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4. Advent

Sonntag, 23. Dezember 2007

Präl. i. R. R., Scheffbuch

 

Thema: „Johannes weit mehr als ein Täufer!“

Lukas 1, 76-79

 

Liebe Korntaler Gemeinde!

 

Meine Klavierlehrerin – sie stammte aus altem Korntaler „Mundle“- Adel – fragte meist streng, bevor ich in die Tasten griff:  „Bitte genau hinsehen! Welches Vorzeichen?“ Offenbar hatte sie bei mir Anlass zu dieser Mahnung. Denn wer einfach losschießt, ohne die gleich vorn auf dem Notenblatt stehenden „Versetzungszeichen“ zu beachten – also die Kreuze oder die ‚b’s’ -, der produziert Missklänge.

 

Noch viel wichtiger ist es im Vorfeld des Christfestes, das „Vorzeichen“ des Johannes zu beachten. Gott hatte über ihm verfügt: „Du wirst dem Herrn vorangehen!“ Ach, doch nicht nur als eine Art von „Vorprogramm“. Denn ein Vorprogramm kann man sich sparen. Da versäumt man meist nicht viel. Aber „Vorzeichen“ kann man sich nicht sparen. Wenn einem Musikstück drei Kreuze vorgezeichnet sind, dann darf man es nicht wie auf C- Dur spielen. Sonst werden die Nachbarn sogar noch hinter schalldichten Trennmauern nervös.

 

Die „Vorzeichen“ des Johannes beachten!

 

Bei Johannes sind drei Kreuze vorgezeichnet. Darum haben ihn viele Menschen mehr gemieden als geschätzt. Ich könnte mir sogar denken, dass auch Johannes manchmal Gott fragte – so ähnlich wie einst der Prophet Jeremia: „Muss denn das eigentlich sein, dass ich bei so vielen Menschen anecke?“ Doch die Kreuze hatte Gott dem Johannes als Last auferlegt. Sie waren in das Leben und in die Botschaft des Johannes hineingekerbt. 

 

Johannes sollte - so sagte es sein Vater Zacharias – „dem Herrn vorangehen“. Er sollte „den Weg bereiten“ für Jesus. Er sollte die Voraussetzungen klären, Jesus zu verstehen, Jesus anzunehmen, sich über Jesus zu freuen. Johannes sollte die Vorzeichen zu beachten lehren.

 

Es gehörte zum „Vorangehen“, dass Johannes ein Buß-Prediger sein musste. Das aber schmeckt den Menschen nicht besonders, heute so wenig wie damals. Das war das erste „Kreuz“ bei Johannes. Das zweite „Kreuz“ bestand darin, dass er sogar bei den Bußfertigen unerbittlich nachhaken und nachfragen musste: „Ist es euch denn ehrlich ernst mit eurer Buße, oder spielt ihr mit Gott und mit euren religiösen Gefühlen – so wie einst die Schlange im Paradies mit Gottes klarem Gebot gespielt hat?“ Bis heute machen sich Leute darüber lächerlich, dass Johannes die Taufbewerber am Jordan so frontal angegriffen hat: „Ihr Otterngezücht! Ihr Schlangenbrut!“ Aber Johannes musste das Schlimmste bekämpfen, das es bei frommen Leuten gibt, nämlich die religiöse Selbsttäuschung „Ich bin schon recht, so wie ich bin!“ – Schließlich findet sich noch ein drittes „Kreuz“ bei Johannes: Er sprach unverblümt davon, dass Gott zornig sein kann, zornig über all das Falsche, Unwahre, Böse – und dass es schrecklich ist, diesem Zorn Gottes nicht entfliehen zu wollen oder nicht zu können. Dass es Gottes Zorn gibt, das wird erst recht heute bis hinein in frommste Kreise bestritten. Man will eben ein pflegeleichtes Gottesbild.

 

Bis heute sind diese drei Kreuze für viele Menschen Grund genug, Johannes unbeachtet links liegen zu lassen. Sie machen es wie ein Klavierschüler, der das Notenheft schnell zuschlägt, wenn er drei Kreuze als Vorzeichen sieht – um stattdessen etwas Einfacheres und Gefälligeres aufzublättern.

 

Damals machten es sich viele Menschen leicht, den Johannes abzutun: „Ach der!“ Der mit seiner Tauferei, der mit seinem abgeschabten Kamelfell, der mit seiner Vegetarierkost aus Heuschrecken und wildem Honig. Sie belächelten ihn als Spinner, als Wüstenschratt.

 

Wenn jedoch die Großmutter uns Enkeln von diesem viel belächelten Johannes erzählte, dann konnte sie mit blitzendem Auge sagen: „Jesus jedoch stellte klar: ‚Wahrlich, ich sage euch: Er war ein Prophet! Ja, sogar mehr als ein Prophet war er!“

 

Der Prophet, der Jesus groß machte

 

In den Nachkriegsjahren hielt ein Jugendevangelist Jahr um Jahr Vorträge im Esslinger Gemeindehaus am Blarerplatz. Es war ja ein hinreißender Troubadour für Jesus. Er machte nicht die Kirche lieb, sondern Jesus – nicht eben einen moralischen Lebensstil, sondern die Verbundenheit mit Jesus. An einem Abend hörte ich – lebendig sehe ich die Szene in der Erinnerung vor mir -, wie zwei gestandene Pietisten einander bestätigten: „Das ist ein Prophet, ja ein Prophet!“ Sie hatten ein Gespür für wahrhaft „Prophetisches“, wie es seit Johannes in der Christenheit verstanden werden sollte. Also nicht in erster Linie ein Vorfühlen hinein in unbekannte Zukunft, auch nicht in erster Linie ein erhellender Röntgenblick hinter die Fassade eines Menschenlebens. Vielmehr ruft Prophetie auf: Lasst uns aufsehen zu Jesus!

 

Solch einen Prophetenauftrag hatte Johannes bekommen. Der Vater Zacharias hatte schon über dem Säugling Johannes ausgerufen: „Du wirst ein Prophet des Höchsten heißen!“ Nicht du wirst also der Höchste sein, sondern er, der kommen wird, auf den wir warten! Das hat Johannes bewährt. Als einige seiner Zeitgenossen ihn fragten: „Bist denn vielleicht sogar du der Christus, der kommen soll?“ Da antwortete Johannes klar: „O nein! Wenn der kommt, dann wird er euch mit dem Heiligen Geist taufen, nicht bloß symbolisch mit Wasser, wie ich das tue. Nach mir kommt der, der würdiger ist als ich, stärker“ (vgl. Lukas 3, 15f)! Er wird der „Stärkere“ sein.

 

Eigentlich hätten wir jetzt zusammenzucken müssen, wie von einem Stromstoss berührt. Der „Stärkere“. Was für eine Bezeichnung für Jesus!

 

Wenn wir ehrlich sind, dann schaffen wir es, über die Pannen unseres Lebens traurig zu sein. Jesus jedoch bringt noch mehr fertig. Er kann uns nämlich heraus reißen aus Abgründen. Jesus kann uns befreien aus der Sklaverei, das tun zu müssen, was wir doch gar nicht tun wollen. Jesus, der Stärkere, kann uns bewahren vor dem Bösen in Person.

 

Jesus ist „der Stärkere“! Uns kann doch die Sorge überfallen, ob denn unser Glaube durchhalten wird, wenn es einmal hart auf hart kommt, wenn die Schmerzen und die Sorgen mir das Bewusstsein rauben wollen. Da sind wir doch nur dann nicht verloren, wenn Jesus sich als der Stärkere erweist. Darum möchte ich auf ihn bauen. Darum möchte ich ihm gehören, im Leben, in abgrundtiefer Schwachheit, im Sterben.

 

Wir Menschen alle, aber ganz besonders wir Deutschen, lassen uns nur zu leicht mitreißen von Zeitströmungen. Wir sind erschreckend anfällig für den Zeitgeist, auch im Religiösen. Wie viele gute Christen sind schon hereingefallen auf Parolen, die sich nachher als schreckliche Verführung entlarvten! Frömmigkeit allein schützt davor so wenig wie stramme Haltung. Wie gut, dass es den „Stärkeren“ gibt! Denn „wir sind schwach, der Herr hat Stärke“! „Seid stark in dem Herrn; denn wir haben es nicht bloß mit Menschen zu tun, sondern mit bösen Geistern unter dem Himmel (vgl. dazu Epheser 6, 10–12)! Das Besondere am Christentum ist Christus. Er, der Stärkere!

 

Einst in meiner Schulzeit habe ich im Chor mitgesungen. Unvergesslich, wie wir in Nachkriegsjahren in der eiskalten ungeheizten Stuttgarter Markuskirche das Weihnachts- Oratorium von Bach aufführten. Nach dem Schluss- Choral unterbrach unser frommer Schulleiter den zögerlich einsetzenden Beifall. Er rief: „Singt es noch einmal: „… dass dieses schwache Knäbelein soll unser Trost und Freude sein, dazu den Satan zwingen und endlich Frieden bringen’!“

 

Am Christfest sollen wir froh werden darüber: „Der Herr ist bei uns als ein starker Held“ (vgl. Jeremia 20, 11)! Das ist sachlich richtiger als alle sentimentale Eiapopeia angesichts des Kindleins in der Krippe.

 

Was Heil wirklich ist, das sollte erkannt werden

 

„Du sollst Erkenntnis des Heils geben!“ So hatte in klarem Durchblick der Vater Zacharias erkannt. „Du, Johannes, wirst Erkenntnis des Heils geben seinem Volk in der Vergebung ihrer Sünden“.

 

Propheten sollten und konnten Menschen ins Gewissen reden. Auch Johannes konnte das. Er war sogar bereit, seinen Landesherrn Herodes wissen zu lassen: „So etwas tut man nicht! Es ist nicht recht!“. - Propheten sollten und konnten ethische Weisungen geben, sie sollten Werte vermitteln und hochhalten. Auch Johannes konnte das. Er sagte den Normalbürgern, wie sie es recht mit den Kleiderspenden für Bedürftige halten sollen. Ja er sprach sogar für Militärs und auch noch für Kollaborateure mit Rom in Klartext, was vor Gott „Sache“ ist. - Propheten sollten die Masse des Volks erreichen, mehr also als nur einige religiös Interessierte. Auch Johannes konnte das: Zu ihm an den Jordan „ging hinaus die Stadt Jerusalem und ganz Judäa und alle Länder am Jordan, und ließen sich von ihm taufen und bekannten ihm ihre Sünden“ (vgl. Matthäus 3, 5f). Was war das für eine Volksbewegung! Aber in diesem allem bestand noch nicht das „Heil“. Nur dort kommen Menschen zum Heil, wo sie erkennen, dass sie Vergebung brauchen und wo sie sich darüber freuen: „Du bist der Herr Christ, unser Gott, du führst auch mich aus aller Not, du willst mein Heiland selber sein, von allen Sünden machen rein!“

 

Dazu sollte es doch auch bei denen kommen, die hinaus an den Jordan zu Johannes geströmt waren. Zwar war es taktisch gedacht in höchstem Maß unklug, dass Johannes ihnen vorhielt: „Meint ihr es denn wirklich ernst? Wie kommt ihr denn darauf, dass ihr mit ein klein wenig frommem Getue - und seien es sogar Sündenbekenntnis und religiöse Riten wie die Wassertaufe – aus dem Zorn Gottes herauskommt? Gebt euch doch nicht so schnell mit frommen Sprüchen zufrieden!“ (Ich habe mit meinen Worten zu sagen versucht, um was es damals dem Johannes ging.)

 

War das denn nicht unklug, so die Menschen vor den Kopf zu stoßen, so zu brüskieren?

Nach rein menschlicher Beurteilung war es allerdings mehr als unklug. Aber Johannes war zum Propheten berufen. Propheten aber wussten zu allen Zeiten, dass man sich vor der Wahrheit am allerbesten versteckt in frommem Getue. Darum heißt es einmal beim  Propheten Amos etwa so: „Gott kann eure frommen Großtreffen nicht mehr ausstehen. Ich habe keine Freude an dem, was ihr für mich tun wollt. Eure Lieder und das Spiel eurer Instrumente tut mir in den Ohren weh“ (vgl. Amos 5, 21ff). Denn mit alledem kann man sich das prächtig vom Leib halten, worauf Gott eigentlich aus ist.

 

Gott ist doch darauf aus, dass Menschen wach werden dafür: „Er, Jesus will der Heiland sein, von allen Sünden machen rein“. Das hat Johannes als Prophet elementar eindrücklich und unüberhörbar wissen lassen. Nämlich als er auf Jesus wies mit dem Satz: „Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt“ (Johannes 1, 29. 36). Darin besteht das Heil! Das war dem Johannes selbst als Erkenntnis von Gott zugeteilt worden: Was der Prophet Jesaja angekündigt hat, dass da einer Gottes Plan ausführt, nämlich der, welcher der Welt Sünde trägt (vgl. Jesaja 53, 1–10). Heil schafft der, der mich aus meinen Sünden rettet, aus meinem rettungslosen Defizit vor Gott befreit! Dass erst das wirklich den Begriff „Heil“ verdient, das sollte Johannes aufdecken: „Du sollst Erkenntnis des Heils geben, welches ist in Vergebung ihrer Sünden“! So sollte – damals – Johannes den Weg des Herrn Jesus vorbereiten. Aber Johannes kann auch dazu helfen – nämlich bei uns -, das nachzubereiten, was wir in Jesus haben.

 

Wenn Sie am Christfest einstimmen in die unüberbietbaren Choräle der Christenheit – etwa in das große Paul Gerhardt- Lied „Fröhlich soll mein Herze springen“ -, dann überschlagen Sie doch bitte bloß nicht jene Strophe: „Meine Schuld kann mich nicht drücken; denn du hast meine Last all auf deinem Rücken. Kein Fleck ist an mir zu finden; ich bin gar / rein und klar / aller meiner Sünden. Ich bin rein um deinetwillen …!“ Wenn das für Sie und für mich gilt, dann – dann! – haben wir Grund und Anlass genug, zu jubeln: „Fröhlich soll mein Herze springen!“  

 

Was Jesus auch noch tun kann, tun möchte

 

Dem Vater Zacharias gingen ja geradezu die Worte aus, die Begriffe, die Bilder, als er beschrieben wollte: Das wird man an Jesus haben können! Das ist es, was du, kleines Johanneslein, einmal als Prophet des Höchsten publik machen sollst! Gott wird in seiner aus tiefstem Gottesherzen kommenden Barmherzigkeit den Himmel aufreißen und ein ungeahntes Licht hereinströmen lassen.

Gerade die werden es merken, die „in Finsternis und in Schatten des Todes sitzen“. Vor ihnen, deren Füße wanken wollten, wird sich ein Weg auftun, ein Weg unbeschreibbaren Friedens.

 

Souverän und zugleich in sparsamster Sprache hat Paul Gerhardt das aufgenommen mit den Zeilen: „Die ihr schwebt in großem Leide, sehet hier, ist die Tür, zu der wahren Freude. Fasst ihn wohl, er wird euch führen an den Ort, da hinfort euch kein Kreuz wird rühren“.

 

Wir wissen sogar, wie Johannes diesem seinem Prophetenauftrag nachgekommen ist. Beim Evangelisten Johannes ist es im 3. Kapitel berichtet, dass Johannes dies gepredigt hat: Leute, mitten in allem Geschwätz der Menschen gibt es auch noch Worte, die kommen von Gott. Die sind tragfähig. Solche Worte findet ihr bei Jesus. Aber Gott hat ihm noch mehr gegeben als tröstliche Worte. Gott hat diesem Jesus, seinem Sohn, alles in seine Hand gegeben. Sogar ihr könnt ihm in die Hand gegeben sein. Wer ihm gehört, der ist und bleibt im Leben. Wer den Sohn Gottes hat, der hat das Leben. Der kommt sogar heraus aus all dem, worüber Gott eigentlich ewig zornig sein müsste. Das ist’s! Jesus bringt Menschen, die über sich selbst erschrocken sind, auf den Weg des Friedens

 

Manche von Ihnen wissen es: Ich war in großer Sorge, nicht um meine Gesundheit, sondern ob ich denn einmal bestehen kann, wenn ich vor Gottes Richterstuhl gerufen werde. Denn da wird bis hin zu jedem unnützen, unguten, halbwahren, gehässigen, zornigen Wort alles Falsche, Gemeine, Bösartige meines langen Lebens aufgedeckt sein. Darüber war ich mehr als betroffen.

 

Aber dann hat mich Jesus auf den Weg unaussprechlichen Friedens gestellt. Das ist es, was Jesus bis heute tun kann. Keines von uns muss sich selbst beruhigen. Es war wie eine blitzartige Erkenntnis – wie aufgehendes Licht aus der Höhe! -: Das Schreckliche und höchst Bedauerliche wird nicht verharmlost oder vertuscht werden. Vor Gottes Augen wird all das offen gelegt sein wie eine eklige Müllhalde. Trotzdem werden die Augen Gottes nicht zornig auf mich blicken – auch nicht auf alle anderen, die sich zu Jesus bekennen. Wohl wird Gott all das unentschuldbar Schreckliche sehen. Er wird aber auch mit strahlender göttlicher Freude feststellen: Da ist einer, und da sind diese und jene, welche es dankbar glaubten, gelten ließen und angenommen haben: „Siehe, Jesus ist das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt“! Bei denen ist meine große Rettungsaktion angekommen! Das ist wichtiger als all der Müll! Geht ein zum Frieden und zur Freude eures Gottes!

 

So etwas gibt es, dass unsichere Tritte plötzlich von Jesus festgemacht werden. Ich habe es erlebt, und Sie können es auch erfahren. Johannes, der weit mehr als ein Täufer war, hat als erster dies prophetisch ankündigen dürfen. Als eine „Gestalt des Advents“ kann er bis heute das nachbereiten, was wir an Jesus Christus haben sollen. Wir sollen doch erkennen, was das Christfest zu einem wirklichen „Christ“- Fest macht.

Amen.

 

Herausgeber:

Evang. Brüdergemeinde Korntal, Saalstr. 6, 70825 Korntal-Münchingen

Tel.: 07 11 / 83 98 78 - 0, Fax: 07 11 / 83 98 78 – 90; e-Mail: [email protected]

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