Gnade

Rolf Scheffbuch

Gehalten am 28.10.1984 im Martin-Luther-Haus in Schorndorf

2. Mose 34, 4-10

 

Liebe Gemeinde, nun wird es mal wieder Zeit, dass ich hier predigen darf. Vor meiner Urlaubsreise nach Brasilien war ich an manchen Stellen im Bezirk, aber dann nicht mehr hier im Gottesdienst.

Aber, jetzt würde mich am meisten drängen, einiges zu erzählen von dieser eindrucksvollen Reise. Drei Wochen Brasilien, von den lieblichen Bergen und Tälern von Santa Katharina, wo schon vor 150 Jahren Einwanderer aus dem Hunsrück und aus Pommern den Urwald gerodet haben und herrliche Farmen angelegt haben. Ich soll Grüße bestellen von Karl Scheifeld und Gustav Braun, im Jahr 1927 sind fünf Schorndorfer CVJMler in die Mission gegangen mit dem Bruder Behr zusammen, und Richard von dem war dieser Gustav Braun und Karl Scheinfeld und Frauen Hospitäler Schulen aufgebaut und Kirchen und Gemeinden gegründet. Auf Pferden sind sie durch die Urwälder gegangen um Gemeinde zu sammeln, die fühlen sich noch im hohen Alter mit uns verbunden. Ich könnte erzählen von den Weiten von West-Parana, wo der junge Boden, vor zwanzig Jahren gerodet, drei Ernten im Jahr bringt, Sojabohnen, dann Mais, und dann noch Weizen. Unheimlich großartige Eindrücke, eine mutige Kirche, die Evangelisch-Lutherische Kirche in Brasilien, die sich den Missionsaufgaben stellt. Aber das Eindrucksvollste waren zwei Tage zusammen mit den Geschwistern von den Gemeinschaften in Brasilien, oben im Hochland von Mato Predo, da ist Schwarzwald, das haben die auch. Und wir haben nachgedacht, was ist da eigentlich diese Gnade Jesu Christi. Das letzte Wort in der Bibel heißt ja, die Gnade des Herrn Jesu sei mit allen. Sie kennen das schöne Wort aus dem 2.Korintherbrief: Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus... Und das ist mir so wichtig geworden, was wir da zusammengetragen haben. Noch faszinierender als die Weite der fruchtbaren Felder, die Macht der Gnade Jesu ist mir ganz neu aufgegangen. Und ich hab‘s mitgenommen, noch verpflichtender als die vielen Grüße, die ich bestellen soll. Ich möchte diese Macht der Gnade Jesu neu in mein Leben herein erbitten. Ich möchte auch in Schorndorf vielen in der Gemeinde noch viel wichtiger sagen. Dass alles darauf ankommt, dass diese Gnade nicht bloß ein schönes Wort ist, sondern mein Trost, meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Lass dir an meiner Gnade genügen. Eine Macht, selbst in einem schwachen Körper. Und da bin ich nach dem Heimkommen an den Predigttext gegangen für den heutigen Sonntag und hab gedacht, ach das ist aber herrlich, da steht auch etwas von der Gnade drin.

2. Mose 34. Der Predigttext, der uns in der Gemeinschaft der Kirchen – DDR, Bundesrepublik, und auch Brasilien zusammenbindet. Wie Mose zum zweiten Mal zittert. Auf die Höhe des Sinai steigt, um Gott zu begegnen. Nachdem Israel sich vermessen hatte, die Herrlichkeit Gottes einzutauschen mit einem Götzenbild, einem Stierbild. Darf ich noch einmal vor Gott kommen? Wird er noch einmal einen Bund mit uns schließen?

(2.Mose 34, 4-10)

Mose stand am morgen früh auf und stieg auf den Berg Sinai, wie ihm der HERR geboten hatte, und nahm die zwei steinernen Tafeln in seine Hand.

Und Mose und rief den Namen des HERRN an.

Und der HERR ging vor seinem Angesicht vorüber, und tat Mose kund seinen Namen und rief aus: HERR, HERR, Gott, barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Gnade und Treue,

der da Tausenden Gnade bewahrt und vergibt Missetat, Übertretung und Sünde, aber ungestraft lässt er niemand, sondern sucht die Missetat der Väter heim an Kindern und Kindeskindern bis ins dritte und vierte Glied!

Da neigte sich Mose eilends zur Erde und betete an und sprach: Hab ich, HERR, Gnade vor deinen Augen gefunden, so komme der Herr in unsere Mitte, denn wir sind ein halsstarriges Volk; und vergib uns unsere Missetat und Sünde und lass uns dein Erbbesitz sein.

Der HERR sprach: Siehe, ich will einen Bund mit euch schließen.

Für Mose wäre es Gnade gewesen, wenn Gott nicht den Lavastrom seiner Heiligkeit verzehrend über das Volk fallen lässt. Wenn der heilige Gott kommt, wenn ich seinen Namen anrufe, wenn er mit der ganzen Glut seiner Heiligkeit bei uns erscheint, dann schmilzt der uns weg, denn verdient habe ich Gnade nicht. Merken wir, das ist noch einmal ein ganz anderes Verständnis von Gnade. Wir haben es ja so verwässert. Wenn wir zu einem Menschen sagen: Komm, ich mach‘s gnädig, dann ist das so, als wenn ich sage, komm, mach halblang, dann ist bei uns Gnade. Und Mose hat gewusst, Gnade ist, wenn Gott mich noch einmal leben lässt, so wie wir singen „Lass mich dein sein und bleiben“, lass mich noch einmal so sein, das wäre Gnade. Und Gott sagt: O du dummer Kerle, ich versteh‘s nicht ganz. In meinem Innersten ist doch nicht der Zorn, ist doch nicht die Heiligkeit, die dich verbrennen will, ich will dir mal sagen, mit wem du es zu tun hast, nicht bloß mit dem Herrgott, mit dem Jahwe, mit dem Ich bin-der-ich-bin, sage dir mal meinen richtigen Namen, wer ich wirklich bin, Herr, Herr, Gott, barmherzig, gnädig, geduldig, von großer Gnade und Treue. In meinem Innersten brennt die Lavaglut der Liebe.

Ja, aber da steht doch auch was, wie Gott, dass du die Missetat der Väter heimsuchst, sagt Gott, hörst du‘s denn nicht? Ich bewahre meine Gnade bis ins tausendste Glied, und wenn ich strafe, dann geht’s bis ins dritte und vierte Glied. Das steht doch in gar keinem Verhältnis. 0,3%! Und das findet die Bibel ernst nehmen, hat die Glut der Gnade Gottes zusammengeschmolzen, und die Menschen haben sich schon erschreckt bei diesem Gedanken, dass Gott Sünde der Väter heimsucht. Wenn Sie an einem Kinderbett saßen, und das Kind im Fieber schrie: Wird jetzt das Fluchen vom Großvater heimgesucht? Dass da die Großmutter bisschen mit dem Aberglauben hatte? Wird meine eigene Gottvergessenheit am Kind heimgesucht? Die Bibel gibt verlässlich Auskunft: Gott hat das zusammenschnurren lassen, seinen Zorn. Jesaja 40 heißt es: Tröstet mein Volk. Sagt ihr, dass ihre Sünde vergeben ist. Der Vers „zwiefache“ - schon nach zwei Generationen sagt Gott, ach kehrt wieder heim, ich warte nicht das dritte und vierte Glied ab, und wenige Jahre später, Hesekiel 18, die Väter sollen nicht mehr ihre Sünde den Kindern vererben, die Kinder sollen nicht mehr sterben für die Sünde der Väter, sondern wer sündigt, soll sterben, oder er bekehrt sich, dass er lebt. Sogar bei dem, der schuldig ist, gibt es eine Umkehr! Merken Sie, die Gnade Gottes, die breitet sich immer mehr aus. Die Gnade Gottes ist eine Macht, die auf unser Leben überspringen will. Der Mose hat gemeint, das sei bloß für ein paar Augenblicke, wenn uns bewusst wird, dass ich unwürdig bin. Der Herr sei gnädig. Und Gott sagt: Ich möchte doch mit meiner Gnade eine Kraft in dein Leben hineinkommen lassen, dass dich jede Stunde prägt, noch im Schlaf soll meine Gnade dich umfangen. Dein Denken soll eingebettet sein in meine Gnade, deine Entscheidungen sollen durchwirkt sein von meiner Gnade. Deine körperliche Schwachheit soll getragen und geführt werden von meiner Gnade. Deine Trauer soll gehalten sein von meiner Gnade. Dass Gott uns nicht wegwirft, sondern annimmt, ist Gnade. Dass Gott nicht wegschaut, sondern seinen Blick auf uns gnädig ruhen lässt: Der Herr hebe sein Angesicht über dich und sei dir gnädig. So hören wir es in jedem Gottesdienst im Segen. Dass Gott auf uns schaut mit Augen der Liebe ist Gnade. Das hat mich beschäftigt, wann habe ich die Gnade, je einmal in meinem Leben, um Gnade Gottes gebeten, wann hab ich‘s für mein Leben abgerufen, ich hab schon so oft gebetet: Herr, mach mich klug, lass mich nicht in Versuchung, find eine Lösung, ich hab in Notlagen gebetet, lass mich deine Wunderkraft erleben, ich hab Führungen, die Heilung Gottes erbeten, und hab sehr viele Gebetserhörungen erlebt, wie Sie auch. Wann haben wir die Gnade Gottes abgerufen, die Gott uns so wichtigmachen will? Das ist mein innerstes, mein eigentliches, die Macht meiner Gnade. Weil wir da so bedürfnislos sind, so wie zugeschnürt, wenn‘s ums allerwichtigste geht, deshalb hat uns Gott seine Gnade noch einmal wichtig gemacht. Bei Mose hat er‘s hineingerufen. Über dies Gebirge des Sinai weg, so bin ich gnädig, barmherzig, geduldig, von großer Gnade und Güte, der da Gnade bewahrt bis ins tausendste Glied. Aber in Jesus hat er‘s uns anschaulich gemacht. Die Gnade, die mit Jesus verbunden ist, Johannes 1 heißt es: Die Gnade ist durch Jesus Christus geworden, was eigentlich Gnade ist, haben wir mit Jesus erst erfahren. Und von seiner Fülle haben wir genommen Gnade um Gnade. Wie, wenn wir‘s erst jetzt entdecken können, was es überhaupt mit Gnade ist. Gott wollte uns nicht bloß etwas zurufen, nehmt‘s doch, sondern wollte uns etwas sehen lassen. Wir, die wir so spät aufstehen, können es nicht so leicht verstehen. Dann geht es, wenn es geschehen ist, nicht bloß gehört haben. Mit eigenen Augen gesehen. Gott hat uns in unsere Welt diesen Jesus geschickt, und das Kreuz Jesu aufgerichtet als das Zeichen des gekreuzigten Jesus immer wieder in unserer Mitte sein, dass unser Auge drauf fallen soll, du, das gilt. Wir wissen, wie der Herr Jesus im Garten Gethsemane gerungen hat mit seinem Vater: Vater, ist es nicht möglich, dass dieser Kelch von mir geht? So tröste dich, dass der Herr Jesus auch nicht bloß so, auch ins Leiden gegangen ist, musste das sein, Vater, du bist doch barmherzig. Israel hat doch das so bekannt. Was wir vorher im Psalm gebetet haben. Der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit. Barmherzig und gnädig ist der Herr, so hoch der Himmel über der Erde ist, lässt er seine Gnade walten, lieber Gott, das müssen doch Menschen wissen. Dass wenn sie schuldig sind, sie zu Gott kommen können. Du bist gnädig, du kannst Sünde vergeben. Du bist doch hoffentlich auch gnädig über mich, warum sollte ich an den Kreuzespfahl gehängt werden, muss es sein? Ja, Jesus gehe. Wir wissen‘s aus Johannes drei, so wie die eherne Schlange aufgerichtet war im Lager Israels. Und wer seinen Blick hochhob und dies Zeichen sah, wusste: Gott hat Rettung für mich bereit. So soll das Kreuz Jesu aufgerichtet sein. Man soll wissen: Du, es ist in Kraft, es ist nicht nur eine komisches ding. Erste den der Herr Jesus mitgenommen hat als Frucht seines Gnadentodes war ein Mörder. Und dann ist er dem Thomas erschienen. Dem Zweifler, und dann ist er dem Petrus erschienen, der ihn verleugnet hat. Du, so ist die Gnade Gottes, die du an Jesus siehst, so. Für Unwürdige Leute. Dass Jesus ihnen seine ganze Liebe schenkt. Ihren Zweifel überwindet durch die Gnade. Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus. Wie konnte der Apostel Paulus davon reden? Ich war ein Verfolger und Schmäher. Wenn einer ein Sünder war, dann war ich‘s. Aber 1.Timotheus 1, es ist desto reicher gewesen die Gnade unseres Herrn Jesus Christus. Die hat‘s geschafft, mich. Herumgeholt. Die Gnade Jesu steht nicht in der Bibel, die wirkt sich in unserem Leben aus. 1. Korinther 15 von Gottes Gnade bin ich was ich bin und seine Gnade ist an mir nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe mehr gearbeitet als sie alle, aber nicht ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist. Die Gnade Gottes kann sich sogar auswirken, dass wir mehr schaffen können, als nicht mit Gnade. Die Gnade Gottes kann sich auswirken, dass wir selbst Tage des Leides tragen können. Ich habe zum Herrn gefleht, dass er die Krankheit von mir nimmt, und er hat mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Du kannst dahin gestellt sein – Paulus. Krank, und trotzdem voll Gnade, voll ansteckender Kraft Gottes. Der Timotheus war magenkrank, war ängstlich, war junge, und Paulus sagt: So sei nun stark, mein Sohn, durch die Gnade Jesu Christi. Mensch, du bist ein Kerl, wenn du die Gnade Gottes hast. Diesen Denkzettel hat uns Gott gegeben, uns, die wir oft sogar nicht begierig sind nach Gnade. Diesen Denkzettel Jesu, dass es die Gnade gibt. Das ist eine Macht, die unser Leben verändern kann. Epheser 1 Auf dass wir etwas seien zum Lob seiner herrlichen Gnade. Ja, wie was, Jesus gesagt hat, wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen. Jetzt sagen Sie vielleicht: So groß will ich es gar nicht, das ist eine Nummer zu groß für mich, ich will gar nicht, dass von meinem Leibe Ströme lebendigen Wassers fließen. Und da sagt uns die Heilige Schrift, du, Jesus ist doch ganz praktisch für dich gestorben, für diesen Fluch und die, deren Phantasie verderbt ist, voll Ehrgeiz ist, voll Ungeduld ist, er ist gestorben, für jedes böse Wort, für all unsere Versäumnisse, ist gestorben für alle, die wir gegen Gott sind. Wenn wir diesen Katalog ansehen, da können wir jeden Punkt ankreuzen. Ist alles für mich. Und da sagt die Bibel, dann ist alles andere auch für mich. Was Jesus erworben hat, er ist gestorben für unsere Sünden, dass wir Zugang hätten zum Vater. Er trug unsere Schuld, auf dass wir Frieden hätten. Dass wir die Gnade Gottes hätten. Die Freude Gottes, die Macht, die bei Jesus ist. Jesus zahlt seine Gaben der Gnade nicht bloß in kleiner Münze aus. Sondern, wie wir vorhin in der Schriftlesung gehört haben, wie die Sünde geherrscht hat zum Tod, das haben wir alle erlebt, so dass wir alle sagen können, das, was ich nicht will, das tu ich. Dass die Sünde herrscht, da sagt der Paulus, es muss Gnade herrschen in eurem Leib zur Herrlichkeit Gottes. Wir dürfen‘s für uns ganz neu abrufen, das ist für Sünder, für schwache Leute da. So ist eben Jesus für Sünder da. Diese Macht, auf dass die Sünde nicht mehr herrsche in eurem sterblichen Leib, sondern dass uns Gnade herrsche. Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Gnade und Güte. Wir wollen es für uns abrufen, für uns gelten lassen, wir wollen Leute der Gnade Gottes sein. Amen.