Ludwig-Hofacker-Jahrestagung
03.02.2001
Liebe
Gemeinde,
es gibt Mitarbeiter, die sind einsame Spitze! Bei denen kann man zu jeder
Tages- und Nachtzeit anrufen und man weiß ganz genau: Egal was ist, die lassen
alles stehen und liegen, die stehen auf der Matte. Von denen weiß man auch: Die
lassen mich nicht hängen! Die gehören nicht zur der Kategorie der vielen
Zewa-Mitarbeiter, die man so oft in der Jugendarbeit erlebt, die einmal „Wisch“
machen und dann weg sind. Nein es gibt – Gott sei Dank – immer noch absolute
Spitzenleute, die da sind, wenn man sie braucht, auf die man sich verlassen
kann, die mit einem durch dick und dünn gehen.
Elia war so ein Mitarbeiter, einer der einsame Spitze war! Einer der mit ganzer
Leidenschaft dabei war. Er sagt es hier ja selbst: Ich habe für den Herrn, den
Gott Zebaoth, geeifert. Elia war einsame Spitze. Und genau das war auch sein
Problem: Er war einsame Spitze.
An der Spitze kann man sehr einsam sein. Das gilt für alle Spitzenkräfte, ganz
egal ob man an der Spitze eines Hauskreises steht, oder an der Spitze eines
CVJM, einer Gemeinschaft, einer Kirchengemeinde, oder ob man an der Spitze der
Hofacker-Vereinigung steht. Wenn man einsame Spitze ist, dann ist man oft einsame
Spitze. Ich glaube, dass viele heute hier sind, die das sehr gut verstehen
können: Da kann man ständig unter Menschen sein, der Terminkalender kann aus
allen Nähten platzen, man ist mitten unter Menschen, schwingt sich von einem
Termin zum nächsten und ist sehr einsam.
Und diese Einsamkeit macht uns müde. Diese Einsamkeit verzehrt die geistliche
Leidenschaft, diese Einsamkeit macht mutlos. An diesem Punkt war der Elia und
vielleicht sind viele von uns auch an diesem Punkt: Viel Kraft und viele Jahre
für den CVJM geopfert und dann läuft die ganze Mitarbeiterschaft zur Biblischen
Glaubensgemeinde. Viele Jahre sich im Kirchengemeinderat verzehrt und am Ende
rausgemobbt worden. Sechs Jahre für die Synode geopfert, 30, 40, 50 Tage im
Jahr in Sitzungen und Verhandlungen investiert und dann ein ums andere Mal über
den Tisch gezogen zu werden...
Worauf kommt es jetzt aber an, wenn unsere Leidenschaft in die Krise kommt?
Wenn Leidenschaft in die Krise kommt, dann kriege ich einen Knick in
der Optik! So war das bei Elia. In der Krise, in der Enttäuschung, da verliert
man leicht den geistlichen Blick. „Ich bin alleine übrig!“ sagt Elia. Aber
woher weiß Elia das? Erstens gibt es da noch den Obadja, der 100 andere Propheten
versteckt und gerettet hat und zum zweiten sagt ihm Gott: Ich habe 7000
übriggelassen, die mit dir auf dem rechten Weg sind. Aber das sieht Elia nicht
mehr.
Wenn Leidenschaft sich nicht auszahlt, dann kommt irgendwann der Frust: Ich bin
der only and lonely! Ich bin der einzige, der noch die Fahne aufrecht hält. Ich
bin der letzte, mit dem Gott noch was anfangen kann. Woher wissen wir das?
Wenn Leidenschaft in die Krise kommt ... bestimmt der Frust mein Sichtfeld! Und
dann sieht man nur noch sich! Meine Frau kennt das gut. Die ist mit einem Mann
verheiratet, der sehr oft depressive Momente hat und der dann genauso
daherschwätzt wie dieser Elia: „Wer außer mir hat noch den Durchblick? Wer
außer mir macht hier noch was? Wen außer mich kümmert eigentlich noch, ob was
läuft oder nicht? Wer außer mir hält diesen Laden eigentlich noch am laufen?“
Das ist der typische Frust von einsamen Spitzen.
Wenn Leidenschaft in die Krise kommt, verliere ich die klare Sicht!
Ich erlebe das im CVJM sehr oft. Ich erlebe es schon bei jungen Mitarbeitern,
aber sehr oft auch bei älteren. Bei Schwestern und Brüdern, die ein Leben lang
für das Reich Gottes geackert und gerackert haben und jetzt enttäuscht sind,
weil eine neue Generation nicht mehr anpackt.
Und dann kommt es darauf an, den gerechten Blick zu bewahren. Packt diese
Generation nicht mehr an, oder packt sie nur anders an und an anderen Stellen,
als ich es mir vorstelle? Sieht diese Generation vielleicht Wege, Möglichkeiten
und Notwendigkeiten, die ich übersehen habe? Oder packt sie vielleicht nur
deshalb nicht an, weil ich nicht loslasse?
Liebe Schwestern und Brüder, der Frust darf uns nicht den Blick für die
geistliche Wirklichkeit verbiegen. Sonst werden wir zu Heulbojen, die nur noch
jammern können und die keiner mehr versteht und irgendwann auch keiner mehr
hören will.
Gott sagt zu Elia: „Ich will in ganz Israel 7000 übriglassen, die ihre Knie
nicht gebeugt haben.“ Ich glaube in Württemberg sind es mehr und an ihrem Ort
gibt es ganz bestimmt auch mehr als wir alle denken.
Der Elia dachte wirklich, alles hängt an mir. Wenn ich abtrete, kann Gott auch
abtreten. Und wie zum Beweis des Gegenteils, befiehlt Gott dem Elia, dass er
sich selbst Elisa zum Nachfolger bestellen soll. „Elia, mein Reich hängt nicht
an dir.“ Und an ihnen und mir hängt’s auch nicht. Wir sollten nie die
Möglichkeit ausschließen, dass Gott jemand anders an unseren Platz beruft!
Papst Johannes XXIII. hat einmal erzählt, wie er nach seiner Wahl zum Papst
unter der Last seines Amtes fast zusammengebrochen ist. Er dachte, die ganze
Verantwortung für diese 900 Millionen Mitglieder starke Kirche läge nun allein
auf seinen Schultern. Die Folge war, dass er nicht richtig schlafen konnte,
dass der Magen rebellierte usw. Und er erzählt dann, wie er eines Nachts auf
seinen Balkon trat und in der Stille der Nacht Gott zu ihm geredet hat:
„Giovanni, nimm dich nicht so wichtig!“
Könnte es sein, dass Gott uns etwas ganz ähnliches sagt. Wir sind im
Bengel-Haus manchmal geneigt zu denken, wenn wir nicht bald wieder mehr
Württemberger Theologiestudenten bekommen, können wir’s bleiben lassen. Und
Gott sagt: „Nehmt euch nicht so wichtig dort in Tübingen!“
Und als Pietisten und Hofackerleute denken wir manchmal, wenn die nächste
Kirchenwahl wieder in die Binsen geht, dann bricht hier alles zusammen. Und
Gott sagt: „Nehmt euch nicht so wichtig dort in Korntal!“
Und als Evangelikale denken wir: „Wenn wir in Deutschland nicht bald eine
Erweckung hinbekommen, dann gibt’s bald keine Gemeinde mehr im Lande Luthers.
Und sagt: „Nehmt euch nicht so wichtig dort in Stuttgart und in Wetzlar und in
Kassel und in Dillenburg, oder wo auch immer an Erweckungen gestrickt oder
getippt wird.“
Gottes Personalvorrat ist unerschöpflich. Und wenn wir nicht mehr sind, wird es
andere geben, im Kleinen wie im Großen. Gott kann allezeit einen Elisa aus der
Tasche ziehen und uns vor die Nase stellen.
Diesen geistlichen Blick sollten wir behalten und uns nicht so wichtig nehmen.
Ich glaube nicht, dass der Elia an Kleinglauben gelitten hat. Ich
glaube, dass das Problem Elias vielmehr mit total überzogenen Erwartungen zu
tun hat! Elia wollte ganz Israel zurück zu Gott führen. Er wollte ganz Israel
bekehren. Elia wollte alle und zwar sofort.
Und das hat er nicht gepackt. Und er hat es deshalb nicht gepackt, weil es ihm
nicht verheißen war.
Die Verheißung, die Gott ihm gibt, ist die eines Restes. Und mehr als ein Rest
ist uns auch nicht verheißen. „Ein Rest bleibt übrig!“ So war es bei Noah, so
war es bei Jakob und seinen Söhnen, so war es bei Elia, so war es bei Jesaja.
So war es bei Jesus. Und so wird es im jüngsten Gericht sein: Ein Rest wird
gerettet. Wir wissen nicht, wie groß dieser Rest sein wird und deshalb ringen
wir um jeden Menschen, aber die Bibel gibt uns keinen Anlass für
übergeschnappte Visionen. Gottes Volk wird immer nur ein Rest sein. Deshalb
wollen wir alle rufen, um alle werben, um alle ringen. Aber wir wollen den
Glauben nicht verlieren, wenn nur wenige kommen.
Vielleicht ist es eine der wichtigsten Aufgaben in der Gegenwart, dass wir das
wieder auseinander bekommen: Was wir uns erträumen ist so oft etwas ganz
anderes, wie das, was Gott verheißen hat. Und wenn unsere Leidenschaft deshalb
in die Krise kommt, weil unsere Träume nicht in Erfüllung gehen, dann kommt es
darauf an, dass wir uns wieder an Gottes Verheißung orientieren. Dass wir noch
einmal überprüfen, was Gott wirklich versprochen.
Was hat Jesus uns versprochen? Jesus hat gesagt: „Die Pforten der Hölle werden
seine Gemeinde nicht überwinden!“
Was heißt das? Sie haben nicht die Verheißung, dass ihr 3000 Einwohnerdorf
geistlich explodieren wird. Gott kann das tun, sie können dafür beten und dafür
arbeiten, und wenn er es tut, dann freuen wir uns und loben Gott darüber, aber
klagen sie ihn bitte nicht an, wenn er es nicht tut! Klagen sie ihn nicht an,
wenn es bei dem verheißenen Rest bleibt!
Wir haben nicht die Verheißung, dass Deutschland noch einmal eine große
nationale Erweckung schenken wird, auch wenn ein afrikanischer Prophet jetzt
diese Vision hatte und mit dieser Prophetie durch die Lande zieht. Gott kann
das tun, Gott hat das schon getan. Und wir können ihn darum bitten. Und wir
wollen ihn darum bitten. Und wenn er es wieder tut, dann freuen wir uns und
loben ihn. Aber wenn er es nicht tut, dann klagen Sie ihn bitte nicht darüber
an. Was er versprochen hat, ist dass die Pforten der Hölle die Gemeinde nicht
überwinden wird und dass das Evangelium unter allen Völkern gepredigt werden
wird.
Ich ärgere mich, wenn mit übergeschnappten Visionen hausieren gegangen wird,
die Gott so nicht verheißen hat. Denn so werden am Ende nur Menschen
enttäuscht, Mitarbeiter müde und Gottes Ehre klein.
Zu Gottes Ehre reicht schon ein Restposten. Und wenn 7000 Israeliten für Gott
damals nicht zu wenig waren, sollten wir die 7 in unserem Teenagerkreis nicht
verachten, sollten wir die 70 in unserem Gottesdienst nicht verachten, sollten
wir die 700 in diesem Saal heute nicht verachten! Gott baut sein Reich immer
mit Restposten.
Wenn Leidenschaft in die Krise kommt, dann kann daraus eine neue
Perspektive für unseren Dienst entstehen! Gott therapiert seine Leute oft durch
eine ganz neue Perspektive für ihren Dienst. So auch bei Elia. Mit der
Gottesbegegnung fängt eine neue Phase seines Dienstes an, es ist die letzte
Phase seines Dienstes. Wir sollten nie diese Möglichkeit ausschließen, dass
Gott uns auch an einem anderen Platz gebrauchen kann.
Gott ruft ihn noch einmal zurück auf den Weg, noch einmal in den Dienst, aber
gibt ihm einen neuen Dienstauftrag, genauer gesagt drei Dienstaufträge. Er soll
drei Männer berufen, die das Gericht an Israel vollstrecken. Man muss das
einmal im Zusammenhang hören: Am Karmel hat Elia dieses Gericht selber
vollstreckt, nun soll er andere dazu berufen. Wir müssen es wieder lernen, dass
der Bau des Reiches Gottes nicht nur die Sache einer Generation ist, sondern
eine Sache, die über mein eigenes Leben weit hinausreicht.
Die Erfüllung dieser Aufträge hat Elia selbst gar nicht mehr erlebt. Aber durch
sein berufendes Wort hat er sie in Gang gesetzt.
Die Möglichkeiten Gottes mit unserem Leben reichen über die Grenzen meines
Lebens hinaus. Das wird an Elia und an vielen anderen Gottesmännern deutlich.
Die Aufträge die Elia hier bekommt, zeigten erst 10 Jahre später ihre Wirkung.
Zu einer Zeit als Elia schon lange nicht mehr da war. Es kommt überhaupt nicht
darauf an, ob wir Gottes Wirken noch erleben, sondern darauf, dass es zum Ziel
kommt. Für Gott sind die Grenzen unseres Lebens nur Makulatur. Gott kann auch
über die Grenzen meines Lebens hinaus, seine Ziele verfolgen.
Was könnte sich in unserem Dienst verändern, wenn wir uns immer wieder diese
Perspektive vor Augen stellen? Ein christlicher Kalenderhersteller wirbt ja
bekanntlich mit dem Slogan „Aufbruch zur Gelassenheit“. Gemeint ist, wenn man
seine Zeit richtig einteilt, lebt man gelassener.
In unserem Zusammenhang bedeutet es etwas anderes: Wenn wir wieder einen Blick
bekommen würden für die Möglichkeiten Gottes, die meine eigenen Möglichkeiten
weit übersteigen, dann könnten wir gelassener und gewisser sein. Dann müssten
wir uns nicht treiben lassen von einer hektischen Kurzatmigkeit. Dann müssten
wir uns von den allwöchentlichen evangelikalen Hochwassermeldungen nicht mehr
so aufschrecken lassen, sondern könnten wieder gelassener mit dem langen Atem
des Glaubens leben, weil wir wissen, dass Gott in jedem Fall zu seinem Ziel
kommt.
Wir müssen diesen langen Atem des Glaubens immer wieder lernen und uns
gegenseitig dabei helfen. So war das schon in der Reformationszeit. Als es beim
Augsburger Reichstag im Jahre 1530 schlecht um die evangelische Sache steht und
Philipp Melanchthon sich vor Sorgen und Resignation fast in die Hosen macht,
weil er nicht mehr weiß, wie er den evangelischen Glauben retten könne, da
schreibt ihm Luther einen Brief und in diesem Brief heißt es: „Der unser Vater
geworden ist, wird auch unserer Kinder Vater sein. Ich bete wahrlich mit Fleiß
für Dich, und es tut mir weh, dass Du unverbesserlicher Sorgen-Blutegel meine
Gebete so vergeblich machst. Ich wenigstens bin, was die Sache angeht nicht
sonderlich beunruhigt, vielmehr besserer Hoffnung, als ich zu sein gehofft
hatte. Mächtig ist Gott, die Toten zu erwecken, mächtig ist er auch, seine
Sache, wenn sie gleich fällt, zu erhalten, wenn sie gefallen ist, wieder
aufzurichten, und wenn sie steht, fortzuführen.“
Amen.