07.04.2002
„Er
gibt dem Müden Kraft, und Stärke genug dem Unvermögenden.“
Jesaja 40, 29
Mission hat ihren Preis!
„Ein schönes Stück hat eben auch seinen Preis!“ So meinte cool der Verkäufer,
als ich etwas kritisch das Preisschild musterte. So ist es! Auch Mission, das
„beste Stück“ der Jesus-Gemeinde, hat ihren Preis!
Sie ist unser „bestes Stück“! Wie hat Mission den begrenzten Kirchturmhorizont
aufgebrochen! Wie viele Glaubensimpulse kamen von den Missionsfeldern zurück,
wie viele stärkenden Erfahrungen, wie viele Lieder und Gebete! Welch eine
Chance bietet die Mission, unsere Euros sinnvoller anzulegen als etwa bei
Telekom, weil sie in der Mission umgewechselt werden in Segensernten. Die Mission
hat uns gelehrt: Bei der Kehre hin zu Christus geht es um mehr, als dass der
Lebensstil ein wenig auf „christlich“ gestylt wird; vielmehr geht es doch
darum, dass Menschen aus dem Einflussbereich dämonischer Kräfte herauskommen
und hineinfinden in den Machtbereich des lebendigen Gottes. Die Mission hat uns
bewusst gemacht, dass es mit einem Anfang im Glauben noch lange nicht getan
ist, sondern dass es bewusst der Vertiefung bedarf, oft durch Generationen
hindurch! Aus den ersten Anfängen der Weltmission sind gerade bei uns in
Süddeutschland herausgewachsen die Impulse für Pädagogik und für Sozialarbeit,
wie sie dann gerade in Korntal vorbildlich aufgenommen wurden mit den Rettungs-
und Schuleinrichtungen. Der Impuls hieß damals: „Wenn wir uns schon dafür einsetzen,
dass in der Ferne Heiden zu Christen werden, dann wollen wir erst recht in der
Nähe dafür besorgt sein, dass Getaufte nicht wieder Heiden werden!“
Dass „Mission ihren Preis“ hat, das werden wir heute noch öfter hören. Mission
ist nichts für Abenteurer! Mit Jesus begann Gottes „Operation Mission“ hinein
in unsere Welt Sie wurde jedoch brutal abgeblockt. Jesus wurde wie Fremdgewebe
abgestoßen! – „Wir müssen durch viele Bedrängnisse in das Reich Gottes
eingehen!“ Das war die Erfahrung der ersten Missionsreise der Apostel. Wie
viele Anfeindungen sind zu ertragen! Wie viel Einsamkeit ist auszuhalten, wie
manche Spannung im Missionsteam selbst! Die Geschwister in den
Missionsleitungen haben manche schlaflose Nacht angesichts der Berge von
Fragen, wie es denn weitergehen soll. Das ist der „Preis“ der Mission: Vor sich
eine Fülle von nicht zu bewältigenden Aufgaben, hinter sich aber nicht nur eine
kleine Schar treuer Missionsfreunde, sondern auch ein Heer von
besserwisserischen Kritikern, die es für unnötig, überheblich und schädlich
halten, anderen Menschen „den Glauben aufzuzwingen“ – wie man so sagt -! Aber
was soll am heutigen Fest das Klagen?! Es gilt doch auch heute noch, was einst
der schwäbische Missionspionier Dr. Christian Gottlob Barth gedichtet hat: „Es
ist kein Preis zu teuer, es ist kein Weg zu schwer, hinaus zu streun dein Feuer
ins weite Völkermeer“ (EG 257,3)!
Mission hat doch auch noch einen ganz andersartigen „Preis“: Sie lässt etwas
ahnen von dem großen Lob Gottes, das einmal aus dem Mund vieler Sprachen und
Zungen vor dem Thron Gottes angestimmt werden wird: „Lob, Preis und Ehre sei
dir!“ So geschah es etwa in St. Petersburg, als um 1875 in dem Palast des
Gardeoberst von Paschkow sich im innigen Gebet russische, englische, deutsche
und französische Laute vermischten, als russische Gräfinnen zusammen mit
deutschen Handwerkern und russischen Stallburschen Jesuslieder sangen. Damals
war es wie ein Vorgeschmack für das große Lob Gottes: „Alle Völker werden den
König preisen“ (Psalm 72, 17)!
„Gepriesen“ wurde das „Wort des Herrn“(2. Thessalonicher 3, 1) in vielen
Regionen Russlands, als um 1820 die Russische Bibelgesellschaft zum Staunen der
evangelisch-westlichen Christenheit Zehntausende von Bibeln und Bibelteilen
drucken und unter das Volk bringen konnte. Mission wird ihren „Preis “ erst
noch haben, wenn unter dem Jubel der ganzen Gotteswelt Jesus den so oft über
sich selbst verzweifelten Missionarinnen und Missionaren zurufen wird: „Ihr
seid über Wenigem getreu gewesen, ich will euch über viel setzen; geht ein zu
eures Herrn Freude!“
Aber ich darf jetzt nicht länger den Festrednern von heute nachmittag die
Butter vom Brot nehmen. Sondern ich will aus dem Predigtwort unseres heutigen
Sonntags den einen Vers uns in das Bewusstsein drücken: „Der Herr, der ewige
Gott, ... gibt Stärke genug dem Unvermögenden!“
Der große Gott – und die kraftlosen Leute
Vielen mag das damals „wie im Märchen“ geklungen haben, als Gottes Prophet
ausrichtete: „Der Herr, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat“,
vergisst gerade die Kleinen nicht, nicht die Verachteten, nicht die, die sich
vorkommen, als ob Gott sie einfach aus den Augen verloren hätte (vgl. Jesaja
40, 26-28). Bei Jesus jedoch wurde es real! Jesus hatte den Petrus im Blick,
den erfolglosen Fischer mit seinen von vergeblicher nächtlicher Ausfahrt
rotgeränderten Augen und mit seinem Bewusstsein totaler Unwürdigkeit. Jesus
übersah nicht den zweifelnden Thomas und auch nicht die Emmausjünger, denen
jede Zukunft verschüttet schien Aus dem Tumult am Stadttor von Jericho filterte
Jesus die um Hilfe schreiende Stimme des blinden Bettlers heraus. Noch im
eigenen Sterben erhörte Jesus die Bitte des neben ihm Mitgekreuzigten, dessen
Kräfte auch wie eine Scherbe vertrocknet (vgl. Psalm 22, 16) waren.
Jesus hat eine besondere Liebe zu Menschen, die „nicht mehr können!“ Von denen
gibt es mehr, als wir wissen. Dass „Leib und Seele verschmachten“, das erfährt
leider jeder Mensch - früher oder später. Das ist Menschenschicksal. Auch
Gottes Leute sind davon nicht ausgenommen. Es gibt Leid, das in den Boden
drückt. Es gibt Angst, die wie eine undurchdringliche Wand den Blick verbaut.
Es gibt Sorgen, die uns wie in einen unentrinnbaren tiefen Brunnenschacht
stürzen. Wir ahnen doch kaum, wie viele Menschen dicht neben uns am liebsten
hinaus schreien wollten: „Merkt ihr denn nicht, dass ich am Ende bin?! Was soll
ich denn euch antworten, wenn ihr mich so lieb fragt: ‚Wie geht’s denn auch
so?‘!“
Jesus hat ein Gespür für solche Menschen. Als Gott in Person macht er die große
Gotteszusage wahr: „Ich sehe auf den Elenden und auf den, der zerbrochenen
Geistes ist“ (Jesaja 66, 2). Bis heute gilt das Heilandswort: „Kommt her zu
mir, ihr Mühseligen, ihr Beladenen, ich will euch erquicken!“
Als die leidgeprüfte russische Zarin Maria Feodorowna, die aus Württemberg
stammende Herzogstochter Sophie Dorothea, trotz allen Reichtums und trotz der
liebenswerten Kinderschar um sie her innerlich am Zerbrechen war in der Sorge
um das russische Reich und um den immer wahnwitziger werdenden Ehemann Paul, da
hielt sie sich fest an dem Liedvers, den ihr der Züricher Seelsorger Lavater
gewidmet hatte: „Wenn niemand dich erquicken kann, so schaue deinen Heiland an.
Schütt aus dein Herz in seinen Schoß; denn seine Huld und Macht ist groß!“
Das war erst recht unter Missionsmitarbeitern die Hoffnung derer, die von aller
Kraft entleert waren (das meint ja eigentlich der hebräische Begriff, den
Luther mit den „Unvermögenden“ übersetzt hat. Gemeint sind Leute, bei denen die
letzte Reserve an Kraft wie versickert ist. Johann Albrecht Bengel, dessen
Todesjahr sich heuer zum 250. Mal jährt, sprach gut schwäbisch von Leuten, die
„ausgepompt“ sind.): Der erste Basler Kaukasusmissionar unter Muslimen, Graf
Felician von Zaremba, klagte: „Ich ertappe mich immer wieder dabei, dass ich
viel zu wenig Liebe für die Mohammedaner habe!“ „Ausgepompt“ war Johannes
Goßner, als er nach den Erweckungsjahren in St. Petersburg von heute auf morgen
aus Russland ausgewiesen worden war – und nach ihm waren es der Evangelist
Samuel Keller und so viele um ihres Glaubens willen Niedergemachten und
Deportierten. „Ausgepompt“ war der Afrika-Pionier-Missionar Ludwig Krapf,
drüben auf dem Alten Friedhof bestattet, als er in fünf Jahrzehnten ruhelosen
Einsatzes in Afrika nicht einen einzigen Afrikaner hatte taufen können.
„Ausgepompt“ war der englische Missionspionier William Carey, der auf seinen
Grabstein die Worte setzen ließ: „William Carey, ein elender, armer Wurm. Ich
falle in deine mächtigen Arme!“
Als 1970 eine neue Verfolgungswelle über die Gemeindlein der russischen
Evangeliumschristen-Baptisten ging, da hieß es im Schreiben des „Rates der
Angehörigen der Gefangenen“: „Das Versprechen von Jesus, uns nicht allein zu
lassen, geht bald in Erfüllung... Schöpft die nötige Kraft aus dem Wort: ‚Er
gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden‘! Betet! Seid mutig!“
Die Nichtsmehrkönner sind keine Schande für die Sache von Jesus, sie sind kein
hinderlicher Ballast für ihn. Das ist der „Preis“, den gerade auch die Mission
hat, dass in ihr - stellvertretend auch für andere Unvermögende – erfahren
wird: Zu Jesus dürfen gerade Dürstende kommen, „Ausgepompte“.
Er gibt!
„Der Herr, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, ...gibt dem
Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden!“ ER gibt! Welch ein Grundwort
der Bibel, welch ein Zentral-Verb für das, was Gott tut! „ Er gibt Speise
reichlich und überall!“ Er kann den „neuen, beständigen Geist geben“. „Der Sohn
ist uns gegeben!“ „Ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben!“ „Ich habe vor dir
gegeben eine offene Tür!“ „Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des
lebendigen Wassers!“
Ach, die armen Verblendeten, die das Jammerlied nachleiern: „Gott nimmt! Gott
ruft ab! Gott lässt so viel Not zu! Gott beengt das Leben! Gott richtet überall
dort Schranken auf, wo es schön sein könnte!“ Wie schade! Um so mehr wollen wir
es mit dem Glaubenslied halten: „Wach auf, mein Herz, und singe, dem Schöpfer
aller Dinge, der Geber aller Güter...!“
Gegeben hat dieser treue Gott dem Missionsbund mitten in den Schrecken des I.
Weltkriegs und mitten im Zerbrechen des zaristischen Reiches eine Aufgabe
ohnegleichen. Er hat euch selbstlose Spender und nicht ermüdende Fürbitter
gegeben, er hat euch fähige und fantasievoll arbeitende Mitarbeiter gegeben. Er
hat nach den Jahrzehnten des „Eisernen Vorhangs“ gegeben, dass die marxistische
Herrschaft zerbröselt ist und dass die Grenzen geöffnet wurden. Er hat Euch
neue Herausforderungen gegeben, neue Arbeitsfelder, neue Kontaktgemeinden. Als
wir vor wenigen Jahren im Hafen von Sewastopol einen Gottesdienst mit dortigen
Christen feierten, erzählte eindrucksvoll ein junger Marineoffizier von den
Möglichkeiten, das Evangelium von Jesus unter Matrosen und Offizieren bekannt
zu machen. Das alles hat Gott gegeben! Nicht den Geist der Furcht hat Gott
gegeben, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit! Gott hat euch für
wert geachtet, das Evangelium euch zu treuen Händen zu anzuvertrauen!
Es ist nüchtern, sich klar zu machen, dass Mission ihren Preis hat. Aber lasst
uns doch bitte nicht zu lange allein an diesem Thema bleiben! Sondern bezeugt –
auch gerade um der vielen Unvermögenden willen - was Gott zu geben vermag. Erst
dieser Tage schrieb mir ein Freund: „Es ist für einen Gesunden unvorstellbar,
was Jesus gerade dann zu geben vermag, wenn Gesundheit genommen ist samt langer
Lebenserwartung und auch vieles von dem, was zuvor das Leben lebenswert zu
machen schien!“ Es ist unvorstellbar, was Gott zu geben vermag!
Johannes Busch, der große Jugendevangelist der Nachkriegszeit, der unermüdliche
Troubadour des Heilandes Jesus, sagte einmal: „Gottes Segen kann nicht bei uns
sein, wenn wir gemütlich zu Hause bleiben. Unser Heiland wohnt bei denen, die
sich mit Freuden in seinen Dienst begeben. Wenn sie schon dabei ihr Leben wagen
und Nächte für ihren Herrn unterwegs sind, so hat er so köstliche Stärkungen
für sie bereit, dass ich tausendmal lieber bei den Kämpfern Gottes stehen
möchte, als dass ich um der eigenen Bequemlichkeit willen entbehren möchte, was
unser Herr geben will!“
Er stärkt reichlich!
Reichlich und überall. So gibt Gott Kraft den „Ausgepompten“! Ludwig Krapf hat
es erfahren und William Carey, Johannes Goßner und Graf Zaremba, Zarin Maria
Feodorowna und Oberst Paschkow samt den vielen ungenannten Deportierten,
Verfolgten, Märtyrern. Gott gibt nicht nur Stärke „genug“.
„Genügend“ ist gerade noch „ausreichend“, „vier minus“. Kurz vor „mangelhaft“.
Gott schenkt aber doch „voll ein“! Übergenug! Ich sehe im Geist den slowakischen
Generalbischof Pavel Uhorskai vor mir. Ungebeugt, ungebrochen durch Entehrungen
und Leiden erzählte er von den Verfolgungsjahren. Jahrzehntelang war ihm der
Pfarrdienst durch den Staat verboten gewesen. In Strafarbeit musste er in den
weiten Wäldern Holzfällarbeit verrichten. Aber weil sein Herz voll war von der
Einmaligkeit des Herrn Jesus, rief er das Evangelium predigend in die Wälder
hinein. Als nach der Wende dann die Pfarrerschaft einen Generalbischof zu
wählen hatte, fiel die Wahl auf Pavel Uhorskai, trotz hohen Alters kraftvoll
die Aufgabe anpackend, auffahrend wie ein Adler mit seinen Schwingen.
Viele von uns werden nicht ähnlich ungebrochen durch die Nöte ihres Lebens
gehen können. Es gibt Durststrecken, da der Glaube erlahmt, da das Beten
verstummt, da die Lieder schweigen, da das Miteinander mit Glaubensgeschwistern
in der Gemeinde öde vorkommt. Es gibt gar keines unter uns, das nicht zum Leben
mit Jesus immer wieder einen neuen Anstoß braucht. Denn Gott will doch, dass
wir „laufen und nicht müde werden!“
Sagen Sie nicht so rasch: „‚Laufen‘ will ich mir nicht mehr zumuten.
Hauptsache, es geht wieder ein bisschen weiter!“ O, Gott hat zu seiner Ehre
weit mehr mit seinen Unvermögenden vor! „Knaben werden müde und matt und
Jünglinge fallen. Aber die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie
auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht müde werden, dass
sie wandeln und nicht matt werden“. Reichlich gibt Gott Kraft den
Nichtsmehrkönnern, Stärke übergenug den Unvermögenden. Es stimmt! Bestimmt!
Amen.