31.08.1997
„Und es
begab sich, als er nach Jerusalem wanderte, dass er durch Samarien und Galiläa
hin zog. Und als er in ein Dorf kam, begegneten ihm zehn aussätzige Männer; die
standen von ferne und erhoben ihre Stimme und sprachen: Jesus, lieber Meister,
erbarme dich unser! Und als er sie sah, sprach er zu ihnen: Geht hin und zeigt
euch den Priestern! Und es geschah, als sie hingingen, da wurden sie rein.
Einer aber unter ihnen, als er sah, dass er gesund geworden war, kehrte er um und
pries Gott mit lauter Stimme und fiel nieder auf sein Angesicht zu Jesu Füßen
und dankte ihm. Und das war ein Samariter. Jesus aber antwortete und sprach:
Sind nicht die zehn rein geworden? Wo sind aber die neun? Hat sich sonst keiner
gefunden, der wieder umkehrte, um Gott die Ehre zu geben, als nur dieser
Fremde? Und er sprach zu ihm: Steh auf, geh hin; dein Glaube hat dir geholfen.“
Lukas 17, 11-19
Liebe Gemeinde!
Bis heute weiß ich noch, wie ich's kaum erwarten konnte,
bis ich endlich sechs Jahre alt werde,
bis ich endlich in die Schule komme,
bis ich endlich schneller wachse,
bis ich endlich mehr Taschengeld bekomme.
Kinder wollen mehr !
Sie sind nie mit dem Erreichten zufrieden. Sie haben nie genug.
So will Jesus uns auch haben! "Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder,
werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen" (Matthäus 18, 3).
Anschauungsunterricht für das, was mit solchem " Mehr" gemeint ist,
gibt uns diese Jesusgeschichte.
Jesus kann mehr geben, als wir bitten oder verstehen
Mit heiseren Stimmen, die sie mühsam "erhoben", haben die zehn aus
der Gemeinschaft der Gesunden ausgestoßenen Aussätzigen gerufen: "Lieber
Rabbi Jesus, erbarme dich über uns!" Sie riefen nicht den Wundertäter an,
von dem sie Heilung erwarteten, nicht den Sohn Davids, der besondere göttliche
Gnaden verwaltet. Sondern sie bauten auf den frommen Rabbi, der nicht nur von
Mildtätigkeit faselt, sondern Barmherzigkeit übt. Bis heute ist im Orient mit
"Erbarmen" ein herzhaftes "Bakschisch" gemeint: Statt einer
Zehnpfennigmünze in die aufgestellte Büchse ein Fünfmarkstück.
Aber Jesus kann mehr tun, als wir bitten oder verstehen (vgl. Epheser 3, 20).
Selbst ein heiser gestottertes Bitten kann er höher werten als die
formvollendetste Petition. Wir bitten um ein klein wenig Durchhilfe; aber ER
gibt einen Vorgeschmack der kommenden Welt, da alles, alles neu gemacht sein
wird, alles heil, - und da auch Ausgestoßene und Unwürdigste von IHM in den Arm
genommen werden: "Meine Tochter, mein Sohn!" Ich habe es erlebt.
Jesus kann mehr gewähren als alle heiligen Orte. Jene zehn Aussätzige durften
sich nicht in den Tempel wagen: "Nichts Unreines" sollte in den
Tempel gehen! Gottes Heil hängt jedoch nicht an Orten, weder an Möttlingen noch
an Toronto. Sogar im Grenzgebiet zwischen dem als "heidnisch"
geltenden Galiläa und dem erst recht als von Gott abgeschriebenen Samarien
erweist Jesus, dass IHM alle Macht gegeben ist. Jerusalem mit seiner
Priesterschaft behandelt Jesus wie das staatliche Gesundheitsamt, das erfolgte
Genesung bescheinigen kann. Wo Jesus ist und wirkt, da kann jetzt und hier
geschehen, dass Menschen rein werden, heil werden. ER kann mehr tun, als wir je
vermuten oder erträumen.
Jesus kann mehr tun, als wir bitten oder verstehen! Als jener Samariter voll
dankbaren Jubels zurückkam zu Jesus, da wollte er eigentlich nichts anderes,
als auf Dauer bei diesem Jesus bleiben. Bei dem hatte er ein Stückchen Himmel
auf Erden erlebt. Jesus sagte jedoch zu ihm - fast befremdend: "Geh
hin!" "Steh auf, geh hin!" Weil Jesus alle Orte, sogar die
gottlosesten Dörfer im heidnischen Samarien mit seiner Gegenwart erfüllen kann.
Jesus kann auch dort mit seiner unsichtbaren Gegenwart nahe sein. Das war wie
ein Vorgeschmack jener Stunde, da Jesus über seine Jünger verfügte: "Geht
hin in alle Welt ..., denn ich bin bei euch alle Tage!" Ich brauche die
Nähe Jesu nicht mehr verzweifelt zu suchen, sondern ER beugt sich Nähe
schenkend zu denen, die nach ihm verlangen. Überall! Kein Ort, kein Haus ist
davon ausgenommen.
Ja, gilt das auch für mich, wenn ich von der Freizeit zurückgekommen bin, auf
der wir sein Dabeisein verspürt haben, jetzt aber muss ich wieder zurück in die
alte Umgebung? Gilt das auch mir, dass ER hier mehr tun kann, als ich je
erwarten, bitten oder verstehen kann? Ja, geh hin; Jesus will da sein!
Jesus hat in unsere Welt den Glauben und die Dankbarkeit gebracht
Uns wird so erschreckend viel alltäglich, selbstverständlich! Dass wir über 50
Jahre Frieden genießen können, dass unser Herz schlägt, die Leber arbeitet,
dass wir ein breitgefächertes Bildungswesen haben, ein differenziertes
Gesundheitssystem. Sicher sind die meisten von uns dankbar dafür, dass wir
heute morgen aufstehen und zum Gottesdienst kommen konnten, dass wir uns in
Freiheit zu Gottesdiensten versammeln können. Dankbar sind wir gewiss; aber
haben wir auch dem Ger aller guten Gaben dafür gedankt? Hat es uns im Vertrauen
näher zu ihm hingetrieben? Ein Hund frisst vertrauensvoll dem aus der Hand, von
dem er gewohnt ist, Gutes zu erhalten; er folgt ihm auf jeden Wink. Wie aber
ist es mit uns, mit unserer Dankbarkeit?
Aber auch dieser Bericht aus dem Lukasevangelium ist uns so vertraut geworden,
dass wir schnell dabei sind, die neun Aussätzige überheblich zu kritisieren,
die nicht zu Jesus voll Dank zurückkamen.
Dabei ist es doch mehr als nur erstaunlich, was von ihnen berichtet ist. Als
Jesus ihnen gebot: "Geht hin und zeigt euch den Priestern!", da
hätten sie sagen können: "Was soll's? Wer einmal den Aussatz hat, kriegt
ihn nicht mehr los! Der will uns doch bloß loshaben! Nein, auf diese Sache
fallen wir nicht herein!"
Das wäre noch nicht einmal "Unglaube" gewesen, sondern höchstens
nüchterner Realismus. Trotzdem wird berichtet, dass sie sich auf den Weg nach
Jerusalem zu den Priestern machten, "und als sie hingingen, da geschah es,
dass sie rein wurden!"
Der Heiland Jesus persönlich ist es, der Glauben schaffen, Glauben entbinden,
glaubendes Vertrauen wecken kann! "Da kommt was 'rüber'!", so
kommentieren Menschen gesegnete Prediger. Aber wenn da "was rüberkommt",
dann ist es Jesus persönlich, der schwache Prediger dazu benützt, dass wirklich
etwas "rüberkommt", das mehr ist als nur Packendes. Glaube, Zutrauen,
Vertrauen wird dort geschaffen, wo Jesus wahr werden lässt: "Wer euch
hört, der hört mich!" Dass es in unserer Welt der Skepsis, der
Zurückhaltung, der Enttäuschungen plötzlich Zutrauen gibt, das hat Jesus in
unsere Welt gebracht. Darum soll es auch bei uns mehr Vertrauen zu Jesus geben.
Wir wollen mehr haben!
Erst recht hat Jesus Dankbarkeit in unsere Welt des Kritisierens und
Räsonierens gebracht. Als er die fünf Schrippen und die zwei Sarden in seinen
Händen hielt - das bisschen Speise ging in zwei Hände! -, da klagte er nicht
Gott an: "Lieber Vater im Himmel, was ist das unter so viele Tausende!?",
sondern "er sah auf gen Himmel und dankte".
Selbst als dann die Tausende von wunderbar Gespeisten sich verlaufen und Jesus
allein zurückgelassen hatten, da stimmte Jesus kein Klagelied "zwischen
allen Stühlen" an, sondern "er hob auf seine Augen gen Himmel und
sprach: 'Ich preise dich, Vater, Gott Himmels und der Erden...!'"
Dankbarkeit ist die Hauptschlagader, die Menschen mit der Welt Gottes
verbindet. "Wer Dank opfert, der preist mich, und da ist der Weg, dass ich
ihm zeige mein Heil!", so ließ Gott uns wissen. Damit die so oft
verstopfte Haupt-Zufuhr-Ader göttlicher Gegenwart nicht verstopft bleibt, dazu
hat Jesus die Dankbarkeit in unserer Welt neu geweckt; er hat Dankbarkeit ganz
neu in unserer Welt wirklich wecken lassen. Und auch wir wollen Teil bekommen
an diesem neugeweckten "Mehr", an diesem neu zugänglichen
"Mehr" an Dankbarkeit!
Es wird ja nirgends behauptet, dass die neun anderen Geheilten undankbar
gewesen seien. Ich bin fest davon überzeugt, dass auch sie im Tempel von
Jerusalem Gott mit Dankopfern und Dankgebeten geehrt haben, die auf den Ton
gestimmt waren: "Dass ich das noch einmal erleben darf! Dass ich noch
gesund wurde! Lieber Gott, vielen, vielen Dank!" Aber was war denn dann
das Besondere an diesem Samariter? Was hatte er "mehr" entdeckt,
"mehr" begriffen als die "Neun"?
Das entscheidende "Mehr" !
Der eine, der Samariter, "kehrte um" zu Jesus; zweimal wird es
betont: "Er kehrte um!" Wie ganz außer sich pries er Gott mit lauter
Stimme (er war befreit davon, nur heiser röcheln zu können); zu Jesu Füßen fiel
er nieder auf sein Angesicht, längelang im Staub der Strasse, und dankte ihm!
Sehen Sie es bitte nicht als spitzfindiges Theologenfündlein an, wenn ich davon
überzeugt bin: Genau das ist die Pointe dessen, was Lukas uns berichtet! Gottes
gnädiger Himmel ist nicht aufgetan im Tempel von Jerusalem, nicht auf den Höhen
des samaritanischen Heiligtums Garizim, sondern dort, wo Jesus ist!
Damals hat der Lobgesang begonnen, der durch die Jahrtausende geht: "Aller
Zunge soll bekennen: Jesus sei der Herr zu nennen, dem man Ehre geben
muss!"
Um die "Ehre" geht es in diesem Bericht; denn Jesus fragte: "Hat
sich sonst keiner gefunden, um Gott die Ehre zu geben?"
Die Bibel will durch die Bibel verstanden sein! In Johannes 9, im Bericht von
der Heilung des Blindgeborenen, wird erzählt: Die Kritiker Jesu haben dem
Geheilten gesagt: "Komm, gib Gott die Ehre" (merken Sie's: da ist
wieder das Stichwort!); komm, gib's zu, dass dieser Jesus nichts Besonderes
ist, ja, dass er ein Sünder ist, ein Scharlatan! - Aber genau das Gegenteil
stimmte! Dort wird Gott die Ehre gegeben, wo Menschen begreifen: Hier in diesem
Jesus ist Gott mir nahegekommen! Wenn ich's mit Gott halten will, dann muss ich
mich an dien Jesus halten! Wenn ich Gott danken will, dann muss ich mich an die
Adresse "Jesus" wenden.
Es ist der Wille Gottes, dass wir mehr haben sollen als ein unbestimmtes
göttliches Gegenüber, mehr als religiöse Traditionen und Erfahrungen, mehr als
menschliche Meinungen und Lehren über Gott: In Jesus, wie er uns anschaulich in
den biblischen Berichten geschildert ist und wie er bis heute und in Ewigkeit
derselbe bleibt, sollten wir ein verlässliches Gegenüber haben. Das ist der
Glaube, der hilft!
Nehmen Sie es als einen Kommentar, als eine Variation über dasselbe Thema, wenn
Paulus in Philipper 3 bekannte - lassen Sie mich's mit meinen Worten sagen:
Religiöse Traditionen hatte ich mehr als genug, religiösen Lebensstil habe ich
bis zum "tz" praktiziert, heiligen Eifer habe ich bis "zum geht
nicht mehr" geübt. Aber nun gibt's mehr ! Ich möchte in Jesus erfunden
werden; ich möchte über sein Konto an unermesslicher Gerechtigkeit verfügen
können und nicht nur mein eigenes Sparkonto an Gerechtigkeit haben; ich möchte
IHN, Jesus, erkennen und in ihm erfunden werden, ich möchte teilhaben an IHM,
an seiner Kraft der Auferstehung und an der Gemeinschaft mit seinen Leiden! Ich
hab's noch nicht; ich jage ihm erst nach! Aber ich möchte m e h r sein als nur
ein religiöser Mensch, mehr als nur ein gläubiger Mensch, mehr als nur ein
dankbarer Mensch. Ich möchte mehr ! Ich möchte IHN gewinnen, nachdem ich von
Christus Jesus ergriffen bin!
Einzelne haben das begriffen, so wie jener Samaritaner, so wie Paus, so wie
Hofacker. Wo sind aber die übrigen 90 Prozent? Die 90 Prozent, die Hilfe von
Jesus erfahren haben, die 90 Prozent, bei den Jesus Glauben und Dankbarkeit
geweckt hat. Es muss doch mehr sein! - Es kann mehr sein!
Amen.