Volker Gäckle

Jugendgottesdienst 04.10.1998

 

Predigt über Markus 15, 33-39

 

„Und zur sechsten Stunde kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. Und zu der neunten Stunde rief Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt übersetzt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Und einige, die dabeistanden, als sie das hörten, sprachen sie: Siehe, er ruft den Elia. Da lief einer und füllte einen Schwamm mit Essig, steckte ihn auf ein Rohr, gab ihm zu trinken und sprach: Halt, lasst sehen, ob Elia komme und ihn herabnehme!

Aber Jesus schrie laut und verschied. Und der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von oben an bis unten aus.

Der Hauptmann aber, der dabeistand, ihm gegenüber, und sah, dass er so verschied, sprach: Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen!“

 

 

 

Liebe Freunde,

 

der Schriftsteller Stefan Zweig hat einmal ein Buch geschrieben mit dem Titel "Sternstunden der Menschheit". Ein fetter Titel, aber es gibt ja tatsächlich Augenblicke wo die Menschheitsgeschichte einen Schritt mit Siebenmeilenstiefeln macht.

 

Im Jahr 1929 ließ Sir Alexander Fleming in seinem verlotterten Chemie-Labor ein paar Pilze neben irgendwelchen Bakterienkulturen liegen, die daraufhin ausstarben. So entdeckte der Mann per Zufall das Penicillin und wurde weltberühmt und bekam den Nobelpreis. Von nun an gab es Hoffnung für Millionen bisher unheilbar kranker Menschen. Manchmal wird sogar Schlamperei belohnt. Ist mir leider nie passiert: Auch ich hab ab und an Schimmelpilzkulturen in meinem Kühlschrank, aber von denen war noch keine nobelpreisverdächtig.

 

Eine andere Sternstunde der Menschheit schlug 1969. Da landete die Raumfähre Apollo 11 auf dem Mond und Neill Armstrong betrat als erster Mensch den Mond. Und dann tönte jener Satz aus dem Weltraum ins Wohnzimmer: "Ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein großer Schritt für die Menschheit". Ich hab das als 4jähriger Kerl damals natürlich schon voll begriffen und ab nun wusste ich: Der Mann im Mond ist Amerikaner.

 

Sternstunden der Menschheit sind Jubelstunden der Menschheit. Da fliegen Sektkorken und alles wird live via Eurovision in der Glotze übertragen.

 

Ich möchte aber heute abend nicht über irgendeine Sternstunde der Menschheit philosophieren, nein ich möchte über die Sternstunde der Menschheit reden, über die einzige Stunde der Weltgeschichte, die diesen Namen wirklich verdient. Aber diese Stunde war keine Jubelstunde, sondern eine Todesstunde. Es ist nun schon fast 2000 Jahre her. Auf einem Hügel vor Jerusalem stehen drei Kreuze. Und mitten am Tag wird es stockdunkel.

Der römische Hauptmann, der schon viele angenagelt hat und der schon viele hat elend sterben sehen, hat so was noch nie erlebt.

 

Die zwei rechts und links waren Typen, mit denen er es schon oft zu tun gehabt hatte: Verbrecher und Mörder. Solche Typen hinzurichten, dass war sein Job, da hatte er Routine drin. Aber der in der Mitte, so einem war ihm noch nie begegnet.

 

Während alle anderen normalerweise fluchen was das Zeug hält, fängt der an zu beten. Dem Mörder, der neben ihm stirbt, dem vergibt er die Schuld und zu allem Überfluss bittet er auch noch für die, die ihn so entsetzlich quälen: "Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun!"

 

Wahrscheinlich wusste dieser Hauptmann immer was er tat, aber bei diesem Wort wird er unsicher. "Warum musste ich den eigentlich kreuzigen?"

 

Und kurz bevor er stirbt, nach sechs qualvollen Stunden, schreit dieser merkwürdige Mann diesen erschütternden Satz: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Das ist ein Satz, der so gar nicht einer Sternstunde passt. Der nicht sich nicht so bedeutungsvoll anhört, wie der von Neill Armstrong. Den man nicht erwürdig zitieren kann, wie ein Zitat von Goethe. Nein, dieser Satz war ein Schrei voller Verzweiflung. Aber in diesem Satz, liebe Freunde, liegt das große Geheimnis des Kreuzes. In diesem Satz liegt das Geheimnis dieser Sternstunde.

 

Jesus ist am Kreuz nicht an der Gemeinheit der jüdischen Obrigkeit zerbrochen. Die hatten ihn übel verleumdet und ihm übel mitgespielt, aber das hat ihn nicht fertig gemacht.

 

Jesus ist auch nicht an der Brutalität des römischen Hinrichtungskommandos zerbrochen. Das waren skrupellose Burschen, aber die waren auch nicht sein größtes Problem.

 

Nein, Jesus ist daran zerbrochen, dass ihn Gott verlassen. dass Gott es hat dunkel werden lassen über ihm. dass er über ihm das Licht ausgemacht hat. dass sein himmlischer Vater sich von ihm abgewandt hat. Daran ist Jesus zerbrochen. Vorher in der Pantomime war das für mich der härteste Punkt: als Daniel Kliemt dieses Brot zerbrochen hat. So hat Gott seinen Sohn zerbrochen.

 

Und jetzt fragen viele: Mensch, warum tut der das? Wie kann der liebe Gott so brutal sein? Das erste was ich dir sagen muss: Vergiss den lieben Gott? Der liebe Gott ist was für Leute, die ne billige Entschuldigung brauchen für ihre Fehler: So nach dem Motto: Der liebe Gott wird schon ein Auge zudrücken! Der liebe Gott ist ne billige Ausrede für Leute, die den Himmel im Sonderangebot wollen: dem lieben Gott werde ich schon recht sein. Vergiss den lieben Gott!

 

Wer an das Kreuz sieht, der sieht keinen lieben Gott! Sondern der sieht einen Gott, der ein furchtbares Gericht hält über die schuldigste Gestalt der Weltgeschichte. Wie bitte? Ja, so ist das? Denn der gekreuzigte Jesus trägt an diesem Kreuz die Schuld aller Menschen und deine und meine ist auch dabei. Und schon deine und meine Schuld allein hätte genügt, um ihn dorthin zu bringen.

Vielleicht sagst: Hör mal her, ich bin erst 15. Bin jung und klein, mein Herz ist rein. Ich hab noch keinen umgebracht und erst ganz wenig geklaut. Für welche Schuld soll der für mich sterben?

 

Aber jetzt bitte ich dich, hör du mal her: Alles was du bist und hast ist ein Geschenk Gottes. Heute ist Erntedank. Gott hat doch nicht nur die paar Äpfel und Birnen geschaffen, nein er hat dich gemacht: Hast Du ihm schon mal "Danke" gesagt dafür?

 

Und er hat dich nicht nur gemacht, sondern er hat auch einen Anspruch auf dein Leben. Er möchte dein Herr sein. Er will dein Leben führen. Ich weiß nicht ob du das schon wusstest?

 

Gott hat dich wunderbar gemacht und so wunderbar wie er dich gemacht hat, so kann er dich auch wieder zurückverlangen. Gott wird dich und mich einmal fragen: Ich habe dir Augen gegeben, um meine Herrlichkeit zu sehen und wie viel Schund hast du dir damit alles angesehen? Ich habe dir einen Mund gegeben, damit du von mir weitererzählst und wie viel faules Geschwätz hast du damit geredet? Ich habe dir Hände gegeben, um diese Welt sinnvoll zu gestalten und du benützt sie so oft, um sie kaputt zu machen.

 

Wenn wir einmal vor Gott stehen, dann wird das so sein, wie wenn wir vor einem Menschen stehen, der alles weiß, was wir über ihn gesagt und gedacht haben. Und wir werden auf 1000 Fragen nicht eine Antwort wissen. Das ist Schuld! Und diese Schuld steht in Gottes Augen wie ein großes Minus vor unserem Leben.

 

Und für diese Schuld stirbt Jesus am Kreuz. Damit du in Ewigkeit leben kannst. Ich will dir das an einem Beispiel erklären:

 

Es gab vor dem zweiten Weltkrieg in Essen eine große jüdische Synagoge. Dieser große und herrliche Bau erlebte 1938 ein schreckliches Ende. In einer der ganz dunklen Stunden des deutschen Volkes, nämlich in der sog. Reichskristallnacht, wurde dieses Haus von den Nazis in Brand gesteckt. Und alles was brennbar war wurde ein Raub der Flammen. Was aber den Flammen trotzte waren die riesigen Steinquader und das Stahlgerüst des Kuppelbaus.

 

Sechs Jahre später brach das Gericht über unser Volk herein. Und auch die Stadt Essen erlebte dieses schreckliche Gericht. An einem Abend heulten gegen neun die Sirenen: Bomberalarm. Und dann begann die Nacht des Schreckens mit Bombenteppichen und Flächenbränden. Menschen irrten verzweifelt durch die Straßen auf der Flucht vor dem Sog der Flammen und auf der Suche nach einem Schutz vor Hitze und Feuer.

 

Viele kamen um in den zusammenstürzenden Häusern, im Flammenmeer und im Bombenhagel. Aber mitten in der Stadt gab’s einen Ort, wo man hinkonnte, wo man überleben konnte, weil’s dort nicht gebrannt hat und wo es eigenartig still und friedlich war. Das war die Ruine jener Synagoge. Dort brannte nichts mehr, weil es dort schon einmal gebrannt hatte. Und jetzt, in dieser Nacht des Gerichtes über Hochmut und Gottlosigkeit war es dort merkwürdig ruhig und friedevoll. Dort konnte man überleben.

 

So ist das mit dem Kreuz, am Kreuz findet das Gericht über unsere Schuld statt und es findet stellvertretend über Jesus statt. Und wenn am Ende dieser Welt Gott einmal Gericht halten wird, dann wird es überall brennen, nur nicht unter diesem Kreuz. Das wird Friede sein, weil’s da schon mal gebrannt hat. Und jeder der sich unter dieses Kreuz stellt, wird am Leben bleiben in Gottes Ewigkeit.

 

Vielleicht begreifst Du jetzt auch, was Liebe Gottes ist. Die Liebe Gottes zeigt sich nicht am lieben Gott. Der liebe Gott ist ne Witzfigur unserer Phantasie. Nein, die liebe Gottes zeigt sich am Kreuz: "So sehr liebt Gott dich, dass er seinen einzigen Sohn gab, damit du, wenn du an ihn glaubst, nicht verloren gehst, sondern das ewige Leben hast!"

 

Der Hauptmann, der Jesus damals hingerichtet hat, der hat das übrigens kapiert. Nicht alle haben das kapiert. Unter dem Kreuz stand auch der ganze Mob, der nur gespottet und gelacht hat. Unter dem Kreuz, da trennt sich die Menschheit in zwei Lager: Da stehen die einen, denen Jesus entweder egal ist oder die ihn sogar mit Füßen treten. Und da stehen die anderen, die kapieren, was hier geschieht. So wie dieser Hauptmann. Der stand ganz nah dran an diesem Schrecken, aber der sagte nicht: Ach, Gott, wie brutal und überhaupt ... Mit dem will ich nix zu tun haben. Nein, als Jesus starb, da stand er unter diesem Kreuz und sagte: "Dieser Mensch war wirklich Gottes Sohn!" Der hat begriffen, was hier los ist.

 

Und ich möchte dich herzlich bitten: Wenn du’s noch nicht getan hast, dann stell dich auch unter dieses Kreuz! So wie es dieser Hauptmann getan hat und nimm das für dich an. Der auferstanden Jesus lädt dich ein. Die Sternstunde von Golgatha kann heute abend zur Sternstunde deines Lebens werden.

 

Vielleicht bist du heute abend nur so zufällig hier reingeschneit und hast von allem noch nicht viel Ahnung. Egal, viel Ahnung hatte der Hauptmann auch nicht. Entscheidend ist, dass du die Hauptsache kapiert hast: Jesus hat für dich bezahlt und jetzt ist Tag der offenen Tür bei Gott. Du bist herzlich willkommen. Es kann die Sternstunde deines Lebens werden.

 

Amen.