Von dem guten Werk des ersten Gebotes3
Vom guten Werk des zweiten Gebotes
Das erste Gebot der zweiten Tafel des Mose
Dem
durchlauchtigen, hochgeborenen Fürsten und Herrn, Herrn Johann, Herzog zu
Sachsen, Landgraf zu Thüringen, Markgraf zu Meißen, meinem gnädigen Herrn und
Patron!
Durchlauchter, hochgeborener Fürst, gnädiger Herr! Eure
Fürstlichen Gnaden seien allezeit meines untertänigen Dienstes und armen
Gebetes im voraus versichert.
Gnädiger Fürst und Herr! Ich hätte längst gern meine
untertänige Dienstpflicht gegen E.F.G. mit einer geistlichen Gabe1,
wie es mir zukommt, erzeigt. Doch habe ich, auf mein Vermögen gesehen, mich
immer für zu gering befunden, etwas vorzunehmen, das würdig wäre, E.F.G.
zugeeignet zu werden. Weil aber mein gnädigster Herr, Herr Friedrich, des
Heiligen Römischen Reiches Erzmarschall, Kurfürst und Vicarius usw., E.F.G.
Bruder, mein unzureichendes, S.K.F.G. gewidmetes Büchlein2 nicht
verschmäht, sondern gnädig aufgenommen hat, das nun auch im Druck, woran ich
nicht dachte, herausgekommen ist, habe ich Mut geschöpft aus solch gnädigem
Exempel und mich erkühnt zu hoffen, wie das fürstliche Geblüt und so auch das
fürstliche Gemüt zuvor in gnädiger Nachsicht und guter Meinung eines gleichen
Sinnes sei, so werde E.F.G. ihrer Art nach auch dies mein armes, untertäniges
Anerbieten nicht verschmähen. Denn dies herauszubringen ist mir viel nötiger
gewesen als sonst kaum eine von meinen Predigten oder Büchlein, weil die größte
Streitfrage sich erhoben hat über die guten Werke, in denen unzählig mehr List
und Betrug vorfällt als in irgendeiner anderen Kreatur, und in denen der
einfältige Mensch nur zu leicht verführt wird, so dass auch unser Herr Christus
uns geboten hat, wir sollten mit Fleiß achtgeben auf die Schafskleider, unter
denen sich Wölfe verbergen. Es hat weder Silber, Gold, Edelgestein noch sonst
ein kostbares Ding so mannigfache Zusätze und Abbruche erfahren wie die guten
Werke, welche allesamt eine einzige, einfältige Güte haben müssen, ohne die sie
lauter Schönfärberei, Blendwerk und Betrug sind.
Obwohl ich von
vielen weiß und täglich höre, die meine Armut gering achten und sprechen, ich
mache nur kleine Traktätchen und deutsche Predigten für die ungelehrten Laien,
lass ich mich davon nicht bewegen. Wollte Gott, ich hätte einem einzigen Laien
mein Leben lang mit all meinem Vermögen zur Besserung gedient: Ich wollte mir's
genügen lassen, Gott danken und danach gar willig alle meine Büchlein umkommen
lassen! Ob große und viele Bücher zu machen eine Kunst und der Christenheit
förderlich sei, lass ich andere richten. Ich meine aber, wenn ich Lust hätte,
nach ihrer Kunst große Bücher zu machen, es sollte mir mit Gottes Hilfe
vielleicht schleuniger gelingen, als ihnen, nach meiner Art einen kleinen
Sermon zu machen. Wenn ihnen Erfolge so leicht wie Verfolgungen fielen, wäre Christus
längst wieder vom Himmel geworfen und selbst Gottes Stuhl umgestoßen. Können
wir nicht alle dichten, so wollen wir doch alle richten. Ich will einem jeden
die Ehre großer Dinge herzlich gern lassen und mich gar nicht schämen, deutsch
den ungelehrten Laien zu predigen und zu schreiben, obwohl ich auch dies wenig
kann. Doch dünkt mich's, wenn wir bisher und fortan uns mehr dessen beflissen
hätten oder dies wollten, sollte der Christenheit daraus kein kleiner Vorteil
und mehr an Besserung erwachsen sein als aus den hohen, großen Büchern und
Quaestionen, die man an hohen Schulen bloß unter den Gelehrten verhandelt.
Überdies habe ich noch nie jemanden gezwungen oder gebeten, mich zu hören oder
meine Predigten zu lesen. Ich habe frei der Allgemeinheit gedient mit dem, was
mir Gott gab und wie ich es schuldig bin; wer das nicht mag, der lese und höre
andere. Auch ist nicht groß dran gelegen, wenn sie meiner nicht wollen
bedürfen. Mir ist's gerade genug und mehr als zuviel, dass etliche Laien, und
diese vornehmlich, sich herbeilassen, meine Predigten zu lesen.
Und wenn keine andere Sache mich triebe, soll mir doch die
schon übergenug sein, dass ich erfahren habe, wie sehr E.F.G. solche deutschen
Büchlein gefielen und sie ganz begierig seien nach Erkenntnis guter Werke und
Unterrichtung im Glauben. Es geziemt mir billig, ihr mit möglichstem Fleiß
untertänig zu dienen. Deshalb bitte ich in demütiger Untertänigkeit, E.F.G.
wollten dies Zeichen meiner Ergebenheit in gnädiger Meinung annehmen, solange,
bis ich, wenn mir Gott dazu die Zeit geben will, das ganze Glaubensbekenntnis
mit einer deutschen Auslegung erkläre. Denn für diesmal habe ich nur zeigen
wollen, wie wir den Glauben sollen in allen guten Werken üben, gebrauchen und
das vornehmste Werk sein lassen. Gibt Gott mir die Zeit, will ich ein andermal
das Glaubensbekenntnis für sich selber behandeln, so wie wir es täglich beten
oder nachsprechen sollen. Will mich hiermit E.F.G. untertänigst befohlen haben.
Zu Wittenberg, am 29. Tag im März nach Christi Geburt im
tausendfünfhundertzwanzigsten Jahr.
E.F.G. untertäniger Kaplan D. Martinus Luther, Augustiner zu
Wittenberg.
Zum ersten ist zu
wissen, dass nur das gute Werke sind, was Gott geboten hat, wie auch nur das Sünde
ist, was Gott verboten hat. Darum, wer gute Werke wissen und tun will, der
braucht nichts anderes als Gottes Gebote zu wissen. So spricht Christus
Matthäus 19, 17: »Willst du selig werden, so halte die Gebote!« Und als der
Jüngling dort fragte, was er tun sollte, dass er selig würde, hielt ihm
Christus nichts anderes vor als die zehn Gebote. Demnach müssen wir die guten
Werke nach den Geboten Gottes beurteilen lernen und nicht nach dem Anschein,
der Größe oder Menge der Werke an sich selber, auch nicht nach dem Gutdünken
der Menschen oder menschlicher Gesetze oder Weisen, wie es, wohin wir auch
sehen, geschehen ist und noch immer geschieht wegen unserer Blindheit, unter
großer Verachtung der göttlichen Gebote.
Zum zweiten: Das
erste und höchste, alleredelste gute Werk ist der Glaube an Christus, wie er
sagt Johannes 6, 25f., als die Juden ihn fragten: »Was sollen wir tun, dass wir
gute, göttliche Werke tun?« Da antwortete er: »Das ist das göttlich gute Werk,
dass ihr an den glaubt, den er gesandt hat.« Nun, wenn wir das hören oder
predigen, gehen wir rasch drüber weg und halten's für ganz gering und leicht zu
tun, wo wir doch hier lange stehen und gut darüber nachdenken sollten. Denn in
diesem Werk müssen alle Werke ergehen und das Einströmen ihres Gutseins wie ein
Lehen von ihm empfangen. Das müssen wir kräftig hervorheben, damit sie's
begreifen können.
Wir finden viele,
die beten, fasten, Stiftungen machen, dies und das tun, ein gutes Leben fuhren
vor den Menschen. Doch wenn du sie fragst, ob sie auch gewiss seien, dass es
Gott wohl gefalle, was sie so tun, sprechen sie: Nein. Sie wissen's nicht oder
zweifeln daran. Darüber hinaus gibt es auch etliche große Gelehrte, die sie
verfuhren und sagen, es sei nicht nötig, dessen gewiss zu sein, die doch sonst
nichts anderes tun, als gute Werke zu lehren! Nun sieh, diese Werke gehen alle
außerhalb des Glaubens vor sich; darum sind sie nichts und ganz tot. Denn wie
ihr Gewissen zu Gott steht und glaubt, so sind auch die Werke, die daraus
geschehen. Nun ist da kein Glaube, kein gutes Gewissen zu Gott. Darum ist den
Werken der Kopf abgeschlagen und all ihr Leben und Gutsein ist nichts. Daher
kommt es, wenn ich den Glauben so sehr hervorhebe und solche ungläubigen Werke
verwerfe, beschuldigen sie mich, ich verbiete gute Werke, wo ich doch gern
rechte, gute Werke des Glaubens lehren wollte!
Zum dritten: Fragst
du sie weiter, ob sie das auch als gute Werke erachten, wenn sie arbeiten in
ihrem Handwerk, gehen, stehen, essen, trinken, schlafen und allerlei Werke tun
zur Leibesnahrung oder gemeinem Nutzen, und ob sie glauben, dass Gott auch
dabei ein Wohlgefallen an ihnen habe, so wirst du wieder finden, dass sie Nein
sagen und die guten Werke so eng fassen, dass nur das Beten in der Kirche, das
Fasten und Almosengeben übrig bleiben; die ändern halten sie für vergeblich,
Gott sei nichts daran gelegen. Und so verkürzen und verringern sie wegen ihres
verdammten Unglaubens Gott seine Dienste, dem doch alles dient, was im Glauben
geschehen, geredet, gedacht werden kann. So lehrt es der Prediger: »Gehe hin
fröhlich, iss und trink und wisse, deine Werke gefallen Gott wohl. Allezeit
lass dein Kleid weiß sein und das Öl deinem Haupt nimmer gebrechen. Gebrauche
dein Leben mit deinem Weib, das du lieb hast, alle Tage dieser unbeständigen
Zeit, die dir gegeben sind.« (Prediger 9, 7ff.) Dass das Kleid allezeit weiß
sei, das meint, dass alle unsre Werke gut seien, wie sie genannt werden mögen,
ohne allen Unterschied. Aber nur dann sind sie weiß, wenn ich gewiss bin und
glaube, sie gefallen Gott. Und so gebricht dem Haupt meiner Seele des Öl eines
fröhlichen Gewissens nimmermehr. So sagt auch Christus Johannes 8, 29: »Ich tue
allezeit, was ihm wohlgefällt.« Wie tat er das allezeit, wenn er doch aß und
trank und schlief zu seiner Zeit? Und Johannes schreibt in Johannes 3, 19ff.:
»Dabei können wir erkennen, dass wir in der Wahrheit stehen, wenn wir unser
Herz vor seinen Augen getrost machen und ihm ein gutes Vertrauen verschaffen
können. Und wenn uns unser Herz straft oder beißt, dann ist Gott größer als
unser Herz, und wir haben die Zuversicht, was wir bitten, das werden wir auch
empfangen, denn wir halten seine Gebote und tun, was ihm wohlgefällt.« Desgleichen:
»Wer aus Gott geboren ist (das meint: wer glaubt und Gott vertraut), der sündigt
nicht und kann nicht sündigen.« (1. Johannes 3, 9) Desgleichen Psalm 34, 23: »Deren keiner wird sündigen,
die ihm vertrauen«. Ja, im zweiten Psalm steht: »Selig sind, die auf ihn
trauen.« (Psalm 2, 12) Ist das wahr, dann muss alles, was sie tun, gut sein,
oder doch bald vergeben sein, was sie Übles tun. Sieh da abermals, warum ich
den Glauben so hoch erhebe, alle Werke in ihn hineinziehe und alle Werke
verwerfe, die nicht aus ihm herausfließen.
Zum vierten: Hier
kann nun jeder selbst merken und fühlen, wenn er Gutes und nicht Gutes tut.
Denn findet er sein Herz in der Zuversicht, dass es Gott gefalle, dann ist das
Werk gut, wenn es auch so gering wäre wie einen Strohhalm aufheben. Ist die
Zuversicht nicht da, oder zweifelt er dran, dann ist das Werk nicht gut, selbst
wenn's alle Toten aufweckte und der Mensch sich verbrennen ließe. Das lehrt
Paulus Römer 14, 23: »Alles, was nicht aus oder im Glauben geschieht, das ist
Sünde.« Von dem Glauben und keinem anderen Werk haben wir den Namen, dass wir
Christgläubige heißen, als von dem Hauptwerk. Denn alle anderen Werke kann ein
Heide, Jude, Türke, Sünder auch tun. Aber darauf fest zu vertrauen, dass er
Gott wohl gefalle, ist nur einem Christen möglich, den die Gnade erleuchtet und
festigt. Dass aber diese Rede seltsam sei und mich etliche einen Ketzer darüber
schelten, geschieht deshalb, weil sie der blinden Vernunft und heidnischer
Kunst zufolge den Glauben nicht über, sondern neben die anderen Tugendkräfte gesetzt
haben und ihm ein eigenes Werk zuweisen, abgesondert von allen Werken der
anderen Tugenden, während doch er allein alle anderen Werke gut sein läßt4,
sie angenehm und würdig macht damit, dass er Gott vertraut und nicht zweifelt,
es sei vor ihm alles wohlgetan, was der Mensch tut. Ja, sie haben den Glauben
nicht ein Werk bleiben lassen, sondern, wie sie es nennen, einen habitus5 daraus
gemacht, wo doch die ganze Schrift nichts andrem den Namen eines göttlichen,
guten Werkes gibt als einzig dem Glauben. Darum ist es kein Wunder, dass sie
blinde Blindenleiter geworden sind. Und dieser Glaube bringt alsbald mit sich
Liebe, Frieden, Freude und Hoffnung. Denn wer auf Gott traut, dem gibt er
alsbald seinen heiligen Geist, wie St. Paulus zu den Galatern sagt: »Ihr habt
den Geist empfangen nicht aus euren guten Werken, sondern weil ihr dem Wort
Gottes geglaubt habt.« (Galater 3, 27)
Zum fünften: In
diesem Glauben werden alle Werke gleich und ist eins wie das andere; es fällt
aller Unterschied der Werke dahin, sie seien groß, klein, kurz, lang, viel oder
wenig. Denn nicht ihrer selbst wegen sind die Werke Gott angenehm, sondern des
Glaubens wegen, welcher als ein und derselbe in allen und jeglichen Werken ohne
Unterschied ist, wirkt und lebt, wie zahlreich und unterschiedlich sie immer
seien: so wie alle Glieder vom Haupt ihr Leben, ihr Wirken und ihren Namen
haben und ohne das Haupt kein Glied leben, wirken oder einen Namen haben kann.
Daraus folgt dann weiter, dass ein Christenmensch, in diesem Glauben lebend,
keines Lehrers bedarf guter Werke, sondern was ihm vorkommt, das tut er, und
ist alles wohl getan. Wie Samuel zu Saul sprach: »Du wirst ein anderer Mensch
werden; wenn der Geist in dich kommt, dann tu, was dir vorkommt: Gott ist bei
dir!« (1. Samuel 10, 6ff.) Ebenso lesen wir auch von Anna, Samuels Mutter: Weil
sie dem Priester EH glaubte, der ihr Gottes Gnade zusagte, ist sie fröhlich und
friedlich heimgegangen und hat sich fortan nicht mehr hier- und dahin um Hilfe
gewandt (1. Samuel 1, 17ff.). Das meint: Es hat ihr nun alles einerlei und gleich viel gegolten, was
ihr vorgekommen ist. Auch Paulus sagt: »Wo der Geist Christi ist, da steht
alles frei.« (Römer 8, 2) Denn der Glaube lässt sich an kein Werk binden; so
lässt er sich auch keines nehmen, sondern, wie der erste Psalm sagt: »Er gibt
seine Frucht, wenn es an der Zeit ist« (Psalm 1, 3), das meint: Wie es kommt
und geht.
Zum sechsten: Das
können wir an einem ganz einfachen fleischlichen Beispiel sehen. Wenn ein Mann
oder Weib sich zuversichtlich vom anderen Liebe und Wohlgefallen erhofft und
dies fest glaubt, wer lehrt diesen dann, wie er sich einstellen soll, was er
tun, lassen, sagen, schweigen, bedenken soll? Einzig die Zuversicht lehrt ihn
das alles und mehr, als notwendig ist. Da gibt's für ihn keinen Unterschied in
den Werken; er tut das Große, Lange, Viele so gern wie das Kleine, Kurze,
Wenige und umgekehrt. Dazu tut er's mit fröhlichem, friedlichem, sicherem
Herzen und ist dabei ein ganz freier Geselle. Wo aber ein Zweifel da ist, da
sucht man, was wohl am besten sei. Da fängt man an, sich Unterschiede der Werke
auszumalen, mit denen er Huld erwerben könnte, und er geht dennoch mit
schwerem Herzen und mit großer Unlust daran und ist gleich davon gefangen, mehr
als halb verzweifelt und wird oft zum Narren darüber.
So auch ein
Christenmensch, der in dieser Zuversicht zu Gott lebt, weiß alle Dinge, vermag
alle Dinge, greift in allen Dingen kühn an, was zu tun ist, und tut alles
fröhlich und frei, nicht um viele gute Verdienste und Werke zu sammeln, sondern
weil es ihm eine Lust ist, Gott damit wohlzugefallen, und dient Gott lauter und
uneigennützig: Es ist ihm genug, dass es Gott gefällt.
Umgekehrt, wer mit
Gott nicht eins ist oder daran zweifelt, der fängt an, sucht und sorgt, wie er
doch noch genugtun und Gott mit vielen Werken bewegen wolle. Er läuft nach
St.Jakob6, nach Rom, nach Jerusalem, hierhin und dahin, betet die
St.-Brigitten-Gebete7 und dies und das, fastet an dem und an diesem
Tag, beichtet hier, beichtet da, fragt diesen und jenen und findet doch keine
Ruhe und tut das alles unter großer Beschwer, Verzweiflung und Unlust des
Herzens, so dass auch die Schrift solche guten Werke auf hebräisch nennt »awehn
und amal«, auf deutsch »Mühe und Arbeit«. Dazu sind's keine guten Werke,
sondern alle verloren. Schon viele sind darüber toll geworden und vor Angst in
allen Jammer gekommen. Von denen steht in der Weisheit 5, 6f.: »Wir sind müde
geworden auf dem unrechten Weg und sind schwere, saure Wege gewandelt, aber
Gottes Weg haben wir nicht erkannt und die Sonne der Gerechtigkeit ist uns nicht
aufgegangen.«
Zum siebenten: In
den Werken ist der Glaube noch gering und schwach. Lass uns weiter fragen: Wenn
es ihnen übel ergeht an Leib, Gut, Ehre, Freunden oder was immer sie haben, ob
sie auch dann glauben, dass sie Gott Wohlgefallen und er ihre Leiden und
Widerwärtigkeiten, sie seien klein oder groß, ihnen gnädig verordne? Hier ist's
eine Kunst, zu einem Gott, der sich zornig stellt nach all unsrem Sinn und
Verständnis, gute Zuversicht zu haben und Besseres von ihm zu erhoffen als
man's empfindet. Hier ist er so verborgen, wie die Braut es im Hohen Lied 2, 9
sagt: »Siehe, er steht hinter der Wand und sieht durch die Fenster.« Das meint
soviel wie: Unter den Leiden, die uns von ihm scheiden wollen wie eine Wand, ja
wie eine Mauer, steht er verborgen und sieht doch auf mich und verlässt mich
nicht. Denn er steht und ist immer bereit, in Gnaden zu helfen, und durch die
Fenster des dunklen Glaubens lässt er sich sehen. Und in den Klageliedern des
Jeremia heißt es: Er verwirft wohl die Menschen, aber wo er es tut, ist es
nicht seine Herzensmeinung (Jeremia 3, 31ff). Diesen Glauben kennen sie gar
nicht und finden sich ab, denken, Gott habe sie verlassen und sei ihnen feind.
Ja, sie schreiben solches Übel den Menschen zu und dem Teufel, und so ist da rein
keine Zuversicht mehr zu Gott.
Darum ist ihnen ihr
Leiden auch allezeit ärgerlich und schädlich, und doch gehen sie hin und tun
etliche guten Werke, wie sie meinen, und nehmen solchen Unglauben bei sich gar
nicht wahr. Aber die Gott in solchem Leiden vertrauen und eine feste, gute
Zuversicht zu ihm behalten, dass er ein Wohlgefallen an ihnen habe, denen sind
die Leiden und Widerwärtigkeiten nichts als kostbare Verdienste und die
edelsten Güter, die niemand hoch genug schätzen kann. Denn der Glaube und die
Zuversicht machen alles kostbar vor Gott, was für die ändern aufs
allerschädlichste ist, so dass selbst vom Tod in Psalm 116, 15 geschrieben
steht: »Der Tod seiner Heiligen ist kostbar geachtet vor Gottes Augen.« Und
soviel die Zuversicht und der Glaube in diesem zweiten Grad besser, höher und
stärker sind gegenüber dem ersten Grad, um soviel übertreffen die Leiden in
diesem Glauben alle Werke im Glauben. Und so ist zwischen solchen Werken und
Leiden ein unermesslicher Unterschied, was die Besserung anlangt, die sie
bewirken.
Zum achten: Über
dies alles geht dann der höchste Grad des Glaubens, wenn Gott nicht mit
zeitlichen Leiden, sondern mit Tod, Hölle und Sünde das Gewissen straft und
zugleich Gnade und Barmherzigkeit versagt, als wollte er ewig verdammen und
zürnen. Nur wenige Menschen erfahren es so, wie David in Psalm 6, 1 es beklagt:
»Herr, strafe mich nicht in deinem Grimm!« Hier zu glauben, dass Gott ein
gnädiges Wohlgefallen an uns habe, ist das höchste Werk, das von und in seinen
Geschöpfen geschehen kann. Davon wissen die Werkheiligen und Guttäter gar
nichts. Denn wie wollten sie hier für sich Gutes und Gnade von Gott erhoffen,
wenn sie in ihren eigenen Werken ungewiss sind und schon im geringsten Grad
des Glaubens in Zweifel geraten?
Sieh, so hab ich's
gesagt, allezeit den Glauben gepriesen und alle Werke, die ohne solchen Glauben
geschehen, verworfen, um dadurch die Menschen von den falschen, blendenden,
pharisäischen, ungläubigen guten Werken, von denen jetzt alle Klöster, Kirchen,
Häuser, niederen und höheren Stände voll sind, weg- und zu den rechten,
wahrhaftigen, grundguten gläubigen Werken hinzuführen. Dabei widerstrebt mir
auch niemand außer jenen unreinen Tieren, deren Füße nicht gespalten sind (wie
es im Gesetz des Mose angedeutet ist, 3. Mose 11, 4), nämlich Menschen, die gar
keine Unterscheidung dulden wollen in guten Werken, sondern plump hineintappen:
Wenn nur gebetet, gefastet, gestiftet, gebeichtet, genuggetan wird, dann soll
dies alles ein gutes Werk sein, auch wenn sie dabei keinen Glauben gehabt haben
an die göttliche Gnade und sein Wohlgefallen. Ja, am meisten erachten sie es
für gut, wenn es nur viele und große Werke waren und sie diese lange getan
haben, auch ohne all solche Zuversicht. Und sie wollen allererst nachher Gutes
davon erhoffen, wenn die Werke getan sind, und wollen damit nicht auf das
göttliche Wohlgefallen ihre Zuversicht bauen, sondern auf ihre getanen Werke,
das heißt auf Sand und auf Wasser, wie Christus Matthäus 7, 26f. sagt. Diesen
guten Willen und das Wohlgefallen, auf dem unsre Zuversicht steht, haben die
Engel vom Himmel verkündigt, als sie in der Christnacht das Gloria in excelsis
Deo sangen: »Ehre sei Gott in der Höhe, Frieden auf Erden, gnädiges Wohlgefallen
den Menschen!« (Lukas 2, 14)
Zum neunten: Sieh,
das ist das Werk des ersten Gebotes, in dem geboten ist: »Du sollst keine
anderen Götter haben.« Das heißt soviel wie: Weil ich allein Gott bin, sollst
du auf mich allein deine ganze Zuversicht, dein Vertrauen und deinen Glauben
setzen und auf niemand andres. Denn das heißt nicht, einen Gott haben, wenn du
äußerlich mit dem Munde Gott nennst oder ihn auf den Knieen und mit Gebärden
anbetest, sondern wenn du ihm herzlich vertraust und alles Gute, Gnade und Wohlgefallen
von ihm erhoffst, es sei im Wirken oder Leiden, im Leben oder Sterben, in Lieb
oder Leide. Wie der Herr Christus Johannes 4, 24 zu dem heidnischen Weib sagt:
»Ich sage dir, wer Gott anbeten will, der muss ihn im Geist und in der Wahrheit
anbeten.« Und dieser Glaube, diese Treue, diese Zuversicht aus Herzensgrund
ist die wahrhaftige Erfüllung dieses ersten Gebotes; ohne den gibt es sonst
kein Werk, das diesem Gebot genugtun könnte.
Und wie dieses
Gebot das allererste, höchste, beste ist, aus dem alle andern entspringen, in
dem sie gehen, nach dem sie sich richten und an dem sie ihr Maß finden, so ist
auch sein Werk (das meint: der Glaube oder die Zuversicht zu Gottes Huld zu
aller Zeit) das allererste, höchste, beste, aus dem alle ändern entspringen, in
dem sie gehen, bleiben, nach dem sie sich richten und an dem sie ihr Maß finden
müssen. Und andere Werke sind demgegenüber gerade so, als wenn die ändern
Gebote ohne das erste wären und kein Gott wäre. Deshalb spricht Augustinus zu
Recht, des ersten Gebotes Werke seien Glauben, Hoffen und Lieben. Nun ist oben
gesagt, dass solcher zuversichtliche Glaube Liebe und Hoffnung mit sich bringt;
ja wenn wir's recht ansehen, dann ist die Liebe das erste oder doch zugleich da
mit dem Glauben. Denn ich könnte Gott nicht vertrauen, wenn ich nicht dächte,
er wolle mir günstig und hold sein; wodurch auch ich ihm wiederum hold und dazu
bewegt werde, ihm herzlich zu trauen und alles Gute von ihm zu erhoffen.
Zum zehnten: Nun
siehst du selbst, dass alle, die nicht auf Gott vertrauen allezeit und nicht
seine Gunst, Huld und Wohlgefallen erhoffen in all ihrem Wirken oder Leiden,
Leben oder Sterben, sondern bei anderen Dingen oder bei sich selbst solches
suchen, dies Gebot nicht halten und wahrhaftig Abgötterei treiben, auch wenn
sie die Werke aller anderen Gebote täten, dazu aller Heiligen Gebete, Fasten,
Gehorsam, Geduld, Keuschheit, Unschuld auf einem Haufen hätten. Denn das
Hauptwerk ist nicht da, ohne das die ändern alle nichts sind als lauter
Blendwerk, Schein und Schönfärberei und nichts dahinter. Vor diesen warnt uns
Christus Matthäus 7, 15: »Hütet euch vor den falschen Propheten, die zu euch in
Schafskleidern kommen!« Das sind alle, die durch viele gute Werke (wie sie's
nennen) sich Gott wohlgefällig machen und Gott seine Huld gleichsam abkaufen
wollen, als wäre er ein Trödler und Tagelöhner, der seine Gnade und Huld nicht
umsonst geben wollte. Das sind die verkehrtesten Menschen auf Erden, die nur
schwer oder nie zum rechten Weg bekehrt werden. Und ebenso steht es mit allen,
die in Widerwärtigkeit hierhin und dahin laufen und überall Rat, Hilfe und
Trost suchen, nur nicht bei Gott, bei dem danach zu suchen ihnen aufs höchste
geboten ist. Die straft der Prophet Jesaja mit den Worten: »Das unsinnige Volk
bekehrt sich nicht zu dem, der es schlägt.« (Jesaja 9, 13) Das meint: Gott
schlug sie und fügte ihnen Leiden und allerlei Widerwärtigkeit zu, damit sie zu
ihm laufen sollten und ihm vertrauen. Doch laufen sie von ihm weg zu den
Menschen, jetzt nach Ägypten, jetzt nach Assyrien, vielleicht auch zum Teufel;
von solcher Abgötterei ist viel in diesem Propheten und in den Büchern der
Könige geschrieben. So halten es alle scheinheiligen Gleisner auch jetzt noch,
wenn ihnen etwas zustößt: Sie laufen dann nicht zu Gott, sondern fliehen von
und vor ihm, denken nur noch daran, wie sie durch sich selbst oder durch
menschliche Hilfe ihr Anliegen loswerden können, und wollen sich dennoch als
fromme Leute achten und achten lassen!
Zum elften: Das ist
die Meinung Paulus an vielen Stellen, wenn er dem Glauben soviel zuschreibt,
dass er sagt: »Iustus ex fide sua vivit - der gerechte Mensch hat sein Leben
aus seinem Glauben« (Römer 1, 17), und der Glaube ist das, weswegen er vor Gott
als gerecht angesehen wird. Besteht die Gerechtigkeit somit im Glauben, dann ist
es klar, dass er allein alle Gebote erfüllt und alle ihre Werke rechtfertigt,
da ja niemand gerechtfertigt ist, er tue denn alle Gottesgebote, und umgekehrt
auch die Werke niemanden vor Gott rechtfertigen können ohne den Glauben. Und so
ganz offen und vollmundig verwirft der heilige Apostel die Werke und preist
den Glauben, dass etliche an seinen Worten Anstoß nahmen und sprachen: »Ei, so
wollen wir kein gutes Werk mehr tun«, die er doch als irrige, unverständige
Leute verdammt.
Und so geschieht es
noch immer: Wenn wir die großen Werke, die zu unseren Zeiten in besonderem
Ansehen stehen, verwerfen, weil sie ganz ohne Glauben getan werden, dann sagen
sie, sie sollten wohl nur noch glauben und nichts Gutes mehr tun! Man nennt
nämlich als Werke des ersten Gebotes zu dieser Zeit: Singen, Lesen8,
Orgelspiel, Messe halten, Metten, Vespern und andere Tagzeiten beten,
Kirchen, Altäre, Klöster stiften und schmücken mit Glocken, Kleinodien,
Messgewändern, Geschmeide; auch Schätze von Verdiensten sammeln, nach Rom, zu
den Heiligen laufen. Wenn wir demnach feierlich gekleidet uns bücken, die
Kniee beugen, Rosenkranz und Psalter beten, und das alles nicht vor einem
Abgott, sondern vor dem heiligen Kreuz Gottes oder vor einem Bild seiner
Heiligen tun, das nennen wir Gott ehren, anbeten und, nach dem ersten Gebot,
keine anderen Götter haben; was doch auch Wucherer, Ehebrecher und allerlei
Sünder tun können und täglich tun!
Nun wohlan,
geschehen diese Dinge in solchem Glauben, dass wir dafür halten, es gefalle
Gott alles wohl, dann sind sie löblich, nicht um ihres besonderen Wertes, sondern
um dieses Glaubens willen, dem alle Werke gleich viel gelten, wie gesagt worden
ist. Zweifeln wir aber daran oder halten nicht dafür, dass Gott uns hold sei,
an uns Gefallen habe, oder maßen uns an, dass wir zuallererst ihm durch Werke
und wegen dieser gefallen sollten, dann ist's lauter Betrug: Im Äußeren ehrt
man Gott, im Inneren macht man sich selber zum Abgott. Das ist die Ursache,
warum ich so oft gegen den Pomp, die Pracht, die Menge solcher Werke geredet
und sie verworfen habe. Es hegt hell zutage, dass sie nicht bloß im Zweifel
oder ohne solchen Glauben geschehen, sondern dass auch unter tausend nicht
einer ist, der nicht sein Vertrauen auf sie setzte und vermeinte, dadurch
Gottes Huld zu erlangen und seiner Gnade zuvorzukommen. So macht man einen
Jahrmarkt daraus, was Gott nicht dulden kann. Denn er hat seine Huld umsonst zu
schenken versprochen und will, dass man bei dieser anhebe mit seiner Zuversicht
und in ihr alle Werke vollbringe, wie sie genannt sein mögen.
Zum zwölften:
Daraus merke selber, wie weit es auseinanderliegt, das erste Gebot nur
äußerlich, mit Werken, oder aber innerlich, mit Vertrauen, zu erfüllen! Denn
dieses macht rechte, lebendige Gotteskinder, jenes nur schlimmere Abgötterei
und die schädlichsten Scheinheiligen, die auf Erden sind, die unzählig viele
Leute mit ihrem großen Ansehen zu ihrer Weise des Gottesdienstes verführen und
lassen sie doch ohne Glauben bleiben und damit, jämmerlich verfuhrt, im äußerlichen
Geplärr und Hirngespinst stecken. Von denen sagt Christus Matthäus 24, 23:
»Hütet euch, wenn sie euch sagen werden: Siehe hier oder da ist Christus!«
Desgleichen Johannes 4, 21: »Ich sage dir, dass die Zeit kommen wird, dass ihr
weder auf diesem Berg noch zu Jerusalem werdet Gott anbeten, denn geistliche
Anbeter sucht der Vater.«
Diese und ähnliche
Sprüche haben mich bewegen und sollen jedermann dazu bewegen, das große
Gepränge mit Bullen, Siegeln und Fahnen bei den Ablässen zu verwerfen, mit dem
das arme Volk zu Kirchbauten, Gaben, Stiftungen, Gebeten verleitet wird,
während der Glaube ganz verschwiegen, ja sogar unterdrückt wird. Denn weil es
für ihn unter den Werken keinen Unterschied gibt, so kann es mit ihm nicht
zusammenbestehen, ein Werk vor dem ändern so groß aufzublasen und zu betreiben.
Denn er will allein der wahre Gottesdienst sein und die Ehre dieses Namens
keinem ändern Werk lassen oder nur, soviel er ihm davon mitteilt. Das tut er,
wo immer das Werk in ihm und aus ihm geschieht. Der obige Unfug ist schon im
Alten Testament angedeutet worden, als die Juden den Tempel stehen ließen, um
an anderen Orten, in grünen Lustgärten und auf den Bergen zu opfern. So halten
diese es auch: Sie sind emsig dabei, alle Werke zu tun; aber auf dieses
Hauptwerk, den Glauben, achten sie nie.
Zum dreizehnten: Wo
sind nun die, die da fragen, welche "Werke gut seien, was sie tun sollen,
wie sie fromm sein sollen? Ja, wo sind auch die, die da sagen, wenn wir vom
Glauben predigen, dass wir dann keine Werke mehr lehren wollten oder tun
sollten? Gibt nicht schon einzig dies erste Gebot mehr zu schaffen, als jemand
tun kann? Auch wenn's nicht einer allein, sondern tausend oder alle Menschen
oder alle Kreaturen wären, so wäre ihm hier dennoch genug auferlegt und mehr
als genug, wenn ihm geboten ist, er solle allezeit in Glauben und Zuversicht zu
Gott leben und wandeln, ja solchen Glauben auf keinen ändern abstellen und so
nur einen, den rechten, und keinen anderen Gott haben.
Weil denn das
menschliche Wesen seiner Natur nach keinen Augenblick sein kann ohne Tun oder
Lassen, Leiden oder Fliehen (denn das Leben ruht nie, wie wir sehen): Wohlan,
so fange an, wer fromm sein und voll guter Werke werden will, und übe sich
selber in allem Leben und Wirken zu allen Zeiten in diesem Glauben und lerne
beständig alles in solcher Zuversicht tun und lassen. Der wird dann finden, wie
viel er zu tun hat und dass es in allen Dingen völlig am Glauben hegt und er
nie müßig werden kann, weil auch der Müßiggang als ein Werk der Glaubensübung
geschehen muss, und kurzum nichts in uns und an uns sein oder uns zufallen
kann: Wenn wir glauben (wie wir sollen), es gefalle dies alles Gott, dann muss
es gut sein und verdienstlich. So sagt Paulus: »Liebe Brüder, alles, was ihr
tut, ihr esset oder trinket, tut es alles in dem Namen Jesu Christi, unsres
Herrn.« (1. Korinther 10, 1) Nun kann es nicht in diesem Namen geschehen, wenn
es nicht in solchem Glauben geschieht. Und so sagt er auch Römer 8, 28: »Wir
wissen, dass alle Dinge den Heiligen Gottes zum besten mitwirken.«
Darum kommt die
Redensart, dass etliche sagen, wenn wir allein den Glauben predigen, seien gute
Werke verboten, auf das gleiche hinaus, wie wenn ich zu einem Kranken spräche:
Besäßest du deine Gesundheit, dann hättest du auch alle Glieder in ihrem
Gebrauch; ohne sie führt der Gebrauch aller Glieder zu nichts; und er daraus
entnehmen wollte, ich hätte den Gebrauch der Glieder verboten; wo ich doch
meinte: Die Gesundheit muss zuvor da sein und sich im Gebrauch aller Glieder auswirken.
Ebenso muss auch der Glaube Werkmeister und Hauptmann sein in allen Werken,
oder sie sind zu gar nichts zu gebrauchen.
Zum vierzehnten.
Sodann könntest du sprechen: Warum gibt es denn so viele geistliche und
weltliche Gesetze und viele Zeremonien in Kirchen, Klöstern, Städten, durch
welche die Menschen zu guten Werken gedrängt und angeregt werden sollen, wenn
doch der Glaube dem ersten Gebot zufolge alle Dinge tut? Antwort: Eben darum,
weil wir den Glauben nicht allesamt haben oder achten. Wenn den jedermann
hätte, dann bedürften wir keines Gesetzes mehr, sondern ein jeder täte von
selbst gute Werke zu aller Zeit, wie es ihn diese Zuversicht sehr wohl lehrte.
Nun gibt es aber
viererlei Arten von Menschen. Die ersten, die, wie jetzt gesagt worden ist,
keines Gesetzes bedürfen, von denen Paulus 1. Timotheus 1, 9 sagt: »Dem Gerechten
(das meint dem Glaubenden) ist kein Gesetz auferlegt«, sondern solche tun
freiwillig, was sie wissen und können, und sehen in fester Zuversicht nur auf
das eine, dass Gottes Wohlgefallen und Huld über ihnen schwebe in allen Dingen.
Die zweiten wollen
solche Freiheit missbrauchen, sich fälschlich darauf verlassen und faul werden.
Von denen sagt Petrus 1. Petrus 2, 16: »Ihr sollt leben als die frei sind und
doch diese Freiheit nicht zu einem Deckel der Sünden machen.« Als spräche er:
Die Freiheit des Glaubens gibt keinen Freibrief zur Sünde, wird sie auch nicht
decken, sondern sie gibt uns den Freibrief, alle möglichen Werke zu tun, wie
sie uns vor die Hand kommen, und alles zu
ertragen, damit
niemand sich bloß an ein Werk oder an einige wenige Werke gebunden fühle. So
sagt St. Paulus auch Galater 5, 13: »Sehet zu, dass ihr diese Freiheit nicht
eine Ursache sein lasst zu fleischlichem Leben.« Solche Menschen muss man
antreiben mit dem Gesetz und bewahren mit Lehren und durch Vermahnung.
Die dritten sind
böse Menschen, allzeit ganz ungescheut zu Sünden bereit. Die muss man mit
Gesetzen, geistlich und weltlich, zwingen wie die wilden Pferde und Hunde, und
wenn das nichts helfen will, sie vom Leben tun durchs weltliche Schwert; wie
Paulus sagt Römer 13, 3f.: »Die weltliche Gewalt trägt das Schwert und dient
Gott damit, nicht den Frommen zur Furcht, sondern den Bösen.«
Die vierten sind
die, die noch wohlgemut und wie Kinder sind im Verständnis solchen Glaubens und
geistlichen Lebens. Die muss man, wie die jungen Kinder, herbeilocken und
anziehen durch das äußerliche, bestimmte und verbindliche Zeremoniell: Lesen,
Beten, Fasten, Singen, Kirchenraum, Kirchenschmuck, Orgeln und was davon in
Klöstern und Kirchen fester Brauch und üblich ist, so lange, bis auch sie den
Glauben erkennen lernen. Obwohl hier die große Gefahr besteht, dass die
Regenten, wie es jetzt leider so geht, diese Zeremonien und sinnlichen Werke
betreiben und einbleuen, als wären das die rechten Werke, und den Glauben
vernachlässigen, den sie nebenher immer auch lehren sollten, so wie eine Mutter
dem Kind neben der Milch auch andere Speisen gibt, bis das Kind die starke
Speise selbst essen kann.
Zum fünfzehnten: Weil
wir denn nicht alle gleich sind, müssen wir diese Menschen dulden und mit ihnen
halten und tragen, was sie halten und tragen, und sollen sie nicht verachten,
sondern im rechten Weg des Glaubens unterweisen. So lehrt uns Paulus Römer 14,
1: »Den Schwachen im Glauben nehmt an, um ihn zu unterweisen.« So tat er's
auch selbst 1. Korinther 9, 20f.: »Ich habe es so gehalten mit denen, die unter
dem Gesetz waren, als wäre ich auch darunter, wo ich doch nicht darunter war.«
Und Christus, als er den Zinsgroschen geben sollte, wozu er doch nicht
verpflichtet war, disputierte er mit Petrus Matthäus 17, 25ff., ob auch die
Kinder der Könige Zins zahlen müssten oder nur die anderen Leute, und Petrus
antwortete: Nur die anderen Leute. Da sprach Christus: »Dann sind also die
Kinder der Könige frei! Doch damit wir sie nicht ärgern, so geh ans Meer und
wirf die Angel hinein; der erste Fisch, der dann kommt, den nimm, und in seinem
Mund wirst du einen Pfennig finden, den gib ihnen für mich und für dich!«
Hier sehen wir, dass
alle Werke und Dinge frei sind einem Christen durch seinen Glauben, und er
doch, weil die anderen noch nicht glauben, mit ihnen trägt und hält, was nicht
seine Schuldigkeit ist. Und das tut er wieder aus Freiheit, denn er ist gewiss,
so gefalle es Gott, und tut es gerne, nimmt's auf sich wie ein anderes freies
Werk, das ihm ohne eigene Wahl auf die Hand stößt, weil er nicht mehr begehrt
und sucht als nur, wie er wirken kann, um Gott zu gefallen mit seinem Glauben.
Weil wir uns aber
in diesem Sermon vorgenommen haben, zu lehren, was rechtschaffene, gute Werke
seien, und jetzt von dem höchsten Werk reden, ist's offenbar, dass wir nicht
von der zweiten, dritten oder vierten Art von Menschen zu reden haben, sondern
von den ersten, denen die anderen alle gleich werden und darum von diesen
ersten solange geduldet und unterwiesen werden sollen. Darum soll man solche
Schwachen im Glauben, die gerne Gutes tun und Besseres lernen möchten, es
jedoch noch nicht begreifen können, mit ihren Zeremonien nicht verachten, wenn
sie so fest daran hängen, als sei's mit ihnen gänzlich verloren. Sondern man
muss ihren ungelehrten, blinden Meistern die Schuld geben, die sie nie den
Glauben gelehrt und sie so tief in die Werke geführt haben. Nun soll man sie
dort wieder heraus- und in den Glauben hineinführen mit Sanftmut, Sorgfalt und
in aller Ruhe, wie man mit einem Kranken umgeht, und es zulassen, dass sie
etlichen Werken noch eine Zeitlang um ihres Gewissens willen anhangen und sie
weiter treiben, als wären sie nötig zur Seligkeit, so lange, bis sie den
Glauben recht erfassen; damit nicht, wenn wir sie so geschwind herausreißen
wollen, ihr schwaches Gewissen ganz scheitert und irre wird und sie weder
Glauben noch Werke behalten. Aber die Hartköpfigen, die, in ihren Werken verstockt,
es gering schätzen, was man vom Glauben sagt, auch dagegen streiten, die soll
man fahren lassen, damit ein Blinder den anderen leite, wie Christus es tat und
lehrte (Matthäus 15, 14).
Zum sechzehnten.
Sprichst du aber: Wie kann ich gewiss darauf hoffen, dass alle meine Werke Gott
wohlgefällig seien, wenn ich doch zuweilen falle, zuviel rede, esse, trinke,
schlafe oder wohl auch sonst über die Stränge schlage, was zu vermeiden mir
nicht möglich ist? Antwort: Diese Frage zeigt an, dass du den Glauben noch wie
ein anderes Werk ansiehst und ihn nicht über alle Werke erhebst. Denn eben
darum ist er das höchste Werk, weil er bestehen bleibt auch bei diesen
täglichen Sünden und sie tilgt, indem er nicht daran zweifelt, Gott sei dir so
günstig gesinnt, dass er wegen solch täglichem Fall und all der Gebrechlichkeit
durch die Finger sieht. Ja, selbst wenn auch ein tödlicher Fall einträte (was
doch denen, die im Glauben und Gottvertrauen leben, nie oder selten widerfährt),
steht der Glaube doch wieder auf und zweifelt nicht, seine Sünde sei schon
dahin. Wie 1. Johannes 2, 1f. geschrieben steht: »Das schreibe ich euch, Hebe
Kinder, auf dass ihr nicht sündigt; so aber jemand doch fällt, haben wir einen
Fürsprecher bei Gott, Jesus Christus, der da ist eine Vergebung für alle unsere
Sünden.« Und Weisheit 15, 2: »Und ob wir schon sündigten, so sind wir dennoch
die Deinen und erkennen, dass du groß bist.« Und Sprüche 24, 16: »Siebenmal mag
ein gerechter Mensch fallen, steht aber ebenso viele Mal wieder auf.« Ja, diese
Zuversicht und der Glaube muss so hoch und stark sein, dass der Mensch weiß,
dass all sein Leben und Wirken nichts als verdammenswerte Sünde sei vor Gottes
Gericht, wie geschrieben steht Psalm 143, 2: »Es wird vor dir kein lebendiger
Mensch gerechtfertigt erfunden.« Und so muss er an seinen Werken verzweifeln,
weil sie nicht anders gut sein können als durch diesen Glauben, der kein
Gericht, sondern lauter Gnade, Gunst, Huld und Barmherzigkeit von Gott
erwartet, wie David Psalm 26, 3 sagt: »Deine Barmherzigkeit ist mir stets vor
meinen Augen, und ich bin guten Mutes gewesen in deiner Wahrheit.« Und Psalm 4,
7: »Die Erleuchtung deines Angesichts schwebt über uns (das meint: die
Erkenntnis deiner Gnade durch den Glauben), und damit hast du mein Herz fröhlich
gemacht.« Denn so, wie er sich's versieht, es ihm geschieht.
Sieh also, aus
Gottes Barmherzigkeit und Gnade, nicht wegen ihrer eigenen Natur sind die Werke
ohne Schuld, vergeben und gut, um des Glaubens willen, der auf diese
Barmherzigkeit sich verlässt. So müssen wir wegen der Werke uns fürchten, aber
wegen der Gnade Gottes uns trösten, wie geschrieben steht Psalm 147, 11: »Gott
hat ein gnädiges Wohlgefallen an denen, die sich vor ihm fürchten und dennoch
auf seine Barmherzigkeit trauen.« So beten wir mit ganzer Zuversicht: »Vater
unser« und bitten dennoch: »Vergib uns unsere Schuld«, sind Kinder und dennoch
Sünder, sind ihm angenehm und tun doch nicht genug. Das macht alles der Glaube,
wenn er in Gottes Huld fest wird.
Zum siebzehnten:
Fragst du aber, wo Glaube und Zuversicht gefunden werden und herkommen können,
dann ist das freilich das nötigste, was man wissen muss. Zuerst: Er kommt ohne
Zweifel nicht aus deinen Werken oder Verdiensten, sondern allein von Jesus
Christus, ist uns da umsonst versprochen und gegeben, wie Paulus sagt Römer 5,
8: »Gott macht uns seine Liebe sehr süß und freundlich damit, dass Christus für
uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.« Als wollte er sagen: Sollte uns
das nicht eine starke, unüberwindliche Zuversicht machen, dass, ehe wir darum
gebeten oder gesorgt haben, ja als wir noch in Sünden für und für wandelten,
Christus für unsere Sünden stirbt? Und dort folgt dann: »Wenn denn Christus zu
einer Zeit für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren, um wie viel mehr
werden wir, wenn wir nun durch sein Blut gerechtfertigt sind, selig werden
durch ihn? Und wenn wir mit Gott versöhnt worden sind durch den Tod seines
Sohnes, als wir noch seine Feinde waren, wie viel mehr werden wir, wenn wir nun
versöhnt sind, durch sein Leben erhalten werden?« (Römer 5, 9f.)
Sieh, so musst du
Christus in dich hineinbilden und sehen, wie in ihm Gott dir seine
Barmherzigkeit vorhält und anbietet, ohne alle deine zuvorkommenden Verdienste.
Und aus solchem Bild seiner Gnade musst du den Glauben schöpfen und die
Zuversicht zur Vergebung all deiner Sünden. Darum fängt der Glaube nicht mit
den Werken an, sie bringen ihn auch nicht hervor, sondern er muss aus dem Blut,
den Wunden, dem Sterben Christi quellen und fließen. Wenn du darin siehst, dass
dir Gott so hold ist, dass er auch seinen Sohn für dich gibt, muss auch dein
Herz freundlich und Gott wieder hold werden und so die Zuversicht aus lauter
Gunst und Liebe von Gott gegen dich und von dir gegen Gott erwachsen. So lesen
wir, dass noch nie jemandem der heilige Geist gegeben worden sei dann, wenn er
Werke getan hat, wohl aber immer dann, wenn sie das Evangelium von Christus und
der Barmherzigkeit Gottes gehört haben. Aus diesem Wort muss der Glaube
herkommen, auch noch heute und allezeit, und sonst von nirgendwo anders. Denn
Christus ist »der Fels, aus dem man Butter und Honig saugt«, wie Mose sagt (5.
Mose 32, 13).
Zum achtzehnten:
Sieh, bisher haben wir das erste Werk und das erste Gebot behandelt, doch nur
in kurzen und groben Zügen, denn es wäre sehr vieles darüber zu sagen. Nun
wollen wir den Werken weiter nachgehen anhand der folgenden Gebote.
Das zweite und
nächste Werk nach dem Glauben ist das Werk des zweiten Gebots: dass wir Gottes
Namen ehren und nicht unnütz gebrauchen sollen, was wie alle anderen Werke
nicht ohne den Glauben geschehen kann;
geschieht's aber ohne ihn, so ist's lauter Blendwerk und Schein. Nächst dem
Glauben können wir nichts Größeres tun, als dass wir Gottes Lob, Ehre und seinen
Namen preisen, predigen, singen und auf allerlei Weise erheben und groß machen.
Wohl habe ich oben
gesagt, und es ist auch wahr, dass es keinen Unterschied gibt zwischen den
Werken, wenn der Glaube da ist und wirkt. Doch ist das dahin zu verstehen: wenn
sie nach dem Glauben und seiner Wirkung beurteilt werden. Aber wenn man sie
untereinander vergleicht, gibt es einen Unterschied, und eines kann höher sein
als das andere. So wie im Leib die Glieder, nach der Gesundheit beurteilt,
keinen Unterschied aufweisen und die Gesundheit sich in dem einen gleich
auswirkt wie in dem ändern, so sind doch die Tätigkeiten der Glieder
verschieden und eines kann höher, edler, nützlicher sein als das andere. So
auch hier: Gottes Ehre und Namen zu preisen ist besser als die folgenden Werke
der anderen Gebote, und es muss doch in demselben Glauben geschehen, in dem
alle ändern geschehen.
Ich weiß aber wohl:
Dieses Werk wird gering geachtet; dazu ist es unbekannt geworden. Darum wollen
wir's ausführlicher ansehen und lassen es jetzt genug gesagt sein, dass solches
Werk im Glauben geschehen soll und in der Zuversicht, es gefalle Gott wohl. Ja,
es gibt kein anderes Werk, bei dem man die Zuversicht und den Glauben ebenso
unmittelbar empfindet und fühlt, wie wenn wir Gottes Namen ehren. Und es hilft
sehr, den Glauben zu stärken und zu mehren; obwohl alle anderen Werke auch dazu
helfen, wie Petrus sagt 2. Petrus 1, 10: »Liebe Brüder, wendet Fleiß daran,
dass ihr durch gute Werke eure Berufung und Erwählung gewiss macht!«
Zum neunzehnten:
Das erste Gebot verbietet, wir sollen keine anderen Götter haben, und damit
gebietet es, wir sollen nur einen, den rechten, Gott haben, durch einen festen
Glauben, durch Vertrauen, Zuversicht, Hoffnung und Liebe. Nur das sind die
Werke, mit denen man einen Gott haben, ehren und behalten kann. Denn mit keinem
anderen Werk kann man Gott erlangen oder verlieren als nur mit Glauben oder
Unglauben, mit Vertrauen oder Zweifel; von den anderen Werken reicht keines
bis hin zu Gott. Ebenso wird uns im zweiten Gebot verboten, wir sollen seinen
Namen nicht unnütz gebrauchen. Doch will das nicht genug sein, sondern es wird
uns damit auch geboten, wir sollen seinen Namen ehren, anrufen, preisen,
predigen und loben. Und zwar ist es nicht anders möglich, als dass Gottes Name
um seine Ehre gebracht wird, wo immer er nicht in rechter Weise geehrt wird.
Denn wenn er auch mit dem Munde, mit Kniebeugen, Küssen oder ändern Gebärden
geehrt wird: Wo das nicht von Herzen geschieht, in Glauben und Zuversicht zu
Gottes Huld, ist es nichts als ein scheinheiliges, schöngefärbtes Blendwerk.
Nun sieh, wie
manche guten Werke ein Mensch unter diesem Gebot zu allen Stunden tun kann und
dass er nie ohne gute Werke dieses Gebotes sein muss, wenn er will. So dass er
fürwahr nicht in die Ferne wallfahren oder heilige Stätten aufsuchen muss. Denn
sag an, welcher Augenblick mag wohl vorübergehen, in dem wir nicht unablässig
Gottes Güter empfangen oder aber böse Widerwärtigkeiten erleiden? Was sind
aber Gottes Güter und die Widerwärtigkeiten andres als ständige Ermahnungen
und Anreize, Gott zu loben, zu ehren und anzubeten, ihn und seinen Namen
anzurufen? Wenn du nun alle anderen Dinge los wärest, hättest du nicht genügend
zu tun bloß mit diesem Gebot, dass du Gottes Namen unablässig anbetetest,
sängest, lobtest und ehrtest? Und wozu ist die Zunge, Stimme, Sprache und der
Mund sonst geschaffen? Wie es in Psalm 51, 16 heißt: »Herr, tue meine Lippen
auf, dass mein Mund dein Lob verkündigen möge.« Und ebenda: »Meine Zunge soll
erheben deine Barmherzigkeit.« (Ps.51,16) Was gibt es im Himmel für ein Werk
außer dem dieses zweiten Gebotes, wie es in Psalm 84, 5 steht: »Selig sind, die
da wohnen in deinem Hause; sie werden dich ewiglich loben«? So sagt David auch ps.34,2: »Gottes Lob soll allezeit in
meinem Munde sein.« Und Paulus 1. Korinther 10, 31: »Ihr esst oder trinkt oder
was ihr sonst tut, tut alles Gott zu Ehren!« Ebenso sagt er Kolosser 3, 17:
»Alles, was ihr tut, es sei mit Worten oder mit Werken, tut es in dem Namen
unsres Herrn Jesu Christi, Gott, dem Vater, zu Lob und Dank.« Wenn wir diesem
Werk nachkämen, dann hätten wir hier auf Erden ein Himmelreich und allezeit
genügend zu tun, wie die Seligen im Himmel.
Zum zwanzigsten:
Daher kommt das verwunderliche und rechte Urteil Gottes, dass zuweilen ein
armer Mensch, dem niemand viele und große Werke ansehen kann, bei sich selber
zu Hause Gott fröhlich lobt, wenn es ihm wohl geht, oder ihn mit ganzer
Zuversicht anruft, wenn ihm etwas zustößt, und damit ein größeres und
angenehmeres Werk tut als ein anderer, der viel fastet, betet, Kirchen stiftet,
auf Wallfahrten geht und sich hier und da mit großen Taten abmüht. Hier
geschieht's diesem Narren, dass er das Maul aufsperrt und nach großen Werken
ausschaut, so völlig verblendet, dass er dieses größte Werk nie gewahr wird und
dass Gott zu loben in seinen Augen ganz geringfügig ist gegenüber den großen
Gebilden seiner selbsterdachten Werke, in denen er vielleicht sich selber mehr
als Gott lobt oder darin mehr an sich selber Gefallen hat als an Gott. Und so
stürmt er mit guten Werken gegen das zweite Gebot und seine Werke an, wie schon
der Pharisäer im Evangelium und der offenkundige Sünder für dies alles ein
Ebenbild abgeben (Lukas 18, 10ff.). Denn der Sünder rief Gott an in seinen
Sünden, lobte ihn und traf damit die zwei höchsten Gebote: den Glauben und
Gottes Ehre. Der Scheinheilige verfehlte sie beide und prangte daher mit
anderen guten Werken, durch die er sich selbst und nicht Gott rühmte, mehr auf
sich als auf Gott sein Vertrauen setzte. Darum ist er billigerweise verworfen
und jener auserwählt worden.
Das kommt alles
daher, dass, je höher und besser die Werke sind, sie desto weniger glänzend
erscheinen, und dass außerdem jeder meint, sie leicht tun zu können. Indessen
sieht man vor Augen, dass niemand sich so sehr den Anschein gibt, Gottes Namen
und Ehre zu preisen, wie eben die, die es niemals tun und die, weil das Herz
ohne Glauben ist, mit solchem Blendwerk dem kostbaren Werk nur Verachtung
eintragen. Der Apostel Paulus sagt es denn auch Römer 2, 23 freimütig heraus,
dass die Gottes Namen am meisten lästern, die sich des Gesetzes Gottes rühmen.
Denn Gottes Namen
zu nennen und seine Ehre aufs Papier und an die Wände zu schreiben, ist leicht
geschehen. Ihn aber aus Herzensgrund zu loben und anzubeten für seine
Wohltaten und ihn sich zum Trost anzurufen bei allem, was uns zustößt, das sind
fürwahr die allerseltensten, höchsten Werke nächst dem Glauben. Wenn wir sehen
sollten, wie wenige es davon in der Christenheit gibt, könnten wir vor Jammer
verzagen! Und doch vermehren sich unterdessen noch immer die hohen, hübschen,
überaus blendenden Werke, die Menschen erdacht haben und die diesen rechten
Werken in ihrer Aufmachung gleichen, doch im Grund ist das alles ohne Glauben,
ohne Vertrauen, und kurzum nichts Gutes dahinter. So straft auch Jesaja das
Volk Israel: »Hört ihr, die ihr den Namen habt, als wäret ihr Israel; die ihr
schwöret bei dem Namen Gottes und gedenkt seiner weder in Wahrheit noch in
Gerechtigkeit!« (Jesaja 48, 1) Das meint, dass sie es nicht mit dem rechten
Glauben und der Zuversicht täten, welche die rechte Wahrheit und Gerechtigkeit
ist, sondern auf sich selbst, ihre Werke und ihr Vermögen vertrauten und doch
Gottes Namen anriefen und lobten: Das passt nicht zusammen!
Zum
einundzwanzigsten: So ist es nun das erste Werk dieses Gebotes, Gott zu loben
in all seinen Wohltaten, die so unermesslich viel sind, dass man auch mit
solchem Lob und Dank billigerweise nicht aufhören noch an ein Ende kommen kann.
Denn wer vermag ihn vollkommen zu loben für das natürliche Leben, geschweige
denn für alle zeitlichen und ewigen Güter? Und so wird der Mensch von diesem
einen Stück dieses Gebotes schon überschüttet mit guten, kostbaren Werken. Wenn
er diese mit rechtem Glauben ausübt, ist er fürwahr nicht umsonst hier gewesen.
Und in diesem Stück sündigt niemand so sehr wie die allerscheinheiligsten
Heiligen, die sich selber gefallen, sich gerne rühmen oder doch gerne hören ihr
Lob, Ehr und Preis vor der Welt.
Darum ist es das
zweite Werk dieses Gebotes, dass man sich vor allen zeitlichen Ehren und
Lobreden hüte, sie fliehe und meide und nicht danach suche, dass sein Name
Aufsehen errege und große Berühmtheit erlange, so dass jedermann von ihm singe
und sage. Dies ist eine ganz gefährliche und dennoch die allgemeinste Sünde;
doch wird sie leider wenig beachtet. Es will doch jeder in einigem Ansehen
stehen und nicht der geringste sein, wie gering er auch immer ist. So tief ist
unsre Natur durch ihren Eigendünkel und ihr Vertrauen auf sich selber mit
Bosheit durchtränkt9, ganz diesen zwei ersten Geboten zuwider!
Nun hält man dieses
greuliche Laster in der Welt für die höchste Tugend. Deswegen ist es überaus
gefährlich, heidnische Bücher und Historien zu lesen oder zu hören für
diejenigen, die nicht zuvor durch die Gebote Gottes und die Historien in der
heiligen Schrift wohl verständig geworden und erfahren sind. Denn alle
heidnischen Bücher sind von diesem Gift der Lob- und Ehrsuche ganz durchwirkt.
Man lernt in ihnen der blinden Vernunft zufolge, das seien keine tätigen oder
wertvollen Menschen und könnten es auch nicht werden, die sich nicht durch Lob
und Ehre bewegen lassen. Und die werden dann für die besten gehalten, die Leib
und Leben, Freunde und Gut und alles hintanstellen, damit sie Lob und Ehre
erjagen. Es haben alle heiligen Väter über dies Laster geklagt und daraus
einhellig geschlossen, dass es das am allerletzten zu überwindende Laster sei.
Augustinus spricht: Alle anderen Laster geschehen als böse Werke, bloß Ehre und
Selbstgefälligkeit kommt mit den guten Werken und durch sie zustande.
Darum, wenn ein
Mensch nicht mehr zu tun hätte als dieses zweite Werk dieses Gebotes, hätte er
doch sein Leben lang vollauf damit zu schaffen, gegen dieses Laster zu kämpfen,
das so allgemein, so listig, so behend und hartnäckig ist, wenn man's
austreiben will. Nun lassen wir alle dieses gute Werk hegen und üben uns in
vielen anderen, geringeren guten Werken; ja, gerade durch andere gute Werke
stoßen wir dieses um und vergessen es ganz. So wird denn der heilige Name
Gottes für unsern verfluchten Namen, unsre Selbstgefälligkeit und Ehrsucht
unnütz in Gebrauch genommen und um seine Ehre gebracht, während er doch allein
geehrt werden sollte. Solche Sünde wiegt schwerer vor Gott als Totschlag und
Ehebruch. Aber man sieht diesem Laster seine Bosheit nicht so gut an wie dem
Totschlag, seiner Subtilität wegen; denn diese Sünde wird nicht grob
fleischlich, sondern im Geist vollbracht.
Zum
zweiundzwanzigsten: Es meinen etliche, dass es gut sei für junge Leute, wenn
sie durch Ruhm und Ehre, umgekehrt auch durch Schande und Schmach gereizt und
zum Wohltun bewegt würden. Denn es gibt viele, die nur aus Furcht vor der
Schande und aus Liebe zur Ehre Gutes tun und Übles lassen, das sie sonst
keineswegs täten oder unterließen. Die lass ich's so halten. Aber wir suchen
jetzt, wie man in rechter Weise gute Werke tun solle, und die dazu geneigt
sind, bedürfen wahrlich nicht, dass sie mit der Furcht vor der Schande und der
Liebe zur Ehre angetrieben werden, sondern sie haben einen höheren und viel
edleren Antrieb und sollen den haben: Gottes Gebot, Gottes Furcht, Gottes
Wohlgefallen und ihren Glauben und ihre Liebe zu Gott. Die diesen Antrieb nicht
haben oder nicht achten und sich durch Schande oder Ehre antreiben lassen, die
empfangen damit auch schon ihren Lohn, wie es der Herr sagt (Matthäus 6, 2 u.
5). Und wie der Antrieb ist, so ist auch das Werk und der Lohn: Da ist keines
gut, oder doch nur in den Augen der Welt.
Nun meine ich, man
könnte einen jungen Menschen mit Gottesfurcht und mit den Geboten so leicht
gewöhnen und antreiben wie mit nichts anderem. Doch wo dies nichts helfen
will, müssen wir sie dulden, dass sie wegen der Schande und um der Ehre willen
Gutes tun und Böses lassen. Ebenso wie wir auch böse Menschen dulden müssen
oder die Unvollkommenen, von denen oben gesagt worden ist. Da können wir auch
nicht mehr dazu tun als ihnen sagen, dass ihr Tun so nicht genug und recht vor
Gott sei, und müssen sie so lassen, bis sie auch um des Gebotes Gottes willen
recht tun lernen. So wie die jungen Kinder mit Gaben und Versprechungen ihrer
Eltern zum Beten, Fasten, Lernen usw. angeregt werden, was doch nicht gut wäre,
wenn sie's ihr Leben lang so trieben und nicht lernten, aus Gottesfurcht Gutes
zu tun. Und noch viel schlimmer wäre es, wenn sie sich daran gewöhnten, nur um
des Lobes und der Ehre willen Gutes zu tun.
Zum
dreiundzwanzigsten. Das ist freilich wahr: Wir müssen dennoch einen guten Namen
und unsre Ehre haben. Und es soll sich jeder so verhalten, dass man nichts
Übles von ihm sagen noch jemand an ihm Anstoß nehmen kann, wie Paulus sagt
Römer 12, 17: »Wir sollen Fleiß daran wenden, dass wir Gutes tun, nicht nur vor
Gott, sondern auch vor allen Menschen.« Und 2. Korinther 4, 2: »Wir verhalten
uns so ehrlich, dass kein Mensch etwas anderes von uns wisse.« Aber hier muss
große Mühe und Vorsicht walten, dass diese Ehre und der gute Name das Herz
nicht aufblase und es Gefallen daran finde. Und hier gilt der Spruch Salomos:
»Wie das Feuer im Ofen das Gold bewährt, so wird der Mensch durch den Mund
dessen bewährt, der ihn lobt.« (Sprüche 27, 21)
Nur wenige und ganz
hochgeistliche Menschen dürften es sein, die unter Ehre und Lob einfach,
gelassen und gleichmütig bleiben, so dass sie sich nichts darauf zugute halten,
keinen Dünkel noch Gefallen daran bekommen, sondern ganz frei und unbeschwert
bleiben, all ihre Ehre und ihren Namen Gott allein zuschreiben, ihm allein
anbefehlen und davon nicht anders Gebrauch machen als Gott zur Ehre und dem
Nächsten zur Besserung und gar nicht für sich selber, zum eigenen Nutzen oder
Vorteil. So dass keiner seiner Ehre wegen vermessen werde oder sich überhebe,
auch nicht über den alleruntüchtigsten und verachtetsten Menschen, der auf
Erden sein mag. Sondern er soll sich erkennen als einen Knecht Gottes, der ihm
die Ehre gegeben hat, um ihm und seinem Nächsten damit zu dienen, nicht anders,
als hätte er ihm befohlen, etliche Gulden um seinetwillen den Armen
auszuteilen. So sagt er Matth.5,i6: »Euer Licht soll leuchten vor den Menschen,
auf dass sie eure guten Werke sehen und euren Vater, der im Himmel ist, der
Ehre würdigen.« Er spricht nicht, sie sollen euch der Ehre würdigen, sondern
nur, eure Werke sollen ihnen zur Besserung dienen, damit sie dadurch Gottes Tun
in euch und in ihnen selbst loben. Das ist der rechte Gebrauch eines guten
Namens und unsrer Ehre, wenn Gott darüber gelobt wird, weil sie ändern zur
Besserung dienen. Und wenn die Leute uns und nicht Gottes Tun in uns loben
wollen, sollen wir es nicht dulden und uns mit allen Kräften wehren und davor
fliehen wie vor der allerschwersten Sünde, dem Diebstahl an der göttlichen
Ehre.
Zum
vierundzwanzigsten: Daher kommt es, dass Gott oft einen Menschen in schwere
Sünde fallen oder darin liegen lässt, damit er vor sich selbst und vor jedermann
zuschanden werde, weil er sonst sich nicht hätte enthalten können von diesem
großen Laster der eitlen Ehr- und Geltungssucht, wenn er mit seinen großen
Gaben und Tugenden standhaft geblieben wäre. Da muss Gott gleichsam mit
anderen, schweren Sünden dieser Sünde wehren, damit sein heiliger Name allein
in Ehren bleibe. Und so wird eine Sünde zur Arznei für die andere, um unsrer
verkehrten Bosheit willen, die nicht bloß das Üble tut, sondern auch alles Gute
missbraucht.
Nun sieh, wie viel
der Mensch zu tun habe, wenn er gute Werke tun will, die ihm allezeit in großen
Haufen vor den Händen hegen und von denen er allenthalben umringt ist. Und
leider, vor Blindheit, lässt er sie liegen und sucht sich andre nach seinem
Gutdünken und Wohlgefallen heraus und folgt diesen, so dass niemand genug
dagegen reden, niemand genug sich davor hüten kann. Damit haben alle Propheten
zu schaffen gehabt und sind alle darüber erwürgt worden, bloß weil sie diese
selbsterdachten Werke verworfen und nur Gottes Gebote gepredigt haben. Einer
von ihnen, Jeremia, spricht: »So lässt euch der Gott Israels sagen: Nehmt eure
Opfer wieder weg, werft sie mit all euren Gaben in einen Topfund fresst euer
Opferfleisch selber! Denn ich habe euch von diesen nichts geboten. Sondern das
habe ich euch geboten: Ihr sollt meine Stimme hören (das meint: nicht was euch
recht und gut dünkt, sondern was ich euch heiße) und sollt wandeln in dem Weg,
den ich euch geboten habe.« (Jeremia 7, 21f.) Und 5. Mose 12, 8 u. 32: »Du
sollst nicht tun, was dich recht und gut dünkt, sondern was Gott dir geboten
hat.«
Diese und
dergleichen unzählige Sprüche der Schrift sind gesagt, um die Menschen
wegzureißen nicht bloß von den Sünden, sondern auch von den Werken, die sie gut
und recht dünken, und sie nur auf Gottes Gebote in einfältiger Meinung zu
richten, dass sie diese allein und allezeit fleißig wahrnehmen, wie 2. Mose 13,
2 geschrieben steht: »Du sollst dir diese meine Gebote wie ein Malzeichen in
deiner Hand lassen sein und sie als ein ständiges Vorbild vor deinen Augen
haben.« Und Psalm 1, 2: »Ein frommer Mensch, der redet auch mit sich selbst von
dem Gebot Gottes Tag und Nacht.« Denn wir haben mehr als genug und zuviel zu
tun, wenn wir bloß Gottes Geboten genugtun sollen. Er hat uns solche Gebote
gegeben, damit wir, wenn wir sie verstehen, fürwahr keinen Augenblick müßig zu
gehen brauchen und alle anderen Werke wohl vergessen können. Aber der böse
Geist, der nicht ruht - wenn er uns nicht auf die linke Seite, zu den bösen
Werken, verführen kann, ficht er uns an auf der rechten Seite durch
selbsterdachte, scheinbar gute Werke. Dagegen hat Gott geboten: »Ihr sollt von
meinen Geboten nicht wanken, weder zur rechten noch zur linken Hand.« (5. Mose
28, 15; Josua 23, 6)
Zum
fünfundzwanzigsten: Das dritte Werk dieses Gebotes besteht darin, Gottes Namen
anzurufen in allerlei Not. Denn darin sieht Gott seinen Namen geheiligt und
hoch geehrt, wenn wir ihn nennen und anrufen in der Anfechtung und in der Not.
Auch ist dies letztlich der Grund, warum er uns so viele Nöte, Leiden,
Anfechtungen, auch den Tod zufügt, uns dazu in vielen bösen, sündigen
Neigungen leben lässt: damit er dadurch den Menschen bedränge und ihm starke
Anlässe gebe, zu ihm zu laufen, zu schreien, seinen heiligen Namen anzurufen
und so dieses Werk des zweiten Gebots zu erfüllen. Wie er sagt Psalm 50, 15 u.
23: »Rufe mich an in deiner Not, so will ich dir helfen, so sollst du mich
ehren; denn ein Opfer des Lobs will ich haben, und dies ist der Weg, auf dem du
zur Seligkeit kommen kannst.« Denn bei solchem Werk wird der Mensch es gewahr
und erfährt er, was Gottes Name vermag, wie mächtig er ist, zu helfen allen,
die ihn anrufen, und dadurch nimmt auch die Zuversicht sehr stark zu und der
Glaube, mit dem man das erste und höchste Gebot erfüllt. Das hatte David
erfahren Psalm 54, 9f.: »Du hast mich erlöst von aller Not; darum will ich von
deinem Namen sagen und bekennen, dass er lieblich und süß ist.« Und auch Gott
spricht Psalm 91, 14f.: »Ich will ihn erlösen, darum dass er auf mich hofft;
ich will ihm helfen, darum dass er meinen Namen erkannt hat.«
Nun sieh, welcher
Mensch ist auf Erden, der nicht sein Leben lang auch mit diesem Werk genug zu
tun hätte? Denn wer ist eine Stunde lang ohne Anfechtung? Ich will schweigen
von den Anfechtungen der Widerwärtigkeiten, deren es unzählige gibt. Ist doch
sogar das die gefährlichste Anfechtung, wenn keine Anfechtung da ist und alles
wohl steht und zugeht: dass der Mensch darüber nicht Gottes vergesse, zu frei
werde und missbrauche die glückliche Zeit. Ja, hier hat er es zehnmal mehr
nötig, Gottes Namen anzurufen, als in der Widerwärtigkeit. Denn es steht auch
geschrieben Psalm 91, 7: »Tausend fallen auf der linken Seite, und zehntausend
auf der rechten Seite.«
Auch so sehen wir
es am hellen Tage, an der täglichen Erfahrung aller Menschen, dass
grauenvollere Sünden und Untugenden geschehen, wenn Friede ist, alle Dinge
wohlfeil sind und gute Zeit ist, als wenn Krieg, Pestilenz, Krankheiten und
allerlei Unglück uns beschweren. So dass auch Mose sich um sein Volk sorgte, es
würde aus keinem anderen Grund Gottes Gebot verlassen, als weil es zu voll, zu
satt wäre und zuviel Ruhe hätte, wie er sagt 5. Mose 32, 15: »Mein liebes Volk
ist voll, reich und fett geworden, darum hat es seinem Gott widerstrebt.« Deshalb
ließ Gott diesem viele von seinen Feinden übrigbleiben und wollte sie nicht
vertreiben, damit sie keine Ruhe bekämen und sich darin üben müssten, Gottes
Gebote zu haken, wie geschrieben steht Richter
3, 1ff. So macht er es auch bei uns, wenn er uns allerlei Unglück
zufügt; soviel Sorgfalt lässt er über uns walten, um uns zu lehren und dazu zu
bringen, dass wir seinen Namen ehren und anrufen, Zuversicht und Glauben zu
ihm gewinnen und so die ersten zwei Gebote erfüllen.
Zum
sechsundzwanzigsten. Hier handeln nun die törichten Menschen gefährlich, und
besonders die, die sich mit eigenen Werken zu Heiligen machen, und wer etwas
Besonderes sein will: Da lernen sie, sich zu segnen; der schützt sich mit
Schutzbriefen; der läuft zu den Wahrsagern; einer sucht dies, der andere das,
damit sie nur ja dem Unfall entgingen und sicher wären. Es ist nicht zu erzählen,
welches Teufelsgespenst dieses Spiel regiert mit Zaubern, Beschwören,
Aberglauben. Dies alles geschieht nur, weil sie Gottes Namen nicht gebrauchen
und ihm nicht vertrauen. Hier entzieht man dem Namen Gottes und den beiden
ersten Geboten die Ehre, weil man das beim Teufel, bei Menschen oder bei
Kreaturen sucht, was allein bei Gott durch einen reinen, bloßen Glauben, durch
Zuversicht und fröhliches Wagen und durch Anrufen seines heiligen Namens
sollte gesucht und gefunden werden.
Nun greif du es
selber mit Händen, ob das nicht eine große, unsinnige Verkehrung ist: Dem
Teufel, den Menschen und Kreaturen müssen sie glauben und von ihnen das Beste
erhoffen, und ohne solchen Glauben und solches Vorhersehen hält und hilft
nichts. Womit hat doch der fromme, treue Gott es verdient, dass man nicht auch
ihm so viel und mehr glaubt und zutraut wie einem Menschen und dem Teufel, wo
er doch nicht bloß Hilfe und gewissen Beistand zusagt, sondern auch gebietet,
auf diesen zu hoffen, und uns auch mit allen möglichen Gründen dazu antreibt,
solchen Glauben und solches Vertrauen in ihn zu setzen? Ist das nicht kläglich
und zum Erbarmen, dass der Teufel oder ein Mensch, der uns nichts zu gebieten
hat und auch zu nichts zwingen kann, sondern bloß Zusagen und Versprechungen
macht, Gott vorgezogen und dass mehr von ihm als von Gott selber gehalten wird,
der da zusagt, drängt und gebietet? Wir sollten uns billig schämen und an
denen ein Beispiel nehmen, die auf den Teufel oder auf Menschen vertrauen. Denn
wenn der Teufel, der doch ein böser, lügenhafter Geist ist, all denen Treue
hält, die mit ihm sich verbinden, wie viel mehr wird der allergütigste,
wahrhaftigste Gott, ja er allein, dort Treue halten, wo ihm jemand vertraut!
Ein reicher Mann vertraut und verlässt sich auf sein Geld und Gut, und es hilft
ihm auch. Und wir wollen nicht vertrauen und uns verlassen auf den lebendigen
Gott, dass er uns helfen wolle oder könne? Man spricht: Gut macht Mut. Das ist
wahr. Wie Baruch schreibt: Das Gold sei ein Ding, darauf sich die Menschen
verlassen (Baruch 3, 17). Aber sehr viel größer ist da der Mut, den das
höchste, ewige Gut macht, auf das sich freilich nicht alle Menschen, sondern
allein Gottes Kinder verlassen.
Zum
siebenundzwanzigsten: Wenn schon keine von diesen Widerwärtigkeiten uns zwänge,
Gottes Namen anzurufen und ihm zu vertrauen, so wäre doch wohl die Sünde allein
schon mehr als genug, um uns in diesem Werk einzuüben und anzutreiben. Denn die
Sünde hat uns mit drei starken, großen Heeren umstellt. Das erste ist unser
eigenes Fleisch, das zweite die Welt, das dritte der böse Geist. Von ihnen
werden wir unaufhörlich umgetrieben und angefochten. Dadurch veranlasst uns
Gott, unaufhörlich gute Werke zu tun, das heißt, mit diesen Feinden und Sünden
zu streiten. Das Fleisch sucht Lust und Ruhe, die Welt sucht Gut, Gunst, Gewalt
und Ehre, der böse Geist sucht Hoffart, Ruhm und Selbstgefälligkeit und
Verachtung der anderen Leute.
Und diese Stücke
sind alle so mächtig, dass jedes für sich selber genügt, um einen Menschen in
einen Streit zu verwickeln. Und wir können sie doch auf keine Weise überwinden
als allein damit, dass wir den heiligen Namen Gottes anrufen in einem festen
Glauben, wie Salomo sagt Sprüche 18, 10: »Der Name Gottes ist ein fester Turm;
der Gläubige flieht dorthin und wird allem enthoben.« So auch David Psalm 116,
13: »Ich will den heilsamen Kelch trinken und Gottes Namen anrufen.« Ebenso
Psalm 18, 4: »Ich will mit Lob Gott anrufen, so werde ich vor allen meinen
Feinden erhalten werden.« Diese Werke und die Kraft des göttlichen Namens sind
uns unbekannt geworden, weil wir uns nicht an ihn gewöhnt, noch nie ernsthaft
gegen Sünden gestritten und seinen Namen dazu nicht gebraucht haben. Das kommt
daher, dass wir nur in unseren selbsterdachten Werken geübt sind, die wir in
eigener Kraft haben tun können.
Zum
achtundzwanzigsten: Auch gehört es zu den Werken dieses Gebotes, dass wir nicht
schwören, fluchen, lügen, trügen, zaubern und andere Missbräuche treiben sollen
mit dem heiligen Namen Gottes. Das sind sehr grobe und jedermann wohlbekannte
Dinge. Man hat bei diesem Gebot fast bloß solche Sünden gepredigt und
verkündigt. In ihnen ist auch inbegriffen, dass wir es auch ändern verwehren
sollen, zu lügen, zu schwören, zu betrügen, zu fluchen, zu zaubern und auf
andere Weisen mit Gottes Namen zu sündigen. Darin wird uns wieder viel Anlass
gegeben, Gutes zu tun und Bösem zu wehren.
Aber das größte und
allerschwerste Werk dieses Gebotes ist, den heiligen Namen Gottes gegen alle
zu schützen, die ihn auf geistliche Weise missbrauchen, und ihn unter diesen
allen auszubreiten. Denn das ist nicht genug, dass ich für mich selber und in
mir selber den göttlichen Namen lobe und anrufe in Glück und Unglück. Ich muss
hervortreten und um Gottes Ehre und seines Namens willen Feindschaft von allen
Menschen auf mich laden, wie Christus zu seinen Jüngern sprach: »Es werden euch
feind sein um meines Namens willen alle Menschen.« (Matthäus 10, 22) Hier müssen
wir Vater, Mutter und die besten Freunde erzürnen. Hier müssen wir den Obrigkeiten,
geistlichen und weltlichen, widerstreben und ungehorsam gescholten werden.
Hier müssen wir die Reichen, Gelehrten, Heiligen und alles, was etwas ist in
der Welt, gegen uns erwecken. Und obwohl dies besonders diejenigen zu tun
schuldig sind, denen Gottes Wort zu predigen befohlen ist, so ist doch jeder
Christ auch dazu verpflichtet, wenn es die Zeit und Gelegenheit fordert. Denn
wir müssen für den heiligen Namen Gottes dransetzen und drangeben alles, was
wir haben und können, und mit der Tat beweisen, dass wir Gott und seinen Namen,
seine Ehre und sein Lob über alle Dinge lieben, und ihm über alle Dinge
vertrauen und Gutes von ihm erhoffen. Damit bekennen wir, dass wir ihn für das
höchste Gut halten, um dessentwillen wir alle anderen Güter fahren lassen und
drangeben.
Zum
neunundzwanzigsten: Hier müssen wir zuerst widerstreben allem Unrecht, wo die
Wahrheit oder Gerechtigkeit Gewalt und Not leidet, und dürfen darin keinen
Unterschied nach den Personen machen, wie etliche tun, die gar fleißig und
emsig gegen das Unrecht fechten, das den Reichen, Gewaltigen, Freunden geschieht;
aber wo es dem Armen oder Verachteten oder Feinden geschieht, da sind sie fein
still und geduldig. Diese sehen den Namen und die Ehre Gottes nicht an, wie sie
selbst ist, sondern durch ein gefärbtes Glas, und messen die Wahrheit oder
Gerechtigkeit an den Personen und werden nicht gewahr ihres falschen Auges,
das mehr auf die Person sieht als auf die Sache. Das sind die geborenen
Heuchler: Sie geben sich nur den Anschein, die Wahrheit zu schützen. Denn sie
wissen sehr wohl, dass es ungefährlich ist, wenn man den Reichen, Gewaltigen,
Gelehrten, Freunden beisteht und kann von diesen wiederum Nutzen haben,
beschützt und geehrt werden. Auf diese Weise ist es gar leicht, wider das
Unrecht zu fechten, das Päpsten, Königen, Fürsten, Bischöfen und anderen
Großhansen widerfährt. Hier will ein jeder der Frömmste sein, wo es nicht so
not tut. O wie heimlich ist hier der falsche Adam in dem, was er sucht! Wie
fein versteckt er seine Habgier unter dem Namen der Wahrheit, der Gerechtigkeit
und der Ehre Gottes! Wo aber einem armen, geringen Menschen etwas widerfährt,
da findet das falsche Auge nicht viel Nutzen, sieht aber die Ungunst der Gewaltigen
wohl; darum lässt man den Armen wohl ohne Hilfe bleiben. Und wer könnte die
Menge dieses Lasters in der Christenheit aufzählen? So spricht Gott in Psalm
82, 2ff.: »Wie lange richtet ihr so unrecht und seht auf die Person des
Ungerechten? Richtet dem Armen und Waisen seine Sache aus, und für den Elenden
und Bedürftigen fordert sein Recht! Erlöset den Armen, und dem Verlassenen
helft gegen die Gewalt des Ungerechten!« Aber man tut's nicht; darum geht es an
jener Stelle so weiter: »Sie wissen nichts und verstehen auch nichts, wandeln
in Finsternis.« Das meint: Die Wahrheit sehen sie nicht, sondern heften die
Augen bloß aufs Ansehen der Großen, wie ungerecht diese auch seien; die Armen,
wie gerecht sie auch seien, erkennen sie nicht!
Zum dreißigsten:
Sieh, da wären wohl viele gute Werke vorhanden. Denn in ihrer Mehrzahl tun die
Gewaltigen, Reichen und Freunde Unrecht und wenden Gewalt an gegen die Armen,
Geringen und ihre Widersacher, und je größer sie sind, desto schlimmer geht's
zu. Und wenn man dem schon nicht mit Gewalt wehren und der Wahrheit helfen
kann, sollte man dies doch bekennen und mit Worten dagegen auftreten, sich den
Ungerechten nicht anschließen, ihnen nicht recht geben, sondern die Wahrheit
frei heraussagen.
Was hülfe es doch,
wenn ein Mensch alles mögliche Gute täte, nach Rom und zu allen heiligen
Stätten liefe, jeden Ablass erwürbe, alle Kirchen und Stifte erbaute, wenn er
hierfür schuldig befunden würde an dem Namen und der Ehre Gottes, weil er sie
verschwiegen und verlassen, aber Gut, Ehre, Gunst und Freunde höher geachtet
hätte als die Wahrheit, die Gottes Name und Ehre selbst ist? Oder wer ist der,
dem solches gute Werk nicht täglich vor seine Tür und in sein Haus käme? So
dass er's nicht nötig hätte, weit zu laufen und nach guten Werken zu fragen?
Und wenn wir das Leben der Menschen ansehen, wie man in diesem Stück an allen
Orten gar so geschwind und leichthin verfährt, müssen wir mit dem Propheten
rufen: »Omnis homo mendax - alle Menschen sind falsch, lügen und trügen!«
(Psalm 116, 11) Denn die rechten, guten Hauptwerke lassen sie anstehen,
schmücken und färben sich schön mit den geringsten und wollen fromm sein, still
und in Ruhe gen Himmel fahren!
Sprichst du aber:
Warum tut's Gott nicht allein und von selber, wo er's doch wohl kann und einem
jeden zu helfen weiß? Ja, er kann's wohl, er will es aber nicht allein tun. Er
will, dass wir mit ihm wirken, und tut uns die Ehre an, dass er mit uns und
durch uns sein Werk wirken will. Und wenn wir von dieser Ehre keinen Gebrauch
machen wollen, dann wird er allein es doch ausrichten, den Armen zu helfen.
Und die ihm nicht haben helfen wollen und die große Ehre, mit ihm zu wirken,
verschmäht haben, wird er samt den Ungerechten verdammen als die, die es mit
den Ungerechten gehalten haben. So wie er allein selig ist, uns aber die Ehre
antun und nicht allein selig sein, sondern uns mit sich zusammen selig haben
will. Auch wären, wenn er's allein täte, seine Gebote uns vergeblich gegeben,
weil dann niemand Anlass hätte, sich in den großen Werken dieser Gebote zu
üben. Auch würde dann niemand die Probe machen darauf, ob er Gott und seinen
Namen für das höchste Gut achte und um seinetwillen alles dransetze.
Zum
einunddreißigsten: Zu diesem Werk gehört es auch, allen falschen,
verführerischen, irrigen, ketzerischen Lehren, allem Missbrauch geistlicher
Gewalt zu widerstreben. Das ist freilich viel schwieriger. Denn diese fechten
gerade mit dem heiligen Gottesnamen gegen Gottes Namen. Deshalb erscheint ihre Sache
so fromm und hält man's für gefährlich, ihnen zu widerstehen. Denn sie geben
vor, wer ihnen widerstrebe, der widerstrebe Gott und allen seinen Heiligen, an
deren Statt sie sitzen und ihre Gewalt gebrauchen. Sie sprechen, dass Christus
von ihnen gesagt habe: »Wer euch hört, der hört mich, und wer euch verachtet,
der verachtet mich.« (Lukas 10, 16) Sie versteifen sich ganz auf diese Worte,
erfrechen und erkühnen sich zu sagen, zu tun, zu lassen, was sie nur wollen.
Sie bannen, verfluchen, rauben, töten und suchen all ihre Verschlagenheit ganz
ungehemmt fortzusetzen, wie sie's nur gelüstet und sie sich's ausdenken
können.
Nun hat Christus
nicht gemeint, wir sollen sie hören in allem, was sie sagen und tun, sondern
nur, wenn sie sein Wort, das Evangelium, und nicht ihr Wort, sein Werk und
nicht ihr Werk uns vorhalten. Wie könnten wir sonst wissen, dass ihre Lügen und
Sünden zu meiden seien? Es muss ja eine Regel geben, wie weit man sie hören und
ihnen folgen solle. Diese kann aber nicht von ihnen, sondern muss von Gott für
sie festgesetzt sein, damit wir uns nach ihr zu richten wissen, wie wir hören
werden beim vierten Gebot.
Nun muss es wohl so
sein, dass man auch im geistlichen Stand in der Mehrzahl falsche Lehre predigt
und die geistliche Gewalt missbraucht, damit uns Anlass gegeben werde, das Werk
dieses Gebotes zu tun, und damit wir die Probe machen können darauf, was wir
gegen solche Gotteslästerer um der Ehre Gottes willen tun oder lassen wollen.
O wenn wir hier
fromm wären, wie oft müssten dann die Amtsbuben ihren päpstlichen und
bischöflichen Bann vergebens fällen, wie sollten die römischen Donnerschlage
dann so matt werden! Wie oft müsste dann mancher das Maul halten, dem jetzt
die Welt zuhören muss! Wie wenige Prediger würde man in der Christenheit
finden! Aber es hat Überhand genommen: Was immer sie uns vorschreiben und wie
sie es tun, das muss alles recht sein. Hier ist niemand, der für Gottes Namen
und Ehre stritte. Und ich halte dafür, dass in den äußerlichen Werken weder
größere noch allgemeinere Sünden vorkommen als in diesem Stück. Es ist
schwierig, so dass nur wenige es verstehen; dazu ist es mit Gottes Namen und
Gewalt geschmückt, gefährlich in Angriff zu nehmen. Aber die Propheten
vorzeiten sind Meister darin gewesen, auch die Apostel, besonders Paulus. Sie
ließen sich's gar nicht anfechten, ob es der oberste oder der unterste Priester
gesagt, ob er's in Gottes oder in seinem eigenen Namen getan hätte. Sie nahmen
die Werke und Worte in acht und verglichen sie mit Gottes Geboten, ohne darauf
zu sehen, ob es der große Hans oder der kleine Nickel gesagt, ob er es im Namen
Gottes oder in eines Menschen Namen getan hätte. Darum mussten sie auch
sterben; und davon wäre zu unseren Zeiten viel mehr zu sagen, denn es ist jetzt
viel schlimmer. Aber Christus und Petrus und Paulus müssen das alles mit ihrem
heiligen Namen decken, so dass kein schändlicherer Schanddeckel auf Erden aufgekommen
ist als ausgerechnet der allerheiligste, hochgebenedeite Name Jesu Christi.
Es könnte einem vor
dem Leben grauen, allein wegen des Missbrauchs und der Lästerung des heiligen
Namens Gottes. Unter seinem Einfluss (falls er länger fortdauern sollte) werden
wir, wie ich fürchte, auch noch den Teufel selber öffentlich als Gott anbeten!
So maßlos grob geht die geistliche Gewalt und gehen jetzt die Gelehrten mit
diesen Sachen um. Es ist hohe Zeit, dass wir Gott mit Ernst bitten, dass er
seinen Namen heiligen wolle. Es wird aber Blut kosten. Und die auf dem Gut der
heiligen Märtyrer sitzen und durch ihr Blut gewonnen sind, müssen erst wieder
selbst Märtyrer machen. Davon ein andermal mehr.
Zum ersten: Nun
haben wir gesehen, wie viele guten Werke zum zweiten Gebot gehören, die doch in
sich selber nicht gut sind, außer wenn sie im Glauben und in der Zuversicht der
göttlichen Huld geschehen, und wie viel wir zu tun haben, wenn wir allein
diesem Gebot nachkommen wollen. Doch leider gehen viele mit anderen Werken um,
die dieses Gebot gar nicht verstanden haben.
Nun folgt das
dritte Gebot: »Du sollst den Feiertag heiligen.« Im ersten ist geboten, wie
sich unser Herz gegen Gott verhalten soll in Gedanken, im zweiten, wie der Mund
mit Worten. In diesem dritten wird geboten, wie wir uns gegen Gott verhalten
sollen mit Werken. Und das ist die erste, die rechte Tafel des Mose, auf der
diese drei Gebote geschrieben stehen, die den Menschen regieren auf der rechten
Seite, das heißt in den Dingen, die Gott betreffen und in denen Gott mit ihm
und er mit Gott zu tun hat ohne Vermittlung irgendeiner Kreatur.
Die ersten Werke
dieses Gebotes sind grob und sinnenfällig. Wir nennen sie gemeinhin
Gottesdienst. Darunter versteht man Messe hören, beten, Predigt hören an Sonn-
und Festtagen. In diesem Sinn gehören ganz wenige Werke zu diesem Gebot. Und
wenn sie nicht in der Zuversicht zu Gottes Huld und im Glauben geschehen,
gelten sie nichts, wie oben gesagt ist. Deshalb wäre es auch wohl gut, wenn es
nur wenige heilige Tage gäbe, zumal ihre Werke zu unseren Zeiten mit
Müßiggehen, Fressen und Saufen, Spielen und anderen bösen Taten großenteils
schlimmer sind als die der Werktage. Überdies werden da Messe und Predigt
angehört, ganz ohne dass es zu einer Besserung kommt, und wird das Gebet ohne
Glauben gesprochen. Es geht meist so zu, dass man meint, es sei genug geschehen,
wenn wir die Messe mit den Augen gesehen, die Predigt mit den Ohren gehört, das
Gebet mit dem Mund gesprochen haben. Und so gehen sie äußerlich drüber hinweg,
denken nicht daran, dass wir bei der Messe etwas ins Herz empfangen, aus der
Predigt etwas lernen und behalten, im Gebet etwas suchen, begehren und
gewärtigen sollen. Obwohl hier die größte Schuld bei den Bischöfen und
Priestern oder bei denen liegt, denen die Predigt befohlen ist, weil sie das
Evangelium nicht predigen und die Leute nicht lehren, wie sie Messen erleben,
Predigten hören und beten sollen. Darum wollen wir diese drei Werke kurz
darlegen.
Zum zweiten: In der
Messe tut's not, dass wir auch mit dem Herzen dabei sind. Dann sind wir aber
dabei, wenn wir den Glauben im Herzen einüben. Hier müssen wir die Worte
Christi erzählen, die er spricht, wie er die Messe einsetzt: »Nehmet hin und
esset, das ist mein Leib, der für euch gegeben wird.« Desgleichen über den
Kelch: »Nehmet hin und trinket alle daraus, das ist ein neues, ewiges
Testament in meinem Blut, das für euch und für viele vergossen wird zur
Vergebung der Sünden. Das sollt ihr tun, so oft ihr's tut, zu meinem
Gedächtnis.« (Matthäus 26, 26ff.; Lukas 22, 19ff.) Mit diesen Worten hat
Christus sich ein Leichenbegängnis und eine Totengedenkfeier geschaffen, die
man täglich ihm in der ganzen Christenheit nachfeiern sollte, und hat ein
herrliches, reiches, großes Testament hinzugefügt und darin nicht Zins, Geld
oder zeitliches Gut, sondern Vergebung aller Sünden, Gnade und Barmherzigkeit
zum ewigen Leben als sein Erbteil verordnet, damit alle, die zu diesem
Begängnis kommen, in den Besitz dieses Testamentes gelangen. Und darauf ist er
gestorben: Damit ist dieses Testament in Kraft getreten und unwiderruflich
geworden. Als dessen Zeichen und Urkunde hat er statt Briefs und Siegels seinen
eigenen Leib und sein Blut hinterlassen unter dem Brot und dem Wein.
Hier tut es nun
not, dass der Mensch sich im ersten Werk dieses Gebotes recht wohl übe; dass er
ja nicht daran zweifle und lasse dies Testament sich gewiss sein, damit er
nicht Christus zu einem Lügner mache. Denn wenn du bei der Messe nur
dabeistehst und nicht daran denkst oder glaubst, dass dir dort Christus durch
sein Testament die Vergebung aller Sünden zum Erbteil gemacht habe, was ist das
anderes, als wenn du sprächest: Ich. weiß nicht oder glaub's nicht, dass das
wahr sein soll, dass mir hier die Vergebung meiner Sünden zum Erbteil gegeben
wird? O wie viele Messen sind jetzt in der Welt! Wie wenige aber sind es, die
sie mit solchem Glauben hören und im Gebrauch haben! Dadurch wird Gott gar
schwer erzürnt. Deshalb soll und kann auch niemand fruchtbar der Messe
beiwohnen, der nicht in Betrübnis und im Verlangen nach göttlicher Gnade seiner
Sünden gerne entledigt wäre, oder wenn er sich je noch in einem bösen Vorsatz
befände, dass er doch unter der Messe sich wandle und ein Verlangen bekomme
nach diesem Testament. Darum ließ man vorzeiten keinen öffentlichen Sünder an
der Messe teilnehmen.
Wenn's nun mit
diesem Glauben recht zugeht, dann muss wegen dieses Testamentes das Herz froh
werden und sich an der Liebe Gottes erwärmen und so seine Starrheit verlieren.
Daraus gehen dann Lob und Dank und ein liebliches Herz hervor. Darum heißt die
Messe auf griechisch Eucharistia, das meint Danksagung: dass wir Gott loben
und danken für ein so tröstliches, reiches, seliges Testament, so wie der
dankt, lobt und fröhlich ist, dem ein guter Freund tausend oder mehr Gulden
vererbt hat. Obwohl es Christus oft ebenso geht wie denen, die in ihrem
Testament etliche reich bedacht haben, die dann nicht mehr an sie denken noch
Lob und Dank sagen. So geht es jetzt unseren Messen, dass man sie nur so hält,
aber nicht weiß, wozu sie dienen und warum man sie hält. Daher kommt es, dass
wir dafür weder danken noch
lieben noch loben;
sondern wir bleiben dürr und hart, lassen's bei unsern Gebetlein bewenden.
Davon ein andermal mehr.
Zum dritten: Die
Predigt nun sollte nichts anderes sein als die Verkündigung dieses Testamentes.
Aber wer kann es hören, wenn's niemand predigt? Nun verstehend die selber
nicht, die es predigen sollen. Darum spazieren ihre Predigten in anderen,
kraftlosen Fabeln herum, und so wird Christus vergessen, geschieht's uns wie
jenem Ritter 2. Könige 7, 19, dass wir unser Gut sehen und doch nicht genießen.
Davon auch der Prediger sagt: »Das ist ein großes Übel, wenn Gott einem
Reichtum gibt und läßt ihn den nimmer genießen.« (Prediger 6, 2) So erleben wir
unzählig viele Messen und wissen nicht, ob es ein Testament oder dies und das
sei, grad als wäre es ein gewöhnliches gutes Werk für sich selbst wie sonst
eines. O Gott, wie sind wir so gänzlich verblendet! Wo aber solches recht
gepredigt wird, da tut's not, dass man dies fleißig höre, fasse, behalte, oft
daran denke und so den Glauben stärke gegen alle Anfechtung durch die Sünden,
gleichviel ob diese vergangen, gegenwärtig oder zukünftig sind.
Sieh, das ist die
einzige Zeremonie oder Übung, die Christus selbst eingesetzt hat, um die seine
Christen sich sammeln, in der sie den Glauben einüben und einträchtig
festhalten sollen. Er hat sie ja nicht wie andere Zeremonien ein bloßes Werk
sein lassen, sondern einen reichen, überschwenglichen Schatz hineingelegt, den
wir all denen reichen und zueignen sollen, die daran glauben. Dazu sollte
diese Predigt Anreiz geben, den Sündern ihre Sünde verleiden und das Verlangen
nach dem Schatz entzünden. Darum muss es eine schwere Sünde sein, wenn sie das
Evangelium nicht hören und einen solchen Schatz und das reiche Mahl, zu dem sie
geladen werden, verachten. Aber eine viel größere Sünde ist es, wenn sie das
Evangelium nicht predigen und so viele im Volk, die es gerne hörten, verderben
lassen. Hat doch Christus streng geboten, das Evangelium und dieses Testament
zu predigen, so dass er auch die Messe gar nicht halten lassen will, wenn das
Evangelium nicht gepredigt wird, wie er sagt: »So oft ihr das tut, so gedenkt
dabei mein.« (Lukas 22, 19) Das meint, wie Paulus sagt: »Ihr sollt predigen von
seinem Tod.« (1. Korinther 11, 26) Deshalb ist es erschreckend und furchtbar,
zu unseren Zeiten Bischof, Pfarrer und Prediger zu sein, denn niemand mehr
kennt dieses Testament, geschweige denn dass sie es predigen würden, was doch
ihre höchste und einzige Pflicht und Schuldigkeit ist. Wie schwer werden sie's
haben, Rechenschaft zu geben für so viele Seelen, die verderben müssen, weil es
an solcher Predigt gebricht!
Zum vierten soll
man beim Beten nicht, wie die Gewohnheit ist, viele Blätter oder
Rosenkranzperlen abzählen, sondern etliche anliegende Nöte vornehmen, für
diese mit ganzem Ernst Hilfe begehren und damit Glauben und Zuversicht zu Gott
so einüben, dass wir nicht daran zweifeln, wir werden erhört. So lehrt Bernhard
seine Brüder und sagt: »Liebe Brüder, ihr sollt euer Gebet ja nicht verachten,
als sei es umsonst, denn ich sage euch wahrlich, noch ehe ihr die Worte
vollendet, ist das Gebet schon angeschrieben im Himmel! Und ihr sollt eines
gewiss erwarten von Gott: dass entweder eure Bitte erfüllt werden wird oder,
wenn sie nicht erfüllt wird, dass es für euch dann nicht gut und nützlich
gewesen wäre, sie zu erfüllen.«
So ist das Gebet
eine besondere Einübung des Glaubens, der gewiss das Gebet Gott so angenehm
macht, dass es entweder gewiss erhört wird oder dass uns etwas Besseres dafür
gegeben wird, als wir bitten. So spricht auch St Jakob: »Wer da Gott bittet,
der soll nicht zweifeln im Glauben. Denn wenn er zweifelt, dann erwarte dieser
Mensch nicht, dass er etwas erlangen werde von Gott.« (Jakobus 1, 6f.) Das ist
wahrhaftig ein klarer Spruch, der ohne Umschweife zu- und absagt: Wer nicht
vertraut, der erlangt nichts, weder das, was er bittet, noch etwas Besseres.
Um solchen Glauben
zu erwecken, hat Christus auch selber Markus 11, 24 gesagt: »Ich sage euch:
Alles, was ihr bittet, glaubt nur, dass ihr's empfangen werdet, so geschieht
es gewiss.« Und Lukas 1, 9ff.: »Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet
ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der
empfängt; wer da sucht, der findet; wer da anklopft, dem wird aufgetan. Welcher
Vater unter euch gibt seinem Sohn einen Stein, wenn er ihn bittet ums Brot?
Oder eine Schlange, wenn er bittet um einen Fisch? Oder einen Skorpion, wenn er
um ein Ei bittet? So ihr aber wisst, wie ihr euren Kindern gute Gaben geben
sollt, die ihr selber nicht gut seid von Natur, wie viel mehr wird euer
himmlischer Vater einen guten Geist geben allen, die ihn bitten!«
Zum fünften: Wer
ist so hart und steinern, den solche mächtigen Worte nicht sollten bewegen, mit
aller Zuversicht fröhlich und gerne zu beten? Aber wie viele Gebete müsste man
ebenfalls reformieren, um nach diesen Worten in rechter Weise zu beten? Es
sind jetzt wohl alle Kirchen und Klöster voll Betens und Singens. Wie geht's
aber zu, dass so wenig Besserung und Nutzen davon herkommt und es täglich
schlimmer wird? Das hat keine andere Ursache als die, die Jakobus anzeigt, wenn
er sagt: »Ihr bittet viel, und euch wird doch nichts zuteil, darum dass ihr
nicht recht bittet.« (Jakobus 4, 3) Denn wenn dieser Glaube und diese
Zuversicht im Gebet nicht da ist, dann ist das Gebet tot und nichts weiter als
eine schwere Mühe und Arbeit. Wenn für diese etwas gegeben wird, ist's doch
nichts andres als zeitlicher Nutzen, ganz ohne dass es der Seele zugute kommt
oder hilft, ja zum großen Schaden und zur Verblendung der Seelen. Darin gehen
sie hin, plappern viel mit dem Mund, ohne danach zu fragen, ob sie es erlangen,
begehren, Vertrauen haben, und sie bleiben dabei verstockt in solchem Unglauben
wie in der schlimmsten Gewohnheit, gegen die Übung des Glaubens und die Natur des
Gebetes.
Daraus folgt, dass
ein rechter Beter nicht mehr daran zweifelt, sein Gebet sei gewiss Gott
angenehm und erhört, auch wenn ihm nicht eben das, was er bittet, gegeben wird.
Denn man soll Gott die Not vorlegen im Gebet, doch ihm nicht Maß, Weise, Frist
oder Stätte vorschreiben, sondern anheimgeben, ob er es besser oder anders
geben wolle, als wir denken. Denn wir wissen oft nicht, was wir bitten, wie
Paulus sagt Römer 8, 26, und Gott wirkt und gibt über unser Begreifen, wie er
sagt Epheser 3, 20, damit kein Zweifel sei des Gebetes wegen, es sei angenehm
und erhört, und man doch Gott Zeit, Stätte, Maß und Frist frei lasse: Er werde
es wohl machen, wie es sein soll. »Das sind die rechten Anbeter, die ihn im
Geist und in der Wahrheit anbeten.« (Johannes 4, 24) Denn die nicht glauben,
dass sie erhört werden, die sündigen auf der linken Seite gegen dieses Gebot
und treten zu weit ab von ihm mit ihrem Unglauben. Die ihm aber eine Frist vorschreiben,
die sündigen auf der rechten Seite und treten ihm zu nahe mit ihrem
Gottversuchen. Darum hat er beides verboten: dass man nicht weiche von seinem
Gebot, weder zur linken noch zur rechten Hand, das meint: weder aus Unglauben
noch um ihn zu versuchen, sondern bleibe mit einfältigem Glauben auf der
richtigen Straße, ihm zu vertrauen und ihm doch keine Frist vorzuschreiben.
Zum sechsten: So
sehen wir, dass dieses Gebot, ebenso wie das zweite, nichts anderes sein soll
als eine Ein- und Ausübung des ersten Gebotes, das heißt des Glaubens,
Vertrauens, der Zuversicht, Hoffnung und Liebe zu Gott, damit ja das erste
Gebot in allen Geboten der Hauptmann und der Glaube das Hauptwerk und Leben
aller anderen Werke sei, ohne den (wie gesagt) sie nicht gut sein können.
Wenn du aber sagst:
Wie, wenn ich nicht glauben kann, dass mein Gebet erhört und angenehm sei? Antwort:
Eben darum ist der Glaube, das Gebet und sind alle anderen guten Werke geboten,
damit du erkennen sollst, was du kannst und nicht kannst! Und falls du findest,
dass du nicht so glauben und tun kannst, damit du dich demütig darüber vor
Gott beklagst und so mit einem schwachen Fünklein des Glaubens anfängst,
diesen täglich mehr und mehr durch seine Einübung in allem Leben und Wirken zu
stärken. Denn was die Gebrechen des Glaubens (das heißt des ersten und höchsten
Gebotes) angeht, da ist niemand auf Erden, der nicht einen großen Anteil daran
hätte. Denn auch die heiligen Apostel im Evangelium und vornehmlich Petrus
waren so schwach im Glauben, dass auch sie Christus baten und sagten: »Herr,
vermehre uns den Glauben« (Matthäus 14, 31; Lukas 17, 5), und er sie sehr oft
schalt, dass sie einen so kleinen Glauben hätten.
Darum sollst du
nicht verzagen, nicht Hände und Füße erschlaffen lassen, auch wenn du findest,
dass du nicht so stark glaubst in deinem Gebet oder in anderen Werken, wie du
wohl solltest und wolltest. Ja, du sollst Gott danken aus Herzensgrund, dass er
dir deine Schwachheit so offenbart, wodurch er dich lehrt und vermahnt, wie
sehr es dir not tue, dich zu üben und täglich zu stärken im Glauben. Denn wie
viele siehst du, die da hingehen, beten, singen, lesen, Werke tun und sich den
Anschein geben, als ob sie große Heilige wären, die aber nimmermehr so weit
kommen, dass sie erkennen, wie es um das Hauptwerk, den Glauben, bei ihnen
bestellt sei. Damit verführen sie in ihrer Verblendung sich selber und andere
Leute, meinen, sie seien gar wohl dran, bauen so heimlich auf den Sand ihrer
Werke ohne allen Glauben, nicht aber auf Gottes Gnade und Zusagen durch einen
festen, reinen Glauben.
Darum haben wir, solange
wir leben, es sei so lang wie es wolle, alle Hände voll zu tun, dass wir mit
allen Werken und Leiden im ersten Gebot und im Glauben Schüler bleiben und
nicht aufhören zu lernen. Niemand weiß, wie groß es ist, allein auf Gott zu
vertrauen, als wer damit anfängt und es mit den Werken versucht.
Zum siebenten: Nun
sieh abermals, wenn kein anderes gutes Werk geboten wäre, wäre nicht das Beten
allein schon genug, um das ganze Leben des Menschen im Glauben zu üben? Zu
solchem Werk sind dann insbesondere die geistlichen Stände bestimmt, wie schon
vor Zeiten etliche Väter Tag und Nacht beteten. Ja, es gibt freilich keinen
Christenmenschen, der nicht Zeit dazu habe, unaufhörlich zu beten; ich meine da
aber das geistliche Beten. Das heißt: Niemand wird, wenn er will, von seiner
Arbeit so hart beschwert, er kann in seinem Herzen nebenher immer mit Gott
reden, ihm seine oder anderer Menschen Not vorlegen, nach Hilfe verlangen,
bitten und in dem allem seinen Glauben üben und stärken.
Das meint der Herr,
wenn er Lukas 18, 1 sagt: »Man muss ohne Unterlass beten und nimmer aufhören«,
obgleich er doch viele Worte und langes Gebet, die er Matthäus 6, 7 an den
Heuchlern tadelt, verbietet. Nicht weil das mündliche, lange Beten etwas Böses
wäre, sondern weil es nicht das rechte Gebet sei, das immer geschehen könne,
und weil es ohne das innerliche Beten des Glaubens nichts sei. Denn auch das
äußerliche Gebet müssen wir zu seiner Zeit üben, besonders in der Messe, wie es
dieses Gebot fordert, und wo immer es förderlich ist für das innerliche Gebet
und den Glauben, es sei im Hause, auf dem Feld, bei diesem oder jenem Werk.
Darüber mehr zu sagen, ist aber jetzt nicht die Zeit. Denn das gehört in das
Vaterunser, in dem alle unsere Bitten und mündlichen Gebete mit kurzen Worten
inbegriffen sind.
Zum achten: Wo sind
nun die, die gute Werke zu wissen und zu tun begehren? Laß sie bloß das Beten
sich vornehmen und im Glauben recht ausüben, dann werden sie finden, dass es
wahr sei, wie die heiligen Väter gesagt haben: dass keine Arbeit so schwer wie
das Beten ist. Murmeln mit dem Mund ist leicht oder jedenfalls als leicht
angesehen. Aber ihm mit Herzensernst Wort für Wort folgen in gründlicher
Andacht, das heißt begierig und gläubig, so dass man es ernstlich begehrt, was
die Worte enthalten, und nicht daran zweifelt, es werde erhört, das ist eine
große Tat vor Gottes Augen.
Hier wehrt sich der
böse Geist mit allen Kräften. O wie oft wird er hier die Lust zu beten
verhindern, keine Zeit und Gelegenheit dazu lassen! Ja, er wird es auch recht
oft zweifelhaft machen, ob der Mensch würdig sei, eine solche Majestät, die
Gott selbst ist, zu bitten, und ihn so sehr verwirren, dass der Mensch selbst
nicht mehr weiß, ob ihm das, was er bittet, ernst sei oder nicht; ob es möglich
sei, dass sein Gebet angenehm sei, und solch wunderlicher Gedanken noch viele.
Denn er weiß wohl, wie mächtig das rechte, gläubige Gebet eines Menschen sei,
wie weh es ihm tut und allen Menschen nützlich ist; darum lässt er's nicht
gerne aufkommen.
Hier muss fürwahr
der Mensch weise sein und darf nicht daran zweifeln, dass er und sein Gebet
unwürdig sei vor solch unermesslicher Majestät. Er darf sich in keiner Weise
auf seine Würdigkeit verlassen oder es seiner Unwürdigkeit wegen unterlassen,
sondern muss Gottes Gebot zu Herzen nehmen und es ihm vorhalten, muss es gegen
den Teufel aufbieten und sagen: Um meiner Würdigkeit willen wird nichts
angefangen, um meiner Unwürdigkeit willen nichts unterlassen. Ich bete und tue
die Werke allein darum, weil Gott aus lauter Güte allen Unwürdigen Erhörung und
Gnade zugesagt hat. Ja, er hat sie nicht bloß zugesagt, sondern hat auch aufs
strengste bei seiner ewigen Ungnade und seinem Zorn geboten, zu beten, zu
vertrauen und sie anzunehmen. Ist es der hohen Majestät nicht zuviel gewesen,
seine so unwürdigen Würmlein so teuer und hoch zu verpflichten, ihn zu bitten,
ihm zu vertrauen und alles von ihm anzunehmen, wie soll mir's zuviel sein, ein
solches Gebot auf mich zu nehmen mit aller Freude, wie würdig oder unwürdig ich
sei? So muss man des Teufels Eingebungen mit Gottes Gebot von sich stoßen; dann
hört er auf und sonst nimmermehr.
Zum neunten: Was
sind es aber für nötige Sachen, die man dem allmächtigen Gott im Gebet vorlegen
und klagen muss, um darin den Glauben zu üben? Antwort: Es sind zuerst die
jedem anliegenden eigenen Nöte und Bedrängnisse. Davon sagt David Psalm 32, 7:
»Du bist meine Zuflucht in aller Angst, die mich umgibt, und bist mein Trost,
mich zu erlösen von allem Übel, das mich umringt.« Desgleichen Psalm 142, 2f.:
»Ich habe mit meiner Stimme zu Gott, dem Herren, gerufen; ich habe mit meiner
Stimme Gott gebeten; ich will mein Gebet ausbreiten vor seinen Augen und will
vor ihm ausschütten alles, was mir anliegt.« So soll ein Christenmensch in der
Messe sich das vornehmen, von dem er fühlt, dass es ihm mangle oder dass er
zuviel davon habe, und dies alles frei vor Gott ausschütten mit Weinen und
Winseln, so kläglich wie er nur kann, als vor seinem treuen Vater, der bereit
ist, ihm zu helfen. Und weißt du und erkennst du deine Not nicht oder hast
keine Anfechtung, so sollst du wissen, dass du am allerübelsten dran bist. Denn
das ist die größte Anfechtung, wenn du dich so verstockt, hartherzig,
unempfindlich findest, dass dich keine Anfechtung bewegt!
Es gibt aber keinen
besseren Spiegel, in dem du deine Not sehen kannst, als eben die zehn Gebote.
In ihnen findest du, was dir gebricht und du suchen sollst. Darum, wenn du an
dir einen schwachen Glauben, wenig Hoffnung und geringe Liebe zu Gott findest,
desgleichen, dass du Gott nicht lobst und ehrst, sondern deine eigene Ehre und
deinen Ruhm lieb hast, Menschengunst groß achtest, die Messe und Predigt nicht
gerne hörst, zu faul bist zum Beten - und es gibt niemanden, dem es in solchen
Stücken an nichts gebräche -: dann sollst du dieses Gebrechen für wichtiger
halten als alle leiblichen Schäden an Gut, Ehre und Leib, weil sie sogar
schlimmer sind als der Tod und jede tödliche Krankheit. Und du sollst sie mit
Ernst Gott vorlegen, beklagen und Hilfe erbitten, und dann mit aller Zuversicht
darauf warten, dass du erhört seiest und seine Hilfe und Gnade erlangen
werdest. Dann fahre fort mit der zweiten Tafel der Gebote und sieh, wie
ungehorsam du gewesen warst und noch bist gegen Vater und Mutter und alle
Obrigkeit; wie du mit Zorn und Hass, mit Scheltworten an deinem Nächsten
schuldig wirst; wie dich Unkeuschheit, Geiz und Unrecht in Taten und Worten
gegen deinen Nächsten anfechten: So wirst du ohne Zweifel finden, dass du
voller Not und Elend bist und Grund genug hättest, sogar Blutstropfen zu
weinen, wenn du's vermöchtest.
Zum zehnten: Ich
weiß aber wohl, dass viele so töricht sind, dass sie um solche Dinge nicht
bitten wollen, wenn sie sich nicht vorher rein finden, und meinen, Gott erhöre
niemanden, der noch in Sünden liegt. Das kommt alles von falschen Predigern,
die lehren, nicht mit dem Glauben und Vertrauen auf Gottes Huld, sondern mit
eigenen Werken anzufangen.
Sieh, du elender
Mensch: Wenn du ein Bein gebrochen hast oder dich eine leibliche Todesgefahr
überfällt, dann rufst du Gott, diesen und jenen Heiligen an und wartest nicht
erst so lange, bis dein Bein wieder gesund wird oder die Gefahr vorüber ist.
Und du bist auch nicht so närrisch, zu denken, Gott erhöre niemanden, der ein
gebrochenes Bein hat oder in Todesgefahr ist. Vielmehr meinst du doch, Gott
solle dich dann am ehesten erhören, wenn du in der größten Not und Angst bist.
Ei, warum bist du dann hier so närrisch, wo unermesslich viel größere Not da
ist und ewiger Schaden droht, und willst nicht eher um Glauben, Hoffnung,
Liebe, Demut, Gehorsam, Keuschheit, Sanftmut, Frieden, Gerechtigkeit bitten,
als bis du ganz ohne Unglauben, Zweifel, Hoffart, Ungehorsam, Unkeuschheit,
Zorn, Geiz und Ungerechtigkeit seiest; obwohl du doch, gerade je mehr du dich
in diesen Stücken gebrechlich findest, desto mehr und fleißiger schreien und
beten solltest!
So blind sind wir:
Mit einer leiblichen Krankheit und Not laufen wir zu Gott hin; mit einer
Krankheit der Seele laufen wir von ihm weg und wollen erst wiederkommen, wenn
wir gesund sind, gerade als könnte es ein anderer Gott sein, der dem Leib, und
ein anderer, der dem Geist helfen könnte, oder als ob wir in geistlicher Not,
die doch größer als die leibliche ist, uns selbst helfen wollten. Das ist ein
teuflischer Rat und Vorsatz! Nicht so, lieber Mensch! Willst du von Sünden
gesund werden, darfst du dich Gott nicht entziehen, sondern musst viel
getroster zu ihm laufen und ihn bitten, als wenn dich eine leibliche Not
überfallen hätte. Gott ist den Sündern nicht feind, sondern nur den
Ungläubigen, das heißt denen, die ihre Sünde nicht erkennen, beklagen, noch
Hilfe bei Gott dafür suchen, sondern sich in ihrer Vermessenheit selbst
reinigen, seine Gnade nicht nötig haben wollen und ihn nicht einen solchen Gott
sein lassen, der jedermann gibt und nichts dafür nimmt.
Zum elften: Das ist
jetzt alles vom Gebet für persönliche Nöte und im allgemeinen gesagt. Aber das
Gebet, das eigentlich zu diesem Gebot gehört und ein Feiertagswerk heißt, ist
viel besser und größer. Das soll geschehen für die Versammlungen der ganzen
Christenheit, für alle Not aller Menschen, der Feinde und Freunde, besonders
derer, die zu eines jeden Pfarrei oder Bistum gehören.
So befahl es Paulus
seinem Jünger Timotheus: »Ich ermahne dich, dafür zu sorgen, dass man bitte und
flehe für alle Menschen, für die Könige und alle, die da in der Obrigkeit sind,
damit wir ein stilles, ruhiges Leben führen mögen in Gottes Dienst und
Lauterkeit. Denn dies ist gut und angenehm vor Gott, unsrem Seligmacher.« (1.
Timotheus 2, 1ff.) Desgleichen gebot Jeremia dem Volk Israel, sie sollten Gott
bitten für die Stadt und für das Land Babylonien, weil der Friede der Stadt
auch ihr Friede wäre (Jeremia 29, 7). Und Baruch schrieb Baruch 1, 11f.:
»Bittet für das Leben des Königs zu Babylonien und für das Leben seines Sohnes,
damit wir im Frieden unter ihrem Regiment leben.«
Dieses allgemeine
Kirchengebet ist kostbar und das allerkräftigste Gebet; dessentwegen kommen wir
auch zusammen. Davon heißt auch die Kirche ein Bethaus, weil wir dort einträchtig
zuhauf unsre und aller Menschen Nöte uns vornehmen, diese Gott vortragen und
ihn um Gnade anrufen sollen. Das muss aber mit Herzensbewegung und Ernst
geschehen, damit uns solche Not und Bedürftigkeit aller Menschen zu Herzen gehe
und wir so aus wahrhaftigem Miterleiden mit ihnen im rechten Glauben und
Vertrauen bitten. Und wenn kein solches Gebet in der Messe geschähe, dann wäre
es besser, die Messe zu unterlassen. Denn wie besteht und passt es zusammen,
dass wir leiblich in einem Bethaus zusammenkommen, womit angezeigt wird, wir
sollten für die ganze Gemeinde gemeinsam anrufen und bitten, wenn wir dabei
die Gebete verstreuen und so aufteilen, dass jeder nur für sich selber bittet
und niemand sich um den anderen annimmt noch sich um jemandes Not bekümmert?10
Wie kann so das Gebet nützlich, gut, angenehm und allgemein oder ein Werk des
Feiertags und der Versammlungen heißen? So tun die, die ihre eigenen Gebetlein
halten, der für dies, dieser für das, und haben nichts als eigennützige,
selbstsüchtige Gebete, denen Gott feind ist.
Zum zwölften: Von
diesem allgemeinen Kirchengebet ist noch aus alter Gewohnheit eine Andeutung
übriggeblieben, wenn man am Ende der Predigt die Beichtformel spricht und für
die ganze Christenheit auf der Kanzel bittet.11 Aber es sollte damit
nicht erledigt sein, wie es nun Brauch und Weise ist, sondern man sollte es als
eine Ermahnung ansehen, die ganze Messe hindurch für solche Nöte zu bitten.
Dazu will uns der Prediger anregen und, damit wir würdig bitten, uns zuvor an unsere
Sünden erinnern und dadurch demütigen. Das soll aber ganz kurz sein, damit dann
die ganze Gemeinde zuhauf Gott ihre Sünden selbst klage und mit Ernst und
Glauben für jedermann bitte.
O dass doch Gott
wollte, dass wenigstens irgendwo noch eine Gemeinde auf diese Weise die Messe
hörte und betete, dass da gemeinsam ein ernsthafter Aufschrei der Herzen aus
der ganzen Gemeinde zu Gott empor dränge! Was für eine unermessliche Stärkung
und Hilfe könnte auf dieses Gebet folgen! Was könnte alle bösen Geister mehr
schrecken? Könnte es ein größeres Werk auf Erden geben, durch das so viele
Fromme erhalten, so viele Sünder bekehrt würden?
Denn wahrhaftig,
die christliche Kirche auf Erden verfugt über keine größere, wirksamere Macht
als dieses allgemeine Gebet, das alles aufnimmt, was ihr zustoßen kann. Das
weiß der böse Geist wohl. Darum tut er auch alles, was er kann, um dieses Gebet
zu verhindern. Da lässt er uns hübsche Kirchen bauen, viel stiften, pfeifen,
lesen und singen, viele Messen halten und ein maßloses Gepränge treiben; dafür
ist ihm nichts zu schade. Ja, er hilft noch dazu, dass wir ein solches Treiben
für das Beste halten und uns einbilden, wir hätten's damit wohl ausgerichtet.
Aber dass dieses allgemeine, starke, fruchtbare Kirchengebet daneben untergeht
und wegen solchen Blendwerks unvermerkt unterbleibt: Da hat er erreicht, was er
sucht! Denn wenn das Gebet darniederliegt, wird ihm niemand mehr etwas nehmen,
auch niemand widerstehen. Wo er aber gewahr würde, dass wir dieses Gebet üben
wollten, wenn es gleich unter einem Strohdach wäre oder in einem Saustall,
würde er es ganz sicher nicht hingehen lassen, sondern sich weit mehr vor
diesem Saustall fürchten als vor allen hohen, großen, schönen Kirchen, Türmen,
Glocken, wo immer sie sein mögen, wenn nur solches Gebet nicht drin wäre! Es
liegt gewiss nicht an den Stätten oder Gebäuden, in denen wir zusammenkommen,
sondern allein an diesem unüberwindlichen Gebet: daran, dass wir dies in
rechter Weise zusammen tun und vor Gott kommen lassen.
Zum dreizehnten:
Die Kraft dieses Gebetes merken wir daraus, dass vorzeiten Abraham für die fünf
Städte bat, Sodom und Gomorra usw., und es so weit brachte, dass, wenn nur zehn
fromme Menschen darin gewesen wären, zwei in einer jeden, dann hätte sie Gott
nicht vertilgt (1. Mose 18, 22ff.). Was könnte es dann erst bewirken, wenn
viele zuhauf herzlich mit Ernst und Vertrauen Gott anriefen? Auch Jakobus sagt:
»Liebe Brüder, bittet füreinander, dass ihr selig werdet, denn gar viel vermag
eines frommen Menschen Gebet, das anhält oder nicht ablässt« (das meint: das
nicht aufhört, fortan noch mehr zu bitten, auch wenn nicht alsbald geschieht,
was er bittet, wie es etliche Wankelmütige tun). Und er stellt dafür den Propheten
Elias als Exempel vor: »Der war ein Mensch (so spricht er), wie wir sind, und
betete, dass es nicht regnen sollte, und es regnete nicht drei Jahre und sechs
Monate lang. Wiederum betete er, und es hat geregnet und ist alles fruchtbar
geworden.« (Jakobus 5, 16ff.) Sprüche und Exempel, die uns zu bitten
antreiben, gibt es sehr viele in der Schrift, doch stets so, dass es geschehen
müsse mit Ernst und im Glauben. Wie David sagt: »Gottes Augen sehen auf die
Frommen, und seine Ohren hören auf ihre Gebete.« (Psalm 33, 18) Desgleichen:
»Gott ist nahe bei denen, die ihn anrufen, wenn sie ihn in der Wahrheit
anrufen.« (Psalm 145, 18) Warum fügt er hinzu: »in der Wahrheit anrufen«? Weil
man nämlich das nicht beten oder anrufen nennen kann, wenn nur der Mund
murmelt.
Was sollte Gott
tun, wenn du nur so daherkommst mit dem Maul, dem Buch oder dem Rosenkranz und
an nichts weiter denkst, als wie du mit den Worten vollständig und vollzählig
zum Ende kommen willst? So dass, wenn dich jemand fragt, in welcher
Angelegenheit du zu bitten vorhättest, würdest du's selber nicht wissen? Denn
daran hattest du gar nicht gedacht, dies oder das vor Gott zu bringen oder zu
begehren; dein einziger Grund zum Beten ist, dass man dir so und so viel zu
beten auferlegt hat; dies willst du einhalten und fertig bringen. Wen wundert's,
dass Blitz und Donner so oft Kirchen anzünden, weil wir so aus dem Bethaus ein
Spotthaus machen und es beten nennen, auch wenn wir innerlich dabei nichts vorbringen
oder uns wünschen? Wir sollten es aber so halten wie die, die vor großen
Fürsten um etwas bitten wollen. Die nehmen sich nicht vor, bloß eine bestimmte
Anzahl von Worten daherzuplaudern; der Fürst würde sonst annehmen, sie wollten
ihn verspotten oder wären von Sinnen. Sondern sie fassen es unumwunden in
Worte, legen ihre Not sorgfältig dar und stellen es dennoch seiner Gnade
anheim, in guter Zuversicht, es werde erhört. So müssen wir auch mit Gott ganz
bestimmte Sachen verhandeln, nämlich etliche dringende Nöte zur Sprache
bringen, sie seiner Gnade und seinem guten Willen anheimstellen und nicht
zweifeln, es sei erhört. Denn er hat solchen Bitten Erhörung zugesagt: Das hat
noch kein irdischer Herr getan!
Zum vierzehnten:
Auf diese Weise zu bitten verstehen wir meisterhaft, wenn wir leibliche Not
leiden, wenn wir krank sind. Da ruft man St. Christoffel an, da St. Barbara; da
gelobt man, nach St. Jakob, hierhin und dahin zu wallfahren. Da gibt es
ernsthaftes Beten, gute Zuversicht und jede gute Art von Gebet. Aber wenn wir
in den Kirchen sind, während der Messe, stehen wir wie die Ölgötzen da, wissen
nichts vorzubringen oder zu klagen. Da klappern die Steinperlen, rauschen die
Blätter und das Maul plappert: Mehr wird da nicht draus.
Fragst du aber, was
du vorbringen und klagen sollst in dem Gebet, so bist du leicht zu belehren aus
den zehn Geboten und dem Vaterunser. Tu die Augen auf und sieh auf dein und der
ganzen Christenheit Leben, besonders auf den geistlichen Stand, dann wirst du
finden, wie Glaube, Hoffnung, Liebe, Gehorsam, Keuschheit und alle Tugenden
darniederliegen, allerlei schreckliche Laster regieren; wie es an guten
Predigern und Prälaten gebricht; wie lauter Buben, Kinder, Narren und Weiber
regieren. Da wirst du finden, dass es not täte bei solch schrecklichem Zorn
Gottes, ihn mit lauter blutigen Tränen zu allen Stunden unablässig zu bitten in
aller Welt! Und es ist nur allzu wahr, dass es noch nie nötiger war, ihn zu
bitten, als zu dieser Zeit und fortan noch mehr, bis zum Ende der Welt. Wenn
dich solche schrecklichen Gebrechen nicht zu Jammer und Klage bewegen, dann
lass dich durch deinen Stand oder Orden, durch gute Werke oder Gebete nicht
täuschen: Es wird dann keine christliche Ader oder Art an dir geben, du seiest
so fromm wie du magst!
Das ist aber alles
im voraus verkündigt: Zu der Zeit, wenn Gott aufs höchste zürnen und die
Christenheit am meisten Not leiden werde, würden sich keine Fürbitter finden
lassen noch solche, die sich schützend vor uns stellen gegen Gott, wie Jesaja
weinend sagt: »Du bist erzürnt über uns, und da ist leider niemand, der
aufstünde und dich abhielte.« (Jesaja 64, 6) Ebenso sagt Hesekiel: »Ich habe
gesucht unter ihnen, ob nicht jemand da wäre, der doch noch einen Zaun zwischen
uns machte und stellte sich mir entgegen und wehrte mir; ich habe ihn aber
nicht gefunden. Darum habe ich meinen Zorn über sie gehen lassen und habe sie
in der Hitze meines Grimmes verschlungen.« (Hesekiel 22, 30) Mit diesen Worten
zeigt Gott an, wie er will, dass wir ihm widerstehen und füreinander seinem
Zorn wehren sollen. Wie vom Propheten Mose oft geschrieben steht, dass er Gott
aufhielt, damit sein Zorn das Volk von Israel nicht überschüttete.
Zum fünfzehnten: Wo
wollen aber die bleiben, die nicht bloß solches Unglück der Christenheit für
nichts achten, nicht fürbitten, sondern darüber lachen, ein Wohlgefallen daran
haben, richten, verleumden, von ihres Nächsten Sünden singen und sagen und
sich dennoch erlauben, ungescheut und unverschämt in die Kirche zu gehen, Messe
zu hören, Gebete zu sprechen und sich für fromme Christen zu halten und halten
zu lassen? Die hätten's wohl nötig, dass man zwiefach für sie bittet, während
man nur einfach für die zu bitten braucht, die von ihnen gerichtet, ins Gerede
gebracht und verlacht werden. dass es solche zukünftig geben werde, ist auch
vorausgesagt durch den Unken Schacher, der Christus in seinem Leiden, Gebrechen
und seiner Not lästerte, und durch alle, die Christus schmähten am Kreuz, wo
sie ihm doch am meisten sollten geholfen haben.
O Gott, wie blind,
ja unsinnig sind wir Christen geworden! Wann will der Zorn ein Ende nehmen, himmlischer
Vater? Dass wir das Unglück der Christenheit, für das zu bitten wir in der
Kirche und Messe versammelt werden, verspotten, lästern und richten, das macht
unser verdrehter Verstand. Wenn der Türke Städte, Land und Leute verheert,
Kirchen verwüstet, dann meinen wir, es sei der Christenheit großer Schaden
geschehen. Dann klagen wir und bewegen Könige und Fürsten zum Streit. Aber dass
der Glaube untergeht, die Liebe erkaltet, Gottes Wort unterbleibt, alle
möglichen Sünden überhandnehmen: Da denkt niemand an Streit! Ja, Papst,
Bischöfe, Priester, Geistliche, die in diesem geistlichen Streit gegen diese
geistlichen und viel schlimmeren Türken sollten Herzöge, Hauptleute und
Fähnriche sein, die sind nun geradezu selbst zu Fürsten und Anführern solcher Türken
und des teuflischen Heeres geworden, wie Judas für die Juden, als sie Christus
gefangen nahmen. Es musste schon ein Apostel, ein Bischof, ein Priester, einer
der Besten sein, der anfing, Christus umzubringen! So kann auch die
Christenheit nur von denen, die sie beschirmen sollten, zerstört werden. Und
doch bleiben sie dabei so wahnwitzig, dass sie trotzdem den Türken fressen
wollen und so das Haus und den Schafstall daheim selber anzünden und abbrennen
lassen mit Schafen und allem, was darin ist, und dessen ungeachtet dem Wolf in
den Büschen nachspüren! Das ist die Zeit, das ist der Lohn, den wir verdient
haben durch Undankbarkeit für die unendliche Gnade, die uns Christus umsonst
erworben hat mit seinem teuren Blut, mit schwerer Arbeit und bitterem Tod!
Zum sechzehnten:
Sieh da, wo sind nun die Müßigen, die nicht wissen, wie sie gute Werke tun
sollen? Wo sind sie, die nach Rom, St. Jakob, hierhin und dahin laufen? Nimm
dir dies einzige Werk, die Messe, vor, sieh an deines Nächsten Sünde und Fall,
erbarm dich seiner, laß dich's jammern, klag's Gott und bitte dafür! Dies tu
auch für alle andere Not der Christenheit, besonders der Obrigkeit, die Gott,
uns allen zur unerträglichen Strafe und Plage, so greulich fallen und verführt
werden lässt! Tust du das mit Fleiß, so sei gewiss, du bist einer der besten
Streiter und Herzöge nicht bloß wider die Türken, sondern auch wider die Teufel
und höllischen Gewalten. Tust du es aber nicht, was hülfe es dir, dass du alle
Wunderzeichen aller Heiligen tätest und alle Türken erwürgtest und doch
schuldig erfunden würdest als einer, der auf seines Nächsten Not nicht
geachtet und dadurch gegen die Liebe gesündigt hätte? Denn Christus wird am
Jüngsten Tage nicht fragen, wie viel du für dich gebetet, gefastet, Wallfahrten
gemacht, dies oder das getan hast, sondern wie viel du den ändern, den
Allergeringsten, wohlgetan hast.
Nun gehören zu den
Geringsten ohne Zweifel auch die, die in Sünden und in geistlicher Armut,
Gefangenschaft und Bedürftigkeit sind, von denen es jetzt noch weit mehr gibt
als solche, die leibliche Not leiden. Darum sieh dich vor: Unsre
selbsterwählten guten Werke weisen uns an uns und in uns selber hinein, so dass
wir bloß unseren Nutzen und unsere Seligkeit suchen. Aber Gottes Gebote drängen
uns zu unsrem Nächsten, damit wir so nur den anderen zu ihrer Seligkeit
nützlich seien. Wie Christus am Kreuz nicht nur für sich selber bat, sondern
viel mehr für uns, als er sprach: »Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht,
was sie tun.« (Lukas 23, 34) So müssen auch wir füreinander bitten. Daraus kann
jeder erkennen, dass die Verleumder, Splitterrichter und Verächter anderer
Leute ein verkehrtes, böses Volk sind, die nicht mehr tun als bloß die zu
schmähen, für die sie bitten sollten. In diesem Laster steckt niemand so tief
wie gerade die, die viele selbsterwählte gute Werke tun und vor den Menschen
glänzen und für etwas Besonderes gehalten werden wegen ihres schönen,
scheinheiligen Treibens mit mancherlei guten Werken.
Zum siebzehnten:
Geistlich verstanden enthält dieses Gebot ein noch viel höheres Werk, das die
ganze Natur des Menschen umfasst. Hierzu muss man wissen, dass Sabbat auf
hebräisch heißt Feier oder Ruhe, darum dass Gott am siebenten Tag ruhte und
aufhörte mit all seinen Werken, die er geschaffen hatte (1. Mose 2, 3). Darum
gebot er auch, dass wir den siebenten Tag feiern und an ihm mit unsren Werken
aufhören sollten, die wir in den sechs Tagen tun. Und dieser Sabbat ist nun für
uns in den Sonntag verwandelt, und die anderen Tage heißen Werktage, der
Sonntag heißt Ruhetag oder Feiertag oder heiliger Tag. Und wollte Gott, dass
in der Christenheit keine Feiertage wären außer dem Sonntag, dass man alle
Feste unsrer lieben Frau und der Heiligen auf den Sonntag verlegte! Dann
unterblieben viele böse Untugenden
wegen der Werktagsarbeit; auch würden die Länder nicht so arm und ausgezehrt
werden. Aber nun sind wir mit vielen Feiertagen geplagt zum Verderben der
Seelen, Leiber und Güter; davon wäre vieles zu sagen.
Dieses Ruhen oder
das Aufhören mit den Werken geschieht auf zweierlei Art, leiblich und
geistlich. Darum wird dieses Gebot auch auf zweierlei Weisen verstanden. Die
leibliche Feier oder Ruhe, von der oben die Rede war, besteht darin, dass wir
unser Handwerk und unsre Arbeit anstehen lassen, damit wir uns in der Kirche
versammeln, die Messe feiern, Gottes Wort hören und gemeinsam einträchtig
beten. Zwar ist diese Feier leiblich und in der Christenheit nicht länger von
Gott geboten, wie der Apostel Kolosser 2, 16 sagt: »Lasst euch von niemandem zu
irgendeinem Feiertage verpflichten, denn diese sind vorzeiten vorausdeutende
Bilder gewesen«; nun aber ist die Wahrheit erfüllt, dass an allen Tagen
Feiertag ist, wie Jesaja sagt: »Es wird ein Feiertag nach dem anderen sein«
(Jesaja 66, 23), wie umgekehrt auch an allen Tagen Werktag ist. Dennoch ist
sie nötig und von der Christenheit angeordnet um der unvollkommenen Laien und
Arbeitsleute willen, damit die auch zum Wort Gottes kommen können. Denn wie
wir sehen, halten die Priester und Geistlichen alle Tage die Messe, beten die
Stundengebete und üben sich in dem Wort Gottes mit Studieren, Lesen und Hören.
Darum sind sie auch vor anderen befreit von der Arbeit, mit Zinsen versorgt,
haben alle Tage Feiertag, tun auch alle Tage die Werke des Feiertags, und es
gibt für sie keinen Werktag, sondern einer ist wie der andere. Und wenn wir
alle vollkommen wären und das Evangelium auswendig könnten, dann könnten wir
alle Tage arbeiten, wenn wir wollten, oder auch feiern, wenn wir könnten. Denn
Feiern ist jetzt weder notwendig noch geboten, außer dazu, um das Wort Gottes
zu lernen und um zu beten.
Die geistliche
Feier12, die Gott in diesem Gebot vor allem meint, besteht nicht
bloß darin, dass wir Arbeit und Handwerk anstehen lassen, sondern viel mehr
darin, dass wir Gott allein in uns wirken lassen und selber mit all unseren
Kräften nichts Eigenes wirken. Wie geht das aber zu? Das geht so zu: Der
Mensch, durch die Sünde verdorben, hat viele böse Vorlieben und Neigungen zu
allen Sünden, und es ist, wie die Schrift 1. Mose 8, 21 sagt: »Des Menschen
Herz und Sinne trachten allezeit nach dem Bösen«, das heißt Hoffart,
Ungehorsam, Zorn, Hass, Geiz, Unkeuschheit usw., und summa summarum: In allem,
was er tut und lässt, sucht er mehr seinen eigenen Nutzen, Willen und Ehre als
Gottes und seines Nächsten. Darum sind alle seine Werke, alle seine Worte, alle
seine Gedanken und all sein Leben böse und nicht göttlich.
Soll nun Gott in
ihm wirken und leben, dann müssen alle diese Laster und Bosheiten erwürgt und
ausgerottet werden, damit es hier Ruhe gebe und ein Aufhören aller unserer
Werke, Worte, Gedanken und unseres Lebens, und damit hinfort, wie Paulus
Galater 2, 20 sagt, nicht wir, sondern Christus in uns lebe, wirke und rede.
Das geschieht nun nicht mit süßen, guten Tagen, sondern hier muss man der
Natur weh tun und weh tun lassen. Hier erhebt sich der Streit zwischen dem
Geist und dem Fleisch; hier wehrt der Geist dem Zorn, der Wollust, der Hoffart,
doch will das Fleisch Lust, Ehre und Behaglichkeit haben. Davon sagt Paulus Galater
5, 24: »Die unsrem Herrn Christus gehören, die haben ihr Fleisch gekreuzigt mit
seinen Lastern und Lüsten.« Hier folgen dann die guten Werke, Fasten, Wachen,
Arbeiten, über die etliche soviel sagen und schreiben, obwohl sie doch weder
deren Anfang noch Ende wissen. Darum wollen wir nun auch davon etwas sagen.
Zum achtzehnten.
Das Feiern, bei dem unsre Werke aufhören und Gott allein in uns wirkt, wird auf
zweierlei Weisen vollbracht: erstens durch unsere eigenen Übungen, zweitens
durch Übungen oder Antriebe, die von ändern und Fremden ausgehen.
Unsre eigene Übung
soll so vor sich gehen und geordnet werden, dass wir zuerst, wenn wir sehen,
wo uns Fleisch, Sinn, Wille und Gedanken hinlocken, dem widerstehen und nicht
folgen, wie der weise Mann sagt: »Folge nicht deinen Begierden« (Sirach 18,
30), und 5. Mose 12, 8: »Du sollst nicht tun, was dich recht dünkt.«
Hier muss der
Mensch die Gebete zur täglichen Übung gebrauchen, die David betete: »Herr,
leite mich auf deinem Wege und laß mich nicht meine Wege gehen« (Psalm 119,
33+37), und viele dergleichen, die alle inbegriffen sind in der Bitte: »Zu uns
komme dein Reich.« Denn es gibt so viele und so verschiedene Begierden, dazu
sind sie bisweilen durch Eingebungen des Bösen so behend, subtil und sehen so
gut aus, dass es einem Menschen nicht möglich ist, sich auf seinem Wege selbst
zu regieren. Er muss Händen und Füßen den Lauf lassen, sich Gottes Regiment
anbefehlen, darf seiner Vernunft nicht vertrauen, wie Jeremia sagt: »Herr, ich
weiß, dass des Menschen Wege sind nicht in seiner Gewalt.« (Jeremia 10, 23) Das
ist vorgezeichnet, als die Kinder Israel aus Ägypten durch die Wüste zogen, wo
kein Weg, keine Speise, kein Trank, keine Aushilfe war: Darum ging ihnen Gott
voran, bei Tag in einer lichten Wolke, bei Nacht in einer feurigen Säule,
speiste sie aus dem Himmel mit Himmelsbrot, erhielt ihre Kleider und Schuhe,
dass sie nicht zerrissen, wie wir in den Büchern Mose lesen. Darum bitten wir:
Zu uns komme dein Reich, damit du uns regierest und nicht wir selbst. Denn es
gibt nichts Gefährlicheres in uns als unsre Vernunft und unseren Willen. Und
dies ist das höchste und erste Werk Gottes in uns und die beste Übung, unser
Werk zu lassen: dass man die Vernunft und den Willen ruhen und feiern lasse und
sich Gott anbefehle in allen Dingen, zumal wenn sie geistlich und schön
glänzend erscheinen.
Zum neunzehnten.
Darauf folgen die Übungen des Fleisches, die seine grobe, böse Lust töten, zur
Ruhe und zum Feiern bringen sollen: Die müssen wir mit Fasten, Wachen, Arbeiten
töten und stilllegen. Und aus diesem Grund lehren wir, warum wir fasten, wachen
oder arbeiten sollen.
Es gibt leider
viele blinde Menschen, die sich dem Kasteien, es sei Fasten, Wachen oder
Arbeiten, nur deshalb unterziehen, weil sie meinen, es seien gute Werke, so
dass sie damit viele Verdienste erwerben. Darum fahren sie so drauflos und tun
darin manchmal so viel, dass sie ihren Leib dadurch verderben und ihren Kopf
toll machen. Noch viel blinder sind diejenigen, die das Fasten nicht bloß wie
diese nach der Menge oder Länge bewerten, sondern auch nach der Speise: Sie
meinen, es sei viel verdienstvoller, wenn sie kein Fleisch und keine Eier oder
Butter äßen. Darüber gehen die noch hinaus, die das Fasten nach den Heiligen
richten und nach den Tagen auswählen: der am Mittwoch, der am Sonnabend, der am
St. Barbara-, der am St. Bastianstag und so fort. Die alle zusammen suchen
nichts andres im Fasten als das Werk an sich; wenn sie das getan haben, meinen
sie, es sei wohlgetan. Ich will hier davon schweigen, dass etliche auch so
fasten; dass sie sich dennoch voll saufen, etliche auch so reichlich mit Fisch
und anderen Speisen fasten, dass sie mit Fleisch, Eiern, Butter viel billiger
hinkämen, dazu auch viel bessere Früchte des Fastens erlangten. Denn solch ein
Fasten ist kein Fasten, sondern spottet des Fastens und Gottes.
Darum lass ich's
geschehen, dass sich jeder den Tag, die Speise, die Menge des Fastens so wie er
will wähle, sofern er es nicht dabei bewenden lässt, sondern auf sein Fleisch
acht gibt: Soviel dieses geil und mutwillig ist, soviel erlege er ihm an
Fasten, Wachen und Arbeiten auf und nicht mehr, selbst wenn's Papst, Kirche,
Bischof, Beichtvater oder wer sonst will geboten hätten. Denn Maß und Regel des
Fastens, Wachens und Arbeitens soll ja niemand nach der Speise, der Menge oder
den Tagen richten, sondern nach der Abnahme oder Zunahme der fleischlichen
Lust und des Mutwillens. Nur deretwegen, um sie zu töten und zu dämpfen, ist
das Fasten, Wachen und Arbeiten eingesetzt worden. Wenn diese Lust nicht wäre,
dann gälte Essen soviel wie Fasten, Schlafen soviel wie Wachen, Müßigsein
soviel wie Arbeiten, und das eine wäre so gut wie das andere, ohne allen
Unterschied.
Zum zwanzigsten:
Wenn nun jemand fände, dass von Fischen mehr Mutwillen in seinem Fleisch sich
erhöbe als von Eiern und Fleisch, soll er Fleisch und nicht Fisch essen. Wenn
er umgekehrt fände, dass ihm der Kopf wüst und toll oder der Leib und Magen
verdorben würde vom Fasten oder er es nicht nötig hätte noch bedürfte, seinen
Mutwillen im Fleisch abzutöten, dann soll er das Fasten ganz anstehen lassen
und essen, schlafen, müßiggehen, soweit es ihm zur Gesundheit not tut, ohne
darauf zu sehen, ob es gegen Kirchengebote oder Ordens- und Standesgesetze sei.
Denn kein Gebot der Kirche, kein Gesetz irgendeines Ordens darf das Fasten,
Wachen, Arbeiten höher einschätzen oder weiter treiben, als soviel und soweit
es dazu dient, das Fleisch und seine Lust zu dämpfen oder zu töten. Wo über
dieses Ziel hinausgegangen oder es mit dem Fasten, den Speisen, dem Schlafen
und Wachen übertrieben wird, mehr als das Fleisch ertragen kann oder als zur
Abtötung der Lust notwendig ist, und wenn dadurch die Natur verdorben, der Kopf
verwirrt wird, dann bilde sich niemand ein, dass er gute Werke getan habe oder
sich mit dem Kirchengebot oder Ordensgesetz entschuldigen könne. Er wird so
betrachtet werden wie einer, der sich selber verwahrlost und, soweit es an ihm
liegt, sein eigener Mörder geworden ist. Denn der Leib ist nicht dazu gegeben,
dass wir ihm sein natürliches Leben oder Werk abtöten, sondern nur, dass wir
seinen Mutwillen töten; außer wenn dieser Mutwille so stark und so groß wäre,
dass man ihm ohne Verderben und Einbußen am natürlichen Leben nicht hinreichend
widerstehen könnte. Denn, wie gesagt, bei Übungen des Fastens, Wachens,
Arbeitens soll man das Augenmerk nicht auf die Werke an sich richten, nicht auf
die Tage, nicht auf die Menge, nicht auf die Speise, sondern bloß auf den
übermütigen und geilen Adam, dass dem der Kitzel dadurch verwehrt werde.
Zum
einundzwanzigsten: Daraus können wir ermessen, wie weise oder närrisch einige
Weiber handeln, wenn sie schwanger gehen, und wie man sich bei den Kranken
verhalten soll. Denn die Närrinnen hängen so streng am Fasten, dass sie es eher
auf große Gefährdungen für die Frucht und sich selber ankommen lassen, als dass
sie nicht ebenso wie die anderen fasten sollten. Sie machen sich ein Gewissen
daraus, wo kein Grund dazu ist; und da, wo es angezeigt wäre, machen sie sich
keines. Das ist alles der Prediger Schuld, dass man vom Fasten so daherplaudert
und dessen rechten Gebrauch, Maß, Frucht, Ursache und Ziel nimmer anzeigt.
Darum sollte man die Kranken jeden Tag essen und trinken lassen, was sie nur
wollten. Und kurzum: Wo der Mutwille des Fleisches aufhört, da hat auch schon
aufgehört aller Anlass zu fasten, zu wachen, zu arbeiten, dies oder das zu
essen, und da gibt es auch kein Gebot mehr, das dazu verpflichtet.
Umgekehrt soll man
sich vorsehen, dass nicht aus dieser Freiheit eine nachlässige Faulheit
erwachse, den Mutwillen des Fleisches zu töten. Denn der betrügerische Adam
ist listig genug, für sich selbst einen Freibrief zu suchen und das Verderben
des Leibes oder Hauptes vorzuschützen, wie etliche lautstark erklären und
sagen, es sei weder nötig noch geboten, zu fasten oder sich zu kasteien. Sie
wollen nur dies und das ungescheut essen, gerade als ob sie sich schon lange
Zeit sehr im Fasten geübt hätten, während sie's doch noch nie versucht haben.
Nicht weniger
sollen wir uns vor Ärgernis hüten bei denen, die nicht verständig genug sind
und es für eine große Sünde halten, wenn man nicht auf ihre Weise mit ihnen
fastet oder isst. Hier soll man sie gütlich unterrichten und sie nicht
überheblich verachten oder ihnen zum Trotz dies oder das essen, sondern ihnen
die Gründe zeigen, warum es zu Recht so geschehe, und auch sie so in aller Ruhe
in dieses Verständnis einführen. Wenn sie aber halsstarrig sind und sich nichts
sagen lassen, soll man sie fahren lassen und es so machen, wie wir wissen, dass
es recht ist.
Zum
zweiundzwanzigsten: Zu der zweiten Übung, die uns von ändern her überfallt,
kommt es, wenn wir von Menschen oder Teufeln beleidigt werden, wenn uns unser
Gut weggenommen, der Leib krank und die Ehre geraubt wird und uns das alles zu
Zorn, Ungeduld und Unruhe bewegen kann. Denn Gottes Werk, wie es in uns regiert
nach seiner Weisheit und nicht nach unsrer Vernunft, und nach seiner Reinheit
und Keuschheit und nicht nach dem Mutwillen unseres Fleisches - denn Gottes
Werk ist Weisheit und Reinheit, unser Werk ist Torheit und Unreinheit, und die
sollen feiern! So soll es in uns auch regieren nach seinem Frieden und nicht
nach unsrem Zorn, unsrer Ungeduld und unsrem Unfrieden. Denn auch Friede ist
Gottes Werk, Ungeduld ist unsres Fleisches Werk, das feiern und tot sein soll.
So sollen wir überall einen geistlichen Feiertag feiern, unsre Werke ruhen und
Gott in uns wirken lassen.
Um solche Werke und
den alten Adam in uns zu töten, schickt uns Gott viele Anstöße auf den Hals,
die uns zum Zorn bewegen; viele Leiden, die zur Ungeduld reizen; zuletzt auch
den Tod und die Schmach der Welt. Damit sucht er nichts anderes, als uns Zorn,
Ungeduld und Unfrieden auszutreiben und zu seinem Werk, das heißt zum Frieden
in uns, zu kommen. So spricht Jesaja: »Er bedient sich eines fremden Werks,
damit er zu seinem eigenen Werk komme.« (Jesaja 28, 21) Was heißt das? Er
schickt Leiden und Unfrieden, damit er uns lehre, Geduld und Frieden zu halten;
er lässt auf sein Geheiß sterben, damit er lebendig mache; so lange, bis der
Mensch, durchgeübt, so friedsam und still werde, dass ihn nichts mehr bewegt,
es gehe ihm wohl oder übel, er sterbe oder lebe, er werde geehrt oder
geschändet. Da wohnt dann Gott selbst und allein. Da ist dann kein Menschenwerk
mehr. Das heißt dann, den Feiertag recht halten und heiligen. Da führt der
Mensch sich nicht selber. Da gelüstet ihn selber nichts und da betrübt ihn auch
nichts, sondern Gott selber führt ihn. Lauter göttliche Lust, Freude und Friede
herrschen da, samt allen anderen Werken und Tugenden.
Zum
dreiundzwanzigsten: Diese Werke schätzt er so hoch, dass er den Feiertag nicht
bloß zu halten, sondern auch zu heiligen oder als heilig zu achten gebietet.
Damit zeigt er an, dass es für uns nichts Kostbareres gibt als Leiden, Sterben
und allerlei Unglück; denn sie sind Heiligtümer und heiligen den Menschen von
seinem Werk für Gottes Werk, so wie eine Kirche den natürlichen Werken entzogen
und für Gottesdienste geweiht wird. Darum soll er sie auch als Heiligtümer
anerkennen, froh werden und Gott danken, wenn sie an ihn kommen. Denn wenn sie
kommen, dann machen sie ihn heilig, so dass er dieses Gebot erfüllt und selig
wird, und erlösen ihn von seinen sündlichen Werken. Darum spricht David: »Der
Tod seiner Heiligen ist kostbar vor seinen Augen.« (Psalm 116, 15)
Und damit er uns
dafür stärke, hat er uns nicht bloß solche Feier geboten (denn die Natur stirbt
und leidet gar ungern, und es ist für sie ein bitterer Feiertag, wenn ihre
Werke ruhen und tot sein sollen). Sondern er hat uns in der Schrift mit
mannigfachen Worten getröstet und sagen lassen Psalm 91, 15: »Ich bin bei ihm
in all seinem Leiden und will ihm heraushelfen.« Desgleichen Psalm 34, 20: »Der
Herr ist allen Leidenden nahe und wird ihnen helfen.«
Damit nicht genug,
hat er uns zudem ein kräftiges, starkes Exempel gegeben: seinen einzigen,
lieben Sohn Jesus Christus, unsern Herrn. Der hat am Sabbat den ganzen Feiertag
im Grab gelegen, all seiner Werke entledigt, und als erster dieses Gebot
erfüllt, obwohl es für ihn nicht notwendig war: uns zum Trost, damit auch wir
in allem Leiden und Sterben stille sein sollen und Frieden haben, angesichts
dessen, dass, wie Christus nach seiner Ruhe und Feier auferweckt hinfort allein
in Gott und Gott in ihm lebt, so auch wir durch die Abtötung unsres alten Adam,
die vollkommen erst durch den natürlichen Tod und das Begräbnis geschieht, zu
Gott erhoben werden, damit Gott ewiglich in uns lebe und wirke. Sieh, das sind
die drei Stücke, die alle Werke des Menschen bestimmen: die Vernunft, die Lust
und die Unlust. Die müssen so, durch diese drei Übungen — Gottes Regierung,
unsere Selbstkasteiung, Beleidigungen durch andre - erwürgt werden und so
geistlich für Gott feiern und ihm Raum geben zu seinen Werken.
Zum
vierundzwanzigsten: Solche Werke und Leiden aber sollen im Glauben und in guter
Zuversicht zur göttlichen Huld geschehen, damit, wie gesagt, alle Werke im
ersten Gebot und im Glauben bleiben und der Glaube sich in ihnen übe und
stärke. Seinetwegen sind alle anderen Gebote und Werke eingesetzt. Darum sieh,
was für ein hübscher, goldener Ring sich aus diesen drei Geboten und Werken von
selber bildet und wie aus dem ersten Gebot und dem Glauben das zweite heraus-
und zum dritten hinfließt und das dritte dann wieder durch das zweite ins erste
zurückfließt! Denn das erste Werk heißt glauben, eine gute Herzensneigung zu
Gott und Zuversicht zu ihm haben. Aus dem fließt das zweite gute Werk: Gottes
Namen preisen, seine Gnade bekennen, ihm allein alle Ehre geben. Danach folgt
dann das dritte: Gottesdienst üben mit Beten, Predigthören, Gottes Wohltaten
besingen und betrachten, dazu sich kasteien, um sein Fleisch zu bezwingen.
Wenn nun der böse
Geist einen solchen Glauben, ein solches Ehren Gottes, einen solchen Dienst
Gottes gewahr wird, dann tobt er und fängt mit der Verfolgung an, greift Leib,
Gut, Ehre und Leben an, lässt Krankheit, Armut, Schande und Sterben über uns
kommen, wie es Gott so verhängt und verordnet. Sieh, da beginnt das zweite Werk
oder die zweite Feier dieses dritten Gebotes; dadurch wird der Glaube sehr
streng geprüft, wie das Gold im Feuer. Denn es ist ein großes Ding, eine gute
Zuversicht zu Gott behalten, obwohl er uns Tod, Schmach, Ungesundheit, Armut
zufügt, und ihn unter einem so grausamen Bild des Zornes für den allergütigsten
Vater zu halten, was geschehen muss bei diesem Werk des dritten Gebotes. Da
drängt dann das Leiden den Glauben, dass er Gottes Namen anrufen muss und ihn
loben in solchem Leiden. Und so kommt er durch das dritte Gebot wieder ins
zweite. Und durch dieses Anrufen des göttlichen Namens und sein Lob wächst der
Glaube und kommt er zu sich selber und stärkt so sich selber durch die zwei
Werke des dritten und zweiten Gebotes. Und so geht er aus in die Werke und
kehrt durch die Werke wieder zu sich selber zurück, wie die Sonne aufgeht bis
zum Niedergang und wiederkommt zu ihrem Aufgang. Darum wird in der Schrift der
Tag dem friedlichen Leben mit den Werken zugeeignet, die Nacht dem leidenden
Leben unter der Widerwärtigkeit, und der Glaube lebt und wirkt so in beiden,
geht aus und geht ein darin, wie Christus Joh.9,4 sagt.
Zum
fünfundzwanzigsten: Dieser Ordnung der guten Werke folgen auch unsere Bitten im
Vaterunser. Das erste ist, dass wir sagen: »Vater unser, der du bist im
Himmel.« Das sind Worte des ersten Werks des Glaubens, der nach dem ersten
Gebot nicht zweifelt, er habe einen gnädigen Gott und Vater im Himmel. Das
zweite ist: »Dein Name sei heilig.« Darin begehrt der Glaube, dass Gottes Name,
Lob und Ehre gepriesen werden, und ruft diesen an in allen Nöten, wie das
zweite Gebot lautet. Das dritte ist: »Zu uns komme dein Reich.« Darin bitten
wir um die rechte Sabbatfeier, die stille Ruhe von unseren Werken, damit allein
Gottes Werk in uns geschehe und Gott so in uns als in seinem eigenen Reich
regiere, wie er sagt: »Nehmt wahr, Gottes Reich ist nirgends als in euch selber!«
(Lukas 17, 21) Die vierte Bitte heißt: »Dein Wille geschehe.« Darin bitten wir,
dass wir die sieben Gebote
der zweiten Tafel
halten und bewahren können, in denen der Glaube auch gegenüber dem Nächsten
geübt wird, so wie er in diesen dreien in Werken allein Gott gegenüber geübt
ist. Und das eine sind die Bitten, in denen das Wörtlein du, dein, dein, dein
drinsteht, weil sie nur suchen, was zu Gott gehört. Die anderen sagen alle
unser, uns, unsern usw., denn da bitten wir um unsre Güter und unsre Seligkeit.
Und damit haben wir
von der ersten Tafel des Mose reichlich geredet und den Einfältigen in groben
Zügen die höchsten guten Werke gezeigt.
Es folgt die zweite
Tafel
Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren
Aus diesem Gebot
lernen wir, dass es nach den hohen Werken der ersten drei Gebote keine besseren
Werke gibt, als Gehorsam und Dienst gegen alle, die uns zur Obrigkeit bestimmt
sind. Darum ist Ungehorsam auch größere Sünde als Totschlag, Unkeuschheit,
Stehlen, Betrügen und was sonst darunter begriffen werden mag. Denn die
Unterschiede der Sünden - welche größer sei als die andere — können wir nicht
besser erkennen als aus der Ordnung der Gebote Gottes, obwohl jedes Gebot, für
sich selber genommen, auch Unterschiede in seinen Werken aufweist. Denn wer
weiß nicht, dass Fluchen größere Sünde als Zürnen ist, Schlagen mehr bedeutet
als Fluchen, Vater und Mutter Schlagen mehr als einen gewöhnlichen Menschen?
Nun, da lehren uns diese sieben Gebote, wie wir uns den anderen Menschen
gegenüber in guten Werken üben sollen; und zuerst denen gegenüber, die über
uns stehen.
Das erste Werk ist: Wir sollen die leiblichen Eltern, Vater
und Mutter, ehren. Solche Ehre besteht nicht bloß darin, dass man sich so mit
Gebärden erzeigt, sondern dass man ihnen gehorsam sei, ihre Worte und Werke vor
Augen habe, groß davon denke und viel darauf gebe; dass man sie recht haben
lasse in dem, was sie anordnen, es stillschweigend ertrage, wie sie mit uns
umgehen, wenn es nicht gegen die ersten drei Gebote ist; dazu, wenn sie es
bedürfen, sie mit Nahrung, Kleidung und Behausung versorge. Denn er hat nicht
umsonst gesagt: Du sollst sie ehren. Nicht sagt er: Du sollst sie lieb haben;
obwohl das auch sein soll. Aber die Ehre ist höher als schlichte Liebe und hat
bei sich eine Furcht, die sich mit Liebe vereint und macht, dass der Mensch
sich mehr davor furchtet, sie zu beleidigen, als vor der Strafe. Ebenso wie wir
ein Heiligtum mit Furcht ehren und doch nicht vor ihm fliehen wie vor einer
Strafe, sondern vielmehr zu ihm hindrängen: Eine solche Furcht, mit Liebe
vermischt, ist die rechte Ehre. Die andere Furcht, ohne Liebe, richtet sich auf
die Dinge, die wir verachten oder vor denen wir fliehen, wie man den Henker
oder die Strafe fürchtet. Darin gibt's keine Ehre, denn es ist Furcht ohne alle
Liebe, ja, Furcht mit Hass und Feindschaft verbunden. Darüber gibt es ein
Sprichwort bei Hieronymus: Was wir furchten, das hassen wir auch. Mit dieser
Furcht will Gott nicht gefürchtet noch geehrt sein noch die Eltern geehrt
wissen, sondern mit jener ersten, die mit Liebe und Zuversicht vermischt ist.
Zum zweiten: Dies Werk erscheint leicht, aber wenige achten
es recht. Denn wo die Eltern recht fromm sind und ihre Kinder nicht nach
fleischlicher Weise lieb haben, sondern sie (wie sie sollen) zu Gottes Dienst
mit Worten und Werken nach den ersten drei Geboten weisen und so regieren, da
wird dem Kind unablässig sein eigener Wille gebrochen, und es muss tun, lassen,
erleiden, was seine Natur gar zu gern anders täte. Dadurch wird es dann dazu
veranlasst, seine Eltern zu verachten, gegen sie zu murren oder schlimmere
Dinge zu tun. Da vergehen ihm Liebe und Furcht, wenn nicht Gottes Gnade da ist.
Ebenso wenn sie strafen und züchtigen, wie sich's gebührt, wenn auch zuweilen
zu Unrecht, was jedoch dem Heil der Seele nicht schadet, dann nimmt's die böse
Natur mit Unwillen auf. Darüber hinaus sind etliche von so böser Art, dass sie
sich ihrer Eltern schämen, weil sie nicht reich, nicht adlig oder ihnen nicht
schön und geehrt genug sind. Von diesen Dingen lassen sie sich stärker bewegen
als von dem hohen Gebot Gottes, der über alle Dinge ist und ihnen solche Eltern
aus vorbedachtem Wohlgefallen gegeben hat, um sie zu üben und zu prüfen in
seinem Gebot. Aber das ist noch stärker der Fall, wenn das Kind wieder Kinder
hat: Dann steigt die Liebe zu diesen hinunter und geht der Liebe zu den Eltern
und ihrer Ehre sehr ab.
Was aber von den Eltern geboten und gesagt wird, soll auch
von denen verstanden sein, die, wenn die Eltern gestorben oder nicht
gegenwärtig sind, an ihrer Statt stehen, also von den Freunden, Gevattern,
Paten, weltlichen Herren und geistlichen Vätern. Denn es muss jeder regiert
werden und anderen Menschen Untertan sein. Deshalb sehen wir hier wieder, wie
viele gute Werke in diesem Gebot gelehrt werden, weil darin all unser Leben
anderen Menschen unterworfen ist. Und daher kommt es, dass der Gehorsam so hoch
gepriesen wird und alle Tugenden und guten Werke in ihm beschlossen sind.
Zum dritten: Es gibt noch eine andere Unehre gegenüber den
Eltern, viel gefährlicher und subtiler als diese erste, weil sie sich schmückt
und als eine rechte Ehre ansehen lässt. Zu ihr kommt es, wenn das Kind seinen
Willen bekommt und die Eltern dies aus fleischlicher Liebe gestatten. Hier ehrt
sich's, hier liebt sich's, und es ist allerseits köstlich: Vater und Mutter
gefallen da wohl, umgekehrt gefällt auch das Kind wohl. Diese Plage ist so
allgemein, dass Beispiele für die erste Unehre nur selten zu sehen sind. Das
kommt alles daher, weil die Eltern verblendet Gott nach den ersten drei Geboten
weder erkennen noch ehren. Deshalb können sie auch nicht sehen, was den Kindern
gebricht und wie welche sie lehren und erziehen sollen. Darum erziehen welche
sie zu weltlichen Ehren, Lust und Gütern, nur damit sie den Menschen
Wohlgefallen und ja höher kommen. Das ist den Kindern lieb, und sie sind gar zu
gern ohne Widerrede gehorsam.
So geht denn Gottes Gebot heimlich, unter gutem Anschein,
ganz zu Boden, und es wird erfüllt, was bei den Propheten Jesaja und Jeremia
geschrieben steht: dass die Kinder von ihren eigenen Eltern verzehrt werden
(Jesaja 57, 5; Jeremia 7, 31-35). Und diese tun wie der König Manasse, der sein
Kind dem Abgott Moloch opfern und verbrennen ließ. (2. Könige 21, 6) Was ist's
anderes, als sein eigenes Kind dem Abgott opfern und verbrennen, wenn die
Eltern ihre Kinder mehr der Welt als Gott zuliebe erziehen und sie so hingehen
lassen, dass sie in weltlicher Lust, Liebe, Freude, Gut und Ehre verbrannt,
Gottes Liebe und Ehre und die Lust an ewigen Gütern aber in ihnen ausgelöscht
werden?
O wie gefährlich ist's, Vater und Mutter zu sein, wenn nur
Fleisch und Blut regieren! Denn wahrhaftig, an diesem Gebot liegt es ganz und
gar, ob die ersten drei und die letzten sechs erkannt und gehalten werden, weil
den Eltern befohlen ist, die Kinder solches zu lehren, wie in Psalm 78, 5f.
steht: »Wie sehr hat er unsern Eltern geboten, dass sie Gottes Gebote ihren
Kindern bekannt machen sollten, damit ihre Nachkommen diese wissen und Kinder
sie Kindeskindern verkündigen sollten!« Das ist auch der Grund, warum Gott die
Eltern zu ehren, das heißt: sie mit Furcht zu lieben gebietet. Denn diese Liebe
ist ohne Furcht, darum ist sie mehr Unehre als Ehre. Nun sieh, ob nicht jeder
gute Werke genug zu tun habe, er sei Vater oder Kind. Aber wir Blinden lassen
dies anstehen und
suchen daneben mancherlei andere Werke, die nicht geboten
sind!
Zum vierten: Wenn nun die Eltern so närrisch sind, dass sie
ihre Kinder weltlich erziehen, sollen die Kinder auf keinen Fall ihnen gehorsam
sein, denn Gott ist mit den ersten drei Geboten höher zu achten als die Eltern.
Weltlich erziehen aber nenne ich, wenn sie nichts weiter suchen lernen als
nur Lust, Ehre und Gut oder Gewalt dieser Welt.
Angemessenen Schmuck zu tragen und redliche Nahrung zu
suchen, ist nötig und keine Sünde. Jedoch soll ein Kind dann im Herzen so
eingestellt sein oder doch sich so einstellen können: Es soll ihm leid tun,
dass dieses elende Leben auf Erden weder gut angefangen noch gut geführt werden
kann, ohne dass dabei mehr Schmuck und Gut mit unterläuft als nötig ist, um den
Leib zu bedecken, dem Frost zu wehren und Nahrung zu haben; und dass man
deshalb, ohne es selbst zu wollen, der Welt zu Willen mit ihr närrisch sein und
solches Übel hinnehmen muss, um eines Besseren willen und um Schlimmeres zu
vermeiden. So trug die Königin Esther ihre königliche Krone und sprach doch zu
Gott: Du weißt es, das Zeichen meines Gepränges auf meinem Haupt hat mir noch
nie gefallen, und ich betrachte es als ein übles Gelumpe und trage es nie, wenn
ich allein bin, sondern nur, wenn ich es tun und vor den Leuten auftreten muss.
Ein Herz, das so gesinnt ist, trägt den Schmuck ohne Gefahr, denn es trägt ihn
und trägt ihn doch nicht, tanzt und tanzt doch nicht, lebt im Wohlstand und
lebt doch nicht im Wohlstand. Und das sind die heimlichen Seelen, verborgene
Bräute Christi. Aber sie sind selten, denn es ist schwer, keine Lust zu haben
an großem Schmuck und Gepränge. So trug Caecilia nach dem Gebot ihrer Eltern
goldene Kleider, aber inwendig am Leib trug sie ein härenes Hemd.
Hier sagen etliche: Ja, wie sollte ich mein Kind unter die
Leute bringen und mit Ehren aus dem Haus geben? Ich muss so prangen! Sage mir,
ob das nicht Worte sind eines Herzens, das an Gott verzweifelt und mehr auf
seine Sorge als auf Gottes Sorge vertraut, wo doch Petrus lehrt und spricht:
»Werft alle eure Sorgen auf ihn und seid gewiss, dass er für euch sorgt!« (1.
Petrus 5, 7) Es ist ein Zeichen, dass sie für ihre Kinder noch nie Gott
gedankt, noch nie recht für sie gebetet, noch nie sie ihm anbefohlen haben.
Sonst würden sie wissen und erfahren haben, wie sehr sie auch ihrer Kinder
Heirat von Gott erbitten und erwarten sollten. Darum lässt er sie auch hingehen
in ihrem Eigensinn, unter Sorgen und Ängsten, und es doch nicht wohl
ausrichten.
Zum fünften: Also ist's wahr, wie man sagt, dass die Eltern,
auch wenn sie sonst nichts zu tun hätten, an ihren eigenen Kindern die
Seligkeit erlangen können. An ihnen haben sie, wenn sie welche zu Gottes Dienst
recht erziehen, fürwahr beide Hände voll guter Werke vor sich. Denn was sind
hier die Hungrigen, Durstigen, Nackten, Gefangenen, Kranken, Fremdlinge
anderes als die Seelen deiner eigenen Kinder, mit denen dir Gott aus deinem
Haus ein Spital macht und dich ihnen zum Spittelmeister einsetzt? Da sollst du
sie pflegen, sie speisen und tränken mit guten Worten und Werken, damit sie
lernen Gott vertrauen, an ihn glauben und ihn fürchten und ihre Hoffnung auf
ihn setzen, auch seinen Namen ehren, nicht schwören noch fluchen, sowie sich
kasteien mit Beten, Fasten, Wachen, Arbeiten, Gottes Dienst und Wort pflegen
und ihm den Sabbat feiern, so dass sie zeitliche Dinge verachten, Unglück mit
Ergebung ertragen und den Tod nicht fürchten lernen, dieses Leben nicht lieb
haben.
Sieh, welch große Lektionen das sind: wie viele gute Werke
du da vor dir habest in deinem Haus, an deinem Kind, das all solcher Dinge
bedarf wie eine hungrige, durstige, bloße, arme, gefangene, kranke Seele! O was
wäre das für eine selige Ehe und ein Haus, in dem solche Eltern wären! Fürwahr,
es wäre eine rechte Kirche, ein auserwähltes Kloster, ja ein Paradies. Davon
sagt Psalm 128, 1ff.: »Selig sind, die Gott fürchten und wandeln in seinen
Geboten. Du wirst dich ernähren mit der Arbeit deiner Hände, darum wirst du
selig sein und wird dir's wohl gehen. Dein Weib wird sein wie ein
vollfruchtbarer Weinstock in deinem Haus, und deine Kinder werden um deinen
Tisch sein wie die jungen Sprosse der vollen Ölbäume. Sehet, so wird gesegnet
sein, wer Gott furchtet.« Wo sind solche Eltern? Wo sind die, die nach guten
Werken fragen? Hier will niemand her. Warum? Gott hat's geboten, davon zeugen
der Teufel, Fleisch und Blut. Es hat keinen Heiligenschein, darum gilt es
nichts. Da läuft der nach Jakob, gelobt diese sich unsrer Lieben Frau. Niemand
gelobt, dass er, Gott zu Ehren, sich und sein Kind wohl regiere und lehre. Er
lässt die sitzen, die Gott ihm an Leib und Seele zu bewahren befohlen hat, und
will Gott an einem anderen Ort dienen, was ihm nicht befohlen ist. Solch
verkehrtes Treiben verwehrt kein Bischof, straft kein Prediger; ja, aus Habgier
bestätigen sie es und erdenken täglich nur noch mehr Wallfahrten, Heiligenerhebungen,
Ablassjahrmärkte: Gott erbarme sich über solche Blindheit!
Zum sechsten: Umgekehrt können die Eltern sich nicht
leichter die Hölle verdienen als an ihren eigenen Kindern, in ihrem eigenen
Hause, wenn sie diese versäumen und die Dinge nicht lehren, die oben genannt
sind. Was hülfe es, dass sie sich tot fasten, beten, Wallfahrten machen und
alle Werke täten? Gott wird sie doch danach nicht fragen im Tod und am Jüngsten
Tag, sondern er wird die Kinder einfordern, die er ihnen anbefohlen hat. Das zeigt
das Wort Christi Lukas 23, 28ff.: »Ihr Töchter von Jerusalem, weinet nicht über
mich, sondern über euch und eure Kinder! Es werden die Tage kommen, dass sie
werden sagen: Selig sind die Leiber, die nicht geboren haben, und Brüste, die
nicht gesäugt haben.« Warum werden sie so klagen, wenn nicht deshalb, weil ihre
ganze Verdammnis von ihren eigenen Kindern herkommt? Wenn sie die nicht gehabt
hätten, wären sie vielleicht selig geworden. Wahrhaftig, diese Worte müssten
eigentlich den Eltern die Augen auftun, dass sie ihre Kinder geistlich, nach
der Seele, ansehen, damit die armen Kinder nicht durch ihre falsche,
fleischliche Liebe betrogen würden, als hätten sie ihre Eltern wohl geehrt,
solange sie mit ihnen nicht zürnen oder ihnen gehorsam sind im weltlichen
Gepränge. Damit wird nur ihr Eigenwille bestärkt, während doch das Gebot die
Eltern in ihre Ehre einsetzt, damit der Eigenwille der Kinder gebrochen wird
und sie demütig und sanftmütig werden.
Wie es nun bei den anderen Geboten schon gesagt worden ist, sie
sollten im Hauptwerk geschehen, so soll auch hier niemand meinen, dass seine
Zucht und Lehre der Kinder an sich schon genüge: doch nur, wenn es geschieht in
der Zuversicht zur göttlichen Huld, so dass der Mensch nicht daran zweifelt, er
gefalle Gott wohl mit diesen Werken, und wenn solche Werke für ihn nichts
anderes sind als eine Glaubensvermahnung und Glaubensübung, auf Gott zu
vertrauen und Gutes und gnädigen Willen von ihm zu erwarten; weil ohne solchen
Glauben kein Werk lebt, gut und angenehm ist. Denn viele Heiden haben ihre
Kinder hübsch erzogen, aber um des Unglaubens willen ist alles verlorene Mühe.
Zum siebenten: Das zweite Werk dieses Gebotes besteht
darin, dass wir die geistliche Mutter, die heilige christliche Kirche, die
geistliche Gewalt ehren und ihr gehorsam sind. dass wir uns danach richten, was
sie gebietet, verbietet, festsetzt, ordnet, bannt, löst, und so wie die
leiblichen Eltern auch die geistliche Obrigkeit ehren, furchten und lieben, sie
recht haben lassen in allen Dingen, die nicht gegen die drei ersten Gebote
sind.
Nun geht es in diesem Werk fast schlimmer zu als in dem
ersten. Die geistliche Obrigkeit sollte die Sünde mit Bann und Gesetzen strafen
und ihre geistlichen Kinder antreiben, fromm zu sein, damit sie Anlass hätten,
diese Werke zu tun und sich in Gehorsam und Ehrerbietung ihr gegenüber zu üben.
Doch man sieht jetzt keinerlei Mühe darum: Sie verhalten sich gegen ihre
Untertanen wie die Mütter, die von ihren Kindern weg ihren Buhlen nachlaufen,
wie Hosea 2, 7 sagt. Sie predigen nicht, lehren nicht, wehren nicht, strafen
nicht, und es gibt keinerlei geistliches Regiment mehr in der Christenheit!
Was kann ich dann noch von diesem Werk sagen? Es sind noch
einige wenige Fasttage und Feiertage übriggeblieben, die wohl besser
abgeschafft wären. Daran denkt aber niemand, und nichts ist da mehr im Gange
als der Bann, der wegen Geldschulden betrieben wird, was auch nicht sein
sollte. Es sollte aber geistliche Gewalt darauf bedacht sein, dass Ehebruch,
Unkeuschheit, Wucher, Fressen, weltliches Gepränge, überflüssiger Schmuck und
dergleichen öffentliche Sünde und Schande aufs strengste gestraft und gebessert
würden. Dazu sollte sie die Stifte, Klöster, Pfarreien, Schulen ordentlich
bestellen und darin den Gottesdienst mit Ernst erhalten, junge Leute, Knaben
und Mädchen, in Schulen und Klöstern mit gelehrten, frommen Männern versorgen,
damit sie alle wohl erzogen würden und so die Alten gute Exempel gäben und die
Christenheit mit einem feinen, jungen Volk erfüllt und geziert würde. So lehrt
Paulus seinen Jünger Titus, dass er alle Stände, jung und alt, Mann und Weib
recht unterweisen und regieren sollte (Titus 2, 1ff.). Aber nun geht, wer da
will; wer sich selber regiert und lehrt, der hat. Ja, leider ist es soweit
gekommen, dass die Stätten, an denen man Gutes lernen sollte, zu Bubenschulen
geworden sind und auf die verwilderte Jugend gar niemand achtet.
Zum achten: Wenn diese Ordnungen in gutem Stand wären, dann
könnte man sagen, wie die Ehre und der Gehorsam geschehen sollten. Nun geht es
aber wie bei den leiblichen Eltern, die ihren Kindern den Willen lassen: Die
geistliche Obrigkeit verhängt jetzt, dispensiert dann, nimmt da Geld, lässt
dort wieder nach, mehr als sie nachlassen darf. Ich will hier darauf
verzichten, mehr zu sagen; wir sehen mehr davon, als gut ist. Der Geiz sitzt im
Regiment, und eben das, was sie verwehren sollte, das lehrt sie. Und es ist vor
Augen, wie der geistliche Stand in allen Dingen weltlicher ist als der
weltliche selbst. Darüber muss die Christenheit verderben und dieses Gebot
untergehen.
Wo ein solcher Bischof wäre, der alle solche Stände fleißig
versorgen, die Aufsicht führen, sie visitieren und überwachen würde, wie er
schuldig ist: Fürwahr, es würde ihm eine Stadt zuviel werden. Denn auch zur Zeit
der Apostel, als die Christenheit sich im besten Zustand befand, hatte jede
Stadt einen Bischof, obwohl doch die Stadt nur zum kleineren Teil christlich
war. Wie kann es gut gehen, wenn ein Bischof soviel, der andere soviel, der die
ganze Welt, der die Hälfte haben will? Es ist Zeit, dass wir Gott um Gnade
bitten: An geistlicher Obrigkeit haben wir zuviel, aber an geistlicher Leitung
nichts oder wenig. Inzwischen möge, wer immer kann, dazu helfen, dass Stifte,
Klöster, Pfarreien und Schulen gut bestellt und regiert werden. Und es wäre
auch eines der Werke der geistlichen Obrigkeit, dass sie Stifte, Klöster,
Schulen verringerte, wo man sie nicht versorgen kann. Viel besser ist es, keine
Klöster oder Stifte als ein böses Regiment darin zu haben, womit Gott nur noch
mehr erzürnt wird.
Zum neunten: Weil denn die Obrigkeit ihr Werk so völlig
dahinfallen lässt und verkehrt ist, so kann die Folge nur sein, dass sie ihre
Gewalt missbraucht und fremde, böse Werke vornimmt, wie die Eltern, wenn sie
etwas gebieten, das wider Gott ist. Da müssen wir weise sein. Denn der Apostel
hat gesagt, dass diese Zeiten gefährlich sein werden, in denen eine solche
Obrigkeit regieren wird. Denn es hat den Anschein, als widerstrebe man ihrer
Gewalt, wenn man nicht alles tut, was sie vorschreibt. Da müssen wir nun die
drei ersten Gebote und die rechte Tafel zur Hand nehmen und dessen sicher sein,
dass kein Mensch, weder Bischof noch Papst noch ein Engel, etwas gebieten oder
festsetzen kann, das diesen drei Geboten mit ihren Werken zuwider, hinderlich
oder nicht förderlich sei. Und wenn sie doch so etwas tun wollen, dann hat's
keinen Bestand und gilt nichts. Dann werden wir aber auch mitschuldig, wenn wir
folgen und gehorsam sind oder es zulassen.
Von daher ist es leicht zu verstehen, dass die Fastengebote
die Kranken, die schwangeren Weiber oder alle, die sonst nicht ohne Schaden
fasten können, nicht mit einbeziehen. Und wir müssen noch höher greifen. Es
kommt ja aus Rom zu unseren Zeiten nichts anderes als ein Jahrmarkt geistlicher
Güter, die man öffentlich und unverschämt kauft und verkauft: Ablässe,
Pfarreien, Klöster, Bistümer, Propsteien, Pfründen und alles, was nur je für
den Gottesdienst gestiftet ist weit und breit. Dadurch wird nicht bloß alles
Geld und Gut der Welt nach Rom gezogen und getrieben, was noch der geringste
Schaden wäre, sondern die Pfarreien, Bistümer, Prälaturen werden zerrissen,
verlassen, verwüstet, und so wird das Volk vernachlässigt, Gottes Wort, Gottes
Name und Ehre gehen unter, der Glaube wird zerstört. Ja, zuletzt werden solche
Stifte und Ämter nicht bloß Ungelehrten und Untauglichen, sondern in der
Mehrzahl den größten römischen Hauptbuben, die in der Welt sind, zuteil. Was
also zum Gottesdienst, dem Volk zu predigen, es zu leiten und zu bessern, gestiftet
ist, muss jetzt den Stallburschen, Maultiertreibern, ja dass ich's nicht derber
sage: den römischen Huren und Schandbuben dienen; dennoch haben wir nicht mehr
Dank davon, als dass sie uns auch noch als Narren verspotten.
Zum zehnten: Weil denn alle solche unerträglichen
Ungehörigkeiten geschehen unter dem Namen Gottes und Petrus, gerade als wären
Gottes Name und die geistliche Gewalt dazu eingesetzt, Gottes Ehre zu lästern,
die Christenheit an Leib und Seele zu verderben, sind wir
fürwahr schuldig, soviel wir können, gehörig zu widerstehen, und müssen hier
tun wie die frommen Kinder, deren Eltern toll oder wahnsinnig geworden sind.
Und zuerst müssen wir sehen, wo das Recht herkommt, dass man das, was in unsren
Landen zum Dienst Gottes gestiftet oder ordentlich dazu bestimmt ist, für
unsere Kinder vorzusorgen, denen zu Rom dienen lassen und es hier, wo es
hingehört, unterlassen soll - wie unsinnig sind wir!
Weil denn Bischöfe und geistliche Prälaten hier stillhalten,
dem nicht wehren oder sich fürchten und so die Christenheit verderben lassen,
sollen wir zuerst Gott demütig um Hilfe anrufen, dieser Sache zu wehren.
Danach sollen wir aber auch mit der Hand dazutun, den Kurtisanen und römischen
Briefträgern13 die Straße versperren und ihnen in vernünftigem,
friedlichem Ton sagen lassen: Falls sie ihre Pfründen redlich versorgen wollen,
dass sie sich dort niederlassen, um mit Predigen und guten Exempeln das Volk zu
bessern. Wenn sie das nicht wollen und zu Rom oder anderswo ihren Wohnsitz
behalten, die Kirche verwüsten und schwächen, dass man es dann dem Papst zu
Rom, dem sie dienen, überlasse, sie zu speisen. Es passt nicht zusammen, dass
wir dem Papst seine Knechte, ja seine Schandbuben und Huren ernähren, unter
Verderben und Schaden für unsre Seelen.
Sieh, das wären die rechten Türken, welche die Könige, die
Fürsten und der Adel zuerst angreifen sollten! Nicht um darin eigenen Nutzen zu
suchen, sondern zur Besserung der Christenheit und Verhinderung der Lästerung
und Schmach des göttlichen Namens. Und so sollten sie mit dieser Geistlichkeit
umgehen wie mit dem Vater, der seine Sinne und den Verstand verloren hat. Wenn
man den nicht (jedoch mit Demut und in allen Ehren) gefangen nähme und ihm
wehrte, konnte er die Kinder, das Erbe und jeden verderben. So sollen wir die
römische Gewalt in Ehren halten als unsern obersten Vater und ihr dennoch, weil
sie toll und unsinnig geworden ist, ihr Vorhaben nicht gestatten, damit nicht
die Christenheit dadurch verderbt werde.
Zum elften: Es meinen etliche, man solle das einem
allgemeinen Konzil anheim stellen. Dazu sage ich: Nein. Denn wir haben viele
Konzilien gehabt, auf denen solches vorgewandt worden ist, nämlich zu Konstanz,
zu Basel und das letzte in Rom. Es ist aber nichts ausgerichtet und immer
schlimmer geworden. Auch sind solche Konzilien nichts nütze, weil die römische
Weisheit den Kunstgriff erfunden hat, dass sich zuvor die Könige und die
Fürsten eidlich verpflichten müssen, sie bleiben und haben zu lassen, wie sie
sind und was sie haben. Damit hat sie einen Riegel vorgeschoben, um sich aller
Reformation zu erwehren, für jedes Bubenstück Schutz und Freiheit zu behalten,
obwohl dieser Eid wider Gott und das Recht gefordert, erzwungen und geleistet
wird und dem heiligen Geist, der die Konzilien regieren soll, eben damit die
Tür versperrt wird. Das wäre dagegen das beste und auch das einzig
übrigbleibende Mittel, wenn Könige, Fürsten, Adel, Städte und Gemeinden selbst
anfingen, in der Sache eine Bresche machten, damit die Bischöfe und Geistlichen
(die sich jetzt fürchten) Grund hätten zu folgen. Denn hier soll und muss man
nichts anderes ansehen als Gottes erste drei Gebote, gegen die weder Rom noch
Himmel noch Erde etwas gebieten oder verwehren können. Und es liegt nichts an
dem Bann oder Drohen, mit dem sie sich dessen zu erwehren meinen, ebenso wie
nichts daran liegt, wenn ein toller Vater seinem Sohn heftig droht, wenn der
ihm wehrt oder ihn gefangen setzt.
Zum zwölften: Das dritte Werk dieses Gebotes ist, der
weltlichen Obrigkeit gehorsam zu sein, wie es Paulus Römer 13, 1ff. und Titus
3, 1 lehrt und Petrus 1. Petrus 2, 13f.: »Seid untertänig dem König als dem
Obersten und den Fürsten als seinen Gesandten und allen Anordnungen weltlicher
Gewalt.« Das Werk der weltlichen Gewalt aber ist es, die Untertanen zu
schützen, Dieberei, Räuberei, Ehebrecherei zu strafen, wie Paulus sagt Römer
13, 4: »Sie trägt nicht umsonst das Schwert; sie dient Gott darin, den Bösen
zur Furcht, den Frommen zugut.«
Hier sündigt man auf zweierlei Weise. Zum ersten, wenn man
sie belügt, betrügt und untreu ist, nicht folgt und tut, wie sie befohlen und
geboten hat, es sei mit Leib oder Gut. Denn auch wenn sie Unrecht tun wie der
König von Babylonien dem Volk Israel, so will Gott ihnen doch Gehorsam gehalten
haben ohne alle List und Gefahr. Zum zweiten, wenn man übel von ihnen redet,
sie verwünscht und, wenn man sich nicht rächen kann, mit Murren und bösen
Worten öffentlich oder heimlich sie schilt.
In diesem allem sollen wir das ansehen, was uns Petrus
ansehen heißt: nämlich dass ihre Gewalt, sie tue recht oder unrecht, der Seele
nicht schaden kann, sondern bloß dem Leib und Gut. Es wäre denn, dass sie
öffentlich darauf dringen wollte, gegen Gott oder Menschen Unrecht zu tun, wie
vorzeiten, als sie noch nicht christlich war, und wie es der Türke heute noch
tut, wie man sagt. Denn Unrecht leiden schadet niemandem an der Seele, ja, es
bessert die Seele, obwohl es dem Leib und Gut etwas wegnimmt. Aber Unrecht tun,
das ist für die Seele verderblich, auch wenn es uns aller Welt Güter eintrüge.
Zum dreizehnten: Das ist auch der Grund, warum es nicht so
gefährlich ist, in der weltlichen Gewalt Unrecht zu tun wie in der geistlichen.
Denn weltliche Gewalt kann uns nicht schaden, weil sie nichts mit dem Predigen
und dem Glauben und den ersten drei Geboten zu tun hat. Aber die geistliche
Gewalt schadet nicht nur, wenn sie Unrecht tut, sondern auch, wenn sie ihr Amt
anstehen lässt und etwas anderes tut, selbst wenn dies besser wäre als die
allerbesten Werke der weltlichen Gewalt. Darum muss man sich gegen diese
sträuben, wenn sie nicht recht tut, aber nicht gegen die weltliche Gewalt, auch
wenn sie unrecht tut. Denn das arme Volk glaubt und tut so, wie es sieht und
hört von der geistlichen Gewalt. Sieht und hört es da nichts, dann glaubt und
tut es auch nichts, weil diese Gewalt zu keinem ändern Zweck eingesetzt ist,
als das Volk im Glauben zu Gott zu fuhren. Dies alles ist nichts für die
weltliche Gewalt; denn sie tue oder lasse, wie sie will, so geht mein Glaube zu
Gott seine Straße und wirkt für sich, weil ich nicht glauben muss, wie sie
glaubt. Darum ist weltliche Gewalt auch eine ganz geringe Sache vor Gott und
von ihm viel zu gering geachtet, als dass man ihretwegen, sie tue recht oder
unrecht, sich sperren, ungehorsam oder uneins werden sollte. Umgekehrt ist die
geistliche Gewalt ein ungemein großes, überschwengliches Gut und von ihm als
viel zu kostbar erachtet, als dass der allergeringste Christenmensch es dulden
und schweigen dürfte, wenn sie auch nur ein Haarbreit von ihrem eigenen Amt abweicht,
geschweige denn, wenn sie ganz gegen ihr Amt handelt, wie wir jetzt alle Tage
sehen.
Zum vierzehnten: In dieser Gewalt herrscht auch so mancher
Missbrauch. Zum ersten, wenn sie den Schmeichlern folgt. Das ist eine
allgemeine und besonders schädliche Plage dieser Gewalt, gegen die sich niemand
genug wehren und vorsehen kann. Da wird sie an der Nase herumgeführt und
kümmert sich um das arme Volk nicht, wird ein Regiment wie das, von dem ein
Heide sagt: Die Spinnweben fangen wohl kleine Fliegen, aber die Mühlsteine
fallen hindurch. So binden die Gesetze, Verordnungen und Verfügungen dieser
Herrschaft wohl die Geringen, aber die Großen gehen frei aus. Und wenn der Herr
nicht selbst so vernünftig ist, dass er den Rat seiner Leute nicht braucht,
oder ihnen doch soviel gilt, dass sie sich vor ihm furchten, dann wird und muss
es (wenn Gott nicht ein Wunder tut) ein kindisches Regiment geben.
Darum hat Gott unter anderen Plagen böse, untaugliche
Regenten zu den größten gerechnet. Er droht damit Jesaja 3, 2ff.: »Ich will
ihnen alle tapferen Männer nehmen und will ihnen Kinder und kindische Herren
geben.« Vier Plagen hat Gott in der Schrift genannt, Hesekiel 14, 13ff.: Die
erste, geringste, die auch David sich wählte, ist die Pestilenz; die zweite
ist die teure Zeit; die dritte ist der Krieg; die vierte sind alle möglichen
Bestien wie Löwen, Wölfe, Schlangen, Drachen, das meint: böse Regenten. Denn wo
die sind, ist das Verderben im Land, nicht bloß an Leib und Gut, wie bei den
anderen Plagen, sondern auch an der Ehre, der Zucht, der Tugend und der Seelen
Seligkeit. Denn Pestilenz und teure Zeit machen fromme und reiche Leute, aber
Krieg und böse Herrschaft machen alles zunichte, was die zeitlichen und ewigen
Güter betrifft.
Zum fünfzehnten: Es muss ein Herr auch klug genug sein, dass
er nicht immer mit dem Kopf durch die Wand will, auch wenn er kostbare gute
Rechte und die allerbeste Sache hat. Denn es ist eine viel edlere Tugend,
Schaden am Recht zu dulden als am Gut oder Leib, wenn das den Untertanen nützlich
ist, zumal weltliche Rechte nur mit zeitlichen Gütern zusammenhängen.
Darum ist's eine ganz närrische Rede: Ich habe ein Recht
darauf, darum will ich's im Sturm holen und festhalten, auch wenn für die
anderen daraus nur Unglück entspringen sollte. So lesen wir von dem Kaiser
Oktavian, dass er keinen Krieg fuhren wollte, wie gerecht er auch wäre, es
lägen denn sichere Anzeichen eines größeren Nutzens als Schadens oder
erträglichen Schadens vor, und sprach: Krieg fuhren ist eine Sache, als ob
jemand mit einem goldenen Netz fischte, wobei er nie soviel fängt, wie er zu
verlieren droht. Denn wer einen Wagen lenkt, der muss ganz anders verfahren,
als wenn er für sich allein ginge. Hier kann er gehen, springen und es machen,
wie er will. Aber wenn er die Zügel fuhrt, muss er so geschickt lenken und sich
nach dem richten, wie ihm Wagen und Pferde folgen können, und muss mehr darauf
als auf seinen eigenen Willen acht geben. So darf auch ein Herr, der einen
Heerhaufen anführt, nicht so wandeln und handeln, wie er will, sondern wie es
sein Haufe vermag, und muss mehr darauf sehen, was für den nötig und nützlich
ist, als auf seinen Willen und auf seine Lust. Denn ein Herr, der nach seinem
tollen Kopf regiert und seinem Gutdünken folgt, gleicht einem tollen Fuhrmann,
der mit Pferd und Wagen geradewegs drauflos rennt, durch Büsche, Hecken,
Gräben. Wasser, Berg und Tal, ohne nach Wegen und Brücken zu sehen: Der wird
nicht lange fahren, es wird in Trümmer gehen.
Darum wäre es das allernützlichste für die Herrschaften, wenn
sie von Jugend auf die Historien aus den heiligen und den heidnischen Büchern
läsen oder sich vorlesen ließen. Darin fänden sie mehr Exempel der Kunst zu
regieren als in allen Rechtsbüchern. Wie man liest, dass es die Könige vom
Perserland getan haben, Esther 6, 1f. Denn Exempel und Historien geben und
lehren allezeit mehr als die Gesetze und Rechte: Dort lehrt die gewisse Erfahrung,
hier lehren die unerfahrenen, Ungewissen Worte.
Zum sechzehnten. Drei besonders nötige Werke hätte zu
unseren Zeiten alle Herrschaft vornehmlich in unseren Ländern zu tun: Zuerst
sollte sie das grausame Unwesen des Fressens und Saufens abschaffen, nicht bloß
des Überflusses, sondern auch der Kostspieligkeit wegen. Denn durch Gewürze,
Spezerei und dergleichen, ohne die gut gelebt werden könnte, ist es zu keiner
kleinen Verminderung zeitlicher Güter in den Ländern gekommen, und es kommt
noch täglich dazu. Um diese beiden großen Schäden zu verhüten, die überaus
tief und breit eingerissen sind, hätte die weltliche Gewalt wahrhaftig genug zu
tun, und wie könnten die Gewaltigen Gott einen besseren Dienst erweisen, als
von selber ihr Land zu bessern? Zweitens sollte sie dem überschwenglichen
Aufwand der Kleidung Einhalt gebieten, durch den soviel Gut vertan und doch
nur der Welt und dem Fleisch gedient wird. Es ist erschreckend, wenn man
bedenkt, dass solche Missbräuche bei dem Volk angetroffen werden, das dem
gekreuzigten Christus zugeschworen, auf ihn getauft und ihm zu eigen gegeben
ist, das sein Kreuz mit ihm tragen und sich täglich durchs Sterben zum anderen
Leben bereiten soll! Wenn es durch Unwissenheit bei etlichen aus Versehen dazu
käme, wäre es eher zu ertragen. Aber dass es so frei, ungestraft, unverschämt,
unbehindert getrieben wird, ja dass Lob und Ruhm darin gesucht werden, das ist
wahrlich ein unchristliches Treiben! Drittens sollte sie den wuchersüchtigen
Zinskauf austreiben, der in aller Welt Länder, Leute und Städte verheert,
verzehrt und zerstört mit seinem trügerischen Anschein, mit dem er so tut, als
ob er kein Wucher sein könnte, obwohl er damit wahrhaftig schlimmer als Wucher
ist, weil man sich nicht dagegen vorsieht wie beim offenkundigen Wucher. Sieh,
das sind drei Juden (wie man sagt), die die ganze Welt aussaugen. Hier sollten
die Herren nicht schlafen oder faul sein, wenn sie Gott eine gute Rechenschaft
geben wollen von ihrem Amt!
Zum siebzehnten: Es wären hier auch anzuzeigen die
Bubenstücke, die durch Offiziale und andere bischöfliche und geistliche
Amtleute getrieben werden, die das arme Volk unter großer Beschwerung bannen,
vorladen jagen und treiben, solange ein Pfennig da ist. Solchem sollte man mit
dem weltlichen Schwert wehren, weil es dagegen keine anderen Hilfen noch
Mittel gibt.
O wollte Gott vom Himmel, dass man einmal auch mit einer solchen
Regelung anfangen würde, die öffentlichen Frauenhäuser abzuschaffen, wie es im
Volk Israel war! Es ist ja ein unchristliches Bild, ein öffentliches Sündenhaus
unter den Christen zu haben, was vorzeiten ganz unerhört war. Es sollte eine
Ordnung geben, dass man Knaben und Mädchen rechtzeitig zusammengäbe, um solcher
Untugend zuvorzukommen. Um eine solche Ordnung und Weise sollten sich die
geistliche wie die weltliche Gewalt bemühen. Ist's bei den Juden möglich
gewesen, warum 128
sollte es nicht bei den Christen auch möglich sein? Ja, wenn
es in Dörfern, Märkten und etlichen Städten möglich ist, warum sollte es nicht
überall möglich sein?
Es kommt aber daher, weil es kein echtes Regiment in der
Welt gibt. Niemand will arbeiten; darum müssen bei den Handwerksleuten die
Knechte feiern. Die sind dann frei und niemand kann sie zähmen. Wenn es aber
eine Ordnung gäbe, dass sie im Gehorsam dableiben müssten und niemand sie
aufnähme an anderen Orten, hätte man, was dieses Übel angeht, ein großes Loch
zugestopft. Helf uns Gott, ich habe Sorge, dass hier der Wunsch am größten
sei. Es besteht wenig Hoffnung, doch sind wir damit nicht entschuldigt.
Nun sieh, damit sind erst wenige Werke der Obrigkeit
aufgezeigt, aber so gute und so viele, dass sie gute Werke im Überfluss hat, um
Gott damit zu jeder Stunde zu dienen. Diese Werke aber sollen, wie die ändern
auch, im Glauben geschehen, ja den Glauben einüben, damit niemand sich
einbilde, er könne Gott durch die Werke gefallen, vielmehr tue er solche Werke
in der Zuversicht zu seiner Huld, nur seinem gnädigen, lieben Gott zu Lob und
Ehren, um darin seinem Nächsten zu dienen und nützlich zu sein.
Zum achtzehnten: Das vierte Werk dieses Gebotes ist der
Gehorsam des Gesindes und der Werkleute gegen ihre Herren und Frauen, gegen
Meister und Meisterin. Davon sagt Paulus Titus 2, 8ff.: »Du sollst den Knechten
oder Dienern predigen, dass sie ihre Herren in allen Ehren halten, gehorsam
seien, tun, was diesen gefallt, sie nicht betrügen noch ihnen widerstreben.
Auch darum, weil sie damit der Lehre Christi und unsrem Glauben einen guten
Namen machen, dass die Heiden nicht über uns klagen und sich ärgern können.«
Auch Petrus spricht: »Ihr Knechte sollt gehorsam sein euren Herren um der
Furcht Gottes willen; nicht bloß den gütigen und sanften, sondern auch den
wunderwilligen und ungeschlachten; denn das ist angenehm vor Gott, wenn jemand
Unlust unschuldig erleidet.« (1.
Petrus 2, 18f.)
Nun wird am meisten geklagt in der Welt über das Gesinde und
die Arbeitsleute, wie ungehorsam, untreu, ungezogen, auf ihren Vorteil bedacht
sie seien. Das ist eine Plage von Gott. Und wahrhaftig, das ist auch das
einzige Werk des Gesindes, durch das sie selig werden können. Sie brauchen
gewiss nicht viele Wallfahrten zu machen, dies oder das zu tun; sie haben genug
zu tun, wenn ihr Herz nur darauf gerichtet bleibt, dass sie gerne tun und
lassen, wovon sie wissen, dass es ihren Herren und Frauen gefällt. Und dies
alles in einem einfältigen Glauben. Nicht als ob sie durch die Werke große
Verdienste erwerben sollten, sondern so, dass sie das alles in der Zuversicht
zur göttlichen Huld tun (in der alle Verdienste ihren Bestand haben), lauter,
umsonst, aus Liebe und Zuneigung zu Gott, wie sie aus solcher Zuversicht
erwächst. Und sie sollen alle solchen Werke eine Übung sein lassen und eine
Ermahnung, sich immerfort in der Zuversicht solchen Glaubens mehr und mehr zu
bestärken. Denn wie nun oft genug gesagt ist: Der Glaube macht alle Werke gut,
ja er ist es, der sie tun und der Werkmeister sein muss.
Zum neunzehnten: Umgekehrt sollen die Herren und Frauen ihre
Knechte, Mägde und Arbeiter nicht so anherrschen, dass sie wütend werden,
nicht alles übergenau untersuchen, zuweilen etwas nachlassen und um des Friedens
willen durch die Finger sehen. Denn in keinem Stand kann alles allezeit
schnurgerade zugehen, solange wir auf Erden in der Unvollkommenheit leben.
Davon sagt Paulus Kolosser 4, 1: »Ihr Herren sollt euer Gesinde gleich und
angemessen behandeln, eingedenk dessen, dass ihr auch einen Herrn habt im Himmel.«
Darum: Wie es die Herren selbst haben wollen, dass Gott sie nicht aufs
schärfste behandle, sondern ihnen vieles aus Gnaden nachsehe, so sollen sie
auch gegen ihr Gesinde um so gelinder sein und manches nachsehen und dennoch
Mühe dran wenden, dass sie recht tun und Gort furchten lernen. Sieh auch da,
was für gute Werke ein Hauswirt und eine Hausfrau tun können, wie fein uns Gott
alle guten Werke so nah, so mannigfach, so stetig vor Augen stellt, so dass wir
nicht mehr nach guten Werken zu fragen brauchen und die anderen, blendenden,
weitläufigen, selbsterfundenen Menschenwerke gut vergessen können, wie
Wallfahrten machen, Kirchen bauen, Ablass suchen und dergleichen.
Hier sollte ich wohl auch noch sagen, dass die Frau ihrem
Mann als ihrem Obersten gehorsam und Untertan sein, ihm nachgeben, schweigen
und sein Recht lassen soll, wenn es nicht wider Gott ist. Umgekehrt, dass auch
der Mann sein Weib lieb haben, ihr manches nachsehen und sie nicht streng
behandeln soll. Davon haben Petrus und Paulus vieles gesagt. Aber es würde in
eine ausführlichere Auslegung der zehn Gebote gehören und ist aus diesen
Stücken leicht zu erkennen.
Zum zwanzigsten: Alles aber, was gesagt worden ist von
diesen Werken, ist in den beiden Worten enthalten: Gehorsam und Sorgfalt. Gehorsam
gebührt den Untertanen, Sorgfalt den Oberherren, so dass sie sich bemühen,
ihre Untertanen gut zu regieren, liebevoll mit ihnen umzugehen und alles zu
tun, um ihnen nützlich und behilflich zu sein. Das ist ihr Weg in den Himmel,
und das sind ihre besten Werke, die sie auf Erden tun können. Damit sind sie
angenehmer vor Gott, als wenn sie sonst lauter Wunderzeichen täten. So sagt
Paulus Römer 12, 8: »Wer ein Obrigkeitsamt hat, der lasse die Sorgfalt sein
Werk sein.« Als wollte er sagen: Er lasse sich nicht beirren durch das, was
andere Leute oder Stände tun; er sehe nicht auf dies oder das Werk, es glänze
hell oder sei finster, sondern gebe acht auf seinen Stand und denke nur daran,
wie er denen nützlich sein kann, die ihm untergeben sind. Dabei bleibe er und
davon lasse er sich nicht abbringen, auch wenn der Himmel sich vor ihm auftäte,
noch davonjagen, auch wenn ihm die Hölle nachliefe! Das ist die richtige
Straße, die ihn zum Himmel trägt.
O wer so auf sich und seinen Stand acht gäbe und auch nur
diesem nachkäme, wie reich an guten Werken sollte ein solcher Mensch in kurzer
Zeit werden! So still und heimlich, dass niemand als Gott allein es gewahr
würde! Aber nun lassen wir das alles fahren, und einer läuft in die Kartause,
einer hier-, der andere dahin, gerade als wären die guten Werke und Gottes
Gebote in die Winkel geworfen und dort versteckt, während doch geschrieben
steht Sprüche 1, 20f., dass die göttliche Weisheit ihre Gebote ausschreit
öffentlich, auf den Straßen, mitten im Volk und unterm Stadttor, womit
angezeigt wird, dass sie an allen Orten, in allen Ständen, zu allen Zeiten im
Überfluss vorhanden sind und wir sie nur nicht sehen, sie verblendet anderswo
suchen. Das hat Christus vorausverkündigt Matthäus 24, 23ff.: »Wenn sie euch
sagen werden: >Siehe, hier ist Christus, oder da<, so sollt ihr's nicht
glauben! Wenn sie sagen werden: >Siehe da, in der Wüste ist er<, dann
geht nicht hinaus; >Siehe da, er ist heimlich in Häusern<, dann glaubt es
nur nicht. Es sind falsche Propheten und falsche Christusse!«
Zum einundzwanzigsten: Umgekehrt gebührt der Gehorsam den
Untertanen, dass sie all ihre Mühe und Aufmerksamkeit darauf richten, zu tun
und zu lassen, was ihre Oberherren von ihnen begehren, sich davon nicht
abbringen oder wegtreiben lassen, mag auch ein anderer tun, was immer er tue.
Er bilde sich ja nicht ein, dass er recht lebe und gute Werke tue, es sei Beten
oder Fasten oder was für einen Namen es haben mag, wenn er in diesem Gehorsam
sich nicht mit Ernst und Fleiß übt.
Wenn es aber dahin käme, wie dies oft geschieht, dass
weltliche Gewalt und Obrigkeit, wie sie auch heiße, einen Untertanen zwingen
wollte, gegen Gottes Gebote zu handeln, oder ihn daran hinderte, ihnen zu
folgen: dann erlischt der Gehorsam und ist die Pflicht auch schon aufgehoben.
Hier muss man sagen, wie Petrus zu den Fürsten der Juden sagte: »Man muss Gott
mehr gehorsam sein als den Menschen.« (Apostelgeschichte 5, 29) Er sprach
nicht: Man darf den Menschen nicht gehorsam sein — denn das wäre falsch;
sondern: Gott mehr als den Menschen. Wie wenn ein Fürst Krieg fuhren wollte,
der eine offensichtlich unrechte Sache hätte: dem soll man ja nicht folgen oder
helfen, weil Gott geboten hat, wir sollten unsern Nächsten nicht töten noch
ihm Unrecht tun. Ebenso wenn er uns gebieten wollte, ein falsches Zeugnis zu
geben, zu rauben, zu lügen oder zu betrügen und dergleichen. Da soll man eher
Gut, Ehre, Leib und Leben fahren lassen, damit das Gottesgebot bleibe.
Die vier
vorangehenden Gebote tun ihr Werk an der Vernunft. Das meint, dass sie den
Menschen gefangen nehmen, regieren und sich Untertan machen, damit er sich
nicht selber regiere, nicht sich gut dünke, nicht etwas von sich selbst halte,
sondern sich in Demut erkenne und führen lasse: Damit wird ihm die Hoffart
verwehrt. Die folgenden Gebote haben mit den Begierden und Gelüsten des
Menschen zu tun, um auch sie zu töten.
Zum ersten: Da ist die Begierde des Zorns und der Rachsucht.
Von ihr sagt das fünfte Gebot: »Du sollst nicht töten.« Zu diesem Gebot gehört
ein Werk, doch es begreift vieles in sich und vertreibt viele Laster, und das
heißt Sanftmut. Die gibt es auf zweierlei Art: Die eine glänzt wohl ganz
hübsch, und es ist doch nichts dahinter. Die haben wir bei den Freunden und
denen, die uns nützlich und von Vorteil sind für Gut, Ehre und Gunst, oder die
uns nicht beleidigen, weder mit Worten noch mit Werken. Solche Sanftmut haben
auch unvernünftige Tiere, Löwen und Schlangen, Heiden, Juden, Türken,
Schandbuben, Mörder, böse Weiber. Die sind sämtlich zufrieden und sanft, wenn
man tut, was sie wollen, oder sie in Frieden lässt. Und doch verbergen nicht
wenige, von solch wertloser Sanftmut betrogen, ihren Zorn und entschuldigen ihn
so: Ich wollte gewiss nicht zürnen, wenn man mich in Frieden ließe! Ja, lieber
Mensch: Dann wäre auch der böse Geist sanftmütig, wenn es ihm nach seinem
Willen erginge. Der Unfriede und die Beleidigungen kommen über dich, weil sie
dich dir selber zeigen wollen, wie du voller Zorn und Bosheit steckst. Dadurch
sollst du ermahnt werden, dich um Sanftmut zu mühen und den Zorn auszutreiben.
Die andere Sanftmut ist von Grund auf gut. Sie erweist sich
gegenüber den Widersachern und Feinden, indem sie diesen keinen Schaden zufügt,
sich nicht rächt, ihnen nicht flucht, sie nicht lästert, nichts Übles
nachredet, nichts Übles sich gegen sie ausdenkt, auch wenn sie uns Gut, Ehre,
Leib, Freunde genommen hätten; ja, wenn sie kann, tut sie ihnen Gutes für das
Böse, sagt ihnen das Beste nach, gedenkt ihrer zum besten, bittet für sie.
Davon sagt Christus Matthäus 5, 44.: »Tut wohl denen, die euch Leid antun;
bittet für eure Verfolger und Lästerer.« Und Paulus Römer 12, 14: »Segnet, die
euch fluchen, und verflucht sie nicht, sondern tut ihnen wohl.«
Zum zweiten: Nun sieh, wie sehr dieses kostbare, hohe Werk
unter den Christen vergangen ist, so dass nichts als Hader, Krieg, Zank, Zorn,
Hass, Neid, Verleumden, Fluchen, Lästern, Schadentun, Rache und alle
Zorneswerke und -worte mit voller Gewalt über alle regieren. Und doch machen
wir daneben weiter mit vielen Feiertagen, Messehören, Gebetlein sprechen,
Kirchen und Kirchenschmuck14 stiften, was Gott nicht geboten hat,
und haben so einen prächtigen, überschwenglichen Heiligenschein, als wären wir
die heiligsten Christen, die jemals gewesen sind! Und so lassen wir hinter
dieser Spiegelfechterei und Maskerade Gottes Gebote zu Boden und untergehen, so
dass auch niemand mehr es bedenkt oder betrachtet, wie nahe oder fern er der
Sanftmut und der Erfüllung dieses Gebotes sei, obwohl Christus doch gesagt hat,
nicht wer solche Werke tue, sondern wer seine Gebote halte, der werde ins ewige
Leben eingehen.
Indessen lebt niemand auf Erden, dem Gottes Fügung nicht
einen zuteilte, der ihm seinen Zorn und seine Bosheit anzeigte, das meint:
seinen Feind und Widersacher, damit der ihm Leid antue an Gut, Ehre, Leib oder
Freunden. Und damit probiert Gott es aus, ob auch noch Zorn da sei, ob er dem
Feind hold sein, gut von ihm reden, ihm wohl tun könne und nichts Übles gegen
ihn vorhabe. So komme nun her, wer da fragt, was er tun solle, damit er gute
Werke tue, Gott gefällig und selig werde: Er nehme sich seinen Feind vor,
stelle stetig dessen Bild vor die Augen seines Herzens und mache daraus eine
solche Übung, dass er sich daran besänftige und sein Herz gewöhne, freundlich
von diesem zu denken, ihm das Beste zu gönnen, für ihn zu sorgen und zu beten;
dann auch, wenn es die Zeit gibt, gut von ihm zu reden und ihm Gutes zu tun.
Versuche sich in diesem Stück, wer da will: Wird er damit nicht sein Lebtag
genug zu tun bekommen, dann strafe er mich Lügen und sage, diese Rede sei
falsch gewesen! Wenn aber Gott dies von uns haben und sich anders nicht
bezahlen lassen will, was hilft es doch, dass wir mit anderen großen Werken
umgehen, die nicht geboten sind, und dies unterlassen? Darum spricht Gott
Matthäus 5, 22ff.: »Ich sage euch, wer da zürnt mit seinem Nächsten, der ist
des Gerichtes schuldig. Wer da sagt zu seinem Bruder >Racha< (das meint:
wer ihm ein greuliches, zorniges, grässliches Zeichen gibt), der ist des Rates
schuldig. Wer aber zu seinem Bruder spricht >Du Narr< (das meint alle
möglichen Scheltworte, Fluchen, Lästerungen, Nachreden), der ist des ewigen
Feuers schuldig.« Wo bleibt die Tat mit der Hand wie Schlagen, Verwunden,
Töten, Beschädigen usw., wenn schon die Gedanken und Worte des Zorns so hoch
verurteilt worden sind?
Zum dritten: Wo aber Sanftmut von Grund auf herrscht, da
jammert das Herz alles Übel, das seinem Feind widerfährt. Und das sind die
rechten Rinder und Erben Gottes und Brüder Christi, der es so für uns alle
getan hat am heiligen Kreuz. Ebenso sehen wir, dass ein frommer Richter mit
Schmerzen ein Urteil über den Schuldigen fällt und dass er den Tod bedauert,
den das Recht über diesen verhängt. Hier hat das Werk ganz den Anschein, als ob
es Zorn und Ungnade sei; doch ist da die Sanftmut so ganz von Grund auf gut,
dass sie sogar unter solchen Zorneswerken bestehen bleibt, ja am
allerheftigsten im Herzen aufquillt, wenn sie so zürnen und ernst machen muss.
Doch wir müssen hier darauf sehen, dass wir nicht sanftmütig
sind wider Gottes Ehre und Gebot. Denn es steht geschrieben von Mose, dass er
der allersanftmütigste Mensch auf Erden war; und doch, als die Juden das goldene
Kalb angebetet und Gott erzürnt hatten, schlug er viele von ihnen zu Tode und
versöhnte Gott wieder dadurch. So wäre es nicht recht, wenn die Obrigkeit
untätig bliebe und die Sünde regieren ließe und wir dazu stillschweigen
wollten. Auf mein Gut, meine Ehre, meinen Schaden soll ich nicht achten und
nicht darüber zürnen. Aber wo es um Gottes Ehre und Gebot geht und um Schaden
und Unrecht unserer Nächsten, müssen wir uns wehren, die Obrigkeit mit dem
Schwert, die ändern mit Worten und Strafen; und doch alles so, dass uns die
leid tun, welche die Strafe verdient haben.
Dieses hohe, feine, liebliche Werk wird sich leicht erlernen
lassen, wenn wir es im Glauben tun und diesen daran üben. Denn wenn der Glaube
nicht zweifelt an der Huld Gottes, dass er einen gnädigen Gott habe, wird es
ihm sehr leicht werden, auch seinem Nächsten gnädig und zugeneigt zu sein, wenn
sich dieser auch noch so hoch verwirkt hat. Denn wir haben uns um vieles höher
Gott gegenüber verwirkt. Sieh da, das ist ein kurzes Gebot, aber eine lange und
große Übung in guten Werken und im Glauben wird uns darin gezeigt.
Du sollst nicht Ehebrechen
In diesem Gebot
wird auch ein gutes Werk geboten, das vieles in sich begreift und viele Laster
vertreibt. Es heißt Reinheit oder Keuschheit. Davon wird viel geschrieben,
gepredigt, und es ist jedem sehr wohl bekannt. Nur dass man es nicht so fleißig
wahrnimmt und ausübt, wie man es mit den anderen, ungebotenen Werken tut: So
völlig sind wir bereit, zu tun, was uns nicht geboten ist, und zu lassen, was
uns geboten ist! Wir sehen, dass die Welt voll ist von schändlichen Werken der
Unkeuschheit, schandbaren Worten, Fabeln und Liedlein. Außerdem mehrt sich
täglich der Anreiz durch Fressen und Saufen, Müßiggang und überflüssigen
Schmuck. Doch wir machen weiter, als wären wir Christen: Wenn wir in der
Kirche gewesen sind, unsre Gcbetlein, Fasten und Feiern eingehalten haben,
soll es damit vollbracht sein!
Nun, wenn nicht mehr Werke geboten wären als nur die
Keuschheit, wir hätten alle damit genug zu tun; solch ein gefährliches,
wütendes Laster herrscht da. Denn es tobt in allen Gliedern: in den Herzen mit
Gedanken, in den Augen mit dem, was wir sehen, in den Ohren mit dem, was wir
hören, im Mund mit Worten, in den Händen, den Füßen und dem ganzen Leib mit den
Werken. Um all dies zu bezwingen, braucht es Arbeit und Mühe. Und so lehren
uns die Gebote Gottes, was für eine große Sache es ist um rechtschaffene, gute
Werke, ja dass es uns unmöglich sei, aus unseren Kräften ein gutes Werk
auszudenken, geschweige denn es anzufangen oder zu vollbringen. Augustin spricht,
dass unter allem Streit der Christen der Streit um die Keuschheit der härteste
sei, allein schon deswegen, weil er täglich währt ohne Aufhören und sie selten
obsiegt. Es haben alle Heiligen darüber geklagt und geweint, wie Paulus Römer
7, 18: »Ich finde in mir, das ist in meinem Fleische, nichts Gutes.«
Zum zweiten. Wenn dieses Werk der Keuschheit Bestand haben
soll, dann treibt es zu vielen anderen guten Werken: Zum Fasten und zur
Mäßigkeit gegen Fraß und Trunkenheit, zum Wachen und Frühaufstehen gegen die
Faulheit und den unnötigen Schlaf; zur Arbeit und Mühe gegen den Müßiggang.
Denn Fressen, Saufen, viel Schlafen, Faulenzen und Müßiggehen sind Waffen der
Unkeuschheit, mit denen die Keuschheit behend überwunden wird. Umgekehrt nennt
der heilige Apostel Paulus das Fasten, Wachen, Arbeiten göttliche Waffen, mit
denen die Unkeuschheit bezwungen wird (Römer 13, 12f.). Doch sollen, wie oben
gesagt, diese Übungen nur so weit gehen, dass sie die Unkeuschheit dämpfen,
aber nicht die Natur verderben.
Über all dies hinaus ist die stärkste Gegenwehr das Gebet
und Gottes Wort, so dass der Mensch, wenn die böse Lust sich regt, zum Gebet
fliehe, Gottes Gnade und Hilfe anrufe, das Evangelium lese und betrachte, darin
Christi Leiden ansehe. So sagt Psalm 139, 9: »Selig ist, der die Jungen von
Babylonien ergreift und zerschmettert15 sie an dem Felsen«, das
meint: wenn das Herz mit den bösen Gedanken, solang sie noch jung und am Anfang
sind, zum Herrn Christus läuft, der ein Fels ist, an dem sie zerrieben werden
und vergehen.
Sieh, da wird jeder mit sich selber überschwer genug zu
schaffen haben und in sich selbst viele guten Werke zugewiesen bekommen. Aber
jetzt geht es so zu, dass niemand das Beten, Fasten, Wachen, Arbeiten zu diesem
Zweck gebraucht, sondern lässt sie Werke bleiben, die in sich selbst ihren
Zweck haben, während sie doch verordnet sein sollten, um das Werk dieses
Gebotes zu erfüllen und uns täglich mehr und mehr zu reinigen.
Etliche haben auch noch mehr genannt, was zu meiden sei, wie
weiche Lagerstätte und Kleidung; man meide überflüssigen Schmuck, die
Gesellschaft, das Gespräch oder den Anblick einer Weibs- oder Mannsperson und
was dergleichen mehr der Keuschheit förderlich ist. In all diesen Dingen kann
niemand sichere Maßregeln festsetzen. Jeder muss da auf sich achten, welche
und wie viele Stücke und wie lange ihm diese zur Keuschheit erforderlich sind,
damit er sie für sich selber auswählen und einhalten kann. Wenn er dies nicht
kann, soll er sich eine Zeitlang unter die Leitung eines ändern begeben, der
ihn dazu anhalten soll, bis er sich selber in eigener Macht zu regieren vermag.
Denn dazu sind vorzeiten die Klöster gestiftet worden, um junge Leute Zucht und
Reinheit zu lehren.
Zum dritten: Bei diesem Werk hilft ein guter, starker Glaube
sehr viel; spürbarer als bei jedem anderen. Deshalb sagt auch Jesaja, der
Glaube sei ein Gurt der Nieren (Jesaja 11, 5), das meint: eine Bewahrung der
Keuschheit. Denn wer so lebt, dass er für sich alle Gnade von Gott erhofft, dem
gefällt die geistliche Reinheit wohl. Darum kann er viel leichter der
fleischlichen Unreinheit widerstehen; und es sagt ihm gewiss der Geist in
solchem Glauben, wie er böse Gedanken und alles, was der Keuschheit zuwider
ist, meiden soll. Denn wie der Glaube an die göttliche Huld unaufhörlich lebt
und alle Werke wirkt, ebenso lässt er auch mit seinem Ermahnen nicht nach in
allen Dingen, die Gott angenehm oder verdrießlich sind. Wie Johannes in seiner
Epistel sagt: »Ihr bedürft nicht, dass euch jemand lehre, denn die göttliche
Salbung, das ist der Geist Gottes, lehrt euch alle Dinge.« (1. Johannes 2, 27)
Doch dürfen wir nicht verzagen, wenn wir die Anfechtung
nicht schnell loswerden. Ja, wir sollen uns nicht einmal wünschen, Ruhe vor ihr
zu haben, solange wir leben, und sie immer nur als Anreiz und Ermahnung
auffassen zum Beten, Fasten, Wachen, Arbeiten und zu anderen Übungen, die das
Fleisch dämpfen, besonders aber den Glauben an Gott befördern und einüben
sollen. Denn eine Keuschheit, die es still und ruhig hat, kostet nicht viel,
sondern nur die, die gegen die Unkeuschheit zu Feld liegt und streitet und
unablässig jede Vergiftung austreibt, die das Fleisch und der böse Geist
einstreuen. So sagt Petrus: »Ich ermahne euch, dass ihr euch enthaltet von den
fleischlichen Begierden und Gelüsten, die da allezeit streiten wider die
Seele.« (1. Petrus 2, 11) Und Paulus Römer 6, 12: »Ihr sollt dem Leib nicht
folgen nach seinen Gelüsten.« In diesen und ähnlichen Sprüchen wird angezeigt,
dass niemand ohne böse Lust ist, aber er soll und muss täglich dagegen
streiten. Aber obwohl dies Unruhe und Unlust bereitet, ist's doch ein Werk, das
vor Gott angenehm ist; das soll uns Trost genug sein. Denn die meinen, sie
könnten sich solcher Anfechtung erwehren, indem sie ihr Folge leisten,
entzünden sich nur noch mehr dran. Und auch wenn sie eine Weile stillhält,
kommt sie doch zu einer anderen Zeit stärker wieder und findet dann die Natur
mehr geschwächt als zuvor.
Du sollst nicht stehlen
Dieses Gebot hat
auch ein Werk, das sehr viele guten Werke in sich begreift und vielen Lastern
entgegensteht. Es heißt auf deutsch Freigebigkeit. Dieses Werk besteht darin,
dass jedermann willig ist, mit seinem Gut zu helfen und zu dienen. Und es
streitet nicht bloß gegen Diebstahl und Räuberei, sondern gegen jede
Verkürzung, die man am zeitlichen Gut gegeneinander verüben kann, wie Geiz,
Wucher, Überteuern, Übervorteilen, falsche Ware, falsche Maße, falsche Gewichte
verwenden; und wer könnte alle die behenden neuen Spitzfindigkeiten aufzählen,
die sich täglich vermehren in jeder Hantierung, durch die jeder seinen Vorteil
sucht zum Nachteil des ändern und das Gesetz vergisst, das uns sagt: »Was du
willst, dass dir andere tun, das tu du ihnen auch.« (Matthäus 7, 12) Wer sich
diese Regel vor Augen hielte, jeder bei seinem Handwerk, Geschäft und Handel
gegenüber seinem Nächsten, der würde leicht finden, wie er kaufen und
verkaufen, nehmen und geben, leihen und umsonst geben, zusagen und halten
sollte und dergleichen mehr. Und wenn wir die Welt ansehen mit ihrem Treiben,
wie der Geiz in allem Handel das Regiment hat, würden wir nicht nur genug zu
tun bekommen, wenn wir uns mit Gott und in Ehren ernähren wollten. Sondern wir
würden auch das Grauen und einen Schrecken bekommen vor diesem gefährlichen,
elenden Leben, das mit Sorgen um zeitliche Nahrung und mit unredlicher Suche
nach ihr so ganz überladen, darin verstrickt und gefangen ist.
Zum zweiten. Darum sagt der weise Mann nicht von ungefähr:
»Selig ist der reiche Mann, der ohne Makel erfunden ist; der nicht dem Gold
nachgelaufen ist und seine Zuversicht nicht auf die Schätze des Geldes gesetzt
hat. Wer ist der? Wir wollen ihn loben, dass er eine Wundertat getan habe in
seinem Leben.« (Sirach 31,
8f.) Als wollte er sagen: Man findet keinen oder sehr wenige. Ja, es
gibt sehr wenige, die solche Sucht nach Gold an sich selber bemerken und
erkennen. Denn der Geiz hat hier einen sehr hübschen, feinen Schanddeckel, der
heißt: Leibcsnahrung und natürliche Notdurft. Darunter handelt er maßlos und
unersättlich, so dass einer, der sich davon rein halten soll, wahrhaftig, wie
er sagt, Wunderzeichen oder Wundertaten in seinem Leben tun muss.
Nun sieh, wer nicht bloß gute Werke tun will, sondern auch
Wunderzeichen, die Gott lobt und sich gefallen lassen will, was braucht der
viel anderswohin zu denken? Er gebe acht auf sich selbst und sehe zu, dass er
dem Gold nicht nachlaufe und seine Zuversicht nicht aufs Geld setze, sondern
lasse das Gold sich nachlaufen und das Geld auf seine Gnade warten; und er
verbiete es sich, Gold oder Geld zu lieben und sein Herz daran kleben zu
lassen. So ist er der rechte, freigebige, wundertätige, selige Mann, wie Hiob
sagt: »Ich habe mich noch nie aufs Gold verlassen und auch das Geld noch nie
meinen Trost und meine Zuversicht sein lassen.« (Hiob 31, 24) Und Psalm 62, 11:
»Wenn euch Reichtümer zufließen, sollt ihr ja euer Herz nicht dran hängen.« So
lehrt auch Christus Matthäus 6, 31, wir sollten nicht darum besorgt sein, was
wir essen, trinken und wie wir uns kleiden, da ja Gott dafür sorgt und weiß,
dass wir dessen bedürfen.
Aber etliche sagen: Ja, verlass dich drauf, sorge nicht und
sieh, ob dir ein gebratenes Huhn ins Maul fliegt. Ich sage nicht, dass niemand
arbeiten und Nahrung suchen soll, sondern er soll nicht sorgen, nicht geizig
sein, nicht verzagen, ob er genug haben werde. Denn wir sind in Adam alle zur
Arbeit verurteilt, da Gott sagt 1. Mose 3, 19: »Im Schweiß deines Angesichts
sollst du essen dein Brot.« Und Hiob 5, 7: »Wie der Vogel zum Fliegen, so ist
auch der Mensch geboren zur Arbeit.« Nun fliegen die Vögel ohne Sorge und Geiz,
ebenso sollen auch wir arbeiten ohne Sorge und Geiz. Wenn du aber sorgst und
geizig bist, damit dir das gebratene Huhn ins Maul fliege, dann sorge und sei
geizig und sieh zu, ob du Gottes Gebot erfüllen und selig werden wirst.
Zum dritten: Dieses Werk lehrt der Glaube von selber. Denn
wo einer von Herzen auf die göttliche Huld hofft und sich darauf verlässt, wie
ist's möglich, dass der geizig und sorgenvoll sein sollte? Er muss dessen ohne
Zweifel gewiss sein, dass sich Gott um ihn annehme. Darum klebt er nicht am
Geld; er gebraucht es fröhlich, freigebig, dem Nächsten zunutze, weiß wohl,
dass er genug haben werde, wie viel er auch hergibt. Denn sein Gott, dem er
vertraut, wird ihm nicht lügen noch ihn verlassen, wie in Psalm 37, 25 steht:
»Ich bin jung gewesen und alt geworden, habe noch nie gesehen, dass ein
gläubiger Mensch, der Gott vertraut
(das ist ein Gerechter) verlassen worden oder dass sein Kind nach Brot gegangen
sei.« Darum nennt der Apostel keine andere Sünde eine Abgötterei als den Geiz,
der sich's aufs gröblichste anmerken lässt, dass er Gott nichts zutraut, mehr
Gutes von seinem Geld als von Gott erhofft. Durch solche Zuversicht - da zu
Gott, dort zum Geld - wird Gott in Wahrheit geehrt oder verunehrt, wie gesagt
worden ist.
Und wahrhaftig, an diesem Gebot kann man am klarsten
bemerken, wie sehr alle guten Werke im Glauben gehen und geschehen müssen. Denn
hier empfindet es ganz gewiss jeder, dass der Grund des Geizes das Misstrauen,
der Grund der Freigebigkeit aber der Glaube ist. Denn weil er Gott vertraut,
ist einer auch freigebig und zweifelt nicht daran, er habe immer genug.
Umgekehrt ist einer deshalb geizig und sorgenvoll, weil er Gott nicht vertraut.
Wie nun in diesem Gebot der Glaube Werkmeister und Antreiber des guten Werkes
der Freigebigkeit ist, so ist er es auch in allen ändern Geboten, und auch die
Freigebigkeit ist ohne solchen Glauben zu nichts nütze, sondern nur ein
achtloses Ausschütten des Geldes.
Zum vierten: Hierbei ist zu wissen, dass diese Freigebigkeit
sich auch auf Feinde und Widersacher erstrecken soll. Denn wie Christus Lukas
6, 32ff. lehrt: Was ist das für eine Wohltat, wenn wir bloß gegen Freunde
freigebig sind? Tut das doch auch ein böser Mensch für den ändern, wenn der
sein Freund ist! Ebenso sind auch die unvernünftigen Tiere gegen ihresgleichen
guttätig und freigebig. Darum muss ein Christenmensch höher greifen und seine
Freigebigkeit auch denen dienen lassen, die es nicht verdienen, Übeltätern,
Feinden, Undankbaren, und auch wie sein himmlischer Vater seine Sonne aufgehen
lassen über Fromme und Böse und regnen lassen über die Dankbaren und die
Undankbaren.
Hier wird man wieder finden, wie schwer gute Werke zu tun
sind nach Gottes Gebot; wie sich die Natur dagegen sperrt, krümmt und windet,
während sie ihre selbstausgesuchten Werke leicht und gern tut. Deshalb nimm
dir deine Feinde vor, die Undankbaren, tu denen wohl: So wirst du entdecken,
wie nah oder fern du von diesem Gebot seiest und wie du dein Leben lang mit den
Übungen dieses Werkes immer zu tun haben wirst. Denn wo dein Feind deiner
bedarf und du ihm nicht hilfst, wenn du's kannst, da ist das genau so, als
hättest du ihm das Seine gestohlen. Denn du bist es ihm schuldig gewesen, zu
helfen. So sagt Ambrosius: Speise den Hungrigen. Speisest du ihn nicht, dann
hast du ihn, soweit es an dir liegt, erwürgt. Und zu diesem Gebot gehören die
Werke der Barmherzigkeit, die Christus am Jüngsten Tag einfordern wird.
Doch sollten die Herrschaften und die Städte darauf bedacht
sein, dass die Landläufer, Jakobsbrüder16 und alle übrigen fremden
Bettler verboten oder doch nur in Maß und Ordnung zugelassen würden, damit
nicht den Buben unter dem Namen des Bettels ihr Vagabundieren und ihre
Bubenstücke gestattet werden, die jetzt so häufig vorkommen. Ausführlicheres
über die Werke dieses Gebotes habe ich im Sermon von dem Wucher gesagt.
Du sollst nicht falsch Zeugnis geben wider deinen Nächsten
Dieses Gebot
erscheint klein und ist doch so groß, dass, wer's recht halten soll, Leib und
Leben, Gut und Ehre, Freunde und alles, was er hat, daran wagen und aufs Spiel
setzen muss. Und doch begreift es nicht mehr in sich als das Werk des kleinen
Gliedes der Zunge und heißt auf deutsch: die Wahrheit sagen und der Lüge
widersprechen, wo es not tut. Darum werden in ihm viele böse Werke der Zunge
verboten.
Zum ersten: die
einen, die durchs Reden, und die anderen, die durchs Schweigen geschehen.
Durchs Reden geschieht's, wenn einer vor Gericht eine böse Sache hat und will
diese mit falschen Gründen beweisen und vorantreiben, mit Behendigkeit seinen
Nächsten fangen, alles verwenden, was seine Sache schmückt und fördert, alles
verschweigen und verringern, was seines Nächsten gute Sache fördert. Damit tut
er seinem Nächsten nicht, wie er sich selber getan haben wollte. Das tun
etliche um eines Vorteils willen, etliche, um Schaden und Schande zu vermeiden.
Damit suchen sie mehr das Ihre als Gottes Gebot. Sie entschuldigen sich mit dem
Spruch: Vigilanti iura subveniunt - Wer aufpasst, dem hilft das Recht; gerade
als wären sie es nicht ebenso schuldig, über des Nächsten Sache wie über ihrer
eigenen zu wachen. So lassen sie mutwillig des Nächsten Sache unterliegen, von
der sie wissen, dass sie recht sei. Dieses Übel ist jetzt so allgemein, dass
ich Sorge habe, es gebe keine Gerichtsverhandlung, bei der sich nicht eine
Seite gegen dieses Gebot versündigte. Und wenn sie es schon nicht vollenden können,
haben sie doch den Mut und den Willen zum Unrecht, indem sie gern wollten, des
Nächsten gute Sache ginge unter und ihre böse ginge voran. Besonders dort kommt
es zu dieser Sünde, wo der Widersacher ein Großhans oder ein Feind ist. Denn
am Feind will man sich damit rächen, den Großhans will niemand gegen sich
aufbringen. Und da fängt dann das Schmeicheln und Liebedienern an oder doch das
Verschweigen der Wahrheit. Da will niemand Ungnade und Ungunst, Schaden und
Gefahr um der Wahrheit willen zu gewärtigen haben, und so muss das Gebot
Gottes untergehen. Und das ist, sozusagen, das Regiment dieser Welt! Wer dies
Gebot halten wollte, würde wohl alle Hände voll guter Werke zu vollbringen
haben allein mit der Zunge. Wie viele gibt's außerdem, die sich mit Geschenken
und Gaben zum Schweigen und von der Wahrheit abbringen lassen! So ist es
wahrlich an allen Orten ein hohes, großes, seltenes Werk, kein falscher Zeuge
zu sein wider seinen Nächsten.
Zum zweiten: Darüber hinaus gibt es ein anderes
Wahrheitszeugnis, das noch größer ist. Mit diesem müssen wir gegen die bösen
Geister fechten, und es erhebt sich nicht wegen zeitlicher Dinge, sondern um
des Evangeliums und der Wahrheit des Glaubens willen, die der böse Geist noch
nie hat ertragen können. Und er richtet es immer so ein, dass die Größten im
Volk, denen nur schwer widerstanden werden kann, dagegen sind und es verfolgen
müssen. Davon steht in Psalm 82, 4: »Erlöst den Armen von der Gewalt des
Ungerechten, und dem Verlassenen helft seine rechte Sache behalten!«
Diese Verfolgung ist nun wohl selten geworden. Das ist die
Schuld der geistlichen Prälaten, die das Evangelium nicht zum Leben erwecken,
sondern untergehen lassen. Sie haben damit die Sache hinfällig gemacht,
deretwegen sich solches Zeugnis und seine Verfolgung erheben sollte. Dafür
lehren sie uns ihre eigenen Gesetze und was ihnen wohlgefällt. Darum bleibt
auch der Teufel still sitzen, weil er mit dem Verstummen des Evangeliums auch
den Glauben an Christus zum Verstummen gebracht hat und dann alles so geht, wie
er will. Sollte aber das Evangelium zum Leben auferweckt werden und sich wieder
hören lassen, dann würde sich ohne Zweifel die ganze Welt wieder erregen und
bewegen, die Mehrzahl der Könige, Fürsten, Bischöfe, Doktoren, Geistlichen und
alles dessen, was groß ist, sich ihm entgegenstellen und wütend werden, wie
dies immer geschehen ist, wenn das Wort Gottes an den Tag gekommen ist. Denn
die Welt kann nicht ertragen, was von Gott kommt. Das ist durch Christus
bewiesen, der das Allergrößte, Liebste, Beste war und ist, was Gott hat.
Dennoch hat ihn die Welt nicht bloß nicht aufgenommen, sondern greulicher
verfolgt als alles, was je von Gott gekommen ist. Darum sind es so wie zu
seiner Zeit immer nur wenige, die der göttlichen Wahrheit beistehen und Leib
und Leben, Gut und Ehre und alles, was sie haben, aufs Spiel setzen und wagen;
wie Christus vorausgesagt hat: »Ihr werdet um meines Namens willen von allen
Menschen gehasst werden.« Ebenso: »Gar viele von ihnen werden Anstoß nehmen an
mir.« (Matthäus 24, 9f.) Ja, wenn diese Wahrheit von den Bauern, Hirten,
Stallknechten und dem geringen Volk angefochten würde, wer wollte und möchte
sie dann nicht bekennen und bezeugen? Aber wenn sie der Papst, die Bischöfe
samt den Fürsten und Königen anfechten, da drückt sich, da schweigt, da
heuchelt jeder17, damit sie nicht ihre Güter, ihre Ehre, ihre Gunst
und ihr Leben verlieren.
Zum dritten: Warum tun sie das? Darum, weil sie keinen
Glauben an Gott haben, sich nichts Gutes erhoffen von ihm. Denn wo diese
Glaubenszuversicht ist, da ist auch ein mutiges, unerschrockenes Herz, das sich
dran wagt und der Wahrheit beisteht, es koste Hals oder Mantel, gehe gegen
Papst oder Könige, wie wir sehen, dass die lieben Märtyrer getan haben. Denn
ein solches Herz lässt sich damit begnügen und besänftigen, dass es einen gnädigen,
ihm zugeneigten Gott hat. Darum verachtet es Gunst, Gnade, Gut, Ehre aller
Menschen, lässt kommen und gehen, was nicht dableiben will. Wie in Psalm 15, 4
geschrieben steht: »Er verachtet die Gottesverächter und ehrt die
Gottesfürchtigen«; das meint: Die Tyrannen, die Gewaltigen, welche die Wahrheit
verfolgen und Gott verachten, furchtet er nicht, er sieht sie nicht an, er
verachtet sie. Umgekehrt: Die verfolgt werden um der Wahrheit willen und Gott
mehr fürchten als Menschen, für die nimmt er Partei, steht ihnen bei, wacht über
ihnen, ehrt sie, es verdrieße, wen es wolle. Wie von Mose im Hebräerbrief
steht, dass er seinen Brüdern beistand, ungeachtet des mächtigen Königs von
Ägypten (Hebräer 11, 24f.).
Sieh da, an diesem Gebot siehst du wieder in Kürze, dass der
Glaube der Werkmeister dieses Werkes sein muss, weil sich ohne ihn niemand
erkühnt, solches Werk zu tun.
So völlig sind alle Werke vom Glauben getragen, wie denn nun
oft gesagt worden ist. Darum sind ohne den Glauben alle Werke tot, sie glänzen
und heißen so gut wie sie mögen. Denn wie das Werk dieses Gebotes niemand tut,
er sei denn fest und unerschrocken in der Zuversicht zur göttlichen Huld, so
tut er auch kein Werk aller anderen Gebote ohne diesen Glauben. Darum kann aus
diesem Gebot leicht jeder das Gewicht hernehmen und die Probe darauf machen, ob
er ein Christ sei und an Christus recht glaube, und also auch, ob er gute Werke
tue oder nicht.
Nun sehen wir, wie der allmächtige Gott uns unsern Herrn
Jesus Christus nicht bloß dazu eingesetzt hat, dass wir an ihn mit solcher
Zuversicht glauben sollen. Sondern er hält uns in ihm auch ein Exempel dieser
Zuversicht und solcher guten Werke vor, damit wir an ihn glauben, ihm folgen
und auf ewig in ihm bleiben, wie er sagt Johannes 14, 6: »Ich bin der Weg, die
Wahrheit und das Leben.« Der Weg, auf dem wir ihm folgen; die Wahrheit, damit
wir an ihn glauben; das Leben, damit wir in ihm ewig leben.
Aus dem allem ist es nun klar und leicht zu erkennen, dass
alle anderen Werke, die nicht geboten sind, gefährlich sind, wie Kirchen bauen
und ausschmücken, Wallfahrten machen und alles, was in den geistlichen Rechten
vielfältig geschrieben steht. Damit hat man die Welt nur verfuhrt und
beschwert, sie verdorben, ihr ein unruhiges Gewissen gemacht, den Glauben
verschwiegen und geschwächt. Und wir erkennen auch, dass der Mensch an den
Geboten Gottes, selbst wenn er alles andere unterlässt, mit all seinen Kräften
genug zu tun findet und nie all die guten Werke tun kann, die ihm geboten sind.
Warum sucht er dann andere, die ihm weder notwendig noch geboten sind, und die
nötigen und gebotenen lässt er liegen?
Die letzten zwei
Gebote, welche die bösen Begierden nach leiblicher Lust und nach zeitlichen
Gütern verbieten, sind in sich selbst klar, und dem Nächsten droht hier kein
Schaden. So währen sie auch bis zum Grab, und es bleibt beim Streit in uns
gegen diese Begierden bis in den Tod. Darum sind diese zwei Gebote von Paulus
Römer 7, 7 in eines zusammengezogen und auf ein Ziel angesetzt, das wir nie
erreichen. Wir müssen nur immer hinzudenken: bis in den Tod. Denn niemand ist
je so heilig gewesen, dass er keine böse Neigung in sich gefühlt hätte,
besonders wenn der Anlass und Anreiz dazu gegenwärtig gewesen ist. Denn die
Erbsünde ist uns von Natur angeboren. Sie lässt sich dämpfen, aber ganz
ausrotten lässt sie sich nicht, außer durch den leiblichen Tod, der ihretwegen
auch nützlich und zu wünschen ist. Das helfe uns Gott. Amen.
1 Luther: mit etwas geistlicher Ware.
2 Die Trostschrift Tessaradecas consolatoria pro laborantibus et
oneraris. 1520. WA 6; 104-134.
3 Der Sermon wuchs Luther unter den Händen. Erst wurden einfach
alle Abschnitte durchnumeriert. Das zweite Gebot bekam dann den Untertitel
»Von dem andern guten Werk« -unser Untertitel fürs erste Gebot folgt diesem
Beispiel. Im weiteren Fortgang gliedert Luther nach den zehn Geboten durch.
4 Luther: vergütet.
5 Durch Gnade gewirkte innere Disposition.
6 Santiago de Compostela, im Mittelalter einer der größten
Wallfahrtsorte des Abendlandes.
7 Im Mittelalter verbreitete, der schwedischen Heiligen Birgit
(gest. 1373) zugeschriebene Bittgebete.
8 Das stille Lesen oder laute Rezitieren vorgeschriebener Gebete, Bußformeln,
Bibelabschnitte, sonstiger
erbaulicher Texte.
9 Luther: verbosset = verböset,
vgl. Anmerkung 4.
10 Gemeint ist die Zuweisung einzelner persönlicher Fürbitten an
einzelne stille Gebetsteile der Messe.
11 Ein allgemeines Sündenbekenntnis in Kurzform auf der Kanzel
(»offene Schuld«).
12 Luther hat diesen Abschnitt versehentlich ein zweites Mal als 17.
beziffert; die vorhergehenden Seiten waren wohl schon im Druck.
13 Spöttisch für Abgesandte der römischen Kurie und Überbringer
päpstlicher Schreiben.
14 Luther: geistlicher Schmuck. Später versteht er darunter das schlichte
Christenleben, wenn es im Schmuck der Gebote Gottes verbracht wird, im
Gegensatz zu den kostbaren Ausstattungsstücken für die Kirchen.
15 Luther: zerknirscht, wie anschließend: zerrieben; allegorische Anspielung
auf die kirchliche Bußlehre.
16 Bettler, die angeblich nach Santiago pilgern wollen.
17 Bei Luther Reimanklang: fleucht - schweigt - heuchelt.