14/08

 

Sonntag, 6. April 2008

Rolf Scheffbuch

 

Thema: „Mehr als ein frommer Wunsch!“

Hebräer 13, 20-21

 

Liebe Gemeinde,

 

1975 feierten wir im damaligen Neckarstadion den ersten großen Gemeindetag. Es war ein Tag voller Wunder! Am liebsten würde ich davon jetzt eine Stunde lang erzählen, liebe Gemeinde! Dass damals keine Bombe gezündet wurde, wie doch die Polizei gefürchtet hatte! Dass das vom Wetterdienst angesagte Unwetter erst losbrach, als die letzten Besucher das Stadion verlassen hatten. Bei dem Vielen, das hilfreich vor bedacht worden war, war eigentlich nur das eine vergessen worden, nämlich wer denn das segnende Entlasswort nach dem Schluss-Choral sprechen sollte. Pfarrer Fritz Grünzweig stieß mich an: „Rolf, sprich ein Segenswort!“ Da stieg – wie aus verschütteten Quellen – in mir die Erinnerung auf an den Leiter meiner einstigen amerikanischen Universität. Der hatte in besonders wichtigen Augenblicken uns dem „Gott des Friedens“ anbefohlen mit den so tief ansprechenden Worten: „Now may the God of peace, who brought back from the dead our Lord Jesus, make you perfect to do his will..!“ So sagte ich den Tausenden von Teilnehmern in die Weite des Stadions hinein dies Segenswort aus dem Hebräerbrief:

 

„Der Gott des Friedens aber, der den großen Hirten der Schafe, unsern Herrn Jesus, von den Toten heraufgeführt hat durch das Blut des ewigen Bundes, der mache euch tüchtig in allem Guten, zu tun seinen Willen, und schaffe in uns, was ihm gefällt, durch Jesus Christus, welchem sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.“

 

Nachher passte mich unten am Podium eine junge Dame ab. Sie fragte: „Sie haben zum Abschluss einen so eindrücklichen frommen Wunsch gesprochen. War das eigentlich ein  irisches Segenswort, oder stammt das Wort von Bonhoeffer?“ Sie war dann überrascht, dass so etwas in der Bibel zu finden sein soll.

 

Dieser Segen vom Ende des biblischen Hebräerbriefes ist ja alles andere als eben ein frommer Wunsch.  Wünsche mögen uns bis zum Lebensende begleiten. Meist werden es Wünsche sein, die wir für uns selbst haben. Gelegentlich müssen wir uns aber auch mühen, Wünsche für andere in Worte zu fassen. Bei fast jedem Geburtstagsbrief tue ich mich schwer, die Wünsche auch angemessen zu formulieren, zugleich aber auch so, dass Banalitäten vermieden werden.

 

Die Bibel jedoch speist uns nicht mit gut gemeinten Wünschen ab. Vielmehr erinnert sie uns an geltende Tatbestände. Sie macht uns wach für göttliche Realien, also für Wirklichkeiten, die unser Leben bestimmen möchten. An vier dieser elementaren Tatbestände möchte ich mich zusammen mit Ihnen erinnern lassen.

 

Jedoch muss ich zuvor etwas klärend einschieben. Denn der Begriff „Tatbestände“ nimmt sich so funktionalistisch aus, fast nüchtern - kalt. Dabei ist schon allein die Sprache des Segenswunsches aus dem Hebräerbrief von einer das Herz erwärmenden Schönheit, von einer erhebenden dichterischen Würde. Schon im Griechischen ist das so – und es wirkt nach bis hinein in die Übersetzung von Martin Luther mit ihren wohl klingenden Vokalen („den großen Hirten der Schafe … durch das Blut des ewigen Bundes … der mache euch tüchtig in allem Guten..“ .).

 

Noch wichtiger jedoch ist das andere: Diese schöne Sprache ist gesättigt mit geheimen biblischen Stichworten. Sie wollen verhindern, dass nicht noch länger so arg flach von Gott geredet wird. Etwa so, dass „er liebt und liebt und liebt“! Mit den Verweisen auf Begebenheiten aus der Ur- Zeit Israels bekommt das, was wir von Jesus wissen sollen, die nötige Perspektive. Die Bibel redet von einem Gott, der mit den Menschen leidet, der um sie ringt, der sein Heil plant, ankündigt, und dann auch verwirklicht. Da herrscht keine langweilige Statik vor, sondern da ist Bewegung. Da ist nicht einfach alles flach eingeebnet, sondern da gibt es eine Tiefendimension, ein Vorher und ein Nachher, ein erstes Ahnen und eine spätere vollgültige Erfüllung. Lassen Sie es mich gleich ganz anschaulich zeigen:

 

„Gott ist Friede!“ Einst hatte das ein junger Mensch namens Gideon in namenlosem Staunen entdeckt. Das Buch der Richter erzählt uns davon (vgl. Richter 6, 11ff): Dort in Ophra auf den kargen Höhenzügen Israels hatte nämlich jener kleine, völlig unbedeutend scheinende junge Mann aus dem Mini- Stamm Manasse mit Gott gehadert. Er hatte nach Stammtisch- Art über Gott und Welt vor sich hin „gebruddelt“, - anders kann man’ s eigentlich nicht bezeichnen. Es ging bei ihm nach der Leier, wie sie seitdem immer wieder angestimmt wird: „Wo ist denn Gott? Und weshalb lässt er eigentlich all das Bittere zu? Wenn es ihn überhaupt gibt, dann hat er sicher kein Interesse an uns!“

 

Mit einem Mal jedoch war alles total verändert. Nämlich als dieser Gideon begriff: „Gott ist ja unheimlich nahe! Der heilige Gott ist es, der mir nahe ist! Der muss sich nicht vor mir verantworten. Es ist vielmehr so: Wenn der mich fragt, was denn mit mir los ist, dann muss ich vergehen! Er hätte alles Recht dazu, mich – wie wir so sagen – ‚ungespitzt in den Boden hinein zu hauen’!“ Als dies dem Gideon schlagartig bewusst wurde, da konnte er nur noch stöhnen - und es war wie ein Hilfeschrei, wie ein Stoßgebet: „Ach, Herr! Ach, Herr!!“

 

Dies merkwürdige Bußgebet hat Gott gnädig angenommen. Das war es, was Gott durch seinen Boten dem Gideon ausrichten ließ: „Friede sei mit dir! Fürchte dich nicht!  Du wirst nicht sterben!“ Da baute - so berichtet die Bibel prägnant – Gideon dort dem Herrn einen Altar und nannte ihn: „Gott ist Friede!“

 

Was damals Gideon mit dem Bekenntnis „Der Herr ist Friede!“ in Worte fasste, das hat über ein Jahrtausend später der Apostel des Hebräerbriefs bewusst zitiert. Ich denke, er hat das getan, weil das Erleben des Gideon so etwas wie ein Schlüsselerlebnis gewesen war – ein erstes Ahnen von dem, was dann mit Jesus vollgültig geworden ist. Auch, weil es viel prägnanter, viel sachgemäßer das Wesentliche auf den Begriff bringt: Nicht nur „Gott geht uns nach!“, oder „Gott zeigt Verständnis für uns“, oder „Gott ist uns tröstlich nahe“ – was ja alles durchaus stimmen mag. Aber wenn wir von Gott reden, dann sollte dies Wissen mitschwingen: Eigentlich hätte Gott alles Recht, mich in die Wüste zu schicken, mich, der ich ihn oft behandle wie einen lästigen Schatten. In menschlichen Ehen, die so voll Liebe und Begeisterung begonnen wurden, genügt eine Reihe von Missverständnissen und von anderen Ansichten, dass schmerzlich beschlossen wird: „Gut, dann lassen wir’ s eben! Dann gehen wir eben auseinander!“ Erst recht hätte Gott das so zu jedem von uns sagen können. Gott wäre in vollem Recht, wenn er die Beziehungen zu mir endgültig abbrechen würde. Aber er tut das Gegenteil davon! Er wirbt um mich voller Liebe, wie wenn er etwas davon hätte. Er hat mit mir noch Großes vor! „Friede sei mit dir! Fürchte dich nicht! Du sollst nicht sterben!“ Das ist der

 

Tatbestand Nr. 1: Dass Gott auch mit mir im Frieden leben will!

 

Aber nicht nur an Gideon hat sich der segnende Apostel des Hebräerbriefs erinnert, sondern noch viel mehr an Mose. Von Mose heißt es beim Propheten Jesaja: „In den vorigen Zeiten hat Gott den Mose aus dem Wasser gezogen, damit die Herde einen Hirten hat“ (vgl. Jesaja 63, 11). Merken Sie, wie bis in die Wortwahl hinein das hier in unserem Segenswort aufgenommen ist? (Gott hat den großen Hirten der Schafe von den Toten heraufgeführt.)

 

Ich könnte es verstehen, wenn Sie einzuwenden versucht wären: „Was sollen denn diese alten Geschichten? Was soll uns denn mühsam verklickert werden?“ Aber mir ist ganz neu bewusst geworden: Kein moderner Vergleich kann es aufnehmen mit den Gottesgeschichten der Bibel: Sie allein sind homogen, artgerecht, wesensverwandt mit dem, was Gott in Jesus gewirkt hat. Als damals die Tochter des Pharao den kleinen Mose aus dem Wasser des Nils zog, da war das der Beginn einer göttlichen Sternstunde für sein bedrängtes Volk Israel. Einst schien das Kindlein Mose dem Untergang geweiht, als das Kästchen im Brackwasser des Nils vor sich hin dümpelte. Aber genau dies kleine Wesen, mit dem es total aus gewesen zu sein schien, das hat dann Gott aus dem Wasser ziehen lassen, um der verstörten Herde des versklavten Volkes Israel einen Hirten zu geben, einen Erlöser, einen Herausführer, einen Befreier. Das war großartig. Zugleich jedoch war das damals nur wie ein Vorspiel, wie eine Vorankündigung einer noch einmal ganz anderen Sternstunde. Nämlich da der „Gott des Friedens“ Jesus „von den Toten heraufgeführt hat“. Damit sollten wir jammerwürdig verschmachteten und zerstreuten Schafe (vgl. Matthäus 9, 16) endlich einen Hirten bekommen, der befreien und erlösen und auf „rechter Straße leiten“ kann.

 

„Ich will mich nicht mehr selber führen, du sollst als Hirte mich regieren; so geh denn mit mir aus und ein. Ach, Herr, erhöre meine Bitten und leite mich auf allen Tritten! Ich gehe keinen Schritt allein!“ Das war durch Jahrhunderte das württembergische Konfirmationslied („O Gottes Sohn, du Licht und Leben“). Darüber staune ich, je älter ich werde, und je fragwürdiger mir meine eigenen Entschlüsse und Wünsche vorkommen: Ich muss ja gar nicht meinen Kopf durchsetzen! Es ist Dummheit, zu meinen, ich müsse mein Leben selbst in die Hand nehmen! Denn das ist doch barmherziger

 

Tatbestand Nr. 2:  Mir ist Jesus als der große Hirte zugedacht!

 

Das soll uns gerade heute am Sonntag vom „guten Hirten“ neu bewusst werden. Aber Gott hat uns sogar  n o c h  mehr zugedacht! Kann es denn wirklich  n o c h  mehr geben? O ja, es lohnt sich, der Spur nachzugehen, die doch Jesus selbst freigelegt lagt. Jesus selbst war es, der auf Mose hingewiesen hat mit den Worten: „Wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss auch der Menschensohn erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben“ (Johannes 3, 14f). Der Apostel des Hebräerbriefs war ja fasziniert davon, in den Begebenheiten des Alten Testamentes Spuren zu entdecken, die zu Jesus hinführen. Ach, wie sind wir – verglichen damit – zu unserem eigenen Schaden bibel- „blind“ geworden!

 

Wie schön, wie hilfreich wäre es, wenn wir uns von der Entdeckerfreude des Hebräer- Apostels anstecken lassen! Dem wurde nämlich bewusst: So wichtig und so einschneidend es auch sein mag, dass Gott uns Jesus als Hirten zugedacht hat, noch wichtiger war doch für den Mose, dass er dort am Sinai den Bund Gottes mit dem Volk Israel rechtsgültig versiegeln durfte, sozusagen notariell in Kraft setzen durfte. Von jenem heiligen Augenblick damals wird berichtet: „Mose nahm das Blut, sprengte es an den Altar, und besprengte mit dem Blut das Volk und sprach: „Seht, das ist  Blut des Bundes, den der Herr mit euch geschlossen hat“ (2. Mose 34, 6ff). Damals wurde für Israel fest gemacht: „Das gilt jetzt unkündbar: Ihr gehört Gott! Gott möchte euch annehmen! Wir sind sein eigen!“

 

So ist erst recht Jesus „in seinem eigenen Blut“ von den Toten „heraufgeführt worden“ zu Gott. Jesus hatte bei der Einsetzung des Abendmahls vom „Blut des neuen Bundes“ andeutend geredet  (wir hören es ja wieder und wieder bei unseren Abendmahlsfeiern.). Gott hat den Jesus zu sich von den Toten heraufgeführt, der den neuen, ewig gültigen Bund in Kraft gesetzt hat und dadurch bis heute uns die Gewissheit schafft: „SEIN bin ich ganz eigen, das muss sich wohl zeigen!“

 

Wir sollen nicht länger – wie einst ein Philosoph unserer Tage formuliert hat – „heimatlose Zigeuner am Rand des Universums“ sein, sondern Gott gehören. „Ewig, ewig, bin ich dein, ewig dir, mein Gott erkaufet!“ Das gering zu achten, ist schlimmer als Ehebruch, Betrug und Totschlag zusammengenommen! Das zu bezweifeln, ist die eigentlich gröbste Sünde. Denn das ist doch durch das „Blut des neuen Bundes“ in Kraft gesetzter

 

Tatbestand Nr. 3: Ich soll rechtsgültig dem Gott des Friedens gehören!

 

An diese drei Tatbestände werden wir erinnert, wenn wir das Vorrecht haben, dies Segenswort zu hören. Es sind Tatbestände, weit mehr als nur „fromme Wünsche“.

 

Warten Sie jetzt bitte nicht darauf, dass ich noch viele Worte mache zu dem schönen Nachsatz: „ ..der mache euch tüchtig in allem Guten, zu tun seinen Willen, und schaffe in uns, was ihm gefällt, durch Jesus Christus!“

 

Ich habe genug Menschen erlebt, die zwar noch keine Engel waren, aber bei denen zu spüren war: „Da schafft ein anderer! Die geheime Steuerung und die verborgene Dynamik ihres Lebens kommt von Gott.“

 

Es ist doch nur betrüblich, wenn wir genau das in Zweifel ziehen. Lassen Sie mich’ s an zwei Erfahrungen illustrieren.

 

Während meiner Tätigkeit als Leiter des Evangelischen Jugendwerks in Württemberg kam mir all das Planen und Organisieren wie ein herrliches Element vor, in dem ich mich wohl fühlte, sogar mehr noch als der Fisch im Wasser. Da war es eines Tages wie ein Schuss vor den Bug, als der Jüngste unserer Landesmitarbeiter – wir hatten ihm die Protokollführung aufgetragen, mit Bleistift an den Rand des Protokolls schrieb: „Lieber Rolf, lässt Du eigentlich dem lieben Gott auch noch etwas zum Schaffen übrig?“

 

Wir sind ja – wie alle Pfarrleute - im Lauf unseres Lebens oft umgezogen. Jedes Mal war es dasselbe. Wenn wir den Spediteur fragten: „Was können wir selbst mithelfend beitragen?“, dann war die stereotype Antwort: „Es ist das Hilfreichste, wenn sie unsere Leute schaffen lassen und ihnen nicht im Weg stehen!“

 

Wir tun oft so, als sei das „Schaffen“ eine uns Schwaben in besonderer Weise in die Wiege gelegte Charaktereigenschaft. Dabei ist, wenn es wirklich um das „Schaffen“ geht, Gott der unübertroffenen Experte. „Er schaffe in euch, was ihm gefällt!“

 

Wie Sie vermutlich wissen, habe ich ein ganzes Stück meines Herzens an die Frauen und Männer verloren, die auf unserem Korntaler Alten Friedhof bestattet sind. Manchmal ist es mir, als würden sie uns noch heute fragend zurufen wollen: „Wisst denn Ihr eigentlich, was Gott sogar dann noch schaffen und wirken kann, wenn wir meinen, unser ganzes Leben und Wirken sei nichts als ein Fragment gewesen, eine Ruine, eine Schaufel voll Scherben?“

 

Tatbestand Nr. 4: Der Gott des Friedens kann unvorstellbar viel „schaffen“.

 

In unseren Gottesdiensten ist immer wieder zu Gast unser Möglinger Freund Edwin Kelm, langjähriger Bundesvorsitzender der Landsmannschaft der Bessarabier. Als er 14jährig auf der Flucht vor der Roten Armee war, wurde von der Deichselstange weg sein Vater vor seinen Augen von polnischen Partisanen erschossen. Das Leben des jungen Burschen hätte von da an vom Hass zerfressen sein können, von der Anklage gegen Gott.  Aber dann hat der Gott des Friedens eingegriffen, wieder und wieder. Und als sich Edwin Kelm mühsam einen Platz im Leben erkämpft hatte, da machte ihn Gott zum „Werkzeug seines Friedens“. Gott war es, der ihn fähig machen zu fantasievollen praktischen Schritten der Versöhnung zwischen deutschen Vertriebenen und Polen samt Ukrainern und Moldawiern, zwischen schwäbischen Stundenleuten und baptistischen Ukrainern, zwischen Evangelischen und Orthodoxen. Freunde, in kühnsten Träumen ist nicht vorstellbar, was Gott „schaffen“ kann, in uns und durch uns.

Amen.

 

Herausgeber:

Evang. Brüdergemeinde Korntal, Saalstr. 6, 70825 Korntal-Münchingen

Tel.: 07 11 / 83 98 78 - 0, Fax: 07 11 / 83 98 78 – 90; e-Mail: [email protected]

Die Korntaler Predigten können Sie im Internet über www.Bruedergemeinde-Korntal.de als .doc oder .mp3 abrufen.