Donnerstag, 25. Mai 2006
Prälat i.R. Rolf Scheffbuch
Thema: „Die Hauptsache!“
Hebräer 8, 1
18/06 - Himmelfahrt
Liebe Gemeinde!
„Das ist nun die Hauptsache von allem, was wir zu sagen haben: Jesus Christus sitzt zur Rechten Gottes, des himmlischen Vaters!“ Fast wortwörtlich so steht es schwarz auf weiß in der Bibel.
Darf denn das wahr sein? Dass dies die Hauptsache sein soll bei dem, was die Christenheit der Menschheit bekannt zu machen hat! Was hat denn das mit unserem Leben zu tun? Soll es denn wirklich Wichtigeres geben, als dass man jeden Morgen gesund aufstehen kann? Ist denn nicht dies die Hauptsache? Oder dass volkswirtschaftlich der Crash vermieden wird, auf den wir zielstrebig zusteuern? Oder dass die Politiker endlich wieder Mut bekommen zu unpopulären Beschlüssen, die nun einmal nötig sind? Wen kann denn das ernsthaft „jucken“, dass Jesus zu seinem himmlischen Vater erhöht wurde? Zu allem hinzu soll das auch noch „Hauptsache“ sein?
Ja, so steht es nun einmal hier, ernsthaft so gemeint. Damit ja kein Missverständnis entsteht, wird dazu gesagt: Das ist wichtiger als alles, was gelehrt wird „vom Taufen, vom Händeauflegen, von der Auferstehung der Toten und vom ewigen Leben“ (Hebräer 6, 2). Also wichtiger als all das, was unaufhörlich die Theologen beschäftigt, wichtiger auch als all das, worüber sich auch ganz normal fromme Leute in die Haare geraten. Also in welchem Alter und auf welche Weise richtig getauft wird, wie richtig Abendmahl gefeiert wird, was eigentlich nach dem Sterben kommt - ach, all das andere soll die Hauptsache nicht verdrängen, nicht verdunkeln dürfen. Welch ungewohnte, welch kühne Prioritätensetzung!
Dann geht es an Himmelfahrt sogar um Wichtigeres noch als an Weihnachten oder auch am Muttertag. Dass der Erlöser Jesus erhöht wurde zu Gott, das ist die Hauptsache von dem, was wir überhaupt glauben und auch anderen Menschen bekannt zu geben haben.
Drum ist es ein Ruf zur Sache, wenn als das Wesentliche im Christenglauben herausgestellt wird: „Christus ist erhöht zur Rechten Gottes, seines allmächtigen Vaters“. Er hat sich gesetzt zur Rechten der Majestät Gottes! Je länger ich darüber nachdachte, welche Horizonte das für uns öffnen könnte, desto mehr erschloss sich mir:
Für Gott war die Hauptsache das Heimkommen seines Sohnes Jesus! Für Jesus war das eigentliche Ziel, zum Vater erhöht zu werden! Das wird uns quer durch die Bibel wichtig gemacht! Dass Jesus im Himmel ist und unser Heiland bleibt, darüber soll man staunen.
Für Gott war das Heimkommen seines Sohnes Jesus die Hauptsache!
Der heilige Gott hatte den Sohn geliebt, ehe der Welt Grund gelegt war (Johannes 17, 24). Eine elementare, unergründbare, heilige Liebe hat schon vor Ewigkeiten den Vater und den Sohn zusammengebunden. Trotzdem hatte der Vater sich den eingeborenen Sohn vom Herzen gerissen. Weil er sich nicht damit abfinden konnte, dass wir Menschen im Verderben enden müssen. „Fahr hin, mein’ s Herzens werte Kron und sei das Heil der Armen, und rett sie aus der Sünden Not, erwürg für sie den bitter’n Tod und lass sie mit dir leben!“ Diese Worte hat Martin Luther Gott, dem Vater, in den Mund gelegt, um den Schmerz des Vaters deutlich zu machen. Es blieb jedoch dabei, auch als der Sohn in der Ferne war: „Der Vater hat den Sohn lieb“ (Johannes 3, 35; Johannes 5, 20).
Wie bei jeder echten Liebe war es eine Liebe voll Sehnsucht: Wann kommt er wieder heim? Wann wird die Zeit der Trennung vorüber sein? Wann wird es dazu kommen, dass ich sein Angesicht schauen kann?
Nach jeder Weltraummission gibt es weltweit ein Anteilnehmen, ein Bangen, ein Aufatmen, wenn die Weltraumfähre mit den Astronauten glücklich wieder gelandet ist. Wir Älteren wissen noch, wie die Nation vor tiefster Bewegung erschüttert war, als die letzten Kriegsgefangenen aus Russland in Friedland ankamen und unter dem Läuten der Friedlandglocke das „Nun danket alle Gott“ anstimmten. Aber all dies sind ja nur schwache Erfahrungen, verglichen mit der Freude des Vaters, als er den geliebten Sohn nach Vollendung der wahren „mission impossible“ wieder zu sich heimholen, zu sich in Herrlichkeit erhöhen konnte. Gott stellte klar vor aller Welt: Weil sich der Sohn selbst erniedrigt hat bis zum Tod am Kreuz, weil er so für Menschen Erlösung gewirkt hat, „darum“ habe ich ihn „auch erhöht“ (vgl. Philipper 2, 9). Ich habe an ihm wahr gemacht: „Ich will ihn herausreißen und zu Ehren bringen“(Psalm 91, 15).
Jesus hat uns wissen lassen, dass sich der Vater im Himmel namenlos freut, wenn sich einzelne seiner verlorenen Söhne und Töchter aufmachen, um wieder zu ihrem Vater zu gehen. Wie noch einmal ganz anders muss jedoch dann erst die Freude gewesen sein, als der gehorsame Sohn heimgeholt werden konnte! „Der Herr fährt auf unter Jauchzen, der Herr beim Hall der Posaune. Lobsinget unserem Könige!“
Als Gott diesen Jesus erhöhte, da hatte der himmlische Vater in Kraft gesetzt, was schon in den Psalmen angekündigt worden war: „Setze dich zu meiner Rechten“ (Psalm 110, 1). Noch einmal ganz anders als bei der Taufe am Jordan und bei der Verklärung wird die Stimme des himmlischen Vaters erfüllt gewesen sein von Stolz und von väterlicher Freude: „Dies ist mein lieber Sohn, an ihm habe ich Wohlgefallen!“ Das war es, was er der Welt bekannt gemacht hat - und was darum auch die Hauptsache von dem ist, wovon wir reden sollten.
Für Jesus war das eigentliche Ziel, zum Vater erhöht zu werden!
Am frühen Morgen des Auferstehungstages hat das Jesus klargestellt. Damals wollte ihn Maria aus Magdala ungestüm umfangen, vor lauter Freude: „Wie gut, dass wir dich wieder haben!“ Jesus wehrte jedoch ab: „Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater!“
Zuerst sollte das dran sein, dass der Vater ihn wieder hatte und dass er wieder den Vater hatte! Darum machte Jesus weiter: „Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott“ (Johannes 20, 17)! Das war Jubel des Erlösers Jesus, der sein „Werk vollendet“ (vgl. Johannes 17, 4) hatte. Nun ging es nur noch um dies eine: „Vater, verherrliche du mich bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war“ (Johannes 17, 5; siehe auch Johannes 13, 32). Welche Vorfreude schwang bei Jesus mit, als er sagen konnte: „Ich bin nicht mehr in der Welt, Heiliger Vater, ich komme zu dir“ (Johannes 17, 11.13)! Bei Jesus gab es dies aus Urgründen kommende Sehnen: „Ich will schauen dein Antlitz, Gott, in Gerechtigkeit, ich will satt werden, wenn ich erwache, an deinem Bilde“ (Psalm 17, 15).
In seinen Leidenstagen war es für Jesus Halt gewesen, zu wissen: Auch wenn mich alle meine Getreuen verlassen, „bin ich nicht allein; denn der Vater ist bei mir“ (Johannes 16, 33). Er wusste, dass der Vater ihn „allezeit hört“ (vgl. Johannes 11, 42). Darum verbrachte er ganze Nächte im vertrauten Gespräch mit seinem Vater. Ohne diese innigste Verbundenheit konnte er gar nicht existieren, er, der „mit dem Vater eins“ war (vgl. Johannes 10, 30).
Was war das doch für eine elementare Liebe zu Gott, dem Vater! Ich tu mich immer so schwer damit, echt Gott lieben zu können. Wie soll ich denn das machen, Gott von ganzem Herzen und von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit allen Kräften zu lieben? Da bleibe ich ein Leben lang ein Stümper. Aber Jesus war durchdrungen von dieser alles umfassenden und alles überstrahlenden, von dieser alles durchdringenden und heiligenden selbstlosen Liebe zu Gott! Jesus hatte dies Sehnen: Ich möchte heim zu Gott! Zu Gott erhöht zu werden, das war für Jesus das eigentliche Ziel.
Der heilige Geist, den Jesus vom Vater senden will (vgl. Johannes 15, 26), der kann uns die Augen dafür auftun, was damals geschehen ist (vgl. Johannes 16, 7ff). Wenn irgendetwas in dieser Welt in Ordnung gekommen ist, dann dies, dass Jesus dort ist, wohin er rechtmäßig gehört. Dort nämlich, wo die Fäden der Weltgeschichte zusammenlaufen.
Wie wichtig war dies den Aposteln und den ersten Gemeinden, dass Jesus droben beim Vater ist!
Im Neuen Testament taucht erstaunlich oft ein Zitat aus dem Alten Testament auf. Es ist das Wort aus Psalm 110: „Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten“!
Auf dies Zentralwort hatte Jesus sogar noch in seinem Prozess vor dem Hohen Rat Israels hingewiesen. Nämlich als er dies „gute Bekenntnis“ ablegte: Ja, ich bin Christus, der Sohn Gottes. Doch „von nun an werdet ihr sehen den Menschensohn sitzen zur Rechten der Kraft und kommen auf den Wolken des Himmels“ (Matthäus 26, 63 f).
Davon haben dann die ersten Christen in immer neuen Formulierungen geredet. So etwa: Weil Jesus gehorsam war bis zum Tod am Kreuz, „darum hat ihn auch Gott erhöht“ (Philipper 2, 9). „Da er nun durch die rechte Hand Gottes erhöht ist“, hat er den verheißenen heiligen Geist ausgegossen. Denn „David ist nicht gen Himmel gefahren, sondern er selbst sagt: ‚der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten’!“(Apostelgeschichte 2, 33 f).
Von Stephanus wird berichtet, dass er mitten in seinem Martyrium „Jesus zur Rechten Gottes stehen“ sah (Apostelgeschichte 7, 53). Und in den Briefen der Bibel finden sich die Worte: „Suchet, was droben ist, wo Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes“ (Kolosser 3, 1). - Jesus „hat vollbracht die Reinigung von den Sünden und hat sich gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe“ (Hebräer 1, 3). - Der erhöhte Christus ließ ausrichten: „Wer überwindet, dem will ich geben, mit mir auf meinem Thron zu sitzen, wie auch ich überwunden habe und mich gesetzt habe mit meinem Vater auf seinen Thron“ (Offenbarung 3, 21).
Das ist nur eine Auswahl von Worten der Apostel und der ersten Christengemeinden! Das war ihr Thema. Davon haben sie geredet, von dieser Hauptsache. Selbstbewusst, dankbar haben sie davon geredet. Das unterschied ja ihren Glauben von aller anderer Religiosität. Das gilt bis heute: „Niemand ist gen Himmel aufgefahren außer dem Jesus, der vom Himmel herabgekommen ist (Johannes 3, 13). Dies ist der Prüfstein, an dem bis heute alle falschen Propheten zu messen sind.
Davon können wir doch reden! So wie es einst in Schorndorf ein schüchterner Gymnasiast konnte. Damals, in den Jahren der Jugendrevolution, sagte die Lehrerin: „Einmal wird einer, der zur Lösung der Weltprobleme bestimmt ist, ganz groß herauskommen, einer wie Mao oder Che Guevara!“ Da sagte der junge Bursche: „Der kommende Mann ist schon groß herausgestellt worden, Jesus!“ Natürlich gab’s Gelächter, Kopfschütteln. Aber jener Schüler hat von der Hauptsache geredet.
Das ist wirklich von je her die Hauptsache am Christusglauben gewesen! Dass Jesus unüberbietbar regiert, das ist die Hauptsache! Ihm ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden (Matthäus 28, 18).
Es ist unvorstellbar, wie sehr sich dieser zu Gott erhöhte Jesus um uns sorgt und sich nach uns sehnt!
Jesus ist dort zur Rechten des majestätischen Gottes. Denn er ist dazu berufen, wie ein Hohepriester vor Gott fürbittend einzutreten für schuldig und unwürdig gewordene Leute (vgl. Psalm 110, 4 mit Hebräer 8, 1).
Immer wieder heißt es in der Bibel: „Christus Jesus ist zur Rechten Gottes und vertritt uns (tritt für uns ein)“ (Römer 8, 34). Und: „Wenn jemand sündigt, so haben wir einen Fürsprecher beim Vater, Jesus Christus, der gerecht ist“ (l. Johannes 2, 1). „Er kann auch für immer selig machen, die durch ihn zu Gott kommen; denn er lebt für immer und bittet für sie“ (Hebräer 7, 24 f). Christus ist eingegangen „in den Himmel selbst, um jetzt für uns vor dem Angesicht Gottes zu erscheinen“ (Hebräer 9, 24).
Weil Jesus Christus vor Gott betend für seine Leute eintritt, so wie einst in Israel der Hohepriester im Tempel -, darum hat er diesen Ehrentitel, der nur beim ersten Hinhören etwas befremdlich wirkt -: „Wir haben einen solchen Hohenpriester, der da sitzt zur Rechten des Thrones Gottes“. Das große Fürbittegebet des Heilandes Jesus, in Johannes 17 zu finden, nennen wir Christen das „hohepriesterliche“ Gebet. Denn so wie in diesem Gebet bittet bis heute der zu Gottes Rechten erhöhte Jesus für die Seinen.
Einst hat Jesus für Petrus gebetet, dass dessen Glaube nicht aufhöre (Lukas 22, 32). Genau dies ist bis heute die Bitte des erhöhten Jesus für seine Nachfolger. - „Herr, lass ihn noch dies Jahr..., vielleicht bringt er doch noch Frucht“, so ließ Jesus im Gleichnis den Weingärtner zum Herrn des Weinbergs bitten (Lukas 13, 6 ff). Wenn Jesus exakt dieses Gebet nicht schon manches Mal im Blick auf mich gebetet hätte, stünde ich nicht hier. Unser ganzes Christ-Sein lebt doch nicht von unserer Treue, von unserer Hingabe, von unserer Entschlossenheit, von unserer Religiosität. Vielmehr lebt es davon, dass Jesus zur Rechten des Thrones der Majestät Ihren und meinen Namen nennt, lange bevor wir morgens unser erstes Gebet sprechen können.
Wir dürfen uns einklinken in das Fürbitten des „Hohenpriesters“ Jesus, „sitzend zur Rechten des Vaters“. Unser Beten braucht nicht sprachlich perfekt zu sein. Es genügt, dass es wie ein Signal ist: „Ja, bitte, erhalte mich in deiner Fürsorge!“
In der Ewigkeit werden wir einmal, wenn wir dahin gelangen werden, begreifen, wie entscheidend es war, was der zur Rechten Gottes erhöhte Heiland Jesus an uns und für uns getan hat: bewahrend, tröstend, führend, zurechtweisend, zurechtbringend. Seit seiner Himmelfahrt ist Jesus nicht einfach „weg vom Fenster“. Sondern er sorgt sich beim Vater um die Seinen. Er sorgt für sie.
Und wie er sich nach ihnen sehnt! Das war und das ist doch seine Bitte zu Gott und vor Gott: „Vater, ich will, dass die bei mir seien, die du mir gegeben hast, damit sie meine Herrlichkeit sehen““ (Johannes 17, 24). Auch wir werden zu Gott heimkommen dürfen; denn der Jesus, zur Rechten Gottes erhöht, hat es wahr gemacht: „Wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich sie alle zu mir ziehen“ (Johannes 12, 32). Jesus, der uns erbarmend anblickt - auch gerade heute Morgen -, er will es wahr machen: „Ich will euch wiedersehen“ (Johannes 16, 22)!
Oft leide ich darunter, dass ich mich - auch als Christ - mit so vielen Nebensachen herumschlage, mich mit so vielen zweitrangigen Problemen abgebe. Deshalb bin ich dankbar für diesen Weckruf: „Das ist nun die Hauptsache bei dem, wovon wir reden: Wir haben einen solchen Jesus als Hohepriester, der da sitzt zur Rechten des Thrones der Majestät im Himmel!“ So ist es. So soll es sein!
Amen.