Gott oder Zufall?
Prof. Dr. Peter C. Hägele, Ulm
Stehen christlicher Glauben und Naturwissenschaften im
Widerspruch? Ein Physiker antwortet.
Oft wird
behauptet, die Naturwissenschaften hätten die Existenz Gottes widerlegt. Doch
nun ist die Diskussion über die Vereinbarkeit von Wissenschaft und Glauben neu
entbrannt. Fast alle großen Medien widmeten sich der Debatte um die
Schöpfungslehre und die Darwinsche Evolutionstheorie. In den USA glauben nach
Angaben der „New York Times“ 40 % der Biologen, Physiker und Mathematiker an
Gott (für den deutschsprachigen Raum liegt keine vergleichbare Untersuchung
vor). idea bat den Naturwissenschaftler Peter
Cornelius Hägele um einen Beitrag. Er ist Professor
für Physik an der Universität Ulm und an der Akademikerarbeit der
Studentenmission in Deutschland (SMD) beteiligt.
Bis
Anfang des 20. Jahrhunderts sahen viele Wissenschaftler Gott als überflüssig
an. Das sich mit der Aufklärung entwickelnde Weltbild der Neuzeit hielt die
Materie für wissenschaftlich voll zugänglich. Die erkannten Naturgesetze galten
als absolut gültig und undurchbrechbar. Es gab keine
Ausnahmen von der Regel. Die Welt stellte man sich als eine Maschine vor, die
in einem festgelegten Rhythmus arbeitete. Es existierte nichts außerhalb der
Natur, so dass auch keine Eingriffe von außen möglich wären. Dieses hier kurz
skizzierte Weltbild der Neuzeit wurde ein Grundpfeiler des Materialismus und
des materialistischen Atheismus. Gott wurde für arbeitslos erklärt, da ja alles
automatisch abzulaufen schien. Das unendlich erscheinende Weltall machte Gott
schließlich auch wohnungslos – dieses Weltbild hatte buchstäblich keinen Platz
für Gott. Allerdings erweist sich diese Vorstellung bei genauerer Analyse als
eine Mischung aus wissenschaftlichen und weltanschaulichen Aussagen. Es enthält
Aussagen, die durch die naturwissenschaftliche Methodik (Experimente und
Bildung von Theorien) gar nicht gedeckt sind. So wurden der Materie
Eigenschaften zugesprochen, die im Grunde nur Gott zukommen: absolut, ewig,
unveränderlich.
Ein neues Weltbild
Doch im
ersten Viertel des 20. Jahrhunderts überwanden Wissenschaftler wesentliche
Teile dieses Weltbilds. Zugleich war man gezwungen, stärker über die Tragweite
und die Begrenztheit naturwissenschaftlicher Aussagen nachzudenken. Neue Experimente
und Beobachtungen führten zu revolutionären Veränderungen in den Vorstellungen
über Materie und Naturgesetzlichkeit: Die Materie verlor ihren statischen,
absoluten Charakter; sie ist nicht ewig und unvergänglich. Die Atome
(griechisch: „unteilbar“) erwiesen sich im Gegensatz zur Wortbedeutung als
teilbar. Sie bestehen aus sogenannten
Elementarteilchen, den Protonen, Neutronen und Elektronen. Inzwischen kennt man
über 300 Elementarteilchen. Viele von ihnen haben sich inzwischen als nicht
elementar herausgestellt. Sie sind zusammengesetzt aus neu entdeckten Teilchen,
den Quarks. Heute vermuten wir, dass diese Mikroobjekte ihrerseits aus noch
„elementareren“ Teilchen („Strings“) zusammengesetzt sind. Keineswegs sind sie
unzerstörbar. Sie können zerstrahlen und sich in andere Mikroobjekte umwandeln.
Merkwürdigerweise verhalten sie sich auch nicht, wie erwartet, stetig, sondern
spontan und zufällig. Bei manchen Experimenten zeigen sie sich teilchenartig,
bei anderen jedoch wellenartig. Die meisten Naturwissenschaftler gehen heute
davon aus, dass sich ihr künftiges Verhalten gar nicht objektiv bestimmen lässt.
Die Grenzen unserer Vorhersagemöglichkeiten werden dabei offensichtlich. Dieses
neue Bild von Materie und Naturgesetzlichkeit löste das alte „Weltbild der
Neuzeit“ ab. Die Vorstellung der Welt als Maschine hat ausgedient. Zwar gibt es
weiterhin exakte Gesetze, zum Beispiel über die Erhaltung der Energie; sie
schließen aber den Zufall nicht aus. Daneben gibt es aber auch Gesetze, die
durch das Zusammenspiel mehrerer Zufälle entstehen und bei denen Schwankungen
und Abweichungen vorkommen können.
Wer ist der Gesetzgeber?
So führen
Experimente und die Bildung von Theorien zu einem Bild der Natur, das uns
Fragen nach dem Funktionieren mit wachsender Präzision beantwortet: Wie fällt
ein Stein? Wie breiten sich Wellen aus? Wie läuft der Stoffwechsel in einer
Zelle ab? Ausgeblendet sind in einem Naturbild aber Fragen nach dem Wesen, nach
dem Sollen (Ethik) und nach dem Sinn. Wie wollte man auch mit einem Experiment
eine Sinnfrage klären können!
Warum
geschieht überhaupt etwas? Was oder wer bewirkt die beobachtete Dynamik? Der
Verweis auf die Naturgesetze wäre ein Missverständnis. Die Naturgesetze
bewirken das Naturgeschehen ebenso wenig wie die Verkehrsregeln den
Straßenverkehr bewirken oder wie die Regeln der Buchführung den Umsatz einer
Firma. Nein, Naturgesetze beschreiben das Geschehen, aber sie bewirken es
nicht. Der Physiker Stephen W. Hawking formuliert es so: „Wer bläst den
Gleichungen den Odem ein und erschafft ihnen ein Universum, das sie beschreiben
können? Die übliche Methode, nach der die Wissenschaft sich ein mathematisches
Modell konstruiert, kann die Frage, warum es ein Universum geben muß, welches das Modell beschreibt, nicht beantworten.“
Kein Gottesbeweis
Der vom
Weltbild der Neuzeit verneinte Gott wird durch die neue Sichtweise zwar nicht
bejaht oder bewiesen. Solch einen Gottesbeweis kann auch keine Wissenschaft
erbringen. Dies wäre wie der Versuch, Gott in ein Reagenzglas zu sperren. Aber
die neuen Erkenntnisse bedeuten doch eine neu gewonnene Freiheit in der
Beziehung von Glaube und Denken. Das moderne Naturbild weist in seiner
methodischen Beschränktheit über sich hinaus. Es wäre überfordert, wenn es
selber Sicherheit und Geborgenheit - etwa im Sein der Materie - vermitteln
sollte. Und es regt zu Fragen an: Woher kommt das ganze Geschehen? Wer zähmt
das Chaos? Was ist Sinn und Ziel des Ganzen? Die Fragen nach Wesen, Sinn und
Ziel und letztlich nach dem Schöpfer bleiben bestehen, sind jedoch innerwissenschaftlich
nicht zu beantworten. Wir müssen entscheiden, in welches Weltbild wir unser
Naturbild einbetten.
Gott, der Schöpfer
Als Christ erkenne ich in den gesetzmäßigen Abläufen der
Natur die Treue und Zuverlässigkeit Gottes. Nur aufgrund von Gesetzen können
wir existieren und unser Leben planen. Die biblischen Berichte bekennen Gott
als den Schöpfer und den Gesetzgeber der Welt. „Im Anfang schuf Gott den Himmel
und die Erde“ (1. Mose 1,1). Das hier verwendete hebräische Wort für „schaffen“
charakterisiert ein Tun, das allein von Gott ausgesagt wird. Nur er schafft,
ohne auf vorhandenes Material zurückgreifen zu müssen. Und Gott setzt auch die
Ordnungen der Materie, und sie gelten allen Menschen: „Gott lässt seine Sonne
aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte“
(Matthäus 5,45). Erst die Naturgesetze ermöglichen die Ausübung des
Schöpfungsauftrages, des Bebauens und Bewahrens. Deutlicher als früher erkennen
wir allerdings heute, dass unseren Planungen und Prognosen Schranken gesetzt
sind.
Gebet und Physik
So wird
es vorstellbar, dass die in der Physik ins Blickfeld gekommene Offenheit der
Zukunft ein Feld des freien steuernden Eingreifen Gottes ist. Er könnte
beispielsweise auf diese Weise spontan auf ein Bittgebet reagieren. Vielleicht
ist für diese Art des Handelns Gottes ein Bild aus unserer ureigenen Erfahrung
hilfreich: Die Welt ist keine Maschine, sondern eher ein Organismus wie unser
Körper. Vieles läuft darin gesetzlich, „wie von selbst“, ab. Aber der Körper
reagiert auch auf unsere Willensimpulse und gehorcht uns – offenbar ohne dabei
Naturgesetze zu verletzen. Allerdings wissen wir nicht, wie der dabei
angenommene Interaktionismus wirklich vor sich geht.
Dass Gott
mit seiner Schöpfung handelt, ist für den Christen offenbar. Wie er das tut,
wissen wir streng genommen nicht. Wir können lediglich Denkmöglichkeiten im
Rahmen unseres jeweils gültigen Naturbildes aufzeigen, um so Denkbarrieren
abzubauen. Im Grunde sind das dann Formulierungen christlicher Bekenntnisse in
naturwissenschaftlicher Sprache. Und das Erfreuliche ist, dass solche
Bekenntnisse heute leichter, zwangloser zu formulieren sind als im letzten
Jahrhundert in dem zum materialistischen Weltbild ideologisierten Naturbild der
Neuzeit.
Die Garantie Gottes
Laut biblischem Zeugnis ist Gott nicht nur Schöpfer und
Gesetzgeber, sondern auch Erhalter der Welt. Im Neuen Testament heißt es von
Jesus Christus: „Alles ist durch ihn und auf ihn hin erschaffen; und er ist vor
allem, und alles hat in ihm seinen Bestand“ (Kolosser 1,16b–17). Durch seinen
Willen hat die Schöpfung so lange Bestand, bis sie einmal durch den neuen
Himmel und die neue Erde abgelöst wird. Die physikalischen Erhaltungssätze
lassen vielleicht etwas davon ahnen, dass hier Chaosmächte in Schranken
gewiesen werden müssen. Jedenfalls garantiert Gott nach der Sintflut dem Noah
ausdrücklich den zeitlichen Bestand der Gesetze: „Solange die Erde steht, soll
nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und
Nacht“ (1. Mose 8,22). Wir Naturwissenschaftler haben keine tiefere Einsicht,
wenn wir heute von Energieerhaltung, Bahn- und Eigendrehimpulserhaltung reden.
Nicht beantworten können wir mit wissenschaftlichen Mitteln die Frage, warum die
Naturgesetze über die Zeit hinweg konstant bleiben. Dass jeden Tag erneut die
Sonne aufgeht, wird plötzlich fragwürdig und ist wieder ein Grund zum Wundern!
Prof. Dr. Peter C. Hägele, Ulm
Aus. IdeaSpektrum 2/2006, S.
20f. Der ausführliche Beitrag ist auf der Internetseite des „Instituts für
Glaube und Wissenschaft“ (www.iguw.de)
abrufbar.