Siegfried Kettling, Unterweissach

18. Juni 1987

31. Ludwig-Hofacker-Konferenz

Jede Bibelstelle ist nützlich!

 

Das Wort „nützlich“ kommt uns hier vielleicht ein bisschen seltsam vor. Es hört sich so materialistisch und egoistisch an, so geschäftlich; das klingt nach Soll und Haben, nach Prozenten und Dividenden. Ist die Bibel nützlich?

Das Wort „nützlich“ steht tatsächlich im griechischen Grundtext. In der englischen Bibel heißt es an dieser Stelle „profitable“, also etwas, das Profit bringt.

 

Nützlich zur Lehre: Wir werden informiert

 

Bei dem Wort Information dürfen wir nicht an den Nürnberger Trichter denken, durch den uns heute ein paar Erkenntnisse ins Gehirn transportiert werden sollen nach dem Motto: Mensch, leiste dir doch mal wieder ein paar Gedanken. Informieren meint etwas anderes. Wir sagen von einem Sportler: In dieser Saison war er nicht „in Form“. Wenn die Bibel uns informiert, dann möchte sie uns „in Form“ bringen, so dass wir leben können, leben mit Gott.

Gott hat mich geschaffen. Dieser Satz hat eine kritische Kehrseite: Wenn ich ganz und gar aus Gottes Händen komme – wohin gerate ich, wenn ich mich aus diesen Händen herausbegebe? Zu jedem Lebewesen gehört das spezifische Lebenselement. Ein Fisch ist nur frei und lebendig im Wasser. Wenn man ihn aufs Trockene wirft, mag er zwar sehr vital herumzappeln, aber das ist Todeskampf.

Mensch, du bist nur lebendig und daheim, wenn du ganz nah bei Gott bist. Das prägt das Alte Testament uns ein, es gilt jedem persönlich, und es gilt für die ganze Welt. Welt, du hast deinen Ursprung nicht in Urknall und Zufall, nicht In Mutation und Selektion. Nein, hinter der ganzen Welt steht der Schöpfer Gott.

Für mich wird das immer mehr ein wichtiger und tröstlicher Gedanke: Die Welt hat ihr Ende, ihr Ziel in Gott. Ich bin oft tief deprimiert, wenn ich Zeitung lese oder die Tagesschau sehe. Ich frage mich: Wo soll das alles hinaus in dieser unregierbar gewordenen Welt?

Und dann entdecke ich: Christ, das ist doch für dich nichts Neues. Es steht schon im Danielbuch, es steht schon bei Jesaja, dass Gott diese Welt einmal abräumt. Aber nicht in den Papierkorb. Er macht alles neu. Jesus ist nicht der Kaputtmacher, sagte Blumhardt, sondern der Neumacher.

Deshalb ist die Nachricht vom Weltende eine gute Nachricht. Was kommt? Wir alle wissen es nicht. Von keiner Futurologie erfahren wir es. Aber wer kommt, das dürfen wir wissen: der, der alles neu macht. Welt, auf den musst du schauen. Nicht den Kopf hängen lassen, sondern: Kopf hoch, es wird Advent! Der Herr ist unterwegs. Weil uns die Schrift dieses verkündet, ist sie nützlich zur Lehre.

 

Nützlich zur Aufdeckung der Schuld: Wir werden korrigiert

 

Wie gut, dass die Bibel uns enttäuscht! „Ent-Täuschung“ ist manchmal etwas herrlich Positives, indem endlich unsere Täuschungen, unsere dummen Illusionen zerstört werden. Endlich wird uns der Star gestochen. Endlich sehen wir wirklich. Auch das ist solch ein Grundsatz der Bibel: Das Dichten und Trachten, das Planen und Überlegen des menschlichen Herzens ist wurzelhaft böse. Davon müssen wir realistisch ausgehen.

Der langjährige Vater der Gerhard-Tersteegen-Konferenz, Pfarrer Wilhelm Busch, war der Überzeugung, dass man schon der Jungschar die Geschichten des Alten Testamentes erzählen müsse. Warum? Damit die jungen Menschen ein richtiges Gottesbild und ein richtiges Menschenbild bekommen. Das schafft Antikörper gegen alle Ideologien. Mensch, du bist verloren, du brauchst einen Retter. Welt, du bist verloren, brauchst den, der dich neu macht.

Durch die Bibel werden wir korrigiert.

 

Nützlich zur Besserung: Wir werden renoviert

 

Ich möchte nicht sagen: repariert, so wie ein Oldtimer, der noch einmal durch den TÜV soll. Sondern wir werden renoviert, neu gemacht. „Schaffe in mir, Gott, einen neuen, beständigen Geist.“

Wir werden regeneriert. Das heißt: neu geboren. Wir bekommen einen neuen Anfang, werden Gottes Kinder. – Wir werden reanimiert. Das ist ein Wort, das die Mediziner heute gebrauchen, wenn jemand etwa nach einem Unfall als klinisch Toter ins Leben zurückgeholt wird. Das göttliche Wort wirkt noch mehr, es schafft Auferweckung. Jedes Mal wenn einer zum Glauben kommt, ist ein kleines Osterwunder geschehen. Er ist reanimiert, ins Leben geholt worden.

Und schließlich? Wir werden rehabilitiert. Wir umgekippten und ausgeflippten Leute bekommen wieder einen Stand. So wie der verlorene Sohn Schuhe an die Füße bekam zum Zeichen, dass er nicht mehr Sklave, sondern Grundeigentümer war.

Neu werden wir, renoviert, regeneriert, reanimiert, rehabilitiert – was wollen wir noch mehr?

 

Nützlich zur Erziehung: Wir werden mobilisiert

 

Wir werden informiert, korrigiert, renoviert und nun auch mobilisier.

Das lateinische „educare“ heißt, jemand herausführen, herausbringen. Ja, man müsste sagen, herausziehen aus dem Dreck, in dem wir stecken, wo der Karren festgefahren ist. Jesus zieht uns in das neue Leben, so wie man kraftlose, müde, kranke Leute vorwärtszieht. In einem Gemeinschaftslied heißt es: „Du musst ziehen, mein Bemühen ist zu mangelhaft. Wo ihr’s fehle, fühlt die Seele, aber du hast Kraft.“ Gott möchte uns hineinziehen in ein neues Leben.

Da habe ich ein ernstes Gespräch zu führen und bitte: „Herr, gib mir Weisheit dazu, zieh mich.“ Ich habe eine mühevolle Arbeit zu tun: „Gib mir Freude daran, zieh mich.“ Ich habe mit einem schwierigen Zeitgenossen umzugehen: „Gib mir Liebe zu ihm, zieh mich.“

 

Gottesmenschen gesucht

 

Wir werden informiert, korrigiert, renoviert, mobilisiert – und jetzt steht hier ein Doppelpunkt. Ja, was soll da eigentlich noch kommen, kann man denn noch mehr sagen? Am Schluss unseres Textes heißt es, dass alles zu dem einen Zweck geschieht, damit „der Gottesmensch voll ausgebildet, rund und ganz sei, instand gesetzt zu jedem guten Werk“. So muss ich Sie heute begrüßen, Sie Gottesleute! Gottesmensch, das ist ein Wort, das uns alle hereinholen möchte. Gottesmenschen sind Leute, bei denen jede Zelle, jeder Blutstropfen, jeder Atemzug dem Herrn unseres Lebens gehören. Menschen für Gott. Tersteegen dichtete: „In Wort und Werk und allem Wesen sei Jesus und sonst nichts zu lesen.“