Der Abbruch
gehört nun
einmal zum Neubau
Klagen
will ich nicht, o nein! Ich bin Gott für jeden Tag dankbar, den er mich
erleben lässt. Aber nüchtern betrachtet muss ich auch bei mir feststellen: Es
wird von Tag zu Tag weniger. Es wird weniger mit dem Gehör, mit der
Leistungskraft, mit dem Namensgedächtnis, mit der geistigen Spannkraft im
Straßenverkehr. Es wird weniger. So ist nun einmal das Leben. Schlimm wäre es
jedoch, wenn ich in der Verbundenheit mit Gott stagnieren oder gar Rückschritte
machen würde.
Denn dass
normalerweise zum Neubau auch der Abbruch des Bisherigen gehört, das wissen wir
Schwaben als geübte „Häusles-Bauer". In der
Ortsmitte von Korntal, wo ich seit 14 Jahren wohnen darf, wird gerade ein
hässliches Loch aufgerissen. Zuvor waren ganz proper scheinende, sogar
ehrwürdige Tradition atmende, einst mit Architektenkönnen gebaute Häuser abgerissen
worden. Aber der Abriss war nur der Anfang für den beschlossenen Neubau eines
schönen Gemeindehauses. So ähnlich arbeitet auch Gott. Wenn er Großes zu bauen
vorhat, dann muss zuvor das Vorläufige abgetan werden.
Dann ist
es aber doch keine Panne, wenn Christen nicht vor Schmerzen bewahrt werden,
wenn gerade Christen unter schrecklicher Ohnmacht leiden, wenn sie
Enttäuschungen mit Kindern und Enkeln erleben, erst recht aber mit sich selbst.
Wenn Trauer um Angehörige und Angst sie lahmen wollen, dann hat Jesus weder
geschlafen, noch hat er seine Leute aus dem Blick verloren. Im Gegenteil! Dann
sind die, die Christus gehören, in die Spezialbehandlung Gottes aufgenommen
worden. Diese hat das Programm: Durch Leiden zur Herrlichkeit (vgl. Römer 8,
17)!
Es bleibt
also nicht bei einer immer mehr zerfallenden Ruine unseres Lebens. Selbst dann
nicht, wenn mit uns - schwäbisch gesagt - „nicht mehr viel los ist". Denn
es soll nicht bei den Bruchstücken dessen bleiben, was wir einst dargestellt
haben. Das hat uns der Apostel Paulus im Auftrag von Jesus eingeschärft: „Wir
werden nicht müde; sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird
doch der innere von Tag zu Tag erneuert" (2. Korinther 4, 16).
Körperlicher
Zerfall ist bei jungen Menschen unnatürlich. Bei uns alten Menschen jedoch ist
er organisch. Wie merken wir über dem Älterwerden, dass es an unserem Leib „bröckelt".
Viele älter Werdende haben Angst davor. Schließlich haben sie bei Eltern und
Großeltern erlebt, was beim Altwerden an Eigenheiten zutage kommen kann.
Plötzlich greifen die durch Anstand anerzogenen Bremsen nicht mehr. Auch ist es
verletzend, nicht mehr gebraucht zu werden. Es tut weh, ohnmächtig erleben zu
müssen, dass man nichts mehr leisten kann.
Bei älter
Werdenden ist aber auch die Gemeinschaft mit Jesus gefährdet. Sie ist bedroht
durch die Gefahren der Routine, des Stillstandes, ja auch des Rückschrittes und
sogar des Abdriftens. Jesus hat nüchtern vorausgesagt, dass „viele abfallen"
werden.
Alte
Menschen, wie auch ich einer bin, sind gefährdet. Nur zu schnell wird nicht nur
ihr Körper, sondern auch ihr Glaubensleben zu einer baufälligen Ruine. Mit dem
Löchrigwerden des Gedächtnisses fängt es an. Zwischen Leben-Wollen
und der Angst vor jeder kommenden Nacht „verdunstet" das Vertrauen nur zu
schnell. Einst noch so lebendiger Glaube kann absterben. Die üblichen Symptome
sind eindeutig: Die Treue im regelmäßigen Teilnehmen am Gemeindeleben will „zu
viel" werden; über so viele Gottesworte wird hinweg gehört, weil sie
schon so altbekannt zu sein scheinen. Die brüchig gewordene Stimme gilt als
Entschuldigung dafür, dass die Choräle und Glaubenslieder verstummen. Ein mit
viel Jammern geschürtes Selbstmitleid verstellt das Vertrauen, dass Jesus auch
in Zeiten großer Beschwerlichkeiten und notvoller Schwäche seinen Leuten treu
bleibt.
Christen können elend müde werden. Unheimlich verzagt. Früher habe
ich das nicht gewusst, wie stark selbst bewährt scheinende Christen elementar
ins Zweifeln kommen können: „Ist es denn etwa doch nichts mit meinem Glauben?
Habe ich mir selbst etwas vorgemacht mit meinem Vertrauen auf Jesus? Ich wollte
doch allem Widrigen mutig trotzen als rechter Christ, aber jetzt bin ich so
schwach. Es ist alles so anders als am Anfang des Glaubens. Mein Christsein ist
zwar noch nicht ganz ins Stocken geraten, aber es ist so voll von Routine. Auch
das Beten. Die Worte der Bibel wollen nicht mehr recht
sprechen. Ist denn das mit Christus nur Einbildung gewesen, Selbstbetrug,
Illusion?"
Christen
sind angewiesen auf Glaubensstärkung
Wir Alten brauchen Glaubensstärkung! Wissen das unsere engsten Angehörigen? Wissen das die Christen unter unseren Nachbarn und Freunden? Wissen das diejenigen, denen das Vorrecht des Verkündigens anvertraut ist? Ahnen sie, dass ich mit dem Gebet zu Jesus in die Gottesdienste und Gemeinschaftsstunden komme: „Stärk" in mir den schwachen Glauben"? Wir Alten haben doch demnächst die entscheidende Bewährung des Christseins zu bestehen, nämlich „beim letzten Kampf, wann ich von hinnen scheide".
Umso wichtiger ist das dringliche Gebet: „Lass mich dein sein und bleiben, du treuer Gott und Herr!" Dies nachzubeten, darin verwirklicht sich wahrer Christenglaube. Christen brauchen sich nämlich nicht vollkommener zu geben, als Christus sie haben will.
Zum Dranbleiben müssen sich Christen ganz bewusst bereiten lassen. Die Zusammenkünfte der Gemeinde haben darin ihren ersten Sinn. Nicht erst bei uns Alten, aber bei uns besonders. Die regelmäßige Teilnahme am Gemeinde-Gottesdienst will wie die Regelmäßigkeit einer morgendlichen Tabletten-Einnahme dazu helfen, dass Christen nicht abfallen. Und zwar nicht erst dann, „wenn sich Verfolgung um des Wortes willen erhebt" (Matthäus 13, 21). Sondern auch schon dann, wenn sich Schwierigkeiten des Altwerdens einstellen, wie ungeahnte Einbrüche von schwerer Krankheit, Trauer, Sorgen um Kinder und Enkel, samt den drückenden Lasten der Sorge, ob denn das Ersparte reicht.
Erst recht
aber hier sollen jüngere Christen wach dafür sein, seelsorgerlich die „Last des
anderen zu tragen". Wenn der eine vom elementaren Zweifel überfallen wird:
Gehöre ich verlässlich zu Jesus?, dann sollten die
anderen Christen das merken, das wissen und ihn im Namen Jesu nicht loslassen.
Wir sollten uns in unseren Kreisen, Gemeinden und Gruppen, in
Gemeinschaftsstunden und in Hauskreisen anstecken lassen von der heiligen
Entschlossenheit unseres Herrn Jesus: „Das ist aber der Wille dessen, der mich
gesandt hat, dass ich nichts verliere von allem, was er mir gegeben hat,
sondern dass ich's auferwecke am Jüngsten Tage" (Johannes 6, 39). Wir
sollten es darum den Angefochtenen in die Ohren und ins Herz schreien: „Und
niemand wird sie aus meiner Hand reißen. Mein Vater, der mir sie gegeben hat,
ist größer als alles; und niemand kann sie aus des Vaters Hand reißen"
(Johannes 10, 28+29).
Abbruch im
Zeichen des Neuen
Da wo wir Abnahme und Verlust, selbst das Sterben der Allernächsten als schmerzliche Leere erleben, möchte Jesus umso mehr Raum in uns gewinnen. Dann soll es noch deutlicher werden: „Christus in euch, die Hoffnung der Herrlichkeit" (Kolosser l, 27). Das hat der Apostel gemeint, als er sagte, dass der innere Mensch von Tag zu Tag erneuert wird (vgl. 2. Korinther 4, 16).
Mit dem „inneren Menschen" meint Paulus nicht all das, was im Keller unserer Seele schlummern mag. Vielmehr meint er den unsichtbaren Jesus. Jesus will „durch den Glauben in den Herzen wohnen" (vgl. Epheser 2, 22; Epheser 3, 16f). Solches „Wohnen" hatte ja Jesus selbst angekündigt: „Wer mein Wort halten wird, zu dem werden mein Vater und ich kommen und Wohnung bei ihm nehmen" (Johannes 14, 23).
Bis zur Sterbestunde des Heilandes waren es Höhepunkte, wenn Jesus Menschen geheilt und gespeist, wenn er Tote auferweckt hat. Seit dem Auferweckungsmorgen jedoch sind solche Höhepunkte weit überboten worden. Denn durch sein Sterben und Auferstehen hat Jesus dies in Kraft gesetzt: Auf das Innigste will er sich mit denen verbinden, die ihm der Vater gegeben hat! Dieses Verbundensein mit Jesus ist dann Größeres als alle Heilungen, die doch nur Heilungen auf Zeit sind. Jesus aber will mit den Seinen Gemeinschaft herstellen, die ewig gilt.
Johannes Goßner (1773 - 1858) schrieb einmal über seinen Freund
Die Welt um uns herum - und viele Christen mit ihr - gieren nach Begeisterndem, nach Wundern, nach Sieg, nach neuen Methoden und nach neuen Stilen. Lasst uns doch bewusst eine Gegenbewegung starten, eine bibelgemäße und jesusgemäße Gegenaktion! Uns soll nichts anderes so wichtig werden wie dies, dass Christus in uns Wohnung nimmt und immer mehr Raum bekommt!
Wir brauchen kein Aufputschmittel, das uns wieder „auf Touren bringt". Keine begeisternde Stimmung soll versuchen, uns zu heilen. Kein religiöses Reizklima kann uns das geben, was doch Jesus so gerne zerbrochenen Menschen und innerlich ausgebrannten Christen sein möchte. Jesus Christus allein kann es dazu kommen lassen, dass äußerlich zerbrochene Menschen nicht müde bleiben, sondern dass sie „Tag um Tag" erneuert werden.
Das soll uns das größte Wunder sein, dass Jesus Christus in uns wohnen und wirken möchte. Auch wenn Gott dazu das Zerbrechen des „äußeren Menschen" benützt, gibt es kein größeres Wunder als dies: „Der innere Mensch wird erneuert."
Wir brauchen also nicht verzweifeln, wenn unser „äußerer Mensch" verfällt. Wir stehen dann doch nicht am Rand eines Abgrunds. Sondern wir stehen auf des Heilands Liste als Kandidaten seiner kommenden Herrlichkeit. Wir können gespannt sein auf „mehr Jesus"!
Der Abbruch hat begonnen, weil der Plan mit dem Neubau unter Dach
und Fach ist. Wir wollen darum auch Jesus nicht vorschreiben: „Wenn du
überhaupt etwas kannst, dann repariere meinen maroden Körper!" Vielmehr
wollen wir nüchtern mitten im Zerbrechen des äußeren Menschen damit rechnen:
Der innere Mensch wird Tag um Tag erneuert. Gott liegt daran, dass gerade auch
Ältere Tag um Tag die Ration an Jesus-Gegenwart zugeteilt bekommen, die für
jeden Tag nötig ist. Niemand soll aufgeben müssen, bevor es zu dem „Bau"
kommt, „von Gott erbaut, der ewig ist im Himmel" (2. Korinther 5, 1).