Rolf Scheffbuch

Jesus ist so nahe!

21.12.1997

 

Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! Eure Güte lasst kund sein allen Menschen! Der Herr ist nahe! Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden! Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Philipper 4, 4-7


Auf einem Basler Missionsfest nahm einer der Missionsurlauber aus Mangalur/Indien den Möttlinger Pfarrer Dr. Christian Gottlob Barth auf die Seite. Er fragte ihn ernst: "Das Lied, das wir eben gesungen haben, das hast doch du gedichtet?" - "Ja, warum?" - "Wer war's, sag's doch offen, der gepetzt hat? Wer hat euch von unseren Schwierigkeiten erzählt - zwischen Greiner und Hebich und Kullen, Gundert und Mögling?" Barth konnte nur verwundert fragen: "Wie um alle Welt kommst du denn darauf?" - "Ja, du hast doch gedichtet: 'Und ob auch das Herz sich dunkel umzieht mit trübendem Schmerz, der Friede entflieht, wenn Missmut und Zagen die Freudigkeit bricht. O stillet die Klagen! Bei Jesus ist Licht!'"

Da sagte Dr. Barth: "O, das kann ich mir so gut vorstellen, wie es bei euch sein muss; auf engem Raum beieinander, so viel Erfolglosigkeit um euch herum; unter Zeitdruck, weil euch die Zeit davonläuft; ihr solltet wie Engel mitten in der Heidenwelt wirken, aber ihr geht euch täglich auf die Nerven. Ja, - 'mit trübendem Schmerz der Friede entflieht!' "

So etwas gibt's ja nicht nur fern in Indien auf dem Missions-Compound. Das kennen manche von uns aus der Advents- und Vorweihnachtszeit: "Mit trübendem Schmerz der Friede entflieht. Wenn Missmut und Zagen die Freudigkeit bricht!" Ich kenne es sogar aus Sitzungen christlicher Gremien.

Wie ist dagegen anzukommen? Etwa mit "Advent, Advent, ein Lichtlein brennt"? Freunde, es muss mehr sein! "O stillet die Klagen! Bei Jesus ist Licht!"

Das hat Paulus schon vor bald 2000 Jahren - aber ungeheuer aktuell bis heute - der Gemeinde in Philippi ins Bewusstsein gedrückt. Hinein in die Zwistigkeiten zwischen Frau Evodia und ihrer Mitchristin Syntyche, hinein in die Abgespanntheiten des Gemeindeleiters Klemens und all derer, deren Nerven blank lagen über dem Kampf für das Evangelium: "Leute, der Herr ist nahe!" Er ist euch näher, als euch je Menschen dicht auf der Pelle sitzen können. Er ist euch näher als alle Lasten, die euch auf dem Nacken liegen. Wenn euch all das Unerledigte auf der Seele lastet, der Herr Jesus will euch noch näher sein! Eure Schwächen mögen euch hautnah sein: Jesus will euch noch näher kommen. Jesus ist nahe! Für mich - der ich doch seit langem dieses Apostelwort kenne - war total neu: Da wird nicht mit hochtheologischen Begriffen jongliert, nicht etwa mit dem "Frieden Gottes" (Paulus sagt wie in einem Nebensatz: der ist sowieso höher als alles, was unsere Vernunft fassen kann!), nicht mit Gnade Gottes, nicht mit Liebe Gottes. Ach, es geht doch nicht um Begriffe! Sondern es kann mit uns etwas geschehen. Geschehen!


Jesus kann und will uns so gerne bei sich bergen!

"Steht fest in dem Herrn!" "Seid eines Sinnes in dem Herrn!" "Freut euch indem Herrn!" "Der Friede Gottes bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!"

Weil wir, jedes von uns, Jesus ganz am Herzen liegen, will er uns unvorstellbar enge Gemeinschaft mit sich gewähren. Die aller engste Gemeinschaft, die jedes von uns bisher erfahren hat, war die Verbundenheit mit unserer Mutter: Als wir unter dem Herzen der Mutter i n ihrem Leib heranwachsen durften, angeschlossen an ihren Blutkreislauf, genährt von ihr selbst, geborgen in ihrer Wärme, abhängig von ihrer Sauerstoffzufuhr. Wenn wir dann heranwachsend, noch im Mutterleib, unsere eigenen Lebenszeichen strampelnd gaben, dann legte wohl die Mutter beruhigend und zugleich glücklich über das neue Leben ihre Hand auf uns. Auch die Zukunft war bedacht: Das Kinderbettle war schon bereitet, das Köfferchen für das Krankenhaus schon gepackt samt der ersten Säuglingskleidung für uns. Wir kamen in vorbereitete Verhältnisse. Auch später galt es: "Das Kind ruht sorgenlos sanft in der Mutter Schoß, die wird's schon machen!"

Aber dieser Vorgang, den wir erlebt haben, will noch weit überboten werden durch das Angebot, dass wir ganz eingehüllt sein können in Jesusgegenwart, in Jesusbergung, in Jesusnähe!

Wir sind nichts als kleine Menschen. Wir können nicht zugleich in Korntal und ebenso in Los Angeles sein. Jesus ist vor dem Vater und ist zugleich nahe den Christen in China und im Sudan und in Korntal. Er ist der, "den aller Weltkreis nie beschloss". Er "trägt alle Dinge durch sein kräftiges Wort." Er ist nicht begrenzt durch Raum und Zeit. Er ist umfassende Wirklichkeit, wirklicher als die Sauerstoffhülle um unseren Planeten herum. Aber dieser Jesus-Lebensraum ist für Sie und mich bestimmt. Damit wir begreifen, dass gerade wir Adressaten des bergenden Gottesgeschenkes sind, ist Jesus Mensch geworden, darum hat er Menschenschicksal erlitten, dafür hat er sich in die Abgründe der Verlorenheit hineinschicken lassen! Daran erinnern uns - wie verlässliche Pfänder - Taufe und Abendmahl: "Für euch" ist Entscheidendes geschehen, "für euch" bin ich ganz da, mit Leib und Blut, mit meinem Leben und mit meinem Geist, mit meiner Zuneigung für euch.

Ach lasst es doch zu versuchen, zu leben "wie" er! Ach speist ihn doch nicht ab damit, dass ihr euch hier und dort von ihm Ermutigungen gen lasst, hier und dort ein gutes Wort!

"Ich habe keinen von ihnen verloren", so hat es Jesus ganz schlicht über seinen Jüngern gesagt. "Ich habe sie bewahrt." "Ich habe sie erhalten", bei Gott und bei mir! Darauf ist Jesus auch bei uns heute aus!

Vielleicht, ja sogar wahrscheinlich, sind wir wohl alle noch ferne davon, dass wir Jesus so nahe an uns heran lassen. Ich möchte Sie zusammen mit mir einladen lassen durch Jesus: "Komm doch her zu mir, ganz nahe! Dass wir durch und durch von ihm belebt werden, ganz und gar von ihm bewegt, in Höhen und Tiefen von ihm gehalten, in Unsicherheiten und auch in der Gefahr, vermessen eigene Wege zu gehen, von ihm sanft gelenkt! Dass wir endlich hineinwachsen wollen in die Wirklichkeit, von der das Kindergebet spricht: "Jeden Schritt und jeden Tritt, geh du lieber Heiland mit!" Habt doch keine Angst davor, es würde mit euch Nerven-Kasperles gespielt! Lasst doch die Sorge fahren, das sei so etwas wie "Fremdbestimmung" oder das sei mystisches Denken von vorgestern! "Freuet euch in dem Herrn allewege!"


Jesus will "erlebt" sein

Bei der zurückliegenden ProChrist-Aktion (ich danke allen Brüdergemeindemitgliedern, die sich verantwortlich in diese europaweite Aktion mit eingeklinkt haben,) haben auch besonders die persönlichen Statements von Menschen unserer Tage zu mir gesprochen: von Minister Beckstein und Fürstin Castell und Bernhard Langer. Aber etwas ganz Besonderes war für mich, als am letzten Abend die perfekte Combo von Johannes Nitzsche ihr Bestes gab in Solos und Zusammenspiel. Man merkte, welch weites Repertoire bei ihnen "lief". Aber dann sagte Johannes Nitsche mit ein paar Sätzen, wie er in der Musik lebt. Das alles war so echt, so authentisch! Aber noch etwas anderes war es, als er dann sagte: "Am allerliebsten spiele ich, was mein Innerstes ist: 'Jesu, meine Freude'." Und dann spielte er, angelehnt an einen der großen Sätze Bachs und doch zugleich mit moderner Rhythmik dieses Bekenntnis: "Jesu, meine Freude!"

Jesus kann uns bei sich bergen. Zugleich kann sein ganzes Wesen uns prägen bis tief innen hinein. Das Christsein muss nicht wie eine Tätowierung "außen vor" bleiben. Wenn schon eine halbe Tablette Librium unsere aufgewühlten Nerven dämpfen kann, dann kann doch erst recht Jesus mit seinem Frieden tief in uns Frieden schaffen! Es ist dann wie ein Gütesiegel, wenn sein innerstes Vermählen mit uns sich darin auswirkt, dass alle Menschen bei uns Spuren unvermuteter Güte erfahren. "Eure Güte lasst kund sein allen Menschen!" Ich möchte Sie so gerne einladen dazu, dass Sie mit Ihrer Nervosität, mit Ihrer inneren Leere Ähnliches geschehen lassen, wie dort mit den fünf Schrippen und mit den zwei Sardinen jenes Bübleins in Galiläa. Die waren nichts als ein armseliger Rest, der hinten und vorne nicht ausreichte Angesichts des großen Bedarfs. Aber Jesus machte aus dem kümmerlichen Rest einen Beweis dafür, was er in Souveränität zu wirken vermag. Jesus kann es fertig bringen, dass auch bei uns so oft Verstörten und Armen seine grenzenlose Güte unsere Restbrocken von Güte verwandelt und vermehrt. Es ist doch "fact", dass er heute Morgen - wie immer - vor dem Vater für uns eintritt: "Vater, lass doch die Liebe, mit der du mich liebst, auch in ihnen sein!" Das kann erlebt werden! Dafür ist Jesus da!

Jesus ist so nahe!

"Der Herr ist nahe!" Er ist uns heute näher als der Heilige Abend. Jesus wird gewiss wiederkommen als der Herr der Welt; sein Kommen ist hoffentlich näher, als wir vermuten. Aber Jesus will uns schon heute unaussprechlich nahe sein. So wie es Jesu Jünger erlebten: Als sie Not litten mitten auf den vom Sturm aufgewühlten Wogen des Sees Genezareth, hatte sie Jesus in seinem fürsorglichen Blick, und er kam zu ihnen. Von allen Seiten will er uns umgeben. Er hatte als Auferstandener längst das Mahl für sie bereitet, als sie noch auf Nahrungssuche waren. Was war denn Jesu Vermächtnis, als er aus der Sichtnähe seiner Freunde in die unsichtbare, aber allumfassende Gegenwart Gottes ging? "Ich bin bei euch alle Tage!" das war's!

Der Essener Pfarrer und Evangelist Wilhelm Busch schrieb an seine Freunde, als er 1938 aus bedrängender Gestapohaft in Einzelzelle entlassen war: "Meine Zelle war so erfüllt von überwältigender Jesusgegenwart, dass ich's kaum mehr aushalten konnte!"
Sicher ist es eine gute Bitte, zu singen: "Näher, mein Gott, zu dir, näher zu dir!" Aber darüber dürfen Sie nicht vergessen, dass genau dies der dringliche und sehnliche Wunsch Jesu ist: "Näher zu dir!" Er möchte Ihnen und mir noch viel, viel näher kommen.

In Mülheim an der Ruhr ist vor 200 Jahren der Gottesmann Gerhard Tersteegen gestorben. In diesem Gedenkjahr ist seiner vielfach gedacht worden. Aber vielleicht ist das wichtigste Gebet, das er uns zum Nachbeten hinterlassen hat, der Satz: "Komm, du nahes Wesen, dich in mir verkläre, dass ich dich stets lieb und ehre ...Ich in dir, du in mir!" Denn "der Herr ist nahe"! Bei Jesus ist Licht!

Amen.