Theo Lehmann – Jugendgottesdienst Nr. 106 – Maria
Abschrift der Predigt vom 14.12.1986 über Lukas 1,26 – die Verheißung an Maria.
Maria, das Mädchen vom Lande.
Liebe Freunde, von Männern ist hier schon viel die Rede gewesen, von Frauen seltener. Also reden wir heute einmal über eine Frau. Und zwar über die bedeutendste Frau der Weltgeschichte. Ich habe einen Auszug aus ihrer Kaderakte[1] hier. Die Angaben zur Person. Name: Maria. Nationalität: Jüdin. Geburtsort: Nazareth. Familienstand: Ledig. Beruf: Genossenschaftsbäuerin.
Eines Tages bekommt die Maria Besuch. Ein Engel, das heißt also ein Bote Gottes, kommt zu ihr.
Lukas 1,26: Der Engel Gabriel, von Gott gesandt in eine Stadt im Galiläa die heißt Nazareth. Zu einer Jungfrau, die war verlobt mit einem Manne, mit Namen Josef vom Hause Davids. Und die Jungfrau hieß Maria. Kein Wort über ihr Aussehen, über ihren Charakter, über ihren Glauben. Keine Andeutungen über irgendwelche Verdienste oder besondere Kennzeichen, keine Begründung, warum Gott den Engel ausgerechnet zu ihr schickt. Diesem einfachen Mädchen vom Lande wird vom Engel mitgeteilt: du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, dessen Name sollst du Jesus heißen. Also mit anderen Worten: die Jungfrau soll ein Kind kriegen.
Eine schwere intellektuelle Geburt: die Jungfrauengeburt.
Bei dieser Sache mit der Jungfrauengeburt da wird es ja vielen unter uns mulmig, obwohl wir Christen an jedem Sonntag im Glaubensbekenntnis bekennen, dass Jesus geboren wurde von der Jungfrau Maria.
Viele sprechen diesen Satz diesen Satz nicht gerade mit besonderer Überzeugung. Viele murmeln den bloß noch verschämt vor sich hin, viele schweigen an dieser Stelle völlig, weil sie glauben, als gebildeter Mensch kann diesen Satz von der Jungfrauengeburt nicht mehr mit gutem Gewissen mitsprechen. Und viele, besonders Theologieprofessoren und Theologen, die erklären es uns ganz offen und sagen: es handelt sich um eine Art Märchen, also das können wir abhaken.
Ich erkläre ganz offen, ich bin da ganz anderer Meinung, ich möchte mich von vorne herein ganz klar zu diesem Satz: „geboren von der Jungfrau Maria“ bekennen und zwar im wortwörtlichen Sinne. Auch wenn ich es mir damit bei einigen Konfirmanden und ähnlichen Intellektuellen verscherze. Die Jungfrauengeburt ist ein Tatbestand, der in der Bibel bezeugt und in dem Glaubensbekenntnis bekannt wird. Und deswegen ist das unzulässig, wenn jeder dahergelaufene Professor oder Konfirmand erklärt: „das geht über meinen Verstand, deshalb ist es nicht möglich.“
Die Jungfrauengeburt abzustreiten ist unlogisch, unbescheiden und unbiblisch.
Dieses Argument ist erstens unlogisch, zweitens unbescheiden und drittens unbiblisch. Unlogisch, weil es vieles gibt, was wir zwar nicht verstehen, was aber trotzdem möglich ist. Unbescheiden, weil ja da jemand seinen eigenen Verstand zum Maßstab für Alles macht, sogar zum Maßstab für Gottes Handeln. Und unbiblisch, weil unser Bibelabschnitt endet mit den Worten: „Bei Gott ist kein Ding unmöglich“.
Solange du das nicht begriffen hast, im Glauben ergriffen hast, da wirst du weder Gott noch die Bibel begreifen noch in deinem Christenleben reifen. Ich bitte dich, merke dir diesen Satz: „Bei Gott ist kein Ding unmöglich“. Unmöglich ist bei Gott nur eins, nämlich das Wort unmöglich, das kommt bei Ihm nicht vor. Du darfst von Gott nicht so klein denken. Und wenn du schon so versessen bist auf die Anwendung deiner Vernunft und deines Verstandes - na dann streng doch deinen Verstand mal an, dann denk doch jetzt einmal mit mir mit.
Bei Gott ist kein Ding unmöglich.
Wenn Gott wirklich Gott ist, d.h. der Planer, der Schöpfer, der Lenker, der Erhalter des Universums, na dann ist doch logisch, dass dessen Logik größer ist als deine. Dass der mehr drauf hat als du, dass dem bei dem mehr drin ist als in deiner Birne. Ich bitte dich, gib deinen Kleinglauben auf gegenüber diesem großen Gott. Gibt Gott die Ehre, gib Ihm dein ganzes Vertrauen, und gib nicht auf, wenn du an die Grenzen deines Verstandes und deiner Möglichkeiten kommst. Sondern glaube, was hier in der Bibel geschrieben steht: bei Gott ist kein Ding unmöglich.
Hier in diesem Gottesdienst, da saß vor einer Reihe von Jahren ein junges Pärchen. Die sind inzwischen verheiratet, haben drei Kinder, und die Frau hat jetzt Krebs. Die Ärzte haben ihr weder Illusionen noch irgendwelche Hoffnungen gemacht. Ganz im Gegenteil: diese Frau steht jetzt an der Grenze des Todes. Und sie lebt. Sie lebt im wahrsten Sinne des Wortes von einem solchen Bibelwort: bei Gott ist kein Ding unmöglich.
Gott hat ja in der Bibel, im Falle von Krankheit, uns extra Hilfen und Anweisungen gegeben, zum Beispiel im Jakobusbrief. Da lesen wir: wenn jemand unter euch krank ist, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihn beten und ihn salben mit Öl im Namen des Herrn und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen und der Herr wird ihn aufrichten[2].
So haben wir es mit dieser Frau gemacht, und so haben wir es bei vielen Menschen ja schon erlebt und erfahren, dass Gott eingreifen kann und dass auch dort wo unsere Möglichkeiten und die Möglichkeiten der Mediziner am Ende sind, Gott noch lange nicht am Ende ist. Er kann auch dort, wo unsere Mittel versagen, etwas tun.
Bei Gott ist kein Ding unmöglich. Dieses Wort, das ist doch nicht der Schlusspunkt hinter einer Diskussion, womit Gott die Diskussion abwürgen will. Sondern dieses Wort steht das steht in der Bibel und Menschen, die am Ende sind, mit ihrem Latein und mit ihrem Wissen und mit ihrer Hoffnung, um denen eine neue Hoffnung zu geben, eine Möglichkeit zu geben, einen neuen Anfang zu machen, weiterzumachen.
Bei Gott ist kein Ding unmöglich. Bist du bei Gott? Glaubst du an Gott? Hast du Gott dein Leben anvertraut? Dann kannst du von diesem großen Gott auch Großes erwarten. Gott ist so groß und ist so gütig und Er ist so interessiert an deinem Leben und an deinen Problemen, dass Er gekommen ist aus seiner Herrlichkeit auf unsere Erde, dass er ein Mensch geworden ist um dir ganz nahe kommen zu können. Damit er dich verstehen kann, damit du Ihn verstehen kannst und damit er dir helfen kann.
Gott wurde in Jesus ein Mensch.
Gott wurde in Jesus ein Mensch. Diese Menschwerdung, die wir an Weihnachten feiern, das war eben nicht bloß so eine zeitlose Idee, sondern das war ein geschichtliches Ereignis. Ideen haben meistens Väter, aber keine Mutter. Jesus ist keine Idee. Sondern Jesus ist ein Mensch, und er hatte, wie jeder normale Mensch, auch eine Mutter.
Natürlich ist auch mir nicht ganz unbekannt, dass üblicherweise zur Entstehung eines Menschen nicht nur eine Mutter, sondern auch ein Vater dazugehört. Das ist eine Tatsache, die heutzutage bis in alle Details auch in aufgeklärten Kindergartenkreisen durchaus bekannt ist. Aber um zu wissen, dass die Kinder nicht vom Klapperstorch gebracht werden, sondern vom Manne gemacht werden, da brauchst du doch nicht erst im 20. Jahrhundert zu leben und die Zeitung "neues leben" zu studieren, wo der Professor Borrmann[3] seine Äußerungen hinterlässt.
So schlau war nämlich schon die Maria, dieses unbedarfte Dorfmädchen vom Lande, auch schon. Nachdem ihr der Engel eine lange Rede gehalten hat, und ihr eröffnet, dass sie schwanger wird, dass sie ein Kind bekommt, dass sie das Kind Jesus, also Retter nennen soll, dass dieses Kind Sohn Gottes genannt werden wird, dass es auf den Königsthron Davids steigen wird, dass seine Königsherrschaft ewig währen wird - nach all diesen unwahrscheinlichen Ankündigungen, wie sie noch nie ein Mensch gehört hat, da reagiert die Maria völlig normal. Man müsste ja erwarten, dass die völlig geplättet ist, wenn ihr so aus heiterem Himmel mitgeteilt wird, du wirst schwanger. Man müsste erwarten, dass die völlig abhebt, wenn man ihr sagt, das Kind, dass du erwartest, wird einmal ein ganz großer. Der gehört mal zu den ganz Großen der Welt, der macht einmal eine super Karriere. Der Junge wird König! Aber darauf geht die gar nicht ein. Wie so ein Bauernmädel vom Lande nun mal ist, ist die nüchtern, praktisch, und ganz geradezu und direkt.
Die erste Zweiflerin an der Jungfrauengeburt: Maria, das Bauernmädel aus Nazareth.
Und als ob sie mit ihrer Bauernschläue den Engel mit seiner herrlichen Rede auf Glatteis führen möchte, da führt sie das ganze Problem auf den Boden der nüchternen Tatsachen zurück. Das erste, was sie nach der Rede des Engels zu bemerken hat, das ist von einer umwerfenden Sachlichkeit. Das Einzige, was sie zu der grandiosen Eröffnung des Engels zu sagen hat, das ist die trockene Gegenfrage: wie soll denn das eigentlich technisch vor sich gehen, da ich nichts von einem Manne weiß?
Die erste, die ihre Zweifel an der Jungfrauengeburt geäußert hat, das war die Jungfrau Maria selber. Die glaubte auch nicht mehr an den Klapperstorch sondern war offensichtlich über die Rolle des Mannes bei der Zeugung von Kindern orientiert.
Die hatte ja einen Mann. Nämlich den Zimmermann Josef. Aber mit dem hatte sie noch nicht geschlafen, weil sie mit dem noch nicht verheiratet war, weil man damals vor der Ehe noch nicht miteinander ins Bett ging.
Und deshalb erkundigt sich die Maria ganz sachlich: „Wie soll denn das vor sich gehen, wo ich doch mit keinem Mann ins Bett gehe?“
Das ist zunächst alles, was sie zu bemerken hat. Der Engel ist über ihre kritische Haltung keineswegs schockiert. Er hätte ja entsetzt mit den Flügeln schlagen können und sagen: „Also, das darf doch alles gar nicht wahr sein! Da kommt man hier als Chef der Engelbrigade zum Sondereinsatz in dieses Nest Nazareth, was in der Bibel überhaupt nirgends erwähnt wird, man eröffnet diesem unbedarften Provinzmädchen, dass es die Mutter Gottes werden soll und diese Göre hat weiter nichts dazu zu sagen, als ihre Zweifel anzumelden. Also sowas von Unglaube, die ist ja mit ihrer rationalistischen und kritischen Einstellung für den Job überhaupt nicht geeignet – hier machst du den Abflug.“
Das macht der Engel aber nicht. Sondern er erklärt ihr geduldig die Sache, soweit man das überhaupt erklären kann. Und er sagt: Der heilige Geist wird über dich kommen und die Kraft des Höchsten wir dich überschatten, und darum wird das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden[4] und er beschließt seine Rede mit dem Satz, den ich schon vorhin erwähnt habe: Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich.
Von diesem Moment an gibt die Maria ihren Widerstand auf. Bei Gott ist kein Ding unmöglich. Das genügt ihr. Das glaubt die. Daran hält sie sich fest. Darauf lässt sich ein. Damit gibt sie sich zufrieden und erklärt sich bereit, den einzigartigen Auftrag Gottes anzunehmen. Maria aber sprach: ich bin des Herren Magd, mir geschehe, wie du gesagt hast[5].
Die Folgen von Marias „Ja“.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sich in diesem Moment über die Konsequenzen ihres „Ja“ im Klaren gewesen ist. Als unverheiratete Frau ein Kind zu bekommen, das bedeutete erstens, dass ihr guter Ruf im Eimer war. Haben Sie schon gehört? Die Maria kriegt ein Kind! Und wissen Sie von wem? Die sagt, es ist nicht von ihrem Josef, sondern es ist vom heiligen Geist. Merken Sie was? – Piep, Piep[6]! Zweitens riskiert sie, als eine Ehebrecherin behandelt zu werden. Und drittens läuft sie Gefahr, ihren Verlobten zu verlieren. Tatsächlich hat der Josef ja auch später den Plan gefasst, seine Frau sitzen zu lassen. Ich mein, der Josef war ja nun auch kein Depp. Der sah wie seine Frau immer runder wurde und ein Kind kriegt; er war’s nicht und die sagt: „Es war der Heilige Geist“. Also ich möchte mal den jungen Mann sehen, der sich mit so ´ner Klärung seiner Freundin zufrieden gibt. Und ich verstehe sehr gut, dass der Kumpel Josef bei sich gedacht hat: „Also das hältst du doch in deinem Kopp nicht aus, hier steigst du aus.“ Und als er sich davon machen will, dann muss Gottes extra ihn wieder auf seinen Platz zurück pfeifen. Aber das ist eine extra Geschichte. Das alles, was da vor ihr liegt, das hat die Maria in diesem Moment ganz sicher nicht übersehen. Jedenfalls sagt sie, ich bin des Herrn Magd, mir soll geschehen, wie du gesagt hast.
Und ich bin sogar überzeugt, dass sie das wunderbare, das mit ihr geschehen sollte, nicht im Entferntesten begreift. Es ist ja sowieso nichts zu begreifen. Aber sie sagt Gehorsam ihr „Ja“. Und in diesem Glaubensgehorsam, da liegt Ihre vorbildliche Größe.
Warum wir das Dorfmädchen aus Nazareth ehren.
Wir ehren das einfache Dorfmädchen aus Nazareth. Die heilige Jungfrau Maria. Erstens, weil Gott sie einzigartige Weise begnadet hat. Weil sie nämlich die Mutter unseres Herrn Jesus Christus werden konnte und zweitens, weil sie in vorbildlicher Weise Gott im Glauben gehorcht hat. Und ich halte es für sinnvoll, wenn wir in diesem Punkt Glaubens Gehorsam, die Maria zum Vorbild nimmst. Und ich halte es für sinnlos, wenn du anfängst zu diskutieren, dass nach den allgemein bekannten Naturgesetzen eine Jungfrauengeburt gar nicht möglich ist, oder dass du jetzt Erwägungen anstellst, was Gott in seiner Allmacht noch alles möglich gewesen wäre, wie Er das anders hätte machen können.
Darüber haben wir doch überhaupt nicht zu befinden, was bei Gott möglich oder unmöglich ist. Oder dass Er das alles ganz anders hätte machen können. Na sicher hätte Gott das alles ganz anders machen können aber Er hat es so gemacht und so haben wir das anzuerkennen. Und Gott fragt uns nicht nach unserer geschätzten Meinung über seinen Möglichkeiten und Methoden, wie Er das Rettungswerk einfädelt und wie Er den Retter in die Geschichte der Menschheit einfädelt. Genauso wenig, wie Er die Maria fragt, was sie denkt, und ob sie das für möglich hält.
Gott ist kein Diktator.
Als die Maria allerdings ihre skeptischen Gegenfragen stellt, da nimmt ihr Gott das ja nicht übel, im Gegenteil, Er nimmt sich Zeit und Geduld, um auf ihren Einwand einzugehen. Gott ist kein Diktator, der keine Gegenmeinung duldet. Du brauchst vor Gott keine Angst haben, dass Er einmal einschnappt, wenn du einmal einen anderen Gedanken hast. Du kriegst nicht gleich ein Verfahren an den Hals, wenn du nicht linientreu bist. Du brauchst deine Einwände und Zweifel nicht zu unterdrücken. Du brauchst jetzt nicht die Zähne zusammen zu beißen, und den krampfhaften Versuch eines blinden Gehorsam zu machen. Gott will doch nicht deine zähneknirschende Kapitulation. Er möchte das freudige „Ja“ deines Herzens.
Zweifel an der Jungfrauengeburt sollen kein Glaubenshindernis sein.
Nun vermute ich, dass viele unter euch in punkto Jungfrauengeburt immer noch kein volles "Ja" über die Lippen bringen und immer noch Hemmungen haben. Wenn dir die Lehre von der Jungfrauengeburt ein unbegreifliches Dogma ist – ein Dogma ist ein Glaubenssatz, ein Lehrsatz der Kirche, also das, was man zu glauben hat – wenn das also ein unverständliches Dogma ist, mit dem du nichts anfangen kannst, dann fang jetzt nicht an, das jetzt krampfhaft zu schlucken.
Wenn du den Satz: „Geboren von der Jungfrau Maria“ nicht über die Lippen bringst, weil dir das deine Vernunft verbietet, dann ist das zwar falsch, aber es ist immer noch besser als einfaches Nachplappern oder Heuchelei. Dann quäle dich jetzt nicht mit der Jungfrauengeburt ab. Komm dir jetzt nicht schlechter vor als andere Christen die das ohne weiteres glauben können, sondern lass ruhig mal alles, was dir dogmatisch und lehrhaft vorkommt, beiseite. Lass die Dogmen und die Lehren, die du nicht verstehst, dahingestellt und halte du dich an das, was du verstehst. Niemals ist Jesus vor die Leute hingetreten und hat gesagt: „Also aufgepasst, erstens: Mein Vater ist Gott; zweitens: meine Mutter ist Jungfrau; drittens: das müsst ihr glauben.“
Wie Jesus den Menschen begegnet ist.
Sondern Jesus ist den Menschen ganz anders begegnet. Zum Beispiel als Arzt, der den Kranken geholfen hat. Als ein spendabler Gast auf der Hochzeit, als Freund. Das war einer, der hat über die Angst und über das Leben und die Freiheit Sätze gesagt, die uns heute noch unter die Haut gehen. Das war einer, der sich buchstäblich totgeliebt hat, der bis zuletzt seiner Aufgabe treu geblieben ist.
Und alle, die Jesus begegnet sind, die sind nicht einer dogmatischen Formel begegnet, sondern einem Menschen. Was denen als erstes an Jesus auffiel, das war nicht seine Göttlichkeit, sondern das war seine Menschlichkeit.
Als Er kam, da wurde Er wie jedermann von einer Mutter geboren und lag wie jedermann als Kind in seinen Windeln. Er war schon als Kind obdachlos und verfolgt. Als junger Mann hat Er schon auf dem Bau arbeitet. Er war Zimmermann. Er wusste was es heißt, sich mit seinen Händen sein Brot zu verdienen, 12 Stunden arbeiten, eine Norm schaffen, einen Plan erfüllen. Der hatte Freunde und hatte Feinde, Er hatte Durst und hatte Hunger. Er hatte Freude und hatte Traurigkeit. Er wurde vom Teufel versucht wie jeder Mensch. Er wurde von einem seiner engsten Freunde verpfiffen, Er verlor Freiheit und Ehre. Er wurde misshandelt, durch einem Justizmord am Schluss umgebracht.
Als Er unter die Leute kam, so mit 30 Jahren, ist Er als einfacher Wanderprediger durch das Land gezogen. Schleppte mit sich eine Gruppe von armen Fischern. Er war selber zu arm, seine Kirchensteuern zu bezahlen. Das müsste ja ein Zug sein, der manchen von euch sehr entgegen-kommt. Er hatte keinen festen Wohnsitz, Er hatte kein festes Einkommen, Er hatte kein Eigentum und als Er ging, da hat Er vor dem Tod gezittert wie jeder andere auch. Da war nichts sichtbar von göttlicher Majestät, sondern da sah man nur die kalte Angst vor dem Sterben. Mit einem Wort: dieser Jesus war ein Mensch, dem nichts Menschliches fremd war.
Der kannte die Armut, den Hunger, die Verfolgung, die Verzweiflung, die Feindschaft, das körperliche Leiden, den Tod. Alle, die Ihm damals begegnet sind, die waren sich nicht vom ersten Moment an sicher, ob das der Sohn Gottes ist. Für die war Er zunächst ein Mensch. Weiter gar nichts.
Erst als sie diesen Menschen näher kennen lernten, da erkannten sie in Ihm den Sohn Gottes. Erst wenn sie merkten, dass seine Menschlichkeit geradezu übermenschlich war, da begriffen sie, dass Jesus nicht nur der Sohn einer Mutter war, wie wir alle, sondern dass Er der einzige Sohn seines himmlischen Vaters war.
Sowas erkennt man gewöhnlich nicht von heute auf morgen, obwohl es das auch gibt. Aber bevor zum Beispiel solcher Mann wie Petrus zu Jesus sagen konnte: Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes![7] da hat er mit Jesus viele Kahnfahrten machen müssen und viele Fische fangen müssen. Da fließt allerhand Wasser die Chemnitz herunter, bis ein Mensch begreift: das ist Jesus, der Sohn Gottes und in Ihm den Sohn Gottes erkennt.
Jesus wunderbar menschliches Wesen kennen lernen.
Zu Weihnachten ist Jesus als ein Mensch gekommen, weil Er zunächst einmal von dir als Mensch genommen werden möchte. Vielleicht sagst du zu Ihm: „Ich weiß gar nicht, Jesus, was ich von Dir halten soll, aber einiges an Dir, das gefällt mir. Mir gefällt zum Beispiel, dass du nichts hältst von Rache und von Hass, dass Du gegen die Gewalt bist, mir gefällt, dass Du für den Frieden bist. Mir gefällt auch, dass Du dich nicht so grosskotzig benimmst wie die Bosse dieser Welt, dass Du bescheiden und einfach geblieben bist.“
Der sowjetische Dichter Jewtuschenko[8] hat zum Beispiel einmal gesagt, er wäre kein Christ, aber vieles an Christus würde ihm gefallen. Vielleicht lächelt Gott über so eine Harmlosigkeit. Aber Gott lächelt nie herablassend, sondern immer gütig und einladend.
Nimm doch bitte die Einladung Gottes an. Fang deine Beziehung zu Jesus an den Punkten an, wo du Ihn verstehst. Wo Er dir menschlich nahe kommt, wo dir was an Ihm gefällt. Der Glaube an Jesus, auch daran ist etwas menschliches, in dem er nämlich wachsen kann. Du kannst den Bau deines Glaubens ja nicht damit anfangen, dass du gleich das ganze perfekte Dogmengerüst besteigst. Dabei kann dir leicht schwindlig werden. Und es ist noch einmal gar nicht gesagt, dass du im Gerüst der Dogmen Jesus auch wirklich findest. Es hat sich schon mancher im Gerüst der kirchlichen Dogmen verstiegen. Hoffnungslos, ist drinnen hängen geblieben, ohne jemals Jesus zu Gesicht zu bekommen.
Fang lieber, in dieser Weihnachtszeit, ganz ganz unten an. Beim Allermenschlichsten. Und was ist menschlicher, als die Geburt eines Kindes. Wenn ein Kind geboren ist, wenn es erst einmal da ist, da sind doch die anatomischen Vorgänge der Zeugung und der Geburt absolut nebensächlich.
Da freut man sich einfach, weiter nichts. Und gerade je mehr man sich mit dem Verstand über die anatomischen Vorgänge im Klaren ist, umso mehr staunt man, welches Wunder da heraus kommt, und immer wieder werden wir dieses Wunder bestaunen und nie begreifen. Anatomie hin, und Anatomie eher, das Kind ist da, nur das ist wichtig. Jungfrauengeburt hin, Jungfrauengeburt her, das Kind ist da! Der Sohn Gottes ist da! Der Retter der Welt ist da. Dein Retter ist da und deine Schuld, die kann vergeben werden.
Wir sind vor Gott verloren – deshalb Gottes riesige Rettungsaktion.
Und selbst wenn du sagst, ich habe keine Schuld, da ändert das nichts daran, dass du vor Gott schuldig bist. Und selbst wenn du sagst, ich fühle mich nicht verloren, ändert das nichts daran, dass du vor Gott verloren bist. Und selbst wenn du sagst: ich brauche keinen Retter, ändert das nichts daran, dass die Bibel sagt, du brauchst einen, der dich vor der Verlorenheit rettet. Die Tiefe deiner Verlorenheit, den tödlichen Ernst deiner Situation, die Größe deiner Schuld, die kannst ermessen aus der Größe von Gottes Rettungsaktion, die zu Weihnachten angefangen hat in der Krippe und am Karfreitag geendet hat an einem Kreuz.
Vor zwei Tagen, also am Freitag, da kam ich mit dem Wolfgang aus Berlin. Wir sind so um halb sechs aus Berlin gestartet. Ausfallstraße, mehrere Reihen Autos nebeneinander in Richtung Autobahn. Auf einmal überholt uns ein Polizist auf dem Motorrad. Blaues Licht, Sirene. Dann kommt der nächste, dann noch einer, dann kommt Feuerwehr, Krankenwagen, Einsatzwagen, Polizeifahrzeuge, wieder Krankenwagen, einer nach dem anderen. Wir mussten bloß immer an den Rand fahren und warten bis diese Mannschaft vorbei kam. Wir wussten nicht, dass da vorne ein Flugzeug abgestürzt war. Aber wir wussten, dass da etwas ganz außergewöhnlich Schreckliches passiert sein musste. Wir schlossen das aus der Größe der Rettungsaktion, die da im Gang war.
Wenn du momentan nicht weißt, worin deine Schuld vor Gott besteht, da kannst du aus der riesenhaften Rettungsaktion Gottes darauf schließen, wie schlimm es um dich steht.
Um dich zu retten, musste Gott, der Schöpfer der Welt, ein kleines Kind werden. Um dich zu retten, musste Gott, der Herr der Welt, an einem Kreuz sterben. Da musste der Erlöser der Welt verbluten. Aus der Größe dieser Rettungsaktion kannst du die Größe deiner Schuld, und vor allem: da kannst du die Größe von Gottes Liebe ermessen. Du bist von Gott geliebt. Gott hat zu deiner Rettung das Größte eingesetzt, was Er hatte und was Er am meisten liebte, nämlich seinen Sohn, und sein eigenes Leben. Nimm Jesus auf in dein Leben und dann du bist gerettet.
Amen.
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[1] Die Kaderakte war ein Dossier über jeden Beschäftigten in der DDR, welches dienstliche und private Leistungen, Verhaltensweisen und Verfehlungen beinhaltete (Quelle: Wikipedia) – Anm. des Schreibers
[2] Jakobus 5, 14-15
[3] Die Kolumne von Professor Borrmann im FDJ Magazin „neues leben“ beantwortete Fragen zur Sexualität. – Anm. des Schreibers
[4] Lukas 1, 35
[5] Lukas 1, 38
[6] Theo Lehmann zeigt vermutlich den Vogel – Anm. des Schreibers
[7] Matthäus 16, 16
[8] Jewgeni Alexandrowitsch Jewtuschenko, geb. 18. Juli 1932 – Anm. des Schreibers