein die jungen unvollkommenen Christen, sondern auch
die zunehmenden und vollkommenen mögest lehren. Denn Christi Kirche hat
allerlei Christen in sich: junge, alte, schwache, kranke, gesunde, starke,
frische, faule, schlichte, weise etc.
Fühlst
du dich aber und läßt dich dünken, du habest es gewiß, und kitzelst dich mit
deinen eigenen Büchlein, Lehren oder Schreiben, als habest du es sehr köstlich
gemacht und trefflich gepredigt, gefällt es dir auch sehr, daß man dich vor anderen
lobe, willst auch vielleicht gelobt sein, sonst würdest du trauern oder
nachlassen, - bist du von der Art, Lieber, so greif dir selber an deine Ohren.
Und greifst du recht, so wirst du finden ein schön Paar großer, langer, rauher
Eselsohren. So wende vollends die Kosten dran und schmücke sie mit güldnen
Schellen, auf daß, wo du gehst, man dich hören könnte, mit Fingern auf dich
weisen und sagen: Seht, seht, da geht das feine Tier, das so köstliche Bücher
schreiben und trefflich wohl predigen kann. Alsdann bist du selig und überselig
im Himmelreich. Ja, wo dem Teufel samt seinen Engeln das höllische Feuer
bereitet ist. Summa, laßt uns Ehre suchen und hochmütig sein, wo wir mögen. In
diesem Buch ist Gottes die Ehre allein und heißt: 'Deus superbis resistit,
humilibus autem dat gratiam.' (1. Petrus 5, 5)
Cui est gloria in saecula saeculorum. Amen."